Frankfurter Rundschau vom 01.08.2016 Seite: Ressort: Rubrik: 14 Magazin FR Bordausgabe Gattung: Nummer: Auflage: Ausgabe: Frankfurter Rundschau Bordausgabe Reichweite: Tageszeitung 177 61.168 (gedruckt) 50.591 (verkauft) 55.597 (verbreitet) 0,18 (in Mio.) Sie müssen nur wollen Wahrscheinlich legt sich gerade kaum einer so ins Zeug wie der junge Abgeordnete Patrick Dahlemann aus Torgelow in Vorpommern. Er will sich und der SPD beweisen, dass Sozialdemokraten noch siegen können Von Bernhard Honnigfort D iese Geschichte erzählt er natürlich am liebsten. Ein Lächeln fährt über sein Gesicht. Mit ihr fing alles an. Jedenfalls machte sie Patrick Dahlemann einigermaßen berühmt und ein bisschen zum Helden. Und das nur, weil sich ein Neonazi überheblich verquatschte und er richtig auf Zack war. "Ja, der Köster", sagt Patrick Dahlemann und lacht. Er sitzt in seinem Wahlkreisbüro an der Wilhelmstraße in Torgelow. Bürotag. Nicht viel los. Am 4. September ist Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, aber erst einmal sind Sommerferien und Schwüle liegt über dem weiten Land. Das Haus war einmal ein Herrenausstatter und so sieht es heute noch aus: Große Schaufenster, eine einladende Front. Darüber nun rote Balken und SPD. Ein Haus, das laut "Hereinspaziert", ruft. "Der Köster, ja", sagt Dahlemann wieder. "Auch nicht die hellste Kerze auf der Torte." Es ist die Geschichte seines Lebens. Sie geht so: Ende Juli 2013 hielt die NPD in Drögeheide, einem Stadtteil von Torgelow in Vorpommern, eine Kundgebung ab. Unten im Publikum steht allein unter lauter aufgebrachten Menschen der junge SPD-Politiker Dahlemann, damals gerade 25 Jahre alt, mit seinen SPD-Flyern, oben am Mikrofon der NPD-Vorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Stefan Köster. Es geht um Deutschland, um Einwanderung, um Flüchtlinge. Das übliche Geschimpfe. Irgendwann entdeckt Köster den einzelnen SPD-Mann, lästert über ihn und meint, wenn er Mumm habe, haha, dann solle er doch hoch ans Mikro kommen und den aufgebrachten Leuten seine Sicht der Dinge darlegen. Er, Köster, würde ihm etwas von seiner Redezeit abgeben, zehn Prozent, das sei doch was, haha. Dahlemann nimmt sofort an. SPD-Mann vor NPD-Logo - und er legt los, als sei es das Normalste von der Welt. Sachlich, direkt. Er wolle die Hetze der NPD nicht unkommentiert stehen lassen, beginnt er vorsichtig. "Bitte fallen Sie nicht auf die menschenverachtenden Positionen der NPD herein", appelliert er an die Torgelower und macht dann Angebote: "Wir werden Ihre Fragen beantworten, wir werden Sie nicht allein lassen." Er lässt sich nicht von Zwischenrufen aus der Ruhe bringen. Er verspricht: "Kommen Sie zurück an den Tisch mit uns, wir lassen Sie nicht allein." Er macht das in freundlichem Ton, er nimmt aber auch kein Blatt vor den Mund, er ist cool, er schreit nicht, er brüllt nicht, er nimmt die Chance wahr und ist sogar frech, als er sich einigermaßen warm geredet hat: Man habe Müllsäcke mitgebracht, sagt er. Für all die Leute, die Nazipamphlete entsorgen wollten. So steht er da in seinem blauen Hemd und redet sechs Minuten lang. Die NPD filmt alles, sie filmt Dahlemann. Dann ist Schluss und alle gehen. Dahlemann hat ein mulmiges Gefühl. Muffensausen. Was gibt das für Bilder im Netz? Was sagt die SPD in Schwerin? Andererseits: Was sollte man dagegen haben? Die NPD stellt ihren Film ins Netz. Tausende sehen ihn, sehen vor allem den jungen Mann, der Köster und Kameraden den Kopf wäscht, bis die NPD den Film wieder aus dem Netz entfernen lässt. Ein Eigentor. Dann macht Dahlemann selbst einen Film aus seinem Auftritt, es gibt mittlerweile genügend Kopien. Er baut noch den örtlichen Polizeichef ein, der etwas über unbegründete Ängste und die nicht vorhandene Ausländerkriminalität in Torgelow sagt. "Und dann", sagt Dahlemann in seinem Bürgerbüro, das einmal ein Herrenausstatter war, "dann ging es richtig ab." Über 217 000 Menschen haben seinen Film bis heute gesehen. Die SPD in Berlin wurde aufmerksam auf den jungen mutigen Mann am Nordostrand der Republik, er bekam den Gustav-Heine- mann-Bürgerpreis für seine sechs Minuten. Und saß bei Markus Lanz in der ZDF-Talkshow. Vom Preisgeld musste er danach eine neue Fensterfront und eine neue Tür bezahlen. Es gab Anschläge auf sein Büro, sein Auto, mit Farbbeuteln, Steinen und Buttersäure. "Eine Riesensauerei", sagt Dahlemann. "Ich habe eine Vorstellung, wer es gewesen ist." Seitdem ist alles kameraüberwacht. Nun könnte er wieder berühmt werden, der Herr Dahlemann aus Torgelow. Er will was werden und seinen Wahlkreis gewinnen. Er arbeitet daran. Vor allem will er etwas beweisen, nämlich, dass sich politische Arbeit lohnt. "Ich will zeigen, dass es geht", sagt er. Langfristig arbeiten. Überall hingehen, sich zeigen. Die Karnickelvereine, die Feuerwehren, der Sport, die Mehrgenerationenhäuser, auf Grillabenden, bei den Leuten in den Dörfern. Fuß fassen, bekannt werden, klein von unten, aus dem sozialdemokratischen Kümmerling im kargen Nordosten langsam eine Volkspartei machen. "Ich glaube, dass die SPD gewinnen kann." Und wenn nicht? Wenn er das Direktmandat nicht holt, ist er nicht im Landtag. "Er gewinnt. Aber wenn nicht, kann er immer noch sein Studium beenden", meint sein Büromitarbeiter. Dahlemann hat gerade ein wenig Ärger, Häme im Internet: Im Landtagshandbuch steht noch, er sei in Greifswald eingeschrieben. Tatsächlich hat er sein Studium vor zwei Jahren ohne Abschluss beendet und sich an der Fernuni Hagen eingeschrieben. Politik machen und Politikwissenschaft und Staatsrecht studieren - beides geht gerade nicht. Dahlemann muss wahlkämpfen, was auch nicht leicht ist. Bislang ist es Schattenboxen. Von seinem CDU-Konkurrenten keine Spur. Auch die aufstrebende AfD: nichts zu sehen in und um Torgelow. Eigentlich ist nie- mand zu sehen in diesem Nicht-Wahlkampf. "Ich würde gerne gewählt werden, weil ich gut gearbeitet habe", sagt Dahlemann. "Nicht, weil meine Gegner so schlecht waren." Die Tür geht auf, ein alter Herr kommt ins Büro, er geht schlecht. Dahlemann springt auf, begrüßt ihn, einen ehemaligen Lehrer. Man kennt sich. Er hat ein Kärtchen mitgebracht und eine kleine Spende. Dahlemann hat am Tag zuvor Geburtstag und nun kommen tatsächlich einige Torgelower vorbei, um ihrem Abgeordneten zu gratulieren - und ein bisschen Geld für die Ortsfeuerwehr, das hatte sich Dahlemann so gewünscht. 1000 Euro sind schon zusammengekommen. "Ist doch nicht schlecht." Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, haargenau davor sechs Wochen Sommerferien. Wie soll man Wahlkampf machen? Und wann vor wem? Seit 1998 ist die SPD stärkste Kraft im Lande, aber nach den Umfragen wird das nicht so bleiben. Die SPD liegt erstmals klar hinter der CDU, dann kommt schon die AfD vor den Linken und den Grünen. Auch die NPD, nur noch im Nordosten im Landtag, hat noch Chancen, wieder einzuziehen. Es sieht so aus, als würden Ministerpräsident Erwin Sellering sein Amt verlieren und das seit 2006 regierende SPD/CDU-Bündnis in dieser Form nicht weiterbestehen. Mehrgenerationenhaus in Torgelow, Politikerbesuch bei der Volkssolidarität. Sie ist ein bedeutender Arbeitgeber in der Gegend. Geschäftsführerin Heike Nitzke hat gerade ausführlich berichtet, was das ostdeutsche Wohlfahrtsunternehmen in Vorpommern alles macht: Pflege, zehn Kindertagesstätten, Migrationsberatung, Behindertenhilfe, Essen auf Rädern, ein Schneiderstübchen, ein Obdachlosenhaus, 520 Mitarbeiter, 400 ehrenamtliche Helfer, es nimmt kein Ende. Katharina Barley, die SPD-Generalsekretärin aus Berlin, hat sich die Zeit genommen, zum Kaffee vorbeizuschauen. Vermutlich nicht so sehr, weil sie sich für das vielfältige Wirken der Volkssolidarität in allen Details im Uecker-Randow-Kreis interessiert. Sie ist dort wegen des jungen Mannes, der neben ihr am Tisch sitzt und der für die SPD noch interessant werden könnte. "Er ist ein besonderer Abgeordneter für uns", sagt Barley, als sie sich verabWörter: Urheberinformation: © 2016 PMG Presse-Monitor GmbH schiedet. Und mit "uns" meint sie sicherlich sich, ihren Chef Sigmar Gabriel und eigentlich die ganze SPD. Im Grunde läuft gerade ein Experiment im Wahlkreis 35, Uecker-Randow I. Dahlemann will ihn gewinnen, er will dem CDU-Abgeordneten Andreas Texter das Mandat abjagen. Er will zeigen, dass die von Kummer geplagte SPD in schwierigem Gelände gewinnen kann. Und schwierig ist der dünn besiedelte Landstrich an der polnischen Grenze, wo in manchen Dörfern die NPD Ergebnisse um 30 Prozent holte und Politiker demokratischer Parteien selten zu finden sind. Als Dahlemann 2011 in die Politik einstieg, hatte sein Ortsverein 24 Mitglieder. Heute sind es 50. Dahlemann, der 2014 überraschend als Nachrücker Landtagsabgeordneter in Schwerin wurde, rennt lieber von Dorf zu Dorf. Vorpommern ist politische Steppe, ein schwieriges Gelände mit Orten, wo selten oder noch nie Landespolitiker aufgetaucht sind. Seit Jahren betreibt die Schweriner Regierung politische Entwicklungshilfe im eigenen Land. In jeder größeren Stadt gibt es Büros mit Sozialarbeitern, die sich wie Gärtner um junge Sprösslinge um demokratische Kultur, Stärkung der Zivilgesellschaft oder das Eindämmen rechtsextremer Strukturen kümmern. Es fehlen eher Politiker, die sich zeigen, was tun, was vorleben. Dahlemann macht seit Jahren immer dasselbe: rennen, reden, zuhören. Er lädt zu Bürgerversammlungen, Grillabenden, er stellt sich, er hält eine Menge aus. Die erste halbe Stunde sei oft Geschimpfe, aber dann gehe es. "Die Leute sind nicht politikverdrossen", sagt er. "Ganz im Gegenteil. Sie wollen Antworten. Man darf nicht einknicken, man darf ihnen nicht nach dem Mund reden." Das kann er gut. Wie kürzlich im Dorf Ferdinandshof. Bürgerversammlung. "Da kommt das Schwein", rufen Leute, als er um die Ecke biegt. Die üblichen Neonazis, Windkraftgegner, andere. Er geht auf sie zu, redet, sachlich und freundlich, lädt ein zum Gespräch. Wer nur schimpfen wolle, könne ja draußen bleiben. Mühsam, aber es funktioniert. Dann erzählt er den Leuten, dass die Abwanderung im Land gestoppt und die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken ist. Dass man nicht gegen Windenergie sein kann wie NPD und AfD und gleichzeitig in Torgelow eine Gießerei haben, in der 450 Menschen davon leben, Metallnaben für Windräder zu gießen. "Man kann nicht gegen alles sein", sagt Dahlemann. "Das geht nicht." Harte Arbeit. In Berlin, in der verzagten SPD-Spitze, schaut man dem Experiment fasziniert zu. Oder schaut mal vorbei. Kürzlich war der Außenminister in Torgelow. Dahlemann hatte Frank-Walter Steinmeier ins "Haus an der Schleuse", eingeladen, um über Deutschland und Russland, die Nato und den Brexit zu reden. "Der Saal war voll, es ging hoch her. " Russland, die PutinVerehrung, der Boykott. "Die Leute sind sehr interessiert", sagt Dahlemann. "Da müssen wir doch ran." Nun ist wieder so ein Abend, aber ohne Prominenz, er ist in Anklam im "Demokratiebahnhof". Auch so eine Eigenheit im menschenleeren Nordosten: Viele Bahnhöfe sind mit Brettern vernagelt, nur Automaten, die Fahrpläne passen bequem auf ein DIN-A-4-Blatt, die Gebäude werden, wenn sie nicht leer stehen, für andere Dinge gebraucht. Für Demokratie, zum Beispiel. Auf dem Anklamer Bahnhof haben die Pfadfinder das Sagen, sie haben einen Treffpunkt für Jugendliche und junge Flüchtlinge daraus gemacht, ein Jugendzentrum, an dem auch noch Züge halten. Um Jugendprobleme auf dem platten Land soll es an diesem Abend gehen, ein ewiges Thema in Vorpommern: Die Weite, die schlechten Verbindungen, Geldsorgen. Dahlemann hört sich an, was die jungen Leute zu sagen haben. Er macht sich Notizen. Er sagt, was geht, er sagt, was nicht geht. Alle Parteien sind eingeladen, alle, bis auf AfD und NPD. Die CDU ist nicht gekommen, obwohl ihr Büro in Sichtweite liegt. "Nie kommen die", schimpft eine junge Frau. "Und wir haben die schon fünf Mal mindestens eingeladen." "Die Leute sind nicht politikverdrossen, ganz im Gegenteil. Sie wollen Antworten. Man darf ihnen nicht nach dem Mund reden." "Ich würde gerne gewählt werden, weil ich gut gearbeitet habe. Nicht, weil meine Gegner so schlecht waren." 1755 Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Rundschau GmbH, Frankfurt am Main
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