- Kirchengemeinde in Schiffbek und Öjendorf

Gottesdienst am 7. Sonntag nach Trinitatis
10. Juli 2016 um 9.30 in Schiffbek und 11.00 Uhr in Öjendorf
Predigttext: Apg. 2,41a.42-47
Pastorin Dr. Kirstin Faupel-Drevs
Wochenspruch:„So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge,
sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ Eph 2,19
Liebe Gemeinde
Wer am Öjendorfer See bisweilen spazieren geht oder läuft oder mit dem Fahrrad
um ihn herumfährt, der kennt sie. Die Graugänse, die auf der großen Wiese in der
Nähe des Kiosks entspannt grasen und dazu gemächlich hin- und her spazieren.
Nähert sich allerdings ein kleiner oder großer Mensch, womöglich noch mit Hund,
dann rücken sie in der Gruppe zusammen und bewegen sich zumeist Richtung
Wasser, um sich dort in Sicherheit zu bringen. Wenn sie sich zu bedrängt fühlen,
kann es auch sein, dass sie hoch in die Luft fliegen.
Die Graugänse sind eine interessante Truppe. Sie sind äußerst intelligent und haben
ein enges familiäres Verhalten, die Pärchen, aber auch die Großgruppe mit ihrer
Leitgans. Das hat der Nobelpreisträger und Tierpsychologe Konrad Lorenz
lebenslang intensiv erforscht. Die meisten von uns kennen die Geschichte vom
kleinen Nils Holgerson, der von einem Troll auf Daumengröße minimiert wird - zur
Strafe, weil er ein Tier gequält hat - und der auf dem Rücken der Gänse einen weiten
Flug in den Norden und zurück erlebt. Und wenn wir ihn nicht kennen, so doch den
Schrei der Wildgänse über unseren Köpfen, wenn sie im Herbst aus dem Norden in
den wärmeren Süden ziehen. In dieser schönen V-Form, manchmal wie mit dem
Lineal gezogen. Ein Wunder der Natur.
Vor einigen Jahren habe ich zusammen mit einer Gruppe aus dem Ansverus-Haus
eine Reise nach Iona gemacht. Das ist die heilige Insel der Schotten, Teil der inneren
Hebriden im Atlantik, deren Mittelpunkt die uralte Abbey aus dem 6. Jh ist, eines der
frühen Ausgangspunkte der christlichen Mission im Norden und heute Zentrum der
weltweit vernetzten Iona-community. Die graue Wildgans ist ihr Symbol, die Goose
of Iona. Für die Mitglieder der Gemeinschaft ist sie Sinnbild des Heiligen Geistes und
seiner Wirkkraft. Das liegt vor allem am besonderen Flugverhalten dieser Tiere: Das
Miteinander-Fliegen, die eine im Windschatten der anderen, spart nämlich total viel
Energie. In der Gruppe sind sie 70 % schneller als allein und brauchen nur 30% ihrer
Kraft im Vergleich zum Alleinflug. Die Leitgänse wechseln sich entsprechend ab.
Wenn die eine müde ist, kommt die andere an die Spitze.
Gemeinschaft hilft überleben und besser leben! Die Inselbewohner waren schon
immer abhängig voneinander. Die keltischen Mönche, später die Benediktiner der
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Abbey und heute die Iona-Community haben viel gelernt von der Notwendigkeit
und der Kraft, die aus dem Teilen kommt. „Christianity is a community of faith.“
Das Christentum, so folgern sie, ist eine Gemeinschaft, deren Glaube auf dem Teilen
beruht.
Warum erzähle ich Ihnen das heute? Weil es in unserem Predigttext um eben diese
Dimension geht. Ich lese die entscheidende Passage noch einmal vor. Sie steht direkt
im Anschluss an das Pfingstwunder:
Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft
und im Brotbrechen und im Gebet. 43Es kam aber Furcht über alle Seelen und es
geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. 44Alle aber, die
gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam.
45Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer
nötig hatte. 46Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen
das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und
lauterem Herzen 47und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der
Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.
Kaum ein Text hat das Selbstverständnis von Kirche und Gemeinde so geprägt wie
dieser. Auch wenn es sich nach idealistisch gefärbten Zuständen anhört: Sie hatten
alles gemeinsam, verkauften ihr Hab und Gut, verteilten es gerecht, trafen sich
täglich zum Gebet im Tempel, einmütig, teilten das Brot in Häusern, hier und dort,
all das mit Freude und lauterem Herzen, lobten Gott und wurden vom Volk gelobt
und es war so schön, dass immer mehr Menschen dazu kamen und auch so leben
wollten. Ja, das klingt fast zu schön um wahr zu sein...
War ja vielleicht auch nicht ganz so, und nicht lange so und wahrlich nicht immer so
und bis heute nur bisweilen so, und trotzdem: Es braucht eine Vision davon, wie es
sein könnte in der Gemeinschaft, damit sie motiviert ist zum sozialen Leben, sogar
zum Teilen. Denn das ist ja etwas, wozu von sich aus niemand so richtig doll Lust
hat. Es braucht die Präambel, festgeschrieben in der Einigkeit eines begeisterten
Anfangs, die dann im Ernstfall aus der Schublade hervorgezogen werden kann. Und
dann sagt jemand: So wollten wir das doch, erinnert euch, erinnert euch daran und
handelt danach! Genau so.
Die Präambel unseres Grundgesetzes ist so ein Schriftstück: „Die Würde des
Menschen ist unantastbar“. Der Text der Apostelgeschichte ist eine Art Präambel für
Kirche und gemeindliches Leben, egal zu welcher Konfession wir gehören. Es geht
um christliche Kerninhalte: Teilen von Gütern und Zeit, Gebet, Mahlfeier.
Wie tun WIR das? Was ist UNSERE Weise des Teilens? Ist der Doppelfisch so etwas
Ähnliches wie die Graugans von Iona? Und wenn ja, WARUM ist er das?
Unser kirchliches Leben hier im Stadtteil hat auch etwas von Inselexistenz. Und das
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gilt nicht nur für Billstedt mit weit mehr als 50% Menschen mit
Migrationshintergrund, sondern eigentlich für ganz Hamburg. Nicht einmal mehr
30% Menschen gehören zur Kirche. Und die Austritte überwiegen die Eintritte.
Allein schon aus demografischen Gründen. Selbst wenn die Verstorbenen noch
immer zur unsichtbaren „Communio sanctorum“, der mystischen Gemeinschaft der
Heiligen, das heißt aller Gläubigen aller Zeiten gehören, so gehen sie uns hier vor Ort
als Gemeindeglieder doch ganz real abhanden.
Das muss uns nicht nur betrüben. Es geht nicht darum, dass wir ganz ganz viele
sind. Ich habe da keinen besonderen missionarischen Eifer. Aber ich fände es gut,
wenn die, die unsere Gemeinde im Kern beleben und viele Dienste hier mittragen,
dass die ein Bewusstsein dafür haben, warum sie es tun und was ihnen das Teilen
bedeutet.
Die Anthropologin Margaret Mead hat einmal gesagt:
Never doubt that a small group of committed people can change the world;
indeed it is the only thing that ever has.
Zweifelt nicht daran, dass eine kleine Gruppe von Menschen, die tief miteinander
verbunden sind, die Welt verändern können. In Wahrheit ist dies die einzige Sache,
die je funktioniert hat.
Ich möchte uns ermutigen zum Weiterdenken, gerade in dieser Zeit, in der es so viele
Veränderungen gibt. Wir denken nach über ein Zusammenspiel mit den Aramäern
am Standort Kreuzkirche. Unser gottesdienstliches Leben wird sich dadurch
verändern. Wir möchten durch das MGH in den Stadtteil hineinwirken und uns
noch mehr verbinden mit den Schulen, um v.a. den Kinder und Jugendlichen und
die Geflüchteten eine neue Heimat Kirche zu bieten. Und in unserem
Kirchgemeinderat werden wir uns in diesem Herbst neu aufstellen. Am 1. Advent
sind die Wahlen! Es ist also eine spannende Zeit und wir werden ihr nur gemeinsam
gewachsen sein. Wenn alle mitmachen, die sich zugehörig fühlen. Darum diese
Fragen:
- Was sind unsere Kernanliegen?
- Was ist das, was uns selber so gut schmeckt, dass wir es gerne mit anderen
teilen möchten?
- Und: Was ist das „Eingemachte“, also das, was uns ausmacht hier und unsere
Identität als Christenmenschen beschreibt?
Der berühmte Uno-Politiker und Mystiker Dag Hammarskjöld hat einmal gesagt zur
Vision von Kirche:
„Doch mich durchschwebt die Vision von einem seelischen Kraftfeld, geschaffen in
einem ständigen Jetzt von den vielen, in Wort und Taten ständig Betenden, im
heiligen Willen Lebenden. Die Gemeinschaft der Heiligen und – in dieser – ein
ewiges Leben.“
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Ein seelisches Kraftfeld, das uns hält und erhält, hier und heute im Heiligen Geist –
ja, genau das wünsche ich mir. Und ich freue mich, wir im Pastorenteam und im
Kreis des Kirchengemeinderates freuen uns über alle Anregungen und Ideen jetzt.
Und jetzt freue ich mich darauf, gleich mit Ihnen und Euch das heilige Abendmahl
feiern zu können. Das ist für mich das „Eingemachte“, der inhaltliche Kern von
allem, was wir glauben und tun, das Geheimnis unseres Glaubens. Das erinnern wir
nämlich, wenn wir gemeinsam sprechen: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und
deine Auferstehung preisen wir, wenn du kommst in Herrlichkeit“, Amen.
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