4 Region Bieler Tagblatt Montag, 08.08.2016 «Wir lassen uns unsere Stadt nicht zerstören» Biel Das Komitee «Westast so nicht!» macht als «Stadtwanderungen entlang der Zerstörungsachse» das Ausmass der bevorstehenden Baustelle erlebbar. Es stellt sich gegen die aktuelle Planung – und erhält immer mehr Zuspruch. Westast wird nicht verhindert Cristina Szemere derweil ist als Anwohnerin vom Eingriff in diesem Gebiet betroffen. Sie wohnt oberhalb und wird direkte Sicht auf den Anschluss haben sowie die Jahre dauernden Bauarbeiten. «Für Biel finde ich dieses Autobahnprojekt sehr einschneidend», sagt sie. «Es scheint mir rückwärts gerichtet. In unserer Zeit müsste man doch schlanker bauen.» Genau das ist auch die Stossrichtung Mittendrin «Quality Development» Niklaus Baschung urz nach dem Aufwachen am ersten Urlaubstag fällt mir tatsächlich dieses Wort nicht mehr ein. Drohe ich endgültig zu verblöden? Ich beschliesse, solange in die- K «Nicht von oben diktiert» Barbara EggerJenzer Bau- , Verkehrsund Energiedirektorin des Kantons Bern Janosch Szabo Talstation Magglingenbahn. Es ist 18 Uhr. Das Komitee «Westast so nicht» hat zu einer seiner «Stadtwanderungen entlang der Zerstörungsachse» geladen. Es geht um den sogenannten A5-Westast vom Brüggmoos bis zur Mündung in den geplanten Vingelztunnel – für das Komitee ein in der vorliegenden Form untragbares Autobahnprojekt, speziell wegen der Anschlüsse Bienne Centre und Seevorstadt. Diese will man verhindern. Das Motto: Was nicht gebaut ist, kann man ändern. Das Vorbild: Der erfolgreiche Widerstand gegen das geplante Kernkraftwerk Kaiseraugst in den 70er-Jahren. Die Herangehensweise: Informationsarbeit in der Öffentlichkeit, etwa mit geführten Wanderungen vor Ort, wie nun eine beginnt. 20 Interessierte sind trotz garstigen Wetters gekommen und folgen den Wanderleitern und Komitee-Mitgründern Thomas Zahnd und Simon Binggeli als erstes auf den Parkplatz vis-à-vis der Magglingenbahn. Kein wirklich schöner Ort, aber ein mit vielen teils Jahrzehnte alten Bäumen bewachsener. Sie alle müssen dem Loch weichen, das hier für den Halbanschluss Seevorstadt gegraben werden soll. Zahnd spricht von einer «offenen Wunde auf Ewigkeit» und lässt die Teilnehmenden die 100 Meter, die sie lang sein wird, ablaufen. Betretene Gesichter. Beim nächsten Halt im Spickel Jurafuss - Bahndamm - Alpenstrasse direkt unterhalb des Pavillons geht es um Häuser, die der Autobahn im Weg sind, und um das angrenzende Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung. Es handle sich um eine schweizweit einzigartige Felsensteppe mit besonderer Pflanzenvielfalt, erklärt der an diesem Abend mitlaufende Urs Känzig, Leiter der Abteilung Naturförderung des Kantons und Bieler Stadtrat für die Grünen. Er fürchtet um sie: «Dass hier wegen Steinschlagmassnahmen empfindlich eingegriffen werden müsste, darüber hat man noch gar nicht gesprochen.» Nachgefragt Man nehme die Kritik ernst, sagt Baudirektorin Barbara Egger-Jenzer. Und doch: Der Westast sei kein von oben diktiertes Projekt. Man habe sich während der jahrelangen Planung stark um Partizipation von allen Seiten bemüht. Brennpunkt Strandboden: Simon Binggeli und Thomas Zahnd (links im Bild mit den Plänen) vom Komitee «Westast so nicht» zeigen den Interessierten, wo hier der Halbanschluss «Seevorstadt» hinkommen soll und welche gewaltigen Ausmasse die Baustelle haben wird. Reto Probst Die Gruppe ist beim Strandboden angelangt. Hier zeigt Zahnd, bis wohin während 10 bis 15 Jahren ein Bauinstallationsplatz einen beträchtlichen Teil des Strandbodens besetzen wird, weshalb auf dem übrig bleibenden schmalen Streifen am Seeufer an Erholung dann nicht mehr zu denken sei, und dass 35 gesunde bald 100-jährige Rosskastanien an der Neuenburgstrasse gefällt werden sollen. Einer Frau entweicht ein entsetzter Ausruf. Auf dem Weg zum Bahnhof geht es an weiteren feststehenden Baustellenopfern vorbei – 250 Bäume und 70 Häuser sind es insgesamt. Auf dem Plan ist der Westast ein dicker Strich, hier draussen wird dessen Dimension erlebbar. des Komitees. Man wolle nicht den Westast verhindern, «aber auf jeden Fall diese gigantischen, den Stadtraum zerstörenden Anschlüsse», sagt Thomas Zahnd, selbst Raum- und Verkehrsplaner. «Eine Stadt wie Biel mit rund 55 000 Einwohnern braucht nicht fünf Autobahnanschlüsse. Es genügen jene im Bözingenfeld, Orpund und Brüggmoos.» Eine mögliche Alternative wäre eine Umklassierung des Westasts in eine Nationalstrasse 3. Klasse wie in Twann. Die heutige Bernstrasse vom Brüggmoos bis in die Seevorstadt könnte, so ein Vorschlag, dann in einen städtischen Boulevard umgebaut werden, mit Alleen, Plätzen und langsamerem Verkehr als heute. Der Fokus von «Westast so nicht!» liegt aber auf der Mobilisierung von möglichst viel Empörung. Dabei operiert die Protestgruppe offensiv mit erarbeitetem Insiderwissen und Plänen des Ausführungsprojektes, die zum Teil auf der offiziellen Webseite des kantonalen Tiefbauamtes veröffentlicht sind, sowie eigenen Visualisierungen, und gibt damit Interessierten auf den Wanderungen einen tiefen, mit Zahlen gespickten Einblick in die ungeheuerlichen Dimensionen und Auswirkungen des 2-Milliarden-Projektes. Dem Komitee beschert das Zuwachs (siehe Infobox). Dennoch: Es bleibt ein Kampf von David gegen Goliath, schliesslich handelt es sich nicht um ein Bauprojekt, über das in einer städtischen Abstimmung entschieden wird, sondern ein vom Bund beordertes. Und doch glauben die Komiteemitglieder an ihre Chance. «Sonst würden wir uns nicht so ins Zeug legen», sagt Binggeli, seines Zeichens Architekt. Rechtlich habe man zwar nicht viele Möglichkeiten, könne aber den Leuten helfen, sich auf Einsprachen vorzubereiten. «Es ist unsere Stadt», ergänzt Zahnd «die lassen wir uns nicht zerstören.» • gegründet im November 2015 • rund 300 Mitglieder, darunter Pro Velo Biel/Bienne-Seeland, VCS Sektion Bern und der Verein LQV. • finanziert durch Mitgliederbeiträge und Spenden, organisiert als Verein mit Arbeitsgruppen, ehrenamtliches Engagement • Ziel: Bau des Autobahn A5 Westastes in dieser Form zu verhindern und Basis für eine zukunftsgerichtete Stadtentwicklung schaffen. • nächste öffentliche Stadtwanderungen: 14. August (11 Uhr) und 22. August (18 Uhr) ab Talstation Magglingenbahn. • Link: www.westastsonicht.ch Nidau hätte im Loch Platz sem Ferienbett liegen zu bleiben, bis ich mich an den Begriff wieder erinnere. Bevor nicht eindeutig geklärt ist, dass der geistige Ausfall nur temporär bleibt, mache ich keinen Mucks mehr. Vielleicht liegt es an der gesunden Bündner Luft – die bläst mir die ganzen Gehirnzellen weg. Dabei ist das verloren gegangene Wort in keiner Art und Weise wichtig, jedenfalls nicht hier im Bett. Ich will es nur wissen, weil ich es nicht mehr weiss. Übrigens: Haben Sie gewusst, dass ein Wort «muckerisch» existiert? Der Begriff bedeutet «unehrlich, hintenherum» und kann gesteigert werden: muckerisch, muckerischer, am muckerischsten. Hintenherum hat mir jemand dieses Wort geklaut. Zuge- geben, ich erzähle dies nur, um Eindruck zu machen. Hilft mir überhaupt nicht weiter. Das entfallene Wort kommt im Zusammenhang mit Flugzeug vor. Also mit dem Zustand, in dem Reisende sich befinden, wenn sie nach einem längeren Flug gelandet sind. Weil sie sich in einer anderen Zeitzone befinden. Ich selber weiss nicht, wie sich dies anfühlt, weil ich noch nie soweit geflogen bin. Im Grunde ist mir dieses Gefühl auch völlig egal, wenn mir nur das Wort wieder einfallen würde. Übrigens: Haben Sie gewusst, dass es auch das Wort «muckschen» gibt? Es bedeutet «verärgert sein». Ich mucksche, du muckschst, er/sie/es muckscht, wir muckschen, ihr muckschet, sie muckschen. Also ich bin zurzeit extrem gemuckschst. Ah jetzt haben wir’s vielleicht: Mein gesuchtes Wort heisst «Flatrat»? Neiiiin. Diese zunehmende Vergesslichkeit von Wörtern hat sicher mit den englischen Berufsbezeichnungen zu tun. Wie soll man sich bei all diesen aufgeblasenen Begriffen noch auskennen? Der Lehrer will jetzt ein «Knowlegde Navigator» sein, die Sekretärin nennt sich «Head of Verbal Communications» und der Fusspfleger «Footh Health Gain Facilitator». Bei einem überwucherten Garten muss ich den «Technical Horticultural Maintenance Officer» engagieren, also den Gärtner. Fortan bezeichne ich mich, wenn ich da- Zum Komitee Einen der Mitlaufenden erschreckt das nicht: Daniel Suter, Stadtrat und Präsident des PRR (parti radical romand). Er stehe dem Westast mit seinen Anschlüssen positiv gegenüber: «Sicher, sie verändern das Stadtbild fundamental. Aber das tat auch der Bieler Bahnhof. Ich akzeptiere das und möchte einfach, dass die Autobahn möglichst verträglich eingebettet wird. Das scheint mir gegeben.» Die anderen Teilnehmer werden nun, da es um den Vollanschluss beim Bahnhof geht, zunehmend emotional. Binggeli liefert Zahlen zum Loch: 275 Meter lang, 45 Meter breit und 18 Meter tief, das alles auf drei Ebenen und teilweise achtspurig. «Das ganze Stedtli Nidau hätte darin Platz». «So ein Wahnsinn», entfährt es einem Teilnehmer, andere schütteln den Kopf. Unter den Schirmen wird aufgewühlt diskutiert. Obwohl es stürmt, bleiben alle bis zum Schluss, wo hinter einem Wohnblock an der Bielstrasse. Binggeli sagt: «Im 21. Jahrhundert baut man keine Autobahn mitten durch die Stadt. Schon gar nicht so. Wir wollen nicht alles abblocken, aber eine stadtverträgliche Lösung.» Man hoffe nun, im Bieler Parlament Druck aufzubauen und die Mitglieder hinsichtlich der Wahlen zu Stellungnahmen zu bewegen, so Zahnd. «Wir möchten wissen, wer das Projekt gut findet und warum. Es muss nicht nur gebaut werden, weil der Kanton es so will.» Das sieht auch Barbara Schwärzler so, die sich von der Wanderung neu aufgerüttelt fühlt: «Wir können uns wehren. Es ist unsere Verantwortung für eine bessere Lösung zu kämpfen, wenn uns etwas gegen den Strich geht», sagt sie, und möchte gleich beginnen, weitere Leute wachzurütteln. Was halten Sie vom Komitee «Westast so nicht»? Diskussion und Dokumente: www.bielertagblatt.ch/ Westastsonicht heim von Hand das schöne Geschirr abwasche, als «Dynamic Assistant of Quality Development». Das wird meiner Frau imponieren. Obwohl ich neben ihr wohl stets nur der «Second Assistant of Cross Functional Optimization» bleiben werde. In diesem Moment ruft meine Frau aus der Küche:» Willst du nicht endlich aufstehen, wir wollten doch zeitig mit der Wanderung beginnen, bevor es zu heiss wird?» Ich rufe zurück:» Geht nicht, ich habe einen extremen... äh, Jetlag!» «Du kannst nach einer dreistündigen Autofahrt gar keinen Jetlag haben.» «Aber ganz sicher, mir ist das Wort Jetlag soeben wieder eingefallen, ich gebe es auf keinen Fall wieder her.» Barbara Egger-Jenzer, «Was nicht gebaut ist, kann man noch ändern», hat das Komitee «Westast so nicht!» als Motto. Kann die Bieler Bevölkerung wirklich noch Einfluss nehmen auf den projektierten Westast? Barbara Egger-Jenzer: Ja. Wenn voraussichtlich Ende Jahr das Ausführungsprojekt zur öffentlichen Auflage kommt, haben alle Betroffenen die Möglichkeit, Einsprache zu machen – Anwohner, Organisationen, aber auch die Stadt. Wie ernst nehmen Sie das momentan stark wachsende Komitee «Westast so nicht» und dessen Kritikpunkte? Wir nehmen alle Kritikpunkte zur Kenntnis und ernst und versuchen, sie zu entgegnen oder zu entkräften. Ich möchte hierbei vor allem an die Arbeitsgruppe Stöckli erinnern, die sich sehr breit abgestützt an 40 Sitzungen zu der aktuellen Stossrichtung entschieden hat. Überrascht Sie also die nun aufflammende Protestbewegung? Eigentlich nicht, ich kenne das von anderen Bauprojekten. Je konkreter es wird, desto mehr formiert sich Opposition. Beim Westast ist nun aber speziell, dass wir in Sachen Partizipation während der langen Planungsgeschichte wirklich viele Anstrengungen unternommen haben. Es ist kein von oben diktiertes Projekt. Kritisiert werden speziell die beiden Anschlüsse, die gewaltige Löcher in den Stadtraum reissen. Sind diese Einschnitte Biel wirklich zuzumuten? Im Jahr 2010 war alles nochmal offen, auch ob man überhaupt einen Westast will. Die Arbeitsgruppe um Hans Stöckli hat sich dafür und für die Anschlüsse entschieden. Planer haben dann das Projekt weiterentwickelt und verbessert – zusammen mit der Region. Stehen Sie hinter dem Projekt? Ja. Die Behördendelegation, der ich angehöre und die alles betreffend Westast entscheidet, steht hinter dem Projekt. Interview: Janosch Szabo Nachrichten Aegerten Kurve verfehlt Am Samstagnachmittag hat ein Automobilist auf der Bielstrasse in Richtung Studen die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Kurz nach der Kanalbrücke in der Linkskurve kam er von der Strasse ab. Dabei überfuhr der Personenwagen das Trottoir, durchbrach den Holzzaun und prallte in den Stromverteiler bei Möbel Kauer. Verletzt wurde niemand. Der Sachschaden wird auf 10 000 Franken geschätzt. Zur genauen Abklärung der Unfallursache wurde der Technische Unfalldienst der Berner Kantonspolizei eingesetzt. asb
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