PLM-TECHNOLOGIE Änderungsmanagement im Produktlebenszyklus Das Änderungsmanagement zwischen technischen, logistischen und kaufmännischen Prozessen ist ein Thema, das inzwischen viele Unternehmen beschäftigt. Das Änderungsmanagement stellt einen der integrativsten Vorgänge des Produktlebenszyklus dar. Insbesondere die der Produktentwicklung nachgelagerten logistischen Prozesse können so ihr Erfahrungswissen hinsichtlich Transport, Fertigungsaufwand oder Wartbarkeit zur Verfügung stellen und für eine kosten- und aufwandsoptimierte Bereitstellung sorgen. Voraussetzung dafür ist eine enge Verknüpfung der relevanten konstruktiven und logistischen Prozesse und somit ein reibungsloses Zusammenspiel von PLM- und ERP-System. Der Artikel beschreibt die Möglichkeiten, Herausforderungen und Vorgehensweisen zu diesem Prozess und den zugrunde liegenden IT Strukturen anhand eines konkreten Projektbeispiels aus dem Anlagenbau. 20 PLM IT REPORT Nr. 4, 2015 PLM-TECHNOLOGIE Abbildung 2 zeigt die Schritte eines idealtypischen Änderungsprozesses Die Herausforderung, Produktänderungen zu meistern, nimmt aufgrund externer Faktoren wie steigendem Wettbewerbsdruck sowie dem Wunsch nach kürzeren Produkt- und Innovationszyklen stetig zu. Auch interne Faktoren, wie eigenes globales Wachstum und daraus resultierende heterogene und inkompatible Systemlandschaften, zwingen die Unternehmen zum Handeln. Änderungen gehören in den Alltag eines jeden Entwicklungsprojekts und beeinflussen „Fit, Form oder Funktion“ des Produktes. Als Änderung wird jeder Eingriff in einen festgelegten Stand eines Produktes oder dessen Dokumentation betrachtet. Wichtige Aspekte im Rahmen des Änderungsmanagements sind die strukturierte Durchführung und Dokumentation aller Maßnahmen und Aktivitäten im Zuge des Änderungsverlaufes. Trotz der wachsenden Bedeutung von Änderungen geben in einer Untersuchung der Aberdeen Group 85 Prozent der Teilnehmer an, dass ihre Verfahren für das Änderungsmanagement entweder unvollständig oder verbesserungswürdig sind [1]. Insbesondere werden die durch Änderungen entstehenden Kosten häufig vernachlässigt. Dies liegt zum einen daran, dass diese Kosten schwer zu beziffern sind und häufig in einem Gemeinkostentopf verschwinden, und zum anderen nur wenige Benchmarks zum Vergleich der Änderungskosten zur Verfügung stehen. Nach Erfahrung der Unternehmensberater von Ernst & Young belaufen sich die Änderungskosten im Maschinen- und Anlagenbau auf rund zwei Prozent des Gesamtumsatzes. Bei den aktuell häufig einstelligen Prozentsätzen der NettoUmsatzrenditen im Maschinen- und Anlagenbau stimmt diese Größenordnung bedenklich. Der Kostentreiber Änderungsmanagement Es ist aus wirtschaftlichen Gründen also durchaus sinnvoll, das Thema Änderungsmanagement detaillierter zu betrachten und mögliche Potentiale zu heben. Leading Practice im Änderungsmanagement ermöglicht es zum einen, die Transparenz über den gesamten PLM IT REPORT Nr. 4, 2015 Lebenszyklus – von der Idee und Entwicklung über Fertigung bis hin zum Kunden – zu erhöhen. Zum anderen können die entstehenden Änderungskosten deutlich gesenkt und die Durchlaufzeit der Änderung bei Integration der gesamten Wertschöpfungskette um bis zu 50 Prozent verkürzt werden. Dies wirkt sich wiederum positiv auf Time-to-Market und somit Preise, Umsatz und Marge aus. Ein systematisches Änderungsmanagement ist daher ein wesentlicher Baustein eines finanziell erfolgreichen Unternehmens. Standards im Änderungsmanagement Im Änderungsmanagement haben sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Standards etabliert. Diese Standards beschreiben Prozesse, Rollen und Methoden zur Behandlung von Änderungen. Damit soll sichergestellt werden, dass nichts entwickelt, geändert oder gefertigt wird, das nicht zuvor eindeutig dokumentiert wurde. Jede Änderung durchläuft somit einen geschlossenen Gesamtprozess (siehe Abbildung 2), welcher verhindern soll, dass aus einer einfachen Produktänderung eine Reihe von unvorhergesehenen Problemen entsteht. Zu den bekanntesten Standards zählen: der CMII-Standard als internationaler softwareund branchenunabhängiger Standard, die VDA ECM-Empfehlung 4965 für die Automobilindustrie und die etwas in die Jahre gekommene DIN 199 (Teil 4) Datensicherheit Made in Germany 21 PLM-TECHNOLOGIE Abbildung 3: Vorgehensmodell zur Definition von Änderungsprozessen Änderungsprozesse sind wie Entwicklungsprozesse, jedoch immer unternehmensabhängig – den allgemeingültigen Änderungsprozess gibt es nicht. Der größte Nutzen von Änderungsprozessen entfaltet sich vor allem dann, wenn diese zum einen auf spezifischen Geschäftsanforderungen eines Unternehmens basieren und zum anderen nicht ausschließlich auf die Produktentwicklung beschränkt werden. Projektbeispiel integriertes Änderungsmanagement im Anlagenbau In einem Projekt bei einem global aufgestellten Unternehmen aus dem Anlagenbau hat EY mittels seiner etablierten Methodik ein integriertes Änderungsmanagement konzipiert und umgesetzt (siehe Abbildung 3). Dabei wurden basierend auf den konkreten Geschäftsanforderungen Änderungskategorien auf Basis wiederkehrender Änderungsgründe (qualitative Mängel, Gesetzesänderungen, sicherheitstechnische Änderungen, Änderungen von Produktionsressourcen) definiert. Dabei haben sich die Projektverantwortlichen nicht nur auf die Produktentwicklung beschränkt, sondern auch nachgelagerte Bereiche wie Planung, Produktion oder Transport berücksichtigt, die ebenfalls Auslöser und Betroffene einer Änderung sein können. Dadurch werden höchst integrative Prozessen zwischen technischen, kaufmännischen und logistischen 22 Abteilungen mit größtmöglicher Transparenz und Effizienz geschaffen. Als Basis für die Definition der detaillierten Prozessschritte, Rollen und Verantwortlichkeiten, welche je Änderungskategorie unterschiedlich ausfallen, dienten die im vorangegangenen Abschnitt betrachteten Standards. Der Vorteil hierbei ist, dass viele Softwaresysteme auf diesen Standards aufbauen und somit bei Umsetzung ein geringerer kundenspezifischer Anpassungsaufwand zu leisten ist. Doch nicht nur abgestimmte Prozesse und IT sind für Leading Practice im Änderungsmanagement essentiell. Die Etablierung einer Governance Struktur (Change Board) ist ebenso wesentlich, da sie die Änderungen nach Kosten-Nutzen-Kriterien priorisiert und als zentrale Steuerungseinheit des gesamten Änderungswesens agiert. Erst in der Folge wurde das integrierte ITSystemkonzept für die expliziten Änderungsdurchläufe erstellt. Dabei galt die Maxime, den Anwender dort abzuholen, wo er sich hauptsächlich bewegt. Somit wurde für den Anwender ein Springen zwischen verschiedenen IT Systemen vermieden. Je Änderungskategorie und Prozessschritt wurden unterschiedliche führende Systeme (PLM und ERP) festgelegt. Im Änderungsmanagement führende Unternehmen haben zudem einen Prozess zur Definition und Überwachung von Messgrößen etabliert. Die kontinuierliche Überwachung von Messgrößen erlaubt es einerseits, den Änderungsprozess selbst zu verbessern, und andererseits, vermeidbare Änderungen zu verhindern. Typische Messzahlen sind die Anzahl an Änderungen je Änderungskategorie oder deren Durchlaufzeiten. Konkreter Anwendungsfall eines Änderungsprozesses Um die Vorgehensweise zu verdeutlichen, wird nachfolgend die integrative Natur von Änderungsprozessen in PLM und ERP anhand eines konkreten Anwendungsfalls beschrieben (siehe Abbildung 4). Bei der Fertigung wird die leichte Entzündbarkeit eines Bauteils festgestellt, woraufhin der Fertigungsleiter im ERP-System eine Qualitätsmeldung erstellt, die als zentrale Sammelstelle für Fehlermeldungen dient. Die zuständige Qualitätsabteilung prüft und vervollständigt die Anfrage, kategorisiert sie als sicherheitstechnische Änderung und generiert daraufhin im PLM-System automatisiert eine zugehörige Änderungsanfrage. Der zuständige Konstruktionsleiter erhält automatisch eine PLM IT REPORT Nr. 4, 2015 PLM-TECHNOLOGIE Abbildung 4: Anwendungsfall eines integrierten Änderungsprozesses zwischen PLM und ERP Systembenachrichtigung über die Anfrage und zieht die zuständige Fachabteilung bezüglich Auswirkungen und zu ändernden Objekten hinzu. Zur Detailanalyse des Aufwands und der Auswirkungen führt die Fachabteilung einen Verwendungsnachweis der betroffenen Bauteile und identifiziert somit Zusammenhänge. Nach erfolgter Analyse bewertet das Change Board den Änderungsantrag. Diesem Gremium gehört unter anderem der Beauftragte für Sicherheitstechnik an, weshalb die Änderung schnellstmöglich zur Durchführung freigegeben wird. Durch die Freigabe wird ein Änderungsauftrag erstellt, der die betroffenen Objekte im PLM- und ERP-System automatisiert kaufmännisch und logistisch sperrt und so eine weitere Verwendung in Einkauf, Fertigung et cetera unterbindet. In der Folge wird die Änderung konstruktiv durchgeführt und im PLM-System technisch freigegeben. Mit Freigabe der konstruktiven Tätigkeit im PLM-System wird im ERP-System PLM IT REPORT Nr. 4, 2015 ein Prozess zur Pflege der kaufmännischen und logistischen Daten wie Materialstämme, Arbeitspläne oder Fertigungsstücklisten angestoßen. Nach der industriellen Freigabe des Änderungsauftrags im ERP-System werden die Sperren automatisiert gelöst, womit die betroffenen Objekte wieder verwendbar sind. Beim Schließen der Qualitätsmeldung durch die zentrale Qualitätsabteilung wird die Information über die erfolgreiche Änderung an einen fest definierten Adressatenkreis versandt. -sgAutoren: Dr.-Ing. Alexander Burger, Ina Brozmann, Dr. Adrian Reisch; Ernst & Young GmbH Literatur: [1] Aberdeen Group: Engineering Change Management: Avoiding Bottlenecks for Competitive Advantage. Research Report. 2012. Ernst & Young (EY), Berlin, Tel. 030/25471-0, www.ey.com/de 23
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