Michael Connemann in der neuen Ausgabe von UStB über

Verlag Dr. Otto Schmidt 19.07.2016
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Beiträge für die Beratungspraxis | Buch- und Belegnachweis im Vergütungsverfahren | Meyer-Burow/Connemann
schale“) zusammengefasst und der darauf entfallende
Entgeltanteil in einem Betrag ausgewiesen wird.
FinMin. Sachsen-Anhalt v. 12.5.2016 – 42 - S 7220 - 18
Dipl.-Finw. (FH) Michaela Wohlfart, Neuenhagen
bei Berlin
>>> Vorkosten
im Zusammenhang mit der Lieferung von Schlachtvieh
Die OFD Niedersachsen hat sich der Frage angenommen,
ob sog. Vorkosten (z.B. Transport-, Erfassungs-, Versicherungs- und Veterinärkosten, Kosten der Lebendverwiegung etc.), die einem Landwirt im Rahmen seiner Viehlieferung an einen Schlachthofbetreiber oder Viehhändler
von diesen in Rechnung gestellt werden, eine Entgeltminderung für die Lieferung des Viehs durch den Landwirt an
den Schlachthofbetreiber oder Viehhändler oder eine eigenständige – dem Regelsteuersatz unterliegende – Leistung des Schlachthofbetreibers oder Viehhändlers an den
Landwirt darstellen (OFD Niedersachsen v. 24.3.2016 –
S 7100 - 806 - St 172, juris). Dabei sei darauf abzustellen,
ob der Gefahrenübergang bei Ankunft am Schlachthof
(„auf der Waage“) oder mit der Verladung der Tiere beim
Landwirt („ab Rampe“) erfolge. Gehe die Gefahr des zufälligen Untergangs mit vollendeter Wägung am Schlachthof
auf den Schlachthofbetreiber und/oder Viehhändler über
(„auf der Waage“), erbringe dieser mit bis zum Abschluss
der Wägung ausgeführten Leistungen, die er als Vorkosten
abrechne, sonstige Leistungen an den Landwirt. Gehe die
UStB 7/2016
Gefahr des zufälligen Untergangs mit Verladung der Tiere
beim Landwirt über („ab Rampe“), verschaffe der Landwirt mangels anderer Kriterien dem Schlachthof oder
Viehhändler bereits dort die Verfügungsmacht. Der
Schlachthof oder Viehhändler erbringe die Leistungen im
Rahmen der sog. Vorkosten als nichtsteuerbare Leistungen an sich selbst. Soweit er solche „Vorkosten“ im Rahmen der vereinbarten Geschäftsbedingungen einbehalte,
seien sie Preisbestandteil für die erworbenen Tiere. Eine
Entgeltminderung liege nicht vor. Bei der Berechnung von
verdeckten Mängeln, die erst bei der tierärztlichen Untersuchung am Schlachthof auffielen, liege kein Schadensersatz, sondern eine Entgeltminderung vor (Abschn. 1.3
Abs. 1 S. 5 UStAE).
Beraterhinweis
Die OFD weist darauf hin, dass es für Umsätze, die vor
dem 1.1.2012 ausgeführt wurden, nicht zu beanstanden
ist, wenn die beteiligten Unternehmer in Fällen, in denen die Gefahr des zufälligen Untergangs mit vollendeter Wägung am Schlachthof auf den Schlachthofbetreiber übergegangen ist, auch diejenigen Leistungen des
Schlachthofbetreibers, die bis zur Vollendung der Wägung ausgeführt und als Vorkosten abgerechnet wurden, nicht als eigenständige Leistungen des Schlachthofbetreibers im umsatzsteuerlichen Sinne, sondern als
Entgeltminderung beurteilt haben.
OFD Niedersachsen v. 24.3.2016 – S 7100 - 806 - St 172
Dipl.-Finw. (FH) Michaela Wohlfart, Neuenhagen
bei Berlin
Beiträge für die Beratungspraxis
Der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers bei unzureichendem Buch- und Belegnachweis des leistenden Unternehmers
Zugleich Anmerkungen zum BMF-Schreiben vom 16.2.2016
von RA Jochen Meyer-Burow und RA Michael Connemann*
Um Steuerausfälle zu vermeiden, sieht das BMF in einem
Schreiben vom 16.2.2016 zum Vorsteuer-Vergütungsverfahren vor, dass Vorsteuerbeträge, die in Rechnungen über
Ausfuhrlieferungen oder innergemeinschaftliche Lieferungen gesondert ausgewiesen werden, nicht vergütet werden,
wenn objektiv feststeht, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Dr. Otto Schmidt
Ausfuhrlieferung vorliegen (BMF v. 16.2.2016 – III C 3 S 7359/10/10003, BStBl. I 2016, 239 = UStB 2016, 72). Die-
* RA Jochen Meyer-Burow, LL.M. (London), Magister der Steuerwissenschaften, ist Partner im Bereich Umsatzsteuer bei Baker &
McKenzie, Frankfurt/M. RA Michael Connemann, LL.M., MBA,
ist Director im Bereich Umsatzsteuer bei der WTS, München.
Verlag Dr. Otto Schmidt 19.07.2016
UStB 7/2016
Buch- und Belegnachweis im Vergütungsverfahren | Meyer-Burow/Connemann | Beiträge für die Beratungspraxis
ser Ansatz bringt für den Leistungsempfänger ein hohes Risiko dahingehend mit sich, dass ihm die Vorsteuer versagt
wird, obwohl das FA des Leistenden die Steuerbefreiung angesichts eines nicht bzw. nicht ordnungsgemäß erbrachten
Buch- und/oder Belegnachweises verweigert. Im folgenden
Beitrag erklären die Verfasser den tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund, die Regelungen des BMF-Schreibens
sowie die Risiken für die betroffenen Unternehmer. Es folgen Beratungshinweise und Vorschläge zu alternativen
Maßnahmen, um Steuerausfälle zu vermeiden.
I. Buch und Belegnachweis als formelle Voraussetzung für die Steuerbefreiung
Buch- und belegmäßiger Nachweis: Der Unternehmer
hat die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. der Ausfuhrlieferung
buch- und belegmäßig nachzuweisen, um die Steuerbefreiung für die Lieferung in Anspruch nehmen zu können.1
Gelingt dem Unternehmer der Buch- und Belegnachweis
nicht, ist die Lieferung grundsätzlich steuerpflichtig. Wird
dem Leistungsempfänger in solchen Fällen demnach deutsche Umsatzsteuer in Rechnung gestellt, ist ihm der Vorsteuerabzug zu gewähren,2 um die Belastungsneutralität
der Umsatzsteuer zu gewährleisten.
II. Ausnahme: Steuerbefreiung trotz fehlenden
Buch- und Belegnachweises
Nichterfüllen der Nachweispflichten: Nach einer Grundsatzscheidung des EuGH soll die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung allerdings ohne weiteres zu
gewähren sein, wenn (ausnahmsweise) objektiv feststeht,
dass der Gegenstand der Lieferung tatsächlich in das Ausland gelangt ist.3 Weiterer formeller Nachweise bedarf es
dann nicht mehr (von Betrugsfällen abgesehen).4 Steht daher „aufgrund der objektiven Beweislage fest“, dass die
materiell-rechtlichen Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. der Ausfuhrlieferung vorliegen, ist die Lieferung trotz Nichterfüllung der in der
UStDV geregelten Nachweispflichten steuerfrei.
Basierend auf der vorgenannten Rechtsprechung des
EuGH kann der Unternehmer nach nunmehr ständiger
Rechtsprechung des BFH die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung bzw. für eine Ausfuhrlieferung grundsätzlich (nur dann) in Anspruch nehmen,
wenn er die in der UStDV geregelten Nachweispflichten
erfüllt.5 Kommt der Unternehmer den in der UStDV geregelten Nachweispflichten nicht oder nur unvollständig
nach, erweisen sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben,
die der Unternehmer nicht ausräumt, ist nach der Rechtsprechung des BFH jedoch von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen.
Ausnahme: Etwas anderes gelte ausnahmsweise nur
dann, wenn unbestreitbar feststehe, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen6 der Steuerfreiheit vorlägen.7
Wenn in dem Sinne objektiv feststehe, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen bzw. Ausfuhrlieferung vorlägen, sei die Steuerfreiheit
grundsätzlich auch dann zu gewähren, wenn der Buch-
und Belegnachweis nicht (oder nicht vollständig oder zeitnah) erbracht werde.8
III. BMF-Schreiben zu § 18 UStG/Änderung des
Abschn. 18.11 UStAE
Unrichtig ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG:
Im Anschluss an die vorgenannte Rechtsprechung des
BFH geht das BMF in einem im Februar 2016 veröffentlichten Schreiben u.a. auf die Situation ein, in der feststeht,
dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen9 der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung
vorliegen. Werde in diesen Fällen in der Rechnung Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen, handle es sich
„für die Beurteilung des Vergütungsanspruchs im Vorsteuer-Vergütungsverfahren um eine unrichtig ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG, die vom Leistungsempfänger nicht als Vorsteuer abgezogen und die demnach im Vorsteuer-Vergütungsverfahren nicht vergütet
werden“
könne. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Lieferung des leistenden Unternehmers soll von der Versagung
des Vorsteuerabzugs allerdings „unberührt“ bleiben.
1 §§ 6a Abs. 1 und 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV; § 6 Abs. 1
und Abs. 4 UStG i.V.m. §§ 8 ff. UStDV.
2 Soweit der Leistungsempfänger grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und von Fällen des Steuermissbrauchs abgesehen.
3 EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Collée, UR 2007, 813 =
EU-UStB 2007, 83, mit Komment. Nieskens; die Grundsätze des
vorgenannten EuGH-Urteils sind wegen der rechtssystematischen Gemeinsamkeiten zwischen § 6 und § 6a UStG auch für
den Bereich der Ausfuhrlieferung zu berücksichtigen, s. BFH v.
28.5.2009 – V R 23/08, BStBl. II 2010, 517 = UStB 2009, 247, mit
Komment. Vellen.
4 EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Collée, UR 2007, 813 =
EU-UStB 2007, 83; v. 27.9.2007 – Rs. C-409/04 – Teleos, UR
2007, 774 = EU-UStB 2007, 85, mit Komment. Nieskens.
5 BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511 = UStB 2009,
253, mit Komment. Vellen; v. 28.5.2009 – V R 23/08, BStBl. II
2010, 517 = UStB 2009, 247; v. 19.3.2015 – V R 14/14, BStBl. II
2015, 912 = UStB 2015, 243, mit Komment. Vellen.
6 Voraussetzungen gem. § 6 Abs. 1 bis 3a UStG oder § 6a Abs. 1
und 2 UStG; im Wesentlichen geht es um das Gelangen der
Ware aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat bzw. in
einen Drittstaat.
7 BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511 = UStB 2009,
253; v. 28.5.2009 – V R 23/08, BStBl. II 2010, 517 = UStB 2009,
247; v. 19.3.2015 – V R 14/14, BStBl. II 2015, 912 = UStB 2015,
243; v. 22.7.2015 – V R 23/14, BStBl. II 2015, 914 = UStB 2015,
274, mit Komment. Weigel; v. 18.2.2016 – V R 53/14, UR 2016,
436 = UStB 2016, 135, mit Komment. Fritsch; vgl. zuletzt auch
FG Schleswig-Holstein v. 9.12.2015 – 4 K 133/10, Volltext steuerberater-center.de.
8 S. z.B. BFH v. 12.5.2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511 = UStB
2009, 253; v. 28.5.2009 – V R 23/08, BStBl. II 2010, 517 = UStB
2009, 247; v. 19.3.2015 – V R 14/14, BStBl. II 2015, 912 = UStB
2015, 243; v. 22.7.2015 – V R 23/14, BStBl. II 2015, 914 = UStB
2015, 274.
9 Das BMF bezieht sich auf die „Voraussetzungen des § 6 Abs. 1
bis 3a UStG bzw. § 6a Abs. 1 und 2 UStG“.
steuerberater-center.de
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Beiträge für die Beratungspraxis | Buch- und Belegnachweis im Vergütungsverfahren | Meyer-Burow/Connemann
Fiskus soll nicht mit Umsatzsteuer belastet bleiben:
Das BMF möchte mit diesem Ansatz verhindern, dass
Vorsteuern aus Rechnungen über innergemeinschaftliche
Lieferungen bzw. Ausfuhrlieferungen vergütet werden
und später im Hinblick auf die objektiv vorliegende Steuerbefreiung zusätzlich – nach entsprechenden Rechnungsberichtigungen10 – die Umsatzsteuer vom FA an den Leistenden erstattet wird, denn in solchen Fällen kommt es in
der Praxis regelmäßig nicht zu einer Rückerstattung der
Vorsteuern durch den Leistungsempfänger an das BZSt.
Der Fiskus bleibt dann mit Umsatzsteuer belastet.
Hier ist der vollständige Wortlaut der kurzen Passage,
die durch das BMF-Schreiben in Abschn. 18.11 UStAE als
neuer Abs. 1a eingefügt wurde:
„Nicht vergütet werden Vorsteuerbeträge, die in Rechnungen über Ausfuhrlieferungen oder innergemeinschaftliche Lieferungen gesondert ausgewiesen werden, wenn
feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 bis 3a
UStG bzw. § 6a Abs. 1 und 2 UStG vorliegen. In diesen Fällen handelt es sich für die Beurteilung des Vergütungsanspruchs im Vorsteuer-Vergütungsverfahren um eine unrichtig ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG, die
vom Leistungsempfänger nicht als Vorsteuer abgezogen
(vgl. Abschn. 14c.1 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3 und Satz 6 sowie
Abschn. 15.2 Abs. 1 Sätze 1 und 2) und die demnach im
Vorsteuer-Vergütungsverfahren nicht vergütet werden
kann. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Lieferung des leistenden Unternehmers bleibt unberührt.“
IV. Risiko durch das BMF-Schreiben: Verletzung
der Belastungsneutralität
Der Ansatz des BMF wirkt zunächst konsequent: Angesichts der Steuerbefreiung für den Leistenden – soweit
feststeht, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen
der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung vorliegen – besteht im Grundsatz auch gar keine
Notwendigkeit für einen Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers bzw. dafür, dass diesem Umsatzsteuer in
Rechnung gestellt wird. Das setzt allerdings voraus, dass
Situationen vermieden werden, in denen das FA des Leistenden die Steuerbefreiung verweigert (z.B. wegen Verstoßes gegen den Buch- und Belegnachweis), wohingegen das
für den Leistungsempfänger zuständige BZSt den Vorsteuerabzug versagt, weil es objektiv von einer innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung ausgeht.
Beispiel
Der leistende Unternehmer rechnet über eine grenzüberschreitende Lieferung zur Sicherheit11 mit deutscher Umsatzsteuer ab, weil ihm bewusst ist, dass ihm der Buchund Belegnachweis vermutlich nicht ordnungsgemäß vorliegen wird bzw. dass sein FA vermutlich Zweifel anmelden wird. Mit dieser Rechnung wendet sich der Leistungsempfänger an das BZSt. Dort wird der Vorsteuerabzug mit
der Begründung abgelehnt, angesichts der in der Rechnung angegebenen Ship-to-Adresse gehe man „objektiv“
von einem Gelangen der Ware in das Ausland aus. Das FA
des Leistenden prüft den Sachverhalt später und verwei-
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UStB 7/2016
gert die Steuerbefreiung mit Verweis auf den nicht ordnungsgemäß erbrachten Buch- und Belegnachweis.
BMF macht den beteiligten Finanzbehörden keine Vorgaben zur Abstimmung: In dem BMF-Schreiben gibt es
keine klaren Vorgaben zu einer Abstimmung der unterschiedlichen Finanzbehörden. Es fehlt auch an einer Leitlinie, wann „aufgrund der objektiven Beweislage feststeht“,
dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung vorliegen. Schließlich ist nicht geregelt, welche Behörde dies
in erster Linie zu prüfen hat, um eine einheitliche Herangehensweise der beteiligten Behörden sicherzustellen. Dies
könnte zu (fast systematischen) Verletzungen der umsatzsteuerrechtlichen Belastungsneutralität führen.
V. Problem: Zwei Steuerbehörden, zwei Meinungen?
Finanzbehörden können unterschiedlich entscheiden:
Problematisch ist, dass es an rechtlichen Vorgaben über
eine zwingende Abstimmung der beteiligten Finanzbehörden fehlt. Deshalb kann es zu divergierenden Entscheidungen der beteiligten Behörden kommen. Für die Beurteilung der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung für den leistenden Unternehmer ist das für ihn zuständige deutsche FA zuständig.
Für den Vorsteueranspruch des im Ausland ansässigen
Leistungsempfängers ist hingegen das BZSt zuständig
(Vorsteuer-Vergütungsverfahren). Problematisch ist insofern, dass das BZSt grundsätzlich nicht an die tatsächliche
oder rechtliche Behandlung durch das FA des Leistenden
gebunden ist. Es gibt auch kein Verfahren für eine zeitliche Abstimmung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens,
etwa mit einer Betriebsprüfung beim Leistenden.
VI. Unterschiedliche Maßstäbe für „objektive
Rechtslage“?
Finanzbehörden könnten ohne Abstimmung agieren:
Das BZSt könnte etwa den Ansatz verfolgen, stets dann zu
behaupten, die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung lägen objektiv vor,
wenn eine Ship-to-Adresse eine Versendung in das Ausland angibt. Dem Leistungsempfänger wird es in einem
solchen Fall regelmäßig nicht leicht fallen, den Erhalt der
Ware (im Ausland) zu bestreiten und gleichzeitig auf den
10 Für die Berichtigung des unrichtigen Steuerausweises nach § 14c
Abs. 1 S. 1 UStG kommt es nicht darauf an, dass die Gefährdung
des Steueraufkommens beseitigt worden sein muss. Der Leistungsempfänger ist zwar nach § 14c Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 17
Abs. 1 UStG verpflichtet, den Vorsteuerabzug zu berichtigen.
Die Nichtbefolgung dieser Verpflichtung hat aber keine Auswirkungen auf das Berichtigungsrecht des leistenden Unternehmers.
11 Nach der Rechtsprechung des BFH handelt der Unternehmer
bei Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nach § 6a UStG (nur)
dann leichtfertig i.S.v. § 378 AO, wenn es sich ihm zumindest
aufdrängen muss, dass er die Voraussetzungen dieser Vorschrift
weder beleg- und buchmäßig noch objektiv nachweisen kann
(BFH v. 24.7.2014 – V R 44/13, BStBl. II 2014, 955 = UStB 2014,
282, mit Komment. Weigel).
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UStB 7/2016
Buch- und Belegnachweis im Vergütungsverfahren | Meyer-Burow/Connemann | Beiträge für die Beratungspraxis
Vorsteuerabzug wegen der (wo?) erhaltenen Ware zu bestehen. Problematisch wäre es in erster Linie, wenn die Finanzbehörden unabgestimmt agieren und hierzu mit
zweierlei Maßstab messen. Die bisherige Rechtsprechung
zur „objektiven Rechtslage“ hilft insofern nicht weiter,
sondern bereit die folgenden zusätzlichen Schwierigkeiten:
1. Nachweismöglichkeiten des Steuerpflichtigen eingeschränkt?
Restriktiver Ansatz des BFH: Höchstrichterlich ist nach
unserem Eindruck nicht zufriedenstellend geklärt, wann
denn – auch ohne ordnungsgemäßen Buch- und Belegnachweis – objektiv feststehen soll oder kann, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung
vorliegt. Zu dem erforderlichen Nachweis der „objektiven
Sachlage“ möchte es der V. Senat des BFH dem Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht gestatten, von sich aus andere Nachweise als diejenigen beizubringen, die ihm die
deutsche UStDV vorschreibt (Buch- und Belegnachweise).12 Eine Amtsermittlungspflicht soll grundsätzlich ebenfalls nicht bestehen.13 Der Steuerpflichtige wird demnach
in der Regel nicht die Möglichkeit haben, einen „Vollbeweis“ zu erbringen bzw. andere Beweismittel beizubringen (wie etwa Zeugen) oder zumindest weitere Untersuchungen durch die Behörden oder Gerichte einzufordern.
2. Führt „Nichtbestreiten“ durch die Behörde zur „objektiven“ Steuerbefreiung?
Von Rechts wegen ist kaum vorstellbar, dass das Bestehen
oder Nichtbestehen „objektiver, zweifelsfreier Umstände“
von der Disposition (bzw. ggf. der glaubhaften Überzeugung) der Finanzbehörde abhängig sein kann. Hierfür
gäbe es auch keine rechtliche Basis. In der Praxis scheinen
die Gerichte (EuGH/BFH) bisher allerdings tatsächlich
nur in solchen Fällen die objektiven Voraussetzungen der
innergemeinschaftlichen Lieferung als gegeben anzunehmen, in denen die Finanzbehörde diese Voraussetzungen
faktisch nicht bestritten hat14 (sondern isoliert Mängel des
Buch- und Belegnachweises angreift).
„Nichtbestreiten“ durch die Behörde: Angenommen,
die Gerichte würden in diesem Sinne auch dem BZSt in
Streitfällen einen weitgehenden Entscheidungsspielraum
einräumen. Womöglich könnte es der Behörde dann in
vielen Fällen freistehen, die objektiven Voraussetzungen
der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung unter Verweis auf die Adresse im Ausland für gegeben anzunehmen („Nichtbestreiten“ durch die Behörde).
Da laut BMF-Schreiben die „umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Lieferung des leistenden Unternehmers... von
der Versagung des Vorsteuerabzugs ... unberührt“ bleiben
soll, wäre damit keineswegs sichergestellt, dass das FA des
Leistenden die Steuerfreiheit gewährt. Wenn das FA die
strenge Sicht des V. Senats des BFH zu den Buch und Belegnachweisen zugrunde legt, wäre im Gegenteil zu erwarten, dass die Steuerfreiheit versagt wird, sofern die Steuerpflichtigen nicht zusammenarbeiten und die beiden Behörden ausnahmsweise zu einem verfahrensrechtlich umsetzbaren, koordinierten Ansatz bewegen können.
VII. Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität
durch sich widersprechende Entscheidungen
Kohärente Entscheidungen hinsichtlich Steuerbarkeit,
Steuerpflicht oder Steuersatz: Tatsächlich kann nur einheitlich entschieden werden, ob eine innergemeinschaftliche Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung unbestreitbar ausgeführt wurde bzw. dass objektiv zweifelsfrei feststeht,
dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind.15
Die Bewertung ein und desselben Vorgangs16 kann nicht
„für die Beurteilung des Vergütungsanspruchs im Vorsteuer-Vergütungsverfahren“ nach anderen Kriterien erfolgen als für die Beurteilung der Steuerbefreiung beim
leistenden Unternehmer. Dies folgt nicht nur aus allgemeinen Denkgrundsätzen, sondern auch aus der Rechtsprechung des EuGH. So hat dieser zwar grundsätzlich
keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten erkannt, ihr nationales Verfahrensrecht so zu gestalten, dass kohärente
Entscheidungen hinsichtlich Steuerbarkeit, Steuerpflicht
oder Steuersatz bei Zuständigkeit verschiedener Finanzbehörden getroffen werden. Allerdings hat der EuGH ausdrücklich festgestellt, dass die Mitgliedstaaten die zur
Wahrung der steuerlichen Neutralität erforderlichen (verfahrensrechtlichen) Maßnahmen treffen müssen.17 Sollte
sich herausstellen, dass verschiedene Behörden und/oder
Gerichte eines Mitgliedstaats weiterhin systematisch unterschiedliche Auffassungen über die Anknüpfung ein und
derselben Leistung in Bezug auf den Leistungserbringer einerseits und den Leistungsempfänger andererseits vertreten, so dass insbesondere der Grundsatz der steuerlichen
Neutralität verletzt wird, könnte dies nach Ansicht des
12 BFH v. 19.3.2015 – V R 14/14, BStBl. II 2015, 912 = UStB 2015,
243.
13 A.A. Meyer-Burow/Connemann, UStB 2015, 298.
14 Kritisch zu diesem Ansatz Meyer-Burow/Connemann, UStB
2015, 298.
15 Diese einheitliche Entscheidung bedeutet dann noch nicht
zwangsläufig, dass der Leistende sich auf die Steuerbefreiung berufen darf oder der Leistungsempfänger tatsächlich ein Recht
auf Vorsteuerabzug hat, denn liegt eine Einbindung in einen
Mehrwertsteuerbetrug vor, wäre die Berufung auf die Steuerbefreiung bzw. das Vorsteuerabzugsrecht rechtsmissbräuchlich.
16 Der Rechtsgedanke, dass ein und derselbe Vorgang nicht unterschiedlich bewertet werden darf, findet sich auch in der Verfügung der OFD Hannover vom 9.10.2009 (OFD Hannover v.
9.10.2009 – S 7500 - 466 - StO 171, UR 2010, 188) wieder. So
wird dort festgestellt, dass nur einheitlich entschieden werden
kann, ob eine Geschäftsveräußerung oder ein Organschaftsverhältnis vorliegt. Weder die Abgabenordnung noch das Umsatzsteuergesetz würden eine einheitliche Entscheidung sicherstellen.
Beurteilen daher die beteiligten Finanzämter und/oder Unternehmer den jeweiligen Sachverhalt unterschiedlich, sollen zunächst die Finanzämter eine einvernehmliche Abstimmung herbeiführen. Wird keine einvernehmliche Beurteilung erreicht, soll
bei einer Geschäftsveräußerung verwaltungsintern die steuerliche Beurteilung des FA maßgebend sein, das für den veräußernden Unternehmer zuständig ist, und bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft die steuerliche Beurteilung des FA, das für
den potentiellen Organträger zuständig ist. Die Regelung ist
bundeseinheitlich abgestimmt und gilt auch, wenn Finanzämter
verschiedener Bundesländer zuständig sind.
17 EuGH v. 26.1.2012 – Rs. C-218/10 – ADV Allround, ECLI:EU:
C:2012:35, UR 2012, 175 = EU-UStB 2012, 7, mit Komment.
Heinrichshofen.
steuerberater-center.de
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EuGH als Verstoß gegen die Verpflichtungen des Mitgliedstaats aus dem Unionsrecht angesehen werden.18 An
diesen Grundsätzen ist auch das BMF-Schreiben zu messen, das nicht etwa ein Verfahren etablieren darf, im Zuge
dessen es zu systematischen Verstößen gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität bereitet kommt.
Effektivbelastung mit Umsatzsteuer möglich: Angenommen, das BZSt hält das objektive Vorliegen der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung unter
Verweis auf das BMF-Schreiben für gegeben und verweigert die Vergütung der Vorsteuer. Sofern das FA des leistenden Unternehmers diese Auffassung nicht teilt und die
Umsatzsteuer festsetzt bzw. dem leistenden Unternehmer
nicht erstattet, würde die Umsatzsteuer angesichts der
sich widersprechenden Entscheidungen der verschiedenen
Finanzbehörden zu einer effektiven Belastung werden (etwa für den leistenden Unternehmer). Dies wäre ein klarer
Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer.
VIII. Beratungshinweis
Kooperation trotz unterschiedlicher Interessen: Die an
der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung beteiligten Parteien sollten sich nach Möglichkeit abstimmen und kooperieren sowie auf eine einheitliche
Rechtsanwendung durch die Behörden hinwirken. Die
Veranlagungen beider Parteien sind ggf. systematisch offenzuhalten. Die Interessenlage der Parteien wird allerdings oft nicht im Gleichklang sein. Der Leistende möchte
ggf. Umsatzsteuer weiterbelasten dürfen, ohne dies mit
dem Empfänger nachhaltig abstimmen zu müssen. Umgekehrt wird der Empfänger den Umsatzsteuerausweis in
der Rechnung ungern akzeptieren, solange die Rechtslage
bzw. der Vorsteuerabzug nicht klar ist.
FA des Leistenden sollte gewissenhaft prüfen: Der
Empfänger der Lieferung wird das BZSt regelmäßig darauf
hinweisen müssen, dass der Umsatzsteuerausweis dem
nicht ordnungsgemäß erbrachten Buch- und Belegnachweis geschuldet ist. Bei einem Umsatzsteuerausweis im
Fall einer innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung muss der Leistungsempfänger deshalb die
genauen Umstände mit dem Leistenden klären, bevor er
die Rechnung akzeptiert. Sollte das BZSt dennoch ohne
weiteres von der Steuerfreiheit ausgehen („Nichtbestreiten“ der Steuerfreiheit), sollte dies in der Regel nicht hingenommen und darauf verwiesen werden, dass der BFH
(dessen Rechtsprechung dem BMF-Schreiben zugrunde
liegt) nur für seltene Ausnahmefälle vorsieht, dass die
Steuerbefreiung trotz des nicht ordnungsgemäß erbrachten Buch- und Belegnachweises gewährt werden könne.
Dies sollte deshalb eine gewissenhafte Prüfung voraussetzen – für die ggf. eher das FA des Leistenden zuständig
sein sollte.
In bestimmten Fällen könnten die Parteien entsprechende Kooperationsvereinbarungen treffen, um sich gegenseitig rechtzeitig über die Prüfung von Steuerbefreiungen bzw. den Vorsteuerabzug informieren und in den
Verfahren unterstützen zu müssen.
Beiladung des anderen FA: Soweit ein Verfahren vor
den FG unausweichlich ist, besteht wohl die einzige Mög-
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UStB 7/2016
lichkeit, divergierende Entscheidungen rechtswirksam
auszuschließen, in der Beiladung bzw. Hinzuziehung der
jeweils anderen Finanzbehörde und des anderen Unternehmers.19 Nach Weinschütz ist zumindest immer dann,
wenn zwei sich widersprechende Entscheidungen konkret
drohen, die Beiladung – auch des anderen FA – im Finanzgerichtsprozess vorzunehmen.20
IX. Empfehlungen für alternative Maßnahmen
zur Vermeidung von Steuerausfällen
Effektive Belastung mit Umsatzsteuer droht: Soweit das
BMF mit dem Schreiben Steuerausfällen entgegenwirken
möchte, ist die Zielsetzung nachvollziehbar. Tatsächlich
dürfte aber leider die Gefahr auf der Hand liegen, dass das
BMF-Schreiben vom 16.2.2016 in vielen Fällen zu einer effektiven Belastung der involvierten Parteien mit Umsatzsteuer führen wird und daher ein Verstoß gegen den
Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer vorliegt.
Einheitliche Grundsätze des BMF wünschenswert: Das
BMF-Schreiben könnte daher so angepasst werden, dass
systematischen Verletzungen der Neutralität der Umsetzsteuer vorgebeugt wird. Das BMF sollte zu diesem Zweck
einheitliche Grundsätze aufstellen und die steuerliche Belastungsneutralität grundsätzlich sicherstellen. Wenn gemäß dem BMF-Schreiben der Ausweis von Umsatzsteuer
gerade wegen der „objektiven Steuerfreiheit“ als „unrichtig
ausgewiesen“ gelten soll, muss deshalb im Umkehrschluss
die Steuerfreiheit zwingend gewährt werden. Dieser Mechanismus ist den beteiligten Behörden vorzugeben. Ansonsten wird die befürchtete Benachteiligung des Staates
(s.o. III.) durch die rechtlich nicht hinnehmbare Benachteiligung gutgläubiger Unternehmer ersetzt.
Das angepasste BMF-Schreiben könnte deshalb vorsehen, dass das BZSt den Vorsteuerabzug unter Verweis
auf die „objektive Sachlage“ (nur dann) versagt, wenn das
für den Leistenden zuständige FA nach Rücksprache und
Fristsetzung (z.B. innerhalb von acht Wochen) bestätigt,
dass die Lieferung steuerfrei ist, weil der ordnungsgemäße
Buch- und Belegnachweis vorliegt oder die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Lieferung für unbestreitbar gegeben angesehen werden. Andernfalls bleibt es beim
Vorsteuerabzug (sofern es sich im Einzelfall nicht um einen Betrugsfall handelt).
Abgestimmte Versagung oder Gewährung des Vorsteuerabzugs: In Fällen der abgestimmten Versagung des
Vorsteuerabzugs ist das FA des Leistenden an diese Einschätzung gebunden und gewährt die Steuerbefreiung. In
Fällen der abgestimmten Gewährung des Vorsteuerabzugs
ist das FA des Leistenden an diese Einschätzung gebunden
und versagt die Steuerbefreiung. Sollte das FA in begründeten Einzelfällen hiervon abweichen – etwa, weil der
Leistende eine nach der Abstimmung verweigerte Steuerbefreiung später doch noch rechtlich durchsetzt –, ist die
18 EuGH v. 26.1.2012 – Rs. C-218/10 – ADV Allround, ECLI:EU:
C:2012:35, UR 2012, 175 = EU-UStB 2012, 7.
19 So Weinschütz, EuZW 2012, 221.
20 S. dazu Weinschütz, EuZW 2012, 221, mit weiteren Ausführungen.
Verlag Dr. Otto Schmidt 19.07.2016
UStB 7/2016
Buch- und Belegnachweis im Vergütungsverfahren | Meyer-Burow/Connemann | Beiträge für die Beratungspraxis
Vorsteuer im Nachhinein durch Änderung des Vergütungsbescheids oder im Erlassweg zu gewähren, wobei
die Voraussetzungen des Erlasses als gegeben gelten (wiederum mit Ausnahme von Betrugsfällen). Wenn eine Abstimmung durch die Behörden nicht möglich ist, etwa aus
verfahrensrechtlichen Gründen (Bestandskraft/Festsetzungsverjährung), ist die umsatzsteuerrechtliche Neutralität ebenfalls dadurch herzustellen, dass eine trotz Steuerpflicht verweigerte Vorsteuer im Nachhinein zu erlassen
ist.
Das FA des Leistenden hätte in diesen Fällen demnach
auf Anfrage des BZSt kurzfristig eine Prüfung des relevanten Vorgangs durchzuführen, etwa im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung für den relevanten Voranmeldungszeitraum. Wenn der Leistende die zu prüfenden Belege (soweit vorhanden) in diesem Zeitraum nicht zeitnah
beibringt (z.B. innerhalb einer Vierwochenfrist), wird die
Steuerbefreiung versagt und der Vorsteuerabzug gewährt.
Sofern der Verwaltungsaufwand (zur zeitnahen Unterstützung des BZSt bei Vergütungsverfahren) für einzelne
Finanzämter zu hoch sein sollte und eine Prüfung unterbleibt, ist der Vorsteuerabzug zu gewähren und auf eine
Durchsetzung der Steuerpflicht beim Leistenden zu achten. Stellt sich in einem solchen Fall später tatsächlich heraus, dass die objektiven Voraussetzungen der Steuerbefreiung vorliegen, ist die Steuerbefreiung zu gewähren und
ein Steuerausfall ggf. hinzunehmen. Ein ernsthaftes Risiko
für den Staat dürfte angesichts der strengen Rechtsprechung zu den objektiven Voraussetzungen und der praktischen Freiheit der Behörden in dieser Hinsicht (Möglichkeit des „Bestreitens“ der Steuerbefreiung; s.o. VI.1. und
2.) insofern gering sein.21
Risiko von Steuerausfällen: Das dem BMF-Schreiben
zugrunde liegende Risiko des Steuerausfalls kann im Übrigen wie folgt berücksichtigt werden. Dieses Risiko dürfte
darin bestehen, dass der Leistende nachträglich eine zunächst mit Umsatzsteuer ausgestellte Rechnung berichtigt
und eine Rechnung ohne Steuerausweis stellt und dass daraufhin die Umsatzsteuer vom FA an den Leistenden erstattet wird. Der ausländische Unternehmer wird die an
ihn vergütete Vorsteuer regelmäßig nicht zurückerstatten.
Der Steuerausfall entsteht hier im Hinblick auf die Berichtigungssystematik des § 14c Abs. 1 UStG, denn für die Berichtigung des unrichtigen Steuerausweises nach § 14c
Abs. 1 S. 1 UStG (und damit für den Anspruch des Leistenden auf Rückerstattung der Umsatzsteuer) kommt es
nicht darauf an, dass die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden sein muss. Wie schon an anderer
Stelle ausgeführt, hat der Leistungsempfänger zwar nach
§ 14c Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG die Verpflichtung, den Vorsteuerabzug zu berichtigen. Die Nichtbefolgung dieser Verpflichtung hat aber keine Auswirkungen
auf das Berichtigungsrecht des leistenden Unternehmers.
Würde in solchen Fällen – durch eine entsprechende gesetzliche Änderung – die Berichtigung des Steuerbetrags
(ebenso wie in § 14c Abs. 2 UStG) von der Beseitigung der
Gefährdung des Steueraufkommens abhängig gemacht
werden, wäre das Risiko des Steuerausfalls vermieden. Die
Rückzahlung der geltend gemachten Vorsteuer an die Finanzbehörde könnte in diesen Fällen auch durch den leis-
tenden Unternehmer erfolgen, nachdem dieser im Innenverhältnis die Umsatzsteuer von seinem Vertragspartner
zurückerhalten hat.
X. Fazit
Das BMF-Schreiben vom 16.2.2016 zum Vorsteuer-Vergütungsverfahren bei Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftlichen Lieferungen kann bei divergierenden
Entscheidungen des BZSt und des für den leistenden Unternehmer zuständigen FA über das objektive Vorliegen
der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung zu einer effektiven Belastung mit Umsatzsteuer führen. Dies
wäre ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer.
Ob eine innergemeinschaftliche Lieferung bzw. Ausfuhrlieferung unbestreitbar ausgeführt wurde, bzw. dass
objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen
der Steuerfreiheit erfüllt sind, kann nur einheitlich entschieden werden. Die Bewertung ein und derselben Vorgangs kann nicht „für die Beurteilung des Vergütungsanspruchs im Vorsteuer-Vergütungsverfahren“ nach anderen Kriterien erfolgen als für die Beurteilung der Steuerbefreiung beim leistenden Unternehmer.
Der Gefahr von Steuerausfällen auf der einen Seite und
der Gefahr des Verstoßes gegen den Grundsatz der Neutralität durch sich widersprechende Entscheidungen verschiedener Finanzbehörden auf der anderen Seite könnte
durch eine Abstimmung der involvierten Finanzbehörden
begegnet werden. Ebenso könnte die Berichtigung des
Steuerbetrags durch den leistenden Unternehmer von der
Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens abhängig gemacht werden.
Die an der innergemeinschaftlichen Lieferung bzw.
Ausfuhrlieferung beteiligten Parteien sollten sich nach
Möglichkeit abstimmen und kooperieren und auf eine einheitliche Rechtsanwendung durch die Behörden hinwirken. Die Veranlagungen beider Parteien sind ggf. systematisch offenzuhalten. Soweit ein Verfahren vor den FG unausweichlich ist, besteht wohl die einzige Möglichkeit, sich
divergierende Entscheidungen rechtswirksam auszuschließen, in der Beiladung bzw. Hinzuziehung der jeweils anderen Finanzbehörde und des anderen Unternehmers,
wobei auf die rechtliche Akzeptanz dieser Möglichkeit
hinzuwirken ist.
21 Anders mag es liegen, wenn der Leistende später doch noch die
ordnungsgemäßen Buch- und Belegnachweise findet oder erhält
und es aus diesem Grund zu einer Rechnungskorrektur (ohne
Umsatzsteuer) kommt. Solche Fälle könnte das FA des Leistenden ggf. nicht verhindern. Diese Fälle wären aber auch durch
den Wortlaut des jetzigen BMF-Schreibens nicht erfasst, denn
wenn die objektiven Voraussetzungen für die Steuerfreiheit
nicht vorliegen, ist der Vorsteuerabzug auch auf der Basis des
jetzigen BMF-Schreibens zu gewähren, solange der Buch- und
Belegnachweis nicht ordnungsgemäß vorliegt. Die Möglichkeit
der späteren Rechnungskorrektur bleibt erhalten. Das BMFSchreiben betrifft nur diejenigen Fälle, in denen die objektiven
Voraussetzungen für die Steuerfreiheit vorliegen und die Lieferung bereits aus dem Grund als steuerfrei zu behandeln ist.
steuerberater-center.de
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Dr. Otto Schmidt
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