Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Krankheiten "zum aus der Haut fahren"
Pusteln, Quaddeln und andere Qualen
Von Margrit Braszus
Sendung: Mittwoch, 13. Mai 2015, 08.30 Uhr
Wiederholung: Mittwoch, 24. August 2016, 08.30 Uhr
Redaktion: Sonja Striegl
Regie: Autorenproduktion
Produktion: SWR 2015
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MANUSKRIPT
O-Ton 1 - Collage mit Klängen:
a) Angelina (19 Jahre):
Nachts fängt es an, dass mein Körper überall so kleine Pickelchen bekommt. Das
sieht so aus, als ob ich in Brennnessel geflogen wäre, und es juckt sehr stark. Man
juckt sich automatisch nachts blutig und wacht dann auf.
b) Wolfgang Vanscheidt (Dermatologe):
Wir duschen alle, möglichst jeden Tag, darauf ist unsere Haut eigentlich nicht
eingerichtet, das heißt, das führt häufig zu Juckreiz, gerade bei älteren Menschen.
c) Nadja Bindner (26 Jahre):
Überall rote Flecken, es war rissig und man hat geblutet, man musste aufpassen. Es
war bei mir von Kopf bis Fuß, sogar zwischen den Fußzehen.
Sprecher (Klaus Müller-Williams):
„Krankheiten ‚zum aus der Haut fahren‘ - Pusteln, Quaddeln und andere
Qualen“. Eine Sendung von Margrit Braszus.
Atmo I: Hautklinik, Krankenhaus
O-Ton 2a) Atmo: Sprechstunde Hautambulanz Heidelberger Uniklinik
(Klopfen) „Hallo schönen Tag Frau Bindner…wie geht’s Ihnen, nehmen Sie doch
gerne Platz. - „Soweit ganz gut, danke“.
Autorin über Atmo:
Sprechstunde in der Hautambulanz der Universitätsklinik Heidelberg. Einmal pro
Woche kommt Nadja Bindner zur Kontrolle hierher.
O-Ton 2b) Sprechstunde, weiter:
Am besten berichten Sie doch mal, wie es Ihnen in der letzten Zeit ergangen ist? Also es ist schon wesentlich besser geworden, und ab und zu kommt noch ein
bisschen war raus, aber ansonsten bin ich ganz zufrieden. (etc. blenden)
Autorin (über Krankenhaus-Atmo):
Nadja Bindner hat Neurodermitis, seit ihrer Geburt leidet sie daran. Neurodermitis auch atopisches Ekzem genannt - verläuft chronisch und schubweise, wobei sich
ganze Hautpartien brennend rot entzünden, nässen und jucken. Durch einen
Gendefekt ist die Hornschicht, die als Barriere der Haut gegen Schadstoffe schützt,
aufgelockert und durchlässig. So können Allergene leichter eindringen und
entzündliche Reaktionen hervorrufen. Wie die meisten an Neurodermitis erkrankten
Menschen, ist Nadja Bindner zusätzlich gegen bestimmte Zusatzstoffe in
Lebensmitteln und gegen Hausstaubmilben allergisch. Bislang gab es nichts, was
der 26-Jährigen wirklich geholfen hätte:
O-Ton 3 - Nadja Bindner:
Bluteigentherapie, Urineigentherapie hab ich ausprobiert, dann mit UV-Licht, das war
zweimal wöchentlich. Kortison-Salbe habe ich über zwanzig Jahre lang genommen,
und die macht die Haut natürlich dünn und brennt jedes Mal fürchterlich. Also wenn
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ich als Kind eingecremt worden bin, und die Haut war offen und blutig und Kortison
kam drauf, war ich heulend dagestanden und meine Mutter musste versuchen, mich
irgendwie zu beruhigen. Und dann wurde es vor zwei Jahren so schlimm, dass die
Haut am Pullover festgeklebt ist, und ich kaum noch hätte arbeiten gehen können.
Autorin:
In der Heidelberger Hautklinik wurde ihr angeboten, an einer Studie für
Neurodermitis-Patienten teilzunehmen. Seit einem halben Jahr spritzt Nadja Bindner
sich nun selbst einmal pro Woche eine Substanz unter die Bauchdecke. Regelmäßig
prüfen Klinikärzte, ob ihre Haut sich beruhigt, ob die Schübe nachlassen. Das neue
Medikament enthält Antikörper, die das Molekül Tumornekrosefaktor, kurz TNFalpha, außer Kraft setzen. Es ist im Immunsystem an Entzündungsprozessen
beteiligt. Prof. Knut Schäkel, Oberarzt der Hautklink und Leiter der Studie:
O-Ton 4 - Knut Schäkel (Hautklinik Heidelberg):
Das wissen wir von der Schuppenflechte, dass unter der Blockierung von TNF-alpha,
ein Entzündungsbotenstoff, dass dort die Schuppenflechte sozusagen wegschmolz,
es wurde ganz hervorragend besser. Und das ist eine Therapie, die über Jahre
fortgeführt werden kann. Da gibt es nicht nur ein Medikament, sondern eine ganze
Handvoll Medikamente. Es gibt Botenstoffe, die sind ganz allgemein bei Allergien gerade auch beim allergischen Asthma wichtig - und aus den Asthmastudien wissen
wir, wenn wir bestimmte Rezeptoren dort blockieren, ganz gezielt, dass das Asthma
besser wird. Das gleiche machen wir jetzt hier in Heidelberg auch bei der
Neurodermitis, und haben da sehr gute Erfolge.
Autorin:
Bei Nadja Bindner schlägt die Therapie an - die allergischen Schübe sind deutlich
weniger geworden, die unzähligen juckenden Quaddeln auf ihrer Haut haben sich
zurückgebildet.
O-Ton 5 - Nadja Bindner:
Es ist für mich wirklich so, dass es einen Hoffnungsschimmer hat, dadurch dass so
vieles nicht funktioniert hat, weil man da wirklich jeden Tag drauf achten musste, was
man macht, was man zu sich nimmt, wie man sich bewegt, was man anzieht, wie
man sich wäscht, was für Produkte man kauft, wo man die Kleidung mit waschen
kann. Und dieses Nässen, es war einfach nervig und auch zeitaufreibend. Einmal in
der Woche spritzen nehme ich gern in Kauf, dafür, dass alles andere wegfällt, vor
allem auch die Kortison-Salbe wegfällt.
Autorin:
Starke Hautausschläge, wie sie z. B. bei Neurodermitis oder Schuppenflechte
auftreten, werden meist mit Kortison behandelt - einem Steroidhormon, das
Entzündungen hemmt. Kortison wirkt akut, bringt schnell Linderung, doch dauerhaft
angewendet kann die Haut dünn und noch empfindlicher werden. Daher setzen
Dermatologen bei der Weiterbehandlung immer öfter Mittel aus der Naturheilkunde
ein. Etwa Wolfsmilchextrakt oder Korianderöl, aber auch neue Immunsuppressiva,
wie Calcineurin-Antagonisten, die gut in die entzündete Haut eindringen und kaum
Nebenwirkungen haben. Salben und Tinkturen helfen jedoch nur, wenn sie
regelmäßig und richtig dosiert angewendet werden - weshalb die Therapie individuell
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auf den einzelnen Patienten abgestimmt sein muss. Der Heidelberger Hautarzt Knut
Schäkel schildert das Leiden seiner Patienten:
O-Ton 6 - Knut Schäkel:
Das Schlimme bei diesen Hauterkrankungen ist ja, dass sie chronisch verlaufen, es
ist nichts, was wie ein Mückenstich nach einer Woche weg ist, sondern das Ekzem
begleitet die Kinder. Die Schuppenflechte begleitet die Erwachsenen viele Jahre
lang, die trauen sich nicht mehr ins Freibad zu gehen, viele dieser Menschen sind
depressiv, die sind es leid, immer zu schmieren, die wissen, sie haben dadurch nur
eine kurze Hilfe. Was wir machen, ist, dass wir die Patienten entsprechend
motivieren und beraten, wie sie mit dieser ganzen Batterie von Pflegemitteln und
wirkstoffhaltigen Salben dann in der richtigen Reihenfolge und in der konsequenten
Therapie dann auch glücklich und zufrieden sind und die Haut eine Linderung erfährt.
Autorin:
Allergische Erkrankungen und Hautausschläge nehmen zu in Deutschland.
Neurodermitis hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren verdoppelt, auch
Schuppenflechte, Nesselsucht und Kontaktekzeme sowie Asthma und Heuschnupfen
treten immer häufiger auf. Jedes vierte Kind in Europa leidet an Allergien. In
Deutschland haben rund ein Drittel der Erwachsenen im Lauf des Lebens mit
Allergien zu tun, zeigt die jüngste Gesundheitsstudie des Robert-Koch-Instituts aus
2013, wobei Frauen um 10 Prozent häufiger betroffen sind als Männer. Immunologen
und Dermatologen suchen nach Ursachen:
O-Ton 7 - Knut Schäkel:
Das Immunsystem reagiert heftig auf etwas, was eigentlich völlig harmlos ist. Wieso
sollte das Immunsystem denn an der Haut oder über die Atemwege Pollen
bekämpfen oder Hausstaubmilbenkot, das ist eine Fehlregulation. Wir suchen die
Ursachen einmal in der Umwelt, dass wir kucken „was hat sich an der Umwelt
verändert“, „werden die Allergene immer wilder“, wir suchen in den Genen und
schauen „wieso wird denn das eigentlich vererbt, was ist denn verändert“, und wir
suchen nach dem Zusammenspiel zwischen den beiden Dingen und schließlich an
der Haut „was ist da verändert“.
Autorin:
Die Haut ist mit fast zwei Quadratmetern das größte Organ des Menschen. Sie
schützt vor Verletzungen, reguliert die Körpertemperatur, übermittelt Empfindungen
wie Wärme, Kälte oder Schmerz. Zudem schirmt sie den Körper gegen schädliche
Eindringlinge und Umweltfaktoren ab. Doch immer häufiger scheint dieser
Schutzmechanismus außer Kontrolle zu geraten. Dann richtet sich die Körperabwehr
gegen harmlose Eindringlinge und verursacht Entzündungsreaktionen, die auf der
Haut sichtbar werden. Dies betrifft vor allem Kinder, die in Städten der
Industrieländer leben. Kinder, die auf dem Bauernhof aufwachsen, bekommen
fünfmal seltener Asthma, Neurodermitis, Heuschnupfen oder andere Allergien:
O-Ton 8 - Knut Schäkel:
Man weiß: Wenn die Schwangeren sich im Kuhstall aufhalten, dann haben ihre
Kinder weniger Allergien, das ist eine ganz wichtige Information. Leider können wir
das im Moment noch nicht in eine allgemein gültige Form oder in eine allgemein
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gültige Tablette ummünzen, die wir den Kindern und Erwachsenen, den
Schwangeren geben können, um vor Allergien zu schützen.
Autorin:
Wissenschaftler aus 15 Ländern haben in einem gemeinsamen Projekt 2010
erforscht, was bei Bauernhofkindern die Immunabwehr stärkt. Das Team der
Münchner Projektleiterin Erika von Mutius fand heraus, dass Schutz vor Allergie in
den Genen liegt: Auf Bauernhöfen geborene Kinder sind im Vergleich zu
Stadtkindern häufiger mit sogenannten TLR-Rezeptoren ausgestattet. Diese
Rezeptoren erkennen Krankheitserreger und helfen dem Immunsystem, zwischen
„eigen“ und „fremd“ zu unterscheiden. Der Körper brauche bestimmte Mikroben, um
die Abwehr zu trainieren, so die Forscher. In keimfreien Stadtwohnungen sind
Bakterien und nützliche Mikroorganismen weniger zu finden als auf Bauernhöfen.
Vor zu viel Sauberkeit und übertriebener Körperhygiene warnen Dermatologen seit
langem: Häufiges Baden oder Duschen kann den Säureschutzmantel der Haut und
die Hautflora zerstören:
O-Ton 9a) - Wolfgang Vanscheidt:
Dann haben wir das Problem der Überpflege: Wir duschen alle, möglichst jeden Tag,
darauf ist unsere Haut eigentlich nicht eingerichtet.
Autorin:
Prof. Wolfgang Vanscheidt, Hautspezialist aus Breisach am Rhein:
O-Ton 9b) - Wolfgang Vanscheidt:
Das führt häufig zu Juckreiz, gerade bei älteren Menschen. Gerade die älteren
Männer im Altersheim die kratzen sich zu Tode, leiden furchtbar darunter, und die
alten Dermatologen haben empfohlen, „wasch‘ die nicht“, das können wir heute
natürlich nicht empfehlen. Aber man muss dann entsprechend nachpflegen. Mit
harnstoffhaltigen Salben oder ähnlichem.
O-Ton 10 - Werbung Pflegemittel (Frauenstimme):
Eine Frau hat durchschnittlich 17.000 Quadratzentimeter Haut zu pflegen, ganz
schön aufwändig. Neu: Garnier intensiv 7 Tage Creme-Gel, ultra-frisch und zart
schmelzend. Schnell aufgetragen, schnell eingezogen. Und du kannst dich sofort
anziehen. Ein Pflegegefühl, das bis zu 7 Tage anhält, und dir Zeit für andere Dinge
lässt…
Autorin:
Für makellose, schön gepflegte Haut sorge das „richtige“ Produkt, vermittelt die
Werbung. Derartigen Versprechungen der Kosmetikhersteller erliegen viele
Menschen; nicht nur Frauen, zunehmend auch Mädchen und Männer. Im Jahr 2014
stieg der Umsatz der Kosmetikbranche in Deutschland um 3,9 Prozent auf 1,9
Milliarden Euro. Allein für Gesichtspflege haben deutsche Verbraucher - laut
Markforschungsinstitut Nielsen - 330 Millionen Euro ausgegeben. Kosmetikartikel
können eine Kontaktallergie auslösen, bei der die Haut überempfindlich auf direkte
Berührung mit einem bestimmten Stoff reagiert: An Gesicht, Händen, Hals oder
anderen Hautstellen bilden sich Rötungen, Bläschen, Sekrete, die Haut juckt, brennt
oder schuppt sich:
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O-Ton 11 - Wolfgang Vanscheidt:
Es gibt allergische Reaktionen auf Inhaltsstoffe von den Kosmetika, und die Zahl der
Allergien folgt im Grunde der Zahl der Anwendungen von solchen Dingen, das heißt,
die Kosmetikindustrie entwickelt neue Konservierungsstoffe, und auf einmal sehen
wir diese neuen Allergien.
Autorin:
Am häufigsten werden sogenannte Methyl- und Ethylparabene eingesetzt, um
Cremes und Lotionen haltbar zu machen. Für diese Stoffe lässt die EUKosmetikverordnung einen Anteil von 0,4 Prozent pro Kosmetikartikel zu. In dieser
Dosierung sei die Anwendung unbedenklich, bestätigt das Bundesinstitut für
Risikobewertung. Trotzdem sind entzündliche Reaktionen, die auch chronisch
werden können, nicht auszuschließen - vor allem, wenn zu oft, zu viel und wahllos
gecremt und geschmiert wird:
O-Ton 12 - Wolfgang Vanscheidt:
Da gibt es eine Erkrankung, die vor 50 Jahren im Grunde unbekannt war, die
sogenannte Periorale Dermatitis oder das Stewardessen - Ekzem. Die Haut ist nicht
darauf eingerichtet, gepflegt zu werden täglich, und dann: die auf der Haut
befindlichen Bakterien, die auch der „reinste“ Mensch hat, die verändern sich, wenn
man das immer abdeckt. Die Haut mit Cremes, egal ob billige oder teure Cremes,
und das ist ein häufiges Krankheitsbild in der Dermatologischen Praxis.
Autorin:
Viel stärker noch als vor ein paar Jahren, sind Hauterkrankungen auch eine Folge
des medizinischen Fortschritts.
O-Ton 13 - Wolfgang Vanscheidt (Dermatologe):
Zum Beispiel die modernen Krebsmedikamente - sind ja ein Segen, man kann
unheimlich viel den Patienten heute helfen, allerdings ist es so, dass sie fast alle
starke Nebenwirkungen an der Haut haben, so dass die Dermatologie ein ganz
neues Feld bekommen hat durch die modernen Medikamente. Man sieht zum
Beispiel schwere akneartige Veränderungen im Gesicht, die sie auch stigmatisiert, so
dass man sagen kann: ‚Oh, der bekommt gerade eine Anti-Krebs-Therapie‘, oder
Ausschlag an den Händen und Füßen. Solche Dinge sind relativ häufig und typisch
für bestimmte Medikamente.
Autorin:
Speziell neue Krebs-Medikamente, sogenannte EGRF-Hemmer, die das Wachstum
von Krebszellen hemmen, verursachen akneartigen Hautausschlag. Das liegt daran,
dass Andockstellen für die Wirkstoffe bei einigen Tumoren und in der Haut
gleichermaßen vorkommen. Wirksame Tumorbekämpfung mit diesen Medikamenten
verursacht daher stets eitrige, entzündliche Pusteln auf der Haut, belegen Studien.
Um Hautausschlag bei Krebspatienten zu mindern, empfehlen Hautspezialisten,
zusätzlich mit Antibiotika zu behandeln.
Unter roten juckenden Ekzemen, rund um beide Augen, leidet Christa Kaltschmidt.
Die 58-Jährige ist seit 30 Jahren Diabetikerin, nimmt entsprechend lange schon
Medikamente ein, die ihren Blutzuckerspiegel regulieren. Die entzündlichen Stellen
um die Augen tauchten vor vier Jahren auf und sind seither nicht mehr abgeheilt:
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O-Ton 14 - Christa Kaltschmidt (Patientin):
Damit hat es angefangen, Tränen und Rötungen von den Augen, wurden ganz
schuppig, mit Augentropfen ging es nicht weg, bin in die Hautklinik überwiesen
worden, und die haben gesagt: Eine Allergie, haben erst einmal probiert so mit
Creme, ist natürlich nicht weggegangen, und dann wurden Allergietests gemacht, alle
möglichen, alle Sachen Kosmetik, ist aber nichts heraus gekommen. Und dann ging‘s
halt weiter mit anderen Cremes, eine immer stärker als die anderen, bis zum Kortison
zum Schluss. Und jedes Mal wenn ich mit diesen Salben oder dieser Therapie
aufgehört habe, ging es eine Woche oder drei vier Tage und dann fing das alte
Leiden wieder an.
Autorin:
Bei ihrer Odyssee durch Hautarztpraxen wurden verschiedene Hauterkrankungen
ausgeschlossen: Neurodermitis, Schuppenflechte, das seborrhoische Ekzem. Auch
die Diabetes-Medikamente seien für die rot entzündeten Stellen nicht
ausschlaggebend, wurde ihr versichert. Solange ungewiss sei, was die
Augenekzeme auslöse, könne nicht erfolgreich behandelt werden, erklärten ihr ratlos
die Ärzte. An manchen Tagen ist Christa Kaltschmidt deswegen niedergeschlagen:
O-Ton 15 - Christa Kaltschmidt:
Mich quält das einmal, dass die Augen rum, das juckt, dass die ständig tränen, es ist
unangenehm, ist schuppig, die Leute sprechen einen an, die sagen “hast du geweint,
hast du Ärger“. Dann geht das nicht nur bloß um die Augen, dann betrifft es die
Ohren mit, die platzen ständig auf, ob‘s die Ohrläppchen sind oder in den Falten von
den Ohren oder hinter den Ohren, die werden dann ganz pelzig. Es sieht für die
Leute nicht gut aus, man wird immer angesprochen, und dann denken sie ja, das ist
eklig und ansteckend, aber das ist es nicht.
Autorin:
Hauterkrankungen verändern die Haut, und damit das Aussehen: Pickel, Pusteln,
Quaddeln, sehen unschön aus, werden von anderen als abstoßend und eklig
empfunden. Menschen mit Hauterkrankungen leiden vor allem darunter, dass man es
sehen kann, sie fürchten Vorurteile und Ablehnung. Oft zu Recht, denn Menschen
mit Hauterkrankungen werden in der Öffentlichkeit häufig als schmutzig und
ansteckend wahrgenommen, bestätigt Prof. Uwe Gieler, Leiter der Abteilung
Psychosomatische Dermatologie der Universitätsklinik Gießen:
O-Ton 16 - Uwe Gieler (Hautklinik, Psychosomatik Gießen):
Also da ist das Phänomen der Stigmatisierung sehr deutlich, und Stigmatisierung
bedeutet, dass man eine erwartete Angst hat, die kann so ausgeprägt sein, dass es
zu einem klaren Rückzug aus sozialen Kontakten geht, was wir dann soziale Phobie
nennen. Das tritt vor allem bei Erkrankungen wie Schuppenflechte auf. Die
Schuppenflechte ist sehr häufig, 2-3 Prozent der deutschen Bevölkerung ist
betroffen, aber die Menschen sprechen selten darüber, weil es sehr unangenehm ist.
Über Allergien kann man sprechen und auf jeder Party wird man eher über Allergien
sprechen, aber kein Mensch wird von seiner Schuppenflechte erzählen.
O-Ton 17 - Nadja Bindner (Patientin):
Na ja, ich hab mich geschämt: Es waren überall rote Flecken, es war rissig und man
hat geblutet, man musste aufpassen wenn man die Finger bewegt, weil sonst die
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Haut aufgeplatzt ist, dann war alles verkrustet. Es war bei mir von Kopf bis Fuß, also
ich hatte es im Gesicht, ich hatte es am Hals, Rücken, Bauch, Beine, Arme, am
meisten an den Armen, Kniebeugen, Fingern und sogar zwischen den Fußzehen.
Autorin:
Nadja Bindner fühlte sich nicht wohl mit ihrem Körper, wegen ihrer roten Pusteln und
schorfigen Haut wurde sie am Arbeitsplatz gemobbt, was sie zusätzlich belastete. Je
unsicherer sie wurde, desto stärker reagierte ihre Haut mit weiteren Entzündungen.
Das führte dazu, dass sie ihre Arbeit als Bäckereigehilfin aufgeben musste. Ein
erhöhter Pegel an Stresshormonen wirkt sich auf entzündliche Hauterkrankungen
aus: Dann blühen Ekzeme auf, Krankheitsschübe häufen sich, Juckreiz steigert sich.
Forscher der Hautklinik Hamburg konnten nachweisen, dass sich
Entzündungsmoleküle und Abwehrzellen im Blut von Menschen mit Schuppenflechte
oder Neurodermitis erhöhten, sobald sie sich stark belastet fühlten. Der
Zusammenhang zwischen Hirn und Haut ist biologisch festgelegt:
O-Ton 18 - Uwe Gieler:
Die Verbindung zwischen der Haut und unserem Nervensystem entsteht im Grunde
genommen schon mit unserer menschlichen Entwicklung also im Embryonalstadium,
weil das zentrale Nervensystem und die Haut eng verknüpft sind, also einen
gemeinsamen Ursprung haben, die sie sehr eng verbindet. Und später im
erwachsenen Leben haben wir pro Quadratzentimeter Haut fünf bis 50
Nervenendigungen, die sehr aktiv sind und die uns über die Nervenbotenstoffe, die
durch das Gehirn ausgelöst und gesteuert werden, natürlich solche Reaktionen
vermitteln können.
Autorin:
Kaum ein anderes Organ ist so empfindlich für äußere oder innere Reize, die Haut ist
hochsensibel - und sie ist ein Kommunikationsorgan: Über die Haut lässt sich
ablesen, in welcher Gefühlslage ein Mensch sich befindet, indem er in peinlichen
Situationen errötet, in bedrohlichen Situationen erblasst, indem sich in ablehnender
Haltung die Haare sträuben, oder bei Angst Gänsehaut entsteht.
Haut und Psyche sind eng miteinander verbunden, bei vielen chronisch
entzündlichen Hauterkrankungen spielen ungelöste Konflikte eine Rolle, erklärt der
Gießener Dermatologe und Psychosomatiker Uwe Gieler:
O-Ton 19 - Uwe Gieler:
Das typische Beispiel sind die Handekzeme, dass es manchmal tatsächlich darum
geht, dass ich nicht handlungsfähig mich fühle, dass ich nicht handeln will, ich
möchte keine Veränderung in meinem Leben, obwohl mir meine Lebenssituation gar
nicht gefällt, und dann entstehen plötzlich Bläschen, die so wahnsinnig jucken
zwischen den Fingern, und erst nach und nach kann ich mir klarmachen, dass es
damit zusammenhängt, dass ich nichts anpacken nicht in die Handlung gehen will,
wo das Wort Hand ja auch drinsteckt.
Autorin:
Dass psychische Faktoren und Hautleiden tatsächlich eng zusammen hängen, belegt
eine neue europäische Studie der Universität Oslo von 2014, bei der 3.600
Probanden mit Hautkrankheiten untersucht wurden: Jeder dritte Hautkranke leidet
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auch unter seelischen Problemen, so das Ergebnis. Die Forscher stellten außerdem
fest, dass der Anteil von Menschen mit Depressionen unter den Hautkranken mehr
als doppelt so hoch war, und Angsterkrankungen oder Selbstmordgedanken
anderthalbmal so häufig vorkamen wie in der Kontrollgruppe. Neben der
hautärztlichen Behandlung ist bei Hauterkrankungen daher in vielen Fällen
psychologische Hilfe unerlässlich:
O-Ton 20 - Uwe Gieler (Dermatologe, Psychologe):
Fünf Prozent aller deutschen Hautärzte haben eine gewisse Grundausbildung in
Psychosomatik und können diese Probleme schneller oder leichter erkennen, aber
auch jeder erfahrene Hautarzt oder -ärztin wird in der Lage sein, ein Problem hinter
der Hauterkrankung zu erkennen, und wird eine weitere Behandlung durch
Psychotherapie verordnen. Bei vielen Hauterkrankungen helfen auch
Entspannungsverfahren ganz enorm, vor allem die progressive Muskelentspannung
aber auch das Autogene Training, Yoga oder Pilates helfen.
Autorin:
Haut kann wie ein Panzer abschirmen - nicht nur vor Erregern, sondern auch vor
Nähe und Gefühlen: einen Menschen, der vorwiegend Emotionen abwehrt, nichts an
sich heranlässt, beschreibt der Volksmund als „dickhäutig“, sensible Menschen als
„dünnhäutig“. Sprechen die Charakterzüge eines Menschen für seine offene,
geradlinige Art, wird er als „ehrliche Haut“ bezeichnet. Haut wird in der modernen
Gesellschaft aber auch immer mehr als persönliche Fassade genutzt, um eine
bestimmte Lebenseinstellung auszudrücken oder ein Wunschbild von sich selbst.
Atmo II: Tattoo-Studio, Nadel surrt
O-Ton 21 - Kai John (Tätowierer, 32 Jahre):
Ein Tattoo ist für mich Ausdruck meiner Persönlichkeit, und wenn ich ein passendes
Tattoo habe, ist es, wie wenn ich schöne angepasste Kleidung habe, dann wirke ich
einfach viel selbstbewusster, und stehe auch zu mir, das ist genauso wie ich meine
Haare trage, welche Brille ich mir kaufe oder Kleidung, das gleiche ist mit dem
Tattoo, da zeige ich einfach ein Stück von mir nach außen. Das ist ja auch Sinn und
Zweck beim Tätowieren, sich nicht zu uniformieren, sondern sich zu individualisieren.
Autorin:
Kai John ist Tätowierer in Weil am Rhein, jeder Quadratzentimeter Haut an seinen
Oberarmen und Schulterblättern ist mit kunstvollen Tattoos bedeckt. In seinem
Tattoo-Studio bearbeitet der 32-Jährige die Haut eines Kunden mit einer elektrisch
pulsierenden Nadel, die sich in die oberste Hautschicht bohrt und Farbe hineinspritzt.
Kleine Bluttropfen, die aus der Haut treten, tupft Kai John ab.
O-Ton 22 - Kai John:
Jetzt tu ich ausschattieren. Die Linien habe ich in der ersten Sitzung gemacht, frei
Hand nach seinen Vorstellungen. Und dann schaut er sich‘s an, ob es ihm gefällt und
dann sticht man erst mal die Umrisse, in der zweiten und dritten Sitzung werden die
Schattierungen gemacht.
Regie: Nadel surrt weiter, darüber
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Autorin:
Zwei bis vier Stunden dauert eine Sitzung. Tätowiert werden sei nicht schmerzhaft,
versichert Kai John, ein paar Stunden danach könne die Haut brennen und ziehen,
wie bei einem Sonnenbrand. Für eine dauerhafte Pigmentierung muss die Farbe mit
einer Nadel in die Dermis, die tiefer liegende Hautschicht, injiziert werden. Dazu
muss die Oberhaut durchtrennt werden. Die Haut wird also immer oberflächlich
verletzt, was zu Infekten führen kann. Allergische Reaktionen durch Tätowierung und
Piercing sind nach wie vor nicht auszuschließen, warnt der Hautspezialist Wolfgang
Vanscheidt:
O-Ton 23 - Wolfgang Vanscheidt (Dermatologe):
Das darf man nicht unterschätzen, manch einer lässt sich ja auch leichtfertig im
Urlaub irgendwo tätowieren, und holt sich möglicherweise auch noch Infektionen. Es
gibt dann auch entstellende Knötchen im Bereich von Tätowierungsfarbstoffen, das
sind sog. Granulome. Durch das Piercen gibt es nicht immer schöne Narben,
manchmal hässliche entstellende Veränderungen die weit über die eigentliche Narbe
hinaus wuchern können.
Autorin:
Tätowieren, piercen, liften, schälen, glätten, rasieren - der Haut wird allerhand
zugemutet.
O-Ton 24 - Werbung Lady shave (Frauenstimme):
„Deine Rasur wird so leicht dank eines Haut-Conditioners, mit neuen sichtbaren
Bändern schäumt und rasiert er in nur einem einzigen Schritt, für spürbar sanfte Haut
im Handumdrehen. Damit bleibt mehr Zeit für das, was dir wirklich wichtig ist. Erlebe
jetzt, wie einfach rasieren sein kann.“
O-Ton 25a) - Eiko Petersen (Gynäkologe):
Der Intimbereich hat sich ja in den letzten Jahren oder Jahrzehnten deutlich
verändert, es ist kein Tabubereich mehr, Frauen wollen einen schönen Intimbereich
haben, viele Frauen rasieren sich, das sind so Entwicklungen, die ich gar nicht mag.
Autorin:
Prof. Eiko Petersen, Gynäkologe und Hautspezialist aus Freiburg:
O-Ton 25b) - Eiko Petersen (Gynäkologe):
Da kommt es ja zu Problemen, durch das Rasieren der kurzen Haare biegen sie sich
um, und dann stechen die Haare durch die Haut und dann kommt’s zu Infektionen,
dann haben die lauter Pickel da unten, weil Hautkeime, die nun mal häufig auf der
Haut sind, die man auch gar nicht wegbringt, die kommen dann leicht in die Tiefe der
Haut rein und dann führen die zur Infektion.
Autorin:
Nicht selten führt die Intimrasur zu Hautverletzungen, es entstehen Risse, Fissuren
oder tiefe Schrunden, die sehr schmerzhaft sind, weil die Haut des Genitalbereichs
besonders empfindlich ist, so der Freiburger Spezialist. Er rät davon ab, die Haut an
intimen Stellen durch modisch diktierte Maßnahmen und falsche Pflege zusätzlich zu
traktieren:
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O-Ton 26 - Eiko Petersen:
Es ist ein außerordentlich beanspruchter Körperbereich durch die Funktion
Wasserlassen, Stuhlgang, Sexualkontakte, und diese Haut wird enorm strapaziert beim Laufen wird auch das Genital, werden die Schamlippen ja bewegt. Wenn sie
dann eben nicht elastisch sind oder die Haut nicht in einem guten Zustand ist, dann
kommt es leicht zu Verletzungen. Und dann fangen sie an zu waschen und noch
mehr Seife und dann wird die Haut noch trockener und brüchiger wie altes Leder,
dann bricht sie eben.
Autorin:
Wie für andere Körperregionen gilt auch für den Intimbereich, dass übertrieben
gereinigte und gepflegte Haut sich leichter schuppt, eher gerötet ist, immer dünner
wird und sich schneller mit Pilzen und Bakterien infizieren kann. Vor allem fängt
strapazierte, geschädigte Haut zu jucken an:
O-Ton 27 - Eiko Petersen:
Juckreiz ist etwas, das Kratzen auslöst, das macht natürlich Beschädigungen,
deswegen ist es ganz wichtig, dass man den Juckreiz möglichst schnell abstellt,
wenn man die Ursache kennt, Infektionen, dann behandelt man das, oder
Immunerkrankungen, behandelt man entsprechend auch und das ist dann natürlich
noch schlimmer im Genitalbereich, weil der so empfindlich ist und verletzlicher ist,
mehr als die andere Haut.
Autorin:
Die Haut im Intimbereich sollte unter keinen Umständen mit irgendwelchen duftenden
Cremes, Lotionen oder Sprays behandelt werden, warnt Gynäkologe Eiko Petersen
nachdrücklich, sondern mit dermatologischer Hautpflege: Am besten mit Fett- vor
allem, wenn die Haut bereits geschädigt ist:
O-Ton 28 - Eiko Petersen:
Wenn man eine Hauterkrankung hat, dann muss man auch fetten, weil die
mechanische Belastung führt zu einer Verstärkung der immunologischen Entzündung
und das können Sie reduzieren und zurücknehmen wenn Sie es gut fetten, dann
schreiten auch diese Erkrankungen, das sind ja chronische Erkrankungen, die man
ein Leben lang hat, nicht so schnell voran.
Autorin:
Haut, die in gutem Zustand ist, hält mehr aus, es kommt seltener zu Infektionen,
Immunerkrankungen treten weniger auf. Die meisten Menschen machen zu viel mit
ihrer Haut, weiß der Freiburger Dermatologe Wolfgang Vanscheidt, denn die beste
Pflege sei, die Haut in Ruhe zu lassen, sie nicht zu malträtieren, und stattdessen auf
eine Lebensweise zu achten, die zu innerer Zufriedenheit führt:
O-Ton 29 - Wolfgang Vanscheidt:
Man sollte erst mal seine Haut wertschätzen, viele Leute denken nicht an ihre Haut,
haben gar kein Pflegebedürfnis und merken erst, wenn sie krank sind, dass da
irgendwas los ist. Haut ist Spiegel der Seele, das heißt man kann sehr viel machen,
wenn man versucht, ein ausgeglichenes Leben zu führen oder auch Probleme zu
lösen, die einem sonst nämlich in Anführungsstrichen wörtlich „unter die Haut
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gehen“. Wichtig ist, dass man nicht nur die Haut an sich sieht, sondern den ganzen
Menschen.
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