28 06.08.16 Samstag, 6. August 2016 :Belichterfreigabe: -Zeit: Farbe: Belichter: DWBE-HP 28 SCHÜLERPROJEKT DIE WELT SAMSTAG, 6. AUGUST 2016 WIE ERGEHT ES JUNGEN FLÜCHTLINGEN IN DEUTSCHLAND? DAS WOLLTEN DREI SCHULKLASSEN WISSEN. SIE LASEN IM UNTERRICHT DIE „WELT“ UND STORMARNSCHULE AHRENSBURG Mobile Flüchtlingsunterkünfte in Großensee an der Hamburger Stadtgrenze „Wir kamen nur für SICHERHEIT“ amilienvater Achmed Malani* reicht seiner kleinen Tochter Lya* ein Stück Schokoladenkuchen. Sie lächelt, setzt sich auf seinen Schoß und beide strahlen um die Wette: zwei von vielen Flüchtlingen, die heute ins Flüchtlingscafé in den Kirchsaal Hagen in Ahrensburg gekommen sind. Die Stimmung ist gut, man lernt Deutsch; sprechen, schreiben und Vokabeln; und es gibt Kaffee und Kuchen. Die Kinder spielen mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern im Nebenzimmer. Achmed ist aus seiner Heimat, dem Irak, geflohen und lebt mit seiner Frau und den drei Kindern seit 15 Monaten in Deutschland. Die Möglichkeit, einen Sprachkurs zu belegen, gab es bisher nicht. Das Flüchtlingscafé vom Freundeskreis für Flüchtlinge, das seine Türen jeden Mittwoch für alle öffnet, die vorbeikommen wollen, ist daher eine große Unterstützung. Ehrenamtliche Mitarbeiter verschiedener Altersgruppen, Jugendliche wie Rentner, nutzen ihre freie Zeit, um Flüchtlingen aus Ländern wie dem Iran, dem Irak oder Syrien unter die Arme zu greifen. Meist kommen zwischen zehn und 15 Flüchtlinge, und mittlerweile spricht Achmed schon fast fließend Deutsch. Teilweise hat er sich die Sprache selbst beigebracht, aber auch das wöchentliche Lesen und Schreiben im Flüchtlingscafé war eine große Hilfe. „Der Freundeskreis für Flüchtlinge hilft ab dem ersten Tag“, erzählt er begeistert. Flüchtlingsfamilien bekommen Paten zugeteilt, die sie von Anfang an unterstützen. Achmeds Pate hat seiner Familie zum Beispiel geholfen, eine Wohnung zu finden, die zwar nicht mehr im F besten Zustand sei, allerdings alles habe, was man brauche. Auch im Alltag, etwa bei der Suche nach einem Kinderarzt, vermitteln die Paten. „Was die Leute hier machen ist super-wunderbar. Wir haben das nicht erwartet. Wir kamen nur für Sicherheit“, sagt der junge Familienvater dankbar und lächelt. Auch Lya genießt das Zusammentreffen mit anderen Kindern aus Familien unterschiedlichster Nationen. Sie kochen zusammen am Spielzeugherd, probieren unterschiedliche Gerichte und haben Spaß. „Das ist doch mal eine kulinarische Küche“, lacht eine junge ehrenamtliche Helferin. Herkunft und Sprache spielen hier keine Rolle, die Kinder plappern einfach in den unterschiedlichsten Sprachen durcheinander. Die Betreuerin allerdings spricht Deutsch mit den Kindern, um ihnen die Sprache spielerisch nahezubringen: „Die Kinder lernen so schnell und wir unterstützen sie dabei.“ Auch in Großhansdorf, der Nachbargemeinde von Ahrensburg, ist das Interesse an der Flüchtlingsarbeit groß: Der Saal im Rathaus ist gefüllt, als Bürgermeister Janhinnerk Voß eine Versammlung des „Freundeskreis Flüchtlinge“ eröffnet. Die im September 2014 gegründete Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, die momentan 120 Flüchtlinge aus zwölf verschiedenen Ländern, größtenteils Syrien und Afghanistan, in die Gemeinde zu integrieren. Untergebracht sind die Asylsuchenden in verschiedenen Unterkünften und Wohnhäusern in ganz Großhansdorf. An dem Projekt arbeiten vor allem Ehrenamtliche mit. Die Vorsitzenden des Freundeskreises, Karin Iding und Angelika Woge, berichten über den aktuellen Stand der Arbeit. Nachdem ein Flyer und eine Website erstellt wurden, die zur Verbreitung von Informationen und als Portal für Helfer dienen, wurde zum 1. März ein Flüchtlingsamt eingerichtet. Dolmetscher, Sozialpädagogen, Architekten und weitere Helfer organisieren die Flüchtlingsarbeit in Großhansdorf gemeinsam. Das Angebot des Freundeskreises ist breit aufgestellt und beruht voll und ganz auf dem freiwilligen Engagement der Bürger. Auch hier greift wieder das Prinzip der Patenschaft: Freiwillige betreuen Flüchtlinge und unterstützen sie beispielsweise bei der Suche nach einer Unterkunft, als Begleitung zu Arztbesuchen und bei anderen alltäglichen Vorkommnissen. „Ich sehe es als meine Aufgabe, sie zu unterstützen – zuerst intensiv, jetzt begleitend“, berichtet eine Patin vom Freundeskreis. Ein anderer ergänzt: „Es geht darum, Vertrauen aufzubauen. Es ist schön zu sehen, wie schnell es vorangeht.“ Für die Kleinen gibt es eine Spielstunde vom Deutschen Roten Kreuz und Schulkinder erhalten kostenlose Schulmaterialien. Eine internationale Teestunde sowie der Dienstagabendtreff für Jugendliche gehören ebenso zum Angebot wie die gut besuchten Deutschkurse. „Die Flüchtlinge geben sich ganz viel Mühe. Sie wollen Deutsch lernen – und das schnell“, erklärt die Patin zweier Asylsuchender aus Eritrea. Anfangs hätten sie sich noch mit Händen und Füßen unterhalten, doch schnell habe es Fortschritte gegeben und nach nur vier Monaten würde die Kommunikation jetzt schon ganz gut klappen. Schüler der 11. Klasse der Stormarnschule in Ahrensburg machten sich mit ihrer Lehrerin auf und trafen Asylsuchende Im Interview macht Bürgermeister Voß deutlich, wie begeistert er von der großen Bereitschaft zur projektbezogenen Arbeit sei, auf die man in der Gemeinde treffen würde. „Die meisten Helfer engagieren sich aus Menschlichkeit. Es gibt zahlreiche Motive, mitzuhelfen: manche Personen haben eigene Erfahrungen mit dem Thema Krieg und Flüchten gemacht und wollen die Asylsuchenden nun so unterstützen, wie auch sie unterstützt worden sind.“ Es sei jedoch auffällig, dass sich überwiegend ältere Menschen einbringen würden. So sei es das nächste Ziel, auch die jüngeren Großhansdorfer ins Boot zu holen. Zurzeit befänden sich 36 Kinder und Jugendliche unter den Flüchtlingen und Berührungsängste seien unter Gleichaltrigen nun einmal deutlich geringer: „Ein Jugendlicher wird sich eher etwas von einem anderen Jugendlichen sagen lassen.“ Trotz der vielen Helfer berichtet Voß auch von Bürgern, die kritischer Auffas- sung gegenüber Flüchtlingsheimen in der Nachbarschaft seien. Er versichert jedoch: „In Großhansdorf hat sich kein einziger Vorfall durch Flüchtlinge ereignet. Sobald Bürger mit Flüchtlingen direkt in Kontakt kommen, sind viele oft überrascht, dass sich ihre Vorurteile nicht bestätigen. Daher ist es ein Argument, sich zu engagieren, gerade damit man negative Vorkommnisse verhindert und sich Befürchtungen nicht bewahrheiten.“ Er betont: „Das Ziel ist es, Einheimische und Flüchtlinge zusammenzubringen. Doch natürlich werden auch Gerüchte gestreut. Man kann in dieser angespannten Situation nicht voraussetzen, dass alle Mitbürger so aufgeschlossen sind.“ Alles in allem sind der Bürgermeister und der Freundeskreis Flüchtlinge jedoch sehr zufrieden: „Das Positive an der Flüchtlingsarbeit ist, dass man sich die Aufgaben einteilen kann. Wenn jeder mithilft, stellt die Flüchtlingsthematik für uns kein Problem dar.“ Auch das Amt Trittau, einer weiteren Nachbargemeinde, hat sich bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen. Dafür werden neue Gebiete, etwa im benachbarten Großensee, Lütjensee, Grönwohld und natürlich Trittau selbst erschlossen. Dreiviertel der Immigranten kommen in Trittau unter; der Rest verteilt sich auf die genannten Dörfer. Im November letzten Jahres wurden jeweils fünf transportable Unterkünfte in Großensee und Lütjensee aufgestellt. Die Kosten für die etwa 40 Quadratmeter großen und eingerichteten Unterkünfte betragen rund 40.000 Euro. „Wir haben nach einer nachhaltigen Lösung gesucht. Sollten die mobilen Wohnheime nicht mehr genutzt werden, verkaufen wir sie wieder auf dem freien Markt“, erklärt Borngräber. Im Februar 2016 stellte Amtsvorsteher Ulrich Borngräber die Flüchtlingsunterkünfte auf dem ehemaligen Bolzplatz in Großensee der Presse vor, gemeinsam mit Bürgermeister Karsten Lindemann-Eggers, der Flüchtlingsbeauftragten Andrea Schröter und Christina Henning vom Fachdienst Soziale Hilfen. Sie bieten mit einem Einzel- und zwei Doppelzimmern, einem Duschbad mit WC und einer Pantry-Küche mit angegliedertem Wohnraum je fünf Personen ein Dach über dem Kopf. Auf dem „Bolzplatz“ gibt es außerdem ein Waschhaus mit zwei Waschmaschinen und zwei angebauten Einzeltoiletten, auf die die Hausbewohner im Notfall ausweichen können. Den Bolzplatz, so Lindemann-Eggers, habe man deshalb als Standort ausgesucht, weil er sowieso nur noch sporadisch von Jugendlichen genutzt worden sei. Die Verteilung der Flüchtlinge auf die unterschiedlichen Unterkünfte liegt bei Christina Henning vom Fachdienst Soziale Hilfen in Trittau. Neben den mobilen Wohnheimen in Großensee stehen ihr noch etwa 60 vorhandene oder „in Arbeit“ befindliche Plätze zur Verfügung: in angemieteten oder gekauften Häusern und Wohnungen oder in weiteren in mobilen Heimen. Samstag auf dem Ahrensburger Marktplatz genießt man die Sonne, kauft auf dem Wochenmarkt ein, tauscht Neuigkeiten aus. Auf die Frage, ob sie von den laufenden Projekten zur Flüchtlingsarbeit im Raum Ahrensburg wüssten, reagieren die meisten jedoch mit einem Kopfschütteln. Zwar hat die Mehrheit bis jetzt nur positive Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht – und steht hinter Angela Merkels Flüchtlingspolitik. „Die Flüchtlinge können unsere Kultur bereichern“, erklärt ein Passant. „Scheu und Angst sind sehr gering und man begegnet den Flüchtlingen auf Augenhöhe. Ob es jetzt um Kriegs- oder Wirtschaftsflüchtlinge geht, in erster Linie sollte geholfen werden.“ Einige äußern sich aber auch abwertend oder fühlen sich schlicht zu wenig aufgeklärt: „Aufgeklärt durch Lügenmedien? Sicherlich nicht. Reinste Propaganda, durch die nicht aufgeklärt wird.“ Auch vor steigender Kriminalität haben viele Angst. Und die Flüchtlinge selbst? Die fünfköpfige Familie Mutlu*, die seit zwei Jahren in Ahrensburg lebt, fühlt sich wohl und gut aufgenommen. Nicht nur durch Spenden, durch Kleidung oder drei Fahrräder für die Kinder, habe man sie unterstützt. Die drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen im Grundschulalter, seien auch in der Schule und bei Freizeitaktivitäten gut aufgenommen worden, betont die Mutter: „Wir können uns sehr glücklich schätzen, dass unsere Kinder so schnell den Anschluss gefunden haben und so gut gefördert wurden.“ T * Namen von der Redaktion geändert Deutschkurs von Silke Hörberg, Stormarnschule Ahrensburg; Schüler: Kolja Blüße, Berend te Booy, Lara Deeken, Katharina Heß, Sophie Heuser, Ronja Jürgensonn, Sylvana Kempka, Anna-Lena Lorenz, Antonia Meyer, Nina Pape, Elisa Scharnbeck, Linda Schwarzer, Clara Seelig, Pia Sünnemann, Vito Thomsen, Liv Tryggvason Eines Tages geriet die Situation aus den Fugen Schüler des Düsseldorfer Humboldt-Gymnasiums haben versucht, sich in Menschen auf der Flucht hineinzuversetzen: Dana erlebt den Zusammenbruch der öffentlichen ein Name ist Dana, und ich komme aus Deutschland. Eigentlich hatten wir hier immer eine politisch stabile Situation, aber die Zeiten sind vorbei. Die Bürger sind mit der aktuellen Regierung nicht mehr zufrieden. Es fing alles mit friedlichen Aufständen an. Die Menschen wollten der Regierung zeigen, dass sie nicht alles mit sich machen lassen. Doch die Regierung fürchtete, dass ihre Fehler oder sonstige negative Aspekte ans Licht geraten würden, und plötzlich verschwanden einige spurlos, die sich gegen die Regierung einsetzten. Anfangs fiel das natürlich nicht auf, aber als sich die Zahl vergrößerte, fingen die Spekulationen an. Immer mehr Menschen schlossen sich den Regierungsgegnern an. Eines Tages geriet die Situation aus den Fugen. Ich war gerade in der Schule, als bewaffnete Bürger- M gruppen versuchten, den Landtag zu stürmen. Mittlerweile ging es nicht mehr nur gegen die Regierung. Es war fast so, als ob die Menschen beabsichtigt nach Gründen suchten, um sich gegenseitig zu hassen. Sei es wegen der Religion oder aus anderen Gründen. Es entstanden immer mehr Konflikte, welche bis zu dem Tag jedoch nicht eskalierten. Ab diesem Zeitpunkt ging alles drunter und drüber in unserem Land. Die Regierung hatte ihre Bürger nicht mehr unter Kontrolle, und die Polizei schien machtlos zu sein. Als der Bürgerkrieg ausbrach, war die Situation vielen, ebenso mir, noch nicht bewusst. Man hoffte, dass sich die Lage wieder beruhigen würde, doch das denkt zurzeit keiner. Es liefen zunehmend mehr Menschen bewaffnet herum. Anfangs nur, um sich angeblich im Notfall verteidigen zu können, doch vie- le schossen irgendwann wahllos in die Menge. Der Unterricht in der Schule wurde unterbrochen, da viele Familien die Kinder aus Angst nicht mehr aus dem Haus ließen. Mir ging es ähnlich. Das Leben spielte sich größtenteils in der Wohnung ab. Über das Internet konnten meine Freunde und ich Kontakt halten und uns gegenseitig Mut zusprechen. Die Schreckensnachrichten nahmen stetig zu: Selbstmordattentäter, Amokläufer … Wir haben echt Glück, dass wir in diesem modernen Zeitalter leben. So konnten wir uns immer darüber informieren, wie gefährdet unser Gebiet gerade ist oder ob es ein günstiger Zeitpunkt war, um beispielsweise einkaufen zu gehen. Meine Familie beschloss zu flüchten. Wohin genau, war anfangs noch unklar. Ein Teil meiner Familie ES LIEFEN ZUNEHMEND MEHR MENSCHEN BEWAFFNET HERUM war bereits in Argentinien. Mittlerweile sind wir auch da, allerdings war der Weg dahin nicht einfach. Allein bei der Ausreise aus Deutschland wurden einige erschossen. Die meisten Flüge und Züge wurden gestrichen, somit war es umso voller am Flughafen und an den Bahnhöfen. Wir hatten Glück und konnten getrennt auf zwei Flüge aufgeteilt werden. Allerdings gab es Komplikationen auf unserer Reise. Wir mussten in billigen Motels unterkommen, um uns die Reise überhaupt leisten zu können. Dabei ging es uns noch deutlich besser als anderen. Teilweise wurden die Kinder vorgeschickt, weil für die Eltern das Geld nicht reichte. Als wir endlich in Argentinien nach Monaten ankamen, konnten wir natürlich nicht wie erhofft zu unserer Familie. Wir wurden kontrolliert und anschließend zu einem Flüchtlingsheim gebracht. Wir hatten Feldbetten und eine schlechte Versorgung, die wir seit Beginn unserer Reise bereits zunehmend zu spüren bekommen haben. Es war sehr ungewohnt, mit so vielen Menschen eng aneinander zu leben, aber uns blieb nichts anderes übrig, als uns daran zu gewöhnen. Nachdem schon ein paar Wochen vergangen waren, konnten wir endlich einen Antrag auf Asyl stellen. Dieser wurde jedoch erst nach wenigen Monaten bewilligt. Wir durften also zu unserer Familie. Mittlerweile war mein Bruder krank, und uns ging es allgemein sehr schlecht. Wir waren ausgehungert und erschöpft. Im Gegensatz zu dem Großteil der anderen haben wir echt Glück gehabt, da wir uns nicht erst eine neue Existenzgrundlage schaffen mussten. Ich habe natürlich versucht, mit meinen Freunden Kontakt zu hal- + ??/DW/DWBE-HP 06.08.16/1/Spo4 JFORBRIC 5% 25% 50% 75% 95% 29 06.08.16 Samstag, 6. August 2016 :Belichterfreigabe: -Zeit: Farbe: Belichter: DIE WELT DWBE-HP SCHÜLERPROJEKT 29 SAMSTAG, 6. AUGUST 2016 ERARBEITETEN EIGENE BEITRÄGE. DAS PROJEKT „ANGEKOMMEN – UND WILLKOMMEN!?“ WIRD VON DER HERTIE-STIFTUNG UNTERSTÜTZT Erinnerung, Alltag, ENGAGEMENT Die Schüler des Kunstkurses der Q1 des Städtischen Gymnasiums Köln-Deutz setzten mit ihren Kameras Flüchtlingskinder ins Bild. Das Ergebnis: Faszinierende Begegnungen Bevor ich mein Engagement in der Spielgruppe des Flüchtlingsheims begann, hatte ich keine Vorstellung, was mich dort erwarten würde. Die Medien berichteten viel über die Situation in den Aufnahmestellen, jedoch denke ich, dass es wichtig ist, sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen, bevor man zu einem Urteil kommt. Entgegen meiner Erwartung war die Stimmung auf den Gängen eher ruhig und gelassen. Viele Bewohner waren auf ihren Zimmern oder in den Räumen, in denen Deutsch unterrichtet wird. Für unsere Arbeit nutzten wir das Spielzimmer. Dort bastelten wir, bauten – passend zur EM – ein Tischfußballspiel oder flochten Freundschaftsarmbänder. Meine Fotografie entstand in einer der kleinen Pausen, in denen die betreuten Kinder mit ihren Spielsachen spielten, da es ihnen schwerfällt still zu sitzen. In dieser Zeit fiel mir auf, dass zwei Jungen in einem bunten Stoffzelt spielten. Für mich strahlt es Geborgenheit aus, da durch seine farbenfrohe Gestaltung eine positive Atmosphäre und ein Kontrast zum grauen Heimalltag entsteht. Für die Kinder war es ein Ort der Ruhe, der den Umgang mit der schwierigen Situation erleichtert. Die beiden porträtierten Jungen nutzen es, um den Trubel um sie herum zu Vergessen. Ich hatte Glück, einen kleinen Blick in ihr Versteck zu erhaschen, da sie den Eingang in ihr Zelt stets verschließen, um ein eigenes Reich zu haben. In Europa und besonders in Deutschland sind die Bildung und Perspektiven der jungen Flüchtlingskinder ein viel diskutiertes Problem in der Politik. Die Flüchtlingskinder bekommen nicht gleichermaßen Chancen in der Schulbildung und somit auch nicht genügend Perspektiven für ihre Zukunft. Auch durch die traumatischen Ereignisse in ihren Heimatländern sind die Kinder gezeichnet von Angst und Unsicherheit. Deshalb sollte man ihnen die Möglichkeit geben, sich hier in Deutschland wie ein Kind zu fühlen, und ihnen eine Auszeit aus ihrer Vergangenheit verschaffen. Die Kinder eines Flüchtlingsheims in Köln nahmen an dem Projekttag „Unterwegs mit wilden Tieren“ teil und haben einen halben Tag im Zoo verbracht. Im Bollerwagen haben einige der Kinder den Zoo erkundet, was ihnen natürlich sehr viel Spaß einbrachte. Fast alle von ihnen konnten ein wenig Deutsch sprechen und haben sowohl mit den ehrenamtlichen Helfern als auch mit einigen fremden Kindern gesprochen. Man hat sehr gemerkt, wie sich alle Kinder gefreut haben und wie fasziniert sie den beeindruckend großen und kleinen Tieren in ihren Gehegen zugeschaut haben. Im Kölner Zoo konnten diese traumatisierten Kinder wieder Kinder sein und sich wohlfühlen. Dies wollte ich fotografisch dokumentieren. Meiner Meinung nach sollte es mehr Projekte geben, die Flüchtlingskinder unterstützen. In meiner Arbeit stelle ich zwei junge Menschen dar, die verschiedene Ziele haben; unterschiedliche Ziele zu unterschiedlichen Zeiten. Meine Intention war es, zu zeigen, dass meine Vorfahren einst in der gleichen Situation waren wie Tausende Menschen heute. Auch wir waren auf Hilfe angewiesen, brauchten tolerante Menschen und Verständnis. Meiner Meinung nach werden Wörter wie „Flüchtlingskrise“ oder „Anschläge“ in den Medien so oft genutzt, dass sie normal geworden sind. Das ist problematisch, da der Ernst der Lage verkannt wird und sich eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer Menschen einstellt. Wann haben die Medien angefangen, nur noch über Flüchtlinge zu berichten? Mit meiner Fotografie will ich an jeden appellieren: Hört auf, Fremde zu verurteilen, und beginnt, ihnen zu helfen. Bei unseren Aufenthalten in den Flüchtlingsunterkünften und den Gesprächen mit den Helfern wurde uns klar, wie viele Menschen gemeinsam arbeiten, um die Qualität der Betreuung aufrechtzuerhalten. Viele Helfer und Helferinnen haben einen Migrationshintergrund, einige mussten einst selbst fliehen. Die Geschichten, die wir gehört haben, waren nicht nur sehr berührend, sondern haben uns auch bewusst gemacht, welche Privilegien wir hierzulande haben. Der Gemeinschaft der Betreuer ist es zu verdanken, dass das Zusammenleben funktioniert. Im Gespräch mit geflohenen Jugendlichen fiel uns auf, dass die Heranwachsenden ähnliche Interessen haben, sie gucken die gleichen Fernsehserien oder spielten einst dieselben Videospiele. Dann kam die Flucht als Wendepunkt in ihr Leben: abgebrochene Studien und Schulabbrüche, der Verlust des Bekannten, der Freunde, der Heimat. Sie erzählten uns, dass sie gerne weiterstudieren, Deutsch lernen und sich integrieren wollen. Das alles wird aber erst möglich sein, wenn ein Sachbearbeiter entscheidet, ihnen diese Chance zu geben. Bis dahin haben sie im Alltag keine Aufgaben, keine Perspektive. Warum? STÄDISCHES GYMNASIUM KÖLN-DEUTZ/STÄDISCHES GYMNASIUM KÖLN-DEUTZ (8) In den Nachrichten hört man sehr häufig, dass in den Notunterkünften und Flüchtlingsheimen miserable Verhältnisse herrschen. Als wir dann mit unserem Projekt begannen, war es doch sehr ordentlich. Viele der kleinen Kinder konnten kein Deutsch und waren zum Teil auch traumarisiert, aber dankbar für jede Art der Beschäftigung. Was ich nicht vergessen werde ist das Wort „Finish?“, was die Kids am Ende der Spielstunde immer traurig fragten. T Kursleiterin: Sabine Steinmann; Referendarin: Sonja Hergarten; Schüler: Eda Atac, Edona Avdili, Selin Avkan, Johanna Becker, Ferhan Bektas, Raphael Eberwein, Nico Eisenberg, Nina Eylert, Elena Frigge, Leonard Fromme, Katharina Huster, Nathalie Klevers, Lise Kreider, Lena Ley, Tobias Matheisen, Laura Metzger, Mandy Runkel, Carolina Schermaul, Vivien-Julie Schmidt, Lisa Marie Schöller, Adelija Stark, Svenja Troska und Ivan Vukoja Blicke und Worte wie stechende Seitenhiebe Ordnung und flieht. Ein Gedankenexperiment ten, aber das war einerseits unsere kleinste Sorge und andererseits auch gar nicht möglich, da wir teilweise nicht einmal Strom hatten. Von ein paar Freunden weiß ich mittlerweile, dass sie auch heil an ihrem Reiseziel angekommen sind. Von anderen wiederum weiß ich bis heute nicht einmal, ob sie überhaupt noch am Leben sind. Der Gedanke an unsere Heimat macht uns sehr traurig. Wir mussten fast alles zurücklassen und besitzen kaum noch Sachen. Allein die Ungewissheit, ob unser Haus überhaupt noch steht, plagt uns. Wäre dies nicht der Fall, wäre eine Rückkehr überhaupt nicht möglich, da wir keinen eigenen Lebensraum mehr hätten. Mittlerweile gehe ich hier in eine sogenannte Flüchtlingsschule und versuche mich der Kultur anzupassen. Das fällt mir sicherlich noch leichter als meinen Eltern, allerdings haben auch wir Jugendlichen unsere Probleme. Teilweise sprechen die Flüchtlinge, die von überallher kommen, nicht einmal Englisch, was eine Verständigung untereinander nahezu unmöglich macht und uns auf die Ebene des Gestikulierens herabsetzt. Generell ist es immer noch ein merkwürdiges Gefühl, hier zu sein, da wir praktisch kaum etwas besitzen und uns beispielsweise auch zu dritt ein Zimmer teilen, was wir zu Hause eben nicht mussten. Ich hoffe, dass wir eines Tages wieder zurück nach Hause können oder es schaffen, uns hier unser eigenes Leben aufzubauen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre das der Frieden, denn gäbe es den Weltfrieden oder noch besser friedliche Menschen, hätten wir und Millionen andere Familien nicht ihre Heimat verloren. Immer weiter und weiter und weiter: Ein innerer Monolog über eine Busfahrt, die zur großen Qual wird s ist warm. Ein warmes Gefühl im Bauch, nach der ersten richtigen Mahlzeit seit Tagen: ich bin satt. Es ist warm. Die Leiber meiner drei Kinder, zwei kleine Mädchen und ihr Bruder, sind an meinen gepresst. Ich spüre ihren Herzschlag, ihr Blut in den Adern pulsieren. Auch sie haben einen vollen Magen. Sind froh, hier zu sein. Froh über jeden Meter, den wir zurücklegen, denn jeder einzelne bringt uns unserem Ziel näher – auch wenn wir selbst noch nicht wissen, wo das sein mag. Die drei drücken sich so fest es nur geht aneinander, denn je weniger Platz sie einnehmen, desto mehr Abstand wahren sie zu den andern. Die anderen. Die vielleicht das „gleiche Schicksal“ teilen, wie SIE es uns so oft sagen. Aber gleich ist eben nicht gleich. Wie kann man gleich sein wie jemand, der eine E andere Sprache spricht? Einen anderen Gott anbetet? Eine andere Kultur an seine Nachkommen weitergibt, oder … dies zumindest vorhat. Kaum ist es bisher vorgekommen, dass ich jemandem begegnet bin, der meinen Dialekt ohne zu zögern versteht und ohne zu zögern wiedergibt. Noch seltener kennt dieser jemand meine Heimatstadt, geschweige denn meine Familie, auch wenn ihre Wurzeln weit im ganzen Land verbreitet sind. Weitverbreitet waren. Nun sind sie gerodet. Ausgebrannt. Nein, wir sind nicht gleich. Gleich ist nur die Ungewissheit. Es ist warm. Die Luft ist schlecht hier im Bus, der schon seit Stunden durch die Gegend fährt und noch kein einziges Mal gehalten hat, und diese Dicke wird nicht nur durch die Spannung der Lebensgeschichten erzeugt, die hier aufeinander treffen. Kein passender Ort für Rast, keine Zeit, immer gibt es einen anderen Grund, weshalb wir uns nicht die Beine vertreten können, um einmal frische Luft zu schnappen. Aber vielleicht ist das ja auch gerade gut so. Verstohlene Seitenblicke des Tankwarts wenn wir doch einmal rasten, damit der Tank des etwas heruntergekommenen Gefährts gefüllt werden kann. Vereinzeltes Flüstern, tuscheln hinter vorgehaltener Hand, dass zu einem Stimmengewirr anwächst, von dem Moment an, ab dem man erkennt, wer die Passagiere sind, die aus diesem Reisebus aussteigen. Blicke und Worte wie stechende Seitenhiebe. Taue, die mich immer fester umwickeln bis ich förmlich spüre, wie sich meine Muskeln zusammenziehen, mein Rücken verkrampft … mein Nacken sich beugt und ich versuche mich unsichtbar zu machen. SIE versuchen es vor uns zu verbergen, aber natürlich bekommen wir es mit. Nicht alle hier sind uns so wohlgesinnt, wie SIE es uns glauben machen wollen. Wohl. Gesinnt. Sinnens, sich um unser Wohl zu kümmern. Das ist nicht, was die Blicke bedeuten, das Getuschel. Kleine Wellen, die sich zu einer Flut aufstauen, bis auch wir beim nächsten Mal, als wir den Bus verlassen, einer tobenden Menge ins Gesicht sehen müssen, die unsere Heimkehr an einen Ort fordert, der nicht mehr unser Heim ist, sondern unser Tod. Vielleicht ist es wirklich besser, die Türen des Busses bleiben verschlossen. Wir fahren immer weiter und weiter und weiter. Durch immer grüner werdende Landschaften. Die Körper meiner Kinder liegen in meinen Armen. So ist mir wenigstens warm. + ??/DW/DWBE-HP 06.08.16/1/Spo5 JFORBRIC 5% 25% 50% 75% 95%
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