Gemeinsam in den Kampf

Korpsgeist
UNIVERSITÄT KONSTANZ
Eine deutsche Karriere: Erst hochdekorierter SS-Mann, später weltweit
anerkannter Literaturwissenschaftler und Romanist. Über Aufstieg und
Fall des Hans Robert Jauß (1921–
1997) ist eine neue Untersuchung
erschienen. Von Hans-Otto Dill
SEITEN 12/13
GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 12. AUGUST 2016 · NR. 187 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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Armutszeugnis
Wohnungsnot
Kampfzone
Weichenstellung
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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Wahlkampf in Berlin: Parteien zwi­
werden oft nicht altersgerecht
schen Mutlosigkeit und Aktionis­
untergebracht und betreut
mus. Von Michael Merz
Islamisten vertrieben: Strategischer
Erfolg von kurdisch-arabischer
Allianz in Nordsyrien
Italiens Bahn im Ausverkauf. Staats­
unternehmen wird per Börsen­
gang 2017 teilprivatisiert
Krim: Anschläge vereitelt
Feuerpause in Aleppo
gebrochen
Damaskus. Die humanitäre Situation
in der syrischen Stadt Aleppo wird
nach Angaben der Vereinten Nationen immer dramatischer. »Die Zeit
drängt«, sagte der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura am Donnerstag in Genf. Die Versorgung
der leidgeprüften Bevölkerung sei
völlig unzureichend. Die UNO forderte eine Feuerpause von 48 Stunden sowie sichere Korridore, damit
Hilfsorganisationen Lieferungen
nach Aleppo bringen können.
Unterdessen gingen die Kämpfe
trotz einer angekündigten Feuerpause auch am Donnerstag weiter. Wer
für die erneuten Gefechte verantwortlich war, blieb zunächst unklar.
Zuvor hatte Russland angekündigt,
eine dreistündige Feuerpause einhalten zu wollen, damit Hilfe in die
von den Kämpfen zerstörte Stadt
gelangen könne. (dpa/jW)
Russland beschuldigt Ukraine, eine Serie von Sabotageakten geplant zu haben.
Kiew versetzt Truppen in Alarmbereitschaft. Von Reinhard Lauterbach
D
Siehe Schwerpunkt Seite 3
Ukrainische Soldaten machen sich nahe Mariupol im Donbass für eine Übung bereit (9.8.2016)
sein. Auf dem vom FSB freigegebenen Video eines der festgenommenen
Ukrainer erkannten Anwohner einen
Busfahrer aus der Stadt Energodar
(der Wohnstadt des größten AKW
Europas südlich von Saporischschja) namens Jewgenij Panow. Wie die
ukrainische Webseite Vesti meldete,
kämpfte Panow auf ukrainischer Seite
im Donbass und organisierte nach seiner Demobilisierung 2015 die »ehrenamtliche« Hilfe für das ukrainische
Militär in seiner Stadt. Am Donnerstag wurde ein Bruder Panows mit der
Aussage zitiert, der Festgenommene
sei kein Angehöriger der Aufklärungsund Sabotagetruppe des ukraini-
schen Militärs gewesen, sondern ein
Mensch, den der Verlust der Krim
»schwer mitgenommen« habe und der
dagegen habe vorgehen wollen.
Russlands Präsident Wladimir Putin nahm die Vorfälle zum Anlass,
die Zukunft der Gespräche im »Normandie-Format« – unter Beteiligung
Deutschlands, Frankreichs und der
Ukraine – in Frage zu stellen. Es gebe nichts zu besprechen, wenn einer
der Teilnehmerstaaten zu offenem
Terrorismus übergehe, erklärte er am
Mittwoch.
Interessanterweise vermied die
Sprecherin des State Departments
in Washington am Donnerstag jede
Identifikation mit der ukrainischen
Darstellung. Sie verwies die Journalisten für weitere Auskünfte »an die
Regierung in Kiew«. Der private USAnalysedienst »Stratfor« nannte die
Darstellung des FSB »ziemlich plausibel«, auch wenn sie konkret kaum
zu überprüfen sei. Es sei allerdings
unwahrscheinlich, dass die Ukraine
reguläre Soldaten eingesetzt habe.
Am Donnerstag versetzte die Ukraine die an der Grenze zur Krim und zum
Donbass stationierten Truppen in höchste Kampfbereitschaft. Bereits am Mittwoch gab es nach Angaben des Generalstabs im Süden der Ukraine Manöver.
Siehe Kommentar Seite 8
Gemeinsam in den Kampf
Die türkische Regierung will »IS« wieder bombardieren. Razzien gegen HDP
N
ach erneuter Annäherung an
Russland will die Türkei wieder Luftangriffe gegen die
Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS)
in Syrien fliegen. »Wir müssen alle
gemeinsam gegen Daesch (arabischer
Name für den IS) kämpfen«, sagte
Außenminister Mevlüt Cavusoglu am
Donnerstag dem türkischen Sender
NTV. »Wir werden uns mit unseren
Flugzeugen aktiv an den Operationen
beteiligen.«
Die türkische Luftwaffe hatte Ende
November im syrischen Grenzgebiet
einen russischen Kampfbomber ab-
geschossen und so eine schwere Krise
im Verhältnis zu Moskau ausgelöst.
Aus Angst vor russischer Vergeltung
stellte die Regierung in Ankara die
Luftangriffe auf den »IS« ein.
Unterdessen geht die türkische Regierung weiter gegen die Kurden vor.
Antiterroreinheiten der türkischen
Polizei haben im Rahmen einer großangelegten Razzia in der Metropole
Istanbul die Bezirkszentrale der linken prokurdischen Oppositionspartei
HDP durchsucht. Die Sicherheitskräfte seien in der Nacht zu Donnerstag gewaltsam in das Gebäude einge-
drungen, sagte die HDP-Sprecherin
Bermali Demirdögen der Deutschen
Presseagentur. Zum Zeitpunkt des
Polizeieinsatzes habe sich niemand
im Gebäude aufgehalten. Laptops und
andere technische Gerätschaften seien
verschwunden.
In der Nacht seien bei weiteren
Razzien in Privatwohnungen 17 Personen festgenommen worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur
Anadolu. Der Polizeieinsatz habe sich
demnach gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK gerichtet,
und das HDP-Büro sei durchsucht
worden, weil die Polizei dort Verdächtige vermutete. Die Regierung wirft
der HDP vor, der verlängerte Arm der
PKK zu sein, was die Oppositionspartei aber bestreitet.
Die PKK wird für zwei auf Polizeifahrzeuge zielende Anschläge in
der Südosttürkei vom Mittwoch abend
verantwortlich gemacht. Bei den Attentaten in der Kreisstadt Kiziltepe
der Region Mardin und der Kurdenmetropole Diyarbakir wurden nach
neuesten Angaben acht Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt.
(AFP/dpa/jW)
RONALD WITTEK/DPA
Bundeswehr operiert
längst im Inland
EPA/IRINA GORBASYOVA
er russische Geheimdienst
FSB hat nach eigenen Angaben in den vergangenen Tagen eine geplante Serie ukrainischer
Anschläge auf die Infrastruktur der
Krim vereitelt. Der Dienst erklärte
am Mittwoch, das ukrainische Militär
habe am vergangenen Wochenende
zweimal versucht, Saboteure auf die
Krim zu schleusen. Die Verdächtigen
seien gestellt worden, als sie versucht
hätten, an in Verstecken gelagerten
Sprengstoff zu gelangen.
Bei bewaffneten Auseinandersetzungen im Zuge der Festnahmen
seien ein FSB-Beamter und ein russischer Soldat getötet worden. Auch
auf seiten der Eindringlinge habe es
Verluste gegeben. Ein an der Grenze
stationierter ukrainischer Panzer habe
mit Maschinengewehrfeuer versucht,
ihren Rückzug zu decken. Ziel der Anschläge war nach Darstellung des FSB
die Zerstörung von Stromleitungen,
Gasverteilern und Meerwasserent­
salzungsanlagen, um die soziale Lage
auf der Krim zu verschärfen. Mit dem
laufenden russischen »Antiterroreinsatz« hatte offenbar auch die zeitweise Sperrung der Grenzübergänge von
der Festlandsukraine auf die Krim
zu tun, über die örtliche Medien am
Montag und Dienstag berichteten, ohne dafür zunächst Erklärungen liefern
zu können.
Der ukrainische Präsident Petro
Poroschenko wies am Mittwoch die
russische Darstellung als »Phantasien« zurück. Es handle sich um eine
Inszenierung, mit der Moskau davon
ablenken wolle, dass es selbst gegenüber der Ukraine Terrorismus betreibe, so Poroschenko.
Ganz so erfunden kann die russische Meldung aber nicht gewesen
Uedem. Verteidigungsministerin
Ursula von der Leyen (CDU/Foto) hat die Zusammenarbeit von
Polizei, Bundeswehr und anderen
Behörden bei der Luftsicherung
am Donnerstag beim Besuch des
Nationalen Lage- und Führungszentrums für Sicherheit im Luftraum als »beispielhaft« bezeichnet.
»Die Polizei entscheidet, was sie
braucht, wann sie Hilfe braucht
und in welcher Form«, sagte von
der Leyen im niederrheinischen
Uedem. Seit den Gewalttaten von
München, Ansbach und Würzburg
streitet die Regierungskoalition
über Bundeswehreinsätze im Inland. Trotz des Streits finden Einsätze der Bundeswehr im Inneren
längst regelmäßig statt, zum Beispiel in der Katastrophenhilfe oder
zur Absicherung von Großereignissen wie Wirtschaftsgipfeln. Ende
August will von der Leyen die erste
gemeinsame Übung von Polizei
und Bundeswehr für den Terrorfall
absprechen, die noch dieses Jahr
stattfinden soll.
(dpa/jW)
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