Therapie von traumatisierten Patienten in einer

Therapie von
traumatisierten Patienten
in einer systemisch ausgerichteten
Praxisgemeinschaft
Abschlussarbeit des 4-jährigen Ausbildungsganges am Zentrum für Systemtherapie
(ZSB) Bern, Monbijoustr. 31, 3001 Bern
vorgelegt von
Dr. med. Mariantonia D'Andrea Jäger
Praxisgemeinschaft Bern West
Danksagung
Ganz herzlich bedanke ich mich bei Dr. med. Jürg Liechti, ZSB Bern, für seine unaufdringliche
und undogmatische, überzeugende, praxisnahe und lebendige Art, sein Wissen
weiterzugeben. Vielen, vielen Dank, lieber Jürg, für die wertschätzende Unterstützung über
viele Jahre und in unterschiedlichen Situationen. Die vorliegende Arbeit wäre sonst kaum
zustande gekommen.
Auch ein Danke aus tiefen Herzen an Fr. Dr. med. Monique Liechti-Darbellay, ZSB Bern, für
die Begleitung, Unterstützung, Verstärkung in der langjährigen Supervision. Liebe Monique, Du
besitzt die seltene Gabe, Wissen zu vermitteln, ohne zu belehren. Ohne Deine immer
konstruktive Stärkung zu selbständigem therapeutischen Handeln über die vielen Jahre hätte
ich mich wahrscheinlich nicht an die Traumatherapie gewagt.
Ein letztes grosses Dankeschön geht an Dr. med. Peter Frey, Gründer der Praxisgemeinschaft
Bem-West, einem Systemiker der ersten Stunde. Danke Peter, dass ich von Deiner
langjährigen Erfahrung und Deiner grossen Ruhe etwas mitnehmen kann. Ohne Dein
gleichzeitiges Einsteigen in die Traumatherapie hätte ich den Schritt nicht gewagt!
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1. Einleitung
PTSD (Post Traumatic Stress Disorders) kommen recht häufig vor. Ca. 80 % der
Traumatisierten verarbeiten die Ereignisse selber. Von einem PTSD kann nur nach
sechsmonatigem Bestehen der Symptomatik gesprochen werden. Nach DMS 111:
Flashbacks, Alpträume, intensives psychisches leiden bei Konfrontation mit Ereignissen, die
das traumatische Erlebnis symbolisieren, z.T. Unfähigkeit, sich an wichtige Teile des Traumas
zu erinnern und "depressive Symptomatik" mit vermindertem Interesse an bedeutenden
Aktivitäten, Isolierung, Anhedonie, Zukunftssorgen und so weiter. Oft auch assoziiert mit
Angstsymptomatik und Suizidgedanken. Alkoholkonsum, Drogeneinnahme stellen manchmal
eine Art Selbstheilungsversuch dar.
Bekannte Therapiemöglichkeiten sind die Expositionsbehandlung, die recht zeitintensiv und
schmerzintensiv ist, das Aufschreiben, Entspannungsmethoden und EMDR (Eye Movement
Desensitization and Reprocessing). Gemeinsam ist allen Therapieformen, dass versucht wird,
die schmerzhafte Erinnerung zu reintegrieren.
Generell soll mit der Therapie abgewartet werden, ob nicht die Selbstheilung einsetzt, vor
allem bei schmerzhaften und belastenden Therapiemethoden (Exposition). Bei starkem
Leidensdruck kann Therapie auch früh eingesetzt werden, mit einer gewissen (auch)
präventiven Intention, d.h. u.U. auch vor Ausbildung eines PTSD bei vorliegendem Trauma
und Symptomatik.
Auch in einer systemisch ausgerichteten Praxis werden oft Menschen betreut, die traumatische
Erlebnisse aufweisen und dadurch eine sie ernsthaft einschränkende Symptomatik entwickelt
haben. Unsere Praxisgemeinschaft hat Anfang dieses Jahres in Toto ein von Dr. med. P. Frey
organisiertes Seminar bei der holländischen Traumtherapeutin Willeke Bezemeer besucht.
Einige von uns hatten vorgängig' einzeln und individuell Kontakt mit EMDR gehabt. Die
Vorteile der Arbeit in einer Praxisgemeinschaft, wo einander über die Schulter geschaut
werden und gegenseitig unterstützt werden kann sowie in regelmässigen wöchentlichen
Intervisionen die Möglichkeit besteht, Erfahrungen auszutauschen, wirkten sich in dieser
besonderen Situation besonders positiv aus. Wir fingen deshalb relativ rasch an, die Methode
selber anzuwenden.
Einleitend stellt sich die Frage, was EMDR mit dem systemischen Therapieansatz zu tun hat.
Die Antwort ist: sehr viel! Durch das leiden eines Familienmitgliedes oder eines bei der Partner
ist das Familienleben oft in Mitleidenschaft gezogen. Ich habe unter anderem die Erfahrung
gemacht, dass Menschen, die in einer tragenden Partnerschaft eingebettet sind, besser mit
den Lebensschwierigkeiten allgemein zurecht kommen und im besonderen Falle auch rascher
traumatische Erlebnisse verarbeiten können. Oft mache ich zumindest einige der EMDRSitzungen in Anwesenheit des anderen Partners und begleite wo nötig die EMDR-Therapie
durch Familien- und Paarsitzungen.
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2. Erläuterung zum EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
2.1. Entwicklung von EMDR
Der Anfang liest/hört sich märchenhaft (amerikanisch?) an: Die Psychologin Francine Shapiro
bemerkte bei einem Spaziergang in einem Herbstwald, dass es bei ihr zu unwillkürlichen und
raschen Augengebewegungen kam und sie schrieb diesen das Verschwinden ihrer ängstlichen
Gedanken zu (Shapiro 1989 a) 1989 publizierte F. Shapiro die Resultate von EMD an 22
traumatisierten Kriegsveteranen (Shapiro 1989 b). Sie zeigte, dass sie eine einzelne
Traumaepisode in einer Sitzung auszulöschen vermochte. 1991 erschien die erste Arbeit von
F. Shapiro über EMDR.
Einige der Hindernisse, die sich der Anerkennung und Verbreitung der Methode in den Weg
stellten, waren, dass F. Shapiro ihre Ausbildung an einer nicht anerkannten Einrichtung
absolviert hatte, dass die Wirksamkeit der Methode vor dem Vorliegen klinischer Studien
postuliert wurde und nicht zuletzt die Tatsache, dass EMDR von F. Shapiro in gewisser Weise
vermarktet und mit einem Ausbildungsmonopol versehen wurde.
2.2. Entwicklung eines theoretischen Konstrukts
Nachdem F. Shapiro EMDR entwickelt hatte, formulierte sie die Theorie der beschleunigten
Informationsverarbeitung (Accelerated Information Processing), deren Basis das allgemeine
Input-Verarbeitungs-Output-Modell ist.
2.3. Wissenschaftliche Evidenz und EMDR
Mehrere vergleichende Studien (z.8. Vaughn et al, 1994, G. lranson et al, 2002) zeigten, dass
EMDR im Vergleich zur Expositionsbehandlung die gleichen Resultate erzielt, diese
Behandlung jedoch wesentlich weniger Zeit in Anspruch nimmt und einen günstigeren Einfluss
auf die intrusiven Symptome hat. Die Therapie-Abbrüche sind bei EMDR wesentlich seltener
(die Exposition ist wesentlich zeitintensiver und subjektiv "schmerzhafter").
Die Wirksamkeit von EMDR ist vor allem in den letzten Jahren gut dokumentiert worden (s.u.A.
Marcus et al, 1997, Scheck et al, 1998).
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3. Praktisches Vorgehen
EMDR ist ein standardisiertes Verfahren, das aus einer genau definierten Abfolge von
Therapieschritten besteht (s. Lipke, H., 2001).
3.1. Therapieschritte nach F. Shapiro
Nach F. Shapiro werden im allgemeinen 8 Therapieschritte unterschieden (s. Lipke H.,2001,
S.55-58)
Der 1. Schritt gilt der Anamnese-Erhebung und Behandlungsplanung sowie Indikationsstellung.
Die Patientin muss einigermassen stabil sein. Gewisse Persönlichkeitszüge sind besonders
kritisch zu evaluieren (z. B. Borderline-Störungen, ausgeprägte histrionische
Persönlichkeitszüge).
Der 2. Schritt dient der eigentlichen Vorbereitung, das therapeutische Bündnis wird gefestigt,
es wird ein innerer sicherer Ort, der während der Therapie als Anker dienen kann, "kreiert".
Naheliegende Aspekte eines möglichen Sekundärgewinns sollen hier untersucht und
angesprochen werden.
Der 3. Schritt wird Bewertung genannt. Dessen Inhalt:
- Das zu behandelnde Zielbild wird festgelegt (entweder schlimmstes Ereignis des
Zielereignisses oder ein Aspekt, der die Gesamtheit des Ereignisses symbolisiert);
- Der Patient nennt die negativen Selbtkognititionen, die mit dem Zielereignis verbunden sind;
- Der Grad emotionaler Belastung vor Beginn der Therapie (SUD - Subjective. Unit of
Disturbance, Skala 0-10, Skala nach Wolpe, 1990) wird festgelegt
- Die positive Selbstkognition wird ausformuliert;
- Der Voc-Wert (Validity of Cognition, von F. Shapiro 1991 eingeführt, Skala 0-7) wird erhoben;
- es wird nach Körperempfindungen gefragt
Im 4. Schritt erfolgt die Desensibilisierung, der Patient wird gebeten, während er den
horizontalen regelmässigen Handbewegungen des Therapeuten folgt, sich auf die negativen
Selbst-Kognitionen und das Zielbild zu fokussieren. Nach jeder Serie von Augenbewegungen
wird der SUD-Wert erfragt.
Im 5. Schritt kommt es zur Reprozessierung, d.h. die positive Kognition wird mit den
Augenbewegungen verbunden (Die Bezeichnung "Verankerung" für die Reprozessierung
erscheint mir etwas verwirrend, umso mehr, als ich den sicheren Ort als Not-Anker betrachte).
Nach jedem Schritt wird der Voc-Wert erfragt.
Im 6. Schritt, dem sog. Körpertest, wird der Klient gebeten, verbleibende negative
Körperempfindungen aufzuspüren.
Im 7. Schritt wird die Therapiesitzung abgeschlossen. Es soll darauf hingewiesen werden, dass
bis zur nächsten Sitzung neues Material auftauchen kann.
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Der 8. Schritt findet in der darauffolgenden Therapiesitzung statt. Das Zielmaterial der
vorangegangenen Sitzung wird nochmals überprüft, die SUD- und Voc-Werte werden erfragt,
wenn nötig wird die Desensibilisierung und Reprozessierung nochmals durchgeführt.
3.2. Therapieschritte in der eigenen Anwendung
Die Therapieschritte unterscheiden sich nicht wesentlich von denen von F. Shapiro.
1. Indikationsstellung
Dient der Erhebung der Anamnese, der Indikationsstellung, dem Erkennen von möglichen
Sekundärgewinnen, und dem Erstellen des therapeutischen Bündnisses.
2. Vorbereitung
Die Methode wird erklärt. Schaffung eines inneren sicheren Ortes als Anker.
3. Vorarbeit
- Festlegung des anzugehenden Traumabildes (Zielbild)
- Sensorische Eindrücke werden erfragt, um die Erinnerung durch emotionale Beteiligung
lebendiger, "echter" erleben zu lassen
- Negative Überzeugungen über sich selber (neg. UBS) festhalten. Wichtig ist, hier genügend
Zeit zu lassen, damit diese von der Patientin selbst formuliert werden, keine Listenanwendung,
aus welcher Sätze ausgewählt werden können (wird z.T. so gehandhabt)
- Spannung, SUD-Wert auf Skala 0-10
- positive Überzeugung über sich selber (pos. UBS) ausformulieren lassen
- Voc-Wert auf Skala 0-7 (erfragt wird "wie hoch ist Ihr Glauben daran", oder "Wie fest stimmt
diese Aussage")
4. + 5. Desensibilisierung I Reprozessierung (d.h. Verankerung der positiven Überzeugung).
Diese Schritte trenne ich nicht streng. Ich fange mit der Desensibilisierung an. Wenn der SUDWert deutlich absinkt, wechsle ich zwischen Desensibilisierung/Reprozessierung. Wenn nötig
Einsatz des sicheren Ortes als Anker. Bei stark belasteten Patienten (Zeichen von
Dissoziation) ist es wichtig, mit der Therapie weiterzumachen, bis der SUD-Wert sinkt, wenn
nötig unter Zuhilfenahme des sicheren Ortes oder Distanzschaffung durch Metaphern (z.B.
Patientin soll sich vorstellen, im sicheren Zug zu sitzen, auftauchende Bilder sind ausserhalb
des Zugfensters und ziehen wie eine Landschaft vorbei, sie kann hin- oder wegschauen). Die
körperliche Anspannung spreche ich während der Desensibilisierung und Reprozessierung an.
6. Abschluss der Sitzung, wenn SUD-Wert gesunken, zur Stabilisierung nochmals Begleitung
an den inneren sicheren Ort. Information, dass in der Zwischenzeit das Bild sich
vervollständigen kann, evtl. neue Bilder auftauchen. Während der nächsten Tage soll die
Therapeutin für den Patienten explizit erreichbar sein.
7. Überprüfung: In der nächsten Sitzung wird die emotionale Belastung durch das Traumabild
nochmals überprüft und nach Änderung der Symptomatik gefragt.
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3.3. Verknüpfung von EMDR mit dem systemischen Ansatz
Es hat sich als sehr nützlich erwiesen, die nahen Bezugspersonen des Traumatisierten in den
Behandlungsprozess miteinzubeziehen. In der Regel führe ich mindestens ein Gespräch
gemeinsam mit dem Patienten und dessen Partner oder anderen nahen Angehörigen. Zum
einen liefert dieses Vorgehen wichtige Informationen (z.8. Beschreibung von Angstzuständen
im Schlaf durch die Partnerin), an die sich der Patient gar nicht erinnern kann, zum anderen
werden gewisse Sekundärgewinn-Dynamiken erst in diesem Setting ersichtlich.
Es ist überdies auch wichtig, die Partnerin bei eigentlichen EMDR-Therapie-Sitzungen dabei
zu haben. Zum einen erlebt der Patient das Wiedererinnern an das traumatische Erlebnis in
Anwesenheit eines vertrauten Menschen, was sich an sich günstig für den therapeutischen
Prozess auswirkt. Darüber hinaus kann er mit der Partnerin zu Hause darüber sprechen.
Wahrscheinlich fällt es ihm leichter, die Partnerin um Unterstützung zu bitten, wenn sie
anwesend war, als die Traumabilder wiederaufkamen. Die Partnerin erhält direkten Einblick in
die Belastung des Partners durch das Trauma, was das Zusammengehörigkeitsgefühl erhöht.
4. Vorstellung ausgewählter eigener Therapien
Im folgenden werde ich einige durchgeführte Therapien kurz beschreiben mit Eingehen auf
dem sicheren Ort, das ausgewählte Traumabild inklusive die sensorische Eindrücke, die
negativen und positiven SUB (Selbstüberzeugungen), den Verlauf des SUD und Voc-Wertes
sowie auf die nebst dem EMDR angewendeten therapeutischen Strategien.
4.1. Fr. J. (35jährig, ein 1 % jähriger Sohn, im 4. Monat schwanger, tragende Partnerschaft)
Sicherer Ort: Ich verzichtete darauf, da Trauma gut umschrieben war (es handelte sich um
meine erste EMDR-Behandlung. Ich habe mir geschworen, nie mehr auf den sicheren Ort zu
verzichten. Als der SUD-Wert anfing zu steigen, kam ich buchstäblich ins schwitzen!).
Trauma: Der 1 % jährige Sohn verlor in einem Aktenvernichter die distalen Teile der Finger lI-V
der linken Hand. Es bestand Amnesie für unmittelbares Ereignis. Sie hatte nur vage
Erinnerung, wie "neben sich stehend", sah sich, wie sie das Kind in den Armen trug.
Traumabild: im Krankenwagen, spürte die Wärme des Kindes an ihrem Schoss und ihrer Brust,
nahm Blutgeruch wahr und schrie ( hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie in dieser Situation
an sich gedacht hätte, erst im Verlauf der Therapie kam die Erinnerung auf, dass sie das Kind
getröstet hatte und in der Situation sehr vieles richtig gemacht hatte.)
neg. UBS:
- Ich tauge nichts als Mutter
- Ich sehe nicht, wenn etwas gefährlich ist
- Ich habe das leben meines Kindes ruiniert
- Mein Ehemann wird mich verlassen
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pos. UBS:
Ich kann Verantwortung im menschenmöglichen tragen, ohne überängstlich zu werden
Verlauf des SUD- und Voc-Wertes an der ersten EMDR-Sitzung:
SUD: 7-8-9-9-9-8-8-7-7-6 (Bemerkung Frau J.:" jetzt mache ich etwas falsch", sie war
überzeugt, dass wenn es ihr besser ging, sie etwas falsch tat, wahrscheinlich auch in
Zusammenhang mit dem schlechten Gewissen als Mutter) - 5
Voc: 3-3-4-4-5
Verlauf SUD- und Voc-Wert an der zweiten EMDR-Sitzung: SUD: 4-4-3-3-2-2
Voc: 5-5-6
Symptome: seit 5 Wochen jeden Abend Flashbacks, Alpträume. Schlafstörungen, Schlechtes
Gewissen als Mutter. Angst, Partnerschaft aufs Spiel gesetzt zu haben. Symptomfrei ab erster
EMDR-Serie, anhaltend seit 4 Monaten. Wirkt selbstsicherer, lebensfroher.
Nebst EMDR angewendete therapeutische Strategien: Positive Konnotation ihres kompetenten
Verhaltens (Ambulanz organisiert, Hand eingebunden). Teilung eigener Erfahrung als Mutter,
dass es unmöglich ist, jegliches Risiko einzukalkulieren, v.a. für Kind in diesem Alter.
Sehr wichtig für die Patientin war das gemeinsame Gespräch mit Ehemann und Kind: für sie
stellte die Bereitschaft des Ehemannes mitzukommen einen wichtigen Schritt dar. Die
Beziehung ist tragfähig. Das Kind kam recht gut zurecht mit der nicht mehr integren linken
Hand. "Unser Kind ist nicht mehr integer" wurde zum gemeinsamen Thema.
4.2. Frau C. (44jährig, 18 und 12 jährige Töchter, geschieden, lebt mit Freund).
Sicherer Ort: Spaziergang mit Vater, fühlt sich geborgen, aufgehoben.
Trauma: Vergewaltigung vor ca. 8 Jahren.
Symptome: Alpträume seit Ereignis. Flashbacks bei körperlicher Nähe, anstelle des Gesichtes
des Freundes sah sie Vergewaltiger vor sich.
Traumabild: Aus dem Schlaf gerissen, Vergewaltigung, Geruch von Alkohol, Schweiss. Gefühl
des Ausgeliefertseins.
neg. UBS:
- non sono una buona donna (Ich bin keine gute Frau)
- non sono una buona persona (Ich bin kein guter Mensch)
- nessuno mi vuole bene (Niemand hat mich lieb)
- non valgo niente (Ich bin nichts Wert)
pos. UBS:
- sono quasi sempre una buona persona (Ich bin fast immer ein guter Mensch)
- il mio cuore è quasi sempre pulito (Mein Herz ist fast immer rein)
- sono una persona che ha valore (Ich bin ein wertvoller Mensch)
- ci sone delle persone che si interessano a me e mi vogliono bene (Es
gibt Menschen, die sich für mich interessieren und mich gerne haben).
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SUD-Wert:
1. Therapie: 6 ..................10 ................... 4
2. Therapie: 3 ........... 0 (Patientin.:" ich kann mich daran erinnern und halte es aus!")
Voc-Wert:
1. Therapie: 1-2, 2.
2. Therapie: 2 ....6
Die Symptome sind verschwunden, anhaltend seit 5 Monaten.
Nebst EMDR angewendete therapeutische
Empowerment, Wen-do (Selbstverteidigung)
Strategien:
Bei
tiefem
Selbstwertgefühl
4.3. Frau B., (23 jährig, alleinstehend)
Trauma: Vor 7 Jahren Bedrohung mit Pistole durch alkoholisierten Vater.
Symptome: Alpträume, Flashbacks vor dem Einschlafen. Kurz danach paranoide Gedanken,
war deswegen in Therapie. Die paranoiden Gedanken haben sich zurückgebildet, die
Alpräume und Flashbacks blieben. In zeitlicher Korrelation Claustrophobie, Panikattacken in
überfüllten geschlossenen Räumen, mehrmals ohnmächtig geworden (wahrscheinlich
Hyperventilationstetanie). Traumabild: Satz des Vaters "Wenn du aufmachst, bringe ich sie
um", weinende Schwester an der Innenseite der Türe, Stimmen der Nachbarn an der
Türeaussenseite
neg. UBS:
Ich bin hilflos
pos. UBS:
Ich kann mich wehren
SUD-Wert:
1. Therapie: 6...9...5, starke Nackenspannung, die mit Abnahme SUD nachliess
2. Therapie: 4... .2, leichte Spannung in Bauchregion, nachlassend
Voc-Wert:
1. Therapie: ... zögerlich, von 0 _-Punkteweise auf
2. Therapie: 2…………… 5-6
Symptomverlauf: nach erster Therapie-Serie Zunahme der Alpträume, nach zweiter
Stabilisierung, langsames Abklingen der Alpträume und der Flashbacks. Nach 4 Monaten
stabil. Hat Claustrophobie im Griff, musste die letzten Monaten nie mehr ein Lokal verlassen,
keine Ohnmachtsanfälle mehr. Manchmal wird es ihr in entsprechenden Situationen
schwindlig, absitzen und bewusst ruhiger atmen genügt. Wirkt lebensfroher. Hat Beziehung mit
einer Kollegin intensiviert, bezieht demnächst ein Haus zusammen mit ihr.
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Nebst EMDR angewendete therapeutische Strategien: Empowerment zur Verarbeitung der
Kränkung durch abruptes Verlassenwerden durch den Freund vor 2 Jahren.
5. Diskussion
EMDR ist eine effiziente Methode, traumatisierte Menschen zu behandeln. Die Wirksamkeit
auch im Vergleich mit anderen Trauma-Therapien ist in der Literatur gut untermauert.
Nach eigener Anwendung der Methode taucht die Frage auf, was EMDR eigentlich sei: eine
Psychotherapie-Methode, eine therapeutische Intervention, auf welcher Basis wirkt sie? Meiner
Ansicht nach kann kaum von einer Psychotherapie-Methode die Rede sein, obwohl diese
Ansicht vertreten wird (Lipke H., 2001, S. 112). Vielmehr handelt es sich bei EMDR um eine
psychotherapeutische Intervention, die in eine Psychotherapie eingebettet ist. Es muss gut
evaluiert werden, ob die Methode überhaupt zur Anwendung kommen soll oder nicht. Der
Therapeut sollte eine Psychotherapieausbildung genossen haben und sich therapeutisch
sicher genug fühlen, wenn es während der Anwendung von EMDR zu Destabilisierung des
Patienten kommt, diese wieder auffangen zu können. Es zirkulieren immer wieder Geschichten
von mehr oder weniger selbst ernannten Therapeuten, die EMDR in einem Schnellverfahren
erlernt haben (was problemlos möglich ist, denn die Intervention an sich ist relativ einfach) und
dann Patienten bis zur Destabilisierung behandeln, besser gesagt, fallen lassen. Noch
wichtiger als das technische Know-How der Methode ist die Indikationsstellung, und dazu
bedarf es psychotherapeutischer Erfahrung. Zu den offiziellen EMDR-Ausbildungskursen
werden nur fertig ausgebildete Psychotherapeuten zugelassen, was an sich klar dafür spricht,
dass EMDR nicht eine Psychotherapieform, sondern eine bestimmte psychotherapeutische
Intervention darstellt.
Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob EMDR mit Hypnose zu tun habe oder nicht (s.
u.a. Lipke, H., 2001, S. 117-118). Ich kann diese Frage nicht schlüssig beantworten. Den
Eindruck, den die den bewegenden Finger folgenden Patienten vermitteln, ist jedenfalls der
tiefster Konzentration. Auch über die Notwendigkeit (oder nicht) der Fingerbewegungen, ob sie
nicht durch andere Stimuli (Tippeln) ersetzt werden können, ist viel publiziert worden. Selber
wende ich die Augenbewegungen an, weil ich die Methode so erlernt habe und bisher gute
Resultate damit erzielen konnte.
Ich beobachte, dass eine Expositionskomponente miteingeschlossen wird, sie zeigt sich
dadurch, dass der SUD-Wert vorerst steigt, bevor er zu sinken anfängt. Zudem werden Details,
die vorgängig der Erinnerung versperrt waren, wieder zugänglich,
z.B. wie bei der Mutter des verletzten Kindes (Frau J.), die sich schrittweise an Details erinnern
konnte und erstaunt ausrief: "Jetzt kommt mir so vieles in den Sinn, das ich richtig gemacht
habe."
Eine Veränderung der Kognition über sich selber, indem der SUD-Wert bei der negativen
Kognition sukzessive abnimmt und der Voc-Wert der positiven Kognition steigt, dürfte eine
zentrale Rolle spielen.
Eindrücklich ist, wie durch einen relativ kleinen zeitlichen Aufwand z.T. seit Jahren
bestehende, subjektiv sehr störende Symptome wie Alträume, Flashbacks, Ein- und
Durchschlafstörungen oder auch Angstsymptomatik abklingen können.
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Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen, die die Methode selber anwenden, ist für
mich von zentraler Wichtigkeit. Im Rahmen der wöchentlichen Intervisionen haben wir die
Möglichkeit, einander auch in Live-Situationen über die Schulter zu schauen und uns
gegenseitig "auszufeilen".
Die zentrale Frage ist, ob ein Trauma vorliegt oder ob ein Trauma als "Eintrittsbillett" in einen
psychotherapeutischen Prozess dient, beziehungsweise ob das "Eintrittsbillet" ein anderes ist,
z.B. Claustrophobie und dahinter verbirgt sich ein Trauma. Es ist ratsam, v.a. bei Vorliegen von
Angst und tiefem Selbstwertgefühl, wenn gleichzeitig anamnestisch ein traumatisches Ereignis
vorliegt, gezielt nach Symptomen zu fragen, selbst wenn das Ereignis zeitlich weit zurückliegt.
Die Haltung des Therapeuten, wenn dieser von der grundsätzlichen Haltung ausgeht, dass
auch traumatische Erlebnisse in die Biographie wieder integriert werden können und dass die
angewendete Methode dazu beitragen kann, dürften eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
Die Patientin sollte einigermassen stabil sein, denn das EMDR beinhaltet einen
Expositionsanteil, der aufgrund meiner Erfahrungen bisher ausnahmslos den SUD-Wert
vorerst steigen liess. Die Indikationsstellung unter Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit
des Patienten, seines familiären Umfeldes, seines aktuellen psychischen Zustandes ist, wie
weiter oben erwähnt, von zentraler Bedeutung. Manchmal ist es notwendig, den psychischen
Zustand des Patienten durch stützende psychotherapeutische Begleitung vorerst zu
stabilisieren und EMDR erst danach anzuwenden.
Wenn die Indikation vorsichtig gestellt und die Therapie mit der notwendigen Vorsicht
(Berücksichtigung der Gesamtlebenssituation der Patientin und Einbezug des familiären
Umfeldes) angegangen wird, stellt EMDR eine wirksame Methode dar, Menschen, die an
einem traumatischen Erlebnis leiden, effektiv zu helfen, damit die mit dem Trauma
verbundenen Symptome in den Hintergrund treten und die Patientinnen wieder an ihre
Ressourcen anknüpfen können.
7. Literaturverzeichnis
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