Gestrandet auf Mallorca

ELLI BOE
GESTRANDET AUF MALLORCA
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Elli Boe
Gestrandet auf Mallorca
Roman
„Sag mal, hast du irgendwas genommen? So’n Quatsch gibt’s doch nur
im Fernsehen. Muss ich dich irgendwo abholen? Hat Robert wieder was
gemacht?“
„Hera, er ist es! Hera, jetzt weiß ich, dass es sowas gibt! Und dann noch
auf Mallorca …! Es ist eh schon alles klar – ich fliege!“
„Wann?“
„Jetzt!“
„Jetzt! Nach Mallooorca? Spinnst du? Sag mir wie der Vogel heißt?“
„Er ist es, Hera! Gerrit passt – mehr als hundert Prozent! Du kannst sowas nicht wissen …“
„Danke!“
„Du liest doch immer nur im Schlafzimmer.“
„Tausend Dank. Du bist einfach die beste Freundin …“
„Ich komme nicht wieder. Du weißt wie sehr ich die Sonne liebe und
ich gehe überall hin, wo er hin will!“
„Sag mal, spinnst du komplett? Ist der etwa in so ‘ner Sekte, oder
was?“
„Nein, er ist Kapitän!“
„Kapitän? Dann komme ich nach und mach mit dem ‘ne ordentliche
Kreuzfahrt!“
„Ach Hera, kennst du noch den Spruch, den du mir mal gesagt hast:
Wenn man nur lange genug wartet, dann wird das schönste Wetter.“
„Meine Sprüche stimmen alle, aber der ist aus Japan …“
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© 2013 AAVAA Verlag
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2013
Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag
Coverbild: Fotolia, 45775723 - Cute girl on tropical resort© Anna Omelchenko
Printed in Germany
ISBN 978-3-8459-0858-8
AAVAA Verlag , Hohen Neuendorf, bei Berlin
www.aavaa-verlag.com
Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Kapitel
eins
Am liebsten hätte ich hier Scheuklappen getragen. Der Balkon unter
meinen Füßen sah lebensgefährlich aus. Risse umkreisten die Brüstung
an der Hauswand. Drumherum bröckelte das Mauerwerk. Ein paar der
eingesetzten Eisenstangen, die mal Verzierung gewesen waren, hingen
abgerostet aufeinander und durch ein aufgebrochenes Loch im Boden
konnte ich runter auf unsere Nachbarn gucken. Anstelle von Blumen
spross hier nur verdorrtes Unkraut aus den Ritzen. Obwohl es mehr als
tot aussah, wucherte das Zeug immer weiter und flatterte schon meterweise im Wind. Es gab sogar noch weiteres Leben hier: Eine Straße mit
Ameisen zog wie aufgereiht hintereinander in einem haarscharfen Bogen
um das Bodenloch herum. Und auf der anderen Seite unseres Balkons
baumelte das Ende einer ausgefransten, grünen Wäscheleine in einer
modrigen Regenpfütze, aus der manchmal kleine Teilchen sprangen.
Und es stank – innen und außen. Das heißt, unsere Wohnung sah nicht
besser aus.
Es konnte gerade erst kurz nach sechs sein, denn ich hörte die Müllabfuhr, die täglich pünktlich – wie sonst nichts hier – mit den Containerdeckeln schepperte.
Ich zündete mir die erste Zigarette an, sah kurz auf den abgesplitterten
Lack meiner Fingernägel, legte meinen Kopf in den Nacken und blies
den Rauch aus meiner Lunge.
Der Himmel war hingegen blau und blank. Nur ein paar Vögel ganz
oben waren als kleine schwarze Sicheln zu erkennen. Sie zirpten und
kreischten schon, schossen im Sturzflug auf sich zu und segelten dann
wieder auseinander.
Ich sog die frische Morgenluft, die ab und zu eine fiese Müllbrise mitbrachte, im Wechsel mit einem Zigarettenzug tief in mich hinein und
war froh, dass alles vorbei war. Mein Körper bebte vor Ergriffenheit, ein
bisschen vor Kälte, aber wahrscheinlich, weil ich wieder auf nüchternen
Magen rauchte. Ich inhalierte noch mal kräftig und während ich den
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Qualm genüsslich lang in meinen Lungen stocken ließ und nur ganz
langsam ausatmete, lief wieder mein Kopfkino ab. Sechzehn Jahre –
okay, ich war dem lieben Gott dankbar, dass meine Ehe nicht doppelt so
lang dauern musste – sechzehn Jahre, bis ich ihr endlich begegnen konnte, meiner großen Liebe. Sozusagen meinem Retter, der jetzt noch so süß
in seinem Bett lag und ganz fest schlief. Er hatte einen gesunden Schlaf,
der sich je nachdem bis weit in den Vormittag zog.
Von der Straße schallten die ersten Morgengeräusche herauf, wie früher im Urlaub. Ein ohrenbetäubend lautes Moped, das in den Morgen
kreischte, aber nicht zu sehen war. Das Scheppern der großen Containerdeckel, das jetzt immer näher kam. Doch der hier ständig umherirrende
Hund kläffte am lautesten und hatte mittlerweile alle in der Straße angesteckt. Mindestens vier Viecher bellten jetzt aus allen Richtungen.
„Morgen knall ich alle ab.“ Gerrit schmiss die Balkontür von innen so
fest zu, dass sie vibrierte und von selbst wieder aufsprang. Morgens war
er schon mal etwas gereizt, aber eigentlich war er ein ganz Lieber. Kurz
darauf stand er im Freien, nur in Pyjamahose – also die von Eintracht
Frankfurt –, streckte sich und gähnte wie ein süßes Walross. Okay, er
war keine ausgesprochene Schönheit. Kein Brad Pitt oder Banderas. So
wie er da stand schon gar nicht. Eher ein normaler Fußball-Gucker mit
schütterem Haar und Bauchansatz. Aber egal, ich liebte ihn, so wie er
jetzt da stand, sogar noch mehr als in der allerersten Sekunde, als seine
blauen Augen mich innerlich niedergestreckt hatten. Außerdem hatte er
das Gardemaß von einssechsundachtzig und sah in einer blauweißen
Kapitänsuniform wirklich klasse aus. Ich schnippte blöderweise völlig
umsonst die Zigarette vom Balkon, an der noch mindestens drei Züge
gewesen waren, als Gerrit wieder in der Wohnung verschwand.
„Brot ist alle!“, schallte es nach draußen und dann die Toilettenspülung. Männer!
Einmal sollte er das Bad sauber machen und kam nach fünf Minuten
wieder raus. „Alles fertig!“, meinte er und drückte mir eine leere Klopapierrolle in die Hand. Als er beim nächsten Versuch nach zwei Stunden
noch nicht wieder draußen war, steckte besorgt ich den Kopf ins Bad
und sah wie er eine Steckdose wieder anschraubte. „Die hatte es echt nötig“, meinte er und im Bad herrschte immer noch das heillose Chaos.
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Ich verließ den Balkon um mich anzuziehen, froh darüber, dass ich
mich nicht in solche Teile wie Pullover, Stiefel oder Jacke zwängen musste. Auf Mallorca waren es schließlich schon über zwanzig Grad – im
März! Ich hob das zerknitterte T-Shirt vom Vortag auf, suchte meine
Shorts, fand sie auf Gerrits Seite unter dem Bett und schlüpfte im Flur
nur mit den Vorderfüßen in die Turnschuhe.
„Hoool Brötchen …!“, trällerte ich und hörte den Wasserhahn aus der
Küche. Er machte Kaffee. Nur mit den Fußspitzen in meinen Turnschuhen steckend warf ich im Vorbeischlurfen einen Kuss in die Küche und
erhielt einen dicken echten zurück. Gerrits Körper war noch ganz warm
und ich kuschelte mich kurz an ihn, was er zu einem beidhändigen festen Podrücken ausnutzte, womit er mich zum schnellen Aufbruch trieb.
Erst unten vor der Haustür schnürte ich mir die Schuhe zu – was mir
eines Tages sicherlich noch das Genick auf den Treppen brechen würde
– und wollte gerade losjoggen – bis zum Bäcker würde ich es gerade
noch schaffen, aber wer sollte das ahnen und joggend sah es einfach besser aus –, als plötzlich dieser kläffende Köter von vorhin an meinen Beinen klebte. Ich versuchte ihn zu ignorieren, aber irgendwie brachte mich
das Vieh völlig aus dem Takt. Als er partout nicht von selbst verschwinden wollte, trat ich rückwärts nach ihm aus – er war auch wirklich ein
hässliches Tier – verfehlte ihn aber knapp und dann klebte er an meiner
anderen Seite.
„Zieh Leine, doofe Töle, ich hab nix!“, zischte ich nach unten.
Vielleicht wollte er ja auch nur spielen, aber der hatte mit Sicherheit
wer weiß was, und weiß Gott, was sonst noch. Ich hob einen Stein auf,
ohne meinen Bewegungsfluss großartig zu unterbrechen, sah mich kurz
um, um sicherzugehen, dass niemand guckte, tat so, als würde ich an
dem Stein knabbern, um den Köter weiszumachen, es wäre ein Stück
Wurst und schleuderte ihn in die kleine Nebenstraße. Doch die Steinwurst traf zuerst das genau vor mir stehende Stoppschild und dann das
darunter stehende Auto auf dem Dach. Ich zog den Kopf ein, weil sich
das Geräusch nicht gut anhörte, erhöhte mein Tempo sofort und als ich
mich noch mal umsah, war auch der Hund weg.
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Die kleine Panaderia, die man glatt übersah, wenn man sie nicht gekannt hätte, war die nächste Straße links. Nur ein paar grün verblichene
Buchstaben standen auf einer aufgeklappten Fensterlade, was bedeutete,
dass geöffnet war. Eine schmale Tür ohne Fenster, die man mit einer einfachen Klinke selber öffnen musste, führte in einen winzigen Raum, der
erfüllt war von duftendem Brot und vor allem von der dicken Spanierin,
die immer dieselbe Kittelschürze trug. Sie hielt ohne ein Wort des Grußes und ohne mich eines Blickes zu würdigen - aber so, als hätte sie
schon längst auf mich gewartet und wolle, dass ich möglichst schnell
wieder verschwinde - meine bocadillos in einem durchsichtigen Plastikbeutel am ausgestreckten Arm über die Theke. Es stimmte, vier Stück
waren drin, obwohl ich nicht mehr als „buenos dias“ gesagt hatte. Wahrscheinlich wollte sie meinen schlanken Anblick nicht länger als nötig ertragen müssen. Ich kannte das: Dicke hassten mich.
Hoffentlich zogen wir bald hier weg. Ich wollte meine Brötchen lieber
woanders kaufen. Ich legte zwei Euro auf das abgegriffene Holzbrett
und wartete nicht aufs Wechselgeld, schnappte mir den Beutel aus ihrer
Hand, wackelte beim Rausgehen extra mit dem Hintern und warf auch
noch meine blonde Mähne nach hinten. Mir selbst waren Missgunst und
Neid zuwider, aber sowas kommt dann eben bei raus. Wenigstens war
keiner vor mir dran gewesen, denn das mallorquinische Palaver zog sich
immer endlos hin.
„Es ist ein Ha-aus, keine Wohnung“, erklärte Gerrit und für mich stand
fest, dass ich nach dem Umzug das Frühstück lieber selber machen würde. Zwei Tassen ohne Unterteller standen lieblos auf dem blanken Tisch
und der Kaffee in der Glaskanne dazwischen – er würde in fünf Minuten
kalt sein. Es gab noch einen Rest Erdbeermarmelade in einem Plastikschälchen, die höchstens noch für zwei halbe Brötchen reichte und in der
ein Stück Margarine schwamm – also noch nicht einmal echte Butter. Ich
fischte den Klecks mit dem Messer so gut es ging heraus.
Naja, Gerrit war halt schon ewig Junggeselle und jetzt seit einem Jahr
auf der Insel. Bis vor Kurzem hatte er in einem winzigen Zimmerchen
bei seinem Ex-Chef gewohnt, in dem das einzig warme Wasser – auch
das für seine Körperpflege – aus der Kaffeemaschine kam. Der Arme!
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Ans Duschen war er jetzt wieder gewöhnt, das mit dem Frühstück mussten wir noch üben.
Ich versuchte ein Brötchen aufzuschneiden, das sich durch das Messer
aber eher gummiartig verzog, als sich von ihm aufschlitzen zu lassen.
Spanische Profi-Brötchen halt aus einem Plastikbeutel.
„Halb zehn ist der Makler da“, drängelte Gerrit und warf mir schon
wieder diesen Brunftblick zu.
„Wieso, ist doch erst acht?!“
„Wo ist denn dieser Zettel, wo draufsteht, wo das ist?“, fragte er und
schob den Rest seines Schinkenbrötchens, das er vorher nur mit seinen
Fingern in zwei ungleiche Hälften geteilt hatte in den Mund, bevor er
seine Taschen abfingerte. Ich überschlug inzwischen: Frühstück zwanzig
Minuten inklusive heimlicher Zigarette auf dem Balkon, während Gerrit
auf dem Klo saß. Duschen zwanzig Minuten mit Zähneputzen und Eincremen, Anziehen, Schminken fünfzehn Minuten. Aufräumen konnten
wir später, halbe Stunde Autofahrt – mit Verfahren zehn Minuten länger,
war genau halb zehn. Gerrit starrte mir ins Dekolleté. Ach so, das hatte
ich vergessen. Ich kaute etwas schneller, denn bei knapp achtundvierzig
Kilo musste ich ordentlich essen. Mein sowieso viel zu kleiner Busen
guckte mich morgens auch schon schlapp aus dem Spiegel an und meine
Hosen schlabberten alle bis auf eine. Und zwar die schon mal Weggeschmissene, wegen der Pinocchio-Stickerei hinten auf der Tasche.
Gerrit streichelte schon die Innenseite meiner Oberschenkel, als ich
mich gerade an die zweite Brötchenhälfte machen wollte. Dann küsste er
meinen Hals. Wir würden also zu spät kommen und unterwegs könnte
ich ja auch noch eine Banane essen.
„Colooooniaa! Alle kommen aus Colonia oder äh … Dusseldorf.“ Der
Makler zog beide Augenbrauen hoch, so dass sich seine kugelrunde
Stirn in drei dicke Falten legte, was mich an irgendwen erinnerte. An
diesen Faltenhund aus der Kosmetikwerbung …!? Nachdem er mit der
Hand, die ein goldener Siegelring schmückte, kurz im Gesicht kratzte,
fiel es mir ein. Dieser Schauspieler, wie hieß der noch gleich? Danny de
Sowieso. Ja, er sah aus wie Danny DeVito. Er zeigte mit dem Kopf auf
das Haus. „Und – gefällt es Señora?“
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„Ja, aber die Miete …“, ich sah Gerrit an, „und es ist ziemlich weit ab
vom Schuss“, gab ich zu bedenken.
„Also ich find es genial. Hier hab ich endlich meine Ruhe.“ Er sah den
Makler an, der sich gerade eine Zigarette zwischen die Lippen schob und
mit breit gezogenem Mund freihändig daran zog.
„Si!“, sagte der beim Ausstoß seiner Nikotinwolke und nickte heftig.
Gerrit nickte auch. Die Sache schien geritzt.
Er nahm meine Hand und wir kreisten noch einmal um das Haus, das
zwei Terrassen hatte. Eine war überdacht, die andere volle Südseite. Es
gab einen kleinen Grill aus diesen mallorquinischen Steinen und ein paar
Kübelpflanzen, die beruhigenderweise jetzt schon so schlecht aussahen,
dass mir später keiner mehr Vorwürfe machen konnte. Einen Pool gab es
nicht – was mich irgendwie enttäuschte –, nur eine verrostete Außendusche, die Gerrit aber wieder in Schwung bringen wollte. Und es gab
einen herrlichen Blick über die Landschaft. Ich blieb einen Moment alleine stehen.
Das war sie also: Meine Belohnung! Und: Es war Totenstille, sobald ich
selber mal nichts sagte. Noch nicht einmal ein Vögelchen zwitscherte …
oder gab es hier keine? Und dann sah ich mich schon im Bikini …
Meine Oberweite war wegen Gerrits Geschäftstüchtigkeit ordentlich
gewachsen. Ich trug grüne Flip-Flops von Gucci, die mit der passenden
Sonnenbrille. Das Sektglas gehalten in der linken, die Zigarette in der
rechten Hand. Ich prostete vom Grill aus allen zu, die zu unserem Barbecue-Abend gekommen waren – jeden ersten Freitag im Monat. Alles reiche Leute, die Gerrit vom Yachtclub kannte. Dazwischen dieser gut aussehende Inselfotograf, der andauernd von mir Fotos machen wollte,
während meine neue beste Freundin, eine echte Mallorquinerin, auf spanisch auf mich einredete. Wir kreischten und wir lachten. Natürlich verstand ich alles, was sie sagte und unsere Busen vibrierten – ich war beim
selben Schönheitschirurgen wie sie – nur ihre Nase war von Natur aus
schöner.
„Naatiie!?“
Ich verschob meine Träume auf später und lief zu Gerrit ins Haus.
Drinnen waren alle Böden gefliest, für die Kühlung im Sommer, meinte
er. Sie waren zwar abgenutzt und in altmodischem Braun, was aber ge11
rade wieder trendy war – hatte ich jedenfalls in der Schöner Wohnen beim
Arzt in Köln noch gelesen. Und bis auf das Schlafzimmer waren alle
Räume von Licht durchflutet und überall gab es Türen ins Freie. Ich öffnete erstmal alle bis zum Anschlag, damit der Mief von den alten Möbeln verschwand. Gerrit ging noch mal raus zu Danny DeVito hinten auf
die Terrasse und ich riss vorn in der Küche alle Türen und Schubladen
auf. Es war alles da, was man erstmal so brauchte. Ich öffnete das Küchenfenster, blieb dort stehen, um schnell eine zu rauchen und als ich
mich in der Fensterscheibe entdeckte, zupfte ich meinen Fransen-Pony in
Form.
Es war still, ungewohnt still hier. Kein kläffender Köter, keine plärrenden Kinder und auf der kleinen Straße vorm Haus weit und breit kein
Auto zu sehen. Auf dem Weg Richtung Küste stand ein Haus, aber in so
weiter Ferne, dass ich auf jeden Fall das Auto nehmen würde, selbst
wenn sie dort Brötchen verkauften.
Ich hatte mich so sehr nach Ruhe gesehnt, doch jetzt schien es mir hier
doch ein wenig einsam zu sein. Ich hörte Schritte im Kies. Señor Luiz
kam ums Haus. Er stieg kurz in sein Auto und mit Handy am Ohr wieder aus. Und als ich Gerrit im Hausflur pfeifen hörte, ließ ich meine Zigarette in den Kübel vors Fenster fallen.
„Alles klar!“, sagte er, eine Hand auf der Türklinke haltend, gab mir
einen Kuss und schob die andere Hand unter mein T-Shirt. „Fehlt nur
noch der Matratzentest.“ Seine Anspielungen mochte ich besonders.
Dann klopfte es an der Küchenscheibe und Señor Luiz wedelte mit irgendwelchen Papieren.
„Krumme Dinger! Was für krumme Dinger?“ Gerrit bretterte auf der
Rückfahrt mit unserem Vehikel durch ein kleines Nachbardorf den Berg
hinunter.
„Du kannst doch noch nicht mal die spanische Pizzakarte lesen“, sagte
ich und drehte die Lüftung auf die heißeste Stufe, obwohl die Sonne
durch die Frontscheibe knallte. „Und kannst du irgendwann auch mal
normal fahren?“
Ein alter Laster kam uns plötzlich frontal entgegen. Er ackerte sich in
einer engen Linkskurve auf unserer Spur den Berg herauf und hupte,
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dass mir das Blut in den Adern gefror. Gerrit bremste abrupt, lenkte unser Auto ganz nah an den Abgrund, blieb stehen und ließ den LKW
durch.
„ Und warum bist du wieder nicht angeschnallt?“, meckerte er.
Die Steinmauer, die seit Kilometern die Straße säumte, hatte gerade
hier ein Loch. Ich machte die Augen zu.
„Du hast total blind unterschrieben“, sagte ich mit geschlossenen Augen.
Gerrit drehte die heiße Lüftung wieder aus und fuhr weiter. „Natürlich
… wir hätten ja erstmal einen Anwalt suchen können. Gibt hier bestimmt
einen, der nix kostet.“
Ich zog eine Schnute, weil mir keine Antwort einfiel, kurbelte meine
Seitenscheibe hinunter und reckte mein Gesicht in den Fahrtwind.
Gerrit war eine beleidigte Leberwurst, nur weil ich gesagt hatte, dass er
höchstens sieben Wörter Spanisch konnte, wovon schon drei auf die
Bierbestellung fielen, und die noch so komisch aussprach, dass die Spanier es für Russisch hielten. Falsche Rücksicht brachte schließlich nichts
außer Probleme in der Partnerschaft und damit wollte ich erst gar nicht
anfangen.
Nach endlosem Anschweigen, was mich dazu getrieben hatte, den ganzen Nachmittag alleine mit einem Küchenstuhl auf unserem Hinterhofbalkon mit Bodenloch zu verbringen, während Gerrit meinte, den abgebrochenen Schlaf vom Morgen unbedingt nachholen zu müssen, rief
Señor Luiz an. Der Vermieter wäre entzückt über ein frisch verliebtes
deutsches Pärchen, solle er ausrichten, und wir sollten erstmal drei Monate Miete zahlen, die dann bei einem Langzeitvertrag wahrscheinlich
billiger würde. Mein Schatz strahlte, als hätte er mit irgendetwas Recht
gehabt und ich sagte auch nichts mehr, weil er das Ganze im Schlafzimmer feiern wollte. Ich war dafür.
Es war schon dämmrig im Zimmer. Gerrit befreite sich behutsam aus
meiner Umarmung. Ich war eingenickt und sah durch meine Augenschlitze wie er leise in Unterhose und T-Shirt schlüpfte, sein Handy vom
Nachttisch nahm und auf Zehenspitzen auf den Balkon schlich. War er
nicht süß und so rücksichtsvoll?
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Ich legte mich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter dem
Kopf, sah mir zuerst meine nach Pflege jammernden Füße an und dann
mit Genugtuung meine Koffer und die drei Umzugskartons am Fußende, die ich jetzt nicht mehr auspacken musste – zumindest nicht hier.
Dachte kurz darüber nach, ob ich nicht besser Beweisfotos von den kümmerlichen Pflanzen am Haus machen sollte, verwarf den Gedanken aber
wieder, denn ich würde einfach neue pflanzen. Würde sie selber aussuchen und selbst bezahlen, sobald ich einen Job hatte. Sie alleine ins Auto
hieven und im Bikini und Handschuhen in der Erde wühlen. Eine herrliche Vorstellung! Was sprach gegen Möhren? Der Garten war riesengroß!
Erdbeeren, Tomaten, Zucchini, Zitronen, meinetwegen Knoblauch. Ich
würde mich ab sofort ändern, gärtnern und total gesund aus dem eigenen Garten kochen. Zum Salat fiel mir ein schönes Steak mit einem Berg
goldbrauner Fritten ein. Bei dem Gedanken fühlte ich ganz deutlich so
ein flaues Gefühl in der Magengegend.
Über mir wurde der Fernseher eingeschaltet. Ja, jetzt wusste ich, was in
den letzten Stunden so anders gewesen war. Das Ding weckte mich normalerweise schon morgens vor sieben mit quakenden Zeichentrickstimmen und abends ließ das Action-Spektakel mein Herz vor Wut bis unters
Kinn schlagen. Das einsame Haus würde also doch mein Seelenparadies.
„Hungeeer und der Kühlschrank ist leeeer!“, rief ich vom Bett aus und
durfte bei dem Lärm hier ja wohl so laut rufen wie’s mir passte. Es kam
keine Antwort. „Gerrit, lass uns Essen gehen … zur Feier des Tages!“,
rief ich noch mal und zählte leise bis drei und dann weiter bis fünf.
„Komme!“, kam von draußen bei viereinhalb.
„Wir müssen unbedingt mein Auto aus Frankfurt hooolen. Wir brauchen jetzt beide, mein Schatz.“
Bei drei rief er: „Komme gleich!“ Ging also schon besser.
Ich stand auf, um ins Bad zu gehen und warf vorher noch einen Blick
durch die Balkontür. „Wem schreibst du da?“
„Überraschung!“, antwortete er, ohne vom Handy aufzusehen.
Das Badezimmer dampfte, denn ich drehte das Wasser meistens erst
ab, wenn nur noch kaltes kam. Ich drückte meine nassen Haare aus und
strich mit flachen Händen die rinnenden Wassertropfen vom Körper,
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tastete nach einem Handtuch, und als die letzte Pfütze durch den Siffon
gluckerte, hatte ich das Gefühl wieder ein wenig mehr von meinem alten
Leben abgespült zu haben. Ganz vorsichtig betupfte ich meine Haut mit
dem harten, gelben Frotteehandtuch, das zur Wohnung gehörte, damit
sich die erste Bräune nicht gleich wieder abrubbelte, die ich mir auf der
Dolphin geholt hatte.
Zur Feier des Tages griff ich nach dem großen Topf mit meiner besten
Körpercreme – eine letzte Luxusreserve aus meinem Kölner Kosmetiksalon –, stellte ein Bein auf den Badewannenrand und fing wie immer unten an.
Bis zum Bauch konnte ich mich eincremen, als sich wie früher urplötzlich dieser Druck auf meine Lungen legte. Ich riss die Badezimmertür
weit auf, damit die Nebelschwaden abziehen und ich wieder atmen
konnte, aber es half nichts. Die Creme auf meinem Körper fühlte sich an
wie eine zu enge Haut, die mir die Luft nahm. Ich roch vorsichtig am
Cremetopf und der Geruch von Sybille stach mir in die Nase. Mit einem
dumpfen Knall zerplatzte der Tiegel am Boden, wo die teure Creme in
den Plastikscherben verlief und den kleinen Raum in Billes Duft ertränkte. Ich kriegte keine Luft mehr.
Meine Handtasche!? Das Sprayzeug war immer noch da drin, obwohl
ich es hier noch nicht ein einziges Mal gebraucht hatte. Ich hechelte ins
Wohnzimmer, wo die Tasche stand und kramte es heraus. Nach etwa einer Minute, in der ich ein paar Mal den Sprayer inhaliert hatte, konnte
ich durchatmen. Nur mein Herz pochte noch nach und mir war übel –
ich roch nach Bille. Sie war stets getränkt in diesem Duft. Es war der teuerste, den ich damals führte. Für Bille also gerade gut genug.
Ich brauchte eine halbe Rolle Klopapier und noch einmal mein Asthmaspray bis ich im Badezimmer keinen Spritzer mehr fand, stopfte die matschigen Papierstreifen samt den Plastikscherben in den Brötchenbeutel
von heute Morgen, machte einen doppelten Knoten obendrauf und stellte das Bündel zur sofortigen Entsorgung vor die Wohnungstür.
Die dicke Creme kriegte ich in der Wanne kaum von meinen Beinen
runter, weshalb Gerrits Duschgel auch noch herhalten musste, meines
war schon komplett alle. Danach verströmte ich eine Wolke aus Honig
und beißendem Eukalyptus. Aber wenigstens kriegte ich Luft.
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Gerrit kam herein ohne anzuklopfen, als ich gerade mit einem Waschlappen unter dem Fuß die letzten Schmierspuren vom Boden aufwischte.
„Hast du was Neues?“ Er rümpfte die Nase.
„War nur ein Pröbchen – gefällt mir aber nicht“, sagte ich und verschwand aus dem Bad, das eh zu klein für zwei Personen war. Er schloss
wie immer die Tür hinter sich ab, für mich das Zeichen, auf dem Balkon
in Ruhe eine rauchen zu können, was meine Atmung noch mal deutlich
stabilisierte.
„Zahnpasta ist leer …“, brummelte Gerrit, als ich mir zehn Minuten
später mit Anklopfen Eintritt ins Badezimmer verschaffte und er zeigte
mit dem Kopf in Richtung Regal.
Außer ein paar Schaumresten im Gesicht trug er nichts am Körper. Er
stand vor dem Spiegel und schnitt ein paar Haare an seinen Ohren ab.
Eigentlich sah er noch ganz passabel aus für fünfundvierzig, wenn man
bedachte, dass sich seine Figur durch reines Sportschaugucken in Form
halten musste.
„Die reicht noch für ’ne ganze Woche“, antwortete ich, quetschte mich
an ihm vorbei, um an die Nagelschere zu kommen, schnitt die Zahnpastatube in der Mitte durch, steckte seine Zahnbürste bis zum Anschlag in
die eine Hälfte und legte das Ganze einsatzbereit auf das Waschbecken.
„Alles okay mit dir?“, fragte ich.
„Was soll’n sein …?“ Er hob seine Augenbrauen.
Unsere Kommunikation war heute echt gestört. Es wurde Zeit, dass ich
einen Job fand.
Nach einer Stunde Haare bändigen und dreimal Umziehen, bis alles einigermaßen passte, machten wir uns auf den Weg. Es war längst dunkel
draußen und ich bereute die falschen Schuhe angezogen zu haben, als
wir die Hauptstraße verließen, um durch die kleinen Straßen zu gehen.
Wenn sich meine Absätze nicht gerade in den Pflasterlücken verfingen,
hallten sie in den engen Gässchen so laut wider, dass sie vermutlich alle
Taschendiebe zusammentrommelten, obwohl die hier vielleicht lieber in
Villen einstiegen?! Ich legte trotzdem vorsichtshalber meine rechte Hand
auf Gerrits Gesäß, um unser bisschen Geld zu sichern. Er zog mich gleich
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fester an sich, schob dabei seine Hand unter meine Bluse und knetete
meine Haut – Speck war leider keiner da.
Es war ein so schöner Moment, ein ganz intensiver – wir hielten an …
Und als Gerrit mich ganz lang und weich küsste, wusste ich, dass die
Lovestory gegen uns nur ein müder Abklatsch war. Ich schwankte, als
wir weitergehen wollten, was nicht nur an meinen weichen Knien lag,
sondern vor allem am rechten, feststeckenden Schuh in der Pflasterritze.
Ich zog beide aus, drückte sie Gerrit am Riemchen in die Hand und fand
die Szene der Situation sehr angemessen, wenn nicht filmreif.
Bandito, eine struppige Mischung aus mallorquinischem Hundedurcheinander begrüßte uns am Restauranteingang mit freundlichem Gebell.
Carlos’ Signal aus der Küche zu kommen. Es war so gut wie leer hier.
Nur ein älteres Pärchen, Mitte sechzig, saß in der hintersten Ecke des Lokals. Sie hatten schon gegessen und hielten Händchen über dem Tisch.
Carlos schoss mit Geschirrtuch auf einer Schulter aus der Küche, die direkt hinter der Theke lag und wischte sich noch die Finger ab. Er trug,
wie schon die letzten Male, seine abgewetzte, braune Jerseyhose mit einem zu klein gewordenen Gürtel, dessen kurze Spitze vorne aus der
Schnalle stach. Er hob vage seine kurzen Arme, sagte „Hola! Buenas noches“, spitzte seinen Mund wie zu einem Kuss, beugte sich zu mir herunter und streifte links und rechts mit seiner Wange an meiner vorbei,
sagte: „Señora“, und rückte angedeutet meinen Stuhl zurecht auf dem
ich längst saß. Dann widmete er sich Gerrit, den er wie einen alten
Freund rückenklopfend umarmte, wedelte überflüssigerweise noch mit
dem Karotuch kurz über den Tisch, drehte die Weingläser um und holte
uns die Karten von der Theke, bevor er wieder in der Küche verschwand.
„Eine Flasche Ferrér Tinto, siiiiieiiii … zwei Steaks Casa Carlos … jaaaa,
aber Patatas fritas … Señora – noooo!?“, sagte er, notierte es trotzdem
schnell mit dem Bleistift, den er sonst hinter dem Ohr geklemmt trug,
weil der Hund wieder bellte und er die nächsten Gäste umarmen musste.
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Ich mochte ja sehr gerne diesen Horas del Sol. Nicht nur, dass mir der
Rotwein besonders gut schmeckte. Nein, da standen auch immer so
schön die Sonnenstunden drauf, die im Wein waren.
Gerrits Handy vibrierte, als ich ihm gerade feierlich meine Hand entgegenstreckte. Er griff stattdessen in die Hosentasche, sah auf das Display,
murmelte irgendwas und verschwand dann mit dem Ding am gebeugten Kopf nach draußen.
Den Wein hatte Carlos längst gebracht und ich bereits mehrfach den
cleveren Hund gestreichelt, das einzige Lebewesen, das mich noch wahrnahm und war gerade im Begriff mit mir selbst anzustoßen.
„Sorry!“ Gerrit war zurück, nahm sein Glas in die Hand und prostete
mir stehend zu. Während ich am Wein nur nippte, weil dieses teure
Zeug für den ganzen Abend reichen sollte, kippte Gerrit schon das halbe
Glas hinunter, bevor er sich überhaupt setzte, lächelte irgendwie angeschlagen und schwieg.
Wahrscheinlich gestaltete sich meine Überraschung schwieriger, als er
sich vorgestellt hatte. Vielleicht eine Einweihungsparty für unser neues
Haus, die sicher nicht so einfach zu organisieren war. Oder ein Swimmingpool? Mit einem Pool würde er mir wirklich eine Freude machen.
Gerrit besaß hier natürlich Kontakte. Viele hatte ich zwar noch nicht kennengelernt – genau genommen erst einen und auch den nur im Vorbeifahren, als er uns mit dem Auto entgegenkam und hupte. Die anderen
kannte ich noch nicht. Ich kannte ja Gerrit selbst noch nicht so lange. Erst
seit sechs Monaten. Also, genau genommen hatte ich ihn da das erste
Mal gesehen. Zusammengerechnet waren es eher ein paar Wochenenden. Aber bei Liebe auf den ersten Blick spielte das ja keine Rolle. Ich sah
Gerrit zu, wie er mit dem Hund spielte und dachte an den letzten Sommer.
Es war wie jeden Sommer im letzten September, als wir wieder zu fünft
nach Mallorca gekommen waren, um in unserer liebgewonnenen Frauen-Aufbau-Woche den Frust des ganzen Jahres abzuschütteln. Es war jedes Jahr dasselbe Rund – um – die – Uhr – Gezeter.
Rike und Hanna waren eher widerwillig Hausfrauen, aber auch keine
Raketen im Job. Rike arbeitete seit Jahren in einer miefig kleinen Spar18
kassenfiliale, träumte höchstens noch von einer aufregenden Geiselnahme von einem gut gebauten Bankräuber und Rike schleppte sich jeden
Tag für ein paar Kröten in eine Bäckerei. Seitdem hatte sich auch ihre Figur zum Puddingteilchen verformt. Beide bereuten hin und wieder, dass
sie keine Kinder hatten, die das Einerlei wenigstens noch etwas durcheinander gebracht hätten, wie bei Gitte. Denn die hingegen war Vollbluthausfrau, was sich auch darin zeigte, dass sie immer mit neuer Tischdecke nach Hause kam, wenn sie sich eigentlich eine Hose kaufen wollte.
Gitte sagte Sachen wie: „Wenn das Leben so weitergeht, brauch ich nur
noch zwei Paar Schuhe, nämlich Pantoffeln und ein Paar Allwetterschuhe zum Einkaufen.“ Make-up bräuchte sie auch nicht mehr, meinte sie,
der Kassierer bei Aldi sei so gut wie blind.
Ihr Gatte rettete sich genau wie unsere seit Jahren in den FVV – also
Freitagabend-Volltank-Verein. Spätestens beim Vorduschen zu dieser
Veranstaltung verwandelte sich jeder Einzelne in ein Bündel pubertierender Hormone. Jedenfalls war keiner unserer Männer seit Gründung
dieser Truppe jemals wieder im gesunden Zustand freitagabends zu
Hause geblieben.
Im Grunde hatten wir nur als Leidensgenossinnen zusammengefunden
und hatten daher viel Verständnis füreinander. Aber geändert hatte sich
dadurch auch nichts. Also bei mir dann doch im letzten Sommer.
Warum ich es eigentlich so lange bei Robert ausgehalten hatte, weiß ich
gar nicht mehr. Warum ich wegwollte dagegen schon. Wegen der fünften Frau im Bunde oder Roberts ersten. Es war dieselbe. Bille! Roberts
Exfrau war immer dabei. Flog mit uns anderen Frauen in Urlaub, kam
freitags zum Tanzen mit in die Altstadt und gehörte auch sonst zu allem,
was mit meinem Leben zu tun hatte. Sie war nicht nur Regisseurin meiner Ehe, sondern vor allem Hauptdarstellerin.
Die tief dekolletierte Bedienung von Carlos brachte unser Essen. Ihre
dunklen Locken fielen mitsamt ihrer Brüste fast in Gerrits Gesicht, als sie
seinen Teller platzierte. Er warf ihr ein breites Lächeln zu und ich meine
blonde Mähne nach hinten und hätte was dafür gegeben, wenn Bandito,
den sie harsch vom Tisch verscheuchte, mal kräftig zugeschnappt hätte.
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Doch der Hund kniff nur den Schwanz ein und schlich sich geduckt davon.
„Kennst du die?“, fragte ich Gerrit, der schon wieder eine SMS tippte.
„Wen? Selena?“
„Ach, du kennst sie?!“ Selena? Das hörte sich doch gleich nach diesem
griechischen Vollweib an.
Er schaute hoch und steckte sein Handy in die Tasche.
„Selena hilft Carlos in der Vorsaison. Sie studiert in Palma.“
„Aha, was studiert sie denn? Ballermannologie?“
„Was weiß ich …?“ Gerrit nahm das Besteck auf, betrachtete sein Stück
Fleisch und schnitt drauf los.
Ich tat’s ihm nach.
Im kleinen Restaurant wurde es schnell voller und sehr laut. Aus der
Küche kamen stoßweise knoblauchgeschwängerte Grillschwaden. Selena
räumte bei uns ab, servierte, lachte vorwiegend mit den männlichen Gästen und kassierte später bei Gerrit ein ordentliches Trinkgeld ab. Also, in
der Vorsaison kam der Laden für mich nicht mehr in Frage.
„Riiieke!!!“, rief ich erfreut ins Telefon. Ich rückte mir den verrosteten
Gartenstuhl auf der kleinen Südterrasse an unserem neuen Knusperhaus
zurecht, den ich gerade inspiziert und daraufhin beschlossen hatte, dass
er nur noch ein Fall für die Mülltonne war.
„Mensch, schön, dass du anrufst!“ Ich streckte meine Beine lang nach
links und rechts und genoss den Blick über die Landschaft vor mir.
„Du glaubst nicht, wo ich sitze. Ja, wir haben was Hübsches gefunden –
endlich! Gerrit hat mich heute Morgen hier abgesetzt.“ Ich rieb mit einer
Hand meinen Knöchel, den ich gestern Abend noch mit einer Packung
Spinat aus dem Eisfach kühlen musste, was auch unter anderem ein
Grund gewesen war, dass der Abend nach dem leckeren Essen ganz anders endete, als ich mir das ausgemalt hatte.
Rike erzählte von ihrer Katze Lilo und irgendeinem Wurmbefall. Ich
sah mir meinen Knöchel an. Die Riemchenschuhe konnte ich erst mal
vergessen.
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„Ach du Schande“, hörte ich mich sagen, obwohl ich gar nicht richtig
zugehört hatte. Rike schien das nicht zu merken, sie redete einfach weiter.
Natürlich lag es mir fern, ihr davon zu erzählen, dass Gerrit gestern
Abend schon wieder so wortkarg gewesen war und zwei Flaschen Bier
am Fernseher vorzog, anstatt meinen umgeknickten Knöchel zu liebkosen.
„Das war aber teuer“, warf ich ein, weil sie was von hundertfünfzig
Euro beim Tierarzt faselte.
Dabei hatte ich die ganze Zeit im Bett noch auf ihn gewartet und so getan, als ob ich lese. Doch als er endlich ins Bett kam, zog er sich einfach
das Laken bis unter die Arme, drehte sich um und war sofort eingeschlafen.
Und sie sagte: „Ich bin so froh, dass Lilo diese komischen Viecher alle
wieder los ist. Die hat sich ja wirklich so gequält.“
„Na, Gott sei Dank!“, sagte ich dann doch etwas teilnahmsvoller, weil
Rikes Stimme sogar vibrierte, was ich für das Thema reichlich übertrieben fand. „Was sind da schon hundertfünfzig Euro?“ Obwohl, ich hatte
kaum mehr im Portemonnaie für den Rest meines Lebens, wenn ich alles
zusammenkratzte. „Also … ich gucke nur noch, welche Kleinigkeiten
fehlen“, sagte ich, „obwohl das Haus perfekt ausgestattet ist …“
Rike war meine wichtigste Kontaktperson und überbrachte Neuigkeiten aus meinem neuen, mediterranen Leben immer brühwarm an die
richtigen Adressen. Erst nachdem ich ihr das Häuschen solange beschrieben hatte, dass sie annehmen musste, wir wohnten in etwa wie Claudia
Schiffer, ließ ich sie wieder zu Wort kommen. Schließlich interessierte ich
mich auch noch brennend für die Dinge, die in Köln schief liefen.
„Toni?“, fragte ich, „nein!“ Toni war eigentlich Antonio und Billes langjähriger Italo-Lover.
„Was soll ich dir sagen …?“, ratschte Rike. „Robert hat wohl seit einiger
Zeit bei denen übernachtet.“
„Bei Bille und Toni?“, fragte ich.
„In der Tat. Weil ihm zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen ist …
so ganz alleine … ohne dich.“
„Er übernachtet bei seiner Exfrau?“, fragte ich noch mal.
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„Ja und jetzt sogar mit ihr alleine, denn wie gesagt, Toni ist ja weg.“
Ich biss mir aus Versehen auf die Zunge, was so wehtat, dass mein
Herz einen Extra-Schlag einlegte. In meinem Mund schmeckte es nach
Blut.
„Sieht ganz nach Familienzusammenführung aus, was?“, stichelte sie.
„Hol mir mal gerade ’ne Zigarette.“ Ich legte das Handy auf den Stuhl,
atmete einmal tief durch und ging mir schnell den Mund ausspülen.
„Weiter … “, sagte ich, als ich zurückkam und setzte mich wieder hin.
„Also, Toni ist seit gestern weg. Mit Sack und Pack, soviel ich weiß von
Hanna und die hat es von Tilo. Ja, Bille fackelt eben nicht lange, wenn
das große Geld winkt.“
„Ja dann – herzlichen Glückwunsch!“, versuchte ich gelassen zu kommentieren, aber es klang eher wie ein Erstickungsanfall.
„Tja, dann hat sie es ja wohl geschafft. Schnell noch Toni entsorgt und
zurück zum Goldeselreiten. Und Robert, der Trottel, merkt immer noch
nichts.“
Meine Stimme kam kaum noch. Es schnürte mir irgendwie die Kehle
zu. „Hab ich nichts mehr mit zu tun.“ Ich drückte kopfüber die Zigarette
auf der Betonplatte aus, die ich gar nicht geraucht hatte und steckte mir
in derselben Haltung gleich wieder eine an.
„Na, ich meine, das ist doch d e r Beweis …“, folgerte Rike und ich
fühlte mich außerstande, das Gespräch fortzuführen.
„Du, hat geklingelt“, log ich, „bestimmt der Makler, muss Schluss machen.“ Ich drückte das Gespräch weg, ohne Rike noch mal zu Wort kommen zu lassen. Mit zittrigen Fingern führte ich meine Zigarette zum
Mund und sah erst hoch zum hellblauen Himmel, dann lange die Hügel
entlang bis die Aussicht vor meinen Augen verschwamm und musste an
damals denken …
Ich sah Bille und Robert allein auf der Tanzfläche. Wir waren schon
zwei Jahre verheiratet, aber natürlich war sie eingeladen. Schließlich war
sie die Mutter von Tobias, dem ältesten Urenkel von Roberts Oma Klara,
die ihren Neunzigsten feierte. Bille hatte Robert nur mit einem einzigen
Blick zum Tanzen aufgefordert, der mir nicht entgangen war. Und dann
schwebten sie zu Love is in the air über das Parkett. Sie und mein Mann.
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Bein an Bein. Die mitleidigen Blicke der Verwandtschaft trieben mir zu
der Zeit noch die Wutflecke ins Gesicht. Später hatte ich angefangen zu
rauchen. Oder um genau zu sein, zu dem Zeitpunkt, als Robert für fast
eine Woche einfach spurlos verschwunden war und ich ihn nirgends erreichen konnte. Er behauptete damals, er hätte sich nicht melden können, da er Bille versprochen habe, niemandem von der gemeinsamen
Reise zu erzählen. Sie hätte ihn dringend gebraucht, da sie psychisch am
Ende gewesen sei – wegen Stress mit ihrem Italo-Lover und so – damals
schon. Angefleht hätte sie ihn, mit ihr ein paar Tage wegzufahren, um
Abstand zu gewinnen. Und was sei denn schon dabei, fragte mich Robert damals allen Ernstes, schließlich sei er mit ihr einmal verheiratet gewesen und wisse, wie sie im Nachthemd aussieht. Er hätte sie in solch einer Situation doch unmöglich sich selbst überlassen können. Er schlug
meinen Wutanfall einfach lachend in den Wind. Das war das erste Mal,
dass ich an Scheidung dachte.
Warum sie immer noch mit ihm zusammen in der Firma arbeitete, die
seinen Eltern gehörte und sich immer noch oft genug als seine Ehefrau
und Inhaberin der Geschäftswelt präsentierte, davon wollte Robert auch
schnell nichts mehr hören. Er versuchte nicht einmal sich in meine Lage
zu versetzen. Ich sei ja so kleinkariert, war einer seiner Standardsprüche.
Ich verbrannte mir die Finger an meiner runtergebrannten Zigarette,
drückte den angekokelten Filter in eine Sandfuge zwischen die Steinplatten und legte ihn neben die erste Kippe, damit ich nachher beim Aufsammeln keine übersah. Ich war mir auf einmal sehr sicher, dass es meine allerletzte Zigarette gewesen sein würde, denn ich schmeckte wie ein
Ascher und würde mir außerdem von dieser Frau doch nicht weiter die
Gesundheit ruinieren lassen. Ich war vielleicht ein armes Schwein, aber
doch kein blödes. Wie konnte ich mich all die Jahre nur an die Hoffnung
klammern, dass irgendwann der Familie die Augen aufgehen würden?
Alle stellten sich blind, taub und mich als gefühlsdusselig dahin. Am
Ende traute ich ja meinen eigenen Sinnen nicht mehr und irgendwann
erzählte ich auch keinem mehr was, aus Angst mich ständig lächerlich
zu machen.
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Ich sammelte die Kippen auf, ging damit das Grundstück hinunter und
verteilte sie im Grünen. Ein Aschenbecher fehlte hier noch und die Mülltonne war auch nicht aufzutreiben.
Aschenbecher, Mülleimer und Terrassenstühle. Das war alles, was auf
meinem großen, weißen Zettel stand. Aschenbecher strich ich wieder,
den brauchte ich ab sofort nicht mehr. Der Rest war mir im Moment egal
und ich hatte jetzt auch keine Lust mehr hierzubleiben.
Blöderweise hatte ich weder an was zu Essen, noch an was zu Trinken
gedacht und auch Gerrit fehlte mir. Ich setzte mich auf einen Küchenstuhl und wählte seine Nummer. Sein Handy war wieder mal abgeschaltet und ich quengelte auf seine Mailbox, dass er mich schnell abholen
solle. Also stöhnte ich vor mich hin, warf einen Blick in meine Zigarettenschachtel und sah mich dann noch vor der Haustür um. Es war jetzt
12.30 Uhr und die Sonne knallte.
Vor dem Haus lag eine breite Kieseinfahrt, die sich bis zum Eingang erstreckte – nichts für Stöckelschuhe – und über der Haustür grünte eine
Pergola mit ersten Knospen. Ich knipste eine ab und zerpflückte sie in
meiner Handfläche, ohne eine leiseste Ahnung zu haben, was daraus
werden könnte. Dafür tat die Sonne auf meinem Rücken gut. Ich blieb
noch eine Weile so stehen, um mich zu entspannen und sah beim einzigen Nachbarn, in fast einem Kilometer Entfernung, wie sich gerade ein
rot flirrender Punkt aus der Einfahrt bewegte. Er flimmerte weg in Richtung Küste. Jetzt war hier gar keiner mehr, und auf der kleinen Straße
vor unserem Haus fuhr immer noch kein Auto. Vielleicht war unsere
Straße ja auch eine Sackgasse und nach der nächsten Biegung war
Schluss? Wir wohnten sozusagen am Arsch der Welt und der Makler
hatte sich ins Fäustchen gelacht.
Ich beugte mich soweit wie möglich über die Hecke, die unseren Vorplatz von der Straße trennte, als plötzlich hinter mir der Kies krachte.
Ich erschrak und drehte mich um, kurz in der Hoffnung, Gerrit sei gekommen. Doch auf mich zu kam Señor Luiz oder Danny DeVito, auf jeden Fall dieser Makler. Ein bisschen zu nah an mich heran für meinen
Geschmack. Aus seinen sieben Haaren flossen ein paar Schweißrinnsale
über das runde Gesicht, die er sich mit einem weißen Taschentuch ab24
wischte. „Hola, buenas tardes Señora äääh … Dunnwaldt? Verzeihen Sie,
ich suche Señor Weller.“
„Haben Sie mich jetzt erschreckt!“
Er neigte seinen Kopf nach links und sah mich komisch an.
„Er ist nicht hier“, sagte ich.
„Ah, Sie sind ganz allein? Wo ist denn Ihr Auto?“
Ich war eigentlich jedem ausgeliefert, auf den ich hier traf, fiel mir auf.
Ich schaute einmal links und einmal rechts.
„Er müsste jeden Moment da sein“, sagte ich schnell.
„Si claro, dann bleibe ich ein bisschen und äääh … warte mit.“
Der Typ war mir nicht geheuer und außerdem hasste ich ungebeten Besuch. Ich wählte Gerrits Nummer – wie immer hob er nicht ab.
„Was gibt’s denn noch zu klären?“, fragte ich nach einer Weile und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Oh, es gibt da noch eine Sache, eine äh … Formaaliee“, brachte er gequält hervor und wiegelte rätselhaft mit einer Hand ab.
Ich schaute ihn fragend an.
„Formalität“, wiederholte er und nickte.
„Geht es um die Provision?“
„Nein, nein … eher um eine äh … Männersache.“ Er grinste breit und
zwinkerte mir geheimnisvoll zu.
„Gut, wenn es eine Männersache ist …“, sagte ich.
Danach standen wir wieder stumm nebeneinander und ich fragte ihn
später ein paar Dinge zu Haus und Garten, von denen er offensichtlich
auch keinen Schimmer hatte.
Gerrit ging immer noch nicht ans Handy. Ich sah auf meine Uhr. Es
war fast eine Stunde vergangen, in der auch noch immer kein einziges
Auto am Haus vorbeigefahren war. Ich setzte mich auf die Eingangsstufe
in den Schatten, zog meinen Rock runter bis an die Knie und holte meine
vorletzte Zigarette aus der Schachtel. Es machte ja keinen Sinn, diese
zwei jetzt wegzuwerfen.
Señor Luiz wischte sich wiederholt seine triefende Stirn ab, ging ein
paar Schritte rückwärts, suchte sich einen Schattenplatz an der berankten
Mauer links und hüpfte rückwärts und freihändig daran hoch. Oben
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blieb er mit seinem halben Hinterteil hängen, ohne sich mit den Füßen
am Boden abstützen zu können – sie zappelten im Freien.
„Ich kann Ihnen gar nichts zu Trinken anbieten“, unterbrach ich die
Stille, „aber wir haben natürlich noch gar nichts im Haus.“
„Si claro. Ich warte noch ein paar Minuten. Y …“, sagte er und hüpfte
wieder runter, „sagen Sie äh …, sagen Sie, dass er sich bei mir melden
soll. Heute!“ Er hielt mir seine Visitenkarte entgegen, die bei uns sowieso
schon mehrfach rumflog, hoppelte mit seinen kurzen Beinen zu seinem
bulligen Wagen und rauschte davon.
Meine Laune war auf dem Gefrierpunkt, als Gerrit endlich kam. Es war
kurz nach drei und ich saß seit Ewigkeiten mit einem Glas Wasser aus
der Wasserleitung, auf einem Stuhlkissen aus der Küche, mit angezogenen Beinen draußen an die Eingangstür gelehnt. Mein stummes Handy
in der Hand und meine leere Zigarettenschachtel neben mir.
„Warum sitzt du draußen? Hast du dich ausgesperrt?“, fragte er, beugte sich zu mir herunter, gab mir einen Kuss und zog mich an einer Hand
nach oben.
„Ne, ich warte auf’n Bus. Aber hierher verirrt sich ja nicht mal ein Esel.
Was ist eigentlich mit deinem Handy?“
„Liegt auf dem Boot“, sagte er und tastete wie zum Beweis seine Taschen am ganzen Körper ab, „und dann diese kriechenden Laster die engen Straßen hier rauf.“ Er zeigte auf den Pick-up. „Na, was sagst du?“
Zwei Rattan-Ohrensessel thronten auf der Ladefläche.
„Die waren richtig teuer. Hab den Preis aber gedrückt. Hat eben gedauert“, erklärte er.
Ich versuchte die Wuttränen herunterzuschlucken, doch mir schossen
gleich neue vor Rührung ins Gesicht. Ich hatte ja nur beiläufig mal erwähnt, dass mir so was gefiel. Gerrit kletterte auf die Ladefläche und
setzte sich breitbeinig auf eines dieser monströsen Modelle. So wie er da
saß, in hellblauer Jeans und seinem aufgeknöpften, grauen T-Shirt, die
kräftigen Hände und Unterarme auf seine Knie gestemmt, konnte ich es
kaum abwarten, dass er wieder runterstieg.
„Die sind ja … wun – der – schön!“, lobte ich, obwohl sich der Sessel
unter Gerrits Gewicht schon in eine gefährliche Schieflage neigte, und
wischte mir mit beiden Zeigefingern die Tränen aus den Augen. Gerrit
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hievte Wasser, Wein und ein paar Einkaufstüten vom Auto, die ich von
unten entgegennahm.
„Señor Luiz war übrigens hier.“
„Der Luiz, ja …!?“ Gerrit reichte mir einen Sessel herunter.
„Was gibt’s denn noch zu klären?“, fragte ich, bohrte den Sessel in den
Kies bis er fest stand und machte umgehend eine Sitzprobe. Er war unbequem. „Bei mir hat er so ein Geheimnis draus gemacht. Reine Männersache oder so …“, ich kniff übertrieben ein Auge zu, so wie er es getan
hatte, stand auf und nahm ihm den zweiten Sessel ab. Gerrit sprang hinterher. „Alter geiler Bock. Der braucht das Boot für seine Gebirgsblondine.“ Mit seinen Händen malte er weibliche Kurven in die Luft.
„Dafür muss er doch erst gar nicht ablegen.“ Wir mussten beide lachen
und auf der Straße tuckerte dann tatsächlich ein klappriges, grünes Auto
in Richtung Landesinnere.
Ich stöberte noch kurz durch die Tüten auf dem Beifahrersitz und holte
meine Reservezigaretten aus dem Handschuhfach. Die mussten ja
schließlich noch aufgebraucht werden.
„Essen wir denn heute im Haus?“, rief ich Gerrit nach, der schon mit einem Sessel vorausgegangen war und trottete mit den Tüten hinterher.
Im Flur stießen wir zusammen. Er nahm mich in den Arm, umfasste mit
beiden Händen meinen Po, küsste mich und zog mich samt den Einkaufstüten auf seine Arme. Er trug mich ins Schlafzimmer, ging dort in
die Knie, damit ich die Tüten noch auf den Boden gleiten lassen konnte,
küsste mich zärtlich bis wild und warf mich dann aufs Bett.
Als ich die Augen aufschlug, stand ein fast voller Mond vor dem
Schlafzimmerfenster. Ich drehte mich um. Gerrits Bett war leer. Das
fremde, weiße Laken, das nur den Zweck hatte, die gebrauchte Matratze
abzudecken, klemmte, auf seiner Seite hinuntergetreten, nur noch am
Fußende fest. Mein Laken musste ich im Schlaf über mich gezogen haben
und lag somit nackt auf der blanken Matratze, was mir eine Gänsehaut
ins Gesicht trieb. Ich sprang hinaus, pflückte im Dunkeln ein paar Sachen vom Boden und zog schon mal an, was ich finden konnte. Leider
fand ich den Lichtschalter nicht im Schlafzimmer, auch den nicht im Flur
und auch nicht mehr mein T-Shirt.
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Gerrit pfiff durch die Zähne, als ich im BH in die Küche kam.
„Du hast also noch nicht genug?“, fragte er und steckte sich ein Stück
Paprika in den Mund.
„Hast du vorhin mein T-Shirt mitgegessen?“, fragte ich zurück.
Gerrit machte ein kleines Bäuerchen.
„Es ist so still hier. Ist dir das schon aufgefallen?“ Ich stützte mich in
das geöffnete Küchenfenster und sah außer dunklen Umrissen von Bäumen und Hügeln nur ein kleines schwaches Licht, das vom entfernten
Nachbarhaus kam.
„Essen dauert noch …“, antwortete er.
Ich lehnte die Fensterflügel wieder an, auch weil es mir zu kühl wurde.
Die alte Küchenuhr über dem Tisch zeigte halb acht. Sie war mir heute
Morgen in der Stille durch ihr lautes Ticken schon aufgefallen und weil
sie noch lief, stellte ich mir kurz die Frage nach dem Vormieter.
„Wer hat hier eigentlich vorher gewohnt?“
Gerrit zuckte mit den Schultern.
„Gut, wenn du mich unbedingt loswerden willst …!?“ Ich nahm ein
Glas und die Flasche Wein, die Gerrit schon für sich selbst geöffnet hatte,
fand die zwei alten Kerzen in einer Küchenschublade wieder, die mir
heute Morgen schon beim Durchstöbern begegnet waren, und verzog
mich mit alldem auf die Terrasse.
Mich fröstelte draußen. Da nutzten auch die Kerzen nichts und auch
nicht das Glas Wein. Ich schenkte mir noch einmal nach. Bis jetzt hatte
mich nicht wirklich was entspannt heute. Weder die wärmende Sonne,
noch der Sex. Mir geisterten ständig Bille und Robert im Kopf herum. Alles war wirklich umsonst gewesen. Die ganzen Jahre hatte ich versucht,
Robert zu zeigen, dass ich ein besserer Mensch war als sie, und manchmal gab es diese kurze Hoffnung, dass er es begriffen hatte. Aber es war
immer so anstrengend für die kurze Zeit, die es dann mal gut ging. Und
jetzt war es ja auch ganz sicher – es war alles umsonst gewesen. Die ganze Mühe, die ganze Anstrengung, der ganze Ärger. Die ganzen Jahre einfach verschenkt.
Es war nicht nur zu kalt ohne Pulli, auch das Gezweig des Rattansessels drückte sich tief in meinen Rücken. Mir fiel meine braune Strickjacke
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ein, die noch im Pick-up lag. Ich rieb mir die Arme ein bisschen warm
und ging ums Haus nach vorne.
Das Gartengrundstück lag ziemlich offen, da konnte jeder rein und
Licht gab es vorne auch keins, außer vom Vollmond und der Küchenlampe, die durchs Fenster schien. Ich trat behutsam über den Kies,
huschte ins Auto, zog meine braunmelierte Jacke an, knöpfte sie bis zum
Stehkragen zu, und als ich wieder ausstieg, schüttelte ich den Schauer
ab, der mir gerade über den Rücken lief. Es lag nicht nur an der Kälte.
Nein, diese Einöde. Hier war kein Mensch und wenn doch, würde mich
der Schlag treffen. Die Wolken, die schnell am Mond vorbeizogen, machten das Bild nicht gerade freundlicher und ich beschloss, am besten
gleich durch das Küchenfenster ins Haus einzusteigen, damit Gerrit
wusste, wovon ich sprach, wenn er sich vor Schreck in die Hose machte.
Ich schlich mich an das Fenster heran, drückte vorsichtig einen Flügel
nach innen und sah ihn gekrümmt in der Küchenecke stehen. Den Kopf
eingezogen wandte er mir den Rücken zu. Und als ich schon einbeinig
auf dem Fensterbrett kniete, drehte er sich ein Stück in meine Richtung,
samt Handy am Ohr. Mit einem Ruck schrammte ich über den Rahmen
zurück und hockte mich draußen unter den Sims. Meine Ohren wuchsen
zu Rhabarberblättern, doch er sprach zu leise – ich konnte nichts verstehen. Nur ein paar Wortfetzen. Er schien ans Fenster zu kommen … Zicke
… und … ohne Geld … mehr war nicht zu verstehen. Dann hörte ich nur
noch wie er das Fenster über mir zudrückte und mit dem Drehgriff verriegelte.
Hatte er nicht behauptet, sein Handy auf dem Boot vergessen zu haben? Meins lag ja noch auf dem Gartentisch! Mein Herz schlug etwas
schneller und dann kam dieser kurze, brennende Stich – vom Fuß übers
Herz bis ins Gehirn. Eifersucht! Ich hasste Handys. Besonders die in
Männerhänden. War es seine Ex oder etwa eine andere? Wieder eine, die
auf Geld aus war? Mir wurde hundeelend.
Mit dem Rücken zur Wand setzte ich mich unters Fenster. Was wusste
ich eigentlich von ihm? Nichts, außer, dass er Paella machen, ein Boot
steuern konnte und gut im Bett war. War ich eigentlich total verrückt?
Ich sah links und rechts in die Dunkelheit. Wie war ich eigentlich hier29
hergekommen? Ans Ende der Welt mit diesem Fremden in der Küche
und wo ich auch sonst kein Schwein kannte.
Plötzlich schwebte Papa wie ein Geist aus der Flasche vor mir. „Kindchen, Kindchen“, sagte er und beugte sich mit dem Oberkörper zu mir
herunter. Er trug wie immer seinen dunklen Anzug mit gestreifter Krawatte. Ich schniefte. Mutter heulte in eines ihrer weißen Stofftaschentücher mit Brüsseler Spitze und Vater drückte sie mit einem Arm tröstend
an seine Brust.
„Natie, was hast du nur gemacht?!“ Robert schien Mitleid mit mir zu
haben. Er reihte sich plötzlich, mit Bille an der Hand, neben meine Mutter.
„Lass die doch“, keifte Bille. „Die schafft das alleine“, und zog Robert
wieder weg.
Ich umklammerte meine angezogenen Beine, legte meine Stirn auf die
Knie und versuchte erst einmal meinen Verstand zurückzurufen, was
ohne Zigarette natürlich so gut wie unmöglich war.
Vielleicht gab es doch eine ganz harmlose Erklärung und ich machte
mich mal wieder unnötig verrückt? Gerrit hatte doch von dieser Überraschung erzählt! Ich meine, hatte er nicht heute zwei wunderschöne Korbsessel mitgebracht als Symbol für den Beginn unseres gemeinsamen Lebens? Hatte er nicht für heute Abend eingekauft, um für uns zu kochen
und mich nicht gerade noch leidenschaftlich geliebt? Ich atmete einmal
tief durch. Kein Wort zu Gerrit. Nein, am Ende hielt er mich noch für eifersüchtig.
Ich raffte mich auf, klopfte mir das Hinterteil ab und ging durch die
Haustür rein.
…. weiter geht es im Buch…viel Spaß!
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