Petra Fietzek Es kommt ein Tag, da deine Grenzen sich weiten Mit einem Vorwort von Elisabeth Moltmann-Wendel M AT T H I A S - G R Ü N E WA L D - V E R L A G Alle Rechte vorbehalten © 2006 Matthias-Grünewald-Verlag der Schwabenverlag AG www.gruenewaldverlag.de Gestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Umschlagmotiv: PhotoCase.com Collagen: Petra Fietzek Gesamtherstellung: Matthias-Grünewald-Verlag, Ostfildern ISBN-10: 3-7867-2615-9 ISBN-13: 978-3-7867-2615-9 Inhalt Vorwort Elisabeth Moltmann-Wendel I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rosenfeld Kapelle – eine Tagelöhnerin auf der Suche nach Gott LYRIKZYKLUS, 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II entzünd das dunkel mir mit Deinem hell LYRIK ZUM ALTEN TESTAMENT, 2004/2005 IV Deinen gutkuss kostend schmeckend CHRISTUSLYRIK, 2004/2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 41 . . . . . . . . III die risse meiner borke salbtest mit wildem honig Du LYRIK ZU PSALMEN, 2004/2005 . . . . . . . . . . 7 51 69 V da ich ohn’ ende bin ORATORISCHES TRIPTYCHON, LIBRET TO, Biografien 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 103 Vorwort aus lust aus purer lust aus purer lebenslust an mir Das sind für mich die eindrücklichsten Worte aus dieser Lyriksammlung. Vielleicht liegt darin auch die ungewöhnliche Botschaft dieser religiösen Gedichte. Eine lange, in der Kirche verweigerte Lust an sich selbst kehrt mit der Lust, die Gott an mir hat, wieder zu mir zurück. Das ist keine Selbstherrlichkeit, kein Verliebtsein in sich selbst. Es ist die Erfahrung von der »Lösung aus den Stricken des Todes« – wie die Luther-Bibel diesen Psalmtext übersetzt – oder wie es viel lebendiger in der Übersetzung, die Petra Fietzek benutzt, heißt: »er schnürte mich frei«. Kindheitsängste, Frauenerfahrungen stoßen zusammen: um hals und hände nabelschnüre geschnürt um meinen leib strickgarn mehrfach stickgarn [7] Befreiung hat ein konkretes Gesicht. Sie gleicht einer Entbindung, einer neuen Geburt. Hinter den knappen Worten liegt eine Fülle von Bildern, die, anders als der klassische Terminus »Erlösung«, erfahrene Wirklichkeit wiedergibt. Ich sehe in diesen Texten mit ihrer präzisen Sprache und wechselnden Bildern Versuche, sich von einem Angst machenden Herrengott frei zu machen und zum eigenen, sich selbst und Gott liebenden Ich zurückzufinden. Ein Gottsein, das nicht einfach billig, lieb, nah und gut ist, sondern weit, dynamisch, Hecken und Mauern zerstörend, Öffnung und Weite anbietend: Deiner liebe feuerreif weitet grenzen Ein Gottsein, das im unzähmbaren Wohnstatt finden lässt. Ein Gottsein, das nicht auf die Enge von Sündenvergebung reduziert ist. Gott und Ich, verschränkt, getrennt, sich suchend. Gott, der das Dunkel liebt und das eigene Dunkel hell macht. Gott, der mich auf sich und auf mich selbst stößt. Das Überraschende ist, dass alle gewohnten Abgrenzungen fallen und dass das, was wir als religiöse Gegensätze zu fassen gelehrt waren, sich in neuen Gegenseitigkeiten zeigt. Keine Oppositionen, wohl aber Differenzen, die bereichern. Eine alte mystische, vor allem aus dem Mittelalter stammende Frauentradition bekommt neue Konturen. Doch wer ist dieses Ich? Eine Tagelöhnerin, ein Mensch ohne Kranken- und Lebensversicherung, der im Ungewissen von der Hand in den Mund lebt. So im ersten Gedichtzyklus Rosen- feld Kapelle. [8] Ihr Mantel, verklemmt noch im Alten, ist verschmutzt angesichts der sauberen Mäntel der anderen, bekleidet und verkleidet sie und verbrennt schließlich wie alle Begrenzungen. Ein Zyklus, der mit seinen kargen, starken Worten und mit seiner Frage: Was traust Du mir zu Gott ausdrucksvoll am Anfang der Sammlung steht. Es folgen Gespräche mit Gott anhand von Texten des Alten Testaments, die existenziell neu verstanden werden, und Lyrik zu Psalmenstellen, die besonders betroffen machen: Gespräche mit Gott, die Gebete sind. Sie enden auch mit Fragen: Ist Gott verreist? Ist Gott besetzt? Die reflektierende Gestalt kann hier ein weiblicher Hiob sein: hiobin ich. haus ohne dach stadt ohne brot land ohne licht meer ohne maß Gott wird zum lebenlöser, der Geröll vom Weg zum eigenen Selbst stößt und Tränen in Schalen auffängt. Das Ich begegnet in der Christuslyrik Deinen gutkuss kostend schmeckend Jesus in der Gestalt der Jesus begegnenden Personen, meist Frauen. Die gekrümmte Frau erfährt: [9] in der wildnis richtest Du richtest Du mich richtest Du mich auf Eine befreiende Wandlung des göttlichen Richtens zu einem heilenden Aufrichten! In einer anderen Assoziation an diese Geschichte heißt es: Du bückst Dich nach meinem fremdsein in mir Doch dieses Fremdsein ist zugleich die der Gebückten innewohnende Gnade, mit der Schöpfung ihr gegeben. Bekannte Geschichten von der Begegnung Jesu mit der blutenden Frau, der opfernden Witwe, dem sinkenden Petrus, der salbenden Frau bekommen ein neues Gesicht. Im Goldregen leuchtet die Liebesgeschichte der Salbung auf. Ein Wortspiel, ein Farbeinfall lassen die Geschichten anders erleben. Unsere Sinne werden angeregt. Die Körpergeschichten der Bibel werden neu erzählt. Berührungen, Zärtlichkeiten kommen noch einmal verändert zur Sprache. Der aus Leid verstoßene Leib beginnt wieder zu leben. atemhaut, fingerkuppen, pochende monstranz – das Leben in mir – bleiben nicht Metaphern, sondern spiegeln Wirklichkeit. Heil hat leibhafte Dimensionen. Die Texte versetzen uns in eine Sprachwelt, die zuweilen erstaunt, die einen zuweilen stocken lässt, dann aber überraschend eine neue Welt alter biblischer und kirchlicher Vorstellungen erschließt. [ 10 ] Sie versetzen uns auch in eine Farbwelt, in der grün und blau dominierend sind. Sie fordern unsere Sinne heraus und öffnen eine andere Sicht des Verstehens: aus dem Dunkel des Verlassenseins taucht das Grün des Wachsens, der Erwartung auf: grünbaum, seidengrün, smaragd. Im laubdom grünender platanen wird entdeckt: ich-bin-ich. An Hildegard von Bingens GrünVisionen sei erinnert. Blau, traditionell als kühl und rational bekannt, birgt Sehnsucht, ist Himmelsfarbe, Hautfarbe. Die Gedichte versetzen uns schließlich auch immer wieder in eine Alltagswelt: auf einen Marktplatz, in ein Café, einen Bus, auf einen Bahnhof, einen Balkon. Sie erden die Gedanken und Erfahrungen und bringen sie in die Gegenwart von Schrecken, Geschäftigkeit und Alltäglichkeit. Bilder von Stickgarn, Strickgarn, Knüpfwerk, Lebenstischtuch weisen allerdings über einen Frauenalltag hinaus. Sie zeigen das Verknüpftsein allen Lebens, des physischen und geistigen, des weiblichen und männlichen, des göttlichen und des menschlichen. Dies zeigt sich auch im oratorischen Triptychon da ich ohn’ ende bin. Der in lateinischer Sprache tradierte, Jahrhunderte alte Messtext des Requiems wird in künstlerischer Freiheit umspielt: lebensbilder führen zur Totenliturgie hin, die in den urklang-Texten als moderner Fassung des lateinischen Te Deums weiterklingt. Das Bändchen zu lesen, einmal und immer wieder, bringt uns auf eine Überraschungsreise zu uns selbst, zu einer Gottesund Selbsterfahrung, die sich in dem schlichten Satz verdichtet: [ 11 ] nicht ich kann meine wege ebnen zu mir Eine aufmerksame Lektüre kann einen heilsamen Prozess der Selbstliebe und Selbstannahme begleiten und Theologie neu erleben lassen. Elisabeth Moltmann-Wendel [ 12 ] VII Gott Du rufst mich so verschwiegen wo soll ich Dein Wort erkennen unsre Sprachen sind sich fremd unser Rosenfeld verblüht [ 23 ]
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