Fall 10 Lösung - Juristische Fakultät

PROPÄDEUTISCHE ÜBUNGEN ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT II
SOMMERSEMESTER 2016
JURISTISCHE FAKULTÄT
LEHRSTUHL FÜR BÜRGERLICHES RECHT, INTERNATIONALES
PRIVATRECHT UND RECHTSVERGLEICHUNG
PROF. DR. STEPHAN LORENZ
F ALL 10 (Z USATZFALL ) – L ÖSUNG
H EU
IN DER
S CHEUNE
A. Anspruch des Uberto gegen Brunello auf Zahlung des Werklohns aus § 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB2
I.
Anspruch entstanden ................................................................................................... 2
II. Anspruch erloschen ..................................................................................................... 2
Anwendbarkeit von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB .............................................................. 2
Gegenseitiger Vertrag ........................................................................................... 2
Befreiung des U gem. § 275 BGB von seiner Leistungspflicht ................................. 2
Zwischenergebnis ................................................................................................. 3
III. Anspruch durchsetzbar: Fälligkeit ................................................................................ 3
IV. Ergebnis ..................................................................................................................... 4
B. Anspruch des U gegen B auf anteilige Vergütung gemäß § 645 Abs. 1 S. 1 BGB analog ........ 4
I.
Planwidrige Regelungslücke ........................................................................................ 4
II. Vergleichbare Interessenlage ...................................................................................... 4
Sphärentheorie ...................................................................................................... 4
Vergleichbare Interessenlage zu § 645 Abs. 1 S. 1 BGB .......................................... 5
Zwischenergebnis ................................................................................................. 5
III. Ergebnis ..................................................................................................................... 5
A. Anspruch des U gegen B auf Zahlung des Werklohns aus § 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB ................ 6
I.
Anspruch entstanden ................................................................................................... 6
II. Anspruch erloschen ..................................................................................................... 6
Voraussetzungen des § 326 Abs. 1 BGB ................................................................. 6
Abweichende Gefahrtragung gem. § 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB .............................. 6
Zwischenergebnis ................................................................................................. 7
III. Anspruch durchsetzbar ................................................................................................ 7
IV. Ergebnis ..................................................................................................................... 8
B. Aus § 645 Abs. 1 BGB analog .............................................................................................. 8
C. Aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB ..................................................................................... 8
D. Aus § 823 Abs. 1 BGB ......................................................................................................... 9
VERONIKA EICHHORN
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT II (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) · SOMMERSEMESTER 2016
FALL 10 – LÖSUNG
A. Anspruch des Uberto gegen Brunello auf Zahlung des Werklohns aus
§ 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB
Uberto
(U)
könnte
gegen
Brunello
(B)
einen
§ 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB auf Zahlung des Werklohns haben.
Anspruch
aus
I. Anspruch entstanden
Der Anspruch des U gegen B auf Zahlung des Werklohns aus
§ 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB müsste zunächst entstanden sein. Voraussetzung dafür
ist der Abschluss eines Werkvertrags gem. § 631 BGB zwischen U und B, in
welchem eine Vergütungsvereinbarung enthalten ist.
U und B haben sich über die Errichtung einer Scheune auf dem Marschhof des
B geeinigt. Somit schuldet U nicht das bloße Tätigwerden, sondern einen Erfolg. Mithin haben U und B einen Werkvertrag i.S.v. § 631 BGB geschlossen.
Eine ausdrückliche Vergütungsvereinbarung ist darin nicht enthalten, jedoch
gilt gem. § 632 Abs. 1 BGB eine Vergütung als stillschweigend vereinbart,
wenn die Herstellung des Werkes den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. U errichtet die Scheune in Ausübung seiner gewerblichen
Tätigkeit als Bauunternehmer. Daher ist die Errichtung der Scheune den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten. Üblicherweise wird die
von U zu erbringende Werkleistung eine Vergütung von € 100.000 veranschlagt, sodass eine solche Vergütung gem. § 632 Abs. 2 aE BGB als vereinbart
gilt.
U und B haben folglich einen Werkvertrag gem. § 631 BGB geschlossen. Der
Anspruch auf die Vergütung aus § 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB ist somit entstanden.
II. Anspruch erloschen
Der Anspruch auf die Gegenleistung könnte aber nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB
erloschen sein. Das setzt voraus, dass § 326 Abs.1 S. 1 BGB anwendbar ist, das
Geschäft von U und B ein gegenseitiger Vertrag i.S.d. §§ 320 ff. BGB ist, dass
U aufgrund § 275 Abs. 1 – 3 BGB von seiner Leistungspflicht aus diesem Vertrag befreit ist und keine von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB abweichende Preisgefahrregelung eingreift.
Anwendbarkeit von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB
Da kein Fall bloß qualitativer Unmöglichkeit i.S.v. § 326 Abs. 1 S. 2 BGB vorliegt, ist § 326 Abs. 1 S. 1 BGB anwendbar.
Gegenseitiger Vertrag
Der Werkvertrag enthält zwischen U und B im Synallagma stehende Leistungspflichten.
Befreiung des U gem. § 275 BGB von seiner Leistungspflicht
U müsste weiter von der Errichtung der Scheune wegen Unmöglichkeit gem.
§ 275 Abs. 1 BGB befreit sein. Obwohl die Scheune zu 90 % abgebrannt ist,
ist eine (Neu-)Errichtung dieser weiterhin möglich. Eine Konkretisierung der
Leistungsgefahr auf das konkret begonnene Bauwerk und damit Unmöglichkeit
SEITE 2 VON 9
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT II (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) · SOMMERSEMESTER 2016
FALL 10 – LÖSUNG
kommt wegen der Erfolgsbezogenheit des Werkvertrages vor Abnahme des
Werkes bzw. Vollendung grundsätzlich nicht in Betracht. 1
Dieses Ergebnis führt dazu, dass der Unternehmer mangels Übergangs der
Leistungsgefahr weiterhin zur Erbringung der Werkleistung verpflichtet bleibt. Dies ist
jedoch sachgerecht, da er bei Neuerrichtung und Fertigstellung auch die
entsprechende Vergütung gem. §§ 631 Abs. 2, 641 BGB verlangen kann. U ist, wie der
nachfolgende Teil des Falles zeigt, hinsichtlich seiner bereits erbrachten Werkleistung
nicht schutzlos, da er über § 645 analog BGB einen Teil der Vergütung verlangen kann.
Siehe dazu: Beck OK BGB/Voit, § 645 Rn. 30, Rn 35; Medicus/Lorenz, S BT, § 107 Rn.
743.
Zwischenergebnis
Der Anspruch auf die Gegenleistung ist daher nicht gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB
erloschen.
III.
Anspruch durchsetzbar: Fälligkeit
Weiter müsste der Anspruch auf Zahlung des Werklohns auch bereits fällig 2
und damit durchsetzbar sein.
Gemäß § 641 Abs. 1 S. 1 BGB ist dieser erst bei Abnahme des Werkes, § 640
BGB, fällig. Der Werkunternehmer ist grundsätzlich vorleistungspflichtig und
trägt gem. § 644 Abs. 1 S. 1 BGB die Preisgefahr bis zur Abnahme des Werkes.
Eine Abnahme ist hier noch nicht erfolgt und auch nicht nach § 646 entbehrlich. U hat mangels Fertigstellung des Werkes auch keinen Anspruch auf Abnahme des Werkes iSv § 640, der eine Fälligkeit begründen könnte. 3 Auch eine
Fälligkeit nach § 641 Abs. 2 liegt nicht vor.
Folglich ist der Vergütungsanspruch aus § 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB noch nicht
fällig.
Nach a.A. bestimmt sich die Fälligkeit nach der allgemeinen Regel des § 271 BGB.
Demnach sei § 641 BGB nur als besondere Ausformung der §§ 320, 322 BGB zu sehen
und somit müsse – z.B. bei einer berechtigten Abnahmeverweigerung wegen eines
Mangels – eine Verurteilung Zug-um-Zug erfolgen. 4
Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass schon der Wortlaut des Gesetzes von
„Fälligkeit“ spricht. 5 Zudem ist eine vor Fälligkeit erhobene Klage nach der
Rechtsprechung des BGH und der einhelligen Ansicht im Schrifttum als zurzeit
unbegründet abzuweisen, weil im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ungewiss
ist, ob die Klage endgültig abgewiesen werden muss oder eine Verurteilung
auszusprechen ist. 6
1
Befreiung von diesem Herstellungsrisiko erlangt der Schuldner nur gem. § 640 Abs. 1 S. 1 BGB (Abnahme),
§ 640 Abs. 1 S. 3 BGB (die geschuldete Abnahme ist trotz Fristsetzung nicht erfolgt), § 646 (Vollendung
eines nichtabnahmefähigen Werkes), Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht II – Besonderer Teil, 17. Aufl. 2014,
Rn. 736.
2 Ein erst künftig fällig werdender Anspruch wird betagter Anspruch genannt. Beachte: Bei vorzeitiger Erfüllung einer betagten Verbindlichkeit ist die Rückforderung des Geleisteten wegen § 813 Abs. 2 BGB ausgeschlossen.
3 Vgl. dazu BeckOK/Voit, § 640 Rn. 21 f.
4 Staudinger/Peters/Jacoby, Neubearb. 2014, § 641 BGB Rn. 4, 7.
5 Vgl. statt vieler Palandt/Sprau, 74. Aufl. 2015, § 641 BGB Rn. 18.
6 Vgl. BGHZ 127, 254; beachte aber die Möglichkeit einer Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO.
SEITE 3 VON 9
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT II (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) · SOMMERSEMESTER 2016
FALL 10 – LÖSUNG
IV.
Ergebnis
Damit hat U gegen B keinen fälligen Anspruch aus § 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB auf
Zahlung des Werklohns.
Nota bene: Dies bedeutet, dass U die Scheune – in den Grenzen des § 275 Abs. 2 BGB
– nochmals errichten muss, bevor der Anspruch fällig werden kann.
B. Anspruch des U gegen B auf anteilige Vergütung gemäß § 645 Abs. 1 S. 1
BGB analog
U könnte gegen B einen Anspruch auf einen der geleisteten Arbeit
entsprechenden Anteil der Vergütung aus § 645 Abs. 1 S. 1 BGB analog haben.
Direkt greift § 645 Abs. 1 S. 1 BGB nicht ein, weil die Scheune weder infolge
eines Mangels des von dem Besteller gelieferten Stoffes noch aufgrund einer
Anweisung des Bestellers untergegangen ist.
In Betracht kommt aber eine analoge Anwendung.
I. Planwidrige Regelungslücke
Voraussetzung jeder Analogie ist zunächst das Vorliegen einer planwidrigen
Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat neben dem o.g. Fall der direkten Anwendung ungewollt übersehen, dass es zusätzlich Fälle geben kann, in denen durch
eine Handlung des Bestellers eine Gefahr für das noch nicht abgenommene
Werk entsteht und dem Unternehmer im Falle der Realisierung der Gefahr vor
Abnahme des Werkes kein Anspruch zusteht, wenn der Besteller die Verursachung dieser Gefahr nicht zu verantworten hat.
Ein Vorrang einer (analogen) Anwendung von § 326 Abs. 2 BGB gegenüber
§ 645 Abs. 1 BGB scheidet aus, da dieser einen Übergang der Leistungsgefahr
erfordert („Ist der Gläubiger für den Umstand, auf Grund dessen der Schuldner
nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten braucht…“), der hier nicht vorliegt.
Zudem ist § 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB als Nachfolgevorschrift von § 324 BGB
konzipiert, sodass nach dem Willen des Gesetzgebers eine Verpflichtung des
Gläubigers zur Zahlung wegen § 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB nur dann bestehen
soll, wenn ihm eine Verantwortlichkeit für die Unmöglichkeit zur Last fällt. Da
es hier aber um Umstände lediglich aus der Sphäre des Bestellers geht, ohne
dass ein Verschulden oder eine Risikoübernahme durch den Besteller vorliegt,
passt § 326 Abs. 2 BGB hier nicht. 7
Einer analogen Anwendung des § 645 Abs. 1 BGB steht mithin auch keine anderweitig vorrangige Regelung im Wege.
II. Vergleichbare Interessenlage
Eine Analogie setzt ferner eine vergleichbare Interessenlage voraus. Für welche Fallkonstellationen diese bejaht werden kann, ist streitig:
Sphärentheorie
Nach einer vor allem in der älteren Literatur vertretenen Auffassung sollen alle
Umstände, die in der Sphäre des Bestellers wurzeln und zum Untergang des
7
Vgl. zu den Anforderungen an eine „Verantwortlichkeit“ iSv § 326 Abs. 2 BGB und Ablehnung der sog.
Sphärentheorie: MünchKomm/Ernst, § 326 Rn. 53 ff.; Medicus/Lorenz, S AT, 21. Aufl. § 35 Rn. 437.
SEITE 4 VON 9
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT II (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) · SOMMERSEMESTER 2016
FALL 10 – LÖSUNG
Werkes geführt haben, zum Übergang der Preisgefahr führen (sog. „Sphärentheorie“ 8). Da das Einlagern des Heus in der Scheune in der Sphäre des B wurzelt und zum Untergang des Werkes führte, wäre danach eine vergleichbare
Interessenlage gegeben.
Gegen die Sphärentheorie spricht allerdings, dass sie vom BGB-Gesetzgeber
ausdrücklich abgelehnt wurde. 9 Auch führt sie zu beträchtlicher Rechtsunsicherheit, da die „Sphären“ von Besteller und Unternehmer praktisch schwer
abgrenzbar sind. Zudem würde die Sphärentheorie die Grundregel des § 644
Abs. 1 S. 1 BGB, wonach der Unternehmer grundsätzlich die Vergütungsgefahr
bis zur Abnahme trägt, aushöhlen. Im Ergebnis liefe dies auf eine allgemeine
Gefährdungshaftung hinaus. 10
Vergleichbare Interessenlage zu § 645 Abs. 1 S. 1 BGB
Die Rechtsprechung 11 hat die Sphärentheorie bisher nicht allgemein anerkannt.
Sie bejaht eine den Fällen des § 645 Abs. 1 S. 1 BGB vergleichbare Interessenlage aber im Einzelfall, etwa wenn eine Handlung des Bestellers das Werk in
einen Zustand oder in eine Lage versetzt hat, die eine Gefährdung des Werkes
mit sich gebracht hat und ursächlich für seinen Untergang geworden ist oder
der Untergang auf einen in der Person des Bestellers liegenden Umstand zurückgeht. Diese Fälle stehen den in § 645 BGB geregelten Tatbeständen nahe,
weil auch bei diesen der Besteller selbst die Gefahr für den Untergang des
Werkes erhöht hat und ohne diese Erhöhung der Gefahr das Werk nicht untergegangen wäre. In solchen Fällen wäre es ebenso unbillig, den Unternehmer
leer ausgehen zu lassen wie bei den in § 645 BGB geregelten Tatbeständen.
Auf ein Verschulden des Bestellers kommt es nicht an. 12
Im vorliegenden Fall geht der Untergang des Werkes auf die Einlagerung noch
feuchten Heus zurück. Dies stellt eine gefahrerhöhende Handlung des B dar,
auf welcher die Selbstentzündung des Heus beruht. Auch die Rechtsprechung
würde also hier einen Anspruch analog § 645 Abs. 1 S. 1 BGB bejahen.
Zwischenergebnis
Da im vorliegenden Fall nach allen Auffassungen eine vergleichbare Interessenlage gegeben und damit eine Analogie zu § 645 Abs. 1 S. 1 BGB zu ziehen
ist, kann der Meinungsstreit offen bleiben.
III.
Ergebnis
U hat gegen B einen Anspruch gemäß § 645 Abs. 1 S. 1 BGB analog auf einen
seiner Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung, hier 90 %, somit in Höhe
von € 90.000.
Auf eine nicht ausgeschlossene weitergehende Haftung des B nach §§ 645 Abs. 2 iVm
280 Abs. 1 BGB ist hier nicht einzugehen, da ein Vertretemmüssen des B nicht vorliegt.
8
Vgl. zur Sphärentheorie den Überblick bei Medicus/Lorenz, a.a.O. sowie Medicus/Lorenz S BT, 17. Aufl.
Rn. 744
9 Prot II 234.
10 Vgl. Medicus/Lorenz, Schuldrecht II – Besonderer Teil, 17. Aufl. 2014, Rn. 744.
11 BGHZ 40,71; 78, 352; BGH NJW 1997, 3018.
12 Weiterer Anwendungsfall ist die Zweckerreichung (z.B. Auto ist vor Eintreffen des Abschleppdienstes
weggefahren: Der Abschleppdienst hat Anspruch auf Zahlung einer anteiligen Vergütung).
SEITE 5 VON 9
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT II (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) · SOMMERSEMESTER 2016
FALL 10 – LÖSUNG
A BWANDLUNG
A. Anspruch des U gegen B auf Zahlung des Werklohns aus § 631 Abs. 1
Hs. 2 BGB
Uberto
(U)
könnte
gegen
Brunello
(B)
einen
§ 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB auf Zahlung des Werklohns haben.
Anspruch
aus
I. Anspruch entstanden
U und B haben einen Werkvertrag iSv § 631 BGB geschlossen. Zwar ist darin
ebenfalls keine ausdrückliche Vergütungsvereinbarung enthalten, doch gilt sie
gem. § 632 Abs. 1 BGB als stillschweigend vereinbart. Der Anspruch auf Zahlung der Vergütung gem. § 631 Abs. 1 Hs. 2 BGB ist somit entstanden.
II. Anspruch erloschen
Der Anspruch könnte aber nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB erloschen sein. Das setzt
voraus, dass § 326 Abs.1 S. 1 BGB anwendbar ist, das Geschäft von U und B
ein gegenseitiger Vertrag i.S.d. §§ 320 ff. BGB ist, dass U aufgrund § 275
Abs. 1 – 3 BGB von seiner Leistungspflicht aus diesem Vertrag befreit ist und
keine von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB abweichende Preisgefahrregelung eingreift.
Voraussetzungen des § 326 Abs. 1 BGB
Da kein Fall bloß qualitativer Unmöglichkeit i.S.v. § 326 Abs. 1 S. 2 BGB vorliegt, ist § 326 Abs. 1 S. 1 BGB anwendbar. Ferner handelt es sich, wie oben,
bei dem geschlossenen Werkvertrag um einen gegenseitigen Vertrag.
U könnte von der Errichtung der Scheune wegen Unmöglichkeit der Leistungserbringung gem. § 275 Abs. 1 BGB befreit sein. Die Scheune mithilfe des ursprünglichen Materials auf dem Hof des B zu errichten, ist dem U aufgrund der
Zerstörung der Baumaterialien durch den Brand unmöglich geworden. Da U
sich verpflichtete, die Scheune aus dem Ursprungsmaterial unter Ausschluss
zusätzlicher Baumaterialien zu errichten, kann daher auch nicht auf eine (mögliche) Errichtung der Scheune unter Zuhilfenahme zusätzlicher Baumaterialien
verwiesen werden.
Da U daher gem. § 275 Abs. 1 BGB von der Leistungserbringung befreit ist, ist
damit gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB an sich auch der Anspruch auf die Gegenleistung erloschen.
Abweichende Gefahrtragung gem. § 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB
Jedoch könnte eine vom Grundsatz des § 326 Abs. 1 BGB abweichende Gefahrtragungsnorm eingreifen, sodass entgegen § 326 Abs. 1 BGB der Anspruch auf
die Gegenleistung erhalten bliebe.
§ 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB könnte einschlägig sein, wonach der Anspruch auf
die Gegenleistung bei alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit
des Gläubigers unter Abzug der in § 326 Abs. 2 S. 2 BGB genannten Kosten
erhalten bleibt.
SEITE 6 VON 9
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT II (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) · SOMMERSEMESTER 2016
FALL 10 – LÖSUNG
Zwar kommt daneben auch ein Anspruch auf teilweise Vergütung gem.
§ 645 Abs. 1 BGB in Betracht. 13 Doch ist § 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB ausweislich
des Wortlauts des § 645 Abs. 2 BGB dadurch nicht verdrängt. 14
§ 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB erfordert eine alleinige oder weit überwiegende
Verantwortlichkeit des Gläubigers (hier B) für den Umstand, welcher zur Leistungsbefreiung des Schuldners geführt hat.
Die wohl hM zieht zur Bestimmung der „Verantwortlichkeit“ iSv
§ 326 Abs. 2 BGB die §§ 276, 278 BGB analog heran. 15 Demnach ist die Verantwortlichkeit zu bejahen, wenn der Gläubiger schuldhaft eine vertragliche
oder deliktische Pflicht oder seine Obliegenheit, die Leistung nicht durch sein
eigenes, freiwilliges Handeln unmöglich zu machen, verletzt hat. Um seiner
Leistungstreuepflicht iSv § 241 Abs. 2 BGB zu genügen, muss B sämtliche
Handlungen unterlassen, die eine Herbeiführung des Leistungserfolgs vereiteln oder gefährden könnten, sodass der Vertragspartner U daran gehindert
wäre, die von ihm mit dem Vertrag angestrebten Vorteile oder Ziele zu verwirklichen. 16 Hier hat G vor Fertigstellung der Arbeiten des U das Heu in die
Scheune eingebracht und keine zumutbaren Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen gegen eine Selbstentzündung des Heus ergriffen. Somit hat B zumindest
fahrlässig iSv § 276 Abs. 1 BGB seine Leistungstreuepflicht verletzt.
Der Anspruch auf die Gegenleistung ist daher nicht gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB
erloschen sondern bleibt wegen § 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB bestehen, wobei
sich U gem. § 326 Abs. 2 S. 2 BGB die ersparten € 500,– anrechnen lassen
muss, da er diese durch die Leistungsbefreiung erspart hat.
Zwischenergebnis
Der Anspruch auf die Gegenleistung ist wegen § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB
nicht erloschen.
III.
Anspruch durchsetzbar
Auch hier ist notwendig, dass der Anspruch des U gegen B aus § 631 BGB fällig
ist. Zwar hat auch hier noch keine Abnahme iSv § 641 BGB stattgefunden und
wäre somit nach dem Wortlaut des § 640 BGB der Anspruch noch nicht fällig.
Da jedoch U von der Leistungserbringung gem. § 275 Abs. 1 BGB befreit ist
und somit der ursprüngliche Erfüllungsanspruch des B gegen U aus
§ 631 Abs. 1 BGB erloschen ist, entsteht zwischen den Parteien ein Abrechnungsverhältnis, in dessen Rahmen auch ohne Abnahme Zahlung der Vergütung verlangt werden kann. 17 Dafür spricht auch der in §§ 640 Abs. 1,
§ 646 BGB zum Ausdruck kommende Gedanke, dass bei Unmöglichkeit der Abnahme mit Übergang der Leistungsgefahr die Vergütung fällig wird.
13
Siehe dazu unten B.
So auch der BGH, MMR 2013, 783 (784 aE).
15 Vgl. dazu ausführlich Medicus/Lorenz, S AT, § 35 Rn. 437 f.
16 Vgl. zur Leistungstreuepflicht MünchKomm/Ernst, § 280 Rn. 94; zur Abgrenzung von Leistungspflichten
und Obliegenheiten: Medicus/Lorenz, S AT, § 13 Rn 116.
17 Vgl. dazu auch Palandt/Sprau, § 645 Rn. 4; jurisPK-BGB/Genius, 7. Aufl. 2014, § 641 BGB Rn. 5.
14
SEITE 7 VON 9
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT II (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) · SOMMERSEMESTER 2016
FALL 10 – LÖSUNG
IV.
Ergebnis
U kann von B gem. §§ 631 Abs. 1, 632 Abs. 2, 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB
Zahlung der vollen Vergütung, abzüglich der € 500,– Materialkosten, mithin
€ 99.500,– verlangen.
Beachte insoweit den Unterschied zum Anspruch aus § 645 Abs. 1 BGB, der dem U
lediglich einen Teil der Vergütung zuspricht (dazu sogleich).
B. Aus § 645 Abs. 1 BGB analog
Zwar scheidet eine direkte Anwendung des § 645 Abs. 1 BGB aus (s.o.). Jedoch
könnte man an eine analoge Anwendung von § 645 BGB denken. 18 Dies kann
vorliegend dahinstehen, da U über §§ 631 Abs. 1 BGB iVm
326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB ohnehin mehr realisieren kann, als über
§ 645 Abs. 1 BGB, der ihm nur Anspruch auf Vergütung des bisher Geleisteten
iHv € 90.000,– gewährt. Hingegen kann er über § 631 Abs. 1 BGB den gesamten Werklohn abzüglich der in § 326 Abs. 2 S. 2 BGB genannten Kosten verlangen.
§ 645 Abs. 1 BGB wird auch als eine vom Grundgedanken des § 326 Abs. 1 BGB
abweichende Gefahrtragungsnorm qualifiziert und könnte somit auch bereits im
Rahmen des § 326 BGB geprüft werden. 19
Der Qualifikation als Gefahtragungsnorm widerspricht indes bereits der Wortlaut des
§ 645 Abs. 1: „… kann … verlangen“. Zudem zeigt der Ursprungsfall, dass es Fälle
gibt, in denen eine Verschiebung der Leistungs- oder Vergütungsgefahr nicht
stattgefunden hat und trotzdem ein Anspruch auf Teilvergütung gem. § 645 Abs. 1 BGB
besteht.
C. Aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB
Zwar kommt zudem ein Schadensersatzanspruch des U gegen B wegen
Verletzung der Leistungstreuepflicht in Betracht und ist ein solcher Anspruch
hier auch nicht ausweislich des Wortlauts des § 645 Abs. 2 BGB (analog)
ausgeschlossen. Auch das Vertretenmüssen iSv §§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB,
welches aufgrund der negativen Formulierung vermutet wird, liegt vor, da B
fahrlässig iSv § 276 Abs. 1 BGB handelte (s.o.).
Indes müsste ein Schaden i.S.v. § 280 Abs. 1 BGB vorliegen, welcher im Wege
der Differenzhypothese gem. der §§ 249 ff. BGB zu ermitteln ist. Der Vergleich
beider Vermögenslagen mit und ohne die Pflichtverletzung ergibt, dass U
vorliegend keinen Schaden aus der Verletzung der Leistungstreuepflicht durch
B erlitten hat. U ist seinerseits von der Erbringung der Leistung befreit ist und
kann trotzdem Vergütung gem. §§ 631 Abs. 1, 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB
18
Der Analogie könnte indes entgegenstehen, dass im Fall der Leistungsbefreiung des Schuldners nach
§ 275 BGB und Vertretenmüssen des Gläubigers bereits die §§ 631, 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB zu einem
Anspruch des U führen und es insoweit an einer Regelungslücke fehlt. Dem ließe sich indes mit dem Argument begegnen, dass § 645 Abs. 1 BGB analog jedenfalls dann eigenständigen Regelungsgehalt hat, wenn
eine Leistungsbefreiung des Schuldners trotz Verantwortlichkeit des Gläubigers nicht besteht (wie oben)
und § 645 Abs. 1 BGB anders als die §§ 631, 326 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB dem Unternehmer lediglich einen
Teil der Vergütung zuspricht und daher den Vorschriften ein unterschiedlicher Regelungsgehalt bezüglich
der Rechtsfolgen zukommt, zumal ausweislich des § 645 Abs. 2 BGB der Abs. 1 BGB gerade nicht verdrängt
werden soll.
19 So Staudinger/Peters/Jacoby, § 645 Rn. 9; MünchKomm/Busche, § 645 Rn. 1; NK BGB/Ebert, § 645 Rn.
1; Jauernig/Mansel, Anm. §§ 644, 645, Rn. 9; Juris-PK BGB/Rösch, § 645 Rn. 8; Palandt/Sprau, § 645 Rn. 3.
SEITE 8 VON 9
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT II (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) · SOMMERSEMESTER 2016
FALL 10 – LÖSUNG
verlangen. Da sich somit keine Differenz ergibt, ist dem U aus der Verletzung
der Leistungstreuepflicht durch B kein Schaden entstanden.
Somit hat U gegen B keinen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.
D. Aus § 823 Abs. 1 BGB
Da die Scheune im Eigentum des B stand, scheidet § 823 Abs. 1 BGB mangels
Rechtsgutsverletzung aus. Eine mögliche Verletzung des Vermögens des U
wird von § 823 BGB nicht geschützt.
SEITE 9 VON 9