cssa-news

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Chemie-Stiftung • Sozialpartner-Akademie
Editorial
Ein Balance-Akt
Liebe Leserinnen und Leser,
BALL-Pilotseminar: Instrumente für Work-Learn-Life-Balance
ein Freund erzählte mir kürzlich von einer
Hochzeitsfeier, die ihn aus dem folgenden
Grund beeindruckte. Während einer Partypause spielten die Kinder der Hochzeitsgäste draußen am See so viel Fußball (die
EM lief noch), als wäre es ein Trainings­
lager. Was ihn erstaunte: Jungs und Mädchen kickten ohne Probleme miteinander,
ja mitunter konnten die Mädchen geschickter mit dem Ball umgehen als die Jungs.
Undenkbar zu meiner Zeit, sagte er. Die
kleine Episode zeigt: Die Geschlechterrollen
wandeln sich. Frauen spielen so selbstverständlich Fußball, als hätten sie es immer
schon getan. Ein kleiner Rückblick macht
deutlich, wie schnell sich dieser Wandel
vollzog. Die erste Sozialpartner-Vereinbarung aus dem Jahr 1989 rückte noch die
„Frauenförderung in der chemischen Industrie“ in den Mittelpunkt. Die zweite
(„Für eine chancengleiche und familienbewusste Personalpolitik“) aus dem Jahr
2006 hob die Möglichkeiten hervor, die
sich für Unternehmen ergeben, wenn sie
vermehrt Frauen für Führungspositionen
qualifizieren. Jetzt rückt die SozialpartnerFachtagung am 13. September die „Partnerschaftliche Vereinbarkeit von Beruf und
Familie“ in den Mittelpunkt. Es hat sich
also viel getan. Dass noch viel zu tun bleibt,
ist keine Frage, wie jüngst auch das CSSAPilotseminar zur „Balance von Arbeiten,
Leben und Lernen (BALL)“ verdeutlichte.
Ihr Klaus-W. West,
Geschäftsführer der CSSA
Inhalt
Promotoren für Nachhaltigkeit
Start der Weiterbildung 2
Arbeit und Leben in Balance
Sozialpartnerfachtagung in Berlin
2
Väter müssen mitziehen
Interviews mit Sandra Laegner
und Rüdiger Koch
3
Haus der drei Generationen
Ida Schönherr im Gespräch
cssa-news 3/2016
4
Arbeiten, Leben und Lernen zu vereinbaren, scheint heute schwieriger denn je. Früher
war nach Schichtende Schluss, strömten die Beschäftigten nach Hause, gehörte
„Vati samstags mir“, wie es 1956 auf einem Mai-Plakat des DGB hieß. Entsprechend groß
war das Interesse am CSSA-Pilotseminar „Balance von Arbeiten, Leben und Lernen
(BALL)“ am 9. und 10. Juni in Hannover.
Die CSSA erhöhte sogar kurzfristig die Teil­ Smartphone oder Tablet, und für jeden er­
nehmerzahl von 16 auf 20, um die Nachfrage reichbar, auch in seiner Freizeit oder im Ur­
zu erfüllen. Warum das Pilotseminar so ge­ laub. Abschalten, buchstäblich, sagt sich
fragt war, hat viele Gründe. Allen voran leicht, doch viele tun sich schwer damit. Je­
steht der demografische Wandel und – doch, so wiesen Gronewold und Hiestand
damit verbunden – das The­
ma Gesundheit am Arbeits­
platz. Für Torsten Langen­
dörfer, stellvertretender Be­
triebsratsvorsitzender bei
einem Gummihersteller im
Saarland (1.200 Beschäftigte),
ist die „Alterung der Beleg­
schaft“ eine große Herausfor­
derung. Um die Nachwuchs­
sorgen zu mildern, „wollen
wir verstärkt angelernte
Mitarbeiter qualifizieren“,
betonte er. Er zeigte sich
überzeugt, dass „weiche
Die Referentinnen: Julia Gronewold (l.) und Stefanie Hiestand.
Faktoren“, wie flexible Ar­
beitszeitmodelle und Gesundheitsmaß­ hin: Vereinbarkeit ist auch eine individuelle
nahmen, künftig noch wichtiger werden als Sache. Der eine fährt am besten damit,
das Gehalt. Holger Altstadt, Betriebsrat bei wenn er Arbeit, Lernen und Privatleben
einem Reifenhersteller in Hessen (7.500 strikt trennt, der andere braucht eine ständige
Mitarbeiter in Deutschland), wollte heraus­ Überschneidung, um sich wohlzufühlen.
finden, „wie ich Arbeiten und Leben in Ein­ So wirken auch die Instrumente für eine
klang bringen kann“. Jens von Häfen, Be­ Balance bei jedem Mitarbeiter anders und
triebsratsvorsitzender eines Pharmaunter­ müssen dem Typ und seiner Lebensphase
nehmens aus Baden-Württemberg, angepasst werden.
bestätigte, dass auch bei ihnen im Betrieb
das Thema Burn-out sehr ernst genommen
wird. Gemeinsam mit der Belegschaft und Den vollständigen Bericht sowie die
der Geschäftsleitung bauen sie nun ein be­ ­Seminardokumentation finden Sie hier:
www.cssa-wiesbaden.de
triebliches Gesundheitsmanagement auf.
Hintergrund des Pilotseminars ist der
Was es so schwer macht, Arbeit, Leben und Chemie-Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit
Lernen unter einen Hut zu kriegen, erklärte und Demografie“, den die Chemie-SozialDr. Julia K. Gronewold, die das Seminar zu­ partner BAVC und IG BCE im Jahr 2012
sammen mit Dr. des. Stefanie Hiestand lei­ abschlossen. Die Chemie-Sozialpartner hatete: „Die Grenzen zwischen den Bereichen ben ihrerseits Materialien zur Umsetzung
Arbeiten, Privatleben und Lernen ver­ chancengleicher und familienbewusster
schwimmen immer mehr. Der Mensch ­Familienpolitik zusammengestellt:
steht in der Mitte, als ‚Grenzgänger‘ und BAVC: bit.ly/Vereinbarkeit
‚Jongleur‘, der versucht, die Bälle oben zu IG BCE: bit.ly/aktiveFrauen
halten.“ Man ist immer online, sei es per
1
In Kürze
„ Termine
13. September, Berlin
Sozialpartner-Fachtagung: „Arbeit und
­Leben in Balance – Herausforderung und
Chance“: bit.ly/Arbeit-und-Leben
21. September, Wiesbaden
5. CSSA-Länderseminar: „Arbeitsbeziehungen in Spanien“. Den Seminarflyer gibt es
hier: bit.ly/Länderseminar_Spanien
Kontakt: Christine Kolodzyck,
Tel.: 0611-970098-0.
„ Neu im Team der CSSA
Andreas Matzke ist seit 1.
Mai im Team der CSSA. Er
unterstützt die neue CSSAInitiative InnovA (Innovative Arbeitswelten in der
chemischen Industrie). Er
hat zuvor in Deutschland und Indien in der
Führungskräfteentwicklung, der Organisationsberatung und Gesundheitsförderung
in KMU gearbeitet. Matzke hat Philosophie,
Psychologie und interkulturelle Wirtschaftskommunikation in Jena sowie Betriebswirtschaft in Heidenheim studiert.
„ Diversity: Frauen bringen mehr Profit
Je mehr Frauen ein Unternehmen in die
mittlere und obere Leitungsebene holt, desto ertragreicher ist es. Das zeigt eine Studie
des Washingtoner Peterson Instituts. Die
einfache Formel: Steigt der Anteil weiblicher
Führungskräfte von Null auf 30 Prozent, so
wächst die Profitabilität um 15 Prozent. Entscheidend sind vor allem die Vorstands- und
die darunterliegende Ebene. Die Forscher
vermuten, dass Frauen hier Kompetenzen
einbringen, die der Firma sonst fehlen würden. Die Studie „Is Gender Diversity Profit­
able? Evidence from a Global Survey“ gibt
es hier: www.cssa-wiesbaden.de.
„ Stilles Wissen
Wissenstransfer benennen Unternehmen als
eins der großen Themen des demografischen Wandels. Viele erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in absehbarer Zeit die Unternehmen verlassen, weil sie
in den Ruhestand treten. Wie sie ihr „stilles
Wissen“ an Kollegen weitergeben können
und wie Unternehmen Verluste am „Unternehmensgedächtnis“ vermeiden, thematisiert die CSSA in einem Sondernewsletter
zum Thema Wissenstransfer. Er erscheint
im 2. Halbjahr dieses Jahres.
2
Promotoren für Nachhaltigkeit
Start der Weiterbildung im Rahmen von Chemie3
Sie sollen im Unternehmen Nachhaltigkeit voranbringen, Projekte initiieren und auch die Beschäftigten dafür gewinnen. Neun Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus fünf Chemieunternehmen haben Ende Juni mit der wissenschaftlichen Weiterbildung „Promotor für Nachhaltigkeit und Innovation (FH)“ begonnen.
auch kleinen und mittelständischen Unter­
nehmen zu verankern. Hintergrund sind die
Nachhaltigkeitsinitiative Chemie3 der chemi­
schen Industrie und die zwölf „Leitlinien zur
Nachhaltigkeit für die chemische Industrie in
Deutschland“. In den kommenden 18 Mona­
ten stehen bei den Absolventen Themen wie
Nachhaltigkeit und Innovation, nachhaltige
Zukunft – gutes Leben und gutes Arbeiten,
Globalisierung und ihre Auswirkungen, Men­
schenrechte sowie Nachhaltigkeit in Wirt­
PNI ist ein unternehmensorientiertes, wis­ schaftsunternehmen auf dem Programm. Ein
senschaftliches Qualifikationsangebot der So­ zweiter Durchgang beginnt mit dem Basis­
zialpartner der Chemiebranche und der modul am 12. – 13. September 2016.
Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birken­
feld. Das Ziel ist, das Themenfeld „Nachhaltige
Weitere Informationen und Anmeldung:
Entwicklung & Innovation“ im jeweiligen Un­
www.promotor-nachhaltigkeit-innovation.de
ternehmensalltag von global agierenden, aber
Arbeit und Leben
in Balance
Werte, Kriterien
und Indikatoren
Mehr Menschen, egal ob Frau oder Mann,
wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von
Beruf und Familie. Die Chemie-Sozialpartner
IG BCE und BAVC machen daher „Arbeit und
Leben in Balance“ bei ihrer SozialpartnerFachtagung zum Thema.
Nachhaltigkeit ist ein schillernder Begriff, in
dem sehr unterschiedliche Vorstellungen und
Konzepte aufeinandertreffen. Mit einer Indikatorenpolitik lassen sich oft unausgewiesene
Werte, Kriterien und Indikatoren klären.
Sie findet am 13. September in Berlin statt und
knüpft an die Sozialpartner-Vereinbarung „Für
eine chancengleiche und familienbewusste
Personalpolitik“ aus dem Jahr 2006 an. Die
Tagung will nun neue Akzente setzen. Bundes­
familienministerin Manuela Schwesig be­
schreibt in einem Impulsvortrag die aktuellen
familien- und frauenpolitischen Schwerpunk­
te. Margret Suckale, Präsidentin des BAVC,
und Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG
BCE, Kathrin Menges, Vorstandsmitglied, und
Yvonne Jones, Betriebsrätin der Henkel AG &
Co. KGaA, diskutieren Chancen und Heraus­
forderungen vor dem Hintergrund einer ver­
änderten Lebens- und Arbeitswelt. Zum Ab­
schluss skizziert Dr. Klaus-Peter Stiller, Haupt­
geschäftsführer des BAVC, „die Agenda für
eine neue Chancengleichheit“.
Weitere Informationen zur Fachtagung und
wo Sie sich anmelden können, finden Sie
hier: bit.ly/Arbeit-Leben
Der Technikphilosoph Christoph Hubig,
Professor an der TU-Darmstadt, hat für die
CSSA ein indikatorenpolitisches Konzept
entwickelt, das Akteuren in Wirtschaft und
Gesellschaft erlaubt, überzeugender und wir­
kungsvoller auf der Grundlage ihrer Werte
zu handeln. In der Chemiebranche sind dies
Arbeitgeber, Gewerkschaft und Betriebsräte,
die sich an dem grundlegenden Wert der So­
zialpartnerschaft orientieren. Indikatorenpo­
litik klingt theoretisch, bezeichnet aber etwas
Praktisches. Sozialpartnerschaft wird an­
schaulicher und effektiver, wenn sie in Krite­
rien und Indikatoren übersetzt wird. So er­
geben sich Zugänge zu praktischen Fragen
der Nachhaltigkeit in den Unternehmen.
Etwa: Was bedeutet Gesundheit konkret im
Alltag? Wie lässt sich der Anspruch auf Wei­
terbildung realisieren? Der Autor sagt: Werte,
Kriterien und Indikatoren dürfen sich nicht
widersprechen. Und: Die Lösungen „sind
nicht irgendwie objektiv gegeben, sondern
müssen von den Sozialpartnern ausgehan­
delt werden“.
cssa-news 3/2016
„Keine Gesundheit ohne Vereinbarkeit“
Rüdiger Koch über das Megathema Pflege und das Verhältnis von Gesundheit und Vereinbarkeit
Herr Dr. Koch, Sie waren viele Jahre freigestellter Betriebsratsvorsitzender bei der
Merz Pharma KGaA, einer Ihrer Arbeitsschwerpunkte war die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Was hat sich in Sachen Vereinbarkeit seitdem geändert?
Wir haben im Jahr 2002 im Betriebsrat an­
gefangen, das Thema überhaupt zu entwi­
ckeln. Verglichen mit damals, ist das The­
ma Vereinbarkeit heute viel selbstverständ­
licher geworden. Sie verblüffen heute
niemanden mehr, wenn Sie als Unterneh­
men sagen, wir kümmern uns um die Ver­
einbarkeit von Beruf und Familie. Neu ist
vielleicht, dass es jetzt nicht mehr nur um
die Unterstützung von Frauen und Familie,
sondern allgemeiner um die Vereinbarkeit
von Beruf und Privatleben geht und zuneh­
mend auch andere Zielgruppen, wie Män­
ner und Ältere, berücksichtigt werden.
Was sind hier für Sie die zentralen Themen?
Die Kinderbetreuung war und ist natürlich
wichtig. Ein großes gesellschaftliches The­
ma ist die Pflege, gleichwohl bleibt es in
den Betrieben eher unsichtbar. Neu dazu­
gekommen ist sicher das Bewusstsein für
Gesundheit, weil sich die Arbeit in den ver­
gangenen zwei Jahrzehnten sehr stark ver­
ändert hat. Sie ist viel schneller, globaler
und vielfach auch belastender geworden,
die Beschäftigten müssen mehr Flexibilität
zeigen. Wenn ich diese gestiegenen beruf­
lichen Anforderungen auch noch mit mei­
nem Privatleben vereinbaren will, dann
muss ich zu allererst gesund sein. Für
mich gilt daher: keine Vereinbarkeit ohne
Gesundheit, aber auch keine Gesundheit
ohne Vereinbarkeit.
Was macht Merz konkret, damit seine Beschäftigten zum Beispiel Beruf und die Pflege von Angehörigen vereinbaren können?
Merz führt seit vielen Jahren das „Kompe­
tenztraining Beruf und Pflege“ zusammen
mit zehn anderen Firmen durch. Hinter­
grund war damals das Frankfurter Bündnis
für Familien, das im Jahr 2005 gegründet
wurde und die Initiative „Lokale Bündnisse
für Familie" des Bundesfamilienministeri­
ums aufgriff. Bei dem Training handelt es
sich um eine Reihe von vier bis sechs
Seminaren à drei Stunden. Diese Seminar­
reihe wird zweimal im Jahr angeboten. Es
geht um Themen wie Demenz, Alter und
Depressionen oder wie gehe ich mit Trauer
und Tod um. Und um finanzielle und
rechtliche Aspekte. Es gibt aber auch ganz
praktische Tipps: Wie pflege ich? Auch
wenn diese Seminare nur für einen kleinen
Teil der Beschäftigten Platz bieten, darf
man ihre Wirkung nicht unterschätzen. Sie
tragen dazu bei, dass das Thema Pflege im
Unternehmen kein Tabu mehr ist.
Dr. Rüdiger Koch, Biochemiker, zuletzt freigestellter Betriebsratsvorsitzender bei Merz
Pharma in Frankfurt
am Main, 67 Jahre alt,
für die IG BCE lange
auch Mitglied im Sozialpartner-Arbeitskreis sowie aktiv in der
Initiative Gesundheitsindustrie Hessen
(IGH). Das Interview in voller Länge:
www.cssa-wiesbaden.de
„Ohne die Väter funktioniert es nicht“
Sandra Laegner über Elternzeit, Life-Balance und mehr Frauen in Führungspositionen
Frau Laegner, wie halten Sie es mit der Vereinbarkeit von Arbeiten und Leben?
Ich gebe gern zu, dass es Zeiten gegeben hat,
wo ich das Thema nicht so sehr ernst genom­
men habe. Heute sieht das anders aus. Mir ist
die Life-Balance sehr wichtig, besonders die
Flexibilität in der Arbeitszeit.
Geht es nur Ihnen so oder auch Ihrem Partner, anders gefragt: Ist Vereinbarkeit Frauenoder auch Männersache?
Für mich betrifft das ganz klar Frauen und
Männer gleichermaßen. Hier kann man si­
cher feststellen, dass sich in den vergangenen
Jahren einiges verändert hat. Die Männer ge­
Sandra Laegner ist
heute Head of Local
HR Center of Expertise
bei Boehringer Ingelheim, zuständig unter
anderem für Diversity
& Inclusion und Betriebliches Gesundheitsmanagement. Das Interview in voller
Länge: www.cssa-wiesbaden.de
cssa-news 3/2016
hen arbeiten und die Frauen kümmern sich
um die Familie – dieses klassische Rollenmo­
dell hat ausgedient. Wir stellen fest, dass die
Life-Balance für beide Partner sehr wichtig ist.
Männer wollen sich heute genauso wie ihre
Frauen um die Familie kümmern.
Wie steht es um die Life-Balance in Ihrem Unternehmen?
Nehmen wir die Elternzeit. Wenn Nach­
wuchs da ist, geht inzwischen ein Drittel aller
Männer und zwei Drittel der Frauen in El­
ternzeit. Hier haben die Männer stark aufge­
holt. Sicher könnten noch mehr Männer die
Elternzeit nutzen, wir sind aber auf einem
guten Weg. Das zeigt sich auch an der Dauer.
Die Männer nehmen bislang zwischen ei­
nem und zwei Vätermonaten, aber sie gehen
mehr und mehr auch länger in Elternzeit.
Umgekehrt stellen wir bei den Frauen fest,
dass die Dauer ihrer Elternzeit stark zurück­
geht. Das heißt, die Frauen kehren nach der
Geburt eines Kindes sehr schnell wieder an
ihren Arbeitsplatz zurück, sei es in Teil- oder
Vollzeit. Erstaunlich ist auch, dass mehr Frau­
en sofort wieder voll arbeiten. Für uns ist das
ein deutliches Zeichen, dass sich ihre Partner
stärker um die Familie kümmern und ihre
Frauen mehr entlasten, als es Väter in der
Vergangenheit getan haben.
Was sind für Sie die wichtigsten Zielgruppen
in Sachen Vereinbarkeit?
Das sind einmal hoch qualifizierte Frauen
und weibliche Führungskräfte. Hier geht es
vor allem um Gender-Balance, also darum,
dass mehr Frauen in Führungspositionen
gelangen. Das hat sehr viel mit Life-Balance
zu tun. Wer mehr Frauen in Führungsposi­
tionen will, muss ihnen auch Möglichkeiten
bieten, Beruf und Familie unter einen Hut
zu bekommen. Es betrifft natürlich auch die
Väter. Sie spielen für uns eine zentrale Rolle
dabei, mehr Frauen für Führungspositionen
zu gewinnen und zu qualifizieren. Um es
klipp und klar zu sagen: Ohne die Väter
funktioniert das nicht. Schließlich sind auch
die Führungskräfte eine wichtige Zielgruppe.
Zum einen sind sie Vorbilder und zum an­
deren berührt das Thema Vereinbarkeit
auch die Frage, wie in Unternehmen geführt
wird, also die Führungskultur.
3
Haus der „drei Generationen“
ESSC: ein Gespräch mit Betriebsrätin Ida Schönherr
Ein Haus, eine schnell wachsende Belegschaft und „drei Generationen“ an Beschäftigten mit
sehr unterschiedlichen Einstellungen und Ansprüchen – das ist das European Shared Service
Center (ESSC) der BASF in Berlin. Wie ist Sozialpartnerschaft unter diesen Bedingungen
möglich? Ein Gespräch mit Ida Schönherr, Betriebsratsvorsitzende des ESSC, über praktische Herausforderungen der Sozialpartnerschaft.
Sie fragen vor allem danach: „Was bekomme
ich?“ Viele von ihnen stellen sich ihre Karrie­
re wie einen Lift vor: Es geht praktisch auto­
matisch nach oben.
Betriebsrätin Ida Schönherr
Das European Shared Service Center (ESSC)
der BASF in Berlin beschäftigt heute 1.200
Mitarbeiterinnen. Mehr als zwei Drittel der Be­
legschaft sind Frauen. Das ESSC erledigt zen­
tral für 216 Gesellschaften der BASF alle Fi­
nanzdienstleistungen (Rechnungsein- und
-ausgang, Mahnwesen, Controlling), ferner al­
les, was Human Resources betrifft (Recruiting,
Training, Personalentwicklung). Das ESSC ist
ein „junges Haus“, sagt Ida Schönherr, das
Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren.
Den Betriebsrat führen eine Vorsitzende und
zwei Vertreterinnen. „Ein Solitär bei der
BASF“, sagt Ida Schönherr. Sie hat im Jahr
2005 als Assistentin der Geschäftsführung bei
der BASF angefangen. Als die BR-Wahlen ein
Jahr später anstanden, entschloss sie sich zu
kandidieren – und wurde auf Anhieb gewählt.
Damals beschäftigte das Center gerade 90
Menschen. Von ihnen sind heute noch 30, also
ein Drittel der Startbelegschaft, beim ESSC.
In der stark gewachsenen ESSC-Belegschaft
gibt es sehr unterschiedliche Anspruchshal­
tungen. Ida Schönherr ordnet sie „drei Gene­
rationen“ zu.
Die Aufbaugeneration. Sie hat den Start und
das Wachstum des Unternehmens miterlebt
und verhält sich bei diesen Themen unkom­
pliziert. Von den Mitarbeiterinnen und Mitar­
beitern des Jahres 2005 sind heute noch 30
dabei. Und: Diese Startgeneration hat gute
Karrieren gemacht.
Die mittlere Generation. Die Mehrzahl der
Beschäftigten. Sie sehen die Dinge naturge­
mäß anders. Sie sind stark von dem geprägt,
was Schönherr „Sterntaler“-Mentalität nennt.
4
Die dritte Generation. Sie ist seit etwa ein bis
zwei Jahren beim ESSC. Es ist die sogenannte
„Generation Y“, die zwischen 1980 und 2000
geboren wurde. Sie charakterisiert Ida Schön­
herr so: Sie sind engagiert bei der Arbeit, aber
nicht so stark auf die Karriere fixiert. Sie ha­
ben ein starkes Interesse an einer Balance
zwischen Beruf und Leben.
Solche generationsspezifischen Einstellun­
gen sind auch bei Themen wie „Respekt“ in
Arbeitsbeziehungen anzutreffen. Die Aufbau­
generation ist der Auffassung: „Respekt tut
der Firma gut.“ Die „Sterntaler-Generation“
reagiert empfindlicher, sie hält schnell vieles
für respektlos. Die Generation Y sagt: „Mir
reicht die Information.“
Agierender Betriebsrat
Wie stellt sich der Betriebsrat diesen Heraus­
forderungen? Nicht nur mit großen Betriebs­
versammlungen. Er wirkt auch an einer sozi­
alpartnerschaftlichen Institution beim ESSC
mit, die „Meet the Management“ (MtM)
heißt. Viermal im Jahr haben die Beschäftig­
ten die Gelegenheit, die Führung des Unter­
nehmens persönlich zu sprechen. Das gilt
auch für neue Mitarbeiterinnen und Mitar­
beiter, denn das ESSC wächst weiter. Beim
MtM stellt sich das komplette Management
den „Neuen“ vor.
Was kann ein Betriebsrat angesichts dreier
„Generationen“ im Betrieb für eine erfolgrei­
che Sozialpartnerschaft tun? Ida Schönherr
sagt: „Eine Drei-Generationen-Belegschaft,
wie wir sie im ESSC haben, bedeutet Vielfalt,
die gemanagt werden muss. Dafür sind Ver­
ständigung, Übersetzung und Vertrauen be­
sonders wichtig.“ Sozialpartnerschaft hat für
sie auch eine alltägliche praktische Dimensi­
on: „Ich gehe mit anderen so um, wie ich
wünsche, dass mit mir umgegangen wird.“
Dazu gehört, dass man Argumente anderer
gelten lässt, den Konsens sucht – auch und
gerade, weil es Differenzen gibt. Und natür­
lich Offenheit und Unvoreingenommenheit.
In Kürze
„ Arbeitsbeziehungen in Spanien
Das fünfte Seminar der CSSA-Länderreihe
befasst sich mit den „Arbeitsbeziehungen in
Spanien“. Es findet am 21. September 2016
in Wiesbaden statt. Der spanische Rechtsanwalt Talmac Bel Geronés stellt die Grundzüge des spanischen Arbeitsrechts dar. Der Arbeitssoziologe Dr. Wilfried Kruse untersucht
die Industriebeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Spanien. Und
über ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Spaniern berichten Daniel Jost, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der Chemischen Fa­
brik Budenheim, und Juan Carlos Guzmán,
von Evonik Espana y Portugal. Den SeminarFlyer gibt es hier. Anmeldungen bei:
christine.kolodzyck(a)cssa-wiesbaden.de
„ Nachhaltigkeit und Anthropozän
BAVC, IG BCE und VCI entwickeln derzeit
mit der Initiative Chemie3 Fortschrittsindikatoren für eine nachhaltige Entwicklung.
Seit der Industrialisierung ist der Mensch
zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren
auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse der Erde geworden. Dieser „Anthropozän-Diskurs“ schafft
in Universitäten und Museen neue, zumeist industriekritische Wortbilder. Die
CSSA hat gemeinsam mit Dirk Matejovski,
Professor am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, diese Bilder untersucht. Die Ergebnisse der Studie veröffentlicht die CSSA in den nächsten Wochen.
„ Ihre Wahl: gedruckt oder digital?
Wie wollen Sie Ihre „cssa-news“: per Post
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Datei? Die digitale Variante ist natürlich
umweltfreundlicher, für Sie schneller und
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Impressum
Chemie-Stiftung Sozialpartner-Akademie –
eine Initiative der Chemie-Sozialpartner BAVC
und IG BCE
Kreuzberger Ring 70, 65205 Wiesbaden
Tel.: 0611 - 970098 - 0, Fax: 0611 - 970098 - 16
[email protected], www.cssa-wiesbaden.de
Verantwortlich: Dr. Klaus-W. West
Redaktion: Dirk Dietz, textmanufaktur
Fotos: Dirk Dietz (Seite 1), IG BCE (Seite 2),
Schönherr (Seite 4)
Gestaltung: www.grafikbuero.com
Wiesbaden, Juli 2016
cssa-news 3/2016