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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Aula
Zwischen Gender-Pflicht und Denglisch-Verbot
Sprache und Ideologie
Von Thilo Baum
Sendung: Sonntag, 21. August 2016
Redaktion: Ralf Caspary
Produktion: SWR 2016
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Ansage:
Mit dem Thema: "Zwischen Gender-Pflicht und Denglisch-Verbot – Sprache und
Ideologie".
Unsere Gesellschaft scheint sich zu radikalisieren, allein ein Blick in die Chatforen
des Internet belegt das: Dort stehen sich politische Gruppen unversöhnlich
gegenüber, rechts polemisiert gegen links, links gegen rechts, und immer wieder
entzündet sich die ideologisch hoch aufgeladene Debatte an der Flüchtlingsthematik.
Diese Radikalisierung spiegelt sich auch in der Sprache wider – das sagt der
Kommunikationswissenschaftler Thilo Baum in der SWR2 AULA.
Thilo Baum:
Unsere Gesellschaft ist im Umbruch. Nicht nur die Landtagswahlen im März und die
Bundespräsidentenwahl in Österreich haben gezeigt: Die alten Volksparteien sind
nicht mehr unbedingt Volksparteien. Auf etwa zwanzig Prozent schätzt man das
Potenzial derjenigen, die tendenziell nach rechts driften.
Doch wir erleben nicht nur einen Rechtsruck. Auch die linke Seite im politischen
Spektrum verstärkt sich – sie formiert sich gegen den zunehmend starken rechten
Rand und rückt enger zusammen. Dabei scheint es, als bräche die gesellschaftliche
Mitte weg. Unsere Gesellschaft scheint radikaler zu werden. Es scheint, als nähmen
immer mehr bisher gemäßigte Menschen Positionen der Extreme ein – sie
entscheiden sich entweder für Links oder für Rechts.
Diese Tendenz zeigt sich auch in der Sprache. Beide Extreme versuchen, die
deutsche Sprache für sich zu vereinnahmen – so wie es für extreme politische
Richtungen üblich ist. Auf einer Pegida-Demonstration in Dresden war ein
Transparent zu sehen mit der Aufschrift – Zitat: Islamophobie ist kein Rassismus.
Zitat Ende. Wie reagieren wir auf diese Aussage? Je nach Sicht gibt es drei
Möglichkeiten.
Die erste Möglichkeit: Wir betrachten das Transparent durch die linke Brille. Danach
ist der Satz falsch. Denn Pegida ist der Gegner, und was der Gegner sagt, ist per se
falsch. Es ist aus linker Sicht zudem nicht opportun, pauschal etwas gegen den Islam
zu haben. Und daher ist dieses Transparent verwerflich.
Die zweite Möglichkeit: Wir betrachten das Transparent durch die rechte Brille.
Danach fühlt sich jemand zu Unrecht als Rassist diffamiert, obwohl er nichts gegen
Ethnien hat, sondern – in Anführungsstrichen – nur gegen den Islam ist, also gegen
eine Religion. Und zwar generell. Was aus rechter Sicht auch relativ üblich ist und
eben opportun.
Die dritte Möglichkeit: Wir betrachten das Transparent so unideologisch, wie das
eben geht in diesen Zeiten. Wir betrachten – nach Friedemann Schulz von Thun –nur
die Sachebene der Aussage. Demnach stellen wir fest: Es ist in der Tat nicht
rassistisch, etwas gegen eine Religion zu haben, der Menschen aller Ethnien
beitreten können. Denn Religion und Ethnie sind zweierlei.
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Wer etwas gegen Vertreter einer Nation hat, ist nicht unbedingt Rassist. Wenn
jemand etwas gegen die USA hat, hat er etwas gegen die Nation, egal, welchen
Ethnien ihre Bürger angehören. Das ist jedenfalls erst einmal die rein definitorische
Ebene der Worte. Es ist Unsinn, einem USA-Gegner Rassismus vorzuwerfen. Gegen
welche Ethnie hat er denn etwas? Gegen Schwarze? Gegen Weiße? Also ist es im
Wortsinn auch nicht rassistisch, etwas gegen Türken oder gegen Deutsche zu
haben. Rassist ist, wer etwas gegen eine Rasse hat, neudeutsch Ethnie – wie das
Wort es eben auch sagt. Zudem ist es einer der historischen Denkfehler in
Deutschland, beispielsweise das Judentum rassisch zu definieren.
Doch im alltäglichen Gebrauch sind die Begriffe höchst unklar. Natürlich gibt es einen
Unterschied zwischen Islam und Islamismus. Ebenso wie es einen Unterschied gibt
zwischen Antisemitismus und Judenhass – auch Araber gelten als Semiten. Doch so
differenziert betrachten wir das schon lange nicht mehr. In der öffentlichen
Auseinandersetzung schleifen wir die Nuancen einfach weg und runden Tendenzen
auf und ab, statt sie exakt zu beschreiben. Es scheint, als käme uns im derzeitigen
politischen Kampf das differenzierte Denken abhanden. Dabei brauchen wir die
Nuancen für den politischen Diskurs. Eine Debatte, in der die Zwischentöne
verschwinden, läuft auf Schwarzweißdenken hinaus. Und das ist nicht gut, weil diese
Tendenz in den Totalitarismus führen kann, ob der links ist oder rechts.
Das Prinzip "alles oder nichts" ist ein Wesensmerkmal von Ideologien, und das
Absolute daran, das Kompromisslose, das Totale, findet sich im Begriff des
Totalitarismus wieder. Das Schwarzweißdenken, der Wegfall von Nuancen,
bezeichnet an sich den Totalitarismus. Differenzierungen sind ebenso verboten wie
Selbstkritik oder auch nur der externe Blick auf sich selbst.
Argumente auszublenden, die der eigenen Theorie widersprechen, ist der Beginn
von Ideologie und damit potenziell der Anfang einer totalitären Entwicklung.
Übernehmen Ideologen die Macht, ist mit höchster Wahrscheinlichkeit ein totalitäres
System die Folge – die Regeln des siegreichen Lagers werden zur Pflicht. In diesen
Tagen formieren sich zwei ideologische Lager rechts und links, die beide die
Meinungshoheit anstreben. Beide Seiten, die Rechte und die Linke, formulieren ihre
Positionen knallhart und kompromisslos, während die Mitte der Gesellschaft immer
mehr verstummt und möglicherweise zu verschwinden droht.
Doch weil die Welt nicht nur schwarz oder weiß ist, scheitern die politischen Lager
mitunter an der Logik. Das Prinzip "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", funktioniert
nämlich nicht, solange einer unserer Freunde der Feind eines anderen Freundes ist.
Und solche Konstruktionen sind in der Welt nun einmal normal – es ist Realität, dass
der eine Konflikt uns mit jemandem verbindet, während uns ein anderer Konflikt von
ihm trennt.
Stellen wir uns zwei Freunde vor: Kurt und Manfred. Und es gibt einen Dritten: Heinz.
Nun ist Heinz mit Kurt befreundet, mit Manfred aber verfeindet. Und schon scheitert
das Schwarzweißdenken. Das Gesetz "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" versagt,
weil Heinz nach dieser Logik Kurts Freund und Kurts Feind zugleich wäre. Was
geschieht in so einer Konstellation? Um die Logik zu retten, wird Kurt Manfreds
Feindschaft gegenüber Heinz ignorieren oder kleinreden. Kurt tut einfach so, als
hätte Manfred gar nichts gegen Heinz. Und das nur, um die Blockbildung nicht zu
gefährden.
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Dabei könnten und sollten alle miteinander reden: In einer Sache sind zwei
Menschen gleicher Ansicht, in einer anderen Sache widersprechen sie einander. Das
ist im Grunde vollkommen normal. Doch entgegen dem, was normal ist, verfallen
Ideologen sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite in eine Art Starre
angesichts des Feindes. Und diese Starre macht unflexibel im Denken und
verhindert eine Auseinandersetzung. Diese Starre bewirkt, dass wir mit jemandem
entweder hundertprozentig übereinstimmen oder eben gar nicht.
Diese Entwicklung ist alles andere als gut. Denn hat eine Ideologie einmal die Macht
ergriffen, gibt sie ihre Haltung als Doktrin vor und befiehlt den Menschen, diese
Doktrin zu akzeptieren und auch selbst zu vertreten. Sowohl Links als auch Rechts
versuchen uns zu indoktrinieren. Wir dürfen es als Gefahr betrachten und sollten als
Demokraten und Pluralisten in höchster Alarmbereitschaft sein, wenn linke und
rechte Gruppen den Menschen vorzuschreiben beginnen, was sie zu denken haben.
Wie soll man als Beobachter auf so eine verfahrene Situation reagieren? Wie soll
man überhaupt sachlich sprechen über die vielen mehr oder weniger klugen
Argumente, die sich Vertreter politischer Gruppen derzeit an den Kopf werfen? Ohne
dabei in die Mühle zu geraten und selbst Partei zu werden, wie es manchen
Journalisten beim Berichten geschieht?
Der Kampf zwischen Links und Rechts zeigt sich derzeit nirgendwo so gut wie in der
Flüchtlings- beziehungsweise Zuwanderungsdebatte. Für einen Rechtsradikalen sind
alle Zuwanderer suspekt, für einen Linksradikalen sind alle Zuwanderer gut – jeweils
unhinterfragt und absolut. Beide Sichten sind Extreme, die einer dispersen Größe,
wie es Bevölkerungsgruppen nun einmal sind, nicht gerecht werden. Kein Volk an
sich ist in seiner Gesamtheit gut oder schlecht. Überall gibt es solche und solche, wie
der Volksmund sagt.
Doch was einer Ideologie nicht passt, blendet sie aus. Ausblenden heißt ignorieren,
kleinreden, wegwischen. Wird eine Meinung, die der Ideologie zuwiderläuft, zu stark,
beginnt der Kampf. Bei allem ist es vollkommen egal, ob die geäußerte Meinung eine
Wahrheit beinhaltet. Was real stattfindet oder wahr ist, kümmert Ideologen nicht – sie
messen die Welt einzig an ihrer Doktrin. Und mit der Zeit wird auch die Sprache
immer einseitiger. Beginnend mit Thesen und Argumenten frisst sich das totalitäre
Denken durch die Sprache bis hin zu den Wörtern.
Beginnen wir bei den Argumenten und nehmen wir die Übergriffe in der
Silvesternacht in Köln. Der Fall ist bekannt: eine massenhafte sexuelle Belästigung
an Frauen, begangen von Nordafrikanern und Arabern, was Politik und Medien aber
erst dann thematisierten, als es sich nicht mehr ignorieren ließ.
Die Feministin Alice Schwarzer hat dazu ein hervorragendes Buch herausgebracht:
"Der Schock". Alice Schwarzer gilt als linke Feministin, schreibt aber Dinge, die der
linken Doktrin widersprechen.
Alice Schwarzer schreibt zum Beispiel, Zitat: "Der öffentliche sexuelle Terror gegen
Frauen ist in der nun auch in Köln erlebten Form seit den 1960er-Jahren in den
arabischen Ländern bekannt." Zitat Ende. Und sie spricht von falscher Toleranz. Frau
Schwarzer schreibt, Zitat: "Das geht jetzt schon seit einem Vierteljahrhundert so.
Seither herrscht in Deutschland eine Political Correctness – allen voran befeuert von
Grünen und Protestanten –, die nicht wahrhaben will, dass es mit spezifischen
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Menschengruppen spezifische Probleme geben kann. Eine Haltung, die im Namen
dieser falschen Toleranz die Probleme lieber vertuscht oder verharmlost, statt sie zu
benennen und zu bekämpfen." Zitat Ende. Eine Begründung liefert Alice Schwarzer
auch: Diese falsche Toleranz ersetze den Fremdenhass der früheren Deutschen
durch eine, Zitat: "nicht minder blinde Fremdenliebe".
Was Alice Schwarzer hier schreibt, ist äußerst differenziert, und es ist eben kein
Schwarzweißdenken. Die Autorin verstößt insofern gegen die linke Doktrin, sich nicht
negativ über Fremde zu äußern, egal was sie tun. Sie kritisiert den Islam, was aus
linker Sicht nicht opportun ist – die Linke ignoriert sogar die Gefahr der
Judenfeindlichkeit vieler Muslime. Stattdessen erklärt Alice Schwarzer die
Sozialisation in einem islamischen Land als einen Grund für Frauenverachtung. Im
Hinblick auf die Medien – und Alice Schwarzer ist Journalistin – tut sie das, was
Journalisten tun sollten: über Entwicklungen in der Gesellschaft berichten, eben ohne
in einem Konflikt mit einer Seite zu sympathisieren oder gar selbst Partei in dem
Konflikt zu werden.
Ideologisch betrachtet, müsste sich Alice Schwarzer im linken Lager Feinde machen.
Unideologisch betrachtet, schreibt sie ihre Meinung, was in einem freien Land
vollkommen in Ordnung ist. Die Meinungsbildung in einer Demokratie lebt vom
Diskurs und von der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Meinungen. Es ist
in Ordnung, wenn wir schreiben und sagen, was wir denken.
Wie reagieren wir jetzt auf Alice Schwarzers Buch? Wieder aus drei Sichten:
Erstens: Die Linken thematisieren das Buch von Alice Schwarzer nicht so gern, weil
es den Logikfehler ihrer Ideologie entlarvt – die Rechten würden sagen: die
Lebenslüge der Linken. Nach der linken Logik dürfen wir sexuelle Übergriffe nicht in
Zusammenhang bringen mit einer Kultur. Das ist auch der Grund, warum linke
Journalisten die Herkunft eines Täters so lange wie möglich unerwähnt lassen –
obwohl es einen Leser sicher auch interessiert, wenn ein Deutscher ein Verbrechen
verübt. Es ist immer interessant, wie ein Täter sozialisiert ist, weil Prägungen in
Motive hineinspielen können. Woher jemand kommt, ist relevant, weil es viel erklären
kann.
Zweitens: Die Rechten schnappen sich Alice Schwarzers Buch als gefundenes
Fressen nach dem Motto: "Das haben wir ja schon immer gesagt." Sie
instrumentalisieren Alice Schwarzer als Argument gegen die Linken und für ihre
generelle Ablehnung des Islams. Ebenso ideologisch wie die Linken, denken die
ideologischen Rechten in absoluten Aussagen und erklären jeden Vertreter des
Islams generell für frauenverachtend.
Drittens: Unideologisch betrachtet, könnte unsere Gesellschaft einräumen, dass
manche Menschen gegenüber den Frauenrechten möglicherweise noch
Schulungsbedarf haben. Und wir könnten einräumen, dass sich das möglicherweise
kulturell begründen lässt. Alice Schwarzer beschreibt den Zusammenhang ohne jede
Feinseligkeit, und sie öffnet sich an keiner Stelle dem Vorwurf, etwas gegen
Migranten zu haben, gegen Ausländer oder Gläubige bestimmter Religionen. Alice
Schwarzer gelingt die Balance zwischen linker und rechter Ideologie in dem Buch
"Der Schock" hervorragend.
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Ebenso sachlich und unideologisch können wir unsere europäischen Werte
verteidigen – gegen alle, die dagegen verstoßen. Ohne eine Gruppe anzugreifen.
Doch statt Individuen zu kritisieren, verurteilen wir pauschal. Nach dem Prinzip "Wer
nicht für uns ist, ist gegen uns" müssen wir uns für eine Seite entscheiden – wie in
Kriegszeiten. So hat das zum Beispiel ein Kommentator bei Facebook im Januar
2016 gefordert. Dort gibt es die Gruppe "Arsch huh" – Kölsch für "Arsch hoch", eine
Gruppe gegen Ausländerfeindlichkeit. Der Aktivist Franz Michael Moser hat dort
gepostet, Zitat:
"Ihr seid gegen Pegida und gegen Vergewaltigungen? Ich glaube, Ihr solltet Euch
entscheiden." Zitat Ende.
Wieder zeigt sich das Hauptproblem von Ideologien – das Denken in absoluten
Kategorien. Moser sagt letztlich: Wer gegen Pegida ist, ist für Migranten und muss
Vergewaltigungen in Kauf nehmen. Damit behauptet er, mit der Anwesenheit von
Migranten gehe selbstverständlich sexuelle Gewalt einher. Und damit diffamiert er
pauschal alle Migranten – möglicherweise ohne es zu merken. Er, der linke Aktivist.
Hier zeigt ein Fanatiker, zu welcher Absurdität Ideologien führen. Extreme, ob links
oder rechts, denken einseitig. Da beide das jeweilige Extrem vertreten, ohne
Nuancen zu beachten, gibt es so gut wie keine Chance zur Verständigung.
Wenn nun absolute Behauptungen zunehmen, so ist das ein Indiz dafür, dass sich
die Gesellschaft radikalisiert. Verschärft sich die Sprache weiter, ist das eine Art
Aufrüstung und ein Indiz dafür, dass die Gesellschaft sich zu spalten droht. Die
Sprache ist dafür eine Art Frühwarnsystem – und es gehört möglicherweise zur
Bildung, an Sprache politische Tendenzen erkennen zu können. Wenn wir zum
Beispiel feststellen, dass wir über bestimmte politische Themen nicht mehr so frei mit
Freunden und Verwandten sprechen können wie früher, weil uns jemand aus jeder
Äußerung einen ideologischen Strick dreht, dann haben sich ganz offenbar die
Fronten verhärtet. Und die Rechten haben ihre Anhänger sprachlich inzwischen
ebenso auf Linie gebracht wie die Linken.
Und so kommt es eben, dass die beiden radikalen Lager links und rechts sehr
undifferenzierte Wahrheiten vertreten: Für die extreme Linke sind alle Migranten ein
Segen, für die extreme Rechte sind alle Migranten ein Fluch. Dass die Wahrheit in
der Mitte liegen könnte, ist für Extremisten schwer zu erfassen. Die radikale Linke
leugnet generell kulturelle Unterschiede zwischen Menschen, weil nach alter
kommunistischer Lesart alle Menschen gleich sind. Der Gedanke verlangt die totale
Integration. Die Rechtsradikalen bestehen dagegen auf harten Grenzen, und sie
wollen die Unterschiede besonders betonen. Dieser Gedanke ist im Kern
separatistisch, es geht um die totale Abgrenzung.
Integration und Abgrenzung sind Gegensätze, über die man sprechen könnte, und
möglicherweise ist ja weder das eine noch das andere in seiner Extremform klug.
Aber die Fronten sind verhärtet, und so kommen Linke und Rechte eben nicht
miteinander zusammen. Obwohl es gut wäre. Doch da beide Seiten totalitär denken,
also kompromisslos, verhärtet sich die Lage immer mehr.
Wie Sprache im Totalitarismus funktioniert, wissen wir vor allem von Victor
Klemperer und LTI. LTI heißt Lingua Tertii Imperii, was Lateinisch ist und heißt "Die
Sprache des Dritten Reiches". Klemperer entlarvt die demagogische Funktion der
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Sprache bei den Nationalsozialisten. Die angeblich frewilligen Spenden ans
"Winterhilfswerk" beispielsweise waren durchaus nicht freiwillig – der soziale Druck
war so groß, dass man sich kaum vor dem Spenden drücken konnte, ohne Nachteile
befürchten zu müssen. Zudem galt die Norm, dass es sich "gehörte", dabei
mitzumachen. Die Nazis haben hier also den Begriff des "Freiwilligen" verfälscht, und
das Volk hat dabei mitgemacht. So entlarvt Klemperer zahlreiche Manipulationen der
Nazis durch Sprache.
Oder nehmen wir Joseph Goebbels, den Großmeister deutscher
Meinungsmanipulation. Im Jahr 1943 veröffentlichte Goebbels ein kleines Heftchen
mit dem Titel "Dreißig Kriegsartikel für das deutsche Volk". In Artikel 13 schreibt er:
"Wer über den Krieg und seine Aussichten spricht, soll seine Worte stets so wählen,
als wenn der Feind mithörte. Denn in vielen Fällen hört er tatsächlich mit; jede unbedachte Redewendung von unserer Seite gibt ihm neuen Mut und Auftrieb und wirkt
deshalb kriegsverlängernd."
Es geht also um die demagogische Macht der Worte. Dem ideologischen Denken
geht es darum, was wir sagen und was wir nicht sagen. Was ein Regime will, dürfen
wir sagen; was es nicht will, dürfen wir nicht sagen. Im Totalitarismus sagt der
Mensch am Ende nur noch, was der Doktrin entspricht, wenn er überleben will. Die
einseitige Sicht der Ideologie wird zur Wahrheit. Was die Nazis betrifft, war deren
Informationsverarbeitung bekanntermaßen äußerst selektiv. Daher bietet sich die
Nazi-Propaganda so gut an zur Demonstration dessen, wie ideologisches Denken
funktioniert.
In seinem Buch "Davon haben wir nichts gewusst!" schreibt der Historiker Peter
Longerich über die Stimmungsberichte des Sicherheitsdienstes der SS: "Die
offiziellen Stimmungsberichte spiegeln daher in erster Linie die diskursiven
Mechanismen unter dem NS-Regime wider: Sie wirkten mit an der Etablierung einer
master narrative, einer herrschenden Erzählung, die alternative Diskurse nicht
zulassen konnte."
Was ist ein Narrativ? Ein Narrativ ist die grundlegende Story, die als Wahrheit gelten
soll. Ein Narrativ der Nazis waren der Antisemitismus und der selbstverständliche
Endsieg. Ein Narrativ der Kommunisten ist die Bosheit des Kapitalismus. Ein Narrativ
Nordkoreas ist die Liebe zum Großen Führer. Ein Narrativ der Islamisten ist der
notwendige Kampf gegen Ungläubige. Ein Narrativ der extremen Rechten ist der
notwendige Kampf gegen alles Fremde.
Auch der Vorwurf "Lügenpresse" ist ein Narrativ. Es mag sein, dass die
Informationsauswahl mancher Medien selektiv ist und Medien handwerkliche Fehler
machen, aber im historischen Rückblick waren eher rechtsextreme Medien wie der
"Völkische Beobachter" und "Der Angriff" Lügenpresse, da genau diese Medien den
Leuten die abenteuerlichsten Lügen aufgetischt haben, wie zum Beispiel das
weltfremde Gerede vom "Endsieg" noch 1945. Die Motivation damals war die
Hoffnung auf eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Solange man nur jedes Wort
von einer Niederlage unterdrückt, verstärkt sich der Gedanke des Sieges. "Gerüchte
verbreiten ist Landesverrat", steht daher in einem alten Nürnberger Luftschutzraum
an der Wand.
Ebenso ist es ein Narrativ, dass sich die deutsche Nation gegen alles Fremde abschotten sollte, weil sie im Niedergang begriffen sei. Die "Islamisierung des Abend7
landes" ist ebenso ein Narrativ wie die Behauptung, sämtliche Zuwanderer seien
hoch qualifizierte Fachkräfte. Beide Behauptungen sind angesichts ihrer Pauschalität
ideologieverdächtig. Mit all diesen Narrativen will uns jemand politisch indoktrinieren
– von links und von rechts. Uns also eine Doktrin einpflanzen.
Entsprechend ist unsere Sprache voller Propaganda. Je mehr sich die Gesellschaft
polarisiert, desto einseitiger und kompromissloser wird die Sprache. Als Beispiel sei
erwähnt das radikale Gendern – also die unbedingte Durchsetzung von
Schreibweisen wie "StudentInnen" mit großem Binnen-I oder Formulierungen wie
"Studierende", die das Geschlecht insgesamt negieren. Zudem geht es ums
Denglisch, also Mischformen von Deutsch und Englisch wie im Wort "To-do-Liste"
und um englische Wörter in deutschen Sätzen wie bei "Ich checke meine E-Mails".
Beides sind Versuche sprachlicher Bevormundung, oft sogar mit staatlicher Gewalt
durchgesetzt, indem Behörden die Sprache vorgeben.
Nehmen wir das Gendern. Es greift um sich in zwei Stufen. Stufe 1 ist: Erst
eliminieren wir das Männliche und betonen das Weibliche. Wir sagen also nicht
"Studenten", sondern erst "Studentinnen und Studenten" und schließlich
"StudentInnen" mit großem Binnen-I oder Sternchen. Stufe 2 ist: Wir tilgen alles
Geschlechtliche aus der Sprache und landen bei den "Studierenden".
Warum gendert die Linke? Ganz einfach: Weil sie eben in der Tradition des
Kommunismus davon ausgeht, alle Menschen seien gleich. Diese Gleichheit will die
Linke auch in der Sprache erreichen. Daher nivelliert die Linke die Unterschiede
zwischen Menschen.
Sogar die Nachsilbe "ling" hält die Linke für diskriminierend, also will sie sie aus der
Sprache tilgen: Statt von "Flüchtlingen" sollen wir von "Flüchtenden" sprechen, weil
die Silbe "ling" Menschen klein und passiv mache wie im Wort "Säugling". Doch was
an einem tonnenschweren "Findling" ist klein? Was an einem "CD-Rohling" oder an
einem "Maronenröhrling" ist passiv? Denken wir das Gendern zu Ende, sind natürlich
auch "Helfer" verboten, weil das Wort die Frauen ignoriert – und wir sagen "Flüchtendenhelfende" statt "Flüchtlingshelfer". Die politisch korrekte Linke übt sich hier in
einem technokratischen Ansatz und beweist nebenbei ihren Mangel an Sprachgefühl
und an Liebe zur Sprache.
Aus dem Postulat der Linken, die Menschen seien gleich, folgt logischerweise, dass
neben dem Geschlecht auch weitere Eigenheiten von Menschen zu negieren sind –
beispielsweise Nationalitäten und kulturelle Eigenheiten. Wenn alle Menschen gleich
sind, spielt auch ihr kultureller Hintergrund keine Rolle. Das ist das linke Dogma, dem
ausgerechnet Alice Schwarzer massiv widerspricht, die wichtigste Frauenrechtlerin
Deutschlands.
Außerhalb der linken Szene, also rechts und in der Mitte, denken viele die
Menschen: Menschen sind nicht gleich. Sie sind zwar gleich viel wert, aber sie sind
eben nicht gleich. Das ist ein Unterschied. Menschen sind verschieden, und zwar
deutlich: Sie haben verschiedene Bedürfnisse und lassen sich nicht einheitlich nach
Schema F behandeln. Und ihre soziale Prägung motiviert sie oft zu dem, was sie tun.
Daher könnte es wichtig sein zu sagen, welchen Hintergrund jemand hat, der etwas
tut.
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Rechts und in der Mitte der Gesellschaft fragen sich die Menschen: Warum wollen
die Linken unbedingt diese Nivellierung? Gehört der Pluralismus, die Vielfalt nicht zu
unserer Gesellschaft?
Je weiter wir nach rechts kommen, desto härter ist natürlich die Kritik am
Gleichheitsgedanken der Linken. Die Agitation von rechts propagiert den
Nationalismus in der Sprache, also eben die Abgrenzung. Frauen sind Frauen, also
wollen die Rechten das Geschlecht nicht aus der Sprache entfernen. Für stramm
Rechte gibt es nach wie vor das deutsche Mädel. Für Rechte sind Sinti und Roma
nach wie vor Zigeuner, und sie bemühen als Argumente den "Zigeunerjungen" der
Sängerin Alexandra und das "Zigeunerschnitzel" in einem rustikalen deutschen
Wirtshaus. Muslime sind für stramm Rechte nach wie vor Mohammedaner – während
sich die Sprache natürlich entwickelt und bewegt und sich die Konnotationen
verändern – schließlich "wichst" heute auch kaum noch jemand seine Schuhe.
Neben der Abscheu gegenüber Veränderung soll die deutsche Sprache aus Sicht
der Rechten bitte deutsch bleiben – und das zeigt sich vor allem im Denglisch-Hass.
Es gibt keine "Briefings", sondern "Einweisungen". Man versendet keine "E-Mails",
sondern "Elektropost". Das "Internet" heißt "Weltnetz", und eine "Website" heißt
"Weltnetzseite". Das Prinzip lautet: Ausländer raus – aus der deutschen Sprache.
Also ist Denglisch verboten, ebenso wie andere Fremdwörter.
Außerhalb der rechten Szene, also links und in der Mitte, denken die Menschen:
Was soll diese Abgrenzung? Diese Angst vor dem Fremden? Wozu eine Quote für
deutsches Liedgut im Radio? Nicht nur die Linke, sondern auch die Mitte der
Gesellschaft will diese radikale Abgrenzung nicht. Das Leben findet ja meistens eben
hoch integrativ statt: Musiker und Sportler beispielsweise arbeiten international,
verständigen sich in zahlreichen Sprachen, und die Internationalität und das
Interkulturelle sind auch fürs gemeinschaftliche Geben und Nehmen in
wirtschaftlicher Hinsicht richtig, schön und gut. Die Vielfalt verkörpert den
Pluralismus, den die Bundesrepublik Deutschland will.
Das große I der Linken in der Wortmitte, das Sprachliebhabern Übelkeit erzeugt, das
Denglisch-Verbot der Rechten – beide Tendenzen sind Anzeichen dafür, dass sich
die linke und die rechte Ideologie zunehmend radikalisieren, indem sie uns
Sprachvorschriften machen. Die Linken werfen den Rechten vor, sie erkennen, ohne
zu gendern, die Frau nicht als gleichberechtigt an. Die Rechten werfen den Linken
vor, sie verrieten die deutsche Sprache, die eben das Wort "Fräulein" kennt.
Beide Seiten beschimpfen einander im Internet. Treffen dort Rechte und Linke
aufeinander, geschieht verbal, was Anfang der Dreißigerjahre im Wedding physisch
geschah – sie gehen aufeinander los.
Zum Glück heißt es in Artikel 5 des Grundgesetzes: "Jeder hat das Recht, seine
Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten." Demnach sind
Sprachvorschriften jeder Art verfassungswidrig. Wir sind frei, was unsere Worte
angeht. Und diese Freiheit sollten wir uns nicht nehmen lassen.
Zum Glück also müssen wir nicht gendern, wie es die Berliner Professorin Antje
Hornscheidt verlangt, die "Professx" statt "Professor" oder "Professorin" lesen will.
Zum Glück auch müssen wir nicht das Denglisch aus unserer Sprache verbannen.
Wir sind in diesem Punkt frei und müssen uns keine Vorschriften machen lassen.
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Insgesamt geben den Ton in der Sprachdebatte also zunehmend Extremisten an,
und zwar von links und von rechts. Und das ist nicht gut. Schulen, Universitäten und
der Gesetzgeber folgen bisher meist der linken Strömung. Das geht so weit, dass
Fußgänger in der Straßenverkehrsordnung nun zu Fuß Gehende heißen. Das bringt
die Rechten auf die Palme. Zugleich steigen manche Politiker auf die Forderung
nach einer Deutsch-Quote im Radio ein, was wiederum die Linken schäumen lässt,
von denen einige das Deutsche nicht allzu sehr schätzen. Die Mitte jedoch, die die
Sprache ganz normal nutzt, weder links- noch rechtsideologisch, schweigt. Und das
ist schade.
Eine liberale Sprache, eine tolerante Sprache der Mitte erträgt ein wenig Denglisch,
und sie erträgt auch ein wenig Genderei. Eine Sprache der Mitte sagt punktuell
"Studentinnen und Studenten", erhebt das Gendern aber nicht zum Fanatismus. Sie
zeigt, dass Frauen gleichberechtigt sind, diskriminiert niemanden und steht zum
Unterschied zwischen biologischem und grammatikalischem Geschlecht. Eine
liberale Sprache der Mitte verwendet nicht aus Trotz alte Wörter, die inzwischen
diskriminierend wirken. Übrigens hält sich auch Alice Schwarzer in ihrem Buch mit
dem Gendern sehr zurück.
Zugleich schützt eine Sprache der Mitte deutsche Idiome und vermeidet Denglisch,
wo es lächerlich wirkt oder es eine einfache und gleichbedeutende deutsche
Alternative gibt. Es ist Unsinn, "strategy" zu sagen, wenn es auch die "Strategie" tut.
Eine Sprache der Mitte driftet nicht in extremistischen Nationalismus ab. Die Sprache
leidet unter dem Wort "Weltnetz" statt "Internet" ebenso wie unter dem Wort "zu Fuß
Gehende" statt "Fußgänger". Beides ist ideologischer Quark. Eine Sprache der Mitte
ist nicht ideologisch.
Maßvoll sind einige Ansätze zur Gleichberechtigung klug – es sollte nur keine
Gleichmacherei werden. Und maßvoll sind auch einige Ansätze zur Rettung der
deutschen Sprache sinnvoll, die ein wundervolles Kulturgut ist. Nur die Extreme sind
schlimm, die alles gewaltsam gleichzumachen oder zu trennen versuchen.
Es ist eine bekannte Redensart, dass unsere Gedanken unsere Worte bestimmen
und unsere Worte unsere Taten. Eben darum wollen Ideologen unsere Sprache
beherrschen. Es geht um die Deutungshoheit über die gesamte Kommunikation. Es
geht um Meinungskontrolle wie in jeder Diktatur oder in Orwells 1984. Zurzeit sind wir
auf dem Weg dorthin.
Wer Sprache prägt, ob als Deutschlehrer oder Autor von Gesetzestexten, sollte
möglicherweise wissen, dass er mit dem Gendern den Linken folgt und mit der
Deutsch-Quote den Rechten. Wer Sprache prägt, sollte wissen, dass es hier um
einen Kampf der Ideologen geht. Wer in diesen Tagen mit Sprache zu tun hat – ob
als Lektor, Redakteur oder Lehrer – könnte sich einem Gedanken annähern, der
höchst versöhnend wirken könnte: einer Sprache der Mitte, die uns die Freiheit lässt,
unideologisch zu sprechen und zu schreiben.
Wenn wir nicht wollen, dass unsere Gesellschaft weiter auseinanderbricht, sollten wir
die integrative Kraft der Sprache nutzen und sie ganz normal verwenden –
handwerklich korrekt und ohne ideologisch motivierte Manipulationen.
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Thilo Baum, geb. 1970, studierte Theaterwissenschaft und Publizistik in Berlin und
arbeitete mehrere Jahre als Journalist bei einer Berliner Zeitung. 2004 wechselte
Thilo Baum in die Selbständigkeit und schult Journalisten und PR-Leute, er hilft
Unternehmen in Seminaren und Workshops, besser zu kommunizieren. Er
unterrichtete an der SKlara"-Journalistenschule und ist Autor mehrerer Bücher.
Bücher (Auswahl):
– Komm zum Punkt! Das Rhetorik-Buch mit der Anti-Laber-Formel. RelevanzVerlag,. 4. Auflage, 2016.
– Mach Dein Ding! Der Weg zu Glück und Erfolg im Job. Eichborn-Verlag. 2010.
Internet:
www.thilo-baum.de
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