Frohe Ferien Westdeutsche Kinder zur Erholung in der DDR: Mitten in der hysterischen Kommunistenverfolgung der 50er Jahre wurden ganze Sonderzüge von West nach Ost organisiert. Aber Bonn erkannte: Das ist »Gift für Kinderseelen«. Von Burga Kalinowski SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · MITTWOCH, 17. AUGUST 2016 · NR. 191 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Anerkannt Ausufernd Aufbegehren Angeprangert 3 4 7 9 Somalia, Jemen, Libyen: Die UNO unterstützt Staatsführer, die keine Legitimation haben Die Ortung von Mobiltelefonen mit Hilfe »stiller SMS« geht weiter. Von Andrej Hunko Großbritannien: Prekär beschäftigte Kuriere und private Taxifahrer im Streik. Von Christian Bunke Brasilien: Indigene protestieren gegen Landraub für das Agrobusiness. Von Norbert Suchanek Verändern verboten Russland fliegt Angriffe in Syrien von Iran aus AKG-IMAGES/GERT SCHUETZ REUTERS/HANDOUT Vor 60 Jahren: Illegalisierung der KPD. Altnazis und Imperialisten schaffen sich eine Waffe gegen gesellschaftlichen Fortschritt – bis heute. Von Sebastian Carlens Hunderttausende gegen das KPD-Verbot. Demonstration am 17. August 1956 in Berlin, Hauptstadt der DDR: »Wer die KPD verbietet, will den Krieg« V or 60 Jahren, am 17. August 1956, wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) in der BRD durch das Verfassungsgericht verboten. Noch am selben Tag wurde der Urteilsspruch, der der Partei eine »eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung« zuschrieb, vollstreckt; die Polizei stürmte und versiegelte die KPD-Zentrale in Düsseldorf, Parteibüros und Wohnungen im gesamten Bundesgebiet wurden durchsucht. Im Zuge des Verbots und wegen ebenfalls verbotener Wiederbetätigung landeten etliche Menschen vor Gericht. Der Anwalt und Bürgerrechtler Rolf Gössner sieht mit dem KPD-Verbot die Verfolgung Hunderttausender »legitimiert und höchstrichterlich abgesegnet«. Gegen 150.000 bis 200.000 Linke wurden nach Gössners Angaben zwischen 1951 und 1968 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Wer nicht zu den 7.000 bis 10.000 Verurteilten gehörte, konnte seinen Arbeitsplatz verlieren oder Monate in Untersuchungshaft sitzen. Die angeklagten Kommunisten wurden nicht selten von Richtern, die bereits während des Hitlerfaschismus amtierten, in dieselben Knäste gesteckt, in denen sie bereits wenige Jahre zuvor eingesessen hatten. Das Verbot gegen die KPD, die sich für eine Wiedervereinigung Deutschlands und gegen eine Remilitarisierung der BRD aussprach, war mehr als »kalter Krieg«, es war auch nachträgliche Siegerjustiz: Viele der alten, nun »ehemaligen« Nazis saßen erneut über ihre Opfer aus dem Faschismus zu Gericht. Es war nicht das erste Verbot der Partei; 1933 war die zur Jahreswende 1918/19 unter Führung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründete KPD von den Nazis zuletzt kriminalisiert worden. Gerade einmal sechs Jahre konnte sie nach dem Ende des deutschen Faschismus im Westdeutschland legal arbeiten, bis die Bundesregierung 1951 das Verbotsverfahren in die Wege leitete. Bis heute sei ungeklärt, unter wie viel politischem Druck das Verbot zustande kam, so die Nachrichtenagentur dpa. 60 Jahre lang lagen die internen Vermerke der Verfassungsrichter im Bundesarchiv unter Verschluss, an diesem Mittwoch werden die Akten freigegeben. Seit dem Urteil gegen die KPD im Jahr 1956 ist in der BRD keine Partei mehr verboten worden. Mit 308 Druckseiten ist die Begründung des Verfassungsgerichts noch heute das längste Urteil aus Karlsruhe. Ein »konkretes Unternehmen« zum Umsturz brauchte das Gericht nicht. Das Urteil richtete sich gegen eine Weltanschauung, gegen den Marxismus-Leninismus. Die Linksfraktion im Bundestag fordert eine Rehabilitierung der Opfer. »Im Gedenken der Bundesrepublik spielt der fanatische Antikommunismus der 50er und 60er Jahre überhaupt keine Rolle. Die Opfer haben bis heute keine Stimme«, sagte Vizefraktionschef Jan Korte gegenüber dpa. »Es wäre dringend an der Zeit, dass Bundesregierung und Bundestag sich bei den Opfern entschuldigen und Schritte zur Rehabilitierung einleiten.« Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die sich 1968 neu konstituierte, wertet das Verbotsurteil von 1956 weiterhin als Bedrohung. »Die Bundesregierung ließ die KPD verbieten, weil die KPD für ein einheitliches, antifaschistisches und demokratisches, friedliches Deutschland stand«, sagte Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP, am Dienstag. Das Verbot sei »eine Waffe, mit der dieser Staat bis heute droht: Wer von gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur redet, sondern dafür kämpft, kann im Gefängnis landen«. Siehe Seite 8 »Zentrale Aktionsplattform« für Islamisten Nach Linke-Anfrage: Bundesregierung geht auf Konfrontationskurs mit der Türkei D ie Bundesregierung sieht die Türkei mittlerweile als »zentrale Aktionsplattform« für islamistische und terroristische Organisationen im Nahen Osten. Das geht aus einer als vertraulich eingestuften Antwort auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor, über die das ARD-Hauptstadtstudio am Dienstag berichtete. Ankara arbeitet demnach seit Jahren mit Islamisten zusammen. »Als Resultat der vor allem seit dem Jahr 2011 schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras hat sich die Türkei zur zentralen Akti- onsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt«, heißt es in der Antwort. »Die zahlreichen Solidaritätsbekundungen und Unterstützungshandlungen für die ägyptische MB (Muslimbruderschaft), die Hamas und Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien durch die Regierungspartei AKP und Staatspräsident Erdogan unterstreichen deren ideologische Affinität zu den Muslimbrüdern.« Damit stellt die Bundesregierung dem ARD-Bericht zufolge erstmals offiziell eine direkte Verbindung zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und einer Terrororganisation her, gemeint ist die Hamas. Die Stellungnahme basiere auf Einschätzungen des Bundesnachrichtendiensts. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatten sich stets mit kritischen Äußerungen zur türkischen Politik zurückgehalten. Die Türkei muss sich immer wieder gegen Vorwürfe verteidigen, sie liefere Waffen auch an in Syrien kämpfende Terrorgruppen. Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich befürchtet dem Medienbericht zufolge Konsequenzen für das Verhältnis zu Ankara aufgrund der Veröffentlichung von Details aus der Antwort auf die Linken-Anfrage. »Bei einer so sensiblen und weitreichenden Einschätzung hätte das Auswärtige Amt einbezogen werden müssen«, sagte Mützenich der ARD. »Immerhin handelt es sich bei der Türkei um ein NATO-Land, und deutsche Soldaten sind dort gegenwärtig stationiert.« (dpa/jW) Siehe Kommentar Seite 8 Moskau. Russische Kampfflugzeuge des Typs »Tu-22M3« haben am Dienstag von der iranischen Luftwaffenbasis Hamadan aus Angriffe gegen die Dschihadistenmilizen »Islamischer Staat« und Fatah-AlScham-Front in Syrien geflogen, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Demnach befanden sich die Ziele in den Provinzen Aleppo, Deir Essor und Idlib. Laut dem Ministerium war es das erste Mal, dass russische Kampfjets vom Iran aus zu Angriffen in Syrien starteten. Russland und Iran unterstützen im Krieg in Syrien die Regierung des gewählten Präsidenten Baschar Al-Assad. Unterdessen kündigte China an, die militärische Zusammenarbeit mit Syrien auszubauen. Das erklärte Guan Youfai von der Zentralen Militärkommission bei einem Besuch in Damaskus, wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua am Dienstag berichtete. (AFP/dpa/Reuters/jW) Grundgesetzänderung soll Wohnungsbau ankurbeln Berlin. Um den Bau neuer Wohnungen anzuschieben, will Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) die derzeit bei den Ländern liegende Zuständigkeit wieder an den Bund geben. »Wir brauchen die Grundgesetzänderung, um als Bundesregierung wirksam dort helfen zu können, wo die Wohnungsnot am größten ist«, sagte Hendricks den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Dienstagausgaben). Aus der Opposition und den Ländern kam Unterstützung, der Eigentümerverband Haus und Grund reagierte ablehnend. »Dass der soziale Wohnungsbau komplett zur Ländersache gemacht wurde, war ein großer Fehler«, erklärte die stellvertretende Linksfraktionsvorsitzende Caren Lay. Allerdings dürfe Hendricks’ Vorschlag nicht darüber hinwegtäuschen, »dass der Bund Spielräume bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum hat, die er leider immer noch viel zu wenig nutzt«. (AFP/jW) wird herausgegeben von 1.867 Genossinnen und Genossen (Stand 12.8.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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