Schleicher auf der Mittelspur

Technik&motor
F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TAG S Z E I T U N G
17. JULI 2016
NR. 28 SEITE 54
SCHLUSSLICHT
ZWISCHEN
ALLEN NETZEN
VON THILO KOZIK
M
an hatte uns gewarnt – ihr
seid tagelang nicht erreichbar, ein Wechsel macht immer Probleme –, doch darüber
konnten wir nur milde lächeln. Ein
Büro, das tagtäglich mit Technik zu
tun hat, wird so eine Lappalie wie
einen Anbieterwechsel ja wohl in
den Griff bekommen. Dachten wir.
* * *
Also schritten wir zur Tat und beauftragten mit Vodafone einen Anbieter, der eine schnellere Telefon- und
Internetleitung und bessere Verbindungsqualität zum günstigeren
Preis versprach. Allerdings lief der
alte Vertrag erst Monate später aus,
und in der Zwischenzeit legte uns
Netcologne ein vergleichbares Angebot vor, das wir annahmen, um uns
den bei einem Wechsel fälligen Aufwand zu ersparen. Dachten wir. Bis
uns plötzlich die Bestätigung von
Vodafone erreichte – herzlichen
Glückwunsch, am 31. Mai richten
wir Ihren neuen Anschluss ein! Aufgescheucht kontaktierten wir die
Kunden-Hotline, die uns sehr verständnisvoll zum Widerspruch riet
– heute absenden, und dann bleibt
alles beim Alten. Dachten wir.
Illustration iStock
A
uf einer dreispurigen Autobahn nähert man sich den Vorausfahrenden: einer Kolonne von Autos
auf dem linken Fahrstreifen, die
mittlere Spur wird von einem Wagen befahren, der rechte Fahrstreifen ist unbenutzt. Warum muss der in der Mitte fahren, obwohl rechts alles frei ist?
Zunächst einmal: Paragraph 2 Absatz 2
der Straßenverkehrsordnung (StVO) enthält das Rechtsfahrgebot: „Es ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei
Gegenverkehr, beim Überholtwerden, an
Kuppen, in Kurven oder bei Unübersichtlichkeit.“ Abweichend davon regelt Paragraph 7 Absatz 3c Satz 1 StVO: „Sind außerhalb geschlossener Ortschaften für
eine Richtung drei Fahrstreifen, dürfen
Kraftfahrzeuge, abweichend von dem Gebot, möglichst weit rechts zu fahren, den
mittleren Fahrstreifen dort durchgängig
befahren, wo – auch nur hin und wieder
– rechts davon ein Fahrzeug hält oder
fährt.“ Einzelne Überholvorgänge oder
das Vorbeifahren sollen nicht zum Fahren von Schlangenlinien zwingen. Fährt
oder hält hingegen auf dem rechten Fahrstreifen über eine längere Strecke hin niemand, gilt aber das Rechtsfahrgebot,
weil der rechte Fahrstreifen keine ungenutzte Kriechspur oder nur eine für Lastwagen ist. Die Länge der Strecke, auf
der kein Fahrzeug den rechten Fahrstreifen befährt, ist dabei nicht allein entscheidend; vielmehr kommt es auf die Dauer
des möglichen Fahrens auf dem rechten
Fahrstreifen an, die von den gefahrenen
Geschwindigkeiten abhängt. Erlaubt die
Benutzung des rechten Fahrstreifens
trotz vorausfahrender Fahrzeuge die Beibehaltung der Geschwindigkeit auf längere Zeit – von der Rechtsprechung entschieden sind mehr als 20 Sekunden –,
gilt das Rechtsfahrgebot.
Der bundeseinheitliche Bußgeldkatalog sieht bei Verstößen wie im Ausgangsfall Folgendes vor:
Nummer 3.1 Bußgeldkatalogverordnung (BKatV): Gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen durch Nichtbenutzen der
rechten Fahrbahnseite: 15 Euro; Nummer 4.2 BKatV: Gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen auf Autobahnen oder
Kraftfahrstraßen und dadurch einen anderen behindert: 80 Euro, ein Punkt im
Fahreignungsregister (FAER). Behindern bedeutet, einen anderen in dem von
ihm beabsichtigten Verkehrsverhalten
nachhaltig zu beeinträchtigen. Eine Gefährdung oder gar Schädigung ist nicht
erforderlich. Ganz kurzfristige oder unvermeidbare oder zumutbare Beeinträchtigungen bleiben außen vor.
Das Verhindern des Überholens durch
verkehrswidrige Fahrweise kann auch
strafbare Nötigung gemäß Paragraph 240
Strafgesetzbuch (StGB) sein. Dies allerdings nur unter besonderen Umständen.
Es muss besonders hartnäckiges, schikanöses Handeln „ohne vernünftigen
Grund“ über eine längere Strecke hin, gegebenenfalls sogar unter Fahren von
Schleicher auf
der Mittelspur
Rechts alles frei, die Autobahn ein rechtsfreier Raum: Die
fortwährende Blockade der Mittelspur ist ein Ärgernis ohnegleichen.
Was kann man tun, was darf man nicht machen? Von Uwe Lenhart
Schlangenlinien, vorliegen. Aber so ist es
ja bei den notorischen Linksfahrern
nicht, diese fahren einfach nicht rechts.
Wie verhält man sich also gegenüber
derartigen Verkehrsteilnehmern angemessen?
Kennzeichen des Störerfahrzeugs notieren und – um sicherzugehen, dass der
Verkehrssünder auch seiner gerechten
Strafe zugeführt werden kann – den Fahrer anschauen, so dass eine möglichst genaue Personenbeschreibung bei der Anzeigeerstattung abgegeben werden kann.
Existiert nämlich eine solche nicht und
der wegen des Vorwurfs von der Behörde
angeschriebene Fahrzeughalter reagiert
auf eine Anhörung oder eine Zeugenbefragung nicht, muss das Verfahren letztlich wegen Nichtermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers eingestellt
werden. Einem Beschuldigten steht nämlich das Recht zu, sich zu dem Vorwurf
nicht zu äußern. Das ist übrigens in derartigen Verfahren die effektivste Verteidigungsstrategie. Am besten sollte man
auch noch die Kennzeichen von Fahrzeugen notieren, deren Insassen die beharrliche Nichtbeachtung des Rechtsfahrgebots des Störerfahrzeugs in einer etwaig
stattfindenden Gerichtsverhandlung bestätigen können. Sollte nämlich ein (vermeintlich) überführter Verkehrssünder
mit einem Bußgeldbescheid belegt werden, steht es ihm frei, dagegen Einspruch
einzulegen. Hiernach kommt es regelmäßig zu einer Hauptverhandlung vor dem
für den Tatort zuständigen Amtsgericht.
Dieses kann schon mal 300 Kilometer
vom Wohnort des Anzeigeerstatters entfernt sein. Zudem können Gerichtstermine manchmal ungünstig terminiert sein.
So zum Beispiel, wenn für diese Zeit ein
wichtiger Geschäftstermin ansteht oder
die Verhandlung während des lange geplanten Jahresurlaubs anberaumt ist.
Zwar kann man in derartigen Fällen auch
als Zeuge viele Richter zu einer Terminverlegung bewegen, grundsätzlich gehen
Gerichtstermine aber vor. Kommt es
schlussendlich zu dem großen Tag vor
Gericht, an welchem dem Verkehrssünder endlich ein Denkzettel verpasst werden soll, ist es durchaus möglich, dass
nicht einmal die Einvernahme von Zeugen stattfindet. Der Delinquent könnte
sich nämlich gegenüber dem Gericht einsichtig zeigen, Besserung geloben und
überdies bisher verkehrsrechtlich nicht in
Erscheinung getreten sein, so dass ein verständiger Richter aus Gründen der Verhältnismäßigkeit von der Verfolgung absieht. „Herr Zeuge, vielen Dank für Ihr
Erscheinen, aber wir brauchen Sie hier
nicht mehr. Sofern Sie Fahrtkosten oder
Verdienstausfall hatten, können Sie diese
bei der Gerichtskasse geltend machen.
Die hat allerdings erst morgen ab acht
Uhr wieder geöffnet.“ Im besseren Fall
hat man durch seine Zeugenaussage dafür gesorgt, das ein dreiviertel Jahr nach
der Tat – der Vorfall und der Ärger über
das Fahrverhalten des Angezeigten sind
meist schon lange vergessen und verflogen – ein eigentlich ganz sympathischer
Frührentner 80 Euro (zuzüglich Verfahrenskosten) zahlen und zweieinhalb Jahre
mit dem Makel einer Eintragung im
FAER leben muss. Spätestens wenn man
am Abend eines Gerichtstages im Bett
liegt, dürfte die Frage aufkommen, ob
man sich jetzt befriedigt fühlt.
Alternativ könnte man dem Blockierer
der Mittelspur aus entsprechender Entfernung durch, so die Rechtsprechung,
„maßvolle“ Betätigung der Lichthupe
die Überholabsicht anzeigen und an das
Rechtsfahrgebot erinnern. Geschieht das
Aufblinken allerdings in einer gewissen
Vehemenz und kommen etwa noch Hupen oder gar Drängeln hinzu, könnte das
schon den Straftatbestand der Nötigung
verwirklichen. Den Regelfall stellt bedrängendes Fahren gegenüber dem vorausfahrenden Fahrzeug unter wesentlicher Verkürzung des Sicherheitsabstands, um den anderen zur Freigabe der
Fahrspur (Überholspur) zu bringen, dar.
Aber auch das Abbremsen, Ausbremsen,
die Fahrbahnblockade durch Stehenbleiben oder das „Schneiden“ und „Kolon-
nenspringen“ können hierunter fallen.
Wird hierdurch der durch den Spurblockierer Behinderte zum Täter, findet
man sich am Ende als Angeklagter vor einem Richter wieder. Eine Verteidigung
gegen den behaupteten Sachverhalt („so
war das nicht“, „er hat die Spur blockiert“) wird wenig erfolgreich sein.
Selbst wenn es nur einen Anzeigeerstatter und Zeugen gibt (nämlich den, der
das Überholen verhindert hat) und dessen Angaben durch den Beschuldigten
bestritten werden, steht nicht etwa Aussage gegen Aussage mit der Folge einer
zwangsläufigen
Verfahrenseinstellung
mangels hinreichenden Tatverdachts
(„im Zweifel für den Angeklagten“), sondern in derartigen Fällen entscheidet der
Richter nach seiner freien Überzeugung.
Der Richter macht sich ein Bild von
der Glaubwürdigkeit des Aussagenden
und seiner Angaben. Wenn also der Zeuge nicht bei der Justiz als notorischer Anzeigeerstatter bekannt ist oder aussagt,
Fahrer des zur Tatzeit geführten Autotyps seien sowieso alle Raser und Drängler, hat man als wegen eines Fahrmanövers Angeklagter vor Gericht keine Chance. Warum auch? Wenn der Zeuge „in
sich widerspruchsfrei, ohne Belastungstendenz und ohne eigenes Interesse am
Ausgang des Verfahrens“ berichtet und
zudem noch die Mühe der meist persönlichen Anzeigeerstattung bei der Polizei
auf sich genommen hat, würde wohl jeder das Bestreiten des Angeklagten als
„reine Schutzbehauptung“ abtun. Wenn
der Richter keine Anhaltspunkte dafür
findet, dem Belastungszeugen nicht glauben zu können, werden dessen Angaben
zur Überzeugung des Gerichts führen.
Nichts anderes gilt, wenn man mit eigenen Zeugen, zumeist Ehepartner als Beifahrer, aufwarten kann. Schenkt das Gericht nämlich den Angaben des Anzeigeerstatters Glauben, folgt daraus, dass die
Aussage des Entlastungszeugen falsch ist.
In derartigen Fällen leitet die Staatsanwaltschaft dann auch noch ein Verfahren
wegen Falschaussage ein.
Die Nötigung im Straßenverkehr wird
bei einem Ersttäter – bisher keine bedeutenden Entscheidungen in Flensburg erfasst – mit einer Geldstrafe in Höhe eines Monatsnettoeinkommens, Fahrverbot von bis zu drei Monaten und zwei
Punkten bestraft.
Also den Spurblockierer einfach
rechts überholen? Im Falle einer Anzeige
durch den so Überholten sieht das Sanktionenverzeichnis das Nachfolgende vor:
Nummer 17 BKatV: Außerhalb geschlossener Ortschaften rechts überholt:
100 Euro, ein Punkt im Fahreignungsregister. Auch hier kommt es darauf an,
was der Überholte bei der Polizei zu Protokoll gibt. Teilt er mit, dass er just in
dem Moment, als man rechts an ihm vorbeifuhr, von der mittleren auf die rechte
Spur wechseln wollte, und es dabei fast
zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge gekommen wäre, könnte dies den
Straftatbestand der Straßenverkehrsgefährdung in Form einer der sogenannten
sieben Todsünden durch falsches Überholen nach § 315c Absatz 1 Nummer 2b
StGB darstellen. Wer deswegen verurteilt wird, ist regelmäßig als ungeeignet
zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Neben einer Geldstrafe über bis zu
zwei Monatsnettoeinkommen drohen
die Entziehung der Fahrerlaubnis für 13
bis 15 Monate und drei Punkte in Flensburg. Das Gleiche gilt, wenn man nach
dem Rechtsüberholen beim Wiedereinscheren so knapp an dem Überholten
vorbeifährt, dass es beim Schneiden beinahe zu einem Unfall gekommen wäre.
Kommt man als von den ewigen Spurblockierern Genervter auch noch auf die
Idee, dem Verkehrssünder nach erfolgreicher Vorbeifahrt zu zeigen, wie es ist, am
Überholen gehindert zu werden, und
bremst sein Fahrzeug willkürlich herunter, mit der Folge, dass der Nachfahrende seinerseits zum Abbremsen gezwungen wird, so erkennt die Rechtsprechung hier im günstigen Falle eine Nötigung, ansonsten einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b
StGB. Letzterer wird ebenso bestraft wie
die Straßenverkehrsgefährdung. Auch
das kann den Führerschein kosten.
Die ernüchternde Erkenntnis: Es
bleibt kaum anderes übrig als, und hierzu rät der Autor, sich in der Kolonne der
Überholenden auf der linken Spur einzureihen, nach Passieren des Verkehrshindernisses zur gewünschten Fahrgeschwindigkeit zurückzukehren und darauf zu
hoffen, dass die Polizei hier mal Präsenz
zeigt, anstatt immer nur Knöllchen für
Falschparker zu verteilen. Wie wäre es
mal statt des regelmäßig wiederkehrenden Blitzermarathons mit einem Mittelspurfahreraktionstag? Es steht einem
frei, sich unter gebührender Rücksicht
auf eventuelle Mitfahrer verbal über den
Sonntagsfahrer zu echauffieren. Das
steht, sofern der so Angesprochene es
nicht hört, (noch) nicht unter Strafe.
Der Autor ist Fachanwalt für Verkehrsrecht in Frankfurt
* * *
Sicherheitshalber – man weiß ja nie
– horchten wir ein paar Tage später
bei Netcologne noch einmal nach.
Dort hieß es, Vodafone hätte unsere
Rufnummern angefordert, und man
sei verpflichtet, diese freizugeben.
Auch der Hinweis, wir hätten den
Auftrag längst widerrufen und storniert, half nicht – der gute Mensch
im Shop vor Ort und auch die Hotline brauchten etwas Schriftliches.
Also wieder das Gedudel der Vodafone-Hotline ertragen und endlich
jemanden erreicht: Ja, der Widerruf
ist eingegangen und wird in der zuständigen Abteilung bearbeitet, eine
schriftliche Bestätigung gibt es per
E-Mail spätestens in ein, zwei Tagen. Na, dann sollte ja alles gut werden. Dachten wir.
* * *
Drei Tage ohne Bestätigung später
erneutes Kämpfen durchs Vodafone-Hotline-Gedudel mit dem gleichen Ergebnis: Der Widerruf sei in
Bearbeitung. Dann könnte man
doch in der „zuständigen Abteilung“ direkt mal vorsprechen?
Nein, weiterleiten könne man von
hier nicht, hieß es. Und die entsprechende Rufnummer dürfe man
nicht herausgeben – schade!
* * *
Am Tag X passierte dann Folgendes: Zwei von drei Rufnummern
des Büros waren tot, was manche
Auftraggeber schon fälschlicherweise als Geschäftsauflösung interpretierten. Vier Tage später flatterte
doch tatsächlich die Bestätigung des
Widerruf ins Postfach: „Ihr Vodafone-Anschluss wurde trotz Ihres
Widerrufes eingerichtet. Wir bitten
dieses Versehen zu entschuldigen.“
Versehen? Wohl kaum. Das Schreiben kündigte die Vodafone-Abschaltung für den 17. Juni an; dann könnte Netcologne unsere drei Rufnummern wieder übernehmen und aktivieren. Dachten wir.
* * *
Leider sind wir aber seitdem telefonisch gar nicht mehr erreichbar.
Alle Leitungen sind tot, den Kontakt nach außen übernimmt allein
der Mobilfunk. Ohne Handy geht
nichts mehr. Laut Netcologne wurden die Leitungen nach der „versehentlichen“ Einrichtung durch Vodafone anderweitig belegt, und
jetzt gibt es keine freie Leitung
mehr. Das liege aber nicht an Netcologne – Schuld soll jetzt angeblich die Telekom sein, die über die
letzten Meter der Leitung bis ins
Gebäude wacht. Ob man sich da
mal hilfesuchend an die Hotline
wenden sollte?
! HINWEIS DER REDAKTION
Ein Teil der in Technik & Motor besprochenen
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zu denen Journalisten eingeladen wurden, präsentiert.