1 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Amina und Svetlana Ein

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Amina und Svetlana
Ein Flüchtlingsmädchen aus Dagestan und ihr Vormund
AutorIn:
Ina Jackson
Redaktion:
Petra Mallwitz
Sendung:
Freitag, 22. Juli 2016 um 10.05 Uhr in SWR2
Wiederholung aus 2014
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MANUSKRIPT
Jingle
SWR-Sprecher:
Amina aus Dagestan ist 14 als sie ganz alleine, und ohne ein Wort Deutsch zu
sprechen, als Flüchtling in Berlin abgesetzt wird. Die Russin Svetlana kommt mit
Anfang 20 zum Studieren nach Berlin. Seit einem Jahr ist Svetlana Aminas
gesetzlicher Vormund und unterstützt Amina dabei, in der deutschen Gesellschaft
Fuß zu fassen.
Amina und Svetlana
Ein Flüchtlingsmädchen aus Dagestan und ihr Vormund
Von Ina Jackson
Gitarre stimmen
Amina und Svetlana:
(Amina) Als ich das erste Mal Svetlana gesehen habe, das war im Büro. Und ich gucke
da im Sofa sitzt so eine schicke Blonde (Lachen) - ich hab mir noch gedacht: Woher
kommt sie? Und da hat meine Betreuerin gesagt, dass sie meine Vormünderin sein will.
Gitarre stimmen
(Svetlana) Amina war mir sehr sympathisch. Von Anfang an. Ich wusste schon, dass
sie damals 15 war – aus Dagestan. Dann dachte ich zuerst: Na ja, also 15 kann
manchmal so’n schwieriges Alter sein, aber sie hatte schon irgendwas in ihren Augen so viel Erfahrung, was eigentlich für dieses Alter sehr, sehr untypisch ist.
Musik
Sabina Saidova - Dagestan
Erzählerin: Die 30-jährige Betriebswirtin Svetlana aus der Nähe des Uralgebirges und
das 16-jährige Flüchtlingsmädchen Amina aus dem Kaukasus: Wer die beiden heute
miteinander erlebt, vermutet nicht, dass sie sich erst vor einem Jahr kennengelernt
haben. Amina, deren dunkler Pferdeschwanz beim lebhaften Erzählen mitwippt, wirkt
auf den ersten Blick ganz unbeschwert.
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Vor zwei Jahren ist sie als 14-Jährige alleine aus der russischen Republik Dagestan
nach Berlin geflüchtet. Und das soll nicht jeder wissen.
Svetlana:
Als ich Amina kennengelernt habe, habe ich sie auch nicht unbedingt gleich gefragt,
warum, weshalb, wieso und wie ist sie nach Deutschland gekommen. Das hat sich
einfach so entwickelt, erst ein paar Monate später. Ich weiß ganz genau, dass man
manchmal nicht alles erzählen möchte, und ich glaube, man muss auch als Vormund
nicht unbedingt drauf bestehen. Das ist einfach ein sehr schwieriges Thema für diese
Jugendlichen, weil die Erfahrungen, die sie da gemacht haben, die sind schon heftig
und krass.
Erzählerin: Allmählich hat sich für Svetlana aus den Gesprächen mit Amina eine
Geschichte zusammengesetzt: Aminas Vater soll sich mit den falschen Freunden
eingelassen haben. In einem von Gewalt beherrschten Land wie Dagestan eine
gefährliche Sache. Am Ende drohten sie dem Vater mit der Entführung der Tochter.
Musik
Sabina Saidova – Dagestan
Entführungen passieren in Dagestan relativ oft, hat Svetlana von Amina erfahren. So
versuchen radikale Islamisten ihre Machtansprüche in der Gesellschaft durchzusetzen.
Aminas Vater sei daraufhin abgetaucht, und sie selbst habe überstürzt die Heimat
verlassen müssen. Ein Bruder der schon früh verstorbenen Mutter habe die Flucht
arrangiert: Zunächst mit dem Bus nach Moskau und von dort versteckt in einem LKW
weiter irgendwie nach Westen.
Amina:
Ich war hinten von ganz vielen Kisten. Ich habe zwei Tage, ungefähr so zwei Tage
gefahren. Aber wenn man drin ist, ich hatte so ein Gefühl, dass das zwei Wochen
gedauert hat. Oder einen Monat. (Lachen) Kein Sonnenlicht gesehen, wir sind zwei Mal
nachts rausgegangen, in die Toilette. Ich hatte eine Tüte mit Trinken und Essen, aber
ich wusste überhaupt nichts.
Erzählerin: Bei genauerem Nachfragen zu ihrer Flucht weicht Amina aus. Zu groß ist
die Angst, etwas preiszugeben, was sie oder andere gefährden könnte.
Amina:
Hmm... Ich erinnere mich nicht mehr. Das war schon lange her.
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Svetlana belässt es dabei. Für sie spielt es keine Rolle, wenn sie Aminas Geschichte
nicht in allen Punkten nachvollziehen kann. Fakt ist für sie, dass Amina nun alleine in
Deutschland ist und sich zurechtfinden muss. Dabei will sie ihr helfen. Rund 6.500
unbegleitete, minder-jährige Flüchtlinge wurden ähnlich unvorbereitet wie Amina 2013
in Deutschland abgesetzt. Wie es war, aus der Dunkelheit des LKW ans Tageslicht zu
krabbeln, weiß Amina noch gut.
Amina:
Meine ersten Worte waren: Oh Sonne! (Lachen) Und ich war so’n bisschen nervös,
weil, na ja ich wusste nicht, wo ich bin. Und die Leute, die vorbeigegangen sind, die
sprechen auf irgendwelche Sprache, die ich noch nie gehört habe. So ein Schock! Ich
habe gedacht, dass ich das alles nicht aushalte, oder ich werde verrückt, oder ich
sterbe. Ich fühlte mich sehr alleine. Dann habe ich erfahren, dass ich in Deutschland
bin, in Berlin. Naja...
Garten
Ach, guck mal Amina, so viele schöne Rosen! Unglaublich. So viele Rosen auf
einmal habe ich noch nirgendwo gesehen... Die riechen auch so sehr gut... Hmm, ein
bisschen süßlich, aber sehr angenehm... Ja, ich mag rote Rosen... Sehr
leidenschaftliche Farbe!
Erzählerin: Svetlana und Amina teilen viele Vorlieben und Erfahrungen. Nicht nur die
Liebe zur Natur. Ganz wichtig, dass auch Svetlana 2003 als Fremde von Russland
nach Deutschland gekommen ist. Um in Berlin Betriebswirtschaft zu studieren. Sie hat
selbst erlebt, wie schwierig es ist, in einer Umgebung Fuß zu fassen, wo vieles ganz
anders läuft als zu Hause.
Svetlana:
Man kennt niemanden, man kennt auch die Mentalität nicht so gut. Also man kommt
vielleicht nicht sofort klar mit anderen Menschen. Und mein Hauptproblem ganz am
Anfang war, dass ich die Menschen häufig gar nicht so richtig einschätzen konnte. Die
waren alle sehr nett und höflich, aber ich fand, sie waren nicht so offen. So dass ich
wirklich am Anfang gar nicht wusste, wem ich vertrauen kann und wem nicht.
Erzählerin: Amina ging es sehr ähnlich, wenngleich ihr Sprung ins kalte Wasser eine
vielfach größere Fallhöhe hatte – fast noch ein Kind, sprachlos und unfreiwillig nach
Deutschland geschickt und ohne Lebenszeichen vom Vater.
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Ihr Glück: Als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling wird sie von der deutschen
Jugendhilfe aufgefangen und darf bis zur Volljährigkeit nicht abgeschoben werden.
Garten
Ich muss sagen, die da in dieser Pastellfarbe, die finde ich auch total schön, mit den
großen Blüten... Ja... Gibt’s so was bei euch in Dagestan? Gibt’s bei euch Rosen?...
Ja, wenn man die selber wachsen lässt. Aber von alleine wachsen die nicht...
Nein?... Nein.
Erzählerin: Aminas erste Station in Berlin ist ein Heim für neu angekommene
Flüchtlings-jugendliche. Hier gibt es Betreuer, die russisch sprechen, und hier wird
geschaut, wie es für sie weitergehen könnte. Im Vordergrund steht das Erlernen der
deutschen Sprache - täglich zwei Stunden.
Musik
Sabina Saidova – Dagestan
Wenn Amina abends im Bett liegt, ist sie oft traurig. Etwas leichter ums Herz wird ihr,
wenn sie an Naruto denkt, den Jungen, der der Held ihrer heißgeliebten japanischen
Zeichentrick-filmserie ist. Wieviele Prüfungen hatte doch Naruto zu bestehen, bis er
endlich zu seiner vollen Kraft fand.
Amina:
Er hat nie nach hinten geguckt. Er hat immer nach vorne geguckt und alles für seine
Zukunft gemacht. Er hatte Ziele, und dann hab ich mir gedacht, okay, so mache ich
auch. (Lachen) Ich würde einfach über die schlechten Sachen nicht denken, einfach die
aus meinem Kopf weglassen und irgendwas machen, irgendwas, was mich
beschäftigen würde. Ich habe mir Hobbys gefunden, und ich habe angefangen, sehr
intensiv Deutsch zu lernen. Und dann habe ich ein paar Leute kennengelernt, die auch
aus Dagestan sind, und wir haben uns gegenseitig geholfen auch- miteinander geredet
und geweint...
Musik
Sabina Saidova – Dagestan
Amina:
Wenn ich über Dagestan denke, dann mache ich oft so Musik an. Zum Beispiel dieses
Lied... Musik... Ich habe oft dieses Lied in Dagestan gehört, und ich erinnere mich,
welche Gefühle ich mit diesem Lied hatte... Musik... Zum Beispiel als ich irgendwo an
der Straße gelaufen bin, in Dagestan. Und diese Atmosphäre, sogar dieses Duft, der da
war, ich erinnere mich, wenn ich dieses Lied höre.
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Ich war damals sehr, sehr glücklich.
Erzählerin: Amina erzählt, wie sie die Sehnsucht nach Dagestan und der Familie in
Wellen überfällt. Doch über den Vater spricht sie nicht - auch nicht mit Svetlana, der sie
vertraut. Niemand soll auf seine und ihre Spur kommen.
Bei Svetlana
Hallo Amina, wie geht’s? Wie war deine Woche?... Es war viel zu tun, Vorbereitung
zur Klassenarbeit und alles. Aber wir haben es geschafft... Sehr gut. Alles gut
überstanden... Ja. Bei dir? Ach, ich muss sagen meine Woche war ziemlich
anstrengend. Und ich hab das Gefühl, ich war von früh bis spät am arbeiten.
Amina ist froh, Svetlana als Vormund an ihrer Seite zu haben. Denn in der Regel wird
ein Amtsvormund eingesetzt, der sich nicht so stark engagiert wie ein ehrenamtlicher
Vormund. Allein schon, weil er viele Vormundschaften hat und nicht nur eine wie
Svetlana.
Svetlana:
Ich war fertig mit meiner Uni, und nachdem ich so zwei, drei Jahre gearbeitet habe,
wollte ich auch ehrenamtlich irgendwas machen, was auch anderen Menschen gut tun
könnte. Und dann wusste ich natürlich auch von Anfang an, muss es auf jeden Fall
einen Bezug zu Russland und Jugendlichen haben.
Erzählerin: Svetlana durchforstete das Internet, suchte in Ehrenamtsbörsen und stieß
dann auf AKINDA - ein Projekt, das in Berlin ehrenamtliche Vormundschaften für
minder-jährige Flüchtlinge, die ohne Eltern gekommen sind, vermittelt. Das kam dem,
was Svetlana gesucht hatte, sehr nahe. Bald schon saß sie in der AKINDAVeranstaltungsreihe, die jeden Vormund in spe auf sein Ehrenamt vorbereitet.
AKINDA Veranstaltung
Solange er Jugendhilfe bekommt, oder sie, ist ja das Jugendamt zuständig, ist er
nach diesem SGB VIII Kinder- und Jugendhilfegesetz finanziert. Wenn jetzt aber die
Jugendhilfemaßnahme beendet wird, was ja irgendwann der Fall ist, dann sehen Sie
an dieser Tabelle, wo derjenige sich hinwenden muss...
Das verpflichtende Schulungsprogramm wird dreimal jährlich angeboten und umfasst
insgesamt zwölf Stunden.
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Svetlana:
Es geht um das Ausländerrecht, die Rolle als Vormund, darum, worauf man achten
sollte, was wichtig ist, und was nicht so wichtig ist. Und das Ausbildungssystem und
über die Universitäten und über die Möglichkeiten von den Flüchtlingskindern, diese
Angebote wahrzunehmen. Dann gab’s auch nen Vortrag über Traumatisierung. Und
das war wirklich sehr, sehr nützlich. Ich meine, ganz viele Dinge weiß man auch so
selbst, dass man zuhören muss, dass man ohne Voreingenommenheit da rangehen
muss....
Erzählerin: Nach ein paar Wochen auf der AKINDA-Warteliste und der erfolgreichen
Überprüfung durch das Jugendamt bekam Svetlana schließlich einen Anruf von Aminas
Betreuerin. Bei ihnen in der Zwischenstation sei ein 15-jähriges Mädchen aus
Dagestan, sie gehe in die 9. Klasse und suche einen ehrenamtlichen Vormund. Ob
Svetlana im Büro vorbeikommen könne, um Amina kennenzulernen...
Amina und Svetlana:
A.: Ich hatte ganz schnell so ein Gefühl, dass ich ihr vertrauen kann. S.: Das war ein
Selbstläufer, also ich musste mir nicht mal Mühe machen oder so. Das hat einfach
geklappt. Wir haben miteinander gesprochen, und wir haben einander sehr gut
verstanden. A.: Am Anfang haben wir auf Deutsch geredet. Ich dachte, vielleicht hat sie
Russisch vergessen, deshalb spricht sie mit mir auf Deutsch. (Lachen) Und dann hab
ich ein paar Worte auf Russisch gesagt, und dann sie. Und dann haben wir uns schon
auf Russisch unterhalten. S.: Auf Russisch können wir einfach mehr sagen, genauer
unsere Gedanken ausdrücken. A.: Ja.
Gespräch auf Russisch
Amina:
Wir treffen uns fast jedes Wochenende, und wir gehen immer zusammen irgendwohin,
manchmal essen, manchmal etwas Sportliches... klettern... Das hat viel Spaß gemacht.
Und wir machen ganz viel Verschiedenes.
Garten
Wow.(Kichern), diese Zitrone, die ist fast wie mein Kopf... Warte mal, ist das ne
Zitrone? Die sieht ja schon aus wie ne Grapefruit, oder?... Keine Ahnung... Warte
mal, ich guck mal. Ja, das ist Grapefruit. Aber guck mal von den Blättern her, die
sehen echt ähnlich aus... Ja... Zitronenbaum und Grapefruitbaum.
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Svetlana und Amina:
S.: Für mich ist Amina eine Freundin und gleichzeitig so’ne Art kleinere Schwester. Also
ich hatte noch nie eine kleinere Schwester gehabt. Aber ich glaube, wenn ich eine
hätte, dann wäre es von der Beziehung her genauso wie mit Amina. Ich wollte nie für
sie nie so was sein wie eine Mutter, weil ich glaube, das wäre auch falsch. A.: Ich finde
das besser, dass wir wie Freundinnen sind. Weil deiner Freundin kannst du alles
erzählen, deiner Mutter nicht alles. (Lachen)
Erzählerin: Amina ruft Svetlana an, wenn sie Aufmunterung braucht oder einen Rat.
Manchmal spinnen die beiden auch zusammen aus, wie es für Amina weitergehen
könnte.
Amina:
Sie unterstützt mich richtig so sehr gut. Weil wenn ich mich schlecht fühle, dann wir
treffen uns, und wir reden über alles. Und wirklich, wenn ich mit ihr rede, es hilft mir so
psychologisch (Lachen) Ja.
Erzählerin: In der Woche, und wenn es um die alltäglichen Dinge des Lebens geht, ist
Aminas Anlaufstelle das Büro der Zwischenstation und ihre Betreuerin Christina.
Zwischenstation mit Christina
Hallöchen... Hallo... Christina, hallo!... Hallo... Sie müssen was unterschreiben. Ich
glaube, da geht es um – die würden mir erzählen, wie die Schule jetzt funktioniert. Mit
Abitur und alles... Okay, das ist ein Fragebogen, viele Fragen, auf die du antworten
musst...
Das Büro liegt in einer Parterre-Ladenwohnung in Berlin-Wedding. Amina und die
anderen von der Zwischenstation betreuten Flüchtlingsjugendlichen wohnen ganz in
der Nähe, in eigens für sie angemieteten Ein-Zimmer-Wohnungen. Amina schaut oft
mehrmals täglich im Büro vorbei. Hier ist immer Leben und mittags ein gedeckter Tisch:
ein offener Treffpunkt, der Nestwärme verströmt. Auch Ibo aus dem Senegal fühlt sich
davon angezogen.
Zwischenstation mit Ibo
Ca va Ibo? (Lachen)... Hallo! Wir gehen so in eine Klasse, 10. Klasse... ein Jahr schon
in eine Klasse... wir verstehen so... uns gut... Ja... Ich kann sagen, dass ich und Ibo
sind die häufigsten, die im Büro sind. (Lachen) Wenn du zuhause alleine sitzt, ist
natürlich langweilig, und deshalb sehen wir uns auch oft hier.
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Ich mag diese Atmosphäre hier. Ich hab Ibo ein paar Worte auf Russisch beigebracht.
(Lachen) Sag mal was du kannst... Ich kann nur so Schwester und Bruder auf
Russisch. Schwester ist... (Kichern) und Bruder ist... Ja, ich glaube so... (Lachen)
Erzählerin: Mit Ibo kann Amina leicht und spielerisch sein. Die beiden sind fast
gleichzeitig in Berlin angekommen und kennen sich schon aus den Anfangstagen. Mit
deutschen Freunden tun sie sich schwerer. Auch Svetlana kennt das.
Amina und Svetlana:
S.: Am Anfang war das bei mir auch so. Meine Freunde, die waren alle Ausländer, weil
man sich einfach so besser verstanden hat. Man hatte gleiche Probleme z. B. bei der
Ausländerbehörde oder man hatte die gleichen Schwierigkeiten, mit dem Lesen und mit
dem Verstehen, und waren wir alle gleich. Z. B. als wir versucht haben, mit den
deutschen Kommilitonen zu sprechen, dann hatten wir alle, also wir alle Ausländer,
immer das Gefühl unterlegen zu sein. Deswegen hat die Kommunikation gar nicht so
richtig gut funktioniert. A.: Ist schon ein bisschen schwierig. Ich hatte mehr so türkische
oder arabische Freundinnen. Und am Anfang - weil ich könnte halt nicht so gut
sprechen auf Deutsch. Und ich hatte auch kein Thema, mit dem ich mit Deutsche
unterhalten könnte.
Erzählerin: Seitdem Amina mit ihrer zehnten Klasse auf Klassenfahrt in London war, ist
sie ihren Mitschülerinnen Mandy und Ece ein wenig näher gekommen. Mandy und Ece
mögen Amina.
Ece und Mandy:
Sie ist sehr ne Liebe. Sehr ne Nette... Weil sie so sehr aufgeschlossen ist und auch auf
einen zukommt... Sie hat ein Herz... Kichern...Warum guckst du mich an?... Ich überleg
gerade..
Erzählerin: Die Berührungsängste sind kleiner geworden. Amina ist aufgegangen,
dass die Mitschülerinnen ihr gegenüber einfach unsicher waren. Mit Gleichgültigkeit
oder Ablehnung hatte das gar nichts zu tun. Das waren nur Aminas Ängste. Amina zu
fragen, wie sie nach Deutschland gekommen ist, hatten sich die Mitschülerinnen
schlichtweg nicht getraut.
Ece, Mandy und Amina:
E.: Mich hat’s eigentlich schon interessiert, weil wir reden nur so „Hallo“ und „Wie geht’s
Dir?“, und nur manchmal so im Unterricht, aber sonst so über private Sachen reden wir
nicht. M.: Weil vielleicht manche auch nicht gerne darüber reden, was passiert ist.
9
Oder weil man ja nicht wusste, wie man dann damit umgehen soll und so was.
A.:
Das ist alles sehr schwer, was ich erlebt habe und damit klarzukommen. Ich hoffe
einfach, dass die diese Erfahrung, die ich gehabt habe, dass die die nie erleben.
Gitarre spielen
Erzählerin: Amina hat sich in den ersten anderthalb Jahren in Berlin tapfer geschlagen.
Doch irgendwann schaffte sie es nicht mehr, wie ihr Idol Naruto nur nach vorne zu
schauen und all das Schlimme, was hinter ihr lag, beiseite zu schieben. Tagsüber ging
es noch, da forderte sie die Schule, ging sie zum Fitness-Studio, übte Gitarre, redete
mit anderen Menschen. Aber in den Nächten kamen die Albträume.
Amina:
Ich hatte oft schlechte Träume, wo ich einfach aufgestanden bin und angefangen habe
zu weinen. Und mir war es schlecht. Ich hatte irgendwelche Angst. Und das alles, und
dass ich alleine bin, das hat mich alles irgendwie langsam verrückt gemacht.
Erzählerin: Aminas Seelenlage, die so typisch für viele Flüchtlinge ist, bringt Vormund
und Betreuerin an ihre Grenzen. Svetlana und Christina raten Amina deshalb zu einer
Psycho-therapie. Einmall pro Woche, gleich nach der Schule, geht Amina nun zu Frau
Schau.
Amina:
Da erzähle ich alles, was mit mir passiert ist, und was ich alles erlebt habe. Und sie
erklärt mir, wie ich von Stress zum Beispiel rauskomme. Dass wenn ich Stress habe,
ich versuche einfach in einem Platz nicht zu sitzen. Ich versuche etwas zu machen, für
mich oder für jemanden, dass ich einfach nicht sitze und darüber nachdenke. Und sie
sagt, es ist noch nicht so viel Zeit gegangen, dass du das alles einfach vergisst. Mit der
Zeit wird’s besser.
Erzählerin: Amina bekommt mit jeder Therapiesitzung ein wenig mehr Sicherheit. In
der neunten Klasse hatte sie noch niemanden von der Flucht erzählen können. Sie
wollte in den Augen der Mitschüler auf keinen Fall als Opfer dastehen. Inzwischen,
seit sie ihre Stärken deutlicher spürt, fällt es ihr leichter über sich zu sprechen.
Svetlana freut Aminas Fortschritt. Unsicher ist sie jedoch, ob sie von sich aus mehr auf
Aminas Fluchterfahrungen eingehen sollte. Bei einer AKINDA-Fortbildung zum Thema
Traumatisierung holt sie sich deshalb Rat.
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Svetlana bei Fortbildung
Hallo, mein Name ist Svetlana Shtrantz, ich bin seit circa einem Jahr Vormund von
einem Mädchen aus Dagestan. Sie ist jetzt seit circa anderthalb Jahren hier in
Deutschland, und sie hat auch angefangen vor ein paar Wochen mit einer
Psychotherapie. Und ich habe eine allgemeine Frage, wie ich als Vormund sie vielleicht
dabei unterstützen kann, ob ich das machen soll, ob ich mit ihr darüber sprechen soll
und wie tief ich in die Thematik da reingehen darf? - Wenn es mit Gespräch möglich ist,
einfach ein Gespräch anbieten. Ich glaube, Sie sollten es nicht forcieren, aber einfach
emotionale Anbindung bieten. Der Mensch heilt den Menschen...
Svetlana:
Was ich mir persönlich so mitgenommen habe, war, dass wir einen Menschen nicht auf
sein Trauma reduzieren dürfen. Weil ein Mensch, dass ist viel, viel mehr. Und wir
können nicht immer da rangehen aus dem Hinblick von diesem Trauma oder so. Wir
können auch nicht so reden die ganze Zeit, das geht gar nicht.
Bei Svetlana
Ich gehe heute zu diesem Karneval... Ach, in Kreuzberg, ne?... du warst ja im letzten
Jahr zum ersten Mal dort... Ja, war ich. Ich gehe mit meinen Freunden... Sehr cool.
Der Straßenumzug, finde ich, der macht immer richtig Spaß, weil er so bunt ist. Es
gibt alle unterschiedlichen Menschen, mit verschiedenen Kleidern. Ich find’s echt
schön... Und diese ganze Energie, die macht ganz viel Freude. (Lachen)
Erzählerin: In der Schule lacht Amina selten so fröhlich. Denn dort kämpft sie oft mit
den hohen Ansprüchen, die sie an sich stellt, und nicht immer erfüllen kann. Dabei ist
sie eine sehr gute Schülerin. Mathe und Musik sind ihre Lieblingsfächer. Wenn nur das
verflixte Deutsch nicht wäre...
Amina und Svetlana:
A.: Wenn ich etwas mache, dann muss es perfekt sein. Und wenn ich es nicht gut
bekomme, dann werde ich auf mich sehr sauer. Es war richtig schlimm, als ich mit
Deutschen so geredet habe und plötzlich habe ich mich aufgehangen, weil ich habe ein
Wort vergessen, und das, das habe ich gehasst. Dann war ich richtig wütend auf mich
selbst. S.: Manchmal möchte ich ihr sagen: Amina, du bist hier erst seit eineinhalb
Jahren, mach mal nen bisschen langsamer. Das kommt schon alles. (Lachen Amina)
Das ist schon okay.
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Schule
Erzählerin: Es ist die letzte Woche vor den großen Ferien. Amina steht neben ihrem
Klassen-lehrer Herrn Wiedemann und strahlt. Im zweiten Anlauf hat sie in der DeutschNachprüfung ihren Mittleren Schulabschluss geschafft.
Amina und Lehrer Wiedemann:
A.: Um meine Note zu verbessern, musste ich in Deutsch eine Eins kriegen... um MSA
zu machen, ja... Das war natürlich für mich ein bisschen so unmöglich sozusagen.
(Lachen) W.: Tja, sie hat das Unmögliche möglich gemacht. Sie hat uns total
beeindruckt, mit einer ganz hervorragenden Analyse einer Kurzgeschichte, und sie hat
die Eins bekommen. Es war wirklich großartig, was sie gesagt hat. Wir waren selber
ganz gerührt, dass das so geklappt hat. Und wir sind auch stolz auf dich. A.: Danke!
(Kichern)
Erzählerin: Manchmal lohnt es sich eben doch, seine Messlatte ganz hoch zu legen.
Amina stehen nun viele Türen offen: eine Ausbildung in Bürokommunikation an einem
Oberstufenzentrum oder auch bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, wo sie
schon mal ein Praktikum gemacht hat. Und später vielleicht noch studieren. Wer weiß?
Amina und Svetlana:
A.: Ich will etwas erreichen. Ich will nicht einfach so sitzen und warten und immer das
Geld vom Jugendamt kriegen oder so. Ich will selbstständig sein, irgendwann. S.: Das
ist ganz toll. Und dieser Wunsch und diese Zielstrebigkeit, sie verdient es unterstützt zu
werden. In Deutschland gibt es ja immer wieder diese Diskussionen, dass man halt hier
dieses demographische Problem hat, dass die Bevölkerung immer älter wird. Und ich
finde diese jungen Menschen sind eigentlich die Lösung - wenn man sie unterstützt,
und wenn man ihnen diese Chance gibt. A.: Ich will einfach, dass ich glücklich werde.
Langsam werd ich das auch, weil... ich liebe natürlich Dagestan auch, aber Berlin... ich
hab so ein Gefühl, dass diese Stadt für mich gebaut ist.
Gitarre stimmen
ENDE
Absage:
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Amina und Svetlana
Ein Flüchtlingsmädchen aus Dagestan und ihr Vormund
Von Ina Jackson
Musik: Sabina Saidova feat. Pryamoe Popadani – Dagestan (2012) freie Musik
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