Antwort zu Drucksache 21/5208

19. Juli 2016
Schriftliche Kleine Anfrage
des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 11.07.2016
und
Antwort des Senats
- Drucksache 21/5208 -
Betr.: Überlastung der Justiz – Wie ist es aktuell um Hamburgs Rechtspfleger bestellt?
Rechtspfleger sind Beamte des gehobenen Justizdienstes an Gerichten und Staatsanwaltschaften, die vielfältige Aufgaben wahrnehmen, die ihnen durch das Rechtspflegergesetz
(RPflG) übertragen werden.
Wie bereits im vergangenen Jahr erwähnt (Drs. 21/1569), wird vonseiten der Rechtsanwaltschaft immer häufiger beklagt, dass die Bearbeitungsdauer unter anderem von Kostenfestsetzungsanträgen teilweise Monate in Anspruch nimmt. Dadurch wird abermals das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert; die Zwangsvollstreckung kann erst beginnen, wenn ein
vollstreckbarer Titel vorliegt. Und wie sich aus den Antworten auf meine Schriftlichen Kleinen
Anfragen Drs. 21/4308 und Drs. 21/5019 ergibt, steht auch die Zwangsvollstreckung vor dem
Kollaps. Gläubiger warten also zunächst monatelang auf ein Urteil, dann auf den Kostenfestsetzungsbeschluss und schließlich darauf, dass die Titel vollstreckt werden; sofern der
Schuldner bis dahin nicht zahlungsunfähig geworden ist. Eine ähnlich missliche Lage
herrscht laut Auskunft der Rechtsanwaltschaft bei der Festsetzung von Vergütungen beispielsweise nach Freisprüchen oder im Rahmen von Pflichtverteidigungen beziehungsweise
Prozesskostenhilfe. Teilweise müssen sie Monate warten bis sie ihre Vergütung erhalten;
selbstverständlich sind sie dennoch verpflichtet, rechtzeitig ihre Steuern an das Finanzamt zu
entrichten.
Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:
Die zuständige Behörde hat auf die personelle Situation im Rechtspflegerbereich durch eine Verstetigung der Ausbildung und Verstärkung der Ausbildungsinitiative reagiert.
Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt:
1. Wie hat sich die Anzahl der Stellen für Rechtspfleger an den einzelnen Amtsgerichten,
am Landgericht sowie bei der Staatsanwaltschaft seit dem zweiten Halbjahr 2015
entwickelt? Wie viele der Stellen waren jeweils besetzt? Bitte zum Stichtag 31.12.2015
und 30.06.2016.
Rechtspfleger*
Stellensoll
besetzt
frei
31. Dezember 2015
Landgericht
Amtsgericht Hamburg Mitte
Amtsgericht Hamburg Altona
Amtsgericht Hamburg Barmbek
Amtsgericht Hamburg Bergedorf
Amtsgericht Hamburg Blankenese
Amtsgericht Hamburg Harburg
21-05208
16,50
80,00
15,40
21,45
11,00
8,14
18,35
16,20
75,02
14,40
21,45
10,00
7,00
18,35
0,30
4,98
1,00
0,00
1,00
1,14
0,00
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Amtsgericht Hamburg St. Georg
Amtsgericht Hamburg Wandsbek
Staatsanwaltschaft
19,65
16,50
30,00
Stellensoll
18,60
16,50
27,70
besetzt
1,05
0,00
2,30
frei
30. Juni 2016
Landgericht
16,50
15,30
1,20
Amtsgericht Hamburg Mitte
81,75
78,32
3,43
Amtsgericht Hamburg Altona
16,40
14,25
2,15
Amtsgericht Hamburg Barmbek
19,40
19,40
0,00
Amtsgericht Hamburg Bergedorf
10,70
9,00
1,70
Amtsgericht Hamburg Blankenese
7,94
7,80
0,14
Amtsgericht Hamburg Harburg
20,85
19,85
1,00
Amtsgericht Hamburg St. Georg
18,50
17,20
1,30
Amtsgericht Hamburg Wandsbek
14,95
14,35
0,60
Staatsanwaltschaft
30,00
28,80
1,20
* Da sich die Rechtspflegerstellen im Stellenplan nicht vollständig abgrenzen lassen, sind hier auch
Stellen mit Verwaltungsanteilen aufgeführt.
2. Wie hat sich die durchschnittliche Fehlzeitenquote bei den Rechtspflegern an den
einzelnen Amtsgerichten, am Landgericht sowie bei der Staatsanwaltschaft im zweiten
Halbjahr 2015 und im ersten Halbjahr 2016 entwickelt?
2. HJ
bis April*
Rechtspfleger am:
2015
2016
Landgericht**
3,4%
13,8%
Amtsgericht Hamburg-Mitte
4,6%
6,1%
Amtsgericht Altona
10,9%
8,3%
Amtsgericht Barmbek
2,4%
3,9%
Amtsgericht Bergedorf
6,3%
7,6%
Amtsgericht Blankenese***
3,2%
15,8%
Amtsgericht Harburg
7,3%
6,6%
Amtsgericht St. Georg
1,8%
8,7%
Amtsgericht Wandsbek
5,7%
8,8%
Staatsanwaltschaft
6,9%
4,4%
* Fehlzeiten nach April 2016 liegen noch nicht vor.
**Auch aufgrund der Entwicklung der Fehlzeiten beim Landgericht in diesem Jahr ist die in der Antwort
zu 8 beschriebene Maßnahme ergriffen worden.
***Die Situation beim Amtsgericht Blankenese ist temporär in den ersten vier Monaten entstanden. Auf
Nachfrage teilte das Amtsgericht mit, dass sich die Situation im Mai und Juni wieder entspannt hat.
3. Wie viele Rechtspfleger werden jährlich bis zum Jahr 2020 altersbedingt aus dem Dienst
ausscheiden? Bitte pro Jahr darstellen.
2016*
2017
2018
2019
2020
2
5
* ab Juli 2016
4
4
4
4. Von welchem Bedarf an Rechtspflegeranwärtern geht die zuständige Behörde jährlich bis
zum Jahr 2020 aus?
5. Welche Bedarfe an Rechtspflegeranwärtern wurden vom Amtsgericht, dem Landgericht
oder der Staatsanwaltschaft an die zuständige Behörde gemeldet?
6. Wie viele Anwärter befinden sich aktuell im Studienlehrgang?
7. Welche Ausbildungskapazitäten für den Anwärterstudienlehrgang sind jährlich bis zum
Jahre 2020 geplant?
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Die Bedarfs- und Ausbildungsplanung umfasst den gesamten Planungszeitraum bis 2020 und ist nicht
auf einzelne Jahre ausgelegt. Der Bedarf wird zwischen der Justizbehörde und den Dienststellen gemeinsam abgestimmt, ein Meldeverfahren gibt es nicht. Die zuständige Behörde sowie die Staatsanwaltschaften und Gerichte gehen von der Notwendigkeit aus, bestehende Vakanzen und zukünftige
Abgänge (planmäßige wie außerplanmäßige) auszugleichen. Dafür befinden sich zurzeit 16 Personen
im Rechtspflegerstudium. Im Oktober dieses Jahres werden weitere neun Personen das Rechtspflegerstudium aufnehmen. Für das Jahr 2017 ist geplant, weitere sieben Personen als Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger auszubilden. Diese Zahl wird auch in den Folgejahren angestrebt. Bis zum
Jahr 2020 stehen dadurch voraussichtlich 32 neue Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger zur Verfügung, damit sind die wesentlichen planbaren Bedarfe gedeckt.
8.
Aktuell sucht das Landgericht Hamburg einen Volljuristen für die rechtspflegerische
Kostenfestsetzung in Zivilsachen. Die Stelle ist mit EG 9 ausgeschrieben.
a. Wie viele Volljuristen werden zurzeit im Rahmen der rechtspflegerischen Kostenfestsetzung eingesetzt?
Derzeit ist ein Volljurist beim Amtsgericht als Arbeitnehmer in der Entgeltgruppe 9, zunächst befristet
bis zum 31. Oktober 2016, beschäftigt. Diese Maßnahme soll bis zum 31. Dezember 2016 verlängert
werden.
b.
Wie beurteilt die zuständige Behörde den Einsatz von Volljuristen für rechtspflegerische Tätigkeiten sowohl unter rechtlichen als auch aus fürsorgerechtlichen Aspekten?
Der Einsatz ist grundsätzlich möglich. In § 2 Abs. 3 des Rechtspflegergesetzes (RpflG) ist ausdrücklich bestimmt: „Mit den Aufgaben eines Rechtspflegers kann auf seinen Antrag auch betraut werden,
wer die Befähigung zum Richteramt besitzt.“
Sofern der Einsatz als Arbeitnehmer erfolgt, ist zudem Art. 33 Abs. 4 GG zu beachten. Hiernach ist die
Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse „als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.“
Hoheitliche Befugnisse des Rechtspflegers können hiernach befristet auch auf Angestellte übertragen
werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss hierbei jedoch das RegelAusnahmeverhältnis des Art. 33 Abs. 4 GG gewahrt bleiben. Eine strukturelle Veränderung der Aufgabenwahrnehmung darf nicht beabsichtigt sein.
Aus diesem Grund ist das Arbeitsverhältnis befristet. Dies gilt auch für die geplante Besetzung beim
Landgericht.
Mit diesen Maßnahmen soll ein temporärer Engpass überbrückt werden, ohne dass eine grundsätzliche Veränderung beabsichtigt ist. Die Maßnahmen sollen dementsprechend das vorhandene Personal entlasten.
9. Wie hoch ist der Rückstand bei Kostenfestsetzungsanträgen an den einzelnen
Amtsgerichten und dem Landgericht?
Die Bearbeitung von Kostenfestsetzungsanträgen fällt beim Amtsgericht in den Zivil-, Straf- und Familiensachen an. In diesen Verfahrensbereichen werden Rückstandsstatistiken zum Monatsende geführt. Der Anteil rückständiger Kostenfestsetzungsanträge wird nicht gesondert ausgewiesen und lässt
sich nachträglich auch nicht mehr ermitteln.
10. Wie viele Beschwerden aufgrund zu langer Verfahrensdauern bei Aufgaben, die von
Rechtspflegern wahrgenommen werden, sind von Antragstellern beziehungsweise
Verfahrensbevollmächtigten im Jahre 2015 sowie im ersten Halbjahr 2016 eingegangen?
Bitte pro Amtsgericht und für das Landgericht darstellen.
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Anzahl Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Rechtspfleger
07.davon wegen
01.davon wegen
Gericht
12.2015 Verfahrensdauer 06.2016 Verfahrensdauer
Altona
1
0
3
1
Barmbek
2
2
4
4
Bergedorf
1
0
0
0
Blankenese
2
1
0
0
Harburg
0
0
2
1
Wandsbek
0
0
2
1
St. Georg
9
6
7
7
Zivilsegment
4
4
7
3
Strafsegment
1
1
0
0
FGG Segment
6
2
0
0
Segment IFB*
0
0
1
1
*Segment für Insolvenz, Familie und Betreuung
Beim Landgericht sind im Jahr 2015 zwei Dienstaufsichtsbeschwerden aufgrund zu langer Verfahrensdauer gegen Rechtspfleger eingereicht worden und im ersten Halbjahr 2016 eine.
11. Welche Erkenntnisse liegen der zuständigen Behörde hinsichtlich überdurchschnittlicher
Verfahrensdauern in weiteren von Rechtspflegern wahrgenommenen Aufgabenbereichen
vor? Bitte unter Angabe des jeweiligen Gerichts beziehungsweise der Staatsanwaltschaft
nennen.
Rückstände konnten bei der Staatsanwaltschaft bisher vermieden werden. Beim Landgericht sind keine weiteren Problemlagen bekannt.
Das Amtsgericht meldet verlängerte Verfahrensdauern bei den Zwangsversteigerungsverfahren des
Amtsgerichts Barmbek.
Beim Amtsgericht Bergedorf gibt es Verzögerungen bei den Grundbuchverfahren.
12. Welche Erkenntnisse liegen der zuständigen Behörde im Hinblick auf die Situation bei der
staatsanwaltschaftlichen
Strafvollstreckung
und
der
amtsgerichtlichen
Jugendstrafvollstreckung vor?
Die Eigenart der Vollstreckungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft gebietet in der Regel eine tagesgleiche Erledigung der vorgelegten Sachen. Diese ist überwiegend gewährleistet.
Beim Amtsgericht liegen keine Erkenntnisse vor. Hier wurden aus keinem Gericht Problemlagen benannt. Weder sind hier hohe Rückstände oder lange Bearbeitungszeiten aufgetreten.
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