Man kann uns nicht entlassen - Ärztekammer Niederösterreich

Foto: Raimo Rumpler
VIZEPRÄSIDENT
VP Dr. Gerrit Loibl, MSc
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Man kann uns nicht entlassen
Sklaven müssen verkauft werden!
I
n der letzten Ausgabe habe ich über die Arbeitsbelastung zu
Beginn der 90er-Jahre während meiner Tätigkeit als Turnusarzt in einem niederösterreichischen Krankenhaus geschrieben,
in den ersten Monaten meiner Tätigkeit leistete ich zwischen
12 und 15 Nachtdiensten pro Monat ab, der Rekord an der
Abteilung für Pädiatrie (drei Turnusärzte, davon eine wegen ihrer Schwangerschaft nicht mehr im Nachtdienstrad) waren 17
Dienste.
Aus diesem Grund hat sich damals wohl auch keiner von uns
über das Schild mit dem in der Überschrift zitierten Text gewundert, das einer unserer Vorgänger im Dienstzimmer an die Wand
gepinnt hatte.
Spannend finde ich daher die Diskussionen, die sich zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Zeilen gerade angesichts der Grippewelle und des Engpasses der pädiatrischen Versorgung an den
Wochenenden mit langen Wartezeiten in den Spitalsambulanzen entsponnen haben. Politiker und Patientenanwälte meinen,
man müsse einfach den Gesamtvertrag ändern und niedergelassene Kinderärzte (nur die Kinderärzte?) verpflichten, ihre
Ordinationen auch an Wochenenden offen zu halten bzw. im
Bedarfsfall auch Hausbesuche zu machen.
In den nächsten Jahren werden in unserem Bundesland einige
langgediente Kassen-Pädiater (und natürlich –innen) in Pension
gehen, und einige von ihnen suchen bereits jetzt nach Nachfolgern, doch hören wir aus verschiedenen Regionen, dass es offenbar schon im aktuellen Kassensystem keine Interessenten für
pädiatrische Kassenstellen mehr gibt und damit im Falle der Pensionierung des Übergebers sofort eine nicht schließbare Versorgungslücke entstehen wird. Überbordende administrative Aufgaben, gesteigerte finanzielle Anforderungen (z.B. Barrierefreiheit)
und Personalkosten, die im Falle einer „Zwangsverpflichtung“
zum Wochenenddienst zusätzlich in die Höhe schnellen würden, lassen eine Tätigkeit als niedergelassener Kinderarzt mit
Kassenvertrag offenbar ähnlich attraktiv erscheinen wie einen
November-Urlaub in St. Pölten.
Noch abstrusere Pläne unserer Politiker wie die Versorgung der
Patienten in PHCs, in denen Ärzte offenbar dazu angehalten
werden sollen, viel Geld in die Infrastruktur einer Betriebsgesellschaft mit nicht-ärztlichen Partnern bei ständiger Kündigungsmöglichkeit seitens der Krankenkassen zu investieren, haben aus
meiner Sicht noch weniger Aussicht auf Erfolg. Ich kann mir
einfach nicht vorstellen, dass es in Zeiten des Ärztemangels in
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CONSILIUM 03/16
ganz Europa auch nur wenige Kollegen und Kolleginnen gibt,
die sich auf so ein Himmelfahrtskommando einlassen würden.
Aus diesem Grund befürchte ich, dass die aktuell etablierte ZweiKlassen-Medizin (Vertragsärzte und Wahlärzte) in Österreich
bald wieder zu einer Einklassen-Medizin mutieren wird, dann
wird es nämlich nur mehr Wahl- bzw. Privatärzte geben!
Um aber wieder auf das Ausgangsproblem zurückzukommen:
Der Grund, warum sich mit hoher Wahrscheinlichkeit überhaupt niemand finden wird, der aus freien Stücken eine pädiatrische Kassenplanstelle – mit zusätzlicher Verpflichtung zum
Wochenenddienst - übernehmen will, lässt sich wohl mittels folgender Zahlen ganz einfach illustrieren:
Honorar eines Kinderarztes (bzw. auch eines Allgemeinmediziners oder Arztes einer anderen Fachrichtung) für einen Hausbesuch (in zehn Kilometer Entfernung von seiner Ordination)
an einem Samstag bis 20 Uhr:
€ 66,43
ab 20 Uhr in der Nacht zum Sonntag: € 82,30
am Sonntag tagsüber:
€ 84,10
Der Homepage eines österreichischen Aufsperrdienstes habe ich
die folgenden Preise für das Aufsperren einer verschlossenen
Türe entnommen (und das war bei weitem nicht der teuerste
Anbieter):
Samstag, Sonntag und Feiertag:
7:30 bis 12:30 Uhr
€ 156
12:30 bis 24:00 Uhr
€ 168
24:00 bis 7:00 Uhr
€ 180
Vermutlich ist eine Schlosserlehre wesentlich schwieriger als ein
Hochschulstudium mit anschließender Facharztausbildung! Das
kann man wohl auch daraus ableiten, dass ein Schlosser zum
Öffnen eines durchschnittlichen Schlosses zwischen einer und
drei Minuten benötigt, also viel schneller ist als ein Arzt zur
Erhebung der Anamnese und Untersuchung des Patienten.
Ich denke, dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen…
DR. GERRIT LOIBL, MSC
Vizepräsident der Ärztekammer für Niederösterreich