Goldmann_2016_08_23_Caldes de Malavella

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Das Feature
Ortserkundungen
Caldes de Malavella
Oder: Nazis auf Kur
Autor: Christoph Goldmann
Regie: Matthias Kapohl
Redaktion: Karin Beindorff
Produktion: DLF
Erstsendung: Dienstag, 23.08.2016 , 19.15 Uhr
Erzähler
Sprecher 1 Piedra, Dumpert
Sprecherin 1 Karma
Sprecherin 2 Rezeptionistin
Sprecherin 3 Silvia
Sprecher 2 Pep
Sprecher 3 Toni
Zitator
Jürgen Sarkiss
Bernt Hahn
Susanne Flury
Nina Lentföhr
Nina Boguth
Klaus-Dieter Pittrich
Wolf Aniol
Tom Jacobs
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©
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Atmo
O-Ton Diego Piedra
Sprecher 1
Das ist schon kurios: in einer Zeit, in der Essen in der Stadt absolute Mangelware war, bot
man im Hotel Weine aus Bordeaux und der Bourgogne an. Das hört sich fast wie eine
Lüge an. So etwas anbieten zu können, wo die Leute draußen wirklich hungerten. Hier, die
Spezialitätenliste: Frischer Kaviar, Gänseleberconfit im Mantel, Serranoschinken, Eier zur
schönen Aussicht ...Delikatessen, von denen die normalen Menschen nur träumen
konnten.
O-Ton Diego Piedra
Sprecher 1
Ja, da gibt es viele Anekdoten, aber, das darf man dabei nie vergessen, zu jener Zeit
herrschte in Spanien immer noch die Diktatur des General Franco. Deshalb gab es da
immer noch viele Dinge über die man nur mit gesenkter Stimme reden konnte, da gab es
andere Spione, überall. Denen gefiel es gar nicht, wenn man schlecht über die Diktatur,
über Francos Verbindungen zu Hitler und diesem ganzen Nazi-Kram redete.
Erzähler:
Hunger, Spione, Nazikram, gesenkte Stimmen. Der Mann, der mir das erzählte, ist der
aktuelle Direktor des Kurhotels Vichy Catalan in Caldes de Malavella, Diego Piedra.
Wie oft hatte ich mich im Laufe meiner zweijährigen Recherche gefragt: Ist das alles
wirklich wahr? Bars von Luxushotels, schöne Frauen, schwüle Musik und böse Nazispione
im Film – das mag angehen. Aber das sollte sich wirklich in einem so verschlafenen
Provinznest, in einem Kurhotel mit heißen Quellen, dem Vichy Catalan in Caldes de
Malavella zugetragen haben, rund 60 Kilometer vor der französischen Grenze vor 70
Jahren. Eine historische Randnotiz oder doch mehr?
Ansage:
Caldes de Malavella
oder: Nazis auf Kur
Ein Feature von Christoph Goldmann
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Erzähler:
Den Hoteldirektor des Vichy Catalan traf ich erst gegen Ende meiner Recherchen auf der
idyllischen Terrasse des Hotels Vichy Catalan.
Also zurück zu den Anfängen dieser Geschichte:
Ich erinnere mich an meine Ankunft in Caldes de Malavella vor zwei Jahren. Eine Stunde
dauert die Zugfahrt von Barcelona in diesen kleinen Kurort mit seinen 7.000 Einwohnern.
Er ist für seine heißen Quellen bekannt und Heimat des berühmtesten spanischen
Mineralwassers. Der kleine Ort liegt nur 80 km nördlich der katalanischen Metropole. Eine
uralte Platanenallee führt vom Bahnhof in das Städtchen. Zur Linken ein ausladender Park
mit uralten Pinien, dahinter ein imposanter in Ockertönen gehaltener Gebäudekomplex,
einem maurischen Palast nachempfunden, mit acht Türmen und der meterhohen Aufschrift:
Balnearium Vichy Catalan, Kurhotel Vichy Catalan. In dieser Gegend war ich gelandet, um
mir ein Landhaus mit Namen Can Fugaroles anzusehen, das im Veinat Israel, in der
“Israelitischen Nachbarschaft” zwei Kilometer außerhalb von Caldes de Malavella liegt. Als
Veinat, als “Nachbarschaft”, bezeichnet man in Katalonien mehrere Landgüter, die nah
beieinander liegen und oft auch durch ihre Geschichte familiär miteinander verbunden sind.
Erzähler:
Die Besitzerin von Can Fugaroles, “Karma”, und ein Ungetüm von schwarzem Hund,
“Egon”, begrüßten mich auf ihrem über 100 Hektar großen Landsitz. Pferde gibt es hier,
uralten Eichenwald und eine verwunschene Walnussbaumpflanzung. Umwerfend idyllisch
und mein Entschluss stand sofort fest: Hier wollte ich hinziehen. Zwei Wochen später
bezog ich mein Haus, und nach unserem ersten Wildschweingulasch und selbst
aufgesetztem Walnusslikör erzählte mir die Hausherrin Karma unter Jahrhunderte alten
Steineichen zum ersten Mal von der Geschichte ihres Landgutes an der Via Augusta.
O-Ton Karma
Sprecherin 1
Mein Name ist Karma Soles Mundet, wir sind hier in Fugaroles, so heißt das Landhaus in
dem ich und alle meine Vorfahren geboren sind. Wir haben Dokumente, die bis auf das
Jahr 1200 zurückgehen. Heiratsurkunden, Kaufverträge, alte Pergamentrollen. Das ist
alles sehr alt. Auch die Hausfassade. Anfangs war es ein kleines Haus, wie alle
katalanischen Landgüter, aber dann sind sie gewachsen. Heute haben wir das Herrenhaus,
und die vier angegliederten Häuser, in denen früher die Landarbeiter wohnten.
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Erzähler:
Das Herrenhaus an der Frontseite ist ein dreistöckiges altes Landhaus aus Naturstein mit
imposanter Fassade, gespickt mit jahrhundertealten Möbeln, einer großen Eingangshalle
mit Terrakotta-Fußboden, daneben ein großer Ess-Saal mit Kamin, eine Bibliothek und so
viele Zimmer, dass man sich verlaufen kann. Den großen Innenhof hinter einem fast 5
Meter hohen, schweren Portal aus uralter Eiche flankiert auf der einen Seite eine
Privatkapelle, einst sicheres Zeichen für Wohlstand und Macht, und auf den anderen
Seiten die ehemaligen Stallungen und Landarbeiterhäuschen. Sie versprühen mit ihren
Tonnengewölben und Stehkamin im Erdgeschoss und ihren krummen Holzstiegen und
schiefen Wänden einen unwiderstehlichen Charme. Heute leben dort Emilia und Joan, ein
altes Fischerpärchen, Toni, ein dissidentes Gründungsmitglied der größten Gewerkschaft
Spaniens, meine Frau und ich und die Besitzer friedlich zusammen. Das war in der langen
Geschichte dieses Landgutes nicht immer so.
O-Ton Karma
Sprecherin 1
Das war vor meiner Zeit, aber als der spanische Bürgerkrieg ausbrach hat sich mein
Großvater für einige Zeit versteckt, aber dann sind sie gekommen, er konnte fliehen. Dann
haben sie ihn aufgefordert sich bei der Bürgermeisterei zu melden, dass ihm nichts
zustoßen würde, und dann hat er sich präsentiert und sie haben ihn erschossen. Dann
sind sie gekommen und haben alle Bilder und Bücher verbrannt. Einfach alles was mit
Religion zu hatte.
Erzähler:
Die während des spanischen Bürgerkriegs beschlagnahmte Glocke der Kapelle wurde nie
ersetzt. Bis heute tobt der Kampf der Erinnerungen, und die Frontlinien der „zwei
Spanien“ in den 30er-Jahren scheinen lebendiger denn je - auch wenn hier auf dem Land
immer noch ein Pakt des Schweigens herrscht. Man weiß hier, wer Republikaner oder
Anhänger der Franco-Faschisten war - wie z.B. der Vater von Karma. Also wechselte ich
das Thema, und auf meine Frage zum Namensursprung des “Veinat Israel” hatte auch
Karma keine Antwort. Und wo wir schon einmal bei Namen sind: Der Wachhund des
Anwesens hatte auch nicht unbedingt einen landesüblichen. Also, warum Egon? Das war
das erste Mal, dass Karma die deutschen Familienfreunde ihrer Eltern erwähnte.
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O-Ton Karma
Sprecherin 1
Ich erinnere mich noch an ihren Namen. Diese Leute hießen Dumpert. Ich habe sie einmal
gesehen, sie waren gute Freunde meiner Eltern. Und ich bin mir immer sicherer, sie haben
ihren Hund hier gelassen, einen Hund mit Namen Egon, und seitdem heißt der Wachhund
hier immer Egon.
Erzähler:
Noch mehr interessierte mich der Ursprung des Namens “Veinat Israel”.
Also, warum nicht mal in der kleinen Stadtbibliothek nachfragen? Ich fand dort Wanderund Fahrradführer, etwas zur Jahrtausend alten Geschichte der Heilwasser von Caldes de
Malavella, zu den römischen Thermen in diesem Städtchen, nur nichts zum Veinat Israel.
Nach einem Hinweis der Bibliothekarin landete ich noch in einer unaufgeräumten Ecke.
Wochenend-Beilagen spanischer Zeitungen, die ein Loblied auf die Thermen hier sangen,
Lifestyle -und Architekturmagazine, die die Bauten des Ortes priesen und dann auf einmal
ein zerfleddertes Exemplar der Zeitschrift “Sapiens” mit dem Titel: “Caldes de Malavella –
Refugi Nazi”. Caldes de Malavella – Naziversteck.
Zitator:
November 1944. Eine dicke Dampfwolke kündigt die Ankunft eines Passagierzuges an der
Bahnstation von Caldes de Malavella an. Aus dem Waggon steigt eine Gruppe
mysteriöser Männer, begleitet von der Guardia Civil. Sie sprechen eine Sprache, die hier
keiner kannte. Die Bewohner des kleinen Städtchens ignorierten, dass die erste Gruppe
deutscher Nazispione in Caldes angekommen war.
Erzähler:
Der Artikel beschrieb die Umstände, unter denen deutsche Agenten, darunter hochrangige
Gestapoleute und Männer der Auslandsabwehr in der Zeit zwischen 1944 und 1946 in
unserem Kurort “interniert” waren, wenn man den Aufenthalt in Villen und luxuriösen
Kurbädern so nennen will. Der Ankunft der ersten deutschen Agenten in Caldes de
Malavella waren lange und angespannte diplomatische Verhandlungen vorausgegangen.
Spanien beanspruchte im 2. Weltkrieg den Status eines nicht kriegführenden und später
eines neutralen Landes, auch wenn es die faschistischen Achsenmächte sowohl
militärisch als auch wirtschaftlich massiv unterstützte. Während der Kriegsjahre lebten ca.
20.000 Deutsche in Spanien. Viele davon arbeiteten für die Gestapo, den
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Sicherheitsdienst und die militärische Spionage. Diese Situation änderte sich schlagartig
mit dem 2. Mai 1944. Die spanische Regierung unterschrieb ein Kooperationsabkommen
mit England und den Vereinigten Staaten, das unverzüglich den Export des
kriegswichtigen Rohstoffes Wolfram nach Deutschland verbot, eine Zerschlagung der
deutschen Spionage auf spanischem Gebiet und die sofortige Auslieferung aller Agenten
und Spione vorsah. Am 6. Juni 1944, dem Tag der Invasion der West-Alliierten in der
Normandie, ging eine Liste mit 222 gesuchten Naziagenten im spanischen
Außenministerium ein, mit der Bitte um unverzügliche Auslieferung, weil „sie eine echte
Gefahr für die militärischen Operationen der Alliierten darstellen.” Am 20. Juni 1944
verlangte der britische Botschafter in Spanien, Samuel Hoare, vom spanischen
Außenminister Francisco Jordana mehr Effizienz bei der Auslieferung, denn ganze zwei
Agenten hatten das Land seit dem Abkommen vom 2. Mai erst verlassen. Die Zeitschrift
war nur unvollständig vorhanden. Ich nahm mir vor an der Sache dranzubleiben, doch
erstmal ging ein Termin bei Silvia Planas vor, der Direktorin des jüdischen Bonastruc ca
Porta und des historischen Museums im nahegelegen Girona.
O-Ton Rezeption
Sprecherin 2
Ich hab den Herrn Goldmann hier unten an der Museumsrezeption. Weißt du
irgendwas? … Dann sag ich ihm, er soll zum anderen Museum kommen. Er ist mit Silvia
verabredet. Sie gehen da rechts zum historischen Museum von Girona.
Erzähler:
Eigentlich wollte ich von Silvia Planas etwas über den Namensursprung des “Veinat Israel”
erfahren. Aber die von ihr bestellten Dokumente ließen auf sich warten. Aus Verlegenheit
fragte ich nach den Kurgästen aus dem tausendjährigen Reich, von denen ich in der
zerfledderten Zeitschrift gelesen hatte - und bekam dann eine ganz andere Geschichte zu
hören.
O-Ton Silvia Planas
Sprecherin 3
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Shaya Gertner ist aus einem absoluten Zufall in mein Büro gekommen. Es war der 9.
September 2009, ich arbeite gerade in meinem Büro hier im 3. Stock des Bonastruc ca
Porta. Da kommt also dieses ältere Paar, sie sprachen mit mir englisch, stellten sich als
Juden aus Israel vor und sagten, dass sie das Museum aus Zufall gefunden hätten. Und
dann erzählten sie mir ihre Geschichte, auf eine Art und Weise, die mich total faszinierte.
Der alte Herr sagte mir: 'Ich bin hier auf der Suche nach meiner eigenen Erinnerung, ich
bin nicht gekommen, um meine eigenen Erinnerungen zu bestätigen, was ich erinnere
weiß ich schon. Ich bin hergekommen, auf der Suche nach den physischen und mentalen
Orten, an denen ich eine wichtige Zeit meines Lebens verbracht habe'. Und dann begann
er zu erzählen. Er sagte: 'Ich bin Shaya Gertner, ich komme ursprünglich aus Polen, und
als ich 12 Jahre alt war, hat mein Vater entschieden, dass wir Polen verlassen, denn er
fühlte sich von dem, was in Deutschland passierte, bedroht. Er ging als Rabbiner nach
Belgien. Wir waren dann eine Zeit in Belgien und dann begann unsere Odyssee, als Folge
der desaströsen und entsetzlichen Naziinvasion in ganz Europa. Als die Nazis Holland und
Belgien besetzten, zogen wir weiter und emigrierten nach Frankreich'. Aber sie flohen
weiter Richtung Süden je weiter Frankreich besetzt wurde. Schließlich blieben sie in der
Provence, denn Südfrankreich war zu dieser Zeit noch frei, damit wir uns richtig verstehen.
Aber dann kommt die Vichyregierung, und auch Südfrankreich und die Provence werden
besetzt. Da entscheidet sich der Vater zur Flucht. Sie mussten weg, um der Verfolgung
durch die Gestapo und der Deportation nach Ausschwitz oder wo auch immer hin zu
entgehen. Es war der Moment gekommen die Grenze heimlich zu überschreiten. Sie
zahlten eine große Geldsumme und zusammen mit anderen jüdischen Flüchtlingen,
einmal die Grenze erreicht, nimmt der Fluchthelfer das Geld und überlässt sie mitten im
Gebirge ihrem Schicksal. Sie kommen an einen Punkt, wo sie das Gefühl haben, die
Grenze schon überschritten zu haben, und genauso war es. Sie werden von der Guardia
Civil festgenommen.
Erzähler:
Ungefähr 20.000 Juden überquerten klandestin zwischen 1941 und 1944 die Pyrenäen.
Polizeidekrete, Grenzprotokolle, Namenserfassung und Fingerabdrücke erinnern heute im
Archiv von Girona an dieses Umherirren in der fremden Landschaft des Exils. Einige
dieser Fluchtrouten sind heute als Wanderwege ausgebaut. Ein „touristisches Produkt“,
das viele Nachfahren der Überlebenden anzieht.
Silvias Geschichte von Shaya Gertner war noch nicht zu Ende.
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O-Ton Silvia Planas
Sprecherin 3
Gut, ich fragte ihn: 'Aber wie kann ich Ihnen helfen?' Er: 'Ich will diese Orte, die Teil meiner
Geschichte und meiner Erinnerung sind, sensorisch und emotional wieder erleben. Und
ich weiß nicht, wo diese Orte sind. Ich weiß nicht, ob das in Girona oder Figueras war',
und dann erwähnt er eine Gegend mit Thermalbädern, einen Ort mit Heilbehandlungen.
'Ich muss diese sensorische Erfahrung machen, was können wir tun?'
Erzähler:
Silvia Planas ist eine kleine Person mit der Energie einer Gigantin. Sie ging mit Shaya
Gertner alle jene Orte in Girona ab, an denen er als Kind auf der Flucht hätte gewesen
sein können: zuerst das alte Haupthaus der Guardia Civil, dort wo die Kinder von ihren
Eltern getrennt wurden. Die Mütter ins Frauengefängnis, die Männer ins
Internierungscamp. Dann das katholische Kinderhospiz, wo die heilige Allianz Franco's mit
der katholischen Kirche ihre Bekehrungsversuche an den irregeleiteten kleinen
Flüchtlingen unternahm. Aber von sensorischer Erinnerung bei Shaya Gertner keine Spur.
O-Ton Silvia Planas
Sprecherin 3
Ganz am Ende unserer Suche blieb uns nur noch die ehemalige Kapelle des Hospiz, die
heute das Auditorium des Kulturzentrums von Girona ist. Wir gehen rein, mit einer Kapelle
hat das heute nichts mehr zu tun, total umgebaut. Und als wir alle drin sind, sagt er:
'Schaltet das Licht aus, geht raus und lasst mich alleine - Ja hier, ja.' Und er kam so
überwältigt heraus. 'Ja, ich war hier! Jetzt ja, jetzt habe ich es gefunden.' Aber das war
noch nicht das Ende, er fragte, 'was machen wir mit Caldes, mit diesem Kurort?', und ich
rief einen Archivar an, den ich kannte. Es war der Pep aus Caldes.
Erzähler:
Mittlerweile waren die Akten zur Namensherkunft des „Veinat Israel“ gekommen: es war
ein Rastplatz fahrender Händler im 13. Jahrhundert, die hier aus Girona kommend
Zwischenstation machten, um in den heißen Quellen von Caldes de Malavella zu baden.
Im Mittelalter war Girona die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Nordostspanien. Das
jüdische Viertel zählt heute zu den besterhaltenen der Welt. Ein Touristenmagnet. Aber
das war mir jetzt gar nicht mehr so wichtig. Konnte es wirklich sein, dass an ein und
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demselben Ort, in den Heilquellen des Kurhotel's Vichy Catalan wirklich Opfer und Täter in
so kurzem Zeitabstand nacheinander untergebracht waren?
Ich würde nach Girona zurückkommen, nahm ich mir vor, ich würde in die Archive gehen
und wenn irgend möglich würde ich Shaya Gertner ausfindig machen, damit er mir seine
Geschichte persönlich erzählen konnte. Als ich nach ihm in den Online-Archiven von Yad
Vashem suchte, Fehlanzeige, dafür aber eine ebenso große Überraschung. Der
langjährige Leiter des Jerusalemer Holocaustarchivs heißt Haim Gertner. Er ist der Sohn,
und heute weiß ich, dass auch der Vater noch lebt. Über Monate versuchte ich mit Haim
Gertner Kontakt aufzunehmen, weiter als bis zu seiner Sekretärin habe ich es nicht
gebracht. Auf meine Mails und Telefonate bekam ich nie eine Antwort. Und auch in Caldes
de Malavella zogen sich die Recherchen hin. Der Archivar Pep Casas, der Shaya Gertner
damals bei seinem Besuch in Caldes de Malavella begleitet hatte, war ständig mit dem
Verfassen von Werbebroschüren beschäftigt und hatte nie Zeit. Und auch meine
unzähligen Überraschungsangriffe auf die Dorfbewohner, die mir alt genug erschienen, um
etwas über mein eigentliches Anliegen, die internierten Nazis auf Kur, in Erfahrung zu
bringen, blieben weiterhin erfolglos. Allerdings konnte ich mit Hilfe meiner Informanten im
Dorf mittlerweile ein „Bewegungsprofil“ von Pep Casas erstellen, und unter dem Vorwand
etwas mehr über unser Landgut zu erfahren, erschien ich eines Morgens in seiner
Frühstücksbar. Pep Casas, dem man durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit Shrek
attestieren kann, war gerade im Gespräch mit einem zierlichen Mann, der mit seiner
Nickelbrille Berthold Brecht verblüffend ähnelte.
Erzähler:
Pep Casas, das wusste ich immerhin, war gerade mit einer Publikation beschäftigt, die nur
aus Familienfotos der Anwohner zusammengestellt werden sollte. Karma, unsere
Hausbesitzerin, hatte mir ein paar alte Fotoalben mitgegeben und der Trick funktionierte.
Kurze Zeit später saß Pep unter dem Tonnengewölbe der lokalen Tourismusinformation an
meiner Seite, aber der Mann mit der Nickelbrille ließ uns einfach nicht alleine. Aufmerksam
blinzelte er über die Schulter des Stadtarchivars auf die alten Bilder und machte keine
Anstalten zu gehen. Und seinen fachkundigen Kommentaren nach zu urteilen, schien Toni
Villa, seines Zeichens Leiter des Einwohnermeldeamtes, weit besser informiert als der
Stadtarchivar selbst. Der erinnerte sich nämlich nur dunkel an den gemeinsamen Besuch
mit Shaya Gertner im Hotel Vichy Catalan. Zu den deutschen Familienfreunden meiner
Vermieterin fiel ihm etwas mehr ein.
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O-Ton Pep Cases, Toni Dialog
Sprecher 2
Das hat mir Karma mal erzählt, dass ihre Eltern mit einem jener Deutschen befreundet
waren, die hier mal untergebracht waren. Die wohnten hier in jener Periode in einem Haus
im Dorf, die hießen Dumper oder so ähnlich, die haben ihnen einen ihrer Hunde geschenkt.
Das hat mich amüsiert, dieser große schwarze Hund hatte einen strikt deutschen Namen,
und seitdem hießen alle ihre Hunde so. Und die Karma hat mich schon damals überrascht,
als sie mir von den Deutschen erzählte, die waren sich anscheinend gar nicht im Klaren
darüber, dass es sich um Spione handelte.
Sprecher 3
Das waren Deutsche, die hier während des spanischen Bürgerkrieges hergekommen
waren und dann geblieben sind. Die sind dann nicht nach Ausbruch des Zweiten
Weltkrieges zurück, sondern haben hier die Auslandspionage koordiniert.
O-Ton Pep Cases
Sprecher 2
Die Mehrzahl waren Handelsvertreter, denen fiel die Spionage leicht, oder eben auch nicht!
Repräsentanten der deutschen Wirtschaft, die hier Interessen hatten, zum Beispiel das
Wolfram in Galizien, ein wichtiges Mineral für die Rüstungsproduktion, mit dem die
Repräsentanten handelten. Vielleicht war er einer von denen.
Erzähler:
Toni war gegangen, während Pep Casas weiter stoisch das Familienalbum meiner
Vermieterin kommentierte.
Plötzlich tauchte Toni Villa mit einem Auszug aus dem Melderegister von 1946 wieder auf.
O-Ton Toni
Sprecher 3:
Ich habe den Sohn eines österreichischen Grafen gefunden. Ich habe das ganze Register
durchgesehen. Im Jahr 1946 wird der Sohn eines österreichischen Grafen hier geboren.
Erzähler:
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In unserem Landgut ein Hund mit Namen Egon, das Abschiedsgeschenk eines in Caldes
de Malavella „internierten“ deutschen Spions, der mit seiner Familie in einer Jugendstilvilla
nahe dem Vichy Catalan wohnt und seine Freunde im Landgut Can Fugaroles besucht.
Die Geburtsurkunde des Sohnes eines österreichischen Grafen, der ebenfalls mitten im
Krieg als gesuchter Agent auf „Kuraufenthalt“ hier war, wie mir Toni Villa versicherte. Auf
mein ungläubiges Staunen reagierte Toni Villa mit einer Einladung zu sich nach Hause: Er
wollte mir etwas zeigen. Dieser Mann zerfetzte den Vorhang des Schweigens und der
Legendenbildung in knapp einer Stunde. Und er vertraut nur Fakten und Dokumenten. In
seinem sehr kleinen, sehr aufgeräumten Haus und in seinem noch kleineren
Arbeitszimmer stapelten sich fotokopierte Akten neben einem urzeitlichen Computer mit
einer Festplatte, die es in sich hatte. Ich kannte bisher nur die offizielle Geschichte des
Vichy Catalan, Toni Villa aber hielt eine belegbare andere Geschichte bereit. Hier seine
Kurzversion: Mit dem Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs 1936 wurde das Vichy
Catalan enteignet und zu einem Feldlazarett umfunktioniert. Danach diente es als
Auffanglager für spanische Bürgerkriegsflüchtlinge. Mit dem Einsetzen der Massenflucht
von Juden aus ganz Europa nach Spanien in den Jahren von 1941 bis 1943, wurden dort
jüdische Kinder, Frauen, deren Männer in Franco's Gefängnissen saßen, und Alte
interniert.
O-Ton Toni
Sprecher 3
Die Männer im Gefängnis. Die Frauen, Kinder und Alten in Caldes. Da war nichts
vorbereitet. Keine Nahrung, gar nichts. Hier in Caldes gibt es einen Bericht der
Gesundheitsbehörde von 1943. Der Gefängnisarzt aus Girona kommt hier zu einer
Inspektion ins Vichy Catalan. Der sendet einen Bericht an den Gouverneur. Vernichtend!
Er sieht hier eine Epidemie, Typhus oder etwas ähnliches, sie lebten hier auf engstem
Raum, 5, 6 in einem Zimmer. Das waren Flüchtlinge, die hatten nichts dabei, nur die
Kleidung auf dem Leib, Flöhe überall, dieser Arzt aus Girona warnt in seinem Bericht davor,
dass die Epidemie nicht nur im Kurhotel ausbrechen könnte, sondern auf Caldes
überspringen könnte. Dabei waren auch jüdische Ärzte unter den Flüchtlingen, aber die
ließ man nicht agieren. Alle waren sehr besorgt.
Erzähler:
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Die jüdischen Flüchtlinge wurden Mitte 1943 evakuiert und viele in die deutschen
Vernichtungslager deportiert. Ihren Platz nahmen ab Ende 1943 1.000 italienische
Marinesoldaten ein, die nach einem Angriff der deutschen Marine vor Sardinien ab Ende
1943 während sechs Monaten im Vichy Catalan auf ihre Rückführung nach Italien
warteten. Von Kontrolle der 1.000 Italiener konnte bei sechs dafür zuständigen
Dorfpolizisten nicht die Rede sein.
O-Ton Toni
Sprecher 3
Der Priester, der Bürgermeister, der Friedensrichter, die Frauenbeauftragte, und der
Gewerkschaftsführer schreiben einen Brief an den Gouverneur, dass sich hartnäckig das
Gerücht halte, dass in Caldes ein Bordell für die Matrosen geplant sei.
Erzähler:
Im Juni 1944 verließen die Italiener das Vichy Catalan. Das Hotel wurde wieder privatisiert,
restauriert und fünf Monate später, im November 1944, nahm es wieder seinen normalen
Kurbetrieb auf.
O-Ton Toni
Sprecher 3
Und in dem Moment tauchen die Nazis auf. Und mehr, sie bringen ihre Familien mit. Hier
ein kurioses Dokument über die Deutschen. Das schenke ich dir. Wirklich kurios. Das ist
vom 12. Januar 1945. Von der obersten Sicherheitsbehörde aus Madrid: 'An seine
Exzellenz den Regionalgouverneur: Wir haben Kenntnis davon genommen, dass die Nazis
dort sehr gut leben.' Diese Information stammte von den Alliierten! Und hier taucht dieser
Name von einem, der im Vichy wohnt, auf. Und das sind alles Ex-Nazi-Agenten, die auch
weiter Kontakte pflegen.
Erzähler:
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Auf meiner Terrasse las ich mir in Ruhe dieses Dokument durch. Es bezieht sich auf eine
Beschwerde der britischen und der US-amerikanischen Botschaft in Madrid beim
spanischen Außenministerium über die allzu gute Behandlung der deutschen Agenten in
Caldes de Malavella. Die spanische Generaldirektion für Sicherheit leitete das Schreiben
an den Polizeichef von Girona weiter.
Zitator:
12. Januar 1945. Hiermit leiten wir Ihnen dieses Dokument des Außenministeriums zu, in
dem die übertrieben bevorzugte Behandlung der deutschen Agenten bemängelt wird.
Agenten, die entweder das spanische Territorium nicht verlassen können, oder nicht
verlassen wollen und sich aktuell in Caldes de Malavella aufhalten. Es werden besonders
die anhaltenden gegenseitigen Besuche der Agenten bemängelt, die weiterhin die
Tätigkeiten erlauben, wegen der sie eigentlich interniert wurden. Da die deutschen
Agenten augenscheinlich das Wohlwollen unserer Regierung missbrauchen, schlägt das
Außenministerium vor, die Agenten darum zu bitten Maßnahmen zu ergreifen, die den
Eindruck absoluter Freiheit in Zukunft vermeiden.
Erzähler:
Unter den deutschen Agenten in Caldes de Malavella waren hochrangige Mitglieder der
Legion Condor, der Auslandsabwehr und aus Frankreich geflüchtete Gestapoleute, die alle
ganz oben auf den Fahndungslisten der West-Alliierten standen: Meino von Eitzen,
Mitglied der Legion Condor, Ernst Hammes, langjähriger Chef der Gestapo in Spanien und
einer der Köpfe der Organisation Werwolf, Rudolf von Merode, hochrangiges Mitglied des
SD, dem Geheimdienst der SS, der als Folterer und Mörder im französischen Saint Jean
de Luz getobt hatte. Skrupellose Manager wie Paul Gottfried Taboschat, der als Mitglied
der Abwehr ein Geflecht von Unternehmen zur Geldwäsche in Barcelona aufbaute, und
eben verkrachte Existenzen wie besagter österreichischer Graf Heinrich Pescoller und
seine Frau Elisabeth Kuvitt.
Sie alle genossen im Vichy Catalan mit ihren Familien Kino unterm Sternenhimmel. Der
Projektor wurde eigens für sie herbeigeschafft. Sie wetteten auf ihre eigenen Pferde bei
Wettrennen im nahegelegen Girona. Diese deutschen Kurgäste standen unter Protektion
von höchster Stelle.
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O-Ton Carlos Collado Seidel
Sie haben hier Besuch empfangen, sie haben telefoniert. War alles verboten. Sie haben
Reisen unternommen, nach Girona oder wo auch immer hin. Korruption spielte eine Rolle.
Also sie haben hier relativ eigenständig weiterhin agieren können. Natürlich mit
Kriegsende saßen die allermeisten immer noch hier und blieben auch zum Teil hier auf
Druck der spanischen Behörden, zum Teil eben bis weit in das Jahr 1946.
Erzähler:
Die spanische Regierung erfand immer wieder neue Finten, die deutschen Agenten vor
der Auslieferung an die Westalliierten zu bewahren. Der deutsch-spanische Historiker
Carlos Collado Seidel erzählt mir bei einem kalten Weißwein auf der Terrasse des Vichy
Catalan, was er über die Zeit weiß.
O-Ton Carlos Collado Seidel:
Spanien hat alles in der Macht stehende getan, um das 3. Reich zu unterstützen. In der
Praxis blieben die Agenten weiterhin tätig, in der Praxis wurde weiterhin, diesmal
klandestin, also geheim geschmuggelt, Wolfram ins Ausland verfrachtet. In der Praxis
blieb an dieser engen Verbindung zu Nazi-Deutschland – unverändert.
Erzähler:
Seidel weiß auch von der Kontinuität deutscher Nazispione und Agenten nach Kriegsende.
O-Ton Carlos Collado Seidel:
Im Grunde haben nur die Spanien verlassen, die Spanien verlassen wollten. Dazu
gehören einige Diplomaten und andere, aber die, die hierbleiben wollten und die, die
Kontakte hatten, und vor allem auch die, die am meisten gesucht waren, weil sie eben
Kontakte hatten, die sind hiergeblieben. Ein Großteil der Deutschen, die hiergeblieben
sind, die haben nach dem Krieg hier wieder prächtige Karrieren entwickelt. Zum Teil, die
bei der Gestapo tätig waren, die waren später in spanischen Polizeidiensten tätig, Leute,
die bei der Abwehr waren, die waren in spanischen Militärgeheimdiensten tätig, spanische
Verbindungsleute waren dann wieder tätig in der deutschen Botschaft, oder als
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Generalkonsul an der Costa del Sol, hier gibt es durchaus interessante Kontinuitätslinien,
die nachzuvollziehen, zu spinnen wären über das Zäsur-Jahr 1945 hinaus. Im Grunde hat
man dann nach dem Krieg versucht diese Deutschen, die hier waren, nach Deutschland
zu bekommen, und um sie dort zu entnazifizieren. Aber das ist ein neues Kapitel.
Erzähler:
Schon lange beschlich mich ein ungutes Gefühl bei den deutschen Familienfreunden
meiner Vermieterin Karma, und ich hatte den Eindruck, dass sie mir noch nicht alles
verraten hatte. In der Zwischenzeit nämlich hatte ich in den National Archives der USA
eine erst vor wenigen Monaten veröffentlichte Liste entdeckt. Sie trug den Titel: The
factual list of Nazis protected by Spain. Und da waren alle Agenten, die in Caldes de
Malavella interniert waren, namentlich samt Lebenslauf aufgelistet, darunter auch ein
gewisser Hans Johann Dumpert.
Zitator:
Hans Johann Dumpert. 24.8.1898 in Hagebach geboren. Zwei Kinder. Verheiratet mit einer
mallorquinischen Frau. Bei den Gas & Elektrizitätswerken S.A. beschäftigt. Im 1. Weltkrieg
verwundet. Seit 1918 in Mallorca lebend. Zuletzt in Palma. Agent des KDM mindestens
seit 1940. Bekannt für seine eifrige Verfolgung und Tötung liberaler Spanier im spanischen
Bürgerkrieg. Sollte britische Luft und Seebewegungen beobachten.
Erzähler:
Handelte es sich dabei vielleicht um den gleichen Dumpert, der vor langer Zeit mit den
Eltern meiner Vermieterin Karma befreundet war?
O-Ton Karma
Sprecherin:
Ich weiß nicht. Die müssen sich im Dorf kennengelernt haben, oder im Kurhotel, keine
Ahnung. Ich glaube die haben eine Zeit in Caldes gelebt. Und dann sind sie nach Mallorca
gegangen. Nehme ich mal an, ich bin mir da nicht sicher.
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Erzähler:
Als ich das Wort „Mallorca“ hörte, hatte ich eine Idee. Vielleicht waren die Dumperts ja
nach ihrem “Kuraufenthalt” in Caldes de Malavella wieder nach Mallorca zurückgegangen.
Und vielleicht hatten sie Nachfahren, die dort immer noch lebten. Ich gab den Namen
Dumpert/Mallorca im Internet ein und fand einen Adolfo Conrado Dumpert Garau samt
Telefonnummer. Ich griff zum Telefon und der Sohn von Hans Johann Dumpert nahm ab,
erzählte freimütig.
O-Ton Dumpert
Sprecher 1
Ich habe zwei Jahre in einem Haus in Caldes de Malavella verbracht. Ich war sehr klein
damals, ich kam mit fünf Jahren nach Caldes de Malavella. Und als wir nach Mallorca
zurückkehrten, war ich sieben Jahre alt. Ich habe viele sehr schöne Erinnerungen. Mein
Vater hatte viel Besuch, wir gingen ins Vichy Catalan, dort trafen wir Leute aus Caldes und
Deutsche. Da wohnte ein anderer Deutscher gegenüber von uns, ich glaube das war ein
hochrangiger Deutscher.
Erzähler:
Wir verabredeten uns, und vier Wochen später saß ich auf der Fähre nach Mallorca. Und
als ich Freunden dort von meinem Treffen mit dem Sohn eines deutschen Agenten am
kommenden Tag am Pelicano Beach erzählte, wurden alle hellhörig und versprachen, mir
einen Kontakt zu machen, der vielleicht etwas über die dunklen Machenschaften auf der
„Insel des zweiten Gesichts“ in den so blutigen 30er-Jahren erzählen könnte.
Der Strand war voll, aber als zu dem verabredeten Zeit ein braungebrannter Mann mit
blond getönten Haaren und verspiegelter Sonnenbrille die Pelicano Beach Bar betrat,
ahnte ich: Das ist mein Mann. Und alles was ich aus den Akten schon wusste, bestätigte
sich. Adolfo Conrado Dumperts Vater hatte 1931 eine Mallorquinerin geheiratet, hatte bei
den Elektrizitätswerken gearbeitet und war von 1939 bis zu seiner Verhaftung Ende 1944
als Spion in deutschen Diensten tätig.
O-Ton Dumpert
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Sprecher 1:
Hier liegt das große Geheimnis. Ich interpretiere es so. Er war mit dem deutschen
Botschafter in Barcelona befreundet. Und hier gab es einen deutschen Konsul, der meinen
Vater anrief und ihm sagte, dass sie einen Mann benötigten, der Schiffe, die Tonnage, die
Nationalität, solche Sachen festhält. Mein Vater kannte einen Herrn, der ein Haus mit
Hafenblick hatte, gleich neben der Kathedrale. Von dort hielt er mit einem Fernglas
Ausschau, führte Buch, ging zur Hafenkommandantur, er war auch mit dem Hafenmeister
befreundet, und sandte die Informationen weiter. Das war, was mein Vater mit Spionage
zu tun hatte. Wohlgemerkt, sie haben ihn wegen Spionage verhaftet. Weil ihn ein
deutscher Freund verraten hat. Der ja, der war Spion. Es kommt die Polizei, sie verhaften
meinen Vater und bringen ihn nach Katalonien, damit er von da aus nach Deutschland
gebracht wird. So kam mein Vater nach Caldes de Malavella, und wenige Wochen später
waren wir mit meiner Mutter und meiner Schwester in Caldes de Malavella. Als sie dann
alle Deutschen nach Deutschland abtransportieren wollten, floh mein Vater mit einem
anderen nach Fugaroles. Ich weiß nicht ob du Fugaroles kennst, wenn du in Caldes de
Malavella wohnst.
Erzähler:
Die Vorfahren meiner Nachbarn aus Can Fugaroles als Fluchthelfer für einen auf den
Fahndungslisten stehenden Nazispion. Johann Dumpert wurde - nachdem er Monate lang
in Barcelona untergetaucht war - dann doch noch festgenommen und verbrachte
dreieinhalb Jahre in verschiedenen Internierungscamps der Alliierten in Deutschland,
erzählt sein Sohn.
O-Ton Dumpert
Sprecher 1
Nach den Franzosen kam der zu den Engländern, die behandelten ihn schon besser.
Dann kam er zu den Amerikanern. Bei den Amerikanern dann kann er fliehen. Das ist ihm
Dank der Hilfe des Roten Kreuzes gelungen, denn meine Mutter kannte die Präsidentin
des Roten Kreuzes. Diese Frau hat meinem Vater die Flucht nicht organisiert, aber sie
sagte zu ihm: 'Du fliehst, gehst in die Schweiz, sie erwarten dich'. Mein Vater hat es so
gemacht.
18
Erzähler:
Ich war schon auf dem Weg zum Flughafen, da rief mich Pere Bonin an, dem ich von der
Geschichte erzählt hatte. Er war lange Auslandskorrespondent der spanischen
Nachrichtenagentur in Deutschland und Österreich. Wir verabredeten uns in der
Abfertigungshalle. Pere Bonin kannte einen guten Freund von Johann Dumpert, der von
seiner Tätigkeit als Spion auf Mallorca wusste.
O-Ton Pere Bonin:
Der kannte sehr gut den Dumpert, weil sie zusammen touristische Führer waren. Und
dann dieser Freund hat mir die ganze Geschichte erzählt. Also wie er diese Listen von
Juden gemacht hat, für die Gestapo oder für andere Institutionen in Deutschland.
Erzähler:
Am 5. Mai 1941 forderte die spanische Generaldirektion für Sicherheit alle
Zivilgouverneure auf, eine Liste über nationale und internationale sogenannte ‘Israeliten’
anzufertigen, um diese Juden deportieren zu können.
Der Mann, der auf Mallorca für die Listen zuständig war, hieß Johann Dumpert. Der Mann,
der einst im Veinat Israel, der Israelitischen Nachbarschaft, Freunde gefunden hatte, so
wie sein Hund Egon.
O-Ton Karma
„Egon, vina cap a casa!“
Absage:
Caldes de Malavella
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Oder: Nazis auf Kur
Ein Feature von Christoph Goldmann
Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2016.
Es sprachen: Jürgen Sarkiss, Nicole Boguth, Wolf Aniol, Susanne Flury, Klaus-Dieter
Pittrich, Tom Jacobs, Nina Lentföhr und Bernt Hahn.
Ton und Technik: Ernst Hartmann und Angelika Brochhaus
Regie: Matthias Kapohl
Redaktion: Karin Beindorff
Erzähler:
Und noch etwas: Bis heute wurden die offenen Rechnungen der Naziagenten im Kurhotel
Vichy Catalan nicht beglichen.