Johanniskraut bis Joint

>THEMA: Sucht<
Johanniskraut bis Joint
Sucht und Suchtprävention sind
kaum Themen an Musikhochschulen
Sandra Sinsch
Der Druck, einen Platz auf einem sich verknappenden
musikalischen Arbeitsmarkt zu finden, steigt kontinuierlich.
Musikermediziner verzeichnen eine wachsende Anzahl von
Musikstudierenden mit Suchtproblemen. Deutsche Musikhochschulen sehen jedoch (noch) keinen Handlungsbedarf.
> Sitzgelegenheiten, auf den Tischen ein wildes Durcheinander
von Broschüren vom Unisport bis zum Kammermusikwettbewerb.
Irgendwo zwischen dem Blick auf die Pförtnerloge und die Informationstafel mit den aktuellen Veranstaltungen stehen vielleicht ein
paar Computer: So in dieser Art präsentieren sich viele Foyers deutscher Musikhochschulen. Sie sind das eigentliche Herzstück eines
Instituts, denn hier wird diskutiert, sich ausgetauscht, gelacht, geärgert und auf die begehrten Übezimmer gewartet. Es herrscht ein
ständiges Kommen und Gehen, man kennt sich. Verborgen bleibt
hier nichts.
Was der Professor empfiehlt, kann nicht schlecht sein
Musikhochschulen sind spezielle Mikrokosmen, die ganz eigenen
Gesetzen unterliegen. Überquellende Hörsäle sind ein Fremdwort,
selbst relative Massenveranstaltungen wie Musikgeschichte bleiben
für Lehrende und Lernende überschaubar. Das instrumentale oder
vokale Hauptfach wird im Einzelunterricht erteilt, die Beziehung
zum Professor ist eine sehr persönliche. Gerade in jüngeren Semestern, auf dem Weg zum eigenen künstlerischen Ich, kann die emotionale Bindung an den Dozenten sehr stark sein. Der Lehrer wird
als Vorbild, gar als Identifikationsfigur erlebt, Gespräche über ihn
sind oft voll schwärmerischer Bewunderung, schließlich kann er auf
eine glanzvolle Karriere als Solist oder Orchestermusiker zurückblicken. Was der Professor tut oder empfiehlt, kann folglich niemals
schlecht sein.
Löst man den Kommilitonen im Übezimmer ab, lässt sich
manchmal ein Blick auf die kleine Medikamentenschachtel im Instrumentenkoffer erhaschen. Andere Studenten erzählen ganz nebenbei im Foyer, der Professor habe geraten, bei Nervosität vor und
während des Probespiels zu Betablockern zu greifen. In der Klasse
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kennt man natürlich die Telefonnummer des Arztes, der es verschreibt. Dass Bier die Nerven beruhige, ist ebenfalls eine Legende
in manchen Unterrichtszimmern. Gleiches gilt für „Hausmittelchen“, die in den einzelnen Klassen zur Stressreduktion empfohlen
werden: Vom Lavendelduschgel über Johanniskrautdragees bis hin
zum Joint reicht die Palette.
Starke soziale Kontrolle
Alkohol- oder Drogenkonsum mag in den Augen mancher etwas
zum Image des wilden, unangepassten Künstlers beitragen. „Der
macht Party, bis der Arzt kommt“, kann bei jungen Leuten durchaus einer Art Adelsprädikat gleichkommen. Auch schräge Vögel haben an der Hochschule ihr Biotop, die Erfahrung, anders zu sein als
ihre Umwelt, hat die meisten Musiker von Kindheit an geprägt. Wie
viele Bierflaschen in ein Trompeten-Gigbag passen, ist schon eine
beliebte Wette in Jugendorchestern. Doch sind es längst nicht mehr
die Jungen vom schweren Blech, die dem Alkohol zugeneigt sind,
denn süße Alkopops mögen auch brave Streicherinnen.
Doch so viel getrunken haben, dass man am nächsten Morgen
nicht mehr gerade auf seinem Stuhl in der Probe sitzen kann, gehört
zu den größten Peinlichkeiten, die man sich im Landesjugendorchester leisten kann. An der Hochschule setzt sich dieser Mechanismus in ähnlicher Weise fort. „Die soziale Kontrolle an einer Hochschule ist sehr stark, da die Studentenzahl überschaubar ist und ein
Musikstudium ohnehin nicht mit einem regulären, teilweise sehr
anonymen Unistudium gleichgesetzt werden kann“, meint auch
Sylvia Dennerle, Pressesprecherin der Hochschule für Musik und
darstellende Kunst Frankfurt. Das sei wie in einer Familie, und bei
Stundenplänen, die zu 80 Prozent aus Einzelunterricht bestünden,
müsse jemand schon sehr gut im Vertuschen eines Suchtproblems
sein, ergänzt sie.
Trotz allem kann man an der Frankfurter Musikhochschule wie
an den anderen, exemplarisch ausgewählten Instituten mit der Frage nach Sucht und Suchtprävention im Musikstudium nicht wirklich etwas anfangen. Dennerle ist, auch nach Rückfragen, kein einziger Fall bekannt, in dem das Studium aufgrund eines Suchtproblems abgebrochen oder unterbrochen werden musste. Einige Hochschulen haben meine Anfrage überhaupt nicht beantwortet.
das Orchester 7-8.10
© imago/ITAR-TASS
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Keine speziellen Angebote
„Hochschulen sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Auch unter den
Studierenden gibt es selbstverständlich Fälle von Alkohol- oder
Tablettensucht. Allerdings haben wir nicht den Eindruck, dass Studierende an Musikhochschulen stärker als andere Bevölkerungsgruppen unter diesen Krankheitsbildern leiden. Ob Ärztin oder
Lehrer, Pilot, Krankenschwester, Managerin oder Lastwagenfahrer
– in unserer Gesellschaft stehen immer mehr Menschen unter Zeitund Erfolgsdruck“, erklärt Mathias Schwarz von der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Einen konkreten Handlungsbedarf,
spezielle Programme zur Suchtprävention anzubieten, sieht er jedoch nicht.
Wie an anderen befragten Hochschulen, glaubt man auch in
Düsseldorf, dass Studenten eventuelle Auswege aus der Sucht durch
andere Angebote zur gesundheitlichen Prävention aufgezeigt bekommen. „Musiker müssen immer ihr Bestes geben. Jeder, der ein
Instrument spielt, kennt zum Beispiel das Lampenfieber. Wir bringen den Studierenden gezielt Entspannungstechniken bei, um mit
diesem Druck umgehen zu können. Feldenkrais oder Alexandertechnik seien hier als Beispiele genannt. Mit diesen Angeboten tragen wir auch gezielt dazu bei, Suchtverhalten vorzubeugen“, sagt
Schwarz.
An der Musikhochschule in Karlsruhe wurde man offensichtlich
noch nie mit Suchtproblemen in der Studentenschaft konfrontiert.
Für den Fall der Fälle hat man aber trotzdem vorgesorgt. „Es existiert eine enge Kooperation mit der Psychotherapeutischen Beratungsstelle des örtlichen Studentenwerks, die regelmäßig Veranstaltungen und Beratungen zur Suchtprävention anbietet und auch Berater für den Bereich Suchtproblematik zur Verfügung stellt“, erklärt Udo Schmitt, Pressesprecher der Hochschule für Musik Karlsruhe.
Es bleibt zu hoffen, dass Studenten im Ernstfall diese wenigen,
speziell zurechtgeschnittenen Programme der Studentenwerke, die
auch in allen anderen Universitätsstädten existieren, nutzen oder
sich an einen Arzt ihres Vertrauens wenden. Auf konkrete Angaben,
wie viele Musikstudenten wirklich betroffen sind, oder auf hauseigene Programme zur Suchtprävention werden die Musikhochschulen auch in Zukunft wohl noch warten lassen. <
das Orchester 7-8.10
Bei Nervosität vor einem
Probespiel Betablocker:
ein guter Professorenrat?
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