_Erneuerbare / Bioenergie Oben Glitzer, unten Müll: 20 000 Menschen leben, arbeiten und shoppen am Potsdamer Platz. Was sie an Abfällen produzieren, wird über ein ausgeklügeltes System in den Katakomben entsorgt. 66 neue energie 05/2010 _Erneuerbare / Bioenergie Die Energie, die aus der Tonne kommt Jährlich fallen Millionen Tonnen Müll in Deutschland an. Müll aus dem Energie gewonnen werden kann, zum Beispiel in Biogasanlagen. Deutschland ist Weltmeister in Sachen Mülltrennung, nutzt aber die energetischen Potenziale dieser Reststoffe bisher kaum. Text: Karsten Wiedemann, Fotos: Silke Reents che und geruchlose Masse, die ein bisschen an Nasi Goreng erinnert. Auf Kleebers Sortiertisch landet all das, was 15 Meter über seinem Kopf auf Tellern und in Küchen liegenbleibt. Da oben ist der Potsdamer Platz in der Mitte Berlins, ein Areal mit Shopping-Malls, Restaurants, Hotels, Büros und Wohnungen. Hier unten ist das Ver- und Entsorgungszentrum, eine Welt für sich auf 4500 Quadratmetern. In der riesigen unterirdischen Halle fahren täglich an die 180 LKWs ein und aus. Über ein System aus Gängen und Lastaufzügen kom- men Lebensmittel, Kleidung oder Elektrogeräte nach oben. Unterirdisch wird entsorgt, was oben keiner mehr braucht: rund 3000 Tonnen Müll pro Jahr, davon allein 600 Tonnen Speisereste. Für den Abtransport zuständig ist Objektmanager Klaus-Dieter Krüger vom Entsorgungsunternehmen Alba. „Die da oben bekommen von uns gar nichts mit“, sagt er. Und wer dort seinen Döner in den Müll schmeißt, ahnt mit Sicherheit nicht, dass das, was nicht mehr in seinen Magen passt, über Umwege in der Steckdose landet. Denn die anfallenden Speisereste neue energie 05/2010 67 ▲ Mit einem lauten Platsch fällt der Mix aus Nudeln, Chili con Carne und Pommes aus der Abfalltonne auf den Sortiertisch. Ein süß-säuerlicher Geruch schwebt über der Masse. Michael Kleeber lässt sich davon nicht beirren. Er wühlt mit Gummihandschuhen durch die Essenreste und sortiert alles aus, was nicht biologisch abbaubar ist: Joghurtbecher, Papier und Glas. Alles andere schiebt er per Schaufel in eine Trommel. Hier werden die Speisereste zermahlen, die angeschlossene Dehydrieranlage entzieht Wasser und Fett. Was bleibt ist eine grünli- _Erneuerbare / Bioenergie Internationaler Speisemix: Im Ver- und Entsorgungszentrum, 15 Meter unter dem Potsdamer Platz, werden die Essenreste zermahlen und getrocknet. Über die An- und Abfuhr wacht der Entsorger Alba. werden nicht einfach weggekippt, sondern wandern in eine Biogasanlage. „Abfall wird von uns als Ressource begriffen, die es zu nutzen gilt“, erklärt Krüger. Döner in der Steckdose Der Gedanke ist nicht neu. Schon immer wurden Abfälle auch energetisch genutzt, in Haushalten wie in Müllverbrennungsanlagen. Das Potenzial wird aber bei weitem nicht ausgeschöpft. In Zeiten von Klimaschutz und knappen Ressourcen könnte das Thema neues Gewicht bekommen. Eine Studie des Beratungsunternehmens Prognos kommt zu dem Ergebnis, dass die EU-Staaten bis zum Jahr 2020 200 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) einsparen könnten, wenn vorhandene Abfälle, nicht nur biologische, optimal genutzt und nicht einfach deponiert würden. Dies entspricht 27 Prozent der EU-Klimaziele für 2020. Speisereste energetisch zu nutzen hat zudem ganz praktische Gründe: Die früher übliche Verfütterung an Schweine ist seit 2006 in der EU verboten. Eine Folge diverser Tierseuchen in den letzten Jahren. Karlheinz Altwein, Geschäftsführer der Speise- und Lebensmittelresteverarbeitung (SLV) im brandenburgischen Klein Eich68 neue energie 05/2010 holz, musste sich nach einer anderen Nutzung für die angelieferten Speisereste umsehen und entschied sich für den Bau einer Biogasanlage. Sein Betrieb verarbeitet 70 Prozent der in Berliner Restaurants, Krankenhäusern oder Kantinen anfallenden Essensreste, auch die vom Potsdamer Platz. Angeliefert werden sie per LKW vom Berliner Entsorger Bral. 22 Fahrzeuge sind täglich unterwegs. Die angelieferten Tonnen werden bei der SLV in einen riesigen Bottich geleert, in dem der Inhalt nochmals zerkleinert, nach Bedarf mit Wasser vermischt und von Störstoffen wie Papier und Plastik befreit wird. Über Rohrleitungen gelangt die braune Masse in zwei Tanks, wo sie für eine Stunde bei 70 Grad hygienisiert wird. Von dort geht es in die Biogasanlage. Aus einer Tonne Speisereste entstehen laut Altwein 170 Kubikmeter Biogas mit einem Methangehalt von rund 60 Prozent. Das gewonnene Gas wird im angeschlossenen Blockheizkraftwerk (BHKW) verstromt. Mit der anfallenden Wärmeenergie wird das Wasser für die Reinigung der Tonnen erhitzt. Der Gärrest geht als Dünger an Landwirte in der Umgebung. „Damit schließen wir den Kreislauf“, sagt Bral-Einsatzleiter Ralf Krüger. Stoff gibt es genug Bisher gibt es nach Angaben von Thomas Raussen, Geschäftsführer des Witzenhausen-Instituts für Abfall, Umwelt und Energie, deutschlandweit rund 100 Biogasanlagen, die Bio- und Grünabfälle vergären. Dem stehen rund 800 Kompostierungsanlagen gegenüber. 2008 sammelten die kommunalen Entsorger laut Witzenhausen-Institut rund 8,7 Millionen Tonnen Bio- und Grünabfall ein, pro Einwohner 107 Kilogramm. Aus dieser Abfallmenge ließen sich theoretisch 1,7 Terrawattstunden Strom und 3,9 Terrawattstunden Wärme gewinnen. Allerdings werden aktuell nur rund ein Viertel der eingesammelten Bio- und Grünabfälle vergoren, 75 Prozent werden ohne Biogasgewinnung kompostiert. Zudem gibt es bei den eingesammelten Stoffmengen Potenzial nach oben. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums (BMU) wandern jährlich 4,6 Millionen Tonnen Bio- und grüner Müll ungenutzt in den allgemeinen Hausmüll. Würde die Sortierung verbessert, ließen sich zwischen zehn und zwölf Millionen Tonnen Grün- und Bioabfälle sammeln. Hinzu kommen etwa ein bis zwei Millionen Tonnen Speisereste. Aus der Landschaftspflege fallen jährlich zwischen einer und drei Milli- _Erneuerbare / Bioenergie Abfallströme – und wie sie genutzt werden Jährlich fallen in Deutschland etwa 46 Millionen Tonnen Hausmüll an, darin enthalten sind die 8,7 Millionen Tonnen Haus- und Gartenmüll. Grünschnitt und Speisereste machen zwischen drei und fünf Millionen Tonnen jährlich aus. Industrie und Gewerbe verursachen 58 Millionen Tonnen an Abfällen; die größten Mengen fallen im Bau- und Abbruch-Gewerbe an (200 Millionen Tonnen). Insgesamt weist das statistische Bundesamt für Deutschland ein jährliches Abfallaufkommen von 386 Millionen Tonnen (2007) aus. Was nicht wiederverwertbar ist, wird, sofern es sich nicht um Sondermüll handelt, deponiert oder verbrannt. Die thermische Verwertung von Abfällen in Müllverbrennungsanlagen (MVA) war in den vergangenen Jahrzehnten das Thema in Städten und Gemeinden. Mit Milliardensummen wurden teils überdimensionierte Anlagen aufgebaut. Unrühmlichstes Beispiel: die MVA in Köln. Neue Nutzungskonzepte stehen daher nicht überall auf der Tagesordnung, es gilt die vorhandenen Verbrennungskapazitäten auszuschöpfen. Mitunter werden in MVAs auch Bioabfälle verbrannt, da sie wegen des Feuchtigkeitsgehalts die Temperaturen in den Öfen senken. Wegen guter Substrateigenschaften für die Vergärung interessant sind neben Speise- und Bioabfällen, industrielle Reststoffe aus der Lebensmittel-, Futter- und Textilproduktion (zum Beispiel Leder). Genaue Mengenangaben gibt es hierzu nicht. Nach Angaben von Betreibern ist der Markt für diese Stoffe hart umkämpft, teilweise werden sie in Nachbarländer exportiert und dort vergoren. Schub könne es laut Slotman geben, wenn an Stelle des Nawaro-Bonus die Grundvergütung für Strom aus Biogasanlagen angehoben würde. Er verweist auf Belgien, wo für die eingespeiste Stunde Grünstrom zwischen 19 und 26 Cent bezahlt werden. Envitec hat dort sieben so genannte HybridAnlagen gebaut, die je zur Hälfte mit nachwachsenden Rohstoffen und Reststoffen aus der Industrie gefahren werden. Bisherige Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass die Vergärung von Reststoffen nichts für die breite Masse der Anlagenbetreiber ist (neue energie 9/2005). Der Aufwand einer solchen Anlage ist höher: Der tägliche Nachschub an Substraten muss gesichert werden, ihre Qualität beständig sein. Langfristige Lieferverträge zu vereinbaren ist schwierig. Und: Reststoffanlagen fallen unter das Abfallrecht, die Gärreste müssen zusätzlich hygienisiert werden. Reststoffvergärung lohne sich also erst bei größeren Anlagen, sagt Roel Slotman von Envitec. Kommunen wollen Abfälle nutzen Städte und Gemeinden schreckt der zusätzliche Aufwand der Reststoffverwertung nicht ab: Sie setzen zunehmend auf die energetische Nutzung von biologischen Abfällen. Zum einen müssen vielerorts kommunale Kompostierungsanlagen ersetzt werden, weil sie zu alt sind oder nicht die 2007 verschärften Emissionsrichtlinien erfüllen. Laut Technischer Anleitung zur Reinhaltung der Luft dürfen bei der Kompostierung keine Gase mehr entweichen. Zum anderen sind die Kommunen für die Entsorgung von Hausmüll zuständig und verfügen über große Mengen an Bio- und Grünabfällen. „Derzeit werden viele Projekte ausgeschrieben. Da wird einiges passieren“, sagt Jakovos Theodoridis. Eine Studie des Beratungsunternehmens Trend Research gibt ihm Recht. Demnach wird sich die Zahl der kommunalen Vergärungsanlagen bis 2020 nahezu verdoppeln, auf dann 178. So wollen die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) im nächsten Jahr eine Biogasanlage bauen, um die eingesammelten Bioabfälle zu vergären. Das gewonnene Gas soll als Kraftstoff für rund 150 Sammelfahrzeuge dienen. Der Abfallwirtschaftsbetrieb München betreibt bereits seit einigen Jahren eine Vergärungsanlage, in der aus 25 000 Tonnen Bio- und Gartenabfällen Strom und Wärme für 1600 Haushalte gewonnen wird. neue energie 05/2010 69 ▲ onen Tonnen Grünschnitt an, die bisher vor allem thermisch genutzt werden. Der so genannte krautige Anteil dieses Grünschnitts ließe sich ebenfalls vergären. Schlecht zu quantifizieren sind dagegen biologische Reststoffen aus der Industrie, etwa der Lebensmittelproduktion (siehe Kasten). „Die Reststoffverwertung ist der nächste große Markt“, ist Jakovos Theodoridis von Bekon Energy Technologies sicher. Die Münchner Firma ist spezialisiert auf den Bau von Trockenfermentationsanlagen zur Abfallverwertung. Roel Slotman, Vorstandsmitglied beim Lohner Biogasanlagenbauer Envitec, dämpft dagegen die Erwartungen. „Im Moment passiert auf dem deutschen Markt nicht viel.“ Er führt dies auf den NawaroBonus im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zurück. Dieser mache den Einsatz von Mais in Biogasanlagen attraktiver. Laut EEG-Negativliste dürfen in Nawaro-Anlagen nur bestimmte Stoffe mitvergoren werden. Bioabfälle zählen nicht dazu. Aus diesem Grund sei es schwieriger für Reststoffanlagen eine Finanzierung zu bekommen, so der Envitec-Vorstand. „Das Risikoprofil ist einfach höher.“ Deutschland lasse das vorhandene Potenzial an Reststoffen derzeit liegen, beklagt er. „Das ist schade.“ Einen _Erneuerbare / Bioenergie Strom aus Plastik Energetische Potenziale schlummern nicht nur in Deutschlands Biotonnen. Im brandenburgischen Städtchen Beeskow wird derzeit ein neuartiges Verfahren getestet, mit dem es möglich werden soll, Strom aus organischen Reststoffen zu gewinnen, die sonst kaum wiederverwertet werden können. Dazu zählen Kunststoffabfälle, aber auch Gummi- oder Lackreste. Sie fallen zum Beispiel bei der Verwertung von Altautos an. Denn ist das Auto erst einmal gepresst und geschreddert, das Metall aussortiert, bleibt immer noch etwas übrig, die so genannte Schredderleichtfraktion. Seit 2005 darf dieser Reststoff, immerhin mehrere hunderttausend Tonnen pro Jahr, nicht mehr deponiert werden. Eine Verbrennung in Müllverbrennungsanlagen ist nur eingeschränkt möglich. Wohin damit, fragte sich auch Burkhard Budahl, Chef der Gesellschaft für Abfall-Aufbereitung (GAA) in Beeskow. Dort fallen jährlich 15 000 Tonnen Schreddermaterial an – aus der Bodensanierung, auf die die Firma spezialisiert ist. Statt für die Entsorgung zu bezahlen, will GAA-Chef Budahl künftig aus dem Material Energie gewinnen. Möglich machen soll dies die Thermokatalytische Entgasungstechnologie, kurz Thermo-Ket. Bei dem von Cottbuser Chemiker Radwand Matrmawi entwickelten Verfahren sollen die Reststoffe in einem indirekt beheizten Re- aktor bei 500 Grad unter Sauerstoffausschluss verschwelt werden. Das dabei entstehende Gas wird aufgefangen und katalytisch behandelt, sprich: chemisch gereinigt, getrocknet und in einem BHKW verbrannt. Aus 100 Kilogramm eingebrachten Reststoffen sollen so 80 Kilogramm Gas und 20 Kilogramm Koks werden. Letzterer kann weiterverarbeitet als Filter in Chemie- oder Kläranlagen eingesetzt werden. „Das gewonnene Gas ist hochkalorisch“, sagt Chemiker Matrmawi. Ein Kilo des Gases hat nach seinen Angaben einen Energiewert von zehn Kilowatt. Aus 100 Kilogramm Reststoffen sollen so 200 Kilowattstunden (kWh) Strom und 450 kWh Wärme entstehen. Etwa ein Fünftel der gewonnenen Energie ist für den Anlagebetrieb selbst notwendig. Noch muss sich das Verfahren im Testbetrieb beweisen. Auf dem Gelände der GAA wurde eine Pilotanlage errichtet, die in den nächsten Wochen den Betrieb aufnehmen soll. Wenn das Verfahren funktioniert, will Budahl pro Jahr 25 000 Tonnen Schreddermaterial verarbeiten. „Damit könnten wir ganz Beeskow mit Strom und Wärme versorgen und das ohne Abgase und Rückstände.“ Entwickler Matrmawi denkt schon weiter, er will die Technik in Entwicklungsländern zur Anwendung bringen, wo es viel Müll, aber eine schlechte Energieversorgung gibt. ��. MAI ���� ��:�� UHR BREMEN SCHAUTAG Wir öffnen die Tore unseres neuen Hauptsitzes in Bremen. Unsere Experten geben Ihnen Einblicke in die tägliche Arbeit. Mehr noch: Sie sind eingeladen anzufassen, mitzumachen, Fragen zu stellen oder einfach den Nachmittag in kompetenter Gesellschaft unter Windfreunden zu genießen. 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Zwar ist die Vergütung für den eingespeisten Strom niedriger als bei Nawaro-Anlagen. Der Betreiber erhält aber zusätzlich Geld für die Abnahme der Abfälle. Der Bau einer Vergärungsanlage ist jedoch mit nicht unerheblichen Mehrkosten verbunden. Thomas Raussen betont, Betreiber könnten mit einer kombinierten Anlage zumindest eine „schwarze Null“ machen. „Entscheidend ist, ob die anfallende Wärme genutzt werden kann.“ Punkten können gekoppelte Kompostierungs- und Vergärungsanlagen bei der Klimabilanz: Pro Tonne werden nach Berechnungen des BMU rund 160 Kilogramm CO2 eingespart. Wie viel Biogas eine Reststoffanlage liefert, hängt vom eingebrachten Substrat ab. Eine Tonne Grünabfall ergibt 80 Kubikmeter Biogas, die gleiche Menge Bioabfall bis zu 140 Kubikmeter. Die höchsten Gasaus-
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