Manuskript Beitrag: Bessere Altersvorsorge im Betrieb – Wer soll das bezahlen? Sendung vom 12. Juli 2016 von Anke Becker-Wenzel, Ingo Dell und Gerd Gerlach Anmoderation: Die Rente wird der Wahlkampfschlager. Schon vor einem Vierteljahr gab Horst Seehofer die Tonart vor und erklärte die Riesterrente für gescheitert. Sigmar Gabriel stimmte ein, das Niveau der gesetzlichen Rente dürfe nicht weiter sinken. So etwas hören die Menschen, die Angst vor Altersarmut haben müssen, sicher gern – aber für einfache Töne ist das Thema viel zu kompliziert. Andrea Nahles komponiert bislang im Stillen und will erst im Herbst ein Gesamtwerk aufführen. Unsere Autorin Anke Becker-Wenzel hat eine kritische Vorschau - auf die geplante Betriebsrente auch für Niedrigverdiener. Text: Daniela Breng ist Verwaltungsangestellte. Seit ihrer Scheidung arbeitet sie Vollzeit. Mit ihren Kindern Simon und Aaron lebt sie auf 65 Quadratmetern in Halle. Die Söhne, neun und elf, helfen im Haushalt. Daniela Breng muss sparsam wirtschaften, um bis Monatsende über die Runden zu kommen. Wenn die 38-Jährige über ihre finanzielle Situation im Alter nachdenkt, ist sie ratlos. Sie war längere Zeit nur geringfügig beschäftigt. Rücklagen und Altersvorsorge – wie soll sie das bezahlen? O-Ton Daniela Breng, Verwaltungsangestellte: Wenn ich mir meine Renteninformation so anschaue, dann steht da 425,30 Euro, was mich erwarten würde, wenn ich jetzt noch 30 Jahre weiter einzahle wie bisher. Ich habe einen Nettoverdienst von 1.220,77 Euro. Ich müsste privat vorsorgen, weil man von 425 Euro Rente natürlich nicht leben kann. Aber ich weiß nicht, wie ich das tun soll. Ihr bleiben 124 Euro nach Abzug aller festen Kosten. Sparen geht da nicht. Vor Jahren hat sie in einen Riester-Vertrag eingezahlt, doch den musste sie stilllegen, als das Geld knapp wurde. O-Ton Daniela Breng, Verwaltungsangestellte: Ich möchte natürlich gern privat vorsorgen, aber es geht nicht. Woher soll ich es nehmen? Ich habe ja die Wahl: Kaufe ich etwas zu essen für meine Kinder oder repariere das Auto, betanke das Auto, um zur Arbeit zu kommen - oder bezahle ich eine private Altersvorsorge. [1998] Die Rente - Dauerbrenner im Wahlkampf und Dauerbaustelle seit Jahrzehnten. Sicher ist bei der Rente heute nur, dass es für zu viele zu wenig sein wird - trotz jahrzehntelanger Arbeit. [2001] Und Riesters Reform für mehr private Vorsorge war vor allem für die Versicherungsbranche ein Grund zum Feiern, weniger für Arbeitnehmer. Zitat Horst Seehofer, CSU, Parteivorsitzender, Quelle: dpa, 8.04.2016: „Die Riester Rente ist gescheitert.“ Jetzt fordert CSU-Chef Seehofer wieder eine Rentenreform. Und Finanzminister Schäuble will die Betriebsrente fördern, kündigt sein Staatssekretär an. Zitat Michael Meister, CDU, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesfinanzministerium, Quelle: Rheinische Post, 9.05.2016: „Unser Ziel ist, dass Geringverdiener jährlich 400 bis 450 Euro für die Betriebsrente ansparen, ohne dass dadurch ihr Nettoeinkommen reduziert wird.“ Wie sich das rechnen soll, kann im Moment noch keiner sagen. Details, so heißt es, würden noch erarbeitet. Nur so viel: Es soll eine Prämie geben. So wie bei den Riester-Verträgen: etwa 154 Euro, aus Steuergeld. Geld, das wieder in unsicheren Versicherungsverträgen landen würde, warnt der Finanzmathematiker Axel Kleinlein. O-Ton Axel Kleinlein, Bund der Versicherten: Die Schäuble-Ideen sind im Grunde genommen eine Art Neuauflage dessen, was wir bei Riester schon vergeblich versucht haben. Hier sollen Steuergelder in Produkte gezahlt werden, wo die Produkte aber schlecht sind. Nicht das System, nicht die Rahmenbedingungen sind problematisch, sondern die Instrumente, mit denen angespart werden soll. Das ist wie bei einer Autobahn, als würden sie die Leitplanken erneuern, aber die Schlaglöcher nicht ausbessern. Immer mehr Arbeitnehmer haben Angst vor Altersarmut, wie Silvio Sillge. Er hatte mal einen Handel für Tierbedarf - und musste aufgeben, war arbeitslos. Dann für acht Monate – Postzusteller. Jetzt ist der 50-Jährige wieder arbeitssuchend. Er muss monatlich Raten für sein Eigenheim zahlen. Die einzige Absicherung, die ihm geblieben ist. Denn seine Riesterrente hat er gekündigt. Und Betriebsrente? Illusorisch. O-Ton Silvio Sillge, Arbeitssuchender: Ich würde das Geld lieber jetzt nehmen, dann weiß ich, was ich habe. Man muss ja Angst haben, dass irgendeine Versicherung auch wieder Pleite geht und das Geld dann auch futsch ist. Also, von daher hätte ich das Geld lieber in der Hand und wüsste, ich kann damit was machen. Betriebsrente: Arbeitnehmer haben schon jetzt das Recht, einen Teil ihres Lohnes in eine betriebliche Altersvorsorge umzuwandeln. Diese „Entgeltumwandlung“ ist bis zur Rente von Sozialabgaben und Lohnsteuer befreit. Klingt gut, hat aber im Alter Folgen. O-Ton Prof. Max Bofinger, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Würzburg: Entgeltumwandlung bedeutet, dass der Teil meines Gehalts, den ich für die Altersvorsorge dann zurücklege, dass für den keine Sozialversicherungsbeiträge mehr gezahlt werden und zwar weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer. Und dieses Geld fehlt einfach in der Rentenkasse und das schmälert dann auch die Rente, die ich dann später bekomme von der gesetzlichen Rentenversicherung. Es lohnt sich also für Arbeitnehmer nur, wenn der Betrieb dazuzahlt. Doch das erhöht die Personalkosten, sagt Michael Goldschmidt, Aufsichtsratsvorsitzender in der Sicherheitsbranche. Das Unternehmen hat rund 1.600 Mitarbeiter. Die meisten arbeiten im Mindestlohnbereich, hätten gerne einen Zuschuss. Doch das wäre der Firma zu teuer. O-Ton Michael Goldschmidt, Aufsichtsratsvorsitzender GSE Protect: Dort wo wir echte Zusatzkosten haben, also auch bar mit zu finanzieren, erhöhen wir unsere Lohnnebenkosten, ohne dass gleichzeitig unser Produkt besser wird. Das heißt, wir verabschieden uns direkt dahin, dass unsere Arbeit von Technik mehr und besser übernommen werden kann, einfach weil sie dann günstiger ist. Keine Zuschüsse vom Arbeitgeber - dabei zahlen Unternehmen durch den Niedriglohnsektor ohnehin weniger in die Rentenkasse. O-Ton Dierk Hirschel, Chefökonom ver.di: Die Arbeitgeber haben sich in den letzten Jahren zunehmend aus der Finanzierung der betrieblichen Altersvorsorge verabschiedet und sie tragen inzwischen auch nicht mehr hinreichend zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung bei. Und das muss sich in Zukunft ändern. Zugleich hat die Politik das Rentenniveau noch gesenkt – für alle Arbeitnehmer von 70 Prozent des Nettolohns auf heute 48. 44 Prozent sollen es nur noch ab 2030 sein - fatal vor allem für Niedrigverdiener. O-Ton Hans-Josef Tenhagen, Chefredakteur Finanztip: Wenn man das Rentensystem zukunftsfest machen will, dann geht es vor allen Dingen darum, für die Leute, die von Altersarmut bedroht sind, das zu adressieren. Das erreicht man nicht mit 45 oder 47 Prozent, statt 43 Prozent. Das erreicht man nur damit, dass man dafür sorgt, dass jemand, der wenig hat einzahlen können, aber lange gearbeitet hat, tatsächlich auch eine Rente hat, aus dem gesetzlichen System, die auskömmlich ist. O-Ton Prof. Peter Bofinger, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Würzburg: Was wir brauchen ist eine umfassende große Lösung, die eben ganz klar das Ziel hat: Wer sein Leben lang arbeitet, der muss unbedingt mehr Rente haben als jemand, der nie gearbeitet hat. Und dazu muss man diese gesetzliche Rentenversicherung so gut es geht stärken. Es wird also wieder eine Reform der Reform geben müssen. Die Rente wird wohl wieder Wahlkampfthema werden. Bundessozialministerin Andrea Nahles hat schon mal eine Reform angekündigt. Alles stehe auf dem Prüfstand, Tabus dürfe es nicht geben. Mehr könne sie nicht sagen. O-Ton Frontal 21: Wenn Sie jetzt auf die Rentenreform blicken, werden Sie die Arbeitgeber stärker in die Pflicht nehmen? O-Ton Andrea Nahles, SPD, Bundesarbeitsministerin: Nun die Rentenreform diskutieren wir, wenn das Gesamtkonzept erarbeitet ist. Und ich lege da Wert auf handwerkliche Seriosität. Aber die Details der Rentenreform kann ich deswegen heute nicht mit Ihnen diskutieren, weil wir noch nicht so weit sind. Daniela Breng kann nur hoffen, dass die nächste Reform ihr im Alter auch mal mehr bringt. Und nicht - wie jede Reform zuvor bloß immer weniger. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. 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