- Dr. Rupert Graf Strachwitz

Das neue Kulturgutschutzgesetz
Ein Kommentar von Rupert Graf Strachwitz
Kulturgüter haben, wie in der UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung
der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen beschrieben, einen Doppelcharakter. Sie sind
Waren besonderer Art, da sie nicht nur Handelsgüter sind, sondern zugleich Werte
und Ideen transportieren, auch wenn die EU sie als Waren und Dienstleistungen unter
den Prämissen des Binnenmarktes betrachtet. Diese Auffassung scheint sich auch
auf der nationalen Ebene durchzusetzen. Die von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Novellierung des Kulturgutschutzrechts stellt jedenfalls einseitig auf Kulturgut als Handelsgut ab. Jenseits der vertraglichen Verpflichtung der Bundesrepublik
Deutschland, Richtlinien der EU und Übereinkommen der UNESCO in nationales
Recht umzusetzen, wird durch das Gesetz versucht, mehr Kontrolle über Kulturgüter
in privater Hand zu erlangen. Zwar sind die schlimmsten Auswüchse des im Sommer
2015 bekanntgewordenen Referentenentwurfs beseitigt worden. Doch auch in der
nun vorliegenden Fassung widerspricht das Gesetz Grundsätzen einer liberalen Kulturpolitik. Im übrigen gibt der frühere Entwurf Anlaß, bezüglich der Intentionen der
Bundesregierung mißtrauisch zu bleiben.
Folgende wesentliche Einwände lassen sich benennen:
1. Insbesondere wird verkannt, daß Kulturgüter im Sinne des Gesetzes1 in aller ers-
ter Linie in der Hand, im Eigentum und Besitz einzelner Bürgerinnen und Bürger
die unabdingbare Voraussetzung dafür bilden, daß Kunst und Kultur in das Leben
der Bürgerinnen und Bürger einbezogen sind, dort als Werte erkannt, aktiv betreut
und gepflegt, im Sinne der UNESCO-Konvention „als Ideen und Werte transportiert“ werden. Nur wenn dies der Fall ist, ergibt in einer offenen Gesellschaft der
Unterhalt von öffentlichen Kunstsammlungen überhaupt einen Sinn. Zugespitzt
gesagt: Wenn niemand an Kunst ein originäres Interesse hat, sich täglich daran
freuen und geistiges und materielles Eigentum daran bilden kann, kann der Unterhalt von Museen keine staatliche Aufgabe sein, es sei denn, dieser betrachtet
Kunst seinerseits als Handelsgut des Fiskus. Vielmehr spiegeln öffentliche
Sammlungen, anders als fürstliche Wunderkammern des 16. oder Repräsentationsinstrumente der Souveräne des 18. und 19. Jahrhunderts, Kunst als Gegenstände der Lebensgestaltung des Menschen wider. Anders ausgedrückt: Kunst
auf die Bestände öffentlicher Sammlungen, auf den „Museumsrang“ einzelner
1
Korrekterweise müßte von Kunstgegenständen, Archiv- und Bibliotheksgut gesprochen werden, nicht von Kulturgut i.S. von kulturellen Gütern im allgemeinen.
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Kunstwerke oder auf den Zugriff staatlicher Stellen auf diese zu reduzieren, setzt
eine Entfremdungsspirale in Gang, die Marginalisierung und Abwendung zur
Folge hat. Anzeichen dafür sind in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, zumal
bei jungen Menschen, deutlich erkennbar. Kunstverdrossenheit wird zum Teil der
Politik- und Staatsverdrossenheit – mit allen negativen Folgen.
2. Das Gesetz versucht, unter dem Vorzeichen der einheitlichen Regelung zwei
Sachverhalte zu zu behandeln, die im Grunde wenig mit einander zu tun haben:
 die Verhinderung des Handels mit Hehlerware von Grabräubern bzw. dessen
Weiterverkäufern;
 die Verhinderung von Verkäufen bestimmter, als „nationales Kulturgut“ einzustufenden Kunstgegenständen (einschl. Archiv- und Bibliotheksgut) ins Ausland.
Dadurch wird rechtspolitisch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem kriminellen Handeln von Grabräubern und deren Kunden einerseits und dem legitimen Handeln unbescholtener Bürgerinnen und Bürger, die rechtmäßige Eigentümer von Kunstwerken sind, hergestellt. Dies entspricht zwar der immer mehr um
sich greifenden grundsätzlichen Mißtrauenshaltung von Gesetzgeber und Verwaltung gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürgern, jedoch nicht den im
Grundgesetz verankerten Prinzipien. Tatsächlich aber besteht zwischen der illegalen Aneignung von Kunstwerken, etwa durch Raubgrabungen, bzw. dem Erwerb von Kunstwerken, die offensichtlich aus solchen Raubgrabungen stammen
und der Veräußerung von Kunstwerken, an deren rechtmäßigem Eigentum kein
Zweifel bestehen kann, ein fundamentaler Unterschied. Das Gesetz ist insoweit
bürgerfeindlich. Der private Kunstliebhaber, der ohne materielle Absichten, Kunstwerke erwirbt und möglicherweise dank eines guten Auges mit diesen eine Wertsteigerung erlebt, wird zum Opfer staatlicher Kunstsammelwut.
3. Unter den Eigentümern von Kunstwerken nimmt das Gesetz folgende Gruppen in
den Blick:
 die öffentlichen Gebietskörperschaften,
 Stiftungen öffentlichen Rechts,
 Privatrechtliche Körperschaften (Stiftungen und Vereine),
 Händler,
 Bürgerinnen oder Bürger, die über größere Sammlungen verfügen, welche sie
– durchaus freiwillig, aber auch auch mit vorteilhaften steuerlichen Konsequenzen – der Öffentlichkeit präsentieren.
Nicht im Blick hat der Entwurf den Bürger als Liebhaber und Eigentümer eines
oder mehrerer Kunstwerke, die nicht den Anspruch erheben können, eine Sammlung darzustellen oder die sie aus welchem Grund auch immer nicht öffentlich
zeigen. Oft handelt es sich dabei um über viele Generationen hinweg vererbtes,
gepflegtes und gehütetes Kulturgut. Wenn der Deutsche Kulturrat in seiner Stellungnahme vom 18. Februar 2016 davon ausgeht, daß „außerhalb von Museen
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nur sehr wenige Arbeiten in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes aufzunehmen sind“, mag dies entweder zutreffen, was einen Beweis für die zunehmende Entfremdung darstellen würde, oder (wahrscheinlicher) nicht zutreffen,
was Mängel in der Konzentrierung offenbaren würde.
4. Der Gesetzentwurf geht davon aus, daß das nationale Kulturgut – wie immer man
dieses auch definieren mag – vom Ausverkauf in das Ausland bedroht ist. Ob dies
tatsächlich der Fall ist, wird nicht hinterfragt. Es erscheint höchst zweifelhaft. Die
Gefahren eines „Ausverkaufs“ waren nach den beiden Weltkriegen akut; in der
Tat sind seinerzeit Schlüsselwerke der Kunst ins Ausland verkauft worden. Allein
im Eigentum der öffentlichen Gebietskörperschaften und öffentlich-rechtlichen
Körperschaften befinden sich heute viele Millionen von Kunstwerken, darüberhinaus viele weitere in privater Hand. Es gibt keinen Anlaß zu vermuten, daß diese
massenweise ins Ausland abwandern könnten. Im Gegenteil, es werden eher im
Ausland Kunstwerke erworben und nach Deutschland verbracht.
Hinzu kommt, daß in einer Zeit der künstlerischen Durchdringung und Bewußtmachen der Weltgesellschaft, wie sie beispielsweise in der Planung für das Humboldt-Forum in Berlin zum Ausdruck kommt, ein Beharren auf „nationalem“ Kulturgut anachronistisch wirkt, so wie der dem Gedankengut des ausgehenden 18.
Jahrhunderts entstammende Begriff der Nation heute als „Auslaufmodell“ erscheint. In vielfacher Hinsicht kann man nur hoffen, daß in Deutschland entstandene Kunstwerke überall in der Welt einen Beitrag zu diesem Durchdringungsund Bewußtmachungsprozeß leisten, so wie dies – übrigens seit Jahrhunderten
– im Ausland entstandene Kunstwerke in Deutschland auch tun. Mit welcher Begründung man gleichzeitig in fremden Kulturen entstandene und irgendwann (legal) nach Deutschland verbrachte Kunst unter allen Umständen im Land halten
und in Deutschland entstandene von der Verbringung ins Ausland abhalten will,
bleibt schleierhaft. Mit welcher Begründung im Ausland ohne Bezug zu Deutschland entstandenes und irgendwann (oft mit anzweifelbarer Legalität) nach
Deutschland verbrachtes Kulturgut hier zu nationalem Kulturgut mutieren kann,
ist vollends unverständlich. Die in § 7,1 des Gesetzes niedergelegte Beschreibung
ist so vieldeutig und interpretationsbedürftig, daß daraus für den Einzelfall vielfach
keine Zuordnung abgeleitet werden kann. Gefährlich ist daran, daß die Interpretation in der Regel den Fachbehörden der Länder übertragen wird, die eine eventuelle Verbringung ins Ausland aus institutionellem Eigeninteresse aller Voraussicht nach verhindern wollen.
5. Das Gesetz hat in einigen Punkten Enteignungscharakter. Der Bürger als Eigentümer von Kunstwerken wird in der Verfügung über sein Eigentum beschränkt.
Insbesondere wird er bspw. vor die Wahl gestellt, mit seinem Eigentum die Verpflichtung nach Art. 14, 2 GG einzulösen und sein(e) Kunstwerk(e) der Öffentlichkeit zu zeigen oder darauf vollständig zu verzichten. In diesem Fall begibt er sich
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(gem. § 6,1) weitgehend der Möglichkeit, öffentliche Förderung für die öffentliche
Präsentation seiner Kunstwerke zu erhalten.
Besonders gefährlich können die Verfügungsbeschränkungen im Erbfall sein,
wenn ein Kunstwerk als wesentlicher Teil der Erbmasse veräußert werden muß,
um entweder die Ansprüche von Erben befriedigen oder die Erbschaftssteuer zahlen zu können. Die Eintragung in das Verzeichnis mindert den Verkehrswert erheblich.
Überdies wird den starken Schwankungen im Verkehrswert von Kunstwerken
nicht Rechnung getragen. Die Bewertung unterliegt wechselnden Moden und
kann im Fall einer eventuell angedachten Veräußerung grundlegend anders sein
als im Zeitpunkt, zu dem das Kunstwerk aus in § 7 genannten Gründen in das
Verzeichnis einzutragen war. Daß zahlreiche private Eigentümer langfristige (sog.
Dauer-)leihverträge mit öffentlichen Kunstsammlungen unter diesen Umständen
vorsorglich gekündigt oder sogar ihre Kunstwerke vorsorglich vor Inkrafttreten ins
Ausland verbracht haben, zeigt, wie ernst diese Problematik zu nehmen ist.
Daß an dieser Stelle der Kunsthandel eine sehr dezidierte Position vertritt, ist
nachvollziehbar.
6. Viele Fachleute haben darauf hingewiesen, daß das Gesetz nicht dazu taugt, den
Handel mit illegal ausgegrabener antiker Kunst wirksam zu unterbinden (vgl. Interview Michael Müller-Karpe, SZ 18. Februar 2016). Das heißt, die Mißtrauenstendenz gegenüber den Bürgern erreicht nicht einmal den vorgeblichen Zweck.
Dies nährt den Verdacht, daß die Zielrichtung des Gesetzes in Wirklichkeit eine
andere ist und verstößt darüberhinaus gegen die Verpflichtung zu internationaler
Solidarität im Kampf gegen illegalen Grabraub und Antikenhandel.
7. Der dem Gesetzentwurf beigegebene Beschluß des Bundesrates zeigt deutlich,
daß sich Bund und Länder in der Frage verstärkter Eingriffe in und Kontrollen über
die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger völlig einig sind. Gestritten wird lediglich über die Verteilung der Kosten für die jeweiligen Staatskassen. In diesem
Zusammenhang ist es bezeichnend, daß die Modelle anderer EU-Mitgliedsländer
kaum in die Überlegungen eingeflossen sind.
Berlin, 18. Juli 2016