Sie müssen nur wollen

Frankfurter Rundschau vom 01.08.2016
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14
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FR Bordausgabe
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Frankfurter Rundschau Bordausgabe
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Tageszeitung
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Sie müssen nur wollen
Wahrscheinlich legt sich gerade kaum einer so ins Zeug wie der junge Abgeordnete Patrick
Dahlemann aus Torgelow in Vorpommern. Er will sich und der SPD beweisen, dass
Sozialdemokraten noch siegen können Von Bernhard Honnigfort
D iese Geschichte erzählt er natürlich
am liebsten. Ein Lächeln fährt über sein
Gesicht. Mit ihr fing alles an. Jedenfalls
machte sie Patrick Dahlemann einigermaßen berühmt und ein bisschen zum
Helden. Und das nur, weil sich ein Neonazi überheblich verquatschte und er
richtig auf Zack war. "Ja, der Köster",
sagt Patrick Dahlemann und lacht. Er
sitzt in seinem Wahlkreisbüro an der
Wilhelmstraße in Torgelow. Bürotag.
Nicht viel los. Am 4. September ist
Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, aber erst einmal sind Sommerferien und Schwüle liegt über dem weiten
Land. Das Haus war einmal ein Herrenausstatter und so sieht es heute noch
aus: Große Schaufenster, eine einladende Front. Darüber nun rote Balken
und SPD. Ein Haus, das laut "Hereinspaziert", ruft. "Der Köster, ja", sagt
Dahlemann wieder. "Auch nicht die
hellste Kerze auf der Torte."
Es ist die Geschichte seines Lebens. Sie
geht so: Ende Juli 2013 hielt die NPD in
Drögeheide, einem Stadtteil von Torgelow in Vorpommern, eine Kundgebung
ab. Unten im Publikum steht allein unter
lauter aufgebrachten Menschen der
junge SPD-Politiker Dahlemann, damals
gerade 25 Jahre alt, mit seinen SPD-Flyern, oben am Mikrofon der NPD-Vorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern,
Stefan Köster. Es geht um Deutschland,
um Einwanderung, um Flüchtlinge. Das
übliche Geschimpfe. Irgendwann entdeckt Köster den einzelnen SPD-Mann,
lästert über ihn und meint, wenn er
Mumm habe, haha, dann solle er doch
hoch ans Mikro kommen und den aufgebrachten Leuten seine Sicht der Dinge
darlegen. Er, Köster, würde ihm etwas
von seiner Redezeit abgeben, zehn Prozent, das sei doch was, haha.
Dahlemann nimmt sofort an. SPD-Mann
vor NPD-Logo - und er legt los, als sei
es das Normalste von der Welt. Sachlich, direkt. Er wolle die Hetze der NPD
nicht unkommentiert stehen lassen,
beginnt er vorsichtig. "Bitte fallen Sie
nicht auf die menschenverachtenden
Positionen der NPD herein", appelliert
er an die Torgelower und macht dann
Angebote: "Wir werden Ihre Fragen
beantworten, wir werden Sie nicht allein
lassen." Er lässt sich nicht von Zwischenrufen aus der Ruhe bringen. Er
verspricht: "Kommen Sie zurück an den
Tisch mit uns, wir lassen Sie nicht
allein." Er macht das in freundlichem
Ton, er nimmt aber auch kein Blatt vor
den Mund, er ist cool, er schreit nicht, er
brüllt nicht, er nimmt die Chance wahr
und ist sogar frech, als er sich einigermaßen warm geredet hat: Man habe
Müllsäcke mitgebracht, sagt er. Für all
die Leute, die Nazipamphlete entsorgen
wollten.
So steht er da in seinem blauen Hemd
und redet sechs Minuten lang. Die NPD
filmt alles, sie filmt Dahlemann. Dann
ist Schluss und alle gehen. Dahlemann
hat ein mulmiges Gefühl. Muffensausen.
Was gibt das für Bilder im Netz? Was
sagt die SPD in Schwerin? Andererseits:
Was sollte man dagegen haben?
Die NPD stellt ihren Film ins Netz. Tausende sehen ihn, sehen vor allem den
jungen Mann, der Köster und Kameraden den Kopf wäscht, bis die NPD den
Film wieder aus dem Netz entfernen
lässt. Ein Eigentor. Dann macht Dahlemann selbst einen Film aus seinem Auftritt, es gibt mittlerweile genügend
Kopien. Er baut noch den örtlichen Polizeichef ein, der etwas über unbegründete Ängste und die nicht vorhandene
Ausländerkriminalität in Torgelow sagt.
"Und dann", sagt Dahlemann in seinem
Bürgerbüro, das einmal ein Herrenausstatter war, "dann ging es richtig ab."
Über 217 000 Menschen haben seinen
Film bis heute gesehen. Die SPD in Berlin wurde aufmerksam auf den jungen
mutigen Mann am Nordostrand der
Republik, er bekam den Gustav-Heine-
mann-Bürgerpreis für seine sechs Minuten. Und saß bei Markus Lanz in der
ZDF-Talkshow.
Vom Preisgeld musste er danach eine
neue Fensterfront und eine neue Tür
bezahlen. Es gab Anschläge auf sein
Büro, sein Auto, mit Farbbeuteln, Steinen und Buttersäure. "Eine Riesensauerei", sagt Dahlemann. "Ich habe eine
Vorstellung, wer es gewesen ist." Seitdem ist alles kameraüberwacht.
Nun könnte er wieder berühmt werden,
der Herr Dahlemann aus Torgelow. Er
will was werden und seinen Wahlkreis
gewinnen. Er arbeitet daran. Vor allem
will er etwas beweisen, nämlich, dass
sich politische Arbeit lohnt. "Ich will
zeigen, dass es geht", sagt er. Langfristig arbeiten. Überall hingehen, sich zeigen. Die Karnickelvereine, die Feuerwehren, der Sport, die Mehrgenerationenhäuser, auf Grillabenden, bei den
Leuten in den Dörfern. Fuß fassen,
bekannt werden, klein von unten, aus
dem sozialdemokratischen Kümmerling
im kargen Nordosten langsam eine
Volkspartei machen. "Ich glaube, dass
die SPD gewinnen kann."
Und wenn nicht? Wenn er das Direktmandat nicht holt, ist er nicht im Landtag. "Er gewinnt. Aber wenn nicht, kann
er immer noch sein Studium beenden",
meint sein Büromitarbeiter. Dahlemann
hat gerade ein wenig Ärger, Häme im
Internet: Im Landtagshandbuch steht
noch, er sei in Greifswald eingeschrieben. Tatsächlich hat er sein Studium vor
zwei Jahren ohne Abschluss beendet
und sich an der Fernuni Hagen eingeschrieben.
Politik machen und Politikwissenschaft
und Staatsrecht studieren - beides geht
gerade nicht. Dahlemann muss wahlkämpfen, was auch nicht leicht ist. Bislang ist es Schattenboxen. Von seinem
CDU-Konkurrenten keine Spur. Auch
die aufstrebende AfD: nichts zu sehen in
und um Torgelow. Eigentlich ist nie-
mand zu sehen in diesem Nicht-Wahlkampf. "Ich würde gerne gewählt werden, weil ich gut gearbeitet habe", sagt
Dahlemann. "Nicht, weil meine Gegner
so schlecht waren."
Die Tür geht auf, ein alter Herr kommt
ins Büro, er geht schlecht. Dahlemann
springt auf, begrüßt ihn, einen ehemaligen Lehrer. Man kennt sich. Er hat ein
Kärtchen mitgebracht und eine kleine
Spende. Dahlemann hat am Tag zuvor
Geburtstag und nun kommen tatsächlich einige Torgelower vorbei, um ihrem
Abgeordneten zu gratulieren - und ein
bisschen Geld für die Ortsfeuerwehr,
das hatte sich Dahlemann so gewünscht.
1000 Euro sind schon zusammengekommen. "Ist doch nicht schlecht."
Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, haargenau davor sechs Wochen
Sommerferien. Wie soll man Wahlkampf machen? Und wann vor wem?
Seit 1998 ist die SPD stärkste Kraft im
Lande, aber nach den Umfragen wird
das nicht so bleiben. Die SPD liegt erstmals klar hinter der CDU, dann kommt
schon die AfD vor den Linken und den
Grünen. Auch die NPD, nur noch im
Nordosten im Landtag, hat noch Chancen, wieder einzuziehen. Es sieht so aus,
als würden Ministerpräsident Erwin Sellering sein Amt verlieren und das seit
2006 regierende SPD/CDU-Bündnis in
dieser Form nicht weiterbestehen.
Mehrgenerationenhaus in Torgelow,
Politikerbesuch bei der Volkssolidarität.
Sie ist ein bedeutender Arbeitgeber in
der Gegend. Geschäftsführerin Heike
Nitzke hat gerade ausführlich berichtet,
was das ostdeutsche Wohlfahrtsunternehmen in Vorpommern alles macht:
Pflege, zehn Kindertagesstätten, Migrationsberatung, Behindertenhilfe, Essen
auf Rädern, ein Schneiderstübchen, ein
Obdachlosenhaus, 520 Mitarbeiter, 400
ehrenamtliche Helfer, es nimmt kein
Ende. Katharina Barley, die SPD-Generalsekretärin aus Berlin, hat sich die Zeit
genommen, zum Kaffee vorbeizuschauen. Vermutlich nicht so sehr, weil
sie sich für das vielfältige Wirken der
Volkssolidarität in allen Details im
Uecker-Randow-Kreis interessiert. Sie
ist dort wegen des jungen Mannes, der
neben ihr am Tisch sitzt und der für die
SPD noch interessant werden könnte.
"Er ist ein besonderer Abgeordneter für
uns", sagt Barley, als sie sich verabWörter:
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schiedet. Und mit "uns" meint sie
sicherlich sich, ihren Chef Sigmar
Gabriel und eigentlich die ganze SPD.
Im Grunde läuft gerade ein Experiment
im Wahlkreis 35, Uecker-Randow I.
Dahlemann will ihn gewinnen, er will
dem CDU-Abgeordneten Andreas Texter das Mandat abjagen. Er will zeigen,
dass die von Kummer geplagte SPD in
schwierigem Gelände gewinnen kann.
Und schwierig ist der dünn besiedelte
Landstrich an der polnischen Grenze,
wo in manchen Dörfern die NPD Ergebnisse um 30 Prozent holte und Politiker
demokratischer Parteien selten zu finden sind. Als Dahlemann 2011 in die
Politik einstieg, hatte sein Ortsverein 24
Mitglieder. Heute sind es 50.
Dahlemann, der 2014 überraschend als
Nachrücker Landtagsabgeordneter in
Schwerin wurde, rennt lieber von Dorf
zu Dorf. Vorpommern ist politische
Steppe, ein schwieriges Gelände mit
Orten, wo selten oder noch nie Landespolitiker aufgetaucht sind. Seit Jahren
betreibt die Schweriner Regierung politische Entwicklungshilfe im eigenen
Land. In jeder größeren Stadt gibt es
Büros mit Sozialarbeitern, die sich wie
Gärtner um junge Sprösslinge um demokratische Kultur, Stärkung der Zivilgesellschaft oder das Eindämmen rechtsextremer Strukturen kümmern.
Es fehlen eher Politiker, die sich zeigen,
was tun, was vorleben. Dahlemann
macht seit Jahren immer dasselbe: rennen, reden, zuhören. Er lädt zu Bürgerversammlungen, Grillabenden, er stellt
sich, er hält eine Menge aus. Die erste
halbe Stunde sei oft Geschimpfe, aber
dann gehe es. "Die Leute sind nicht
politikverdrossen", sagt er. "Ganz im
Gegenteil. Sie wollen Antworten. Man
darf nicht einknicken, man darf ihnen
nicht nach dem Mund reden."
Das kann er gut. Wie kürzlich im Dorf
Ferdinandshof. Bürgerversammlung.
"Da kommt das Schwein", rufen Leute,
als er um die Ecke biegt. Die üblichen
Neonazis, Windkraftgegner, andere. Er
geht auf sie zu, redet, sachlich und
freundlich, lädt ein zum Gespräch. Wer
nur schimpfen wolle, könne ja draußen
bleiben.
Mühsam, aber es funktioniert. Dann
erzählt er den Leuten, dass die Abwanderung im Land gestoppt und die
Arbeitslosigkeit deutlich gesunken ist.
Dass man nicht gegen Windenergie sein
kann wie NPD und AfD und gleichzeitig in Torgelow eine Gießerei haben, in
der 450 Menschen davon leben, Metallnaben für Windräder zu gießen. "Man
kann nicht gegen alles sein", sagt Dahlemann. "Das geht nicht."
Harte Arbeit. In Berlin, in der verzagten
SPD-Spitze, schaut man dem Experiment fasziniert zu. Oder schaut mal vorbei. Kürzlich war der Außenminister in
Torgelow. Dahlemann hatte Frank-Walter Steinmeier ins "Haus an der
Schleuse", eingeladen, um über
Deutschland und Russland, die Nato und
den Brexit zu reden. "Der Saal war voll,
es ging hoch her. " Russland, die PutinVerehrung, der Boykott. "Die Leute sind
sehr interessiert", sagt Dahlemann. "Da
müssen wir doch ran."
Nun ist wieder so ein Abend, aber ohne
Prominenz, er ist in Anklam im "Demokratiebahnhof". Auch so eine Eigenheit
im menschenleeren Nordosten: Viele
Bahnhöfe sind mit Brettern vernagelt,
nur Automaten, die Fahrpläne passen
bequem auf ein DIN-A-4-Blatt, die
Gebäude werden, wenn sie nicht leer
stehen, für andere Dinge gebraucht. Für
Demokratie, zum Beispiel. Auf dem
Anklamer Bahnhof haben die Pfadfinder das Sagen, sie haben einen Treffpunkt für Jugendliche und junge Flüchtlinge daraus gemacht, ein Jugendzentrum, an dem auch noch Züge halten.
Um Jugendprobleme auf dem platten
Land soll es an diesem Abend gehen,
ein ewiges Thema in Vorpommern: Die
Weite, die schlechten Verbindungen,
Geldsorgen. Dahlemann hört sich an,
was die jungen Leute zu sagen haben. Er
macht sich Notizen. Er sagt, was geht, er
sagt, was nicht geht.
Alle Parteien sind eingeladen, alle, bis
auf AfD und NPD. Die CDU ist nicht
gekommen, obwohl ihr Büro in Sichtweite liegt. "Nie kommen die", schimpft
eine junge Frau. "Und wir haben die
schon fünf Mal mindestens eingeladen."
"Die Leute sind nicht politikverdrossen, ganz im Gegenteil. Sie wollen
Antworten. Man darf ihnen nicht nach
dem Mund reden."
"Ich würde gerne gewählt werden,
weil ich gut gearbeitet habe. Nicht,
weil meine Gegner so schlecht
waren."
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