Editorial Trumps Amerika Warum wird der Kandidat so gehasst? «Mürrische Gelassenheit». Rapallo und Walther Rathenau. Von Roger Köppel D er deutsche Kriegsdenker und Philosoph Herfried Münkler, auch ein glänzender Ideenhistoriker, erregt Anstoss mit seiner auf den Terrorismus gemünzten Formel der «mürrischen Gelassenheit». Münkler beschreibt damit eine Haltung schlechtgelaunter Unaufgeregtheit im Umgang mit jenen Verbrechen, die islamistische Täter tatsächlich oder angeblich begehen. Ich kann gut verstehen, dass man den Aufruf zur Gelassenheit etwas abseitig findet, nachdem gleich mehrere vermutlich islamistische Killer zugeschlagen haben. Naheliegend ist der Vorwurf, hier verharmlose und beschwichtige ein Professor aus der schusssicheren Distanz seines Elfenbeinturms. Die Beanstandungen aber sind falsch. Münkler plädiert ja nicht dafür, Zeit zu vertrödeln oder Gefahren auszublenden. Vielmehr wendet er sich gegen jene mediengetriebene Rasanzkultur der Nullaussagen und Absichtserklärungen, die oft in Dummheiten ausarten. Gelassenheit, gerade in ihrer mürrisch-misstrauischen Form, ist eine der wichtigsten Führungseigenschaften. Es geht um die Fähigkeit, ein Problem zu durchdringen, an sich herankommen zu lassen, ohne vereinnahmt zu werden. Derzeit jagen sich die Meldungen über mutmassliche Anschläge islamistischer Provenienz mit unwirklichem Tempo. Wann, wenn nicht jetzt, ist Distanz, ist Abgeklärtheit, ist eben «mürrische Gelassenheit» gefragt? Die Terroristen wollen uns aus der Ruhe bringen. Aus der Ruhe aber kommt die Kraft. Professor Münkler hat recht. M an muss den früheren New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani studieren, um Hinweise darauf zu finden, wie der Staat auf terroristische Attacken reagieren soll. Als der raubeinige Ex-Staatsanwalt sein Amt antrat, war New York ein Sumpfgebiet. Die Kriminalitätsrate war extrem hoch, in manchen Stadtvierteln marodierten Banden. Giuliani setzte nicht auf Soziologie, er räumte auf, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes. Er erhöhte die Polizeipräsenz massiv. Äussere Zeichen der Verwahrlosung wurden konsequent beseitigt. Er liess eingeworfene Fensterscheiben ersetzen. Mit Graffiti vollgesprayte Züge wurden konsequent gereinigt. Viele Intellektuelle und Journalisten höhnten, Giuliani betreibe nur «Symptombekämpfung». Die Kritiker irrten. Giuliani stoppte den Verfall der öffentlichen Weltwoche Nr. 30/31.16 Bild: Nathan Beck «An sich selbst leidende Samariter-Supermacht.» Ordnung, indem er die Ordnung wieder sichtbar herstellte. Was lernen wir? Unordnung entsteht nur dann, wenn sich der Staat als Hüter der Ordnung zurückzieht. Indem er die Unordnung duldet, vergrössert er sie. N ach eingehender Lektüre der New York Times bin ich fast überzeugt, dass Trump im nächsten November gewählt wird. Die feindselige Gehässigkeit des hochdekorierten Ostküstenblatts ist erstaunlich. Selten habe ich eine derart einseitige, fast ausschliesslich auf Behauptungen setzende Kommentierung eines Parteitags gelesen. Trump wird nicht einmal mehr zitiert. Die Verdammung des Kandidaten kommt inquisitionsmässig ohne Begründun- Eines unserer Ziele: Dass Patienten schnell wieder gehen. Fusschirurgie. Eines der Fachgebiete in Ihrer Privatklinik für Chirurgie und individuellen Service. pyramide.ch Spitze für Sie. gen aus, zuvorderst der Linksnobelpreisträger Paul Krugman, dessen Meinungen auch hierzulande von erstaunlich vielen Journalisten und Politbeobachtern wie Bibelsprüche nachgebetet werden. Wie ist dieser panische Trump-Hass zu erklären? Seine Kritiker behaupten, der Mann sei in seiner Krassheit unamerikanisch. Ich habe eine andere Theorie. Trump wird gehasst, gerade weil er so krass amerikanisch ist. Er ist laut, grossmäulig, erfolgreich, egozentrisch, tüchtig und bemerkenswert plump. Sein Programm ist die dröhnende Beschwörung eigener Interessen. Er verkörpert die besten und fragwürdigsten amerikanischen Eigenschaften, und vielleicht ist es den gebildeten und feinsinnigen Amerikanern, die die New York Times lesen und an besseren Schulen studiert haben, etwas peinlich, wenn sie ihr Land auf diese Weise, so ehrlich und ungeschminkt, vertreten sehen. Sie ziehen den Obama-Stil einer scheinbar an sich selbst leidenden Samariter-Supermacht vor, die vor lauter Gutmenschlichkeit erst gar nicht auf die Idee kommen könnte, so etwas Niedriges wie nationale Interessen zu entwickeln. Trumps brachiale Direktheit ist angesichts dieser Heuchelei erfrischend. Er spricht aus, was die USA im Grunde immer waren: «America first», Amerika zuerst, allerdings oft eingelullt in wohl tönende idealistisch-altruistische Phrasen. Trump zertrampelt diese gefällige Illusion. Er verkörpert Amerika, wie es wirklich ist, aber viele Amerikaner ertragen ihren eigenen Anblick nicht mehr. A n der italienischen Riviera besuchen wir die Bucht von Rapallo, dort das wunderbar aus der Zeit gefallene «Imperiale Palace Hotel» mit seinem gigantischen Blick auf das Mittelmeer. Im ersten Stock befindet sich der gegen oben wie eine kleine Kathedrale mit einer Kuppel aufragende Raum, wo im April 1922 der Friedensvertrag von Rapallo zwischen dem gebeutelten Deutschen Reich und der geächteten Sowjetunion unterzeichnet wurde. Am Tisch sass unter anderem Walther Rathenau, der brillante deutschjüdische Bankier, Unternehmer, Schriftsteller und Aussenminister, Sohn des AEG-Gründers und vielleicht die herausragende Persönlichkeit jener deutschjüdischen Symbiose, die Deutschland bis zum Aufstieg der Nazis zu einem Zentrum des Geistes, der Wirtschaft und der Kultur gemacht hatte. Rathenau war ein grosser Patriot, der sogar für eine Verlängerung des Ersten Weltkriegs eintrat, um für Deutschland eine bessere Verhandlungsposition zu erringen. Er starb, erst 55-jährig, nur wenige Monate nach Rapallo unter den Schüssen rechtsextremer Attentäter unweit seiner prächtigen Villa an der Koenigsallee in Berlin. Was wäre aus Deutschland, was wäre aus der Welt geworden, wenn Rathenau nicht umgebracht und wenn der deutsche Absturz in die NS-Diktatur vermieden worden wäre? 5
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