verwaltungsgericht neustadt an der weinstrasse

3 L 547/16.NW
Veröffentlichungsfassung!
VERWALTUNGSGERICHT
NEUSTADT AN DER WEINSTRASSE
BESCHLUSS
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der Frau A.,
- Antragstellerin Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Tobias Hahn, Wormser Straße 33,
67346 Speyer,
gegen
die Stadt Speyer, vertreten durch den Oberbürgermeister, Maximilianstraße 100,
67346 Speyer,
- Antragsgegnerin -
wegen
Entziehung der Fahrerlaubnis
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund
der Beratung vom 1. August 2016, an der teilgenommen haben
Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Seiler-Dürr
Richterin am Verwaltungsgericht Meyer
Richter am Verwaltungsgericht Kintz
beschlossen:
-2Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,-- € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die für sofort
vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse B, M, S und L durch
Verfügung der Antragsgegnerin vom 29. Juni 2016 wiederherzustellen, kann keinen Erfolg haben.
Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der
Fahrerlaubnis in der angefochtenen Verfügung, dass es mit dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs unvereinbar wäre, wenn die Antragstellerin bis zum Eintritt der Bestandskraft der Verfügung weiter als Kraftfahrzeugführerin am Straßenverkehr teilnehmen könnte, nachdem ihre Ungeeignetheit zum
Führen von Kraftfahrzeugen gegeben sei, hält sich entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten der Antragstellerin im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –.
Das Gesetz verlangt zwar regelmäßig das Vorliegen besonderer Gründe, die über
die Gesichtspunkte hinausgehen, die den Verwaltungsakt selbst rechtfertigen.
Dies erfordert aber nicht die Darlegung solcher Gründe, die ausschließlich auf den
konkreten Einzelfall zutreffen. Wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur
Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vielmehr darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und
deutlich zu machen, dass diese Interessenlage nach ihrer Auffassung auch im
konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem das Fahrerlaubnisrecht zählt, in Betracht. Denn es ist offensichtlich, dass die Teilnahme eines für die Teilnahme am Straßenverkehr Ungeeigneten zu Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer
-3-
-3führt und ein solcher Fahrzeugführer zur Vermeidung der von ihm ausgehenden
akuten Gefahr schnellstmöglich von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr
auszuschließen ist (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. März 2006
– 10 B 10184/06.OVG –; Beschluss vom 1. Juli 2009 – 10 B 10450/09.OVG –,
ESOVGRP und DVBl. 2009, 1118; BayVGH, Beschluss vom 25. Mai 2010
– 11 CS 10.227 –, juris, Rn. 12). Deshalb genügt die von der Antragsgegnerin zur
Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Verfügung vom 29. Juni 2016 gegebene Begründung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO.
Das vorrangige öffentliche Interesse folgt hier auch daraus, dass sich die angefochtene Verfügung beim gegenwärtigen Sachstand aufgrund der im Verfahren
nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich
rechtmäßig erweist. Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und
Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag zugrunde zu legen, weil das von der Antragstellerin eingeleitete Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – i. V. m. § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung
– FeV –. Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet
zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Fahrerlaubnisbehörde kann, wenn
Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer
Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges geeignet ist, nach § 46 Abs. 3
FeV zur Vorbereitung ihrer Entscheidung von dem Betreffenden nach §§ 11 bis 14
FeV die Beibringung eines ärztlichen oder gegebenenfalls eines medizinischpsychologischen Gutachtens fordern. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte
Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11
Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, worauf der Betroffene
bei der Anordnung der Beibringung eines Gutachtens hinzuweisen ist. Diese Regelung hat ihren wesentlichen Grund in der Mitwirkungspflicht desjenigen, der
durch sein Verhalten Anlass zu Bedenken an seiner Fahreignung gegeben hat. Er
muss den notwendigen Teil zur Klärung von berechtigten Eignungszweifeln bei-4-
-4tragen. Kommt er dieser Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht nicht, nicht
vollständig oder nicht rechtzeitig nach, so darf der Eignungsmangel, der Gegenstand der Ermittlungsmaßnahme ist, als erwiesen angesehen werden. Diese
Schlussfolgerung ist Ausfluss eines im Prozessrecht geläufigen allgemeinen
Rechtsgedankens, wonach im Rahmen der freien Beweiswürdigung der zu beweisende Umstand als bewiesen angesehen werden kann, wenn die Beweisführung
vereitelt wird. Mit der Bestimmung des § 11 Abs. 8 FeV wurden somit lediglich die
bisher in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z. B. BVerwGE 34,
248) entwickelten Grundsätze in die Fahrerlaubnis-Verordnung übernommen.
Die Schlussfolgerung aus der Nichtbeibringung oder der nicht fristgerechten Beibringung eines geforderten Gutachtens auf die Nichteignung des Betroffenen zum
Führen von Kraftfahrzeugen darf aber nur dann gezogen werden, wenn die Beibringung des Gutachtens in formeller und materieller Hinsicht zu Recht angeordnet wurde. Dies ist hier der Fall.
Formell entspricht die Anordnung vom 25. April 2016, ein Gutachten eines Arztes
in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen, den Anforderungen des
§ 11 Abs. 6 FeV. So hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin in der Anordnung
die Gründe für die Gutachtensanforderung mitgeteilt und sie aufgefordert, das
Gutachten bis spätestens 25. Juni 2016 vorzulegen, um die Bedenken, die eine
weitere Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen würden, auszuräumen. Mit Schreiben vom 10. Mai 2016 wurde die Antragstellerin ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass die Fahrerlaubnis entzogen werde, wenn das Gutachten
nicht bis zum 25. Juni 2016 vorgelegt werde. Die an den Gutachter zu richtende
konkrete Frage war der Antragstellerin in der Anordnung ebenso mitgeteilt worden
wie die Möglichkeit, Akteneinsicht zu nehmen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 und 4 FeV).
Die Antragsgegnerin war nach §§ 46 Abs. 1, 11 Abs. 2 FeV berechtigt, von der
Antragstellerin die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer Begutachtungsstelle zu fordern. Danach kann die Fahrerlaubnisbehörde ein solches Gutachten
verlangen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche
oder geistige Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers begründen. Derartige Bedenken bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen be-5-
-5kannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5
zur FeV hinweisen. Solche Bedenken bestehen hier.
Im vorliegenden Fall begründet der Vorfall vom 12. November 2015 Zweifel an der
gesundheitlichen Eignung der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen,
auch wenn sie diesen Vorfall teilweise anders schildert als er in der Strafanzeige
vom 12. November 2015 (Vorgangsnummer: ……..) wiedergegeben wird. Übereinstimmung besteht in beiden Sachverhaltsschilderungen jedenfalls insoweit, als
die Antragstellerin zwei Mitarbeiter von Kabel Deutschland, die sie in ihre Wohnung gelassen hatte, mit einer Schreckschusswaffe (mit Prüfsiegel der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt – PTB –) bedroht hatte. Die Männer flüchteten
daraufhin aus der Wohnung der Antragstellerin und machten laut Strafanzeige bei
der Polizei von dem Vorfall Meldung. Nach Aufsuchen des Wohngebäudes der
Antragstellerin überwältigten Polizeibeamte die Antragstellerin vor Ort, d. h. in ihrem Wohngebäude, verbrachten die Antragstellerin in Handschellen gefesselt zur
Polizeidienststelle und verständigten, da eine Fremdgefährdung nicht ausgeschlossen werden konnte, die Stadt Speyer zwecks Einweisung in eine psychiatrische Klinik, die dann auch erfolgte.
Sichergestellt wurden bei dem Polizeieinsatz in der Wohnung der Antragstellerin
neben der erwähnten Schreckschusswaffe ein Magazin sowie 45 Platzpatronen
und acht CS-Gaspatronen, die nach dem Vortrag des früheren und des jetzigen
Bevollmächtigten der Antragstellerin wegen des abgefeilten Schlagbolzens aber
nicht mit der Waffe hätten abgefeuert werden können; es habe sich um eine DekoWaffe gehandelt.
Dieser Sachverhalt (Bedrohung von Personen mit einer Schusswaffe) ist jedenfalls
aufgrund der anschließenden Einweisung der Antragstellerin in die „Landesnervenklinik“ geeignet, Bedenken an der Fahreignung der Antragstellerin in gesundheitlicher Hinsicht („geistige Eignung“) zu begründen.
Um diese Bedenken auszuräumen, hat die Antragsgegnerin zunächst entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Grundsatz des geringstmöglichen
Eingriffs) mit Schreiben vom 10. März 2016 von der Antragstellerin die Vorlage
-6-
-6des Abschlussberichts der „Landesnervenklinik“ bis zum 31. März 2016 verlangt.
Auf diese Weise sollte geklärt werden, ob eine Krankheit, die eine weitere Geeignetheit der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen auszuschließen geeignet ist, Grund für das Verhalten der Antragstellerin am 12. November 2015 gewesen war.
Da die Antragstellerin von diesem für sie milderen Mittel zum Nachweis ihrer
Fahreignung keinen Gebrauch gemacht hatte, weil sie – so ihr Argument – mit der
Vorlage derartiger Krankenhausberichte schlechte Erfahrungen gemacht habe,
durfte die Antragsgegnerin, um die zu Recht bestehenden und durch die Weigerung der Antragstellerin, den Abschlussbericht des Krankenhauses vorzulegen,
verstärkten Zweifel an der Fahreignung der Antragstellerin zu überprüfen, nach
§ 11 Abs. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer Begutachtungsstelle verlangen. Diese für solche Fälle gesetzlich vorgesehene Gutachtensanordnung dient der Vorbereitung der Entscheidung der Behörde, ob die
Fahrerlaubnis belassen werden kann oder zu entziehen ist.
Zur Klärung von gesundheitlichen Fahreignungszweifeln ist nach der Gesetzeslage auch nicht die von dem Bevollmächtigten favorisierte Fahrprobe das geeignete
Mittel, sondern entsprechend § 11 Abs. 2 FeV eine ärztliche Begutachtung.
Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Frankenthal/Pfalz laut Vortrag der Antragstellerin das Ermittlungsverfahren nach § 153 StPO – Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit – am 12. Mai 2016 eingestellt hat, steht dem Vorgehen
der Antragsgegnerin nicht entgegen. Denn aus der Einstellung des Strafverfahrens kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Zweifel an der Fahreignung der Antragstellerin aufgrund des Vorfalls vom 12. November 2015 und der
anschließenden Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus unberechtigt seien. Auch ein nicht strafbares Verhalten oder zwar strafbares aber wegen geringer
Schuld nach § 153 StPO nicht strafwürdiges Verhalten kann Bedenken an der
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auslösen, denen nach der Fahrerlaubnis-Verordnung nachzugehen ist. Denn es geht im Fahrerlaubnisrecht anders als
im Strafrecht nicht um Verfolgung und Ahndung begangener Rechtsverstöße,
-7-
-7sondern um den Schutz Dritter vor zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern und -bewerbern.
Irrelevant ist in diesem Zusammenhang auch, ob das Fahreignungsregister Eintragungen zu Lasten der Antragstellerin enthält. Denn die Anordnung vom 25. April 2016, ein ärztliches Gutachten beizubringen, wurde nicht auf das Vorhandensein von Eintragungen im Fahreignungsregister gestützt.
Wurde von der Antragstellerin die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens jedenfalls bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Recht gefordert und
legte sie das Gutachten nicht vor, so durfte die Antragsgegnerin gemäß § 11 Abs.
8 FeV auf die fehlende Kraftfahreignung der Antragstellerin schließen und deren
Fahrerlaubnis entziehen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich bei der hier gebotenen summarischen
Prüfung auch im Übrigen als rechtmäßig. Die Antragstellerin hat die Nebenentscheidungen nicht substantiiert angegriffen, so dass sich insoweit weitere Ausführungen erübrigen.
Erweist sich nach alledem die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom
29. Juni 2016 im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als offensichtlich
rechtmäßig, so ist im öffentlichen Interesse der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung der Vorrang vor dem privaten Interesse der Antragstellerin einstweilen weiter mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen, einzuräumen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nr. 46.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18. Juli 2013 (NVwZ 2013, Beilage 58).
-8-
-8Rechtsmittelbelehrung….
gez. Seiler-Dürr
gez. Meyer
gez. Kintz