Lösung Fall 11: „Rasanter Prinz“ (VI. ZR 288/04) Quasinegatorischer Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog? 1) Analoge Anwendbarkeit des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB wird nach h. M. auf alle deliktisch geschützten Rechte und Rechtsgüter analog angewandt, um Rechtsschutzlücken zu schließen (sog. quasinegatorischer Unterlassungsanspruch). Zwar kann in Fall eines rechtswidrigen Eingriffs auch gemäß § 823 Abs. 1 BGB ohne Verbindung mit § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog Unterlassung gefordert werden, dann muss jedoch ein Verschulden des Täters nachgewiesen werden. Im Falle der Anwendung von § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog reicht dagegen ein rechtswidriger Eingriff aus, auf ein Verschulden kommt es nicht an. Dies spielt z. B. dann eine Rolle, wenn ein nicht Schuldfähiger in rechtswidriger Weise in ein absolut geschütztes Rechtsgut eingreift. 2) Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog Der Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog setzt einen rechtswidrigen Eingriff in eine gemäß § 823 ff. BGB geschützte Rechtsposition voraus. B könnte durch die Berichterstattung das deliktisch gem. § 823 Abs. 1 BGB geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des K rechtswidrig beeinträchtigt haben. a) Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet gegenüber jedermann den Schutz der Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Bei natürlichen Personen umfasst der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts die Intim-, Privat- und Individualsphäre. Die öffentliche Berichterstattung über eine Straftat unter Namensnennung des Täters beeinträchtigt den Betroffenen erheblich in seinem Ansehen in der Öffentlichkeit, weil sein Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und er negativ qualifiziert wird. Die Berichterstattung der B ist daher ein erheblicher Eingriff in die Individualsphäre des K. Seite 1 von 3 3) Rechtswidrigkeit Fraglich ist, ob der Eingriff auch rechtswidrig war. Die Rechtswidrigkeit muss beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch eine umfassende Güter- und Interessenabwägung positiv festgestellt werden. Es handelt sich auch in diesem Fall um eine Tatsachenbehauptung, weshalb eine Abwägung wie bei Fall 9 erforderlich ist. Da der Vorwurf jedoch (unstreitig) erwiesen war, waren die Grundsätze des Berichtes über Verdachtsermittlungen nicht anwendbar (so auch der BGH). Entscheidungserheblich ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen über weniger schwerwiegende Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten unter Namensnennung des Täters aufgrund der Pressefreiheit (§ 5 Abs. 1 S. 2 GG) berichtet werden darf. Nach dem BVerfG (BVerfG NJW 1993, 1463, 1464) sprechen erhebliche Erwägungen für eine auch die Person des Täters einbeziehende vollständige Information der Öffentlichkeit über vorgefallene Straftaten, weil Straftaten zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist, und weil die Verletzung der allgemeinen Rechtsordnung ein durchaus anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter begründet. Auch nach dem BGH (BGHZ 36, 77, 82) kommt es für die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung auf die Art der Tat und die Person des Täters an. Bei Straftaten, die die Öffentlichkeit in besonderem Maße berühren, kann wegen der Stellung der Person des Beschuldigten und der Art der Straftat eine namentliche Berichterstattung auch unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität zulässig sein. Im vorliegenden Fall ist ein überwiegendes Informationsinteresse zu bejahen: Zum einen hat K eine ganz erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung begangen, durch die eine vorsätzliche Missachtung der Verkehrsregeln zum Ausdruck kommt, zudem gefährdet eine solche Fahrweise andere Verkehrsteilnehmer. Ferner hat K auch schon wegen seines bisherigen Verhaltens in der Öffentlichkeit ein erhebliches Interesse an seiner Person auf sich gezogen, so dass auch wegen seiner Person ein besonderes Informationsinteresse besteht. Demgegenüber sind die Presseberichte für K zwar lästig und peinlich gewesen, es ist jedoch nicht erkennbar, dass sie eine erhebliche Belastung, Stigmatisierung, Ausgrenzung oder gar eine Prangerwirkung zur Folge gehabt haben. Seite 2 von 3 Somit ergibt die Güter- und Interessenabwägung, dass keine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des K vorliegt. K steht daher kein Unterlassungsanspruch gegen B gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog zu (und damit natürlich auch nicht aus § 823 Abs. 1 BGB). Anmerkung: Die den Fällen 11 und 13 zu Grunde liegenden BGH-Entscheidungen, die sehr ausführlich begründet sind, sollten Sie unbedingten lesen. Die Lösungsskizzen sind stark verkürzt. Im Fall 13 stellte der BGH ausdrücklich fest, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (BGH NJW 2004, 2647) nicht einschlägig sei, weil der rein private Bereich bei dieser Tat verlassen worden sei. Seite 3 von 3
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