Zentrale Aktionsplattform« für Islamisten

Frohe Ferien
Westdeutsche Kinder zur Erholung in
der DDR: Mitten in der hysterischen
Kommunistenverfolgung der 50er
Jahre wurden ganze Sonderzüge
von West nach Ost organisiert. Aber
Bonn erkannte: Das ist »Gift für Kinderseelen«. Von Burga Kalinowski
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Anerkannt
Ausufernd
Aufbegehren
Angeprangert
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Somalia, Jemen, Libyen: Die UNO
unterstützt Staatsführer, die
keine Legitimation haben
Die Ortung von Mobiltelefonen mit
Hilfe »stiller SMS« geht weiter.
Von Andrej Hunko
Großbritannien: Prekär beschäftigte
Kuriere und private Taxifahrer im
Streik. Von Christian Bunke
Brasilien: Indigene protestieren gegen
Landraub für das Agrobusiness.
Von Norbert Suchanek
Verändern verboten
Russland fliegt Angriffe
in Syrien von Iran aus
AKG-IMAGES/GERT SCHUETZ
REUTERS/HANDOUT
Vor 60 Jahren: Illegalisierung der KPD. Altnazis und Imperialisten schaffen sich eine
Waffe gegen gesellschaftlichen Fortschritt – bis heute. Von Sebastian Carlens
Hunderttausende gegen das KPD-Verbot. Demonstration am 17. August 1956 in Berlin, Hauptstadt der DDR: »Wer die KPD verbietet, will den Krieg«
V
or 60 Jahren, am 17. August
1956, wurde die Kommunistische Partei Deutschlands
(KPD) in der BRD durch das Verfassungsgericht verboten. Noch am selben
Tag wurde der Urteilsspruch, der der
Partei eine »eine aktiv kämpferische,
aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung« zuschrieb, vollstreckt; die Polizei stürmte und versiegelte die KPD-Zentrale in Düsseldorf,
Parteibüros und Wohnungen im gesamten Bundesgebiet wurden durchsucht.
Im Zuge des Verbots und wegen
ebenfalls verbotener Wiederbetätigung
landeten etliche Menschen vor Gericht.
Der Anwalt und Bürgerrechtler Rolf
Gössner sieht mit dem KPD-Verbot
die Verfolgung Hunderttausender »legitimiert und höchstrichterlich abgesegnet«. Gegen 150.000 bis 200.000
Linke wurden nach Gössners Angaben
zwischen 1951 und 1968 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Wer nicht zu den
7.000 bis 10.000 Verurteilten gehörte, konnte seinen Arbeitsplatz verlieren oder Monate in Untersuchungshaft
sitzen. Die angeklagten Kommunisten
wurden nicht selten von Richtern, die
bereits während des Hitlerfaschismus
amtierten, in dieselben Knäste gesteckt,
in denen sie bereits wenige Jahre zuvor
eingesessen hatten. Das Verbot gegen
die KPD, die sich für eine Wiedervereinigung Deutschlands und gegen eine
Remilitarisierung der BRD aussprach,
war mehr als »kalter Krieg«, es war
auch nachträgliche Siegerjustiz: Viele
der alten, nun »ehemaligen« Nazis saßen erneut über ihre Opfer aus dem
Faschismus zu Gericht.
Es war nicht das erste Verbot der
Partei; 1933 war die zur Jahreswende
1918/19 unter Führung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründete KPD von den Nazis zuletzt kriminalisiert worden. Gerade einmal sechs
Jahre konnte sie nach dem Ende des
deutschen Faschismus im Westdeutschland legal arbeiten, bis die Bundesregierung 1951 das Verbotsverfahren in die
Wege leitete. Bis heute sei ungeklärt,
unter wie viel politischem Druck das
Verbot zustande kam, so die Nachrichtenagentur dpa. 60 Jahre lang lagen die
internen Vermerke der Verfassungsrichter im Bundesarchiv unter Verschluss,
an diesem Mittwoch werden die Akten
freigegeben.
Seit dem Urteil gegen die KPD im
Jahr 1956 ist in der BRD keine Partei
mehr verboten worden. Mit 308 Druckseiten ist die Begründung des Verfassungsgerichts noch heute das längste
Urteil aus Karlsruhe. Ein »konkretes
Unternehmen« zum Umsturz brauchte
das Gericht nicht. Das Urteil richtete
sich gegen eine Weltanschauung, gegen
den Marxismus-Leninismus.
Die Linksfraktion im Bundestag
fordert eine Rehabilitierung der Opfer.
»Im Gedenken der Bundesrepublik
spielt der fanatische Antikommunismus der 50er und 60er Jahre überhaupt
keine Rolle. Die Opfer haben bis heute
keine Stimme«, sagte Vizefraktionschef Jan Korte gegenüber dpa. »Es wäre
dringend an der Zeit, dass Bundesregierung und Bundestag sich bei den
Opfern entschuldigen und Schritte zur
Rehabilitierung einleiten.«
Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die sich 1968 neu konstituierte, wertet das Verbotsurteil von 1956
weiterhin als Bedrohung. »Die Bundesregierung ließ die KPD verbieten, weil
die KPD für ein einheitliches, antifaschistisches und demokratisches, friedliches Deutschland stand«, sagte Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP, am
Dienstag. Das Verbot sei »eine Waffe,
mit der dieser Staat bis heute droht: Wer
von gesellschaftlichen Veränderungen
nicht nur redet, sondern dafür kämpft,
kann im Gefängnis landen«.
Siehe Seite 8
»Zentrale Aktionsplattform« für Islamisten
Nach Linke-Anfrage: Bundesregierung geht auf Konfrontationskurs mit der Türkei
D
ie Bundesregierung sieht die
Türkei mittlerweile als »zentrale Aktionsplattform« für
islamistische und terroristische Organisationen im Nahen Osten. Das geht
aus einer als vertraulich eingestuften
Antwort auf eine Anfrage der Linken
im Bundestag hervor, über die das
ARD-Hauptstadtstudio am Dienstag
berichtete. Ankara arbeitet demnach
seit Jahren mit Islamisten zusammen.
»Als Resultat der vor allem seit dem
Jahr 2011 schrittweise islamisierten
Innen- und Außenpolitik Ankaras hat
sich die Türkei zur zentralen Akti-
onsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und
Mittleren Ostens entwickelt«, heißt
es in der Antwort. »Die zahlreichen
Solidaritätsbekundungen und Unterstützungshandlungen für die ägyptische MB (Muslimbruderschaft), die
Hamas und Gruppen der bewaffneten
islamistischen Opposition in Syrien
durch die Regierungspartei AKP und
Staatspräsident Erdogan unterstreichen deren ideologische Affinität zu
den Muslimbrüdern.«
Damit stellt die Bundesregierung
dem ARD-Bericht zufolge erstmals
offiziell eine direkte Verbindung
zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und einer
Terrororganisation her, gemeint ist die
Hamas. Die Stellungnahme basiere
auf Einschätzungen des Bundesnachrichtendiensts. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD)
hatten sich stets mit kritischen Äußerungen zur türkischen Politik zurückgehalten. Die Türkei muss sich immer
wieder gegen Vorwürfe verteidigen,
sie liefere Waffen auch an in Syrien kämpfende Terrorgruppen. Der
SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich
befürchtet dem Medienbericht zufolge Konsequenzen für das Verhältnis
zu Ankara aufgrund der Veröffentlichung von Details aus der Antwort
auf die Linken-Anfrage. »Bei einer
so sensiblen und weitreichenden Einschätzung hätte das Auswärtige Amt
einbezogen werden müssen«, sagte
Mützenich der ARD. »Immerhin handelt es sich bei der Türkei um ein
NATO-Land, und deutsche Soldaten
sind dort gegenwärtig stationiert.«
(dpa/jW)
Siehe Kommentar Seite 8
Moskau. Russische Kampfflugzeuge
des Typs »Tu-22M3« haben am
Dienstag von der iranischen Luftwaffenbasis Hamadan aus Angriffe
gegen die Dschihadistenmilizen
»Islamischer Staat« und Fatah-AlScham-Front in Syrien geflogen,
teilte das Verteidigungsministerium
in Moskau mit. Demnach befanden
sich die Ziele in den Provinzen
Aleppo, Deir Essor und Idlib. Laut
dem Ministerium war es das erste
Mal, dass russische Kampfjets vom
Iran aus zu Angriffen in Syrien
starteten. Russland und Iran unterstützen im Krieg in Syrien die Regierung des gewählten Präsidenten
Baschar Al-Assad.
Unterdessen kündigte China an,
die militärische Zusammenarbeit
mit Syrien auszubauen. Das erklärte
Guan Youfai von der Zentralen Militärkommission bei einem Besuch
in Damaskus, wie die chinesische
Nachrichtenagentur Xinhua am
Dienstag berichtete.
(AFP/dpa/Reuters/jW)
Grundgesetzänderung soll
Wohnungsbau ankurbeln
Berlin. Um den Bau neuer Wohnungen anzuschieben, will Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD)
die derzeit bei den Ländern liegende
Zuständigkeit wieder an den Bund
geben. »Wir brauchen die Grundgesetzänderung, um als Bundesregierung wirksam dort helfen zu können,
wo die Wohnungsnot am größten
ist«, sagte Hendricks den Zeitungen
der Funke-Mediengruppe (Dienstagausgaben). Aus der Opposition und
den Ländern kam Unterstützung,
der Eigentümerverband Haus und
Grund reagierte ablehnend. »Dass
der soziale Wohnungsbau komplett
zur Ländersache gemacht wurde,
war ein großer Fehler«, erklärte die
stellvertretende Linksfraktionsvorsitzende Caren Lay. Allerdings dürfe
Hendricks’ Vorschlag nicht darüber
hinwegtäuschen, »dass der Bund
Spielräume bei der Schaffung von
bezahlbarem Wohnraum hat, die
er leider immer noch viel zu wenig
nutzt«.
(AFP/jW)
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