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Smart Investor 7/2016 – Zu guter Letzt
The „Zeitgeist“ goes global
Von Fabian Grummes,
Redaktionsbüro Guangzhou
(China)
In Europa regiert König Fußball. Solange der Ball läuft, müssen andere Dinge zurückstehen bzw. bleiben unbeachtet. An sich wären
Ablenkungsevents wie die EM gar nicht mehr nötig. Zumindest in Deutschland nicht. Man stört sich ja nicht einmal daran, dass die
deutschen Balltreter ohne die eigenen Farben auflaufen. In wirklich wichtigen Fragen herrscht ohnehin betretenes Schweigen. Umso
bemerkenswerter wie das Ausland die Situation in Deutschland wahrnimmt.
So erregte beispielswiese der Protest einiger moslemischer Studenten an der FU Berlin für den Erhalt ihrer Gebetsräume die Gemüter
in den sozialen Medien in China. Sanfte Stimmen merkten an, dass dann aber doch bitte auch Hindus und Buddhisten eigene
Gebetsräume bräuchten. Hitzköpfigere forderten gar den Einsatz der Armee und ergingen sich in allgemeinen Hasstiraden. Womit
einmal mehr der latente Rassismus der Chinesen offenbar wurde. Wie man ihn auch jüngst in einem Werbespot für Waschmittel sah:
Eine hübsche Chinesin steckt einen sie antanzenden Schwarzen kurzerhand in die Waschmaschine und aus selbiger springt nach dem
Waschgang ein schöner Asiate. Der Spot sorgte seinerseits wiederum in den sozialen Netzwerken des Westens für Aufregung. Dass
das Werbefilmchen jedoch ein italienisches Vorbild hat, in dem ein schmalbrüstiger Italiener im Schiesser Feinripp durch den
Waschgang zu einen muskelgestählten Schwarzen wird, war keinen Aufreger wert. Es ist eben noch lange nicht dasselbe, wenn zwei
das gleich machen.
An sich aber haben die Chinesen andere Sorgen als Moslemproteste in Deutschland oder politisch korrekte Werbung. Dank
dramatischer Geldmengenausweitung sind die Preise in den (gefühlten) Galopp verfallen. Insbesondere das religiös so heikle
Schweinefleisch ist im wahrsten Sinne „sauteuer“ geworden. Dazu lässt der Umbau der chinesischen Wirtschaft selbige stottern, was
sich dann sogleich in geringerem Wachstum und weniger Arbeitsplätzen niederschlägt.
Traditionell beantworten Chinesen derartige Probleme mit einer besseren Ausbildung für ihre Kinder. Insofern war die diesjährige Gao
Kao („hohe Prüfung“) noch einmal wichtiger als sonst. Das gesamte Land war Anfang Juni im Ausnahmezustand. Zwei Tage
intensivster Prüfungen, die über das weitere Schicksal der 18- und 19-jährigen entschieden. Wer hier mit sehr guten Noten besteht,
dem stehen alle Wege offen. Wer versagt, dem bleiben in der Folge auch Karriere, Einkommen und oft genug sogar die
Familiengründung versagt.
Folglich beschloss Peking nun eine Abkehr von diesem schrecklichen Wettbewerbsdruck. Dieses Jahr war die Gao Kao erstmals nur
zwei anstatt drei Tage lang und künftig sollen nicht mehr nur harte Kernfächer wie Mandarin, Mathematik, Physik oder Englisch in die
Noten einfließen, sondern auch weiche Faktoren wie Kunst, Benehmen und soziales Engagement. Solange der Zeitgeist also auch im
fernen Osten weht, muss man sich im Westen nur bedingt sorgen. In wenigen Jahren wird auch China über Gendergerechtigkeit beim
Toilettengang debattieren, die Waschmittelwerbung wird dann nur mehr die korrekten Farbwaschgänge wählen und ständig steigende
Preise wird niemand mehr mit den Geldmengenausweitungen der Regierung in Verbindung bringen.
Fabian Grummes
(das aktuelle „Zu guter Letzt“ erhalten Sie als Abonnent des Smart Investor, unser nächstes Heft erscheint am 30.7.)
Quelle: http://www.smartinvestor.de/hintergrund/smart-investor-72016-the-zeitgeist-goes-global