PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

Winfried Engel, Fulda
Kath. Kirche
hr4, „Übrigens“
Mittwoch, 03.08.2016
Kann Gott uns aus den Augen verlieren?
„Schließlich kommt es nicht darauf an, dass WIR Gott nicht aus den Augen verlieren,
sondern darauf, dass ER UNS nicht aus den Augen verliert.“1 So zitierte vor kurzem
der Referent bei einer Tagung aus einem Essay der bekannten und mehrfach
prämierten Schriftstellerin Felicitas Hoppe. Diese Aussage war für meine Ohren
derart neu, dass ich sie mir gleich notiert habe. Es ist nicht so wichtig, dass wir Gott
nicht aus den Augen verlieren, wichtiger ist, dass er uns im Auge behält! - Von Gott
reden bedeutete für mich bisher, dass die Menschen ihn im Auge behalten müssen,
ihn suchen, sich um ihn bemühen sollen. Und das aus Dankbarkeit dafür, dass Gott
alle Menschen bedingungslos liebt. In dem Zitat wird der Spieß aber umgedreht.
Nicht wir könnten ihn aus den Augen verlieren, was dann wohl ein Beweis größter
Undankbarkeit wäre; aber wir könnten ihm egal werden! Und das, so die
Schriftstellerin weiter, wäre die größte Angst, die Menschen haben. - Könnte das
wirklich so sein, habe ich mich gefragt? In meinem Denken und Wissen ist tief
verankert, dass sich die Menschen in der Geschichte mit Gott ständig um ihn bemüht
haben. Sie wollten ihn immer im Auge behalten. Grund dafür ist, dass Gott die
Menschen, jeden ohne Ausnahme, liebt und dass er diese seine Zusage niemals
brechen würde. Jetzt sollte das auch anders gedacht werden können? Gott sollte
mich aus den Augen verlieren? Das kann doch gar nicht sein, sagt etwas in mir.
Doch gleichzeitig ist da die Frage: Warum eigentlich nicht? Warum sollte er es
aushalten, dass er tagtäglich missverstanden, ignoriert, mit Vorwürfen überhäuft
wird, warum er dies oder jenes habe überhaupt zulassen können? Sollte er nicht
auch sagen dürfen, jetzt bin ich es leid, macht doch euren Kram alleine? - So
plausibel diese Möglichkeit auch klingt, ich kann sie mir nicht vorstellen. Ja, sicher,
Gott ist nicht einfach der harmlose und liebe Gott, mit dem man alles machen kann
und der alles mit sich machen lässt. Sicher ist er zuallererst der liebende Gott, aber
er ist auch der gerechte, richtende und strafende Gott, um nur einzelne Bilder aus
der Bibel zu nennen. Das kann und will ich nicht schönreden. Doch von einem bin ich
felsenfest überzeugt: Aus den Augen verlieren wird er niemanden von uns
Menschen!
1
Felicitas Hoppe, http://www.literatur-relgion.net/essay/e10hoppe.pdf