Werbewerkstatt Korinski - Domorganist Daniel Beckmann

Internationaler
ORGELSOMMER 2016
Programm | Juli – September
Schutzgebühr 1 €
Künstlerische Leitung:
Domorganist Daniel Beckmann
Postfach 1560
55005 Mainz
Telefon: 06131/253 474
Fax: 06131/253 529
E-Mail: [email protected]
Internet: www.domorgel-mainz.de
Einführungstexte:
Prof. Dr. Paul Thissen, Paderborn
Veranstalter:
Bischöfliches Domkapitel
in Kooperation mit
der Pfarrei St. Stephan
Preise und Kartenverkauf:
Eintritt: je 8 €, 6 € für Schüler/Studenten und 4 € für Mitglieder
des Fördervereins
Dauerkarte: 42 € (ermäßigt: 32 € und für Mitglieder des Fördervereins: 21 €)
arten und weitere Informationen erhalten Sie in den Vorverkaufsstellen:
K
– Infoladen des Bistums, Heiliggrabgasse 8, Telefon: 06131/253 888
–Markt 10, Dominformation, Telefon: 06131/253 412 und an der
Abendkasse
Gestaltung:
Petra Louis/Werbewerkstatt Korinski, Mainz
Bildnachweis:
Markus Kohz: S. 4, 6, 7, 10, 12, 16, 18, 24, 28, 30, 36, 40, 44, 59
Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung: Titelbild und S. 22
Dr. Jochen Post, Nettetal: S. 37
Alexander Sell: S. 48, 52
Stadtplan auf S. 61: Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des
Bauamtes der Landeshauptstadt Mainz, Genehmigungsnummer G 6/16
Druck: Druckerei Friedrich, Klein-Winternheim
Inhaltsverzeichnis
❚Gespräch mit Daniel Beckmann
4
❚ Samstag, 3.9.2016 | Pfarrkirche St. Stephan | 19.30 Uhr 48
Domorganist Daniel Beckmann, Mainz
❚Samstag, 16.7.2016 | Dom6
Domorganist Daniel Beckmann, Mainz
❚Samstag, 23.7.2016 | Dom 12
Gerhard Weinberger, München
❚ Dispositionen der Mainzer Domorgeln54
❚Disposition der Klais-Orgel in St. Stephan
58
❚Informationen zur Orgelmusik im Dom
59
❚Zum Autor: Prof. Dr. Paul Thissen 60
❚Samstag, 30.7.2016 | Dom
18
Gereon Krahforst, Maria Laach
❚Samstag, 6.8.2016 | Dom 24
Bernhard Buttmann, Nürnberg
❚Spielstätten61
❚Samstag, 13.8.2016 | Dom
30
Adriano Falcioni, Perugia (I)
❚Samstag, 20.8.2016 | Dom36
Elmar Lehnen, Kevelaer (Orgel)
und Hansjörg Fink, Düsseldorf (Posaune)
❚ Samstag, 27.8.2016 | Dom 44
Franz Josef Stoiber, Regensburg
❚Informationen zur neuen Orgel für den Mainzer Dom
63
Der sechste Internationale Orgelsommer – Ein Gespräch mit Daniel Beckmann
„
er Internationale Orgelsommer geht in
D
sein sechstes Jahr. Sind Sie mit der Entwicklung und Etablierung der Reihe zufrieden?
Gewiss ist es stets ein Risiko, neue Angebote zu schaffen oder vorhandene Strukturen
auszubauen. Im Falle des Internationalen
4
Orgelsommers dürfen wir aber dank des
freundlichen Zuspruchs der kulturbeflissenen und dom- bzw. domorgelaffinen Mainzer Bürgerinnen und Bürger durchaus ein
positives Resümee ziehen. Seit 2011 ist es
gelungen, das Festival in seiner ursprünglich angedachten Form mit insgesamt acht
Konzerten an den Samstagabenden der
Sommermonate zu institutionalisieren. Das
ist aber sicher kein Grund, sich nun zurück
zu legen: Am Beispiel vergleichbarer Reihen, etwa im Kölner Dom oder im Freiburger Münster, ist ersichtlich, dass mit den
entsprechenden Voraussetzungen hinsichtlich eines adäquaten Instruments und einer
angemessenen Unterstützung durch die
Presse noch viel größere Auditorien erreicht
werden können. Hier ist noch einiges zu
tun …
„
Was war Ihre Motivation, als Sie das Festival 2010 ins Leben riefen und inwiefern
konnten Sie diese Idee umsetzen?
Erst 1985 initiiert, haben die Mainzer
Domkonzerte eine vergleichsweise junge
Tradition. In dieser Zeit haben sich manche Orgelzyklen entwickeln dürfen, so
zum Beispiel die September-Matinées,
die besinnliche Reihe „Wort und Klang“ im
Advent sowie die festlichen Neujahrkonzerte. Darüber hinaus war es mir wichtig,
eine neue Tradition zu begründen, die ganz
bewusst in den Sommermonaten platziert
werden sollte: Einerseits kann so neben der
Mainzer Bevölkerung auch eine überregionale, touristische Zielgruppe angesprochen
werden; andererseits gab es in diesem Zeitraum nicht auch schon andere Traditionen
am ansonsten recht stark frequentierten
Dom. Den Erfolgsgarant sah und sehe ich
bis heute in der Verpflichtung der weltweit
besten Organistinnen und Organisten, die
dank einer ihnen überlassenen Programmkomposition ihre Stärken ausspielen und
uns so besondere musikalische Sternstunden am Dom bescheren können. Neben
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
der erstklassigen Qualität ist aber auch eine
gute Öffentlichkeitsarbeit unverzichtbar.
Hier habe ich durch Einrichtung eines E-Mail
Newsletters, der Erstellung eigener Internetseiten, eines Facebook Auftritts sowie
professioneller Printerzeugnisse alles mir
Mögliche getan. Freilich wäre all jenes aber
ohne die uneingeschränkte Unterstützung
des Herrn Domdekan nicht realisierbar.
„
Der diesjährige Orgelsommer setzt einen
Akzent auf den gerne als „Orgeltitan"
bezeichneten Max Reger, dessen 100.
Todesjahres die Musikwelt 2016 gedenkt.
Doch gerade seine Orgelwerke waren nie
unumstritten. Warum?
Max Reger ist vor allem als Orgelkomponist hervorgegangen. Zwar gab und gibt es
vereinzelte Vertreter meiner Zunft, die mit
seinem Stil nicht viel anfangen können – die
Extrovertivität, die sich in Tempi, dynamischen Angaben, Längenausdehnung der
Werke, Komplexität, technischen Herausforderungen an den Interpreten, Vielstimmigkeit und extremer polyphoner Dichte
äußert, mag ein Grund hierfür sein –,
aber grundsätzlich ist es common sense,
dass Max Reger nach Johann Sebastian
Bach die bedeutendsten Orgelwerke im
deutschsprachigen Raum geschrieben hat.
So ist es richtig und wichtig, den Internationalen Orgelsommer 2016 anlässlich seines
100. Todesjahres thematisch auszurichten,
wenngleich es einen solchen „roten Faden“
bislang in der noch jungen Geschichte des
Festivals nicht gab.
„
Wie findet das Orgelwerk Regers denn Eingang in das Festival?
Es erklingen drei Choralfantasien, beide
Sonaten, die fis-Moll Variationen, Phantasie
und Fuge über B-A-C-H, die Symphonische
Phantasie und Fuge, op. 127 und op. 135b –
kurz gesagt: vor allem jene Werke, die Max
Reger für die Orgelmusik als solche unsterblich gemacht haben.
„
Worauf darf sich das Publikum außerdem
freuen?
Auf Klassiker des Orgelrepertoires, Raritäten
und Improvisationen. Auch ein Duo wird zu
hören sein (Posaune und Orgel).
Das Gespräch führte Jan-Geert Wolff
Die diesjährigen Interpreten, die nicht
zuletzt wegen ihrer Affinität zum Regerschen Œuvre ausgewählt wurden, sollten
zumindest ein zentrales Werk des Meisters interpretieren. Und das ist gelungen.
5
Samstag, 16. Juli 2016 | 18.30 Uhr
Domorganist Daniel Beckmann
Programm | Dom St. Martin
M. Reger Choralfantasie „Halleluja!
(1873–1916) Gott zu loben bleibe meine Seelenfreud“ op. 52/3
J. S. Bach
Praeludium et Fuga in g BWV 535
(1685–1750)
S. Karg-Elert Marche triomphale „Nun danket alle Gott“ op. 65
(1877–1933)
Triosonate G-Dur BWV 530
Vivace – Lente – Allegro
M. Reger Fantasie und Fuge d-Moll op. 135b
J. S. Bach
6
Daniel Beckmann
Daniel Beckmann, geb. 1980, studierte
bereits zu Schulzeiten als Jungstudent an
der Hochschule für Musik in Detmold, wo
er alle Prüfungen in den Fächern Orgelliteraturspiel (Klasse Prof. G. Weinberger) und
–improvisation (Klasse Prof. T. A. Nowak) im
Rahmen der Studiengänge Kirchenmusik
(A-Examen) und Orgel (künstlerische Reifeprüfung & Konzertexamen) mit Auszeichnungen ablegte.
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
In den anschließenden Jahren betätigte
er sich musikalisch sehr vielseitig. Neben
seiner Funktion als Dekanatskirchenmusiker in Paderborn lehrte er künstlerisches
Orgelspiel an der dortigen Universität und
an der Hochschule für Musik in Detmold. Er
gründete und leitete das solistisch besetzte
Alte-Musik-Ensemble „Deutsche VocalConcertisten“ und entfaltete eine umfangreiche Konzerttätigkeit als Organist, Pianist
und Dirigent. Für seine Leistungen wurde
er vielfach mit renommierten Preisen und
Stipendien auf nationaler und internationaler Wettbewerbsebene ausgezeichnet.
mit der Domorgelkommission eine groß
angelegte Renovation der Domorgel und ist
regelmäßiger Gast in Kathedralen, Philharmonien und anderen Orgelmusikzentren
des In- und Auslandes. Seit 2014 leitet er
ferner gemeinsam mit Prof. G. Gnann eine
internationale Orgelklasse an der Hochschule für Musik Mainz. Zahlreiche TV-, CD- und
Rundfunkaufnahmen sowie die Mitwirkung
in internationalen Wettbewerbs-Juries runden die Tätigkeit ab.
> www.domorgel-mainz.de
2010 wurde Daniel Beckmann durch Karl
Kardinal Lehmann 29-jährig zum Domorganisten an den Hohen Dom St. Martin zu
Mainz berufen, wo er seither die Verantwortung für die liturgische und außerliturgische
Orgelmusik trägt. Er initiierte die monatlichen Orgelmatineen und den Internationalen Orgelsommer, plant derzeit gemeinsam
7
Zum Programm | 16. Juli 2016 – Daniel Beckmann
Schon die Einleitung der Friedrich L. Schnackenberg – Seminaroberlehrer in Plauen und
Mitarbeiter der Neuen Zeitschrift für Musik, in
der er einige Werke Max Regers positiv besprochen hatte – gewidmeten Phantasie für Orgel
über den Choral „Hallelujah! Gott zu loben,
bleibe meine Seelenfreud’!“ op. 52 Nr. 3 greift
den lobpreisenden Gehalt des aus der Feder
Matthias Jorissens stammenden, auf Ps. 146
basierenden Choraltextes auf: Eine stets wiederkehrende Aufwärtsbewegung charakterisiert den musikalischen Duktus, den vor allem
das zweimalige Alternieren von Pedalsolo und
auftaktigen Akkordeinwürfen prägen, und
zwar unter deutlich reduzierter Chromatik,
die in op. 52 Nr. 1 gleichsam den „Widerpart“
(Friedhelm Krummacher) zur diatonischen
Liedmelodie bildet. Die Triolenbewegung des
Pedalsolos wird beim zweiten Durchgang im
Manual aufgegriffen und bleibt auch während
der Durchführung der im Pedal erklingenden
1. Strophe durchweg präsent. In op. 52 Nr. 2
verzichtet Reger weitgehend auf die einzelnen
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Strophen trennenden Zwischenspiele, woraus
eine partitenartige Reihung entsteht. Die sich
der 1. Strophe also unmittelbar anschließende,
nahezu ostinate, also stets wiederkehrende,
drei Töne umfassende auftaktige Motivik im
Pedal – sie erklingt in Gegenbewegung und
in rhythmisch verkleinerter Form auch im Manual – ist charakterisiert durch einen fallenden
Oktavsprung, der im Zusammengehen mit einer vorausgehenden, ebenfalls absteigenden
kleinen Sekunde zum Bild wird für das Leben
zum Tode, von dem die 2. Strophe spricht. Die
Hoffnung auf „Jakob’s Gott“ artikulierende 3.
Strophe gestaltet Reger eher verinnerlicht,
wobei auch hier Triolen, nunmehr in Achteln,
den freudigen Grundaffekt zum Ausdruck
bringen. Innerhalb der 4. Strophe umspielen
in der Art von Bachs Choralvorspiel „Christ lag
in Todesbanden“ aus dem Orgelbüchlein den
Cantus firmus im Sopran imitatorisch geführte
Sechzehntel-Figuren, die alsbald in die rasche
Sechzehnteltriolen-Bewegung des Anfangs
übergeht. Vier choralfreie Takte leiten zur 5.
Strophe über, die mit ruhig fließenden Achteln
in den Begleitstimmen wieder ganz zurückhaltend vertont ist. Wie subtil Reger auf den
Text zu reagieren vermag, zeigt einmal mehr
die Chromatik im Pedal zu den Worten „in des
Todes Nacht“. Die beiden letzten Strophenzeilen bringen wiederum die Achteltriolen zur
Geltung. Solche Rückbezüge dienen einerseits
der Textverdeutlichung, aber auch der formalen Einheit, verhindern sie doch, dass die Komposition in eine bloße Reichung von Tableaus
zerfällt. Den Abschluss der Phantasie bildet
wiederum eine großformatige Steigerungsfuge, die ihren Höhepunkt mit der Kombination
von Fugenthema und am Schluss sogar kanonisch geführter Choralmelodie findet.
J. S. Bach hat das mehrteilige norddeutsche
Orgelpräludium zum bipolaren Typus von
„Präludium“ und „Fuge“ entwickelt. Ein Blick
auf die Entstehungsgeschichte von Praeludium
et Fuga in g BWV 535 kann zeigen, dass es sich
hierbei um einen Prozess handelt. Die Frühfas-
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
sung BWV 535a ist in der sogenannten
Möllerschen Handschrift enthalten (ca. 1707),
die neben dem Andreas-Bach-Buch die früheste Quelle Bach´scher Musik für Tasteninstrumente darstellt, und offenbart hinsichtlich
der Taktzahl ein eklatantes Ungleichgewicht
zwischen Präludium und Fuge. Während die
Fuge ein eindrucksvolles Zeugnis ist von Bachs
beginnender Meisterschaft in der Handhabung der Fugenform (ihr Thema steht in der
Tradition der norddeutschen Reperkussionsthemen), fällt das Präludium mit deutlich weniger als einem Drittel des Umfangs der Fuge
eher bescheiden aus und erinnert so noch an
die frei-präludierenden Abschnitte des norddeutschen Orgelpräludiums.
Erst eine spätere Revision, die einer Neukomposition gleichkommt (im Zentrum des
Satzes steht, wie Werner Breig schreibt, „eine
den ganzen Tonartenkreis durchlaufende
chromatisch-enharmonische Modulation“ –
übrigens ein eindrucksvolles Zeugnis für Bachs
kompositorisch formulierte Forderung nach
einer gleichstufigen Temperatur –) gleicht das
Gewicht beider Teile an.
Knapp zehn Jahre überschneiden sich die
Schaffenszeiten Sigfrid Karg-Elerts und Max
Regers, dessen Nachfolge Karg-Elert 1919 als
Professor für Theorie und Komposition am
Leipziger Konservatorium antrat. Er konnte
eine von Reger sich deutlich unterscheidende, durchaus originelle musikalische Sprache
entwickeln, die durch Claude Debussy und
Alexander Skrjabin beeinflusst ist. Nun danket
alle Gott [Marche triomphale] ist die Nr. 59 der
Sammlung Choral-Improvisationen op. 65, die
66 Choralbearbeitungen enthält. Die Arbeit
ist dem Komponisten nicht leicht gefallen. In
einem Brief vom 27. Februar 1909 schrieb er an
den Verleger Carl Simon: „Es ist zu schwer!!
4 Klaviersonaten sind eine geringere Arbeit als
2 Hefte dieser klassisch-formalen Vorspiele!!
Mir fällt weiß Gott nicht so leicht etwas schwer,
– aber diese Sache? […] Eine Arbeit zum Steine
erweichen! […] Die Idee, die Inspiration, darf
hier nicht in ‚Gefühlsbrei‘ ausmünden, […]
sondern sie darf nur ein winziges Motivchen
schaffen, das aber den ganzen seelischen
Inhalt des Gesangbuchtextes konzentriert
in sich trägt“. Die Komposition arbeitet mit
den ersten beiden Choralzeilen und aus dem
diastematischen Material (Tonhöhenverlauf)
abgeleiteten Motiven (der zurückgenommene
B-Teil z. B. präsentiert die erste Liedzeile nach
Moll gewendet).
Die Triosonate ist eine zentrale Gattung barocker Instrumentalmusik. Ihr Grundgedanke ist
das Zusammenwirken von zwei gleichberechtigten Stimmen über einem basso continuo,
der als harmonische Stütze fungiert, aber auch
an dem motivisch-thematischen Geschehen
beteiligt sein kann. Die Sonaten BWV 525-530
sind die einzige Gruppe von freien Orgelwerken, die Bach zu einem Opus zusammengestellt hat. Der erste Satz der Sonata G-Dur BWV
530 prägt hinsichtlich des Aufbaus (nicht der
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I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
klanglichen Differenzierung) deutlich die konzertmäßige Aufteilung in Tutti- und Solopassagen aus. Dem zweiten Satz eignet eine zweiteilige Form mit Rückkehr zum Anfangsthema
in der zweiten Hälfte. Der Schlusssatz besitzt
zwei Themen, wobei das erste fugiert behandelt wird.
Der Entstehungszeitraum von Fantasie und
Fuge d-Moll op. 135b erstreckt sich über etwa
acht Monate. Schon Ende September 1914
hatte Max Reger Karl Straube berichtet, er
„gehe schon etwas ‚schwanger‘ mit der Sache!“.
Zu einer weitergehenden Ausführung dieses
Plans kam es aber erst im April 1915, schreibt
er doch am 30. April an Straube: „Es interessiert
dich wohl zu vernehmen, dass ich an einem
neuen Orgelwerk großen Stils arbeite.“ Dieser
Begriff begegnet bei Reger immer wieder.
Bereits im Kontext von Phantasie und Fuge cMoll spricht er von einer Komposition „großen
Styls“, und das Vorhaben der B-A-C-H-Komposition kommentierte er: „Das muss ein Werk
größten Stils werden“. Mit dieser Terminologie
verweist Reger auf den technischen Anspruch
gleichermaßen wie auf den kompositorischästhetischen, der im Falle seines opus ultimum
für Orgel nochmals allerhöchstes Niveau
erreicht. Am 17.5.1915 reicht er es zum Druck
ein. Die Entstehungsgeschichte dieses letzten
Orgelwerks Regers ist insofern bemerkenswert
und ungewöhnlich, als der Komponist, wie er
im Brief vom 13.4.1916 an den Simrock-Verlag
mitteilt, nach Erhalt des ersten Korrekturabzugs deutliche Kürzungen vorgenommen hat,
mit denen das Opus dann kurz nach Regers
Tod auch erscheint. Wie in allen phantasiebzw. toccatenartigen Stücken Regers ist auch
die Phantasie von op. 135b charakterisiert
durch das Alternieren von eher langsamen
und stürmisch vorwärts drängenden Abschnitten. Einen neuen Aspekt bieten aufgrund ihrer
quasi impressionistisch anmutenden Faktur
die einleitenden Zweiunddreißigstel-Girlanden. Gleich der die Variationen über ein Thema
von Joh. Seb. Bach für Klavier zu zwei Händen op.
81 beschließenden Fuge besteht die Fuge von
op. 135b aus zwei Themen – einem verhaltenruhigen und einem bewegteren –, die am
Ende im dichtesten Kontrapunkt kombiniert
werden und das Werk so zu einem triumphalen Ende führen.
Paul Thissen
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Samstag, 23. Juli 2016 | 18.30 Uhr
Gerhard Weinberger, München
Programm | Dom St. Martin
M. Reger
Dankpsalm op. 145 Nr. 2
(1873–1916)
J. Schmid „Ave Maria“ (1865–1945)
A. Piechler Nocturno op. 39 Nr. 4 („Salve Regina“)
(1896–1974) J. Renner
(1868–1934)
Thema mit Variationen c-Moll op. 58
P. Wittrich Concerto II
(*1959)
(G. Weinberger gewidmet)
– „Victimae paschali laudes“
– Dialog ad Communionem über
„Pange lingua“ und „Adoro te devote“
– Trilogie über „Veni creator“, „Regina coeli“
und „Lauda Sion“
M. Reger
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Symphonische Phantasie und Fuge d-Moll op. 57
Gerhard Weinberger
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
wurde er 1974 als Dozent für Orgel und
Kirchenmusik an die Hochschule für Musik
in München berufen. Mit 29 Jahren erhielt
er drei Jahre später dort eine Professur für
Orgel. Von 1983 - 2011 unterrichtete er als
ordentlicher Professor für Orgel eine internationale Orgelklasse an der Hochschule
für Musik in Detmold, wo er die Abteilung
Kirchenmusik leitete sowie seit 2004 auch
das Vokalsolisten-Ensemble der Barockakademie der Hochschule. Er ist Mitglied der
Europäischen Akademie der Wissenschaften
und Künste Salzburg und des Direktoriums
der Neuen Bachgesellschaft Leipzig.
Gerhard Weinberger studierte an der
Hochschule für Musik München Orgel (bei
Prof. Franz Lehrndorfer), Kirchen- und Schulmusik. 1971 war er Preisträger im Fach Orgel
im internationalen Musikwettbewerb der
deutschen Rundfunkanstalten (ARD). Nach
einer dreijährigen Tätigkeit als Chordirektor an der Basilika St. Lorenz in Kempten
für die Gesamteinspielung der Bachschen
Orgelwerke), Jurytätigkeit, zahlreiche Editionen von Orgel- und geistlicher Chormusik
(darunter das gesamte Orgelwerk von Johann Ludwig Krebs und Robert Schumann),
Buch „Zur Interpretation der Orgelmusik J.
S. Bachs“, zahlreiche Fachartikel. Mit seiner
Frau Beatrice-Maria spielt er auch regelmäßig Konzerte für zwei Spieler. Derzeit arbeitet er an einer umfangreichen Einspielung
der Orgelwerke Max Regers an historischen
Orgeln der Reger-Zeit.
Seit vielen Jahren internationale Konzerttätigkeit, 2000 mehrmals zyklische
Gesamtaufführung des Bachschen Orgelwerkes, bisher ca. 50 CD – Aufnahmen, u. a.
das gesamte Orgelwerk von J. S. Bach auf
historischen Instrumenten der Bach-Zeit,
mehrere Schallplattenpreise (u. a. Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik 2009
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Zum Programm | 23. Juli 2016 – Gerhard Weinberger
Die Entstehung der in ihrem Umfang zunächst offenen Sammlung – erst in posthumen Ausgaben heißt sie Sieben Orgelstücke
– geht auf eine Anfrage des Verlages Oppenheimer in Hameln an Max Reger zurück.
Zusammen mit Trauerode, Weihnachten,
Passion, Ostern und Pfingsten erschien
Dankpsalm Anfang 1916. Kurze Zeit später kam noch Siegesfeier hinzu. Gemeinsam
ist allen Stücken das Zitieren von Chorälen;
im Dankpsalm sind es „Was Gott tut, das ist
wohl getan“ und „Lobet den Herren“.
Der in München geborene Joseph Schmid
studierte an der Akademie der Tonkunst bei
Joseph Rheinberger und Louis Thuille, einem der einflussreichsten Persönlichkeiten
der sogenannten „Münchner Schule“ um
1900. Nach seinem mit Auszeichnung abgeschlossenen Studium verdiente er seinen
Unterhalt als Konzertorganist und Klavierbegleiter sowie als Leiter mehrerer Münchner Chöre. Nachdem er zwölf Jahre an der
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Kirche Heilig Geist in München als Kirchenmusiker tätig war, ernannte man ihn 1901
zum Domorganisten am Liebfrauendom.
Schmids über 400 kompositorische Werke sind heute weitgehend unbekannt. Er
schrieb u. a. zwei Opern, fünfzehn Messen,
ein Requiem, ein Te Deum, Motetten, geistliche und weltliche Chöre, Lieder, Kammermusik und Orgelwerke. Das Ave Maria ist ein
in der Orgelmusik des 19. und frühen 20.
Jahrhunderts relativ weit verbreitetes Stimmungsbild der Verkündigung durch den
Erzengel Gabriel.
Der in Magdeburg geborene Arthur Piechler studierte an der Münchner Akademie
der Tonkunst u. a. bei dem Thuille-Schüler
Heinrich Kaspar Schmid. Von 1925 bis 1955
unterrichtete Piechler, der ein weitgereister Orgelvirtuose war, am Augsburger Konservatorium und prägte fortan dreißig Jahre
lang wesentlich das Musikleben in Augsburg, u. a. auch als Dirigent des dortigen
Oratorienvereins und als Chorregent in der
Kirche St. Ulrich und Afra. Piechler hinterließ
ein umfangreiches kompositorisches Schaffen. Das Nocturno entstammt der 1949 entstandenen „Orgelmusik in fünf Sätzen“ op.
39 und stellt eine Bearbeitung des „Salve Regina“ dar, dessen Melodie im Pedal erklingt.
Joseph Renner amtierte von 1893 bis zu seinem Tod als Domorganist in Regensburg. Er
studierte in München u. a. bei Joseph Rheinberger, von dessen Tonsprache er, wie auch
Thema mit Variationen op. 58 (1904) deutlich
werden lassen, stark beeinflusst blieb.
Das Concerto II von Peter Wittrich, der,
nachdem er einige wichtige Kompositionswettbewerbe gewonnen hat, als Professor für Musiktheorie an der Münchener
Musikhoschhule lehrt, ist auf Anregung
des Widmungsträgers entstanden. In seinem Vorwort hebt der Komponist hervor,
„im organisch sich entfaltenden Melos des
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
gregorianischen Chorals, ohne Bindung an
metrisch-rhythmische Organisation“ liege
„ein unendlicher Reichtum an Gestaltungsmöglichkeiten. ‚Harmonie‘ entsteht aus dem
freien Pulsieren der melodischen Bewegungen heraus im begrenzten, von der menschlichen Stimme vorgegebenen Ambitus, und
die Loslösung von jeglicher vertrauten harmonischen Bindung ebnet den Weg für
vielerlei klangliche Grundierung und rhythmische Differenzierung“. Entstanden ist eine
Komposition, die eine Fülle von Aspekten
aufweist, die über die zahlreichen Kompositionen des 20. Jahrhunderts über gregorianische Melodien aus dem französischen
und deutschsprachigen Raum deutlich hinausgehen und dem Werk ein äußerst individuelles Gepräge verleihen: akkordische
Passagen, auch mit jazzoiden Anklängen,
rhythmisch sich frei entwickelnde Abschnitte und dichter gearbeiteter, aber niemals „gelehrt“ wirkender Kontrapunkt (ein
schönes Beispiel liefert gleich der zweite
Abschnitt des ersten Satzes) lassen die zugrunde liegenden gregorianischen Melodien in immer neuem Licht erscheinen. Das
Material des ersten Satzes (lediglich Hymnus I überschrieben) ist gänzlich aus der
Ostersequenz „Victimae paschali laudes“ gewonnen. Der zweite Satz gewinnt aus dem
„Pange lingua“ eine dialogisierende Struktur
und entwickelt aus dem „Adoro te devote“
einen Triosatz. Den letzten Satz bestimmen „Hymnisch-opulenter Klangreichtum
(Veni Sancte spiritus) im Wechsel mit scherzoartiger Verspieltheit im Lauda Sion und
lyrischem Regina coeli-Einschub“. (Peter Wittrich)
Max Reger suchte Zeit seines Lebens Werke
„großen“ und „größten Styls“ zu realisieren.
Aber weder das „oratorische Hauptwerk“
(das als solches gedachte „Requiem“ wurde nicht vollendet) noch eine Symphonie
(nur die Symphonietta op. 90) konnte Reger realisieren. Wiewohl Großwerke für die
Orgel seine frühen Komponistenjahre säumen, wagte Reger nicht den Schritt, eine
„Symphonie“ für die Orgel zu komponieren.
Tatsächlich bildet die Orgel-Symphonie in
Deutschland, ganz im Gegensatz zu unseren
französischen Nachbarn, bis zu den Werken
von Enjott Schneider eine Leerstelle (die Orgel-Symphonie von S. Karg-Elert ist ein Solitär), was insofern überraschen muss, als die
Symphonie als Leitgattung der Instrumentalmusik gilt: Mit dem Begriff des „Symphonischen“ ist im 19. Jahrhundert immer ein
großer ästhetischer und kompositorischer
Anspruch verbunden. Wenn Reger seinem
op. 57 also das Adjektiv „symphonisch“ voranstellt (zunächst sollte das Werk als „Orgelsonate“ überschrieben sein), so will er damit
unmissverständlich offenbar werden lassen,
dass hier, nach den Choralfantasien op. 40
und op. 52, aber auch nach der B-A-C-HKomposition op. 46, ein Gipfelpunkt seines Orgelschaffens gleichermaßen wie der
Orgelliteratur vorliegt. Noch während der
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Internationale r O r g e l s o mm e r 2016
Arbeit am Klavierquintett op. 64 (ursprünglich op. 56) schrieb Reger an Josef Loritz: „in
14 Tagen geht's über ein neues Orgelwerk;
mache Dich auf was gefasst!“ „Ein tolles
Kind!“ bezeichnete Reger die Komposition im Jahr 1901 gegenüber Theodor Kroyer. Dass op. 57 ein Programm zugrunde liegt
– Reger widerstrebte es, sich zum Gehalt
seiner Kompositionen zu äußern, konzidierte aber: „Opus 57 ist angeregt durch Dantes
‚Inferno‘! Das dürfte Ihnen wohl alles Wissenswerte sagen.“ – rückt es in die Nähe der
Symphonischen Dichtungen Franz Liszts,
der in der Nachfolge Ludwig van Beethovens mit solchermaßen konzipierten Werken die Programmmusik nobilitieren wollte.
Wenn versucht wurde, bestimmte Motivstrukturen mit einem bestimmten Gehalt zu
verbinden („Aufschreimotiv“, „Leidensmotiv“
und „Abstiegsmotiv“), so muss betont werden, dass man sich hier gänzlich auf dem
Gebiet der Spekulation bewegt. Der Phantasie liegt ein dreigliedriger Formverlauf
zugrunde: Exposition und „Reprise“ umrahmen einen ruhigen Mittelteil. Für die Fuge
hat H. Wunderlich – in Analogie zur Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit (Schönberg
sprach von der „double function form“) z.
B. im Fall von Franz Lizts Sonate h- Moll für
Klavier – eine Anlage als viersätziger Zyklus angenommen. Reger beharrt allerdings
auf dem historischen Formmodell der Fuge
mit mehreren Durchführungen. Das heißt,
die Takte 1-57 mit dem ersten Fugenthema entsprechen dem Kopfsatz, die Takte
57–71 (zweites Fugenthema) dem langsamen Satz, die auf Elementen des ersten
Themas und Interpolationen des zweiten
Thema bestehenden Takte 72-100 repräsentieren das Scherzo und die innerhalb der
Takte 100-142 vollzogenen Zusammenführung beider Themen mit Steigerungsphase
bilden das Finale. Im Gegensatz zu Bach, für
dessen Fugen die Unterscheidung von thematischen Durchführungen und themenfreien oder zumindest thematisch lockeren
Zwischenspielen charakteristisch ist, bleibt
bei Reger die Thematik omnipräsent.
Paul Thissen
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Samstag, 30. Juli 2016 | 18.30 Uhr
Gereon Krahforst, Maria Laach
Programm | Dom St. Martin
Reger mit Zeitgenossen aus anderen Ländern
Österreich:
F. Schmidt
Toccata C-Dur
(1874–1939)
USA:
C. Demarest
Canzona
(1874–1946)
Russland:
S. Rachmaninow Polka de V. R.
(1873-1943)(Orgelbearbeitung von Gereon Krahforst 2013)
England:
E. C. Bairstow
(1874–1946)
Deutschland:
M. Reger
(1873–1916)
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Evening Song
Variationen und Fuge über ein Originalthema
in fis-Moll op. 73 (1903)
Gereon Krahforst
Gereon Krahforst wurde 1973 in Bonn
geboren. Nach einer umfassenden frühen
musikalischen Ausbildung und dem Abitur
studierte er 1990–2000 Komposition, Musikwissenschaft, Kirchenmusik, Klavier und
Orgel in Köln und Frankfurt am Main (Orgellehrer waren vor dem Studium Markus
Karas und John Birley, während des Studi-
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
ums dann Clemens Ganz und Daniel Roth).
Zahlreiche Meisterkurse und private Studien
u.a. mit Marie-Claire Alain, Jon Laukvik, Petr
Eben, Wolfgang Seifen, Tomasz A. Nowak,
Franz Lehrndorfer, Bernhard Haas und vielen anderen ergänzen seine Studien. Nach
einer Reihe von kirchenmusikalischen Anstellungen in Bonn (Kreuzbergkirche), Mönchengladbach (Münsterbasilika), Minden
(Dom) und als Domorganist in Paderborn
(Dom) wanderte er zunächst nach Südspanien aus und amtierte dort als Organist der
national bedeutenden „Organo del Sol Mayor“ in der weltberühmten Stadt Marbella an
der Costa del Sol. Bis dahin lehrte er gleichzeitig acht Jahre lang eine Orgel-Improvisationsklasse an der Hochschule für Musik,
Theater und Medien in Hannover.
2012–2014 amtierte er als Cathedral Organist und Associate Director of Music an der
Cathedral Basilica of Saint Louis, Missouri –
einer der bedeutendsten katholischen Ka-
thedralen Amerikas. Aus familiären Gründen
kehrte er im Sommer 2014 nach Deutschland zurück und arbeitete zunächst als
Kirchenmusiker in Mettlach sowie freischaffend als Konzertorganist, Lehrer und
Komponist. Im April 2015 wurde er vom
Benediktinerkonvent der weltberühmten
Abtei Maria Laach als Abteiorganist und
künstlerischer Leiter der Internationalen
Laacher Orgelkonzerte berufen; diese herausragende Stellung hat er im Juli 2015
angetreten. Des weiteren ist er künstlerischer Leiter der Orgelkonzertreihen an der
Fasen-Orgel in St. Sebastian, Boppard sowie
an der historischen Balthasar-König-Orgel
von 1714 in der Klosterkirche St. Leodegar
zu Niederehe / Eifel.
Besonders als Improvisator konnte er
sich weltweit einen Namen machen; daneben zählen zu seinem breit gefächerten Repertoire u.a. sämtliche Orgelwerke
von Scheidt, Pachelbel, Muffat, Couperin,
19
Buxtehude, Bach, Mendelssohn, Schumann,
Brahms, Franck, Duruflé, zahlreiche Werke
von Guilmant, Widor, Vierne, Dupré und
Messiaen sowie ein großer Fundus an unbekannten, lohnenswerten Komponisten aller
möglichen Länder und Epochen. Immer
wieder werden seine abwechslungsreichen
Programmgestaltungen und unkonventionellen Registrierungen bewundert, was in
lobenden Kommentaren und Empfehlungen von Jean Guillou, Olivier Latry, Thierry Escaich, John Scott und Stephen Tharp
gipfelt.
2015 erhielt er von der Erzdiözese Freiburg
einen großen Kompositionsauftrag zum
50jährigen Bestehen der Domorgel und
verfasste eine Symphonie für 1– 4 Orgeln;
daneben sind zahlreiche Chor- und Orgelwerke in deutschen, holländischen und
amerikanischen Verlagen erschienen.
20
Bereits 1987 gewann er als 14jähriger einen
landesweiten Kompositionswettbewerb
mit einem Konzert für Klavier und Orchester; zahlreiche weitere, auch internationale
Preise, in Komposition, Klavier und Orgel
schlossen sich an. Konzerte führten ihn – zunächst sogar zusätzlich auch als Pianist – in
viele Kathedralen, Kirchen und Konzertsäle
ganz Europas, nach Südkorea und auch vor
dem Auswandern mehrmals in die USA, wo
ihm besondere Verdienste der AGO für seine
Lehrtätigkeiten, Vorträge und Konzerte um
Max Reger zuteil wurden. CD-Aufnahmen
sowie Auftritte in Rundfunk und Fernsehen
runden sein vielschichtiges musikalisches
Wirken ab.
> www.gereonkrahforst.org
Zum Programm | 30. Juli 2016 – Gereon Krahforst
Der in Preßburg geborene und bei Wien
gestorbene Franz Schmidt war kurzzeitig
Schüler Anton Bruckners und wirkte an der
Wiener Musikakademie zunächst als Professor für Klavier, später auch für Kontrapunkt und Komposition. Schmidt hat ein
reichhaltiges Œuvre hinterlassen, wobei die
Oper Notre Dame sowie das Oratorium Das
Buch mit den sieben Siegeln hoch bedeutsame Werke der jeweiligen Gattungsgeschichte repräsentieren. Auch die Orgel hat
Schmidt mit Kompositionen bedacht, wobei die Toccata C-Dur zu seinem populärsten Orgelwerk avancieren konnte, was nicht
zuletzt wohl auch mit der aparten Harmonik
der Komposition in Zusammenhang steht,
die nach den schlichten pentatonischen
Anfangsfiguren gegen Ende einen hohen
Grad von Komplexität erreicht. Im 19. und
frühen 20. Jahrhundert ist die Orgeltoccata in Deutschland, anders als in Frankreich,
eher von nachgeordneter Bedeutung und
hat, sofern sie in Erscheinung tritt wie z. B.
bei Rheinberger, eher etüdenartigen denn
virtuos-spielfreudigen Charakter. Schmidts
Toccata sucht beide Traditionsstränge zu
verbinden: Die anfängliche an Etüden erinnernde gleichmäßige Sechzehntelbewegung geht bald in virtuose, zwischen den
Händen alternierende Akkordschläge über.
Dabei weichen die auftaktigen Figuren im
Pedal einer diatonisch-choralartigen Linie,
die sich unüberhörbar als das zentrale Thema der sonatensatzartigen Komposition herauskristallisiert.
Die instrumentale „Canzona“, wie sie in der
Musik der sogenannten Renaissance begegnet, ist aus der Chanson entstanden, einer
polyphonen Gattung weltlicher Vokalmusik.
Im 19. Jahrhundert dagegen verweist der
Gattungsbegriff, wie die Canzona des amerikanischen Komponisten Clifford Demarest
deutlich werden lässt, auf eine lyrische Instrumentalkomposition mit liedhafter Themenstruktur.
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Sergej Rachmaninow darf zu den bedeutendsten russischen Musikern seiner Zeit
gerechnet werden; sein internationaler
Durchbruch als Komponist erfolgte mit dem
2. Klavierkonzert (1900/01), während sein
kometenhafter Aufstieg als Pianist 1918 begann, nachdem er Russland 1917, als er infolge der revolutionären Ereignisse sein
Landgut (1973 wurde es wieder aufgebaut)
und Vermögen verlor, für immer verlassen
hatte. Die Polka de W. R. entstand 1911 als
Transkription der „Lachtäubchen Scherzpolka“ des deutschen Salonkomponisten Franz
Behr, der einer der Lieblingskomponisten
von Rachmaninows Vater Wassili Rachmaninow war. Wahrscheinlich ging Rachmaninow, der das Stück immer wieder aufführte
und viermal einspielte, davon aus, dass es
sich um eine Originalkomposition seines
Vaters Wassili handelt (deshalb „de W. R.“).
Die Polka kam um 1830 auf und wurde ab
1840 zum alles übertreffenden Modetanz.
Der für die Gattung konstitutive Rhythmus
21
(2/4-Takt mit einer Folge von sechs Achteln
und abschließendem akzentuiertem Viertel)
erklingt in der Scherz-Polka nach vier einleitenden Takten.
Sir Edward Cuthbert Bairstow war als Organist, Chordirigent und Pädagoge in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von großem Einfluss auf das englische Musikleben.
Von 1913 bis zu seinem Tod wirkte er als Organist der York Minster. Sein kompositorisches Schaffen konzentriert sich auf die
Kirchenmusik und ist stilistisch, beeinflusst
von Brahms und Stanford, eher konservativ.
Evening Song ist Bairstows erstes publiziertes Orgelwerk. Dem Stück eignet eine A-BA-Form: Ein pastoraleartiger Mittelteil wird
umrahmt von einer Kantilene, die ruhig fließende Sechzehntel begleiten.
Die Variationen und Fuge über ein Originalthema op. 73 von Max Reger verdanken ihre Entstehung der am 14. Juni 1903
22
geäußerten Bitte Karl Straubes (deshalb die
Widmung „Karl Straube zur Erinnerung an
den 14. Juni 1903“) – Regers Freund und fulminanter Interpret seiner Orgelwerke –, ihm
„ein Orgelwerk ohne Bezugnahme auf evangelische Choräle“ zu schreiben, damit er „in
vorwiegend katholisch orientierten Städten
ein nicht kirchlich gebundenes Stück“ für
sein Programm zur Verfügung habe; Straube
schlug – gleichsam als Pedant zur Konzeption der Choralfantasien – Variationen und
Fuge über ein eigenes Thema vor. Reger
nahm den Vorschlag in den Sommerferien
auf und eröffnet mit op. 73 die Reihe seiner
zyklischen Variationswerke mit Schlussfuge. Zum Gehalt äußerte Reger sich in einem Brief vom 25. Juni 1904 an Straube mit
den Worten: „[...] ja, was soll ich da angeben:
das Werk selbst ist aus einer recht wehmütigen Stimmung heraus geboren; das Thema in seiner Resignation gibt alles an; eine
große Rolle spielt im Werke der melancholische dritte Takt aus dem Thema selbst: Ich
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
glaube, das wird wohl genügen. Du weißt,
ich spreche darüber so furchtbar ungern,
weil ich es als ‚Pose‘ empfinde, mit seinen
Stimmungen und Empfindungen zu ‚protzen‘.“ Regers Thema, dem eine ausgedehntere Introduzione vorausgeht (auf der Basis
einer dataillierten Analyse lassen sich zwischen Introduktion, Thema mit Variationen
und Fuge vielfältige motivische Beziehungen nachweisen: z. B. erscheint das dreitönige Kopfmotiv der Fuge als Figuration der
Thementöne zu Beginn von Variation zwei,
außerdem in den Variationen 6 und 7), zeigt
nicht nur eine kaum zu überhörende Verwandtschaft mit Choralthemen, sondern
nicht zuletzt aufgrund des in sich gekehrten Charakters auch eine unüberhörbare
Nähe zu den Themen der langsamen Sätze z. B. in seinem Violin- und Klavierkonzert
oder aber in seiner Kammermusik. Die Variationen op. 73 gehören zum Typus der „freien
Variation“, für den die Unabhängigkeit von
der Themenstruktur charakteristisch ist. Von
der den Choralfantasien zugrunde liegenden Variationstechnik weicht op. 73 also insofern deutlich ab, als das Thema nurmehr
noch in der zweiten Variation klar erkennbar
ist. Einzig der dritte und vierte Thementakt
– den dritten Takt hat Reger als „melancholisch“ bezeichnet (s. o.) – treten vor allem in
den langsamen Variationen deutlicher hervor. Im Prinzip aber entfernen sich die Varia­
tionen stark vom Thema, aus dem allenfalls
Motivkonstellationen und Gerüstelemente
Verwendung finden. In der toccatenartigen
neunten Variation allerdings erscheint die
diastematische Gestalt des Themas, rhythmisch in eine Folge von gleichmäßigen
Sechzehnteln aufgelöst, im Pedal, darüber
erklingen zwischen den Händen alternierende Akkordfolgen. Zu Verschleierung bzw.
Variation der Themenstruktur tragen bei
Techniken wie Streichung oder Austausch
von Takten und neue Kombination von Thementeilen. Das bewegte Fugenthema kontrastiert deutlich zum Variationsthema. Im
Gegensatz zu den Choralfantasien werden
im vorliegenden Werk beide Themen
nicht zueinander finden, d. h. auf die apotheotische Verknüpfung von Thema und
Fugenthema verzichtet Reger in op. 73.
Paul Thissen
23
Samstag, 6. August 2016 | 18.30 Uhr
Bernhard Buttmann, Nürnberg
Programm | Dom St. Martin
J. G. Rheinberger
(1839–1901) 4. Sonate a-Moll
„Tonus peregrinus“ op. 98
Tempo moderato
Intermezzo Andantino
Fuga cromatica
J. S. Bach
(1685–1750)
Praeludium et Fuga in c BWV 546
M. Reger
(1873–1916) Introduction, Passacaglia und
Fuge e-Moll op. 127
24
Bernhard Buttmann
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Sein beruflicher Werdegang führte ihn im
Jahre 1985 an die Christuskirche Bochum,
wo ihn als Dirigent eine enge Zusammenarbeit mit den Bochumer Symphonikern
verband.
Mit den Bochumer Orgeltagen und den von
ihm initiierten Bochumer Bach-Tagen setzte er vielbeachtete musikalische Impulse in
der Region.
Bernhard Buttmann wurde 1958 in München geboren und erhielt bereits frühzeitig
seine musikalische Ausbildung an Klavier
und Orgel.
Darüber hinaus wirkte Bernhard Buttmann
in den Jahren 1987 bis 1994 als Dirigent des
Bielefelder Musikvereins und leitete einige
Jahre eine Orgelklasse an der Musikhochschule Dortmund.
Nach dem Abitur studierte er an der Musikhochschule seiner Heimatstadt Konzertfach
Orgel (Prof. Hedwig Bilgram) und Dirigieren
(Prof. Hermann Michael) und ergänzte seine
Ausbildung auf Meisterkursen von Michael
Schneider, Flor Peeters und Albert de Klerk.
Seit 2002 ist Bernhard Buttmann als Kirchenmusikdirektor an Nürnbergs ältester
Hauptkirche St. Sebald tätig, wo er ein umfassendes musikalisches Programm verantwortet und als Organist und Dirigent in
zahlreichen Konzerten auftritt.
Er war Künstlerischer Berater beim Bau der
neuen Konzertorgeln in Bochum (Auditorium Maximum der Ruhr-Universität) und
Dortmund (Philharmonie), ist seit vielen
Jahren regelmäßiger Gast prominenter Orgelfestivals Europas und wirkt als Juror bei
internationalen Orgelwettbewerben.
Zahlreiche Rundfunkaufnahmen und CDEinspielungen dokumentieren sein weitgespanntes Repertoire von der Epoche des
Frühbarock bis hin zu Uraufführungen zeitgenössischer Kompositionen.
Eine Gesamteinspielung der Orgelwerke
Max Regers ist beim Label OehmsClassics
erschienen.
Bernhard Buttmann ist Preisträger des
VI. Internationalen Johann-Sebastian-BachWettbewerbs Leipzig 1980, des III. Internationalen Anton-Bruckner-Wettbewerbs Linz
1982 sowie des I. Internationalen Karl-Richter-Wettbewerbs Berlin 1988.
25
Zum Programm | 6. August 2016 – Bernhard Buttmann
Josef Gabriel Rheinberger wirkte in München als Komponist und gefragter Professor
für Komposition. Seine Musik ist handwerklich durchaus gut gemacht, wurde von der
Kritik aber nicht selten als etwas steif und
mitunter uninspiriert angesehen. Rheinberger kommt das große Verdienst zu, durch
die von seinen Orgelsonaten ausgehende
Hinwendung zum weltlichen, konzertanten
Orgelspiel das Instrument, das nach Bachs
Tod an die äußerste musikalische Peripherie
gedrängt wurde und auch im Gottesdienst
allenfalls als Andachtsgenerator fungierte,
wieder in den Blickpunkt des Interesses gerückt zu haben. Rheinberger schrieb 20 Orgelsonaten. Die Sonaten I bis IV zeigen folgende Charakteristika: dreisätzige Anlage;
der Einleitungssatz orientiert sich an der Sonatenhauptsatzform, die Mittelsätze wollen
romantische Ausdrucksformen erschließen,
die Schlusssätze sind als Fugen gearbeitet. Im Fall der 4. Sonate a-moll „Tonus peregrinus“ op. 98 wird innerhalb des Kopfsatzes
26
aus der Formel des 9. Psalmtons, des sogenannten „tonus peregrinus“, das Seitenthema gewonnen. Ähnlich wie im Eröffnungssatz der 1. Sonate f-Moll für Orgel von Felix
Mendelssohn Bartholdy gewinnt die „weltliche“ Gattung „Sonate“ durch die Integration eines in der Kirchenmusik beheimateten
Themas eine gleichsam geistliche Dimension. Den Mittelsatz („Intermezzo“) hat
Rheinberger später in anderen Kontexten
wiederverwendet. Die Verknüpfung von Fugenthema und Psalmtonzitat am Ende des
Schlusssatzes, einer Fuge mit einem intrikaten chromatischen Thema, evoziert nicht
nur eine apotheotische Steigerung – Reger
wird in zahlreichen seiner Werke auf diese
Technik zurückgreifen –, sondern auch eine
zyklische Geschlossenheit des Werkganzen.
Johann Sebastian Bach entwickelt die
mehrteilige Form des norddeutschen Präludiums (Tunder, Buxtehude u. a.) zu einer bipolaren Form von Praeludium (im
Allgemeinen thematisch eher freier gearbeitet) und Fuge (thematisch streng gearbeitet). Formal basiert das Praeludium BWV
546 auf der Idee des Solokonzerts mit dem
typischen Wechsel von Ritornell und Episode, wobei der für das Solokonzert substantielle Kontrast von Solo und Tutti deutlich
zurückgedrängt ist; da Manualwechsel offenbar nicht intendiert sind, entsteht eine
Art Solo-Klang einzig durch das Pausieren
des Pedals in den Episoden. Das das Präludium eröffnende Ritornell präsentiert eine
Reihe von expressiven Elementen: dialogische Akkorde mit Doppelvorhalten, Seufzermotivik, neapolitanischer Sextakkord, aber
auch die Antizipation der Triolenbewegung,
die die Episoden-Teile prägen und als Kontrasubjekt eines schlichten Fugato-Themas
dienen. Das Präludium, „in Leipzig vollendet
[…] ist so überaus gewaltig, daß es die Fuge
fast zu Boden drückt“. Mit diesen Worten
deutet der Bach-Biograf Philipp Spitta das
eher schwache Erscheinungsbild der Fuge
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
an, mit der das Präludium überliefert ist.
Werner Breig vermutet, dass die Fuge nicht
aus der Feder Bachs stammt, sondern von
Johann Peter Kellner, von dem die Abschrift
stammt, selbst als Ergänzung des Präludiums geschrieben wurde.
Mit Introduktion, Passacaglia und Fuge e-Moll
op. 127 wandte Max Reger sich nach siebeneinhalb Jahren (im Herst 1905 entstand
die „Zweite Suite“ g-Moll op. 92) erstmals
wieder der Orgel zu. Das Werk, entstanden zwischen dem 8. April und dem 16. Mai
1913, ist, wie einem Brief Regers vom 28.
Oktober 1912 an seinen Dienstherrn Herzog
Georg II. zu entnehmen ist, einem Kompositionsauftrag zu verdanken: Die Stadt Breslau
hat zur Erinnerung an das Befreiungsjahr
1813 eine große Musikhalle mit Riesenorgel gebaut: diese neue Musikhalle soll mit
Orgel im Sommer 1913 eingeweiht werden;
nun soll ich für diese Feier auch was schreiben: ein neues großes Werk für Orgel und
Orchester schreiben; ich habe zugesagt.“ Die
Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit
mag Reger bewogen haben, sich auf eine
Komposition für Orgel allein zu beschränken. Bemerkenswert ist Regers in einem
Brief an Fritz Stein formulierte Bewertung
der stilistischen Ausrichtung seines neuesten Opus: „Das Werk ist klassisch durchsichtig [Unterstreichungen von Reger]; ich mache Front gegen alle ‚Verstiegenheit‘ gegen
alle ‚Überladung‘ etc. etc. in jeder Beziehung. Das ist die ‚Frucht‘ Meiningens; diese
‚Kur‘ ist mir ganz famos bekommen [...] u.
wäre sie sehr vielen notwendig!“ Die Uraufführung erfolgte am 24. September 1913 in
der Jahrhunderthalle in Breslau durch Karl
Straube. Die Reaktion von Publikum und
Presse war zwiespältig. Noch 1923 schrieb
Hermann Keller: „Seltsam: Es sind dieselben
Akkordmassen, dieselben Passagen im ff,
dieselben Pianointermezzi wie einst, aber
sie haben die hinreißende Gewalt der früheren Werke verloren […].“ Wie dem auch sei,
der Aspekt des „Klassisch-Durchsichtigen“
hat, vergleicht man op. 127 mit den fis-Moll
Variationen op. 73, durchaus seine Gültigkeit, zumindest wenn man ihn auf Passacaglia und Fuge beschränkt, allerdings kann
man auch den Eindruck des Schematischen
nicht von der Hand weisen, der wiederum besonders für die Introduktion Gültigkeit hat, deren Faktur typisch für zahlreiche andere Werke Regers ist: Passagen mit
geballter Akkordik alternieren mit virtuosem Figurenwerk bzw. mit Inseln der Ruhe.
Betrachtet man das Thema der Passacaglia
und vergleicht es mit früheren PassacagliaThemen Regers (z. B. op. 63 Nr. 6 und op.
96), so fällt auf, dass Reger um „Ausbalancieren von Tonalität und Chromatik“ (Martin
Weyer) bemüht ist. Der Passacaglia liegen
26 Variationen zugrunde, von denen eine
relativ große Zahl aus durchsichtigem, ja
mitunter geradezu filigranem Figurenwerk
besteht; lediglich die beiden letzten Variationen greifen die massive und wuchernde
27
28
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Akkordik des Anfangs der Introduktion wieder auf. Die Fuge, unterbrochen durch zwei
Abschnitte in der Art eines Intermezzos, ist
eine Doppelfuge. Die Leichtigkeit des ersten
Fugenthemas, das motivisch mit dem Passacagliathema verwandt ist, lässt das zweite
Fugenthema aus op. 135 b (1915 entstanden) ahnen. Hier wie dort führt die Kombination beider Themen das jeweilige Werk zu
einem triumphalen Ende.
Paul Thissen
29
Samstag, 13. August 2016 | 18.30 Uhr
Adriano Falcioni, Perugia (I)
30
Programm | Dom St. Martin
F. Liszt (1811–1888)
Präludium und Fuge über B-A-C-H
J. S. Bach
(1685–1750)
Ciaccona d-Moll
(Transkription Ulisse Matthey)
Praeludium und Fuge cis-Moll
(Transkription Max Reger)
M. Reger
(1873–1916)
Erste Sonate fis-Moll op. 33
Phantasie – Intermezzo – Passacaglia
Adriano Falcioni
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Studien an der Freiburger Musikhochschule
bei Prof. Klemens Schnorr, in London bei Nicolas Kynaston und in Paris bei Marie Claire
Alain. Falcioni besuchte Meisterklassenkurse in Haarlem (Holland) und Göteborg
(Schweden) mit B. Winsemius, F. Chapelet, G.
Leonhardt, L. F. Tagliavini, L. Lohmann, J. van
Oortmerssen und J. Guillou und gewann
mehrere Preise bei internationalen Orgelwettbewerben in Europa und den USA.
Adriano Falcioni lehrt am Konservatorium
von Sassari und in zahlreichen Meisterklassen in Europa und Südafrika (Universität von
Pretoria).
> www.adrianofalcioni.com
Adriano Falcioni, geboren in Terni (Italien),
ist Domorganist an der Kathedrale St. Lorenz in Perugia und internationaler Konzert­
organist.
Er studierte am Konservatorium in Perugia
bei W. van de Pol und vervollständigte seine
31
Zum Programm | 13. August 2016 – Adriano Falcioni
Nach Bach einen Verfall organistischer Kultur anzunehmen, die nach achtenswerten,
doch kaum mehr als episodischen Bemühungen Mendelssohns und Schumanns
durch Franz Liszt zu neuer Blüte gekommen sei, ist als Topos heute common sense. Heinrich Reimann, Organist der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche und
Lehrer Karl Straubes, dienen die beiden auf
Bach bezogenen Orgelwerke Liszts – neben
Präludium und Fuge über B-A-C-H auch die
Weinen, Klagen-Variationen – zur Rettung
des Komponisten schlechthin. Er schreibt:
„Jedermann weiß, wie sturmbewegt Liszts
Leben war. In dem wilden Meere, auf dem
sein Lebensschiff trieb, bilden jene beiden
Orgelkompositionen […] ein kleines Eiland von wundervoll ernster, fast düsterer
Schönheit.“ Reimann spricht Liszt das Verdienst der Erneuerung der Orgelmusik zu:
„Auf Bach´scher Grundlage [...] ist ein neuer
Stile geschaffen; […] es sind Werke, die, auf
der Höhe der Zeit stehend, die Orgelmusik
32
aus der niederen, dumpfen Atmosphäre,
in die sie wie in einen Kerker gebannt war,
in die hohen ätherischen Regionen des
Lichts und der reinen Kunst gehoben haben.“ Präludium und Fuge über den Namen
B-A-C-H entstand als Auftragswerk anlässlich der Wiedereinweihung der LadegastOrgel im Merseburger Dom im Jahr 1855.
Liszt konnte das Werk allerdings nicht rechtzeitig vollenden; als Ersatz wurde seine „Ad
nos“-Fantasie gespielt. Die Uraufführung
der B-A-C-H-Komposition erfolgte am 13.
Mai 1856 durch Alexander Winterberger,
dem die Komposition auch gewidmet ist.
Das Werk gehört zu den sogenannten anagrammatischen Kompositionen. Bach selbst
war wohl der Erste, der die aus seinem Namen sich ergebende Viertonfolge, zwei im
Sekundabstand sequenzierte Halbtöne,
bewusst als musikalisches Motiv benutzte. Liszts Huldigung erschöpft sich keinesfalls nur in der immer wieder in klavieristische Virtuosität mündende Verarbeitung
des Namensmotivs, sondern schlägt sich
zudem nieder in zahlreichen Annäherungen
an Bach´sche Kompositionskonzepte, ohne
dass es dabei zu exakten Zitaten kommt.
Johann Sebastian Bachs Ciaccona (der Begriff verweist ursprünglich auf eine Tanzform, bezeichnet im weiteren Verlauf – wie
„Passacaglia“ – Variationen über einem ostinaten Bass, wobei die Führung des Basses
freier sein kann) ist in der Originalfassung
der Schlusssatz der Partita d-Moll BWV 1004
für Violine solo. Hinsichtlich Umfang (mit einer Aufführungsdauer von ca. 15 Minuten
ist es Bachs längster einzelner Instrumentalsatz überhaupt) und technischem Anspruch
darf die Ciaccona zu den Gipfelwerken der
Violin-Literatur gezählt werden, das mehrfach für Tasteninstrumente bearbeitet wurde. Einem achttaktigen Thema folgen 31
Variationen. Wie Bach es gelingt, angesichts
der Beschränktheit des Streichinstruments
z. B. durch Abwandlung der Bassformel, den
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Wechsel von akkordischer und imitatorischer Anlage sowie dem Alternieren von
zwei-, drei- und vierstimmigem Satzgefüge
die Spannung des Hörers aufrecht zu erhalten, kann nur uneingeschränkte Bewunderung hervorrufen. Insofern ist ein Vergleich
der Bearbeitung mit dem Original durchaus
lohnend.
Insbesondere Bachs Klavierwerk, vor allem das Wohltemperierte Klavier ist über
die Jahrhunderte hindurch für alle bedeutenden Komponisten Basis der Aneignung
kontrapunktischer Kompositionstechniken
gewesen. Kaum ein Komponist jedoch hat
Bach so sehr als Vorbild gesehen wie Max
Reger. Häufig wurden Bach´sche Werke bearbeitet oder arrangiert (Mozart hat z. B. Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier für
Streichquartett bearbeitet). Den Rahmen
des heutigen Konzerts bilden Bearbeitungen Max Regers, der, was durchaus bemerkenswert ist, während seines ganzen Lebens
Bach´sche Werke bearbeitet hat. Man sah
hierfür nicht zuletzt eine in Regers Psyche
gründende Motivation, war Johann Sebastian Bach für ihn, den vom Vater Verachteten, doch „Anfang und Ende aller Musik“,
sein musikalischer „Allvater“, den er auch als
„Musikgottvater“ anbetete, aber auch die
„Possessivität“ von Regers Wesen dient als
Erklärung. „Reger“, so heißt es, „kann der Tradition nur begegnen, indem er sich ihrer bemächtigt, indem er sie sich zu eigen macht,
sie bearbeitet". Sehr aufschlussreich ist in
diesem Zusammenhang eine Bemerkung
von August Schmidt-Lindner, der mit Reger
bei der Herausgabe der Klavierwerke Bachs
zusammengearbeitet hat: „Den Gedanken, dass das Werk, welches er unter seinen
Händen habe, in diesem Augenblick sein
Eigentum sei, konnte er in höchst dramatischer Weise äußern, wollte ihn ein besorgter Akademiker zur Rechenschaft ziehen“.
Von besonderer Bedeutung war für ihn das
Wohltemperierte Klavier. In einem Brief, in
dem er seinem Wunsch Ausdruck verleiht,
als Universitätsmusikdirektor in Leipzig auch
Vorlesungen zur Musik zu halten, skizziert
er eine musikgeschichtliche Vorlesungsreihe: „Ich würde zuerst anfangen mit Kontrapunkt und Fuge unter spezieller Berücksichtigung des ,Wohltemperierten Klaviers‘ von
J. S. Bach.“ So nimmt es nicht Wunder, dass
Reger eine Reihe von Präludien und Fugen
aus dem WT für Orgel bearbeitet hat. Im
Gegensatz zur Bearbeitung der Zweistimmigen Inventionen für Orgel, denen Bach eine
dritte Stimme, eine Pedalstimme hinzufügt
und so eine „Schule des Triospiels“ realisiert, lässt die Bearbeitung von Präludium
und Fuge in cis BWV 849 aus dem Ersten Teil
des WT, gleich den übrigen Bearbeitungen
von Präludien und Fugen aus dem WT, den
Notentext unangetastet, weshalb man korrekterweise von Transkriptionen sprechen
muss. Entscheidend ist jedoch, dass durch
die Hinzufügung von differenzierter dynamischer Gestaltung und eindeutig fixierter
33
Artikulation aus den Bach´schen Kompositionen Werke entstehen, deren klangliches
Erscheinungsbild ganz dem durch das Orchester geprägten ästhetischen Ideal des
späten 19. Jahrhunderts entspricht.
Der Terminus „Sonate“ begegnet erstmals
im 16. Jahrhundert und bezeichnet, formal
völlig unverbindlich, von vokalen Modellen emanzipierte Musik für Instrumente.
Die heute gängige Vorstellung des Sonatenbegriffs ist geprägt durch die Sonate
der sogenannten klassisch-romantischen
Epoche und wurde im Wesentlichen kodifiziert durch Adolph Bernhard Marx in seiner „Lehre von der musikalischen Komposition“ (1845). Die Idealform einer Sonate
stellt der viersätzige Typus dar mit einem
Kopfsatz in Sonatenhauptsatzform (Exposition mit zwei Themen, Durchführung und
Reprise), dem ein schneller (Scherzo) und
ein langsamer Satz sowie ein Finalsatz (häufig in Rondoform) folgen. Im Verlauf des 19.
34
Jahrhunderts lässt sich beobachten, dass
Komponisten wie Franz Schubert und Franz
Liszt mit der Form experimentieren, indem
sie innerhalb eines einsätzigen Verlaufs Sonatenzyklus und Sonatenhauptsatzform
übereinander blenden. Andererseits gibt es
aber auch die Tendenz, sich von formalen
Vorgaben zu lösen, mithin zu den Ursprüngen des Begriffs zurückzukehren, indem
man eine Zusammenstellung verschiedener Sätze als Sonate bezeichnet, wie es erstmals wohl Felix Mendelssohn Bartholdy im
Fall seiner sogenannten Orgelsonaten tut.
Heinrich Reimann wird 1894 in einer Artikelserie „Orgel-Sonaten. Kritische Gänge“
argumentieren, die Sonate für Orgel müsse instrumentenbedingt flexibler sein und
könne „keine Sonatenform in dem bekannten Sinne Haydn-Mozart-Beethoven’s darstellen“. Hieran knüpft Max Reger an. Am
8. April 1899 schreibt er in einem Brief an
Arthur Egidi: „Eine neue Sonate [...] ist fertig.
Erschrecken Sie nicht über den Titel Sonate;
es ist keine Sonatenform. Der Titel ist hier
nur Kollektivtitel“. Die Satzfolge der am 14.
Juni 1899 von Karl Straube uraufgeführten
Erste 1. Sonate op. 33 fis-Moll lautet Phantasie, Intermezzo, Passacaglia. Die Sätze werden nun allerdings nicht nur suitenartig
aneinandergereiht, vielmehr eignet ihnen,
wie Martin Weyer gezeigt hat, eine motivisch-thematische Substanzgemeinschaft,
die auf dem ab T. 14 der Phantasie imitatorisch eingeführten Thema basiert, das in der
Mitte des Intermezzos erneut erscheint und
in einer zumindest Analogien aufweisenden
Fassung auch die thematische Struktur der
Passacaglia prägt. Die dreisätzige Anlage
erinnert an die ersten vier Orgelsonaten Joseph Rheinbergers, dem Reger seine Sonate
auch zukommen ließ. Im Begleitschreiben
heißt es: „Hochgeehrter Herr Geheimrat! Gestatten Sie mir ergebenst, Ihnen mit diesem
Briefe meine soeben erschienen 1. Orgelsonate (Fis-Moll, op. 33) zu senden und Sie um
gütige Durchsicht dieses meines neuesten
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Verbrechens gegen Harmonie und Kontrapunkt etc. etc. etc. zu bitten. Gleichzeitig
erlaube ich mir auch, Ihnen, hochgeehrter
Herr Geheimrat, meine aufrichtigste Bewunderung für Ihre so grandiosen Orgelsonaten […] zum Ausdruck zu bringen […].“ Auf
von Rheinberger offensichtlich geäußerte
Kritik reagierte Reger recht verständnisvoll:
Im Schreiben vom 12. Januar 1900 heißt es:
„Das Werk ist sehr schwer richtig ‚genießbar‘
zu machen u. gehört sich schon ein geistvoller Organist dazu.“
Im Brief vom 1. November 1899 an den Widmungsträger Alexander Wilhelm Gottschalg,
den für die Sparte Orgelmusik zuständigen
Redakteur der Zeitschrift Urania, bringt Reger seine Überzeugung zum Ausdruck, die
Sonate sei „ganz abweichend von meinen
anderen Orgelsachen“. Tatsächlich hat mit
diesem Werk die Musik für Orgel, wie bereits
die massigen Akkorde des ersten Abschnitts
der Phantasie – sie gliedert sich letztlich
in eine Introduktion mit anschließender
Fuge – offenbaren, zumindest im Hinblick
auf den Parameter „Harmonik“ einen Grad
von Modernität erreicht wie er kaum zuvor zu beobachten war. Das Intermezzo ist
dreiteilig: Den ersten Teil prägt eine gleichsam „unendliche“ Melodie, der Mittelteil
rekurriert auf das „Fugenthema“ des ersten
Satzes, und der letzte Teil ist eine stark verkürzte Wiederholung des ersten Teils. Der
Begriff „Passacaglia“ ist offenbar abzuleiten
aus dem spanischen Ausdruck „pasar una
calle“ („durch die Straße gehen“), woraus
man schließen kann, dass die entsprechende, ursprünglich wohl über einem Bassmodell improvisierte Musik im Gehen auf der
Straße ausgeführt wurde. In die Kunstmusik
überführt, werden Variationen über einem
ostinaten, also gleich bleibenden Bassmodell als Chaconne oder eben als Passacaglia
bezeichnet. Nach Bachs Passacaglia, die das
exemplum classicum der Gattung darstellt,
konnten erst Rheinberger (Schlusssatz der
8. Orgelsonate) und Brahms (Finalsatz der
4. Symphonie) sich wieder entscheiden, eine
Passacaglia zu schreiben, und Reger war es,
der diesen Gattungstyp in vielerlei Gestalten zu neuer Blüte führte, wovon bereits die
Passacaglia der Ersten Sonate – nach der
vielleicht noch etwas unbeholfen wirkenden Passacaglia in der Suite op. 16 – beredtes Zeugnis abzulegen vermag.
Paul Thissen
35
Samstag, 20. August 2016 | 18.30 Uhr
Elmar Lehnen, Kevelaer (Orgel) und Hansjörg Fink, Düsseldorf (Posaune)
Programm | Dom St. Martin
M. Reger Choralfantasie „Ein feste Burg ist unser Gott“ op. 27
(1873–1916)
E. Lehnen
„Requiem für Posaune und Orgel“
(*1965) Introitus: Requiem
H. Fink Kyrie
(*1969)Sequenz
Offertorium
Sanctus/ Benedictus
Agnus dei
Lux aeterna
Libera me
In Paradisum
36
Elmar Lehnen, (Orgel) und Hansjörg Fink, (Posaune)
Elmar Lehnen (Kevelaer), geboren in Hinsbeck am Niederrhein, erhielt seinen ersten
Orgelunterricht bei Wolfgang Seifen (damals Lobberich, jetzt Professor an der Hochschule für Musik Berlin). Er absolvierte sein
Kirchenmusikstudium an der Kirchenmusikschule St. Gregorius-Haus in Aachen, wo er
später im Rahmen der C- Ausbildung Orgel
und Chorleitung unterrichtete. Seine Lehrer waren hier B. Botzet, N. Richtsteig und V.
Scholz. Weitere Studien führten ihn an die
Schola Cantorum in Paris zu Prof. Jean-Paul
Imbert, wo er sein „diplome de concert" mit
Auszeichnung abschloss. Nach zehnjähriger Tätigkeit als Kantor der Pfarrei St. Anna
in Mönchengladbach-Windberg wurde er
im Oktober 2000 zum Basilikaorganisten der
Päpstlichen Marienbasilika zu Kevelaer berufen.
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Hansjörg Fink, 1969 in Aalen geboren, erhielt bereits früh eine fundierte und stilübergreifende Ausbildung bei Paul Schreckenberger (Klassische Posaune), Bobby
Burgess (Lead- und Jazzposaune) und Klaus
Wagenleiter (Harmonielehre, Arrangement
und Komposition). Er war Posaunist im Heeresmusikkorps in Stuttgart-Bad Cannstatt
und Mitglied im Bundesjazzorchester unter Peter Herbolzheimer. Sein Musikstudium
führte ihn an die Amsterdamer Hochschule
der Künste in Hilversum / Niederlande; dort
studierte er Jazz und Popularmusik bei Bart
und Erik van Lier, klassische Posaune bei
Ben van Dijk. Seit 1996 ist Hansjörg Fink Soloposaunist im World Famous Glenn Miller
Orchestra und mit diesem regelmäßig auf
Tournee. Darüber hinaus ist er als freischaffender Musiker tätig. Im Rahmen von Konzerten, CD-Produktionen sowie Rundfunkund Fernsehaufnahmen ist er regelmäßig
mit renommierten Bigbands Europas zu hören, darunter die WDR Big Band, die SWR
37
Zum Programm | 20. August 2016 – Elmar Lehnen und Hansjörg Fink
Big Band, das Jazz Orchestra of the Concertgebouw Amsterdam und die Paul Kuhn
Big Band. Konzertreisen in über 70 Ländern
führten ihn durch Europa und in Großstädte
aller Kontinente – von Paris, Monaco, Moskau bis New York, Kapstadt, Bombay, Tokio oder Dubai. Hansjörg Fink fühlt sich als
Leadspieler, Satzspieler und Solist den unterschiedlichsten Musikstilen verbunden
und ist in Bigbands, Musical- und Theaterproduktionen, Popbands und auf den großen Jazz-Festivals ebenso zu Hause wie in
Sinfonieorchestern, Kammermusikensembles und bei Soloprojekten. Hansjörg Fink ist
auf mehr als 60 CD-Produktionen zu hören
(Stand 2013). Seit 2011 lehrt Hansjörg Fink
an der Hochschule für Musik Franz Liszt in
Weimar im Fach Jazzposaune und Ensembleleitung. Als Dozent für Big Band und Posaune folgt er regelmäßig Einladungen zu
Jazz-Workshops.
> www.musikfuerorgelundposaune.de
38
Der Gattungserstling, die Phantasie für Orgel über den Choral „Ein feste Burg ist unser
Gott“ op. 27, gilt als Durchbruchswerk nicht
nur des Orgelkomponisten, sondern des
Komponisten Max Reger überhaupt. Rudolf
Buck pries die Komposition 1899 in der
Allgemeinen Musik-Zeitung:
„Das […] Werk kann ich den Organisten gar
nicht warm genug empfehlen. […] Reger
[…] hat ein gewaltiges Werk geschaffen.
Den Cantus firmus […] umgibt er mit reichem und ausdrucksvollem Figurenwerk,
dessen Fluß durch großartige Interjektionen, die eine Choralstrophe […] als Inhalt
haben, gehemmt wird. Mit Meisterschaft
werden die immer dichter auftretenden realen Stimmen geführt, der Cantus firmus
geht von einer Stimme in die andere über,
der Anfang des Chorals wird motivisch verwandt, durchdringt das Stimmgewebe in
kanonischer Weise wieder und immer wieder und führt schließlich zu brausenden
überwältigenden Schlußkadenzierungen.“
Bemerkenswert ist, dass Reger selbst seine Kompositionen erst ab op. 27 gelten
lässt, wohingegen er alle früheren Werke als
„schreckliche Jugendsünden“ sah. Deshalb
konnte Fritz Stein 1908 zu Recht feststellen,
„Regers Eigenart“ beginne „sich erst bei op.
27 zu entwickeln“. Die Konzeption von op.
27, die Reger in allen nachfolgend entstandenen Choralfantasien zumindest in Grundzügen beibehält, nämlich die strophische
Anlage mit Binnengliederungen – ab op.
30 kommen Einleitungen und ab op. 40 in
eine Choralapotheose mündende, dem für
die Symphonik des 19. Jahrhunderts so typischen per aspera ad astra-Prinzip gehorchende Steigerungsfugen hinzu –, geht
zurück auf Heinrich Reimanns Choralfantasie über Wie schön leucht’ uns der Morgenstern. In einem Brief vom 1. November 1898
brachte Reger Reimann gegenüber seine
Anerkennung zum Ausdruck:
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
„Ihre Choralphantasie für Orgel ,Wie schön
leucht’ uns der Morgenstern!’ habe ich mir
angeschafft, u. verehre ich [sic] das Werk als
ein Wunder- u. Meisterwerk dieser Art! Gerade in der Benutzung u. Verarbeitung des
alten Kirchenliedes liegt auch das Heil für
unseren Orgelstyl!“
Was Reger hier ganz offensichtlich zum
Ausdruck bringen will, ist seine Anerkennung für die Verknüpfung des Rekurses auf
einen geistlichen Gehalt mit der über einen bloßen kirchenmusikalisch-funktionalen Kontext hinausweisenden Handhabung
der Choralmelodie. Regers erster Beitrag
zur Gattung „Choralphantasie“ geht über
Reimann nun aber insofern deutlich hinaus, als er im Hinblick auf den kompositorischen und spieltechnischen Anspruch einen
Maßstab setzt, der offensichtlich an die repräsentativen Orgelwerke Liszts anknüpft
und einmal mehr die auch in anderen Gattungskontexten von Reger immer wieder
erwähnte Vorstellung des „großen Stils“ zu
realisieren sucht. Die für Regers Stil so typische Verbindung von „barocker“ Kontrapunktik und avancierter Harmonik ist in op.
27 größtenteils noch nicht vollzogen, d. h.
diatonisch verlaufendes kontrapunktisches
Figurenwerk und harmonische Klangballungen alternieren. Als kaum zu überbietender
Effekt erweist sich dabei die Verteilung der
ersten beiden Strophen auf zwei tonale Ebenen: Ist die Melodie von Spielfiguren umgeben, erklingt sie in D-Dur, die bloße Harmonisierung der Melodie dagegen erklingt
hymnisch in der Mediante B-Dur. Ab der
3. Strophe („Und wenn die Welt voll Teufel
wär“) entfaltet die Musik einen ausgesprochenen „tonmalerisch“-illustrativen Charakter. Die Gestaltung der letzten Strophe
zeigt eine durchaus originelle Fassung einer
gängigen Konzeption, nämlich der fugierten Anlage des Schlusses einer Variationenfolge: Reger präsentiert nur die erste Zeile
der 4. Strophe fugiert und lässt die übrigen
Choralzeilen im Verlauf der Zwischenspiele erklingen. Die plötzliche Reduktion der
Dynamik nach dem Schluss der 4. Strophe
mit anschließender Wiederaufnahme des ffff
veranlasste Adalbert Lindner zu folgenden
Worten: „Was sollen diese erschütternd wirkenden dynamischen Gegensätze anderes
besagen, als daß alles irdische Ringen eitel
ist, das ganze All in Staub versinkt vor Gottes Allmacht und Majestät.“ Man kann dieses
Phänomen auch mit weniger hermeneutischem Ballast versehen und einfach feststellen, dass es sich um einen schon aus Liszts
Fantasie und Fuge über B-A-C-H bekannten dynamischen Einbruch handelt, der den
Schluss – in Analogie zu den verschiedenen
Tonartenebenen des Anfangs – umso effektvoller erscheinen lässt.
Grundlage des von Elmar Lehnen und
Hansjörg Fink komponierten Requiem
für Posaune und Kirchenorgel ist der Gregorianische Choral der Totenmesse. Die
39
Komponisten schufen Sätze mit Freiraum
für Improvisation und künstlerische Gestaltung. Die Besonderheit des Konzepts besteht darin, mit stil- und spartenübergreifenden Mitteln eine Verbindung zu schaffen
zwischen Kirchenmusik und Jazz. Dabei soll
die Improvisation, wichtiges Stilmittel in
beiden Bereichen, als Bindeglied dienen.
Biblische Texte oder Andachtstexte als inhaltlicher Vorwurf sind in der Geschichte
der Instrumentalmusik nichts Ungewöhnliches. Dass im 20. Jahrhundert aber ein Begriff, der eigentlich eine zentrale liturgische
Gattung der katholischen Kirche bezeichnet, als programmatischer Titel selbständiger Instrumentalmusik erscheint (z. B. Hans
Werner Henze, Requiem. Neun geistliche Konzerte), das „Requiem“ also vollständig vom
Text gelöst und in den Bereich des Assoziativen überführt wird, ist ein bemerkenswerter Vorgang, der mit der Wahl des Begriffs
„Requiem“ als Überschrift von literarischen
40
Werken in der Dichtung des 19. Jahrhunderts präfiguriert wurde. Insofern ihnen ein
außermusikalisches Sujet zugrunde liegt,
das als verbale Vorinformation im Titel genannt wird, sind die entsprechenden Werke
im Sinn der Neudeutschen Schule als Programmmusik zu verstehen, wobei häufig
der Titel allein das auf die – im Lisztschen
Sinn – poetische Idee des Werks hinweisende Programm ist, das durch Satzüberschriften präzisiert werden kann.
Der Text der im Missale romanum von 1570
kodifizierten Missa pro defunctis erscheint
in weiten Teilen bereits in den frühesten
Quellen – annähernd vollständig wahrscheinlich erstmals im dritten Viertel des 9.
Jahrhunderts in einem Sakramentar gregorianischen Typs –, allerdings in der Regel in
anderen Kontexten und Funktionen. Die folgenden Erläuterungen zu den einzelnen Teilen sind, ohne dass im Einzelnen die Nachweise angeführt werden, ganz einer Studie
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Damien Sicards verpflichtet und wollen nur
einen ungefähren Einblick in die weit verzweigte Textgeschichte geben.
Introitus
Dass die Requiemmesse mit der Bitte um
Ruhe beginnt („Requiem aeternam dona
eis Domine“) und endet („aeternam habeas
requiem“) verleiht ihr eine große Geschlossenheit. Die den Rahmen bildenden Worte
„Requiem aeternam“ stellen den ältesten
Teil des gesamten liturgischen Texts des
Requiems dar. Sie haben ihren Ursprung –
wie auch die dritte Strophe der Sequenz,
„Tuba mirum“ – in dem im 1. Jahrhundert
nach Christus verfassten, nicht kanonisierten IV. Buch Esra 2, 43, wo es heißt: „Exspectate pastorem vestrum, requiem aeternitatis dabit vobis, quoniam in proximo est ille
qui in fine saeculi adveniet. Parati estote
ad proemia regni, quia lux perpetua lucebit vobis per aeternitatem temporis“. Die
hier gebrauchten Bilder tauchen allerdings
auch in den kanonisierten biblischen Texten
auf. Insbesondere die Bitte um die ewige
Ruhe bezeichnet Sicard als „une constante
de la langue biblique“. Die Antiphon Requiem aeternam dona eis, Domine ist schon im
zwischen 850 und 875 entstandenen Sakramentar von Lorsch zu finden und fehlt
in keiner der Handschriften, die ab dem 9.
Jahrhundert entstanden sind.
Graduale
Das Responsorium Requiem aeternam wird
schon in den frühesten Messproprien für
Verstorbene am häufigsten mit dem Vers In
memoria aeterna gebraucht.
Tractus
Als Tractus begegnet sehr oft Ps. 130 (129)
De profundis. Der heute noch gebräuchliche
Tractus der Totenmesse mit dem Responsorium Absolve domine gehört zu den acht Tracten des gregorianischen Repertoires, denen
ein außerbiblischer Text zugrunde liegt.
Sequenz
Neben Victimae paschali laudes, Veni, sancte
spiritus und Lauda Sion, salvatorem zählt das
Dies irae – man darf es wohl als das „repräsentativste, kulturell folgenreichste und darum berühmteste Gedicht des lateinischen
Mittelalters“ bezeichnen – zu den Sequenzen, die auch nach dem Konzil von Trient
der Liturgie erhalten blieben. Das älteste
Zeugnis des Textes, dessen Autorschaft als
ungeklärt angesehen werden muss, stammt
aus dem 12. Jahrhundert, allerdings fehlen
die 11. Strophe und der der 17. Strophe folgende Text, der in den Analecta Hymnica auf
zwei Strophen zu vier bzw. zwei Zeilen verteilt ist. In der heute bekannten Form findet
sich der Text erstmals in franziskanischen
Handschriften aus der ersten Hälfte des 13.
Jahrhunderts. Nachdem es bereits in Messbüchern deutscher und französischer Provenienz (z. B. Magdeburg, 1480 und Reims,
1491) zu finden ist, wurde das Dies irae 1570
in das Formular der Totenmesse integriert
41
und blieb bis 1969 verbindlich.
Hinsichtlich der Formstruktur sowie der
Vers- und Reimtechnik zeigen die beiden
Schlussstrophen einen Bruch: Während die
17 vorausgehenden Strophen jeweils dreizeilig sind mit den Reimschemata aaa, bbb,
ccc [...], ist die letzte Strophe vierzeilig mit
dem Reimschema aabb und die letzte Strophe zweizeilig, und zwar ohne Reim.
Das Gedicht teilt sich in zwei Abschnitte zu
sechs bzw. elf Strophen, die inhaltlich zwar
deutlich unterschieden, dennoch aber aufeinander bezogen sind. Die ersten sechs
Strophen sind gleichsam eine dramatische
Vision des Jüngsten Gerichts am Ende der
Zeit. Die Reflexion der apokalyptischen Situation, die Betroffenheit des Indviduums
thematisieren die Strophen 7 bis 17. Die beiden später hinzugefügten abschließenden
Strophen sind fürbittendes Gebet, wodurch
der ursprünglich möglicherweise für die
42
persönliche Andacht bestimmte Text gleichsam liturgiefähig wurde.
Die schriftliche Überlieferung der Melodie
setzt erst gegen 1250 ein. Wiewohl genuin liturgische Musik, ist die Melodie des Dies
irae auch außerhalb des Kirchenraums in
zahllosen Kompositionen als Chiffre des Todes und seiner Schrecken in ernsten und
ironisch-karikierenden Kontexten in Erscheinung getreten.
Offertorium
Als Offertorium findet man in den frühesten Zeugnissen der Exequien am häufigsten
das Domine Jesu Christe. Es bildet inhaltlich
insofern die Fortsetzung der Schlussstrophe der Sequenz, da der Text die Bitte für
die Verstorbenen weiter ausführt. Auffällig
ist, dass im Gegensatz zum Offertorium der
übrigen Proprien in der Missa pro defunctis
der Psalmvers erhalten geblieben ist. Dies
liegt in der Tatsache begründet, dass in der
Totenmesse der Opfergang der Gläubigen,
die Darbringung von Wein und Brot, noch
vollzogen wurde, während man ansonsten
im 12. Jahrhundert auf den Opfergang der
Gläubigen verzichtete.
Agnus Dei
Die Bitten „miserere nobis“ und „dona nobis
pacem“ werden in der Missa pro defunctis
ersetzt durch die Worte „dona eis requiem“
bzw. „dona eis requiem sempiternam“, die
seit dem 11. Jahrhundert überliefert sind.
Communio
In den Zeugnissen der ersten Requiem-Messen ist die Communio-Antiphon am häufigsten das Lux aeterna. Als Antiphon dient
aber auch der Text Chorus angelorum, der
im Missale romanum den Vers der Prozessionsantiphon In paradisum bildet. In einem
franziskanischen Rituale aus dem 13. Jahrhundert erscheint als Antiphon Qui Lazarum
resuscitasti. Der Gedanke an den von Jesus
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
auferweckten Lazarus, der auch in der Antiphon Chorus Angelorum aufgegriffen wird,
erscheint bereits im Sakramentar von Lorsch
(hier ist das Qui Lazarum resuscitasti ein responsorialer Gesang). Auch die Communio
der Missa pro defunctis hat über Jahrhunderte hinweg ihren Psalmvers behalten,
während ihn die Communiogesänge der
übrigen Propriumsgesänge schon verloren
hatten. Dies ist umso erstaunlicher, als im
Mittelalter in der Totenmesse die Kommunion der Gläubigen völlig unüblich war.
Libera me
Nach dem Requiem war in der Zeit zwischen
dem Konzil von Trient und dem II. Vaticanum die Absolutio ad tumbam vorgeschrieben. Mit schwarzem Vespermantel angetan,
schritt der Priester mit den Messdienern zur
in Altarnähe aufgestellten, mit schwarzem
Tuch bedeckten Tumba, während der Kantor
oder die Schola das Responsorium Libera me,
Domine sangen, das mit dem Vers „Tremens
factus sum“ in der zweiten Hälfte des 9.
Jahrhunderts auch im Totenoffizium begegnet. Der Text rekapituliert weitgehend das
Vokabular der Sequenz.
In Paradisum
Dieser Gesang gehört nicht mehr zum Proprium der Totenmesse. Die Antiphon In paradisum ist eine der am häufigsten gebrauchten Antiphonen in der Totenliturgie. Es
handelt sich um eine Prozessionantiphon,
die entweder den Weg des Verstorbenen
von seinem Zuhause zur Kirche begleitet
hat, oder aber – gemäß der Überzahl der
Quellen – den Weg von der Kirche zum Ort
des Begräbnisses.
„Chorus angelorum te suscipiat“ ist ein bereits sehr früh und häufig – auch in unterschiedlichen Funktionen und mit Varianten
– verwendeter Text. Erst vom 13. Jahrhundert an dient der Text als Vers zur Antiphon
In paradisum.
43
Samstag, 27. August 2016 | 18.30 Uhr
Franz Josef Stoiber, Regensburg
Programm | Dom St. Martin
Improvisation: Suite francaise
Plein jeu – Duo – Trio – Basse de Trompette –
Recit de Nazard – Cromorne en taille –
Dialogue sur les Grands jeux
M. E. Bossi
(1861–1925)
Intermezzo lirico As-Dur
M. Reger Zweite Sonate op. 60
(1873–1916)
Improvisation – Invocation – Introduktion
und Fuge
E. Elgar (1844–1937)
Nimrod (aus Enigma-Variationen)
(Transkription Boris Hellmers)
Improvisation:Symphonische Skizzen über gegebene
Themen
Introduktion/Allegro – Andante – Scherzando –
Adagio – Finale
44
Franz Josef Stoiber
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
an der Musikhochschule in Würzburg (Orgel
bei Prof. G. Kaunzinger und Prof. G. Weinberger, Tonsatz bei Prof. Z. Gárdonyi), künstlerisches Hauptfach Orgel an der Musikhochschule in Stuttgart (bei Prof. Jon Laukvik)
und Orgelimprovisation bei Prof. Peter Planyavsky (Wien).
Franz Josef Stoiber lernte während seiner
Schulzeit Orgel beim Passauer Domorganisten Walther R. Schuster und beim Regensburger Domorganisten Eberhard Kraus,
studierte Kirchenmusik und Musiktheorie
Nach dreijähriger Tätigkeit als hauptamtlicher musikalischer Assistent am Dom in
Würzburg und als Lehrbeauftragter für
Musiktheorie an der Musikhochschule
Würzburg folgte Stoiber 1989 einem Ruf als
Dozent für Orgel und Musiktheorie an die
Fachakademie für katholische Kirchenmusik
und Musikerziehung, heute Hochschule für
Katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik Regensburg. Am 1. März 1996 wurde
Franz Josef Stoiber zum Domorganisten am
Dom St. Peter in Regensburg berufen; seit
1997 ist er auch als Orgellehrer bei den „Regensburger Domspatzen" tätig.
2003 erhielt Franz Josef Stoiber eine ordentliche Professur für Orgel (Schwerpunkt
Liturgisches Orgelspiel/Improvisation) an
der Hochschule für Katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik Regensburg, die er
von 2003 - 2011 als Rektor leitete.
Konzerte, CD-Produktionen, Gastdozenturen (u.a. in Deutschland, Portugal, Kroatien,
Russland, Japan, England und Tschechien),
kompositorische Tätigkeit, Aufsätze und
Buchveröffentlichungen ergänzen seine
Aktivitäten.
Zu den besonderen Höhepunkten der letzten Jahre zählt 2009 die Weihe der neuen
Regensburger Domorgel (mit 80 Registern
auf 4 Manualen und Pedal die größte freihängende Orgel der Welt, erbaut von Orgelbau Rieger aus Schwarzach/Vorarlberg), die
Franz Josef Stoiber maßgeblich mitkonzipierte.
45
Zum Programm | 27. August 2016 – Franz Josef Stoiber
Das auffälligste Merkmal der französischen
Orgelmusik des 17./18. Jahrhunderts ist die
Herausbildung von fest umrissenen Typen,
die durch die Verknüpfung von Satztechnik und Registrierung gekennzeichnet sind.
Plein Jeu bedeutet Mixturplenum (Prinzipalregister und Mixturen). In der Regel handelt es sich um einen eher zur Homophonie
neigenden Tonsatz. Das Duo weist auf einen Satz mit zwei gleichberechtigten Stimmen hin, während das Trio ein dreistimmiger Satz ist, entweder für zwei Manuale und
Pedal oder aber mit zwei Stimmen für die
rechte und einer Stimme für die linke Hand.
Récit de Nazard weist darauf hin, dass eine
mit dem Register „Nazard“ gespielte Stimme hervortritt, und zwar meist im Sopran.
Cromorne en taille heißt ganz schlicht, dass
die vom Cromorne gespielte Solo-Stimme in
der Mitte (also im Tenor oder Alt) liegt. „Dialogue sur les grands jeux“ bedeutet ein Dialogisieren der Zungenplena (zu den Zungen gehören z. B. die Trompetenfamilie und
46
sogenannten kleinbechrige Zungen wie
Cromorne etc.)
Unter den italienischen Komponisten ist es
Marco Enrico Bossi, der nach Girolamo Frescobaldi die wohl gehaltvollsten Werke für
Orgel komponiert hat. Bossi – als Konzertorganist genoss er internationales Ansehen
– war zunächst Domorganist in Como und
schließlich Direktor des Konservatoriums in
Bologna sowie des Liceo musicale Santa Cecilia in Rom. Bossi gehört zu den Komponisten, die zur Erneuerung der Instrumentalmusik in Italien Wesentliches beigetragen
haben. Die relativ zahlreichen Orgelkompositionen Bossis – vielen eignet eine programmatisch-deskriptive Ausrichtung –
schenken eine besondere Aufmerksamkeit
der Harmonik, die im Spätwerk sich der impressionistischen Klanglichkeit nähert. Dem
Intermezzo lirico liegt eine A-B-A-Form zugrunde. Der A-Teil basiert auf einem Quintsprung-Motiv, das, mal zur Quarte gestaut,
mal zur Sexte gespreizt oder aber in eine
Umkehrung gefasst, in immer andere Farben eingebunden erklingt. Eine unvermittelte chromatische Rückung nach e-Moll
kündigt den von mehr Bewegungsenergie
geprägten B-Teil an, dessen Motivik sich,
wiewohl kontrastierend, sich vollständig aus
dem A-Teil ableiten lässt.
Wiewohl Max Reger im Brief vom 10. Februar 1900 an den Kritiker Georg Göhler meinte, die Choralfantasie sei „aus innersten ästhetischen Gründen der Natur der Orgel
eher zusagend als die Form der Sonate“ vollendete er knapp zwei Jahre nach der Ersten
Sonate (am 17. Dezember 1901) seine Zweite
Sonate d-Moll, op. 60, deren Satzüberschriften „Improvisation“, „Invocation“, „Introduktion und Fuge“ lauten. Wiewohl der eröffnende Satz mit „Improvisation“ überschrieben
ist, wurde immer wieder versucht, ihn mit
Elementen der „Sonatenhauptsatzform“ in
Verbindung zu bringen: Die Takte 1 bis 26
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
(„Hauptsatz“) reihen vier thematische Gestalten und schließen mit der Wiederholung
des Anfangs; die Takte 27 bis 35 präsentieren ein als lyrischen „Seitensatz“ verstehbares Thema, dem Material folgt, das wieder
der Sphäre des Hauptsatzes angehört. Eine
kurze imitatorische Abhandlung des ersten
thematischen Gedankens schließt den Teil
ab. Die nächsten neun, in Tempo und Dynamik zurückgenommenen Takte – sie sollen, so argumentieren etwas hilflos die Apologeten der Sonatenform, die Position der
Durchführung einnehmen, der „fast nichts
mehr zu tun bleibt“ (Martin Weyer) – präsentieren ein neues Thema, dem sich, vor
der „Reprise“, die Wiederholung des zweiten
thematischen Gedankens des „Hauptsatzes“
anschließt. Die Frage, inwieweit es tatsächlich sinnvoll ist, den Satz auf der Folie der
Sonatenform zu betrachten, kann hier nicht
erörtert werden, ist aber durchaus diskussionswürdig. Die ausgesprochen programmatisch gestaltete „Invocation“ hebt an mit
einer schmerzlichen, rezitativartigen Geste, die im weiteren Verlauf in ein harmonisches Gewand gekleidet erklingt, um dann
im pppp zu ersterben. Anschließend steigert sich der Satz zu einer sich lauthals aufbäumenden Klage, die jedoch wieder in sich
zusammenbricht. Ganz ähnlich trostreich
wie Liszt sein Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen
mit dem Choral „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ schließen lässt, beendet Reger das
Dunkel der „Invocation“ mit dem Zitat des
Chorals „Vom Himmel hoch“. Ganz anders
als der einleitungsartige Teil der „Phantasie“ der Sonate fis-Moll hat die „Introduction“
der Zweiten Sonate einen ausgesprochenen Scherzo-Charakter mit Reminiszenzen
an die vorgängigen Sätze und gleichzeitiger Präsentation von Material, das in der
Fuge erneut zur Geltung kommt, wobei der
Themenkopf der Fuge an das der „Reprise“
vorausgehende Thema im ersten Satz erinnert. Die hier aufscheinende Dichte der
motivisch-thematischen Arbeit rechtfertigt
einmal mehr den Terminus „Sonate“.
In der handschriftlichen Partitur der Variationen über ein eigenes Thema op. 36 notierte Edward Elgar den Vermerk „Enigma“; das
griechische Wort für „Rätsel“ wird später Bestandteil des Titels. „Rätselhaft“ sind die den
Variationen beigegebenen Kürzel etc.; sie
verweisen auf einzelne Personen aus dem
Umfeld Elgars, die mit jeweils einer Variation charakterisiert werden sollen. Nimrod ist
gemäß biblischer Überlieferung ein „großer
Jäger vor dem Herrn“ und ist Elgars bestem
Freund und Verleger bei Novello, August Jaeger, gewidmet. Elgar wies darauf hin, dass
die Musik sich auf eine ganz konkrete Situation bezog, nämlich auf ein Gespräch zwischen ihm und Jäger über die langsamen
Sätze in den Klaviersonaten Beethovens. Die
„Nimrod“-Variation soll der Atmosphäre des
langsamen Satzes der Beethoven'schen Pathetique verpflichtet sein.
Paul Thissen
47
Samstag, 3. September 2016 | 19.30 Uhr
Domorganist Daniel Beckmann, Mainz
Programm | Pfarrkirche St. Stephan
Abschlusskonzert
M. Reger
Choralfantasie „Wachet auf, ruft uns die Stimme“
(1873–1916) op. 52/2
J. S. Bach
Sinfonia der Kantate
(1685–1750) „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ BWV 106
[ Transkription F.-A. Guilmant (1837–1911)]
Choral „Ertöt uns durch dein Güte“ BWV 22
[ Transkription M. Duruflé (1902–1986)]
„Komm, süßer Tod“
[ Transkription V. Fox (1912–1980)]
G. Bovet (* 1943)
M. Reger
48
T ango de segundo tono, para los Barbaros
teutonicos que pisan la Musica con los pies
(für die teutonischen Barbaren, die
die Musik mit Füßen treten)
Tango de quinto tono, de mano izquierda
(für die linke Hand)
Fantasie und Fuge über B-A-C-H op. 46
> Vita siehe Seite 7
Zum Programm | 3. September 2016 – Daniel Beckmann
Nicht selten begegnete man der Tatsache,
dass der Katholik Max Reger – er bezeichnete sich selbst einmal als „katholisch bis in
die Fingerspitzen“ – in seinen Orgelfantasien auf evangelische Kirchenlieder rekurrierte, mit Verwunderung. Reger selbst reagierte darauf in einem Brief an Anton Gloetzner
vom 13.10.1899 mit den Worten: „Wegen
meiner Choralfantasien bin ich schon von
manchen Organisten für Protestant gehalten worden. Ist ja egal; mir ist die Hauptsache, dass man mich für einen guten Musiker hält.“ Wichtiger ist jedoch, dass Reger
das Kirchenlied nicht mehr als funktionales Choralvorspiel konzipierte oder aber, wie
z. B. Mendelssohn im ersten Satz der Sonate op. 65/1, als semantisierendes Element in
eine Orgelsonate integrierte, sondern aus
ihm eine eigene große Form autonomer
Musik entwickelte, die durchaus gleichberechtigt neben die bis dahin von ihm komponierte Klavier- und Kammermusik trat,
und zwar unter konsequenter Beibehaltung
einer avancierten Satztechnik. In nur zwei
Jahren, zwischen 1898 und 1900 nämlich,
komponierte Reger die Reihe von sieben
Choralfantasien. Bereits die zuerst entstandene Choralfantasie Freu dich sehr, o meine
Seele op. 27 zeigt eine Konzeption, die Reger in nahezu allen nachfolgend entstandenen Choralfantasien zumindest in Grundzügen beibehält, nämlich die strophische
Anlage mit Binnengliederungen; ab op. 30
kommen Einleitungen und ab op. 40 in eine
Choralapotheose mündende Steigerungsfugen hinzu. Die Phantasie für Orgel über den
Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ op.
52. Nr. 2 gehört zu Regers beliebtesten Orgelwerken und darf wohl als eine der überzeugendsten Choralphantasien gelten, was
nicht zuletzt in der äußerst gelungenen Umsetzung des programmatischen Gehalts
gründen dürfte. Die Einleitung zeichnet, unterbrochen durch den zweimaligen „Weckruf“ im fff der Orgel, das Dunkel der auf den
Erlöser wartenden Welt. Nach einer kurzen
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Fermate setzt über einem Quintklang im Pedal, umwoben von einem „lichten“ (so Regers Registrierungsanweisung) Tonsatz, nahezu unhörbar, aber leicht hervortretend,
die Choralmelodie ein, deren Zeilen durch
kurze Überleitungen, für die die punktierte Figur aus Takt 1 der Einleitung konstitutiv ist, getrennt sind. Die Wiederholung des
Stollens („Mitternacht heißt diese Stunde“)
lässt alle Stimmen, also den Choral und ruhig fließende Sechzehntel, auf einem Manual, also in einer Klangfarbe erklingen. Dabei
differenziert Reger je nach Textsituation der
einzelnen Zeilen zwischen „dunkler“ („Mitternacht heißt diese Stunde“) und „sehr ‚lichter‘ Registrierung“ („Sie rufen uns mit hellem
Munde“). Der zweite Teil der Strophe („Wohlauf, der Bräut’gam kommt“) variiert die Textur der drei ersten Zeilen. Die in der zweiten
Strophe zum Ausdruck gebrachte freudige Haltung schlägt sich in der durchgehenden Triolenbewegung und dem schnelleren Tempo nieder. Die Wiederholung des
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Stollens – Melodie im Pedal, darüber rasche Terzgänge in den Manualen – führt zu
einem ersten Höhepunkt. Mit Einsatz des
Abgesangs („Nun komm, du werte Kron“)
nimmt die Musik einen gänzlich neuen Charakter an. Eine völlig verinnerlichte Musik
lässt die Melodie als colorierten Choral erklingen. „Adagio con espressione“ überschrieben, nimmt dieser Teil gleichsam die
Funktion eines langsamen Sonatensatzes
ein. Er verklingt – ganz wie die Musik zur 4.
Strophe in op. 40 Nr. 1 („Wie schön leucht’t
uns der Morgenstern“) – im pppp mit einem
nochmaligen Diminuendo und endet auf
der Dominante, der nach einer kurzen Generalpause das Fugenthema, das, ähnlich
dem Fugenthema der Mozart-Variationen,
den kongenialen Gegenentwurf zur Melodie bildet und ganz dem freudigen Affekt
der 3. Strophe verpflichtet ist. Die Klimax bildet auch in op. 52 Nr. 2 die höchst eindringlich wirkende Verbindung von Fugenthema und eben der 3. Choralstrophe, wobei
50
Reger hier mit dem kurzfristigen Ausweichen in das terzverwandte C-Dur nach der
mit dem letzten Melodieton verbundenen
Tonika E-Dur eine seiner bemerkenswertesten Schlusswendungen komponiert hat, die
das abschließende E-Dur umso triumphaler
erscheinen lässt.
Die unter der Bezeichnung „Actus tragicus“
bekannte Kantate Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit BWV 106 J. S. Bachs entstand wahrscheinlich 1707, also während Bachs Mühlhauser Zeit. Die Kantate des 22jährigen ist,
wir Alfred Dürr formuliert, „ein Geniewerk,
wie es auch großen Meistern nur selten gelingt“ und mit dem Bach „alle seine Zeitgenossen mit einem Schlage weit hinter sich
läßt“, ein „Stück Weltliteratur“. Die von Alexandre Guilmant für Orgel bearbeitete, an
eine Pastorale erinnernde „Sonatina“ gibt
eine präludienartige Einstimmung zur Trauermusik: „Nach dem Abschied von der Erde
hat die menschliche Seele auf der Weide des
göttlichen Hirten Ruhe gefunden.“ (Martin
Geck).
1951 transkribierte Maurice Duruflé zwei
Sätze aus Kantaten J. S. Bachs für die Orgel,
u.a. aus der Kantate „Jesus nahm zu sich die
Zwölfe“ BWV 22 den Schlusssatz „Ertöt’ uns
durch dein’ Güte“. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Bach diese Kantate im Rahmen seiner Bewerbung um das Amt des
Thomaskantors geprobt hat. Der die Kantate beschließende Satz ist ein vierstimmiger
Choral, der jedoch ergänzt wird um einen
eigenständigen Instrumentalsatz (Oboe und
Streicher) mit durchlaufender Sechzehntelbewegung.
Das Lied Komm, süßer Tod stammt aus dem
1736 in Leipzig vom Zeitzer Schlosskantor
Georg Christian Schemelli herausgegebenen Gesangbuch, das „954 geistreiche, sowohl alte als neue Lieder und Arien“ enthält.
Von den Melodien heißt es in der Vorrede,
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sie seien „von Sr. Hochedl. Herrn Johann Sebastian Bach [...] theils ganz neu componiret, theilös auch von Ihm im Generals-Baß
verbessert worden“. Nur 69 Liedern sind
auch Melodien beigegeben, und in lediglich
zwei Fällen gilt die Autorschaft Bachs als gesichert.
Guy Bovets Tangos ecclesiasticos präsentieren Tangos in Kirchentonarten und gewinnen ihren Reiz somit aus der Konfrontation
von weltlicher und geistlicher Assoziationssphäre. Der Titel des Tango de segundo tono,
para los Barbaros teutonicos que pisan la Musica con los pies (für die teutonischen Barbaren, die die Musik mit Füßen treten) spielt
auf die deutsche Praxis des Pedalspiels an,
das in Spanien unbekannt war. Im Tango de
quinto tono, de mano izquierda (für die linke
Hand) soll die im Bass liegende Melodie von
einem charakteristischen Solo-Register gespielt werden.
Im Schreiben vom 26. Januar 1900 an Alexander Wilhelm Gottschalg, den für die Sparte Orgelmusik zuständigen Redakteur der
Zeitschrift Urania, kündigt Max Reger Phantasie und Fuge über B–A–C–H als ein Werk
technisch gleichermaßen wie ästhetisch
höchsten Anspruchs an: „Das muß ein Werk
größten Styls und Kalibers werden“ und ich
werde „mir alle Mühe damit geben“. Und im
November schreibt er: „Darüber [gemeint
ist die Choralfantasie „Straf´ mich nicht in
deinem Zorn“ op. 40 Nr. 2] werden sich die
Herren Organisten wahrscheinlich grausig
entsetzt haben“, aber es kommt „noch ‚toller‘ […] mein op. 46 z. B.“ Tatsächlich dürfte Regers Beitrag der bedeutendste unter
den zahlreichen B–A–C–H-Kompositionen
sein. Das Werk, von Straube später einmal
als „Symphonie in zwei Sätzen“ bezeichnet,
ist dem, wie bereits gesagt, vom Autor hoch
geschätzten „Herrn Geheimrat Professor Dr.
Joseph Rheinberger in Verehrung zugeeignet“. Wie Adalbert Lindner überliefert, soll
der Widmungsträger, der als Professor für
Komposition und Orgelspiel an der Königlichen Musikschule in München tätig war, Reger gegenüber geäußert haben, er glaube
nicht, „dass Menschenfinger Ihr Werk spielen und Menschenohren es ertragen können“. Im Brief vom 18. Dezember 1900 an
Joseph Renner räumte Reger ein, wiewohl
ansonsten jedweder Kritik gegenüber äußerst empfindlich, er sei in dem Werk „bis an
die äußerste Grenze der harmonischen u.
technischen ‚Möglichkeit’ gegangen.“ Dennoch konnte op. 46 zum erfolgreichsten
Orgelwerk Regers und innerhalb des Gesamtwerks zu der am meisten gewürdigten
Komposition Regers avancieren.
In nahezu jedem Takt der von einer den
Ton­satz an die Grenzen der Tonalität führenden Chromatik geprägten Phantasie
ist das anagrammatische, in verschiedenen Werten und Tempi präsentierte
B-A-C-H-Motiv enthalten. Ein wesentliches
51
52
Gestaltungsmerkmal ist dabei der Rekurs
auf die dem Motiv bereits innewohnende
Sequenz, wobei die Tonfolge einer Vielzahl
von harmonischen Interpretationen unterworfen ist. Das im Wesentlichen akkordische
Gepräge des ersten Abschnitts, der gleich
zu Anfang das mit bis zu zehnstimmigen
Akkorden harmonisierte und sequenzierte
Motiv monumenthaft in Erscheinung treten
lässt, weicht im zweiten Abschnitt (ab T. 12)
skalenartigen Führungen und zahlreichen
figurativen Elementen. Die anfängliche Geringstimmigkeit des ab T. 31 zweistimmig
anhebenden Schlussteils – das Motto wird
mit glitzernden 32teln kontrapunktiert –
erinnert am ehesten an die Toccatenfaktur
barocker-norddeutscher Provenienz, während der weitere Verlauf mit Terzenskalen
und virtuosen Läufen an Liszt’sche Klaviertechnik erinnert.
Ein größerer Gegensatz als der zwischen
dem strahlend-triumphalen Ende der
Phantasie – von besonderer Wirkung ist
hier die Wiederholung der anfänglichen Akkordfolge mit der Verdurung des dritten
Akkords, d. h. zum dritten Motivton „c“ erklingt nun statt c-Moll die Tonart C-Dur –
und dem Beginn der Fuge, einer Doppelfuge, ist kaum denkbar: Im vierfachen p und
mit dunkler Farbe setzt – aufgrund der relativ breiten Notenwerte quasi im stile antico
– das erste Thema ein, dessen Intervallstruktur ganz aus dem initiierenden Motto gewonnen ist. Die Fuge ist unter Einschluss besonderer kontrapunktischer Techniken wie
Krebs und Umkehrung ganz am Bach’schen
Vorbild ausgerichtet. Das zweite, motorische Thema verweist mit seiner Wechselnotenmotivik auf den Beginn des dritten Abschnitts der Phantasie. Nach zwei durch ein
Zwischenspiel getrennten Durchführungen
des Themas erklingt nurmehr noch der Themenkopf, das B-A-C-H-Motiv, in der Originalgestalt, während die Fortspinnung in „moto
retrogrado“, also in Krebsgestalt erscheint.
Der Fugenverlauf ist im Hinblick auf die Parameter Tempo und Dynamik eingebunden
in eine allmähliche, aber stetig sich entwickelnde Steigerungswelle, die mit dem Einsatz des zweiten Themas einen erneuten, vor
allem dynamisch nochmals gesteigerten Anlauf nimmt. Damit ist die Basis gelegt für einen ganz dem seit Beethovens Symphonik
allgegenwärtigen Schema per aspera ad astra verpflichteten Verlauf, der schließlich in einen Dominantseptakkord mit anschließender Generalpause mündet, wollte man mit
dem Vokabular der Rhetorik sprechen, mit einer exclamatio, die den Rückgriff auf den Anfang der Phantasie erzwingt, die Apotheose
des B-A-C-H-Motivs, kontrapunktiert von der
Motivik des zweiten Fugenthemas. Was zu
guter Letzt folgt, ist die Sequenzierung des
Motivs, „sempre Org. Pl. e stringendo“, ein immer schnelleres Emporschrauben, das in eine
zum strahlenden B-Dur-Schlussakkord führende Kadenz mündet.
Paul Thissen
53
Dispositionen der Mainzer Domorgeln
Querhaus (Klais 1928/29 & Kemper 1965)
54
I. Manual C–a3
(„Empore I“)
Südchorette
Pedal C–f 1
Südchorette
III. Manual C–a3
(„Empore II")
Nordwand, schwellbar
Pedal C–f 1
Nordwand
Quintade 16'
Prinzipal 8'
Gedacktflöte8'
Gemshorn (C-H neu)8'
Oktave 4'
Querflöte (C-H neu) 4'
Quintadena4'
Nasat22/3'
Oktave2'
Waldflöte2'
Mixtur VI 11/3'
1/2'
Zimbel III
Oboe 8'
Helltrompete4'
Tremulant
Subbass16‘
Flötbass8‘
Choralbass4‘
Trompete8‘
Gedackt16‘
Prinzipal8‘
Hohlflöte8‘
Quintade8‘
Salizional8‘
Oktave4‘
Rohrflöte4‘
Blockflöte2‘
Terzflöte (ab c0)13/5‘
8/9‘
None
1/2‘
Oktävlein
Rauschpfeife II
22/3‘
Mixtur V
1‘
Rankett16‘
Trompete ged.
8‘
Geigenregal4‘
Tremulant
Prinzipal16‘
Gedackt (Transmiss. II) 16‘
Oktavbass8‘
Quintade (Transmiss. II) 8‘
Pedaloktave4‘
Nachthorn2‘
Rauschpfeife IV
(aus Klais-Cornett IV - V)
Posaune16‘
Trompete4‘
Legende:
Klais (1928/29): schwarz
Kemper (1962–65): grau
Killinger/Breitmann (2003): rot
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Westchor (Klais 1928/29)
II. Manual C–a3
(„West I")
Chorgestühl
IV. Manual schw. C–a3
(„West II“)
Chorgestühl, schwellbar
Pedal C–f1
Chorgestühl
Prinzipal16‘
Prinzipal8‘
Offenflöte8‘
Schweizerpfeife8‘
Nachthorngedackt8‘
Oktav4‘
Nachthorn4‘
Quinte22/3‘
Oktave2‘
Mixtur IV-VI
Zymbel VI
1’
Bombarde16‘
Trompete8‘
Tremulant
Spitzflöte8‘
Lieblich Gedackt
8‘
Unda maris
8‘
Prinzipal4‘
Blockflöte4‘
Nachthorn2‘
Nasat11/3‘
Sifflöte1’
Sesquialter II
22/3‘
Scharff IV
Krummhorn8‘
Clairon4‘
Tremulant
Untersatz32‘
Prinzipalbaß16‘
Subbaß16‘
Oktavbaß8‘
Flötbaß8‘
Pedaloktav4‘
Rauschpfeife IV
4‘
Posaune16‘
Schalmey4‘
Cornett2‘
Wächterhäuschen
nicht schwellbar
Kardinalstrompete 8'
55
Ostchor (Kemper 1962) – seit Oktober 2014 stillgelegt
56
V. Manual C–a3 („Ost I")
Kaiserlogen
VI. Manual C–a3 („Ost II")
Kaiserlogen, schwellbar
Pedal C–f1
Kaiserlogen
Pommer16‘
Prinzipal8‘
Holzflöte8‘
Spitzgambe8‘
Oktave4‘
Quintade4‘
Gedackt4‘
Quinte22/3‘
Rauschpfeife III
Scharff IV
Mixtur VIII
Spanische Fanfare (horizontal) 16‘
Spanische Trompete (horizontal) 8‘
Tremulant
Spitzgedackt8‘
Quintade8‘
Lochflöte4‘
Strichflöte4‘
Prinzipal2‘
Waldflöte2‘
Nonensesquialter III
Zwergzymbel V
Spanische Trompete (horizontal) 8‘
Spanische Fanfare (horizontal) 4‘
Pommer16‘
Subbass16‘
Oktavbass8‘
Gedecktbass8‘
Choralbass4‘
Quintade2‘
Rauschpfeife V
Spanische Posaune (horizontal) 16‘
Spanische Trompete (horizontal) 8‘
Spanische Trompete (horizontal) 4‘
Nicht schwellbar:
Salizet8‘
Tremulant
I n t e r nat i ona l e r Or gelsommer 2016
Generalspieltisch (Kemper 1965)
Koppeln
Spielhilfen
Zwei weitere
Kemper-Spieltische
West I/Emp. I (II/I)
Emp.II/Emp.I (III/I)
West II/Emp. I (IV/I)
Ost I/Emp. I (V/I)
Ost II/Emp. I (VI/I)
Emp. II/West I (III/II)
West II/West I
Ost I/West I (V/II)
Ost II/West I (VI/II)
West II/Emp. II (IV/III)
Ost II/Ost I (VI/V)
Emp.I/Ped (I/P)
West I/Ped (II/P)
Emp. II/Ped (III/P)
West II/Ped (IV/P)
Ost I/Ped (V/P)
Ost II/Ped (VI/P)
Handregister
4 freie Kombinationen
Handregister zu Kombination
2 freie Pedalkombinationen (A+B)
Zungen ab
Manual 16’ ab
32’ ab
Empore II ab
Einzelabsteller
Tutti West
Tutti Ost
Tutti Empore
General Tutti
3 Schwelltritte für Manuale II, IV, VI
Crescendowalze
Walze ab
Walze West ab
Walze Ost ab
Koppeln in Walze ab
1. im Westchorgestühl
für West I, West II,
Empore II, Ped. West und
Nordwand
2. im Ostchor für Ost I,
Ost II, Ped Ost
57
St. Stephan (Klais 2013)
I. Hauptwerk C-a3
II. Positiv C-a3
III Schwellwerk C-a3
Praestant16‘
Principal8‘
Concertflöte8‘
Viola da Gamba
8‘
Rohrflöte8‘
Octave4‘
Blockflöte2‘
Quinte2 2/3‘
Superoctave2‘
Comet V (ab fis0)8‘
Mixtur IV
2‘
Trompete16‘
Trompete
8‘
Principal8‘
Dulciana8‘
Gedackt8‘
Principal4‘
Gemshorn4‘
Doublette2‘
Larigot11/3‘
Mixtur III
11/3‘
Cromorne8‘
Tremulant
Lieblich Gedackt
16‘
Willigis-Bass (aus Nr. 40)
32‘
Flûte harmonique
8‘
Untersatz (aus Nr. 42)
32‘
Bordun8‘
Majorbass16‘
Gambe8‘
Principalbass16‘
Vox coelestis
8‘
Subbass16‘
Fugara4‘
Octavbass8‘
Traversflöte4‘
Gedacktbass8‘
2/3
Quintflöte2 ‘
Tenoroctave4‘
Posaune16‘
Flautino2‘
Trompete8‘
Terzflöte13/5‘
Progressio II-V
11/3‘
Basson16‘
Koppeln:
Trompette8‘
II-I, III-I, III-II, I-P, II-P, III-P, Super III-P, Super III-I
Hautbois8‘
Setzeranlage: 10.000 Speichermöglichkeiten in 10 Gruppen
Clairon4‘
Sequenzer als Druckknöpfe und Pistons
Spieltraktur: mechanisch
Tremulant
www.orgel-st-stephan.de
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Pedal C-f1
Registertraktur: elektrisch
Stimmtonhöhe: a = 438 Hz bei 15° C
Anzahl der Pfeifen: 3.006
Informationen zur Orgelmusik im Dom
Auf den Internetseiten www.domorgel-mainz.de
können Sie sich umfassend über die Orgelmusik innerhalb und außerhalb der Liturgie, anstehende Konzerttermine sowie Geschichte und Besonderheiten der
großen Mainzer Domorgelanlage informieren. Wenn
Sie darüber hinaus Interesse an regelmäßigen Informationen in Form eines Newsletters haben, teilen Sie uns
bitte Ihren Namen und Ihre E-Mail Adresse per Post, Fax
oder E-Mail (Betreff: Adressverteiler) mit. So werden Sie
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59
Zum Autor: Prof. Dr. Paul Thissen
Institut der Universität Paderborn und der
Hochschule für Musik Detmold. Promotion
(Zitattechniken in der Symphonik des 19.
Jahrhunderts) sowie Habilitation (Destruktion und Entfunktionalisierung einer Gattung.
Requiemkompositionen im 20. Jahrhundert)
und Erlangung der venia legendi für das
Fach „Historische Musikwissenschaft“ an der
Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden. Seit 1987 Leiter des Referats
Kirchenmusik im Erzbischöflichen Generalvikariat Paderborn. 2011 Ernennung zum
Honorarprofessor für Musikwissenschaft an
der Hochschule für Musik Detmold.
Paul Thissen wurde 1955 in Kleve geboren. Studium der Kirchenmusik (A-Examen),
Schulmusik und Germanistik (1. Staatsexamen) an der Folkwang-Hochschule und
der Universität Essen. Studium der Musikwissenschaft am Musikwissenschaftlichen
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Spielstätten
Dom St. Martin
Markt
55116 Mainz
St. Stephan
Weißgasse 12
55116 Mainz
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Eine neue Orgel für den Mainzer Dom
Bereits seit 1986 wird immer wieder über einen Neubau der Mainzer Domorgelanlage nachgedacht. Nach zahlreichen Entwürfen,
Symposien, Akustikgutachten, Klangproben und Orgelbauwettbewerben konnte sich das Konsortium der international renommierten Orgelbauwerkstätten Rieger (Vorarlberg/Österreich) und Goll
(Luzern/Schweiz) durchsetzen.
Bankverbindung:
VR-Bank Mainz NL der Volksbank Alzey-Worms eG
IBAN: DE80 5509 1200 0082 5453 10
Weitere Informationen finden Sie auf den Internetseiten
www.domorgel-mainz.de
Das Gesamtkonzept sieht eine sukzessive Erneuerung der mehrteiligen Orgelanlage unter Wiederverwendung der erhaltenen Substanz
der Domorgel von 1928 (Klais/Bonn) und Aufgabe der Zubauten aus
den 1960er Jahren (Kemper/Lübeck) vor. Dem liturgischen Anforderungsprofil entsprechend wird es wieder in beiden Chorräumen
Teilwerke zur Begleitung des Chorgesangs (Westchor) und der
antiphonalen Offiziumspsalmodie (Ostchor) geben. Der bisherige
Standort Querhaus hat sich nicht bewährt und wird zu Gunsten
eines neuen Orgelwerks an der Marienkapelle aufgegeben.
Um dieses ambitionierte Vorhaben realisieren zu können, sind wir
auf großzügige Spenden angewiesen und freuen uns über die
Spendenzusage des Mainzer Dombauvereins in Höhe von 500.000
Euro. Auch Sie können mit einer zweckgebundenen Spende
(Stichwort „Domorgel“) an den Dombauverein zum Gelingen dieses
Jahrhundertprojekts beitragen!
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