Empfang für deutsche Botschafter

Die Rede im Internet:
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Bundespräsident Joachim Gauck
beim Empfang für die Leiterinnen und Leiter
der deutschen Auslandsvertretungen
am 29. August 2016
in Schloss Bellevue
Erlauben Sie mir zu Beginn ein Wort des Gedenkens. Ich will mit
Ihnen einen Moment nachsinnen über eine besondere Person. Hier im
Präsidentengarten des Schlosses Bellevue scheint mir dieses Gedenken
besonders passend. Denn wir trauern in diesen Tagen um einen Mann,
der das Amt des Bundespräsidenten geprägt hat, genauso wie das Amt
des Bundesaußenministers: Walter Scheel, der dieser Republik über
Jahrzehnte gedient hat, war seiner Zeit oft voraus. Er war der erste
Minister für ein Aufgabenfeld, das heute aus dem Instrumentarium des
deutschen Wirkens in der Welt nicht mehr wegzudenken ist: der
Entwicklungspolitik.
Er
war
der
erste
Außenminister
der
Bundesrepublik, der Israel besuchte. Und er wurde zu einem wichtigen
Wegbereiter der neuen Ostpolitik, denn er wusste um die Bedeutung
der Aussöhnung mit den Nachbarn Deutschlands, auch und besonders
jenen im Osten.
Auch als Bundespräsident war Walter Scheel hochgeschätzt und
trug in schwierigen Zeiten dazu bei, dass sich der Rechtsstaat und die
freiheitliche Demokratie gegen ihre Gegner behaupten konnten – ohne
dabei die ureigenen Prinzipien zu verletzen. So hat er die Geschichte
unseres Landes entscheidend mitgestaltet.
Walter
Scheels
unerschütterter
Optimismus
und
sein
unermüdliches Wirken können Vorbild für uns alle sein. Wir werden
Walter Scheel nicht vergessen.
Wenn ich Sie so vor mir sehe, scheint es mir, als seien kaum ein
paar Monate verstrichen, seit ich zum ersten Mal vor dieser erlauchten
Versammlung gesprochen habe und glauben Sie mir, ich war viel, viel
aufgeregter als Sie alle. Inzwischen ist das, was einst Aufregung
verursachte, Vertrautheit geworden. Und die vier Jahre, die es in
Wahrheit waren, sind eine kurze Wegstrecke im Laufe eines längeren
Menschenlebens. Doch wie bereichernd kann so eine relativ kurze
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Zeitspanne sein. Sie selbst haben das sicherlich auch oft erlebt bei
Ihrer sogenannten „Standzeit“ in Ihren verschiedenen Gastländern.
In diesem Jahr freue ich mich nun besonders, nicht nur die
Vertreter meines Landes, sondern auch polnische und französische
Gäste begrüßen zu können, mit denen wir das 25-jährige Jubiläum des
Weimarer Dreiecks feiern. Witamy! Bienvenue! Seien Sie alle herzlich
willkommen hier in Berlin.
Viele von Ihnen werden sich wohl noch erinnern an jenen August
vor 25 Jahren. In Moskau war kurz zuvor ein Putschversuch gegen den
Staatspräsidenten Michail Gorbatschow gescheitert, die Panzer vor
dem russischen Parlament waren gerade wieder abgezogen und ein
Rückfall in die alte, kommunistische Vergangenheit war abgewendet,
als die damaligen Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands
in Weimar die vertiefte Zusammenarbeit ihrer Länder beschlossen.
Was hatten Krzysztof Skubiszewski, Roland Dumas und HansDietrich Genscher im Sinn, als sie das Weimarer Dreieck aus der Taufe
hoben?
An einem entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte Europas
wollten Polen, Frankreich und Deutschland gemeinsam Verantwortung
übernehmen
für
das
Gelingen
des
europäischen
Projekts.
Das
Zusammenwachsen Europas sollte für die Bürger erfahrbar und
osteuropäische Staaten in die Europäische Gemeinschaft eingebunden
werden.
Es war eine Zeit, in der viele, sehr viele Europäer – unter ihnen
übrigens auch Russen – mit großer Hoffnung auf dieses europäische
Projekt und in eine gemeinsame Zukunft blickten.
Und heute? Nach der Eurokrise, die ja in Wahrheit nicht vergehen
will, einem Krieg, der nun schon so lange in der Ukraine geführt wird,
einer
Flüchtlingskrise,
die
uns
dauerhaft
fordert,
und
dem
angekündigten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union?
Was ist heute? Was denken wir heute, wenn wir in Europas Zukunft
blicken?
Ich bin kein Seher, aber doch alt genug, um zu wissen: Ein
geeintes Europa ist heute wie damals jede Anstrengung wert.
Wir, die wir heute Abend hier sind, wissen, dass die Europäische
Union nicht allein ein Glücksfall der Geschichte ist. Sie ist die
Konsequenz aus einem Übermaß an erfahrener Geschichte.
Wir Europäer hatten nach der Katastrophe zweier Weltkriege
gelernt, was aus einem übersteigerten Nationalismus erwachsen kann.
Wir hatten erlebt, doppelt erlebt, wie aus Rivalität und Spannungen
Kriege wurden. Wir waren Zeugen, als eine Ordnung, die wir für ehern
hielten, unterging. Die, die das erfahren hatten, wussten: Wer eine
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Wiederholung
der
Geschichte
vermeiden
will,
muss
eine
staatenübergreifende und eine die Menschen verbindende europäische
Ordnung schaffen.
Der europäischen Einigung, die aus dieser Erkenntnis erwachsen
ist, verdanken wir nicht nur viel von dem Wohlstand, von der Stabilität,
die wir genießen. Vor allem bildet die Gemeinschaft der europäischen
Staaten unser gemeinsames Fundament aus Freiheit, aus Demokratie
und Rechtstaatlichkeit. Und sie bleibt das Projekt all jener, die das
Bewusstsein eint, dass in Zeiten globaler Herausforderungen Probleme
und Konflikte am besten gemeinsam, also europäisch, gelöst werden
sollten.
Europa ist kein Garant, aber ein Instrument, vielleicht sogar das
beste bekannte Instrument für die Sicherung von Frieden, Freiheit und
Wohlstand. Und doch spüren wir, wie mancherorts das Vertrauen in
das Projekt Europa schwindet. Wir erleben, dass Kritik an den
europäischen
umgemünzt
Institutionen
werden
in
und
einen
der
Wunsch
regelrechten
nach
Veränderung
Europa-Verdruss,
ja,
Überdruss, wie sich in Großbritannien gezeigt hat. Dieser Verdruss, so
meine ich, erschöpft sich bisher im Protest. Er hat nichts anzubieten,
keinen wirklichen Plan, kein Konzept, nichts, was an die Stelle der
Europäischen Union treten könnte. Trotzdem ist der Protest eine
politische Realität, der es sich anzunehmen gilt.
Die Europäische Union soll ja auch nicht „sakrosankt“ sein. Wir
wissen: Sie ist fehlbar. Man kann und man soll sie auch verändern. Ja,
das muss von Zeit zu Zeit sein, allein, um ihre Institutionen und
Einrichtungen
an
die
neuen
Herausforderungen
und
Situationen
anzupassen. Das hat der Weg von den Römischen Verträgen über
Maastricht
nach
Lissabon
bewiesen.
Auch
Kritik
an
Entscheidungsprozessen der Europäischen Union, wie sie jetzt in vielen
unserer Mitgliedsstaaten geäußert wird, ist willkommen. Es gilt, jetzt
auf die Kritiker einzugehen, damit aus ihnen keine Gegner des
europäischen Einigungswerkes werden. Die Kunst wird sein, das
Bedürfnis
nach
der
nationalen
Identität
mit
dem
europäischen
Gedanken neu zu verbinden, ja, zu versöhnen.
Die Vertrauenskrise der Europäischen Union ist nur eine der
Herausforderungen, vor die sich die deutsche Außenpolitik gestellt
sieht. Allein in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas sind die
Probleme
drängend
und
vielgestaltig
und
haben
doch
eines
gemeinsam: Ob es um das Verhältnis zur Türkei oder zu Russland oder
zum Iran geht oder Lösungen für Konflikte im Nahen Osten, etwa in
Syrien oder im Irak, gesucht werden – gefragt ist immer eine
gemeinsame Antwort, eine europäische Haltung. Denn das wissen wir
nicht erst seit die Flüchtlingskrise uns beschäftigt: Wir tragen auch die
Konsequenzen unserer Politik gemeinsam.
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In dieser europäisch orchestrierten Außenpolitik ist unserem Land
nun zunehmend Verantwortung zugewachsen. Diese Rolle hat das –
nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend gewandelte – Deutschland
angenommen. Ich füge einmal hinzu: Es ist dabei, diese Rolle
anzunehmen. Sie, meine Damen und Herren, wirken dabei mit. Es ist
an der Zeit, dass wir begreifen, wie wichtig es ist, dass wir weiter
Verantwortung übernehmen. Wir wissen, dass wir als wirtschaftlich
starke und politisch stabile Nation in der Mitte Europas nicht abseits
stehen können. Und wir erleben, dass sich Deutschland in dieser
verantwortlichen Rolle mit anderen zusammen bewährt – in den
Atomverhandlungen mit dem Iran beispielsweise, in der Allianz gegen
den IS und in dem schwierigen Bemühen, einen Frieden in der
Ostukraine herbeizuführen.
Zu all diesen Dingen, zu den Erfolgen, zur Lösung dieser
Aufgaben tragen Sie bei. Die Erkenntnisse und Einblicke, die Sie
zwischen Willkommen und Abschied in Ihren Gastländern gewinnen,
sind für die deutsche Außenpolitik in dieser kritischen Situation
wichtiger denn je. Wer Verantwortung trägt, der braucht Wissen und
Erfahrung.
Beides
kann
man
nicht
im
Internet
finden
oder
ausschließlich per Video-Konferenz vermitteln. Man kann es nur aus
unmittelbarer Anschauung und aus persönlichen Gesprächen gewinnen.
Das gilt für die politischen Beziehungen zwischen Staaten ebenso wie
für die wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Verbindungen.
Ich habe auf meinen Reisen in Europa, aber auch in China, Korea
oder jüngst in Südamerika erfahren, wie gut wir daran tun, global zu
denken. Wir wissen längst, dass die Probleme, die wir bewältigen
müssen,
nur
gemeinsam
beherrschbar
sind
–
ob
Krieg
und
Terrorismus, ob Klimawandel, Finanz- und Wirtschaftskrisen. Wir sind
aufeinander angewiesen. Begreifen wir das nicht, riskieren wir, dass
die Probleme am Ende uns beherrschen.
Aus vielen Gesprächen mit Ihnen weiß ich, wie sehr unser Land
von Ihrem Wissen und Ihrem Geschick profitiert. Wir brauchen Ihre
Gestaltungskraft, Ihr Eintreten für die Werte einer offenen und
liberalen Gesellschaft auch außerhalb Europas. Ich möchte Sie auch
ermutigen, die vielfältigen Erfahrungen, über die Deutschland verfügt,
mit unseren Partnern zu teilen. Bieten Sie ruhig an, was Deutschland
anzubieten hat. Und dabei denke ich nicht nur an Automobile oder
Hochtechnologie, die wir exportieren. Ich denke vor allen Dingen an
Modelle wie die soziale Marktwirtschaft, die Sozialpartnerschaft oder
die duale Ausbildung. Es gibt eigentlich keine Reise, die ich mache, in
der ich nicht über diese Themen spreche. Es ist gut, dass wir mit
unseren Erfahrungen Menschen helfen können, die in anderen Teilen
der
Welt
dabei
sind,
ein
eigenes
Gesellschaftsmodell
erst
zu
entwickeln. Wir erleben auf verschiedenen Kontinenten, dass Länder
nach Rollenmodellen suchen, die ihre Gesellschaften im Innern zu
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befrieden vermögen. Das ist der Grund, warum ich dieses von mir oft
so genannte geistige und politische Exportgut für so wichtig halte.
Wir
können
stolz
sein
auf
unsere
Produkte,
auf
unsere
Wissenschaft, auf unseren Fußball, gelegentlich auch auf andere
Sportarten, all das ist gut. Aber gerade Sie, die Sie in so vielen
Ländern politische und gesellschaftliche Erfahrungen gemacht haben
und viel
Unfrieden
und
Auseinandersetzungen,
Spaltung
in
der
Gesellschaft erlebt haben – gerade Sie können erkennen, wie wichtig
die
gesellschaftlichen
und
politischen
Erfahrungen
sind,
die
Deutschland in der Nachkriegsära gemacht hat. Und es ist unsere
Pflicht,
diese
positiven
Erfahrungen
bei
Rechtstaatlichkeit,
Demokratiegewinn und bei den guten Lebenschancen möglichst vieler
Menschen, diese großartigen Ziele nicht verschwinden zu lassen hinter
historischen Sünden und Lasten. Die werden wir sowieso nicht
vergessen.
Sie
sind
dabei
wichtige
Mittler.
Wir
brauchen
dabei
Ihr
Selbstbewusstsein. Es geht dabei nicht um alten wilhelminischen Stolz,
sondern es ist die Freude darüber, dass wir etwas konnten, das unsere
Vorväter nicht konnten oder sich nicht zugetraut haben. Etwas, das wir
in den letzten Generationen geschaffen haben. Sie alle draußen im
Ausland sind Zeugen dieser Entwicklung. Ich traue Ihnen allen zu, dass
diese Erfahrung Ihr Herz stark macht und Ihren Mut anfacht, dass es
Sie selbstbewusst, aber nicht überheblich sein lässt.
Lassen
Sie
mich
abschließen
mit
einem
Dankeschön
der
speziellen Art. Dieses Dankeschön, Sie ahnen es vielleicht, richtet sich
an Ihre Partnerinnen und Partner, die den diplomatischen Dienst oft ja
als eine rechte Last empfinden. Dieses Dabeisein, dieses Mittragen und
dieses Mitgestalten, das verdient unser aller Achtung. Ich kann mir
vorstellen, wie schwierig es bei den Umzügen, bei den Schulwechseln
und all den Herausforderungen für den Familienalltag ist, den
geschätzten Familienfrieden zu erhalten. Aber ich will das heute ganz
ausdrücklich würdigen und mich bei all denen bedanken, die unseren
Diplomatinnen und Diplomaten helfen, ihre wichtige Aufgabe zu
erfüllen. Sie tun miteinander einen Dienst an Deutschland und dafür
danke ich Ihnen heute zum letzten Mal.