Lebenszeichen vom 10.07.2016

Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen
Religionen Terror und Verderben?
Lebenszeichen
Autor: Wolfgang Meyer
Redaktion: Christina-Maria Purkert
10.07.2016
Sprecher 1:
Zwischen 2001 und 2014 starben weltweit 108.294 Menschen bei Terroranschlägen. Die
meisten im Irak.
Sprecherin:
Irak
Sprecher 1:
42.759
Sprecherin:
Afghanistan
Sprecher 1:
16.888
Sprecherin:
Syrien
Sprecher:
5.592
Sprecherin:
USA
Sprecher 1:
3.047
Autor Wolfgang Meyer:
In Westeuropa waren es im gleichen Zeitraum 420 Tote. Hinzu kommen noch die Opfer der
jüngsten Anschläge von Paris und Brüssel. Und in den USA müssen die Toten des
Anschlags von Orlando addiert werden. Des Anschlags auf eine Schwulenbar.
Sprecher 1:
Welche Rolle spielt Religion?
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des
Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch
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Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen Religionen Terror und Verderben?
Von Wolfgang Meyer
Lebenszeichen
10.07.2016
Sprecher 2:
„Seid nicht traurig, ihr Christen!“
Sprecher 1:
...sagt ein Baptistenpfarrer in Kalifornien auf der Kanzel, es sei Gottes Wille, dass solche
Leute mit dem Tod bestraft werden.
Sprecher 2:
„Ich rufe niemanden auf, Homosexuelle umzubringen, aber eine rechtschaffene Regierung
würde sie alle vor ein Erschießungskommando stellen und ihnen die Hirne wegblasen!“
O-Ton Pastor Roger Jimenez of Verity Baptist Church:
„If they will not stand with us against the homos, then they will not stand with us
against anything!”
Sprecher 2:
„Die Hirne wegblasen.“
Sprecher 1:
Bestellt da ein Geistlicher mit verbaler Gewalt den Acker, auf dem physische Gewalt
gedeihen wird? – Er ist nicht der Einzige.
O-Ton Rolf Tophoven:
„Heute liegt die Gefährlichkeit des terroristischen Phänomens, wie ich es sehe, darin,
dass der religiöse Touch, die religiöse Inspiration zur Rechtfertigung der Taten mit
herangezogen wird.“
O-Ton Pastor Roger Jimenez of Verity Baptist Church:
...against anything!
O-Ton Hass-Prediger:
Er fordert Dschihad. Wir akzeptieren nur das Gesetz von Allah – Fürchtet Niemanden
außer Allah, ihr braucht vor niemandem Angst haben! Allah akbar...
O-Ton Rolf Tophoven:
...der religiöse Touch.
O-Ton Andreas Püttmann:
Für das Christentum in Deutschland zeigen diverse Studien eine geringere
Gewaltneigung bei christlich orientierten und kirchennahen Menschen.
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Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen Religionen Terror und Verderben?
Von Wolfgang Meyer
Lebenszeichen
10.07.2016
O-Ton Hass-Prediger:
Allah akbar...
O-Ton Rolf Tophoven:
Die Religion und der Terror im Namen der Religion, wie der IS ihn praktiziert, ist mit
Sicherheit nicht gottgewollt.
O-Ton Andreas Püttmann:
geringere Gewaltneigung...
O-Ton Riccarda Hinz:
Also natürlich sind Religionen nicht die alleinige Ursache für Terror und Gewalt...
O-Ton Rolf Tophoven:
…nicht gottgewollt.
O-Ton Generalverdacht und Rechtfertigungsdruck, Muslim:
Es ist Terror, Terror hat auch keine Religion oder keine Nationalität.
O-Ton Riccarda Hinz:
Ursache für Terror und Gewalt
O-Ton Andreas Püttmann:
Also die Gewalt, die von kleinen Segmenten radikaler Christen ausgeht, bewegt sich
bei uns nicht im Bereich der brachialen Gewalt...
O-Ton Generalverdacht und Rechtfertigungsdruck, Muslim:
...keine Religion oder keine Nationalität.
O-Ton Rolf Tophoven:
Diese Brutalität hat die Menschen in Angst und Schrecken versetzt, und das kann
sicherlich kaum aus einer großen Religion abgeleitet werden...
O-Ton Andreas Püttmann:
...nicht im Bereich der brachialen Gewalt...
O-Ton Riccarda Hinz:
Man wird einem Weltfrieden sicherlich nur durch religiöse Abrüstung näherkommen.
O-Ton Rolf Tophoven:
...in Angst und Schrecken versetzt.
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Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen Religionen Terror und Verderben?
Von Wolfgang Meyer
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10.07.2016
O-Ton Rolf Schieder:
Der Kain erschlug den Abel aus religiösen Gründen. Und wir alle sind ja letztlich
Nachfahren Kains.
O-Ton Riccarda Hinz:
...durch religiöse Abrüstung näherkommen.
Sprecher 1:
Welche Rolle spielt Religion?
Sprecher 3:
„Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten!
Sprecherin:
Psalm 139,19“
Sprecher 1:
Wir leben jenseits von Eden. Wir sind...
Sprecher 2:
Böse!
Sprecher 1:
Wir sind die Nachfahren Kains. Sagt der Theologe.
Sprecherin:
Rolf Schieder, Professor für praktische Theologie und Religionspädagogik, HumboldUniversität Berlin.
O-Ton Rolf Schieder:
In der Tat liegt im Religiösen selbst eine Gewalt, die Menschen so überwältigen kann,
dass sie vielleicht die Gefahren, die davon ausgehen, selbst nicht mehr richtig
einschätzen können. Der Kain erschlug den Abel aus religiösen Gründen.
Sprecher 3:
„So sie den Rücken kehren, so ergreifet sie und schlagt sie tot, wo immer ihr sie findet.“
Sprecherin:
Sure 4, Vers 89
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Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen Religionen Terror und Verderben?
Von Wolfgang Meyer
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10.07.2016
Sprecher 1:
Die Welt brennt im Namen Allahs und im Namen Gottes und im Namen welchen mythischen
Wesens auch immer. Christen und Juden und Muslime berufen sich auf Schriften, die vor
Brutalität strotzen, schon Kinder hören die Geschichten von einem Mann wie Abraham, der
heute wegen Kindesmisshandlung vor Gericht gestellt würde, die Erwachsenen glauben an
Jungfrauen, die Kinder gebären und an Männer, die über’s Wasser laufen und den Tod
überwinden können. Naiver Kinderglaube, keine Frage, aber was, wenn er wörtlich
genommen wird? Islamisten zünden Bomben, bringen den Tod in die Welt, weil sie
angeblich mit 72 Jungfrauen belohnt werden, die ausnahmsweise keine Kinder erwarten,
sondern Sex. Und die, die bei all dem nicht mitmachen, werden von ihrem strafenden Gott in
die ewige Verdammnis geschickt. Und die Liebe? Wer Liebe predigt wird mit Kreuzigung
bestraft oder – schlimmer noch – verliert den Zugang zum Spiel um Einfluss und Macht.
Liberale Christen, liberale Muslime – sie werden nicht ernst genommen von ihren HardcoreBrüdern und –Schwestern.
Sprecher 3:
„Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten!“
Sprecherin:
Psalm 139,19
Sprecher 1:
Religionen leben von Mythen. Das ist weiter kein Problem. Aber sie können gefährlich
werden. Denn diese Hardcore- oder, wie sie sich sehen: diese wahren Gläubigen nehmen
die Mythen ernst.
O-Ton Rolf Tophoven:
heute liegt die Gefährlichkeit des terroristischen Phänomens, wie ich es sehe, darin,
dass der religiöse Touch, die religiöse Inspiration zur Rechtfertigung der Taten mit
herangezogen wird.“
Sprecherin:
Rolf Tophoven, Autor,
Terrorismusexperte.
Direktor
des
Instituts
für
Krisenprävention
in
Essen,
O-Ton Rolf Tophoven:
Es wird im Namen Allahs, im Namen der Religion, im Namen Gottes gebombt und
gemordet, und das ist das Neue. Und daran knüpft sich auch an, oder ergibt sich aus
diesem Phänomen, dass auch die Bekämpfung dieses Phänomens und auch das
Verständnis dieses terroristischen Phänomens seitens der herausgeforderten Staaten
extrem schwierig ist.
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Von Wolfgang Meyer
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10.07.2016
Autor Wolfgang Meyer:
Gemessen an den Zahlen der Toten hatte der Terrorismus der 70er und 80er Jahre des 20.
Jahrhunderts zumindest in Westeuropa deutlich schlimmere Auswirkungen. Allein zwischen
1972 und 1988 starben hier mehr als 150 Menschen durch Terrorangriffe. Danach gingen
die Zahlen deutlich zurück. Aber: Diese damals politisch motivierten Angriffe waren nur für
die jeweiligen Regionen bedrohlich – niemand in Deutschland musste die ETA fürchten, kein
Spanier die RAF. Der heutige, religiös motivierte, noch genauer: Der islamistische Terror
hingegen kann jeden in Westeuropa zu jeder Zeit treffen. Und er wirkt auch noch aus
anderen Gründen wesentlich bedrohlicher.
O-Ton Rolf Tophoven:
Der Aufstieg des IS resultiert vor allem aus seiner ungeheuren, exorbitanten Brutalität.
Und diese Brutalität hat die Menschen in Angst und Schrecken versetzt...
Sprecher 1:
Eine Angst, die der so genannte IS hoch-professionell und geschickt mithilfe der sozialen
Netzwerke in der Welt verbreitet.
Sprecher 2:
Du kannst dem Zorn Allahs und seinem heiligen Feuer nur entkommen, wenn du uns folgst.
Sprecher 1:
Und nicht nur auf Twitter.
Sprecher 3:
„Tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie und lauert ihnen
aus jedem Hinterhalt auf!“
Sprecherin:
Sure 9, Vers 5.
Sprecher 2:
Im Religiösen liegt eine Gewalt, die den Menschen überwältigen kann. Der Kain erschlug
den Abel.
Sprecher 1:
Es ist fast zu banal, um es zu erwähnen: Die Geschichte der Christen ist eine Geschichte
der Gewalt. Der Kreuzzüge, der Brandschatzungen im 30-jährigen Krieg, der
Hexenverbrennungen, eine Geschichte des Kindesmissbrauchs, der Unterdrückung der
Frauen, der Diskriminierung Homosexueller. Vieles mag sich geändert haben, aber hat sich
auch das Denken geändert? Oder der Glaube? Viele Millionen US-Amerikaner etwa nehmen
die Bibel wörtlich.
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10.07.2016
Sprecher 2:
Seid nicht traurig, es ist Gottes Wille, dass solche Leute mit dem Tod bestraft werden.
O-Ton Riccarda Hinz:
„Die Geschichte der monotheistischen Religionen ist voller Konflikte und gewalttätigen
Auseinandersetzungen, viele Kriege sind wie ne Perlenkette entlang der
Religionsgrenzen, ...“
Sprecherin:
Riccarda Hinz, Düsseldorfer Aufklärungsdienst, eine Initiative in der humanistischen
Giordano-Bruno Stiftung. Einer Vereinigung von Religionslosen und Religionskritikern.
O-Ton Riccarda Hinz:
„...weil jede Religion ein Innen und ein Außen schafft, eine Gemeinschaft der
Dazugehörigen, das ist ja sozusagen der Sinn von Religionen, eine Grenze zu
schaffen, wer dasselbe glaubt, gehört dazu, und wer nicht dasselbe glaubt, ist
außerhalb. Und ist nicht so viel wert, wird abgewertet.“
Sprecher 2:
Washington. Unbekannte haben in der US-Kleinstadt Buford (Georgia) eine kontroverse
Kirchen-Hinweistafel zerstört.
Sprecherin:
KNA. Katholische Nachrichtenagentur.
Sprecher 2:
Darauf waren in großen Lettern die Worte zu lesen:
Sprecher 3:
„Gott erschuf Mann und Frau, Satan schuf Schwule und Transsexuelle.“
Sprecher 2:
Er halte diese Botschaft nicht für beleidigend, sagte Bobby Wright, Pastor der Back to the
Bible Holiness Church in Buford.
Sprecher 3:
„Gott hat mir diese Botschaft einfach mitgeteilt.“
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Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen Religionen Terror und Verderben?
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10.07.2016
Sprecher 1:
In Pennsylvania wünscht ein evangelischer Geistlicher seinen muslimischen Nachbarn einen
gesegneten Fastenmonat.
Sprecher 2:
„Wishing a blessed Ramadan to our Muslim neighbors!“
Sprecher 1:
Die Antwort auf die freundliche Geste: Wütende Anrufe auf der Mailbox des Geistlichen:
Sprecher 3:
„Bist Du krank? Was stimmt nicht mit Dir? Du musst doch wissen, der Islam ist ein gottloser,
heidnischer Kult!“
Sprecher 1:
Der Hauptangreifer, so stellt sich heraus, ist ein Mitglied der regionalen Schulaufsicht und
ein Anhänger des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Der wiederum hat erst
kürzlich den evangelikalen Christen in den USA zugesagt...
Sprecher 2:
„...eure Religion zu befreien, eure Gedanken zu befreien. Ihr sollt über religiöse Freiheit
sprechen können.“
Sprecher 1:
Religiöse Freiheit. Gemeint ist Handlungsfreiheit für Evangelikale. Ein Versprechen aus dem
Mund eines Mannes, der Muslime nicht mehr einreisen lassen will.
O-Ton Riccarda Hinz:
...wer dasselbe glaubt, gehört dazu, und wer nicht dasselbe glaubt, ist außerhalb. Und
ist nicht soviel wert, wird abgewertet.
Sprecher 2:
Die Religion erhöht das Risiko von Streit unter den Menschen um ein Vielfaches mehr, als
Stammeskonflikte, Rassismus oder Politik es jemals könnten.
Sprecherin:
Der Religionskritiker Sam Harris. Brief an ein christliches Land.
Sprecher 2:
„Religion ist die einzige Art von Denken, die das Gruppenspezifische dem Gruppenfremden
gegenüberstellt und die die Unterschiede zwischen den Menschen im Lichte eines ewigen
Lohnes versus einer ewigen Strafe betrachtet.“
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Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen Religionen Terror und Verderben?
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10.07.2016
O-Ton Riccarda Hinz:
Offenbar gibt es Menschen, die gerne nach einfachen Antworten und einfachen
Lösungen greifen. Und vielleicht ist es auch aus der Not, dass man sich schnell
stärker fühlt mit einem Gott an seiner Seite und mit einem Bruder und einer
Schwester, wir glauben ja alle dasselbe, wir sind ne Glaubensgemeinschaft, das
macht uns schnell stärker.
Sprecher 1:
Christen in Europa, Christen in Deutschland, scheinen die Zeiten der brachialen Gewalt
hinter sich gelassen zu haben, von einem christlichen oder christlich motivierten Terror ist
vorerst keine Rede.
O-Ton Andreas Püttmann:
„Allerdings gibt es Übergriffigkeiten und eine verbale Radikalität oder auch verbale
Entgleisungen, aus denen Rechtfertigungen gemacht werden könnten auch für
Gewalt.
Sprecherin:
Andreas Püttmann, Politikwissenschafter, Publizist, Katholik.
O-Ton Andreas Püttmann:
„Es gibt in Bezug auf die Religion immer zwei Gefahren, die eine hat Dostojewski in
den Satz gefasst „Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt“, und die andere ist
„Wenn Gott mit uns ist, dann ist alles erlaubt.“ Also der Zweck, der heilige Zweck
rechtfertigt dann alle Mittel und da gibt es auch ein Randrisiko im Christentum bei uns,
aber das betrifft eben doch nur eine sehr kleine Gruppe und auch da in der Regel
eher in der indirekten Form, dass hier Hass und Ressentiment geschürt werden, die
dann andere dazu nutzen, gewalttätig zu werden.“
Sprecher 1:
Diesen Hass und die Ressentiments nutzen dann diese anderen zum Beispiel dazu,
Asylbewerberheime anzuzünden. Bei den Christen, so beobachtet es Andreas Püttmann seit
langem, gibt es auch innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft eine zunehmende
Spaltung und die Radikalisierung eines harten, autoritätsgläubigen Kerns gegenüber
liberaleren Kräften, sogar gegenüber den Bischöfen, die einen offeneren Kurs verfolgen,
etwa in der Flüchtlingspolitik. Auch hier. Wer Liebe predigt wird mit Hass-Mails bestraft.
O-Ton Andreas Püttmann:
Es ist ja nicht überraschend, dass die allgemeine Radikalisierung in unserer
Gesellschaft – wobei die Parallelwellen des Internets als Brandbeschleuniger wirken –
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auch das kirchliche Millieu mit betrifft; und das kann nun dazu führend, das Teile
diese kirchlichen Kernpublikums auch verhärten innerlich und ganz normale
menschliche Reflexe bekommen von Wut, von Hass, von Verbitterung, und sich
selbst radikalisieren; Und ich würde sagen das ist schon zu beobachten.
O-Ton Generalverdacht und Rechtfertigungsdruck:
Ich habe Angst um meine Zukunft hier in Deutschland...
Sprecher 1:
Bei Religionen geht es um die Abgrenzung.
O-Ton Riccarda Hinz:
...das ist ja sozusagen der Sinn von Religionen, eine Grenze zu schaffen...
O-Ton Generalverdacht und Rechtfertigungsdruck:
Wenn diese Anschläge weiterhin verübt werden, dann werden die Leute in unserer
Umgebung irgendwann mal sagen hört mal, da ist ja auch eine Moschee, das sind ja
auch Islamisten, das sind ja auch Moslems, unsere Wände sind schon mal mit
Hakenkreuzen beschmiert worden.
Sprecher 1:
Tod und Verderben tragen seit etwa fünf Jahren das Label „IS“. Zuvor lautete es „AlQuaida“. Und weil das so ist, stehen Muslime auch in Deutschland unter Generalverdacht,
selbst wenn sie keine Muslime sind, sondern nur aus einem Land stammen, dass
muslimisch geprägt ist.
Sprecher 2:
Berlin. Die Islamfeindschaft hat in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren laut einer
Studie deutlich zugenommen.
Sprecherin:
Katholischer Nachrichtendienst, KNA
Sprecher 2:
Rund 41,4 Prozent sprechen sich dafür aus, dass Muslimen die Zuwanderung nach
Deutschland untersagt werden sollte.
Sprecher 1:
Ergebnisse der so genannten „Leipziger Mitte-Studie 2016“ mit dem Titel:
Sprecherin:
„Die enthemmte Mitte“.
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Sprecher 2:
Unter türkischstämmigen Menschen in Deutschland sind islamisch-fundamentalistische
Einstellungen verbreitet.
Sprecherin:
Emnid-Umfrage im Auftrag des Exzellenzclusters >Religion und Politik< der Universität
Münster.
Sprecher 2:
Die Hälfte der Befragten stimmt dem Satz zu:
Sprecher 3:
Es gibt nur eine wahre Religion!
Sprecher 2:
47 Prozent halten die Befolgung islamischer Gebote für wichtiger als die deutschen Gesetze.
Ein Drittel meint, Muslime sollten zur Gesellschaftsordnung aus Mohammeds Zeiten
zurückkehren.
Sprecher 1:
Immerhin schreibt laut dieser Emnid-Umfrage die große Mehrheit der Muslime dem Islam die
Eigenschaften Toleranz und Friedfertigkeit zu. Und mehr als 80 Prozent haben erklärt, dass
es sie wütend macht, wenn nach einem Terroranschlag als erstes Muslime verdächtigt
werden.
O-Ton Generalverdacht und Rechtfertigungsdruck, Imam (Türkisch).
Übersetzer:
Gott hat keinem Menschen das Recht gegeben, einen Menschen zu töten. Nur Gott
selbst darf über Menschen richten und niemand darf im Namen Gottes handeln.
Sprecher 1:
Wir sind die Nachfahren Kains.
O-Ton Rolf Schieder:
Der Kain erschlug den Abel aus religiösen Gründen.
Sprecher 3:
Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten!
Sprecher 1:
Wir leben jenseits von Eden. Wir sind...
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Von Wolfgang Meyer
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10.07.2016
Sprecher 2:
Böse!
Sprecher 1:
Die Welt brennt im Namen Allahs und im Namen Gottes und im Namen welchen mythischen
Wesens auch immer. Aber Theologen, Priester und Gelehrte heben die Hände zum Himmel
und sprechen von Missbrauch. Religionen seien friedlich und gut, aber die Menschen, die in
ihren Namen das Blut vergießen, die seien Verirrte.
O-Ton Rolf Tophoven:
Ja wir müssen davon ausgehen, dass gerade bei dem IS es eindeutig primär wohl um
die Macht geht. Es geht um politische Einflussnahme, das hängt natürlich mit der
Genesis des IS zusammen.
Sprecherin:
Rolf Tophoven, Terrorismusexperte.
O-Ton Rolf Tophoven:
Und selbst wenn sie nicht gläubig sind, die Masse der IS-Kämpfer, was ich in Frage
stelle, adaptieren sie die Religion, sie adaptieren das Label Islam, um die Taten zu
rechtfertigen und die Menschen anzulocken, weil sie ihnen im Gegensatz zu der
Frustration, von der mancher junge militante Islamisten in westeuropäischen Ländern
leben, eine Alternative anbieten. Und die Alternative ist eben Aufstieg im IS, die
Alternative ist das Töten in Gottes Namen, und hier wird durch den IS die Religion
pervertiert.
Sprecher 1:
So wie einst Päpste und Kaiser in Zeiten der Kreuzzüge die Christen im Namen Gottes dazu
verführten, Tod und Verderben zu verbreiten, so wiederholen es heute die Führer des so
genannten Islamischen Staates im Namen Allahs. Die Religion, so sieht es der
Terrorexperte, ist der Schlüssel: Sie gibt jenen Menschen, die sich ausgegrenzt und auf der
Verliererstraße der westlichen Gesellschaft wähnen die Chance, sich einer
identitätsgebenden Gemeinschaft anschließen zu können. Endlich ein Zuhause zu haben.
Hier habe ich Brüder, hier gehöre ich dazu.
O-Ton Riccarda Hinz:
Wir glauben ja alle dasselbe, wir sind ne Glaubensgemeinschaft, das macht uns
schnell stärker.
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O-Ton Rolf Tophoven:
Ob der Täter im tiefsten seiner Seele jetzt ein tiefgläubiger Mensch ist, ist ja noch sehr
die Frage. Wir müssen also einmal unterscheiden, ist es wirklich tiefste Überzeugung
eines Täters, in Namen der Religion zu morden, zu bomben, zu töten, oder ist es Art
religiöse, oberflächliche Tünche, die hier aufgetragen wird; die man über die Aktion
stülpt. Das zu entscheiden, zu differenzieren, ist oft sehr sehr schwierig.
Sprecher 1:
Ist diese Differenzierung überhaupt nötig? Welchen Unterschied macht es, ob Religionen
Ursache für Terror und Gewalt sind oder ob sie dazu missbraucht werden? Gefährlich sind
für Religionskritiker in beiden Fällen.
Sprecher 2:
Die Terroristen sind nicht vom Bösen motiviert.
Sprecherin:
Richard Dawkins, Der Gotteswahn.
Sprecher 2:
So fehlgeleitet sie uns auch erscheinen mögen, ihre Motive sind die gleichen wie bei den
Christen, die Abtreibungsärzte ermorden: Sie lassen sich von einer vermeintlichen
Rechtschaffenheit leiten und befolgen genau das, was ihre Religion ihnen vorschreibt. Ihre
Taten halten sie für etwas Gutes, weil sie von klein auf zu einem umfassenden,
unhinterfragten Glauben erzogen wurden.
O-Ton Rolf Tophoven:
Das Problem, junge Menschen vor dem Absprung in die Radikalität oder in den
Terrorismus zu bewahren, war in der Vergangenheit bei Rechtsextremisten viel
leichter als bei militanten islamistischen Kämpfern, weil bei den militanten
extremistischen Kämpfern die Religion im Spiel ist.
Sprecher 1:
Diese verführten Kämpfer sind eben: Verführte. Sie folgen - sagen die Theologen - einem
falschen Glauben, oder einer falschen Auslegung der Lehren.
Sprecherin:
„Keine Gewalt im Namen Gottes!“
Sprecher 1:
So heißt das gemeinsame Papier, das vor dem 100. Deutschen Katholikentag in Leipzig ein
„Gesprächskreis Christen und Muslime“ veröffentlicht hat.
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Sprecher 2:
„Als Christen und Muslime verurteilen wir jedweden Fundamentalismus, Radikalismus,
Fanatismus und Terrorismus, seien sie religiös oder anders begründet.“
O-Ton Mouhanad Khorchide, Domradio:
Mich hat es positiv überrascht, dass die DITIB und auch der Zentralrat der Muslime
das Papier mit den Positionen unterschrieben haben, die besagen, dass man heute
den Koran in seinem historischen Kontext lesen muss und nicht wortwörtlich
interpretieren soll.
Sprecherin:
Mouhanad Khorchide. Professor für Islamische Religionspädagogik, Münster.
O-Ton Mouhanad Khorchide, Domradio:
Nur so können wir Gewaltpotentiale im Koran entschärfen und relativieren.
O-Ton Rolf Tophoven:
Es gibt viele Islamwissenschaftler, beispielsweise Professor Khorchide aus Münster,
die massiv ein völlig neues, gutes liberales Bild des Islam vermitteln...
Sprecherin:
Rolf Tophoven
O-Ton Rolf Tophoven:
...aber interessant ist, dass diese einsamen Rufer in der Wüste selbst von den
islamischen Funktionsträgern der Islamverbände nicht akzeptiert werden.
Sprecher 1:
Khorchide räumt ein, dass zwischen Religion und Gewalt ein klarer Zusammenhang
bestehe. Nährboden für diese Gewalt gebe es immer dort, wo Religionen exklusivistisch
verstanden werden.
Sprecher 3:
Wir haben die einzig wahre Religion!
Sprecher 1:
Eine Frage der Bildung, sagen die Liberalen.
O-Ton Rolf Schieder:
Also man muss da zwischen dem Christentum, dem Islam und dem Judentum keinen
großen Unterschied machen,...
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Sprecherin:
Rolf Schieder, Professor für praktische Theologie.
O-Ton Rolf Schieder:
...sie sind bildungsfähig, weil sie Buchreligionen sind.
Sprecher 1:
Eine Position und Haltung, die Humanisten nicht nur nicht anerkennen, sondern für
gefährlich halten. Gerade die Liberalen, jene, die Toleranz gegenüber den Religionen übten,
öffneten eben den Fundamentalisten den Weg.
Sprecherin:
Sam Harris, The End of Faith, Das Ende des Glaubens:
Sprecher 2:
„Wir können uns den Luxus dieser politischen Korrektheit nicht länger erlauben. Wir müssen
endlich erkennen, welchen Preis wir dafür bezahlen, die Bildsprache unseres Unwissens
aufrecht zu erhalten.”
O-Ton Riccarda Hinz:
„...Wir können uns den Luxus dieser politischen Korrektheit nicht länger erlauben. Wir
müssen endlich erkennen, welchen Preis wir dafür bezahlen, die Bildsprache unseres
Unwissens aufrecht zu erhalten...
Ja das ist die Kritik am Kulturrelativismus, ne, dass wir nicht falsche Toleranz
aufbringen gegenüber der Intoleranz.
Sprecherin:
Riccarda Hinz, Deutscher Aufklärungsdienst.
O-Ton Riccarda Hinz:
Die Inhalte der heiligen Schriften sind intolerant, oder auch Religionen an sich sind
intolerant, das erste Gebot der zehn Gebote ist das Gebot zur Intoleranz...
Sprecher 3:
„Ich bin der Herr, Dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“
O-Ton Riccarda Hinz:
Also sowohl die humanisierten noch religiösen Menschen, als auch die, die sagen, wir
müssen Respekt den Religionen gegenüber aufbringen einfach so, grundlos, sind ne
Gefahr, ein Einfallstor für diejenigen, die ihre Religion ernst nehmen und intolerant
sind; und wir dürfen diese Intoleranz nicht tolerieren.
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Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen Religionen Terror und Verderben?
Von Wolfgang Meyer
Lebenszeichen
10.07.2016
Sprecher 1:
Eine den Religionen gegenüber intolerante Gesellschaft oder zumindest eine völlig säkulare
Gesellschaft wäre die friedlichere. So sehen es auch Religionskritiker wie Sam Harris.
Religionen vergifteten das menschliche Denken.
Sprecher 2:
„Erst wenn sie ausgemerzt sind, werden wir eine Chance haben, die tiefsten und
gefährlichsten Brüche in unserer Welt zu heilen.“
Sprecher 1:
Keine neue These. Der Evolutionist Richard Dawkins und – vor mehr als einem Jahrhundert
- der Psychoanalytiker Sigmund Freud stellten bereits die Frage:
Sprecher 2:
„Wozu brauchen wir die Religion? Sie ist ein überholtes und gefährliches Relikt, dessen sich
eine reife Gesellschaft besser entledigen sollte.“
Sprecher 1:
Wie aber sollte dies zu bewerkstelligen ein? Irrationale Überzeugungen entziehen sich
jedem rationalen Zugang. Im Übrigen sind selbst jene, die einen Zusammenhang zwischen
Religion und Gewalt nicht leugnen, von den Thesen der Humanisten nicht überzeugt.
O-Ton Andreas Püttmann:
Es gibt Säkularisierungsgewinne und Säkularisierungsverluste. Also manche
moralischen Fortschritte, etwa die Menschenrechte im 19. Jahrhundert, sind gegen
päpstliche Polemiken durchgesetzt worden...
Sprecherin:
Andreas Püttmann, Publizist. Autor von „Gesellschaft
Nebenwirkungen der Entchristlichung Deutschlands.“
ohne
Gott,
Risiken
und
O-Ton Andreas Püttmann:
„Oder wenn wir etwa denken an uneheliche Kinder oder ledige Mütter, oder
Homosexuelle, dann kann man sicherlich sagen, hat die Säkularisierung eher
zugunsten der Menschenwürde auch Fortschritte gebracht, aber es wäre naiv und
leichtfertig, die Säkularisierungsgewinne nicht zu verrechnen mit den
Säkularisierungsverlusten.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen Religionen Terror und Verderben?
Von Wolfgang Meyer
Lebenszeichen
10.07.2016
Sprecher 1:
Die Befunde des Politikwissenschaftlers passen nicht zu denen der Humanisten. Auch für
Andreas Püttmann besteht ein Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt. Aber genau
andersherum. Mag sich auch im katholischen Umfeld ein antiliberaler Kern zunehmend
radikalisieren und zumindest vor verbaler Gewalt und Hass-Mails nicht mehr
zurückschrecken – so wird dieser Kern doch von einer extremen Minderheit gebildet. Die
Mehrheit hingegen sei friedlich.
O-Ton Andreas Püttmann:
Jedenfalls für das Christentum in Deutschland zeigen diverse Studien eine geringere
Gewaltneigung bei christlich orientierten und kirchennahen Menschen.
Sprecher 1:
Püttmann selbst hat bereits vor Jahren für das Allensbacher Institut für Demoskopie solche
Studien erstellt. Studien über den Einfluss von Konfession, Religiosität und Kirchennähe auf
das Rechtsbewusstsein der Deutschen. Damals wie heute zeigten die Zahlen, dass
Religionen auf die Mehrheit der Gläubigen eine befriedende Wirkung haben.
O-Ton Andreas Püttmann:
und das ist ja auch logisch, weil die christliche Religion den Frieden als eines der
höchsten Güter lehrt, und auch Tugenden, die dazu passen wie die Sanftmut, die
clementia, die Barmherzigkeit, die Nachsicht, die eigene Neigung zu Schuld und
Versagen, die immer dahin führen wird, dass man auch andere dann etwas
nachsichtiger beurteilt, insofern werden die geistigen Rechtfertigungsmodelle für
Gewalt konterkariert eigentlich durch die christliche Religion.
Sprecher 1:
Religionen – so formuliert es Püttmann – sind eine Humanitätsressource. Die Kirchen seien
wichtige Motoren gesellschaftlichen Vertrauens und sozialem Engagements.
Sprecherin:
Irak
Sprecher 1:
42.759
Sprecherin:
Afghanistan
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Glaube, Hass und keine Hoffnung. Bringen Religionen Terror und Verderben?
Von Wolfgang Meyer
Lebenszeichen
10.07.2016
Sprecher 1:
16.888
Sprecherin:
Syrien
Sprecher 1:
5.592.
Sprecherin:
USA
Sprecher 1:
3.047
Sprecher 1:
Kritiker sehen, dass gerade diese gemäßigte Haltung zur falschen Toleranz führt - auch
anderen Religionen gegenüber, deren Anhänger möglicherweise wesentlich radikaler sind
als die Christen. Das Problem der islamistischen Gewalt etwa lasse sich mit dieser
Befriedungsthese nicht lösen. Und die Humanisten wollen im Übrigen diese These von der
Mäßigungsfunktion der Religionen überhaupt nicht gelten lassen: Mit tausende Jahre alten
Mythen könne niemand die zunehmende Gewalt eindämmen, im Gegenteil.
O-Ton Riccarda Hinz:
Man wird einem Weltfrieden sicherlich nur durch religiöse Abrüstung näherkommen.
Religiöse Aufrüstung ist Aufrüstung in Ideologien, und die sind Öl ins Feuer von
Konflikten, bieten immer ein Muster, in dem man Freund und Feind abstecken kann.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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