Pastoralreferentin Dr. Sabine Gahler, Darmstadt / Pfarrer Harald Seredzun, Ludwigshöhe Kath. Morgenfeier in hr 2-kultur am Sonntag, 17.7.16 Kampf und Kontemplation Kampf und Kontemplation – das ist ein zentrales Kennzeichen christlicher Spiritualität. So hat es seinerzeit das Jugendkonzil von Taizé verkündet. Taizé, die ökumenische Ordensgemeinschaft in Frankreich, wo Ordensleute aus vielen Ländern und verschiedenen Konfessionen zusammen leben. In den siebziger Jahren fand dort ein so genanntes Jugendkonzil statt. Jugendliche aus der ganzen Welt trafen sich, um gemeinsam zu überlegen: Was bedeutet es, in der heutigen Welt, mit all ihren Problemen, als Christ zu leben. Sie meinten: Es bedeutet Kampf und Kontemplation. Kampf, natürlich nicht mit Waffen, sondern mit der Kraft des Glaubens. Kampf für mehr Gerechtigkeit in der Welt, wo das Unrecht zum Himmel schreit. Die Kontemplation, das intensive, betrachtende Gebet will dabei die unerschöpfliche Kraftquelle sein. Kampf und Kontemplation – das erinnert mich ein wenig an das alte benediktinische ora et labora, bete und arbeite. Arbeite – das ja braucht nicht nur das tägliche Arbeiten zu bedeuten. Arbeit darf sicher auch in einem ganz umfassenden Sinn verstanden werden: Arbeiten, sich einsetzen für all das, was Not lindert und das Leben der Menschen menschlicher machen kann. Dafür lohnt sich gewiss der Kampf, der Einsatz mit allen verfügbaren Kräften. Vielleicht sind die Leitmotive ora et labora und Kampf und Kontemplation wirklich miteinander verwandt. Das Evangelium, das heute in den katholischen Gottesdiensten verkündet wird, hat mit diesen großen Themen Frieden, Gerechtigkeit, Kampf für eine bessere Welt auf den ersten Blick gar nichts zu tun. Von großen Problemen ist da keine Rede. Es handelt sich eigentlich um eine einfache alltägliche Begegnung. Jesus macht einen Besuch. Er besucht zwei Schwestern, mit denen er wohl gut bekannt ist. Zwischen diesen beiden Schwestern, Marta und Maria mit Namen, besteht eine gewisse Spannung, ein gewisser Konflikt. Die eine Schwester bittet ihn, da einzugreifen, zu vermitteln. Jesus tut das, und was er dabei sagt, scheint mir in seiner Bedeutung weit über den kleinen Konflikt der beiden Schwestern hinaus zu reichen. Und in gewisser Weise geht es dabei auch um das Thema Kampf und Kontemplation. Musik 1: Arvo Pärt: Ricercare (CD: Tabula Rasa, Ulster Orchestra, Takuo Yuosa, Track 5). Das Lukasevangelium erzählt (vgl. Lk 10,38-42): „In jener Zeit kam Jesus in ein Dorf, und eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich mit Jesus zusammen und lauschte seinen Worten. Martha dagegen war ganz davon in Anspruch genommen, das Essen zuzubereiten, Getränke zu bringen und den Gast zu bedienen. Als Maria keine Anstalten machte, um ihr zu helfen, beschwerte sich Marta schließlich und sagte zu Jesus: Kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Da sagte Jesus: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen und kümmerst dich um alles Mögliche. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt. Das soll ihr nicht genommen werden.“ Musik 2: J. Turle: Ps 133 (CD: Praise the Lord o my Soul, Ely Cathedral Choir, Paul Trepte, Track 12). Ehrlich gesagt, mir gefällt es gar nicht so recht, wie Jesus auf die Beschwerde der Marta antwortet. Eigentlich möchte ich spontan für Marta Partei ergreifen. Sicher, man lässt einen Gast nicht einfach allein da sitzen. Dabei frage ich mich allerdings: War Jesus tatsächlich allein? Normalerweise war er ja immer mit seinen Jüngerinnen und Jüngern unterwegs. Wenn diesmal wirklich niemand bei ihm war, fände ich das schon etwas ungewöhnlich. Aber ich muss es wohl so annehmen, Lukas erwähnt jedenfalls keine Begleitung. Sei’s drum. Dennoch meine ich: Maria hätte sich einen Moment zu ihm setzen, ein paar Worte wechseln können, sich dann entschuldigen, um ihrer Schwester zu helfen. Schließlich hätten sie dann beide den Worten Jesu ihre ganze Aufmerksamkeit schenken können. Aber - ich muss es zur Kenntnis nehmen - Jesus sieht das offenbar anders. „Marta, Marta, du machst dir viele Mühen, aber nur eines ist notwendig“, sagt er. Anscheinend wollte Marta es für den hohen Gast besonders gut machen. Ihr war Gastfreundschaft wohl heilig, und sie legte offensichtlich großen Wert auf eine gute Bewirtung. Vielleicht hoffte sie auch im Stillen: Wenn ich den hohen Gast perfekt bewirte, wird er mir sicherlich ein dickes Lob aussprechen. Aber so lief es nicht. Jesus legte gar nicht so viel Wert auf seine Bewirtung. Ihm wären wohl ein Glas Wasser und eine Kleinigkeit zum Essen völlig ausreichend gewesen. Das Gespräch war ihm viel wichtiger. Es war ihm viel wichtiger, für seine Worte, seine Botschaft ein offenes Ohr, noch mehr ein offenes Herz zu finden. „Maria hat das Bessere gewählt“, sagte er. Maria lauschte seinen Worten. Musik 3: Huub Oosterhuis / Antoine Oomen: Hör. Doch ich kann nicht hören (CD: Atem meiner Lieder. 100 Lieder und Gesänge, Schola der kleinen Kirche Osnabrück, Ansgar Schönecker, CD 2, Track 13). Ein offenes Ohr für die Frohe Botschaft, für die Botschaft von Gottes Barmherzigkeit, für die Botschaft vom Reich Gottes, das die Macht des Bösen, schließlich die Macht des Todes überwindet, für die Botschaft der Liebe, die alle Menschen umfangen will – diese Botschaft ist gut. Schön und gut. Aber gerade diese Botschaft darf sich nicht in Worten erschöpfen. Sie muss durch Taten verkündet werden. „Nur eines ist notwendig“, sagt Jesus zu Marta. Ich weiß nicht. Sind nicht tausend Dinge notwendig, damit die Probleme in der Welt gelöst werden? Braucht die Welt nicht die Menschen, viele Menschen, die die Ärmel hochkrempeln, die zupacken, die auch den politischen Willen haben, Dinge zu verändern, die über die wirtschaftliche, die organisatorische, logistische Kompetenz verfügen und was alles noch dazu gehört? Ist nicht all das notwendig? Kurzum: Braucht es nicht Menschen, die das Evangelium praktisch umsetzen, die es nicht mit Worten, sondern mit Taten verkünden, im Großen wie im Kleinen? In der Figur der Marta sehe ich quasi den Prototyp Mensch, der handelt. Marta betrachte ich als eine Macherin. Viel reden war nicht ihre Sache. Aber anpacken, das konnte sie. Ich kann nur sagen: Gott sei Dank gibt es sie in unserer Welt, die Kämpferinnen und Kämpfer, die Einsatzfreudigen, die es nicht bei guten Worten bewenden lassen, die handeln. Es gibt davon wohl nie genug. Und dennoch: Kämpfen, zupacken, handeln ist nicht das allein Seligmachende. Musik 4: Raymond Weber / Peter Janssens: Selig seid ihr (CD: Auf, lasst uns jubeln CD 2, Track 11). Es ist ein wunderbarer, aber wohl illusorischer Gedanke: Wenn alle Menschen guten Willens auf der Welt sich zusammenschließen würden, ja wenn alle Menschen auf der Welt guten Willens wären, dann sähe die Welt anders aus. Ganz gewiss wäre das wohl so. Doch wie gesagt, das ist wohl eine Illusion. Aber selbst wenn diese Illusion Wirklichkeit würde, gäbe es dann das Paradies auf Erden? Wäre dann alles Leid verschwunden? Gäbe es dann keine Krankheiten mehr? Gäbe es keine Naturkatastrophen mehr? Gäbe es den Tod nicht mehr, der uns das Kostbarste nimmt, das eigene Leben, das Leben unserer Liebsten? Der christliche Glaube war nie bereit, an das Paradies auf Erden zu glauben. Der christliche Glaube verlangt zwar, mit allen Kräften für eine bessere Welt zu kämpfen. Aber er verheißt diesem Kampf nicht das Paradies auf Erden. Die Verheißung des christlichen Glaubens ist, in der Sprache der Bibel, das Reich Gottes. Der Kampf für eine bessere Welt bereitet dem Reich Gottes den Weg. Doch es kommt nicht durch diesen Kampf, es kommt nicht durch Menschen. Es kommt durch Jesus Christus, durch seine Auferstehung, die den Tod besiegt hat. Das Reich Gottes kommt, wenn der Strom der Zeit ins Meer der Ewigkeit mündet. Diese Verheißung zu bedenken, braucht Besinnlichkeit, Kontemplation, Gebet, das Hören, das Lauschen auf das Wort des Evangeliums, das Jesus verkündet hat. Wenn jemand ganz in seinem Tun, seinen Aktionen, seinem Einsatz aufgeht - zu dem sagt Jesus sehr pointiert: Nur eines ist notwendig. Kein Mensch kann mit all seinen Mühen und Aktionen die Not des Sterben-Müssens wenden. Das im tiefsten Sinn des Wortes Notwendige, das diese Not wendet, kommt nicht durch das Tun des Menschen, sondern durch die Tat Gottes, die Auferstehung heißt. Musik 5: Huub Oosterhuis / Antoine Oomen: Aller Hoffnung geht zu dir (CD: Atem meiner Lieder. 100 Lieder und Gesänge, Schola der kleinen Kirche Osnabrück, Ansgar Schönecker, CD 4, Track 26). Kampf braucht Kontemplation, braucht Innehalten, Nachdenken, Gebet. Sonst besteht aus der Sicht des christlichen Glaubens die Gefahr, dass der Mensch allein auf seine Kraft vertraut, dass er nur aus eigenen Kräften schöpfen will. Und das führt über kurz oder lang zur Erschöpfung. Manchmal kommt mir der Gedanke: Selbst wenn ich pausenlos tätig wäre, es käme nie der Punkt, an dem ich sagen könnte: Alles ist getan, alle meine Aufgaben sind erledigt, alle Probleme in meinem Leben sind gelöst. Nein, das zu hoffen scheint mir unrealistisch. Und was im Leben des Einzelnen und für die Welt im Kleinen gilt, das gilt wohl auch für die Welt im Großen: Selbst wenn alle Menschen guten Willens pausenlos tätig wären und sich alle Mühe gäben, die Welt zu verbessern – die absolut heile Welt, in der alle Tränen getrocknet sind, alle Wunden geheilt, in der keine Trauer mehr ist, kein Tod und keine Klage, wie die Bibel sagt (vgl. Apk 21,4), diese absolut heile Welt bliebe ein unerreichbarer Traum.. Ora et labora – bete und arbeite sagte der heilige Benedikt. Er stellte das Gebet, die Kontemplation, die Besinnung sogar vor die Arbeit, die Aktion, den Kampf. Vielleicht würde er es, wenn er heute leben würde, tatsächlich in dieser Reihenfolge sagen: Kontemplation und Kampf statt Kampf und Kontemplation. Das Gebet und das Hören auf Gottes Wort hat sich durch die Jahrhunderte für viele als eine Kraftquelle erwiesen, die unerschöpflich ist, gerade dann, wenn Menschen mit ihrer Kraft am Ende und restlos erschöpft waren. Musik 6: Maurice Durufllé: Notre Père (CD: Duruflé, Sacred Choral and Organ Works Vol 1, Ensemble Vocal Michel Piquemal, Track 15). Marta und Maria, die beiden Schwestern aus der Erzählung des Evangeliums, scheinen mir als exemplarische Figuren dazustehen für Arbeit und Ruhe, Aktivität und Innehalten, Kampf und Kontemplation. Ich möchte die beiden nicht gegeneinander ausspielen. Ich möchte die eine nicht über die andere stellen. Ich glaube, die Welt braucht beide. Sie braucht die Marthas genauso wie die Marias. Und eigentlich wäre es gut, wenn in jeder Frau und in jedem Mann ein Stück Marta und ein Stück Maria stecken würde. Marta und Maria, Kampf und Kontemplation sind Geschwister. Mag sein, dass meistens die Begabungen, die in Menschen stecken, nicht ganz ausgewogen sind. Wie mir scheint, gibt es schon deutliche Ausprägungen, gibt es die Marta-Typen und die Maria-Typen. Das Zauberwort heißt hier Ergänzung. Ein Wort, das deutlich macht: Niemand kann das Ganze leisten, das Ganze bewältigen, bewahren. Niemand kann alles. Keiner hat die ganze Wahrheit. Alle sind auf alle angewiesen. Nur zusammen kann man alles oder annähernd alles wahrnehmen, alles anpacken. In der Ergänzung liegt das offene Geheimnis guten menschlichen Zusammenwirkens. Deshalb: Selbst auf die Gefahr hin, nicht ganz den Worten Jesu gerecht zu werden - ich möchte Marta und Maria die gleiche Ehre erweisen. Musik 7: Huub Oosterhuis / Ic seg adieu: Das Wort, in dem die Richtung (CD: Atem meiner Lieder. 100 Lieder und Gesänge, Schola der kleinen Kirche Osnabrück, Ansgar Schönecker, CD 2, Track 13).
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