Die Morgenandacht

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Die Morgenandacht
Montag bis Samstag, 5.55 Uhr (NDR Info) und 7.50 Uhr (NDR Kultur)
25. - 30. Juli 2016: „Religion und Krimi“
Susanne Briese, Rotenburg (Wümme)
Religion und Krimi sind wie ungleiche Geschwister, sagt Susanne Briese und erzählt dazu
von sechs sehr unterschiedlichen Kriminalgeschichten.
Redaktion: Claudia Aue
Evangelische Kirche im
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Redaktion Kiel
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Montag, 25. Juli 2016
Gehören Sie auch zu den Menschen, die sich für den Urlaub Bücher einpacken? Ich genieße es, in der freien Zeit gemütlich zu lesen. Am liebsten Krimis und zwar diejenigen, bei
denen das Ermitteln und nicht das Verbrechen im Vordergrund steht.
Dabei entdecke ich immer wieder: Krimis und Religion haben viel Gemeinsames. Zum
Beispiel in Urs Schaubs Roman „Wintertauber Tod“. Simon Tanner, einst im Polizeidienst,
hat sich in ein kleines Dorf an der deutsch-französischen Sprachgrenze zurückgezogen.
So wird es in dem Roman geschildert. Mit seiner etwas schwierigen Vergangenheit will er
nichts mehr zu tun haben. Und doch muss er noch einmal gegen das Böse ausziehen.
Denn eines Morgens finden sich an den meisten Haustüren des Orts geheimnisvolle Zeichen. Er stellt fest: dies sind Buchstaben, die mit dem Blut verschwundener Katzen geschrieben wurden. Anfangs ist die ganze Geschichte schleierhaft. „Ich brauche sofort eine
Bibel. Mensch, sucht eine Bibel!“ ruft Tanner. Er versucht, den Hintergrund zu verstehen:
warum sind nicht alle Türen des schweizerischen Dorfes mit Blut beschmiert worden? In
der Bibel wird die Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten erzählt. Darin
werden diejenigen geschützt, deren Türen mit einem Blutzeichen beschmiert wurden.
Doch was wird mit den Bewohnern der sieben Häuser geschehen, an deren Eingängen
die Buchstaben fehlen? … Bald weiß man es, denn es sterben die ersten Menschen. Wie
sich herausstellt, handelt es sich um eine Rache für ein zurückliegendes Unrecht. Und
auch die Botschaft wird bald entschlüsselt, als Tanner einen Fachmann hinzuzieht. Und
die ist beunruhigend.
Aber entdeckt habe ich hier, dass Krimis und Religion manchmal zusammenhängen wie
zwei ungleiche Geschwister. Immer wieder trifft man als Leserin auf mehr oder weniger
religiöse Bezüge. Das bringt die Bibel und ihre Themen ins Spiel. Dabei gilt: Die Gewalt
hat in der Bibel nie das letzte Wort, sondern Jesus Christus steht mit seiner Friedensbotschaft im Zentrum. „Selig sind, die Frieden stiften“, sagt er. Aber das gilt ja letztlich auch
für Kommissare.
Dienstag, 26. Juli 2016
Als echter Krimi-Fan habe ich natürlich auch hin und wieder Wiederholungen von Gilbert
Keith Chesterton`s „Father Brown“ gesehen - besser gesagt: Pater Brown - verfilmt mit
Heinz Rühmann. Das ist lange her. Die Geschichten um Father Brown, katholischer Priester, waren so erfolgreich, dass eine ganze Reihe von seinem detektivischen Spürsinn
handelt. Pater Brown ist eine Art „Hobby-Detektiv“, der die Fälle auf seine ganz eigene
Weise löst. Auf die eindringliche Frage, nach welcher Methode er vorgeht, antwortet Pater
Brown in „Das Geheimnis des Pater Brown“: „Nun sehen Sie, ich selbst habe alle diese
Leute umgebracht…, ich habe jedes Verbrechen genau überlegt und geplant. Ich habe mir
genau ausgedacht, wie so etwas wohl angepackt werden müsste, in welcher Verfassung
ein Mensch wohl sein müsste, der wirklich zu solch einer Tat fähig ist. Und wenn ich ganz
sicher war, dass ich mich völlig in den Mörder hineingefühlt hatte, dann wusste ich natürlich auch, wer der Mörder gewesen war.“ Und so löst er die Fälle mit Intuition, Menschenkenntnis und zuweilen auch Humor. Er ist geschickt darin, hinter die Kulissen zu schauen.
Er kennt sich aus im Leben, kennt das Böse und ist trotz allem vom guten Wirken Gottes
überzeugt. Es geht ihm allerdings nicht in erster Linie darum, die Verbrecher vor den Richter zu bringen. Es geht ihm darum, Dinge klar zu bekommen und die Wahrheit herauszufinden. Er appelliert an das Gewissen, versucht, die Menschen im Inneren zu erreichen.
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Und wenn der Täter einmal dem irdischen Gericht entkommt – dem Jüngsten Gericht entkommt er nicht. So viel ist für Pater Brown sicher.
Die Bezüge zwischen Kriminalliteratur und Religion liegen hier in der Figur des Geistlichen, der als Ermittler auftritt, auf der Hand. Und wenn ich noch genauer hinschaue, entdecke ich weitere Berührungspunkte. Pater Brown weiß um die Gerechtigkeit Gottes, die
höher ist und tiefer blickt als irdische Gerichte es können. „Selig sind, die da hungert nach
der Gerechtigkeit. Denn sie sollen satt werden“, verspricht Jesus. So soll es sein.
Mittwoch, 27. Juli 2016
Ich lese sehr gern Krimis. Und ich bin Theologin, daher fallen mir immer mal wieder Parallelen zwischen Krimis und Religion auf. Manchmal sind es biblische Zitate, religiöse Redewendungen, religiöse Schauplätze oder kirchliche Institutionen, die in einen Krimi eingebaut werden. Aber auch eine religiöse Praxis wie das Gebet.
In einem der Krimis von Hakan Nesser mit Kommissar Gunnar Barbarotti spielt das Gebet
eine Rolle. Als der Kommissar von seiner Ehefrau Helena verlassen wird, macht er einen
Deal mit Gott. Im Roman „Mensch ohne Hund“ erzählt Nesser zunächst von den tragischen Kindheitserlebnissen des inzwischen 41jährigen Kommissars. Gunnar Barbarotti
meint jetzt: Wenn Gott tatsächlich existierte, dann bestünde eine seiner wichtigsten Aufgaben darin, den Gebeten der armen Menschheit zu lauschen. Diese müsse Gott soweit
erhören, wie es angemessen erschien. Gunnar Barbarotti seinerseits konnte sich nicht
daran erinnern, ein einziges Mal in seinem Leben erhört worden zu sein. „Tatsächlich?“,
hatte Gott erwidert. „Und wie viele Gebete hast du reinen, ernsten Herzens zu mir herauf
geschickt, du agnostische Kanaille?“ Barbarotti musste zugeben, dass er darüber keinen
genauen Überblick hatte, aber so schrecklich viele konnten es nicht gewesen sein.
Ein Kommissar lernt beten. Kann man das überhaupt? Ich glaube: Ja, das funktioniert, da
bin ich mir sicher. Am besten natürlich gemeinsam mit anderen Menschen, in einer Andacht zum Beispiel. Aber auch im „stillen Kämmerlein“, wie es bei Kommissar Barbarotti
der Fall ist. Im Gebet wendet sich der Mensch an Gott - er dankt, bittet oder beklagt seine
Trauer oder seine Zweifel. Es müssen noch nicht einmal vollständige Sätze, gar Worte
sein.
Kommissar Barbarotti hat diese Erfahrung gemacht. Nach kurzer Zeit konnte er es schon
nicht mehr leugnen: Mehr und mehr eröffnete sich ihm der Blick für das Gute, das Gott ihm
schenkte. Er hatte – ganz wie es seine Art war— eine Art Punktekonto erstellt. Und Gottes
Punktestand erhöhte sich auf dieser Liste.
„Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“; sagt Jesus. So ist
es.
Donnerstag, 28. Juli 2016
Darf ein Christ lachen? – Selbstverständlich, die Frage stellt sich für mich eigentlich nicht.
Aber als Krimileserin erinnere ich mich an Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“.
Darin war das Lachen in einem Kloster ein lebensgefährliches Problem. Religiöse Elemente im Krimi können ja sehr verschieden sein. Entweder sind sie austauschbar oder religiöEvangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche
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se Hintergründe spielen geradezu eine tragende Rolle. Wie zum Beispiel eben in Umberto
Ecos großartigem Roman „Der Name der Rose“.
Das ist eine sehr interessant erzählte Kriminalgeschichte mit historischen Zügen. Sie spielt
1327. Bruder William von Baskerville hat den Auftrag, in einer Abtei in Appenin eine Versammlung zwischen den ketzerischen Minoriten und Abgesandten des Papstes vorzubereiten. Er macht sich gemeinsam mit seinem Assistenten auf den Weg. Vor Ort allerdings
beschäftigen sie plötzlich ganz andere Dinge: Mehrere Mönche kommen auf rätselhafte
Weise ums Leben. Einer nach dem anderen wird tot entdeckt, keiner weiß, was geschieht,
das Entsetzen ist groß. Bruder William geht den Dingen nach. Er entdeckt geheime Schriften und findet schließlich den Mörder. Alles hängt damit zusammen, dass die Seitenränder
eines Buches mit einer giftigen Substanz bestrichen wurden. Wer sie umblättert und danach seinen Daumen und Zeigefinger kurz mit der Zunge benetzt, erleidet unweigerlich
den Tod. Niemand sollte nämlich das einzige Exemplar des zweiten Buches der aristotelischen Poetik lesen. In diesem wird das Lachen gelobt. Doch Mönch Jorge Burgos ist fest
davon überzeugt: Wer lacht, sündigt auch. Wer lacht, begehrt auf gegenüber Autoritäten.
Und dafür wurde er zum Mörder. Eine folgenreiche Fehleinschätzung des Mönches. Freude und Lachen gehören zum Leben und zum Glauben hinzu. Sie drückt sich aus in Worten, Gesang und Tanz. Paulus bezeichnet die Freude als „Frucht des Geistes“. Wer befreit
aufatmen kann, der lacht auch dankbar seine Freude heraus.
Trotzdem – der Krimi war eine spannende und interessante Lektüre.
Freitag, 29. Juli 2016
Manchmal wird das Böse in seiner grausamsten Form beschrieben. Dann bin ich als Krimileserin erschrocken. Da bricht das Grauen in den Alltag ein. Die Krimi-Kommissarin Irene Huss aus Göteborg wird zum Beispiel eines Tages gerufen, um den Tod in einem
Pfarrhaus aufzuklären. Die Schriftstellerin Helene Tursten beschreibt in ihrem Kriminalroman, dass ein Pastor und seine Ehefrau ermordet aufgefunden werden, wie kurz zuvor
schon deren Sohn. Der Pfarrer hatte sich in der Aufklärung über satanische Gruppen engagiert und sie bekämpft. Doch mehr und mehr verflüchtigen sich diese Verdachtsmomente. Die Kommissarin entdeckt stattdessen, dass die schrecklichen Taten durch angesehene, scheinbar völlig unbescholtene Bürger begangen worden sind. Das Böse kommt in
Tarnung eines Durchschnittsbürgers daher, nicht als Teufel mit Pferdefuß. Und das erschreckt noch mehr. Wie kann es dazu kommen, dass Menschen, die einerseits am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, ohne besonders aufzufallen, plötzlich gewalttätig und
grausam werden? Nicht nur im Krimi, sondern auch in der Theologie wird dieser Frage
nachgegangen. Dass der Mensch in der Lage ist, sich für das Böse zu entscheiden, erzählen schon berühmte biblische Beispiele. Ich denke nur an Kain und Abel im grausamen
Brudermord. „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“ beten
wir im Vater unser. Die Ereignisse im Krimi entwickeln sich vom Bösen zu dessen Überwindung bis die Gerechtigkeit wieder aufgerichtet wird. Das weist auf eine strukturelle Parallele zwischen Krimi und Religion hin. Die Dunkelheit wird vom Licht verdrängt, die ermittelnde Kommissarin oder der Kommissar stellen sich dem Bösen entgegen. Auch, wenn
das nur das Hintergrundmuster ist, da nicht jeder Krimi mit einem guten Ausgang abschließt. Doch allemal ist es gut, dass es Menschen gibt, die sich für die Gerechtigkeit einsetzen –dafür, dass sie wieder gewonnen wird. Und das ist gut so. Im Krimi und im wahren
Leben.
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Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.
Samstag, 30. Juli 2016
„Religion sells“ – Religion im Krimi verkauft sich gut. Religion und Krimi sind wie ungleiche
Geschwister. Der Krimi nutzt religiöse Elemente für den Aufbau einer interessanten und
spannenden Geschichte. Plötzlich stellen sich Leser die Frage, ob Jesus mit Maria Magdalena verheiratet war oder nicht, wenn Sie Dan Brown lesen. Obwohl die Bibel in ihrem
Leben vorher keine große Rolle gespielt hat. Sicher macht den Reiz religiöser Elemente in
der Kriminalliteratur aus, dass das Gute mit dem Bösen konfrontiert wird. Besonders,
wenn das Böse hinter der Maske des Guten auftritt. Die Bibel und die Kirche stehen ja für
Gerechtigkeit, dafür, dass es barmherzig zugeht, Menschen sich lieben und versöhnen.
Und wenn es im Krimi gerade ganz anderes zugeht – böse und abgründig - , fängt oft eine
spannende Kriminalgeschichte an. Im Krimi wie in der Bibel trifft man auf Abgründe des
Menschen, aber auch darauf, dass Menschen auf ein glückliches Leben hoffen und manches Mal trifft man ganz unerwartet auf Barmherzigkeit.
„Commissario Brunetti war kein gläubiger Mensch“, beschreibt Donna Leon ihre Romanfigur in seinem 20. Fall. „Manchmal jedoch überfiel ihn von einem Moment auf den anderen ein Gefühl grenzenloser Dankbarkeit. Es kam jedes Mal absolut überraschend. An
diesem Abend sprang es ihn auf der Treppe kurz vor seiner Wohnungstür an. Er war gesund, er hielt sich weder für verrückt noch für gewalttätig, er hatte eine Frau, die er abgöttisch liebte, und zwei Kinder, in die er jede Hoffnung auf Glück in diesem Leben investiert
hatte.“
Commissario Brunetti gehört zu den sanftmütigsten und charmantesten Kommissaren der
Krimiliteratur, die ich bisher gelesen habe. So, wie er sich für sich und seine Familie Glück
und Frieden wünscht, kann er auch mit gesundem Menschenverstand und Herz in seinen
Ermittlungen ein Auge zudrücken, wo durch Gesetzeshärte zwar dem Recht, nicht aber
der Gerechtigkeit gedient wäre. Auch diese Barmherzigkeit macht das Lesen eines Krimis
für eine Theologin wie mich zum Vergnügen. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
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