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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Wörter-Echo
Schauspieler und ihr Ringen um Erinnern, Vergessen und Identität
AutorIn:
Elke Pressler
Redaktion:
Petra Mallwitz
Regie:
Elke Pressler
Sendung:
Mittwoch, 13.07.16 um 10.05 Uhr in SWR2
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
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MANUSKRIPT
Atmo: Musik Suzanne Vega, These words are too solid
1.O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest aus „Goldfischgedächtnis“
„Mein Leben lang haben sich die Angst, spielen zu müssen, ...“
2. O-Ton Nina Petri
Ja, jaa !
3. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest „Goldfischgedächtnis“
„... und die Angst, nicht mehr spielen zu können, die Waage gehalten.“
4. O-Ton Nina Petri
Das kenne ich total !
Ich habe auf jeden Fall Angst.
5. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest „Goldfischgedächtnis“
„Mehr oder weniger.“
6. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
„Jetzt nimmt die Angst, nicht mehr spielen zu können, zu.
Ich bin vergesslich geworden“.
7. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
„Alles konnte ich mir merken, immer schon.
Sämtliche Geburtstage sämtlicher Kinder, mit denen ich, selbst ein Kind, je befreundet war,
sämtliche Namen sämtlicher Geschwister dieser Kinder sowie ihre Telefonnummern
…Sämtliche Speisen, die ich aß, Orte, die ich aufsuchte, Wörter, die ich vernahm. Und
natürlich die Abertausende von Sätzen, die ich im Laufe meiner Karriere auf der Bühne
aufsagte.“
9. O-Ton Nina Petri
Poesie, das hat mir immer schon gefallen, und das konnte ich leicht auswendig lernen. Ich
kann Texte nur dann lernen, wenn ich sie verknüpfe mit Empfindungen und Assoziationen
–
und sie so dann zu meinen werden.
10. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest aus „Goldfischgedächtnis“
„Ich erarbeitete mir Techniken des Auswendiglernens, die ich täglich trainierte. Bis ich nach
einigen Jahren im Beruf unter all diesen fremden Sätzen zu leiden begann. Es fehlte mir
die Technik, Text wieder zu vergessen !
Autorin
Etwas behalten – etwas vergessen. Für Monique Schwitter und Nina Petri ist das ein noch
wichtigeres Thema als für viele andere. Sie sind – sie waren - Theaterschauspielerinnen.
Wie behalten sie ihren Text, diese oft wahnsinnig langen Monologe ?
Wie befreien sie sich wieder davon?
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Was machen die Texte mit ihnen? Wird aus den Worten Gedanken-Terror, oder werden
die Wörter Freunde, die sie liebevoll und verlässlich begleiten?
Zitator (Ulrich Wildgruber)
„Sogenanntes Sobenanntes Sobekanntes
Soverwandtes
Moccatassen.
Die erste Hirnerschütterung erfolgt
in Dur.
Später nisten wir vorwiegend in
den Nischen der Nächte
angestrahlte Figuren
fahl und mit höhnischer Grimasse.“
Ulrich Wildgruber, aus seinem Buch „Der Lachszug der Wörter“
Autorin
Begegnung mit Monique Schwitter in einem Lokal, ihr Kleinkind auf dem Schoß.
11. O-Ton Schwitter
Es war ja eine Art Ritual, dass man abends vor dem Einschlafen alles noch mal wiederholt
hat, was man tagsüber auswendig gelernt hat oder die Rolle, die man am nächsten Abend
spielen würde; gerade im Repertoire-Theater, wo man viele Rollen parallel spielt, geht’s ja
auch immer darum, das Stück zur Zeit auch wieder ‚hoch zu holen’ – ...
12. O-Ton Nina Petri
.... und das dann wiederholen, wiederholen, wiederholen ...
11a. . O-Ton Schwitter
... also dieses ‚Hochholen’ war ja auch so’n Dauerthema, und deswegen lag ich oft beim
Einschlafen da –
aber das ließ sich gar nicht immer steuern ...
13. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
„Alle Rituale, die ich mir ausdachte, schlugen fehl, die Textmassen ließen sich nicht mehr
entsorgen.“
14. O-Ton Schwitter
Also die Situation, dass ich abends im Bett liege – es wird weniger, also im Bett lag –
und es flog mir der Fremdtext um die Ohren, dass es mich nur so geschüttelt hat und ich
z.T. im Moment, wenn ich müde war, gar nicht sagen konnte: was ist das?, welches Stück
?; habe ich die Rolle gerade überhaupt selber gespielt, oder habe ich das nur gehört ?
Auch dieses Misstrauen: wie nah ist mir das ?
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15. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
„Es gab keine Müllhalde, auf der ich sie ausschütten, ...“
14a. O-Ton Schwitter
Und die Tatsache, dass das Text-Vergessen eine Disziplin ist, die nirgendwo gelehrt wird ...
15a. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
„... kein Klo, in das ich sie hineinkotzen, ...“
14b. O-Ton Schwitter
... man braucht die eigentlich dringend, aber ich habe keine, und ich habe auch nie eine
gelernt - ...
15b. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
„... kein Geschenkpapier, in das ich sie einwickeln konnte.“
14c. O-Ton Schwitter
... ja, ein Handwerk, das keiner beherrscht –
deshalb kam es in der Geschichte vor.
Autorin
Die Texte, die Monique Schwitter hier zitiert, stammen aus dem Buch
„Goldfischgedächtnis“. Es ihr zweiter Band mit Erzählungen.
Autorin
Sie war ein gefeierter Bühnenstar an den Schauspielhäusern in Zürich, Frankfurt, Berlin,
Graz und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg 16. O-Ton M. Schwitter
Das ist ein Traum ! Natürlich möchte man da hin !
Autorin
... bis Monique Schwitter 2010 mit 38 Jahren entschieden dem Bühnenleben den Rücken
kehrt. Plötzlich habe sie festgestellt, dass Regisseure ihre Lebenszeit verplempern.
17. O-Ton M. Schwitter
Ich habe auch nicht gesagt, ich spiele noch meine Stücke zu Ende, sondern:
ich bin weg, ja.
Autorin
Auch die Protagonistin in ihrer Erzählung „Die Grube“, Ulrike Witthagen heißt sie,
will weg. Die alternde, übergewichtige, herzkranke Schauspielerin reist mit der Bahn an
die Nordsee. Und räsoniert über ihr Leben. 40 Jahre Bühnenleben. Es ist eine Reise der
Verzweiflung. Eine Reise in den selbstgewählten Tod - im Meer.
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18. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
Scheinbar schlummernd irgendwo in einer entlegenen Ecke, waren sie immer bereit
- diese Textmassen -, sich zur Unzeit in den Vordergrund zu drängen,
18a. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
Rampensäue.
18b. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
Sie hielten sich hartnäckig wie die Fettablagerungen in meinem Herzkranzgefäßen und
ebenso irreversibel – schien es mir, bis ich anfing zu vergessen. Unkontrolliert zu
vergessen: Stück für Stück.
Autorin
„Die Grube“, dieser mitreißenden Erzählung über die alternde Ulrike Witthagen
liegt die wahre Geschichte des Schauspielers Ulrich Wildgruber zugrunde, der sich
– übergewichtig, herzkrank - in panischer Angst, der Textmassen, der Wörter nicht mehr
Herr zu sein, das Leben nimmt. Ein Leben ohne Bühne - für diesen Schauspieler nicht
vorstellbar !
19. O-Ton Schwitter
Dass jemand sich am Strand eine Grube gräbt und dann auf die Flut wartet – das ist für
mich ein unglaublich starkes Bild.
20. O-Ton Nina Petri
Ich kenn sehr, sehr gut den Zustand, ...
Autorin
Die Schauspielerin Nina Petri
20a. O-Ton Nina Petri
wo man das Gefühl hat, man kann nur auf der Bühne eigentlich wirklich leben, und alles
dahinter und daneben existiert in Wirklichkeit gar nicht.
Zitator (Ulrich Wildgruber)
„Die Narren also, die Besserwisser, die Papperlapapps, die dunklen traurigen Wahrsager
aus den Komödien, die zwergigen Kassandren, die Plappermäuler, Wutentbrannten, die
Ein- und Ausgeschlossenen, die mit der Klingelkette und dem schmalen Beutel, die
Straßensänger, Gaukelspieler, die Rechts- und Wortverdreher, die Herzenshüter und
Gemütsverwalter, die an den Rand Geschäumten, nothing, nichts,)) hier klammerte ich
mich fest. - ...“
Ulrich Wildgruber, aus seinem Buch „Der Lachszug der Wörter“
5
21. O-Ton Schwitter
Es ging für mich darum, dass sich das gedreht hat:
sie konnte ihr Leben lang Text nicht mehr vergessen,
die Schauspielerin, aber jetzt, mit 62, wird sie vergesslich.
Autorin
Aus der Schauspielerin wird die Schriftstellerin Monique Schwitter.
Ihre Erzählungen in dem Band „Goldfischgedächtnis“ kreisen um ein existentielles,
unaufgelöstes Thema: Wie das Erinnern unseren Geist formt, uns zum Leben erweckt.
Wie das Erinnern uns quält, bis wir uns das Vergessen herbeisehnen.
Wie uns das Vergessen tötet.
22. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
Stück für Stück, Satzfetzen für Satzfetzen, ...
21a. O-Ton Schwitter
Bei der Erzählung ging es mir nicht so sehr um meine ureigene Erfahrung als
Schauspielerin, sondern um das Thema Erinnern – Vergessen.
Aber natürlich habe ich da gezehrt von den Erfahrungen, die ich im Beruf gemacht habe.
22a. O-Ton / Zitat M. Schwitter
... Wort für Wort, Dialog für Dialog. Was übrig geblieben ist, sind vereinzelte Sätze, die ich
nicht mehr einordnen, nicht mehr zuordnen kann. Wer spricht, frage ich oft. Hallo, wer
spricht denn da? Und wovon sprichst du? Worum geht es? An wen richtest du dich, und
was ist dein Anliegen, dein Schmerz, deine Absicht ?
Ein Trümmerfeld, ein Fetzentext aus Textfetzen ist übrig geblieben. Mehr Lücke als
Gewebe. Als hätte einer sein Maschinengewehr darauf gerichtet und seine gesamte
Munition verschossen.
Zitator (Ulrich Wildgruber)
„... nothing, nichts, hier klammerte ich mich fest. - Ist das nichts ! / Mein Weib ist nichts,
und nichts in all dem Nichts, / Wenn dies nichts ist“ („Ein Wintermärchen“).“
Atmo-Wechsel
23. O-Ton Nina Petri
Jetzt bin ich nicht so’ne ausdrückliche Theater-schauspielerin – ich denke, dass die
Monique sehr viel mehr Theater gespielt hat und echt so verschiedene Stücke, morgen
dies, heute das, und tagsüber wird noch was Drittes geprobt.
Autorin
Nicht jedes Textgebilde, nicht jede Rolle rückt der Seele, dem Herzen ungesund zu Leibe
24. O-Ton Nina Petri
Ich habe ja sehr viel Film oder Fernsehen gemacht,
und da ist es so: das sind minimale Texte oft, und man lernt sie eben wirklich für den
nächsten Tag. Die sind danach auch wieder vergessen. Ich brauche zwölf Stunden diesen
kleinen Vorrat, und dann tue ich ihn wieder weg, und dann kommt der nächste für den
nächsten Tag.
6
Autorin
Doch die Schauspielerin Nina Petri hat auch Bühnenerfahrung gesammelt.
25. O-Ton Nina Petri
Meine jüngste Erinnerung ist, dass ich diesen Soloabend gemacht hab, und da musste ich
40 Seiten Text alleine lernen. Das heißt, man hat auch kein Gegenüber, d.h., man reagiert
auf nichts, außer auf sich selbst, auf den inneren Vorgang, und das zu lernen, bedeutete
eben, jede einzelne Phrase, die Abläufe zuzuordnen einer Erinnerung, die ich der Figur
gegeben hab und mir die Person, um die es ging, über die ich rede, wirklich bildhaft
vorzustellen. Also je genauer, desto einfacher wird es irgendwann, das zu behalten, also
im Kopf zu behalten, dann hat es ne Struktur.
1. Szene aus „Seine Braut war das Meer, und sie umschlang ihn“ im Hintergrund:
”… Er war immer im Wind und im Wetter, und davon erzählten sie. Es waren Hände, die
zart waren, und die Kraft hatten. Sie wurden genutzt; sie waren empfindlich und stark. Und
mein Blick klebte an der Stelle, wo sie verschwanden in den makellos weißen Manschetten
im Ärmel der tiefseeblauen Uniformjacke mit den goldenen Streifen.“
25a. O-Ton Nina Petri
Dann ordne ich das zu, stelle mir den Ort vor, in dem Fall ist es ein Schiff, stelle mir die
Kabine vor, in der ich da gestanden hab’, das materialisiert sich sozusagen in meinem
Kopf, kriegt Konturen. Je schärfer die sind, desto klarer ist auch die Erinnerung daran
natürlich, und dann bleibt das haften.
Geräusche Hafen / Elbe
Mövengeschrei, Dampfertuten
Wasser
25b. O-Ton Nina Petri
„Seine Braut war das Meer, und sie umschlang ihn“ von Andreas Marber, das habe ich in
den Kammer-spielen gespielt.
Das Lustige war: als ich angefangen hab, diesen Text zu lernen, hab ich gedacht: hiich,
woher weiß mein Gehirn das eigentlich, wo es das abspeichern muss ? Weil, ich hab
gedacht, was ist denn eigentlich, wenn mein Gehirn dafür den falschen Ort nimmt ? Wenn
ich sozusagen jeden Tag von vorne anfangen muss, weil das nicht richtig eingeordnet
wurde in das richtige Regalfach ?
Und da habe ich auch noch mal darüber nachgedacht, wie phänomenal das ist, dass etwas
in mir genau weiß, wo das hingepackt werden muss.
2. Szene aus „Seine Braut war das Meer, und sie umschlang ihn“ im Hintergrund:
”… er ist lange auf Kreuzfahrtschiffen gefahren. Irgendwann wollte er das nicht mehr. Er
wollte Frachtschiffe fahren, er konnte die Weiber nicht mehr aushalten. Kann man sich
denken: ein Bild von einem Mann, ein Bild von einem Kapitän, mit Mütze, Uniform, diesen
Augen, die alle Schattierungen des Meeres zu allenTages– und Jahreszeiten nachahmten,
die Haut , die Hände. Ein Kreuzfahrtschiff, schwerbeladen mit einer hungrigen Meute
Weiblichkeit.“
Autorin
Was wäre zum Beispiel, wenn das Gedächtnis die Erfahrungen der Figur im Gedächtnis für
eigene Erfahrungen ablegt?
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25c. O-Ton Nina Petri
In dem Moment, wo ich eine Figur spiele, überlappt sich das ja; die Frage stellt sich dann
ja gar nicht mehr, da unterscheide ich nicht mehr zwischen mir und der Figur: dann werde
ich ja diese Figur.
Autorin
Oder: wenn das Gedächtnis gar nicht mehr ablegt ?
25d. O-Ton Nina Petri
Ist ja so’n bisschen so’ne Horrorvorstellung, ist ja kafkaesk oder wie von Edgar Allen Poe,
((wenn man sich vorstellt, dass man tun kann, was man will, man kann es wollen, aber es
funktioniert nicht, es geht da nicht rein.))
Das ist dann auch nichts anderes als das, was man Demenz dann letztendlich nennt, wenn
nichts mehr haften bleibt.
3. Szene aus „Seine Braut war das Meer, und sie umschlang ihn“ im Hintergrund:
”… wie er das gehasst hat ! Dieses hungrige Mit-den-Blicken-Ausziehen. Das ging ihm
derart auf die Nerven, dass er auf Frachter umgestiegen ist – ohne dass ich ihn darum
gebeten hätte. Aber ich war dann doch eifersüchtig. Konnte nicht anders ...“
26. O-Ton Nina Petri
Das Dilemma, in dem Schauspieler stecken, ist:
einerseits erschaffen sie selber, aber sie haben natürlich ne Menge Vorgaben: Texte.
Regisseure ...
Autorin
Die entscheidende Frage, die Nina Petri, und mehr noch Monique Schwitter umtreibt, war
und ist: Wie diesen Vorgaben, den fremden Texten, dem Angelernten entkommen?
Wie sich befreien von diesem „Krach im Kopf“ – und zu sich selbst finden?
27. O-Ton M. Schwitter
Das ist ein Dauerthema, das ist eine konstante Auseinandersetzung, die man führt – und
bei mir noch einmal extremer, weil ich als Schriftstellerin, die ich ja eigentlich nach meinem
Dafürhalten schon viel länger bin als dass ich eine Schauspielerin bin, bin ich natürlich
immer jemand gewesen, der sich um seine eigene Sprache bemüht.
Was kann das sein: wo ist meine Sprache ?
Autorin
Endlich bei sich ankommen, ...
28. O-Ton M. Schwitter
Das ist es: Input – Output.
Autorin
...endlich das Eigene, das Ins–Eigene-Verwandelte, das durch die eigenen Sinne
Wahrgenommene, das selbst Erlebte, das vom eigenen Verstand Durchdachte formulieren
und lebendig werden lassen.
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29. O-Ton Schwitter
Pausenlos sind wir mit Fremdem konfrontiert, mit fremder Information, mit fremden
Einflüssen, Möglichkeiten, mit fremdem Leben – viel mehr, als wir es vor 50 Jahren waren
und in einem Tempo, wo ich mir nicht so sicher bin, ob wir da schon so ideal drauf
vorbereitet sind.
Und dieses Fremde, was da in einem einlagert, das gibt ja eben keine Ruhe.
s. > 18. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
Scheinbar schlummernd irgendwo in einer entlegenen Ecke, waren sie immer bereit, sich
zur Unzeit in den Vordergrund zu drängen, ...
30. O-Ton Schwitter
In mir drin war es immer sehr laut ! Da sind sehr viele fremde Gedanken, ist viel fremder
Text drin, auch viele Meinungen - also von Theaterfiguren.
s. > 18a. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest
Rampensäue
Autorin
... und Meinungen von Theaterregisseuren, wie diese Figuren zu sein haben.
31. O-Ton Nina Petri
Dieses Fremdbestimmtsein ist ein echtes Problem, das lässt sich auch nicht wirklich
auflösen.
Zitator (Ulrich Wildgruber)
„Tja, wie ich mich auch drehe und wende, ich sehe schon, man kommt nicht so einfach
davon, ...
31. O-Ton Nina Petri f
Und da gibt’s eben oft die Bereitschaft, sich selbst auszubeuten.
Zitator (Ulrich Wildgruber) f
... wenn man sich eintunkt in diesen Teil ( ) einer rastlos wandernden Weltenseele, ...
31. O-Ton Nina Petri ff
Da gibt’s dann auch Regisseure, die verlangen das auch geradezu, die behandeln einen
wie Dreck, haben keinen Respekt.
Zitator (Ulrich Wildgruber) ff
... man muss schon ganz gehörig aus der Lunge pfeifen oder die Wangen aufblasen, will
man auch nur ein winziges Stückchen mitsegeln auf der eigenen Nussschale mit diesem
gewaltigen Geisterschiff in den fisch- und pflanzenreichen Gewässern der Sphärensphinx.
31. O-Ton Nina Petri fff
Und außerdem dann kommt ja noch hinzu, dass wir Frauen dann spätestens ab 40 es
immer schwerer haben - in dieser Welt, wo man eigentlich nicht alt werden darf!
9
Zitator (Ulrich Wildgruber) fff
Ein bisschen lächerlich mag es immer scheinen ...“
Ulrich Wildgruber, aus seinem Buch „Der Lachszug der Wörter“
31. O-Ton Nina Petri ffff
Und wenn man dann ich der Lage ist, noch was Selbstbestimmtes zu finden wie
Schreiben, dann ist das unglaublich wichtig. Ansonsten wird man mit dieser Missachtung,
die einem da zum Teil entgegenkommt, nicht fertig.
Puh, irgendwann reicht’s einfach auch.
Zitator (Ulrich Wildgruber)
„O Puck, du Esel, finde sich einer zurecht in dieser „Komödie der Irrungen“, „to be or not to
be“, ach, denkt doch „was ihr wollt“, bitte, ganz „wie es euch gefällt“, gestatten: Heinrich
der Achte – angenehm: Othello.
32. O-Ton Nina Petri
Der Beruf hat ja viel mit Identitätssuche zu tun.
Zitator (Ulrich Wildgruber)
Angenehm: Percy Heißsporn – macht nichts, ich habe ein Taschentuch – hum hum –
32A. O-Ton Nina Petri
Ich bin alles Mögliche. Und das führt manchmal auch zu so einer Unklarheit. Ich hab
manchmal Menschen beneidet, die ganz klar sagen konnten, was sie sind oder wie sie die
Dinge sehen. Die konnten ganz klar sagen: Ich bin so und so. Mir fiel es immer schwer.
Bis zum heutigen Tag.
Zitator (Ulrich Wildgruber)
... wie geht’s der Frau Gemahlin Desdemona ? – tot – shocking, und Emilia ? – tot – und
selbst ? – tot.“
32a. O-Ton Nina Petri
Es ist so, dass es mir leichter fiel, an Emotionen zu gelangen, wenn ich die auf der Bühne
erleben konnte, als wenn ich nicht auf der Bühne stand. Über jedes Gefühl wie Hass,
Liebe, was es sonst noch gibt, wusste ich auf der Bühne ganz genau, wie sich das anfühlt.
4. Szene aus „Seine Braut war das Meer, und sie umschlang ihn“ im Hintergrund:
”… Eifersucht ist zwar allein noch kein Liebesbeweis, aber ihre Abwesenheit auch nicht. ( )
Ich hab ihm nicht gesagt, er soll auch Frachter umsteigen. Es war sein Wunsch ...“
32a. O-Ton Nina Petri f
Aber wenn ich abging von der Bühne, wusste ich gar nichts mehr. Ich wusste einfach gar
nichts !
Wenn man mich gefragt hätte: was ist mit dir, was fühlst du ? Wie: Ich ? was: ICH ? ICH
??, keine Ahnung ! Ich wusste auch nicht, wie’s geht. Ich hatte auch nicht meine eigene
Sprache dafür. Sobald man mir einen Text gegeben hatte, den ich sagen konnte, dann
wusste ich genau, wie’s geht. Ganz genau. Ich weiß genau, wie Menschen sprechen,
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wenn sie sich lieben, alle Nuancen auf der Bühne. Auf der Bühne: alles klar, aber ich
wusste überhaupt nicht, wie’s geht.
5. Szene aus „Seine Braut war das Meer, und sie umschlang ihn“ im Hintergrund:
”… Ich trat vor die Tür, rutschte aus, er war da, irgendwo her, fing mich auf, so einfach fing
alles an. Daraus ergab sich alles. Natürlich hatten wir vorher kleine Liebeleien gehabt,
Küsse in der Schulzeit ...“
32a. O-Ton Nina Petri ff
Und als ich das so überdeutlich gemerkt habe, hab ich gesagt: nee, stopp. Den Preis will
ich nicht zahlen, weil: die Lebendigkeit, die ich auf der Bühne gespürt habe, die war ja
unheimlich groß, und dann bin ich abgegangen - und war gar nicht mehr da ! Und da hab
ich gewusst, so will ich nicht leben. So intensiv habe ich das erlebt, und das hat mich dazu
gebracht, mich intensiv auf die Suche nach meinen eigenen Erleben zu machen, bewusst
mit dem Risiko, dass ich dann vielleicht gar nicht mehr spielen kann: wenn ich dann rieche,
wie’s wirkliche Leben riecht oder für mich ganz alleine oder für mich selbst anfühlt.
Aber zum Glück hat sich ja nicht erfüllt, dass ich das dann nicht mehr machen konnte.
33. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest aus „Goldfischgedächtnis“
„Wer immer in mir wohnt, ich mein nicht mich, ...“
34. O-Ton Nina Petri
Ich hab bei Schauspielern schon das Gefühl gehabt:
was IST derjenige, wenn er jetzt nicht gerade diese Rolle hat ?; wenn er sich nicht über
den nächsten Regisseur ereifern kann ... was ist dann ? Ich hab schon erlebt, wenn sie
eben keine Rolle haben:
lost in space !
Die haben sich mit sich selbst noch überhaupt gar nicht befasst, das ist erschreckend. Die
halten sich selbst auch gar nicht aus - dieses zusätzliche Ding, also ein Text, das gibt
ihnen Halt ! Das finde ich super anstrengend, weil, ich begegne dem Menschen gar nicht.
Wer ist das dann, wer sitzt mir denn da gegenüber ? Und der Mensch offensichtlich auch
nicht, der weiß es selber gar nicht ! Das ist eben auch die Not, in die manche Schauspieler
auch echt auf schlimmste Weise geraten, woran sie dann auch zugrunde gehen - oft.
35. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest aus „Goldfischgedächtnis“
„ ‚Du hast schon die ganze Weltliteratur auswendig gelernt’, sagtest du, da wird ein kleiner
Richard auch noch hineinpassen. ‚Nein, er passt nicht hinein. Keine Zeile.“
(...) Und plötzlich sieht sie die Zeilen klar und zum Greifen vor sich:
Wer immer in mir wohnt,
ich mein nicht mich,
ich mein den Mensch in mir,
wird nicht zufrieden sein,
bevor er alles los ist,
auch sich selbst.
Sie spricht sie nach, zögernd erst und leise, sie kostet den Klang, sie reizt den Rhythmus,
bedient, variiert, bricht ihn. Sie zieht dabei den Mantel aus, streift die Schuhe ab, lässt die
Hose zu Boden gleiten, reißt sich die Socken von den Füßen, knöpft sich die Weste und
Bluse auf, steht nackt da, sieht an sich hinunter und endet: ‚Auch sich selbst’. Sie holt den
Spaten aus dem Rucksack und verlässt das Haus.“
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36. O-Ton Schwitter
Kaum, dass ich meine 1. Buch-Veröffentlichung 2005 hatte, wurde ich aufgefordert, einen
Text zu schreiben darüber: wie komme ich zur Sprache. Und jetzt erinnere ich mich
gerade, der Titel war: ‚Schlucken und Spucken’.
Das Meiste, was ich über Sprache gelernt habe, ist schlicht und einfach auswendig gelernt,
ne. Die Sprache an sich auch. Im Französischen heißt auswendig lernen apprendre par
coeur, also mit dem Herzen lernen:
man legt’s eben auch im Herzen ab –
und darum geht dieser Text.
Autorin
Angstzustände, Herzversagen, Demenz, Flucht in den Tod - es scheinen sich nicht gerade
die angenehmsten „Methoden“ aufzudrängen, um „Text wieder zu vergessen“ - um fremde
Identitäten und Einflüsterungen, lärmende Wörter und Ohrwürmer wieder loszuwerden.
Musik „...too solid“
Atmo Flut kommt ...
35. O-Ton / Zitat Monique Schwitter liest aus „Goldfischgedächtnis“
„Sie läuft und läuft und wird immer leichter, und das Wasser kommt näher. Sehen kann sie
es nicht, aber hören. Sie bückt sich und beginnt zu graben.“
Atmo
Flut kommt angerauscht, Wasser flutet über sie hinweg
Autorin
So beendet Monique Schwitters Romanfigur ihr Leben, so beendete der Schauspieler
Ulrich Wildgruber sein Leben. Monique Schwitter, die Schriftstellerin jedoch, lebt zufrieden
weiter – nicht zuletzt durch ihre Entscheidung, von nun an ihre eigenen Wörter zu finden.
Auch Nina Petri hat irgendwann angefangen, sich selbst zu entdecken, jenseits der Bühne.
Heute engagiert sie sich außerdem für Frauen in Not und in einer Bürgerinitiative gegen
Gentrifizierung. Und sie ist als Sängerin mit einem Jazz Trio unterwegs, seit ihre
22jährigen Zwillingstöchter aus dem Haus sind.
37. O-Ton Petri
Ja, ich habe mich für Kinder entschieden und für eine Familie, und das bedeutet einfach,
bei aller Liebe zum Beruf, schlicht und einfach Dinge tun zu müssen: kochen, abwaschen
und die Kinder fragen, wie es in der Schule war und so weiter. Ich habe mir vollkommen
klar gemacht, dass mir dieses diesseitige, reale Leben - dass mir das sehr wichtig ist.
Das ist ja nicht die Rolle – das bist ja du.
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