DIE WELT (26.07.2016)

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DIENSTAG, 26. JULI 2016
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Eine Diät-Show geht
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Turin kauft Stürmer
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Die Geschichte der
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Nr. 173
KOMMENTAR
Zippert zappt
Mitten in
Deutschland
A
DPA/DANIEL KARMANN; SAT1
as neue Müllgesetz wird
das Leben in Deutschland extrem erleichtern.
Das Umweltministerium verschickt in den nächsten Tagen
eine 1200-seitige, dreibändige
Gebrauchsanweisung mit genauen Anweisungen, in welche
Tonne wir welchen Müll zu
treten haben. Allein dem Thema
Kleiderbügel sind insgesamt 80
Seiten gewidmet, denn der Kleiderbügel ist ein unberechenbarer Grenzgänger zwischen
Wertstoff, Restmüll oder Sperrmüll. Wurde er beispielsweise
zusammen mit einer neuen
Bluse erworben, gehört der
Bügel in die gelbe Tonne. Eine
schriftliche Bestätigung der
Bluse ist unbedingt beizulegen.
Wurde der Kleiderbügel dagegen aus Brotresten geformt,
gehört er natürlich in die Biotonne. Kleiderbügel der Firma
Manufactum dürfen überhaupt
nicht einfach so weggeworfen
werden. Bei ihnen muss man
zunächst mal überprüfen, ob es
sich nicht um schützenswertes
deutsches Kulturgut handelt. Zu
diesem Zwecke schickt man die
Bügel an das Kulturschutzministerium z. H. Frau Grütters.
Man kann sie aber auch gleich
zu „Bares für Rares“ bringen
und Horst Lichter übergeben.
B
Mit diesem Rucksack kam der
Attentäter zum Festival
Attentäter von Ansbach wollte
sich an Deutschen rächen
N
Flüchtling aus Syrien zündet Bombe im Zugangsbereich eines Musikfestivals. 15 Verletzte, Täter stirbt.
Drohvideo mit IS-Bezug. 27-Jähriger sollte ausgewiesen werden. Chemikalien in Asylunterkunft gefunden
ach
dem
Sprengstoffanschlag von Ansbach geht
die bayerische Regierung
von einem islamistischen
Hintergrund aus. Auf dem
Handy des Täters fanden Ermittler ein
Video, in dem dieser einen Terroranschlag „im Namen Allahs“ androhe, um
sich an Deutschen zu „rächen“, sagte
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Zudem habe er seine „Zugehörigkeit“ zum Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Abu Bakr alBaghdadi, bezeugt. Der Onlinedienst
Amaq, der als Sprachrohr für die IS-Miliz
auftritt, bezeichnete den Attentäter als
ihren „Soldaten“. Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in
einer ausländischen terroristischen Vereinigung.
VON DIRK BANSE, MANUEL BEWARDER
UND FREIA PETERS
Damit könnte es sich bei der Attacke
um den ersten Selbstmordanschlag in
Deutschland handeln, der dem IS zugerechnet werden kann. Bei dem Anschlag
im Zugangsbereich eines Musikfestivals
mit 2500 Besuchern wurden 15 Menschen
verletzt, vier davon schwer. Der Attentäter starb. Es handelt sich vermutlich um
einen 27-jährigen Flüchtling aus Syrien.
Bei der Durchsuchung seines Zimmers in
einer Flüchtlingsunterkunft stießen die
Beamten auf verschiedene Chemikalien,
die nach Einschätzung der Ermittler zum
Bau von Bomben geeignet sind.
Das Asylgesuch des Mannes war bereits vor zwei Jahren abgelehnt worden,
weil ihm in Bulgarien Schutz zugesprochen wurde. Die Abschiebung wurde bislang jedoch nicht vollzogen. Vor nicht
einmal zwei Wochen hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) in Nürnberg den Mann erneut
aufgefordert, Deutschland innerhalb von
30 Tagen Richtung Bulgarien zu verlassen. Bei der Durchsuchung seiner Asylunterkunft sei auch eine Fülle von Materialien gefunden worden, die zum Bau
weiterer Bomben geeignet gewesen wä-
ren, sagte Herrmann. Der Syrer habe
zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Er sei in psychiatrischer Behandlung gewesen.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte: „Bayern erlebt Tage
des Schreckens.“ Aufgrund der aktuellen
Serie von Gewaltattacken wurden zusätzliche Polizisten an Bahnhöfe und Flughäfen beordert. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, die Schleierfahndung in Grenznähe werde verstärkt. Er reagierte aber zurückhaltend
auf Forderungen nach schärferen Sicherheitsgesetzen. „Ich werde entsprechende
Änderungen anstoßen, wenn ich sie für
notwendig halte“, sagte der Innenminis-
ter. Zunächst werde auf Basis der aktuellen Rechtslage gehandelt – diese biete bereits umfassende Möglichkeiten. De Maizière versicherte, der Rechtsstaat in
Deutschland sei stark und bleibe stark –
sowohl im Bund als auch in den Ländern.
Die Sicherheitsbehörden würden alles
tun, damit sich solche schrecklichen Gewalttaten nicht wiederholen. „Eine absolute Sicherheit dafür gibt es aber nicht“,
sagte de Maizière: „Jeder Fall ist einer zu
viel.“ Er wolle mit den Amtskollegen in
den Ländern über mögliche Schlussfolgerungen beraten.
Mit Blick auf Forderungen nach einem
Einsatz der Bundeswehr im Inland sagte
de Maizière: „Für eine Änderung des
Vier Bluttaten innerhalb einer Woche
18. Juli Ein 17 Jahre alter afghanischer Flüchtling schlägt mit
einer Axt in einem Regionalzug
auf eine Touristenfamilie ein.
Zwei Menschen schweben in
Lebensgefahr. Polizisten erschießen den Täter auf der Flucht.
DEUTSCHLAND
24. Juli Ein 27 Jahre
alter syrischer Flüchtling
sprengt sich im Zugangsbereich zu einem Festival
in die Luft. Der Mann
stirbt, 15 Menschen werden verletzt.
Frankfurt
a.M.
Würzburg
TSCHECHIEN
Nürnberg
6
Ansbach
Stuttgart
FRANKREICH
Bayern
7
9
50 km
Reutlingen
8
BadenWürttemberg
München
ÖSTERREICH
22. Juli Ein 18 Jahre alter
SCHWEIZ
24. Juli Ein 21 Jahre alter syrischer Flüchtling tötet in einem
Döner-Imbiss eine 45 Jahre alte
polnische Kollegin mit einem
langen Messer, verletzt weitere
Passanten. Erst durch einen
Unfall wird er gestoppt.
Deutsch-Iraner
erschießt
Kartengrundlage:
© Mapbox © OpenStreetMap
vor einem Schnellrestaurant neun Menschen,
drei Schwerverletzte
schweben in Lebensgefahr.
Auf der Flucht tötet sich
der junge Mann selbst.
Grundgesetzes sehe ich keine parlamentarische Mehrheit.“ Aktuell komme es darauf an, auf Basis der geltenden Rechtslage zu handeln. Dazu gehöre ein möglicher
Bundeswehreinsatz
bei
besonders
schwierigen, andauernden Terrorlagen.
Er wehre sich dagegen, aufgrund der Vorfälle die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung infrage zu stellen. Er warnte vor
einem Generalverdacht gegen Flüchtlinge. Die ganz große Mehrheit komme nach
Deutschland, um hier in Frieden zu leben: „Das muss sauber getrennt werden.“
Innenminister Herrmann erklärte mit
Blick auf Ansbach sowie den Angriff eines
IS-Anhängers aus Afghanistan vergangene
Woche in Würzburg: „Wir müssen jetzt
alles dafür tun, dass solche Gewalt in unserem Land von Menschen, die als Asylantragsteller gekommen sind, nicht weiter
um sich greift.“ Der Innenminister kündigte Beratungen der CSU-Spitze dazu
an. Herrmann sagte der „Welt“: „Schon
bei der Erstkontrolle eines Flüchtlings
muss die Polizei so weit wie möglich dessen Identität klären. Wer ohne jedes Ausweispapier oder andere Identifizierungspapiere in unser Land kommt, der muss
erst einmal angehalten werden.“
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte einen strengen Umgang mit
straffälligen Ausländern: „Wer nach
Deutschland gekommen ist, auffällig
wird und das Gastrecht missbraucht,
darf nicht frei rumlaufen. Die Person
muss sofort abgeschoben werden oder –
wenn das nicht möglich ist – umgehend
unter Kontrolle untergebracht werden“,
sagte Scheuer. Der Schutz der Bevölkerung müsse an oberster Stelle stehen. Er
forderte zudem eine „Registrierungsrevision aller nach Deutschland gekommener Flüchtlinge“.
Berlins Innensenator Frank Henkel
(CDU) forderte eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Gewalt durch
Flüchtlinge. Es sei nachvollziehbar, dass
viele Menschen jetzt Angst hätten. „Wir
haben offenbar einige völlig verrohte
Personen importiert, die zu barbarischen Verbrechen fähig sind, die in unserem Land bislang kein Alltag waren.“
Siehe Kommentar, Seiten 2 bis 4 und 21
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DW-2016-07-26-zgb-ekz- 7dfaa3e425153ea42e614013e1600db1
TORSTEN KRAUEL
nsbach, Würzburg, Nizza:
Drei IS-Terrorangriffe in Europa binnen elf Tagen, darunter der erste IS-Selbstmordanschlag
in Deutschland – das lässt wenig
Zweifel übrig. Erstens: Der Islamische Staat hat wohl seine seit Längerem angekündigte Offensive mit Einzeltätern gestartet. Möglicherweise
eingeschleuste Schläferzellen werden
aktiv. Zweitens: Ein „Weiter so wie
bisher“ ist deshalb keine gute Politik.
Innenminister Thomas de Maizière
versichert zwar, die geltende Rechtslage sei wehrhafter als allgemein angenommen. Die geltende Rechtslage
hat aber auch nicht verhindert, dass
die Täter in Ansbach und Würzburg
unerkannt bis ans Ziel gelangten. Die
heutige Praxis schützt uns nicht genug: Dieses Gefühl kann sich in den
Sommerferien als beherrschender
Eindruck festsetzen.
Die ausführenden Täter sind seelisch Gestörte mit einer kriminellen
und/oder psychiatrischen Vergangenheit. Gesteuert werden sie von Fanatikern. Die Steuerung durch ein Netzwerk blieb in Würzburg und Ansbach
unentdeckt, obwohl beide Terroristen im Internet und auf Handys aktiv
waren. Unentdeckt blieb sogar der
Bombenbau des Ansbachers. Es ist
nicht leicht, ein schlüssiges Verdachtsbild zu erstellen. Zweimal aus
heiterem Himmel vom IS überrascht
zu werden macht jetzt aber harte
Konsequenzen nötig.
Bei IS-Tätern wird als Muster erkennbar, dass sie seit Langem seelisch labil, polizeibekannt und überdies Muslime sind. Die Behörden
kennen das Strafregister und die Religion, sie müssen auch von der Labilität wissen. Solche Menschen müssen
überwacht werden können. Das ist eine heikle Thematik, die die ärztliche
Schweigepflicht, das Verbot ethnisch-religiöser
Schleierfahndung
und etliches mehr berührt. Aber weiter wie bisher – das geht nicht.
Die Täter finden auch Wege, mit
ihren IS-Führungsoffizieren Kontakt
zu halten. Angesichts dessen gehört
das deutsche Verbot der anlasslosen
langfristigen Datenspeicherung sofort auf den Prüfstand. Was anlasslos
festgehalten worden ist und was mit
gutem Grund, weiß man nach einem
Anschlag sehr viel besser als vor ihm.
Der Staat braucht im begründeten
Verdachtsfall Daten über einen langen Zeitraum, um etwaige Verbindungen aufzudecken. IS-Schläfer tarnen sich, das wird ihnen beigebracht,
und sie nutzen vermeintlich sichere
Wege. Diese Wege dürfen nicht wegen eines Datenschutzes sicher sein,
der sinnvolle Prävention unter Verdacht stellt, statt einen Täterverdacht mit allen verhältnismäßigen
Mitteln aufzuklären.
Schließlich gehört auch die Flüchtlingspolitik in manchen Details auf
den Prüfstand. Wir müssen wissen,
wer da ist und wer kommt. Abschiebungen in Bürgerkriegsländer von
vornherein zu unterbinden erfordert
die eindeutige Klarstellung, dass dies
nur für gesetzestreue Flüchtlinge gilt.
Wenn es mit der Angriffsserie so weitergeht, muss die Gesetzestreue auch
durch die Überwachung der Schutzsuchenden festgestellt werden. Die
Briten haben das im Weltkrieg so gemacht; ein Schritt zur Diktatur wäre
eine solche Kontrolle nicht. Sie wäre
ein Schritt hin zum Bürgerschutz.
Wie es nach den vergangenen elf
Tagen aussieht, muss Europa mit weiteren Attacken rechnen. Die eingesetzten Mittel müssen sich dabei nicht
auf Handfeuerwaffen, Selbstbaubomben und Leihlastwagen beschränken.
Besonnenheit in der Bevölkerung ist
wichtig, um mit der Bedrohung umzugehen – aber den Schutz durch den
Staat ersetzt sie nicht.
[email protected]
ISSN 0173-8437
173-30
ZKZ 7109