taz.die tageszeitung

USA: Ist Rassismus das Problem?
Oder ist es die ungleiche Verteilung? Ein Debattentext ▶ Seite 3
AUSGABE BERLIN | NR. 11067 | 28. WOCHE | 38. JAHRGANG
DIENSTAG, 12. JULI 2016 | WWW.TAZ.DE
€ 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND
Heftige
Kämpfe im
Südsudan
H EUTE I N DER TAZ
Hunderte Tote
bei Kämpfen, darunter
auch Blauhelmsoldaten
OSTAFRIKA
JUBA dpa | In der südsudanesi-
schen Hauptstadt Juba werden
die seit fünf Tagen anhaltenden
Gefechte zwischen Anhängern
von Präsident Salva Kiir und Vizepräsident Riek Machar immer
heftiger. Bewohner berichteten
am Montag von schweren Angriffen mit Artillerie und Handfeuerwaffen sowie Explosionen.
Zwischen Freitag und Sonntag
wurden laut Angaben der Regierung rund 270 Menschen getötet. Zu den Opfern gehören auch
zwei chinesische Blauhelmsoldaten, wie der chinesische TVSender CCTV berichtete. Laut UN
wurden auch ruandische Soldaten der UN-Friedensmission
verletzt oder getötet.
▶ Der Tag SEITE 2
▶ Meinung + Diskussion SEITE 10
MOBY Der US-Popstar
zeigt sich in seinen Memoiren als widersprüchliche Figur ▶ SEITE 13
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NETZNEUTRALITÄT
Warum das wichtig ist?
Erklärt die StanfordProfessorin Barbara
van Schewick ▶ SEITE 11
BERLIN Eine Privat­
schule will benachteiligten Kindern zum Abschluss verhelfen. Kann
das klappen? ▶ SEITE 23
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Fotos oben: ap
VERBOTEN
Guten Tag, meine
DAX-Konzern-ChefInnen!
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat euch am
Montag ermahnt, mehr Flüchtlinge einzustellen. „Es ist der
Eindruck entstanden, das Engagement der großen Firmen
bleibe weit hinter dem des
Mittelstands zurück“, schimpfte der SPD-Chef, nachdem er
die FAZ gelesen hat. Die hatte
kürzlich ermittelt, dass ihr bis
Anfang Juni gerade erst 54
Flüchtlinge eingestellt habt. Da
habt ihr ja sogar mehr Frauen
in euren Aufsichtsräten! Was
Bundessiggi nicht gesagt hat:
Nu aber mal hurtig! Wer jetzt
noch keinen Flüchtling hat,
kriegt bald keinen mehr. Der
Nachschub ist begrenzt.
Unesco sorgt
sich um
Welterbe
ISTANBUL dpa/taz | Bei der jährli-
Das war’s: Beim 1:0 durch Éder im EM-Finale hat Frankreichs Torwart Lloris das Nachsehen Foto: Martin Meissner/ap
Das war’s? Ach was, in nicht einmal vier Wochen geht es weiter mit der rio.taz – alles von den Olympischen Spielen in Brasilien
chen Tagung des Unesco-Komitees zum Welterbe steht diesmal
die Sorge um gefährdete Kulturstätten im Mittelpunkt. Die
Diskussion darüber werde viel
Raum auf der Konferenz einnehmen, sagte die Direktorin
des Unesco-Welterbezentrums,
Mechthild Rössler, am Montag
in Istanbul. Am Dienstag soll es
auch um die teilweise zerstörte
Oasenstadt Palmyra im Bürgerkriegsland Syrien gehen. Auch
eine Delegation aus Diyarbakır
ist angereist. Der historische
Kern der Stadt im Osten der
Türkei war 2012 zum Weltkulturerbe erklärt worden. Die Altstadt wurde in den vergangenen
Monaten bei Kämpfen der türkischen Armee gegen aufständische Kurden weitgehend zerstört.
▶ Schwerpunkt SEITE 4
TAZ MUSS SEI N
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20628
4 190254 801600
KOMMENTAR VON ANDREAS RÜTTENAUER ZUM NACHKLANG DER FUSSBALL-EM VON PARIS
W
as für ein Drama! Cristiano Ronaldo, der Mann, der Portugal
war, konnte nicht mehr. Und
dann kam ein gewisser Éder, und Portugal war plötzlich Europameister. Wo
spielt der eigentlich? Und wieso ist ausgerechnet Portugal Europameister? Haben
die das überhaupt verdient? Der Defensivfußball hat diese EM dominiert. Der
Dominanzfußball ist gescheitert. Wie finden wir das eigentlich? Moment mal. Worüber reden wir denn da am Tag nach dieser EM? Genau – wir reden über Fußball.
Es ist beinahe schon ein Wunder, dass
sich der Sport dieses Turnier zurückgeholt hat. Als die französische Nationalmannschaft vor gut vier Wochen das Tur-
Das Wunder von Paris
nier mit dem Spiel gegen Rumänien eröffnet hat, hätten das wohl die wenigsten
so vorhergesagt. Die Fragen, die gestellt
wurden, waren andere. Ob Fußball in Zeiten des IS funktionieren kann, wurde da
gefragt. Es ging um die Zerrissenheit des
Gastgeberlandes und darum, ob die französische Auswahl wohl etwas dazu beitragen könne, das Land zu befrieden.
Von Europa war ganz oft die Rede und
davon, ob die Fußball-EM dazu beitragen
könne, den Kontinent zu einen. Und dann
kamen die russischen Hooligans. Schnell
kam der Verdacht auf, die Schläger seien
von Wladimir Putin selbst nach Frankreich geschickt worden, um den Westen
zu destabilisieren.
Diese EM war politisch aufgeladen
wie selten ein Turnier zuvor. Der Fußball gab zunächst nur die Kulisse ab für
den ganz großen gesellschaftlichen Diskurs. Dann kam Island und schlug England, und der Brexit musste nur noch für
ein paar schlechte Wortspiele herhalten.
Es kamen die Italiener, die gegen den
Titelverteidiger Spanien der guten alten
Manndeckung zu neuen Ehren verhol-
Der Fußball hat die Regentschaft über sein eigenes
Turnier zurückgewonnen
fen haben. Es kam Deutschlands TurnierAus gegen gewitzte Franzosen. Und als
die dann ihr Finale daheim verloren hatten, sprach niemand mehr davon, dass
sich diese Niederlage zu einem Trauma
für die geschundene Nation auswachsen
könnte.
Der Fußball hat die Regentschaft über
sein eigenes Turnier zurückgewonnen.
Das kann man als politische Botschaft
lesen. Es ist der große Erfolg dieser EM.
Ob das bei den nächsten Fußball-Events
noch einmal gelingen kann, bleibt abzuwarten. Die Weltmeisterschaft 2018 findet in Russland statt. Es wäre zu schön,
wenn der Fußball auch dieses Turnier gewinnen würde.
02
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
PORTRAIT
NACH RICHTEN
Brasiliens
lesbische Löwin
N
ur 3 Minuten und 14 Se­
kunden brauchte Amanda
Nunes am vergangenen
Wochenende in Las Vegas, um
sich ihren Traum zu erfüllen.
Mit harten Schlägen zum Kopf
hatte sie die amtierende Meiste­
rin Miesha Tate mürbegemacht,
sie auf den Boden des Oktagons
gebracht und recht mühelos ei­
nen Rear Naked Choke vollen­
den können, einen Würgegriff.
Tate musste abklopfen.
Amanda Nunes bekam den
Meistergürtel der Ultimate Figh­
ting Championship umgebun­
den, nicht ohne vorher ihre Part­
nerin Nina Ansaroff umarmt
und geküsst zu haben. Nunes
ist jetzt die erste offen lesbisch
lebende Championess der welt­
weit größten Veranstaltungs­
TH E­M ENSCHWER­PU N K­TE
N EUE TTI P-DOKUMENTE
REGENSBURG
Greenepeace: Gefahr für Energiewende
Flüchtlinge beenden
Dombesetzung
BERLIN | Die deutsche Energie­
Amanda Nunes, Championess der
Mixed Martial Arts (MMM) Foto: ap
Der Tag
DI ENSTAG, 12. JU LI 2016
wende könnte durch die EU-Ver­
handlungen mit den USA über
das Freihandelsabkommen TTIP
nach Einschätzung von Green­
peace ausgebremst werden. Die
Organisation stellte Verhand­
lungsdokumente zum Bereich
Energie ins Internet, über die in
der 14. Verhandlungsrunde ge­
sprochen wird. Darin heißt es
unter anderem, dass beim Zu­
gang zu Netzen nicht zwischen
Energiearten
unterschieden
werden soll – Greenpeace sieht
daher den in Deutschland gel­
tenden Einspeisevorrang für Er­
neuerbare in Gefahr.
„Setzt sich dieser Vorschlag
durch, schwebt die deutsche
Energiewende in Lebensgefahr“,
sagte
Greenpeace-Sprecher
Christoph Lieven über das Pa­
pier. In der Verhandlungsrunde
des Freihandels- und Investiti­
onsschutzabkommens
TTIP
geht es unter anderem um Ener­
gie und den Handel mit Rohstof­
fen. Die aktuellen Gespräche sol­
len bis Freitag dauern. Green­
peace hatte Anfang Mai bereits
etliche geheime Verhandlungs­
dokumente veröffentlicht und
damit die Sorge um Verbrau­
cherschutz- und Umweltstan­
dards geschürt. (dpa)
REGENSBURG | Die 45 Balkan-
Flüchtlinge im Regensburger
Dom haben dort ihren stillen
Protest gegen drohende Abschie­
bung beendet und sind gestern
in ein katholisches Pfarrheim
umgezogen. Auch dort blieben
sie vorerst geschützt, sagte ein
Bistumssprecher. Die Behör­
den wollten zunächst nicht ge­
gen die Flüchtlinge vorgehen.
Die zuständigen Ämter hätten
einer zeitlich befristeten Dul­
dung zugestimmt, so der Spre­
cher. Ohne Überprüfung der
Asylanträge werde keiner von
ihnen abgeschoben. (epd)
Nach­rich­ten än­dern sich jeden
Tag, ei­ni­ge The­men blei­ben. Die
taz bleibt dran, und auf taz.de
fin­den Sie in un­se­ren dos­sier­ar­ti­
gen Schwer­punk­ten alle Texte zu
einem Thema ge­sam­melt, über­
sicht­lich und aus­führ­lich.
Nach­rich­ten
Ana­ly­sen
Über­sicht
www.taz.de
LUFTANGRI FFE IM JEMEN
Menschenrechtler
für Untersuchung
DUBAI | Human Rights Watch hat
gestern eine internationale Un­
tersuchung zur Bombardierung
ziviler Wirtschaftsziele im Je­
men durch die von Saudi-Ara­
bien geführte Militärallianz ge­
fordert. Diese Luftangriffe seien
offenbar allesamt Verstöße ge­
gen das internationale huma­
nitäre Recht, heißt es in einem
Bericht der Menschenrechts­
organisation. Bei einigen die­
ser Angriffe könne es sich um
„Kriegsverbrechen“ handeln.
Der Bericht listet 17 Angriffe auf
Wirtschaftsziele auf, dabei wur­
den 130 Zivilisten getötet. (afp)
Südsudan: Der Krieg kehrt zurück
OSTAFRIKA Ein Jahr nach dem Friedensvertrag gibt es wieder Kämpfe und schon mindestens 300 Tote.
Das liegt an ethnischen Konflikten – und daran, dass Paul Malong möglicherweise nach der Macht greift
überzeugt zu sein, dass Südsu­
dan den Dinka gehört und sie
darum auch Behörden, Politik
und Armee dominieren sollen.
Dabei hält er wiederum Dinka
aus Bahr el Ghazal, wo er und
Kiir herkommen, für besser als
Dinka aus dem Rest des Landes.
Die
Übergangsregierung,
auch aus anderen Ethnien zu­
sammengestellt, gefällt dem
Stabschef nicht. Und schon gar
nicht der Vorschlag, aus den Mi­
litärs und Machars Kämpfern
eine Armee zu machen. Vor 2013
Paul Malong ist
Dinka-Extremist, der
nach der Dominanz
seiner Ethnie strebt
Vor einem Jahr vereint in der Macht, heute möglicherweise Rivalen: Armeechef Paul Malong (l.) und Präsident Salva Kiir Foto: Jok Solomun/reuters
Wer war der Anstifter der jüngs­
ten Kämpfe in Südsudan seit
Freitag, durch die das Land
wieder zurück in den Krieg ge­
raten? Das fragt sich die südsu­
danesische Bevölkerung ebenso
wie die internationale Gemein­
schaft. Präsident Salva Kiir und
Vizepräsident Riek Machar hat­
ten im April eine Übergangsre­
gierung formiert – nach einem
wackligen Friedensabkommen
vor knapp einem Jahr, das den
Bürgerkrieg nach der Abtren­
nung von Sudan vor genau fünf
Jahren beenden sollte.
Warum sich Kiir und Machar
streiten, weiß man: Kiir will
Präsident bleiben, Machar aber
hat große Ambitionen. Kiir
und Machar sind Repräsentan­
ten der beiden größten Ethnien
des Landes, der Dinka und der
Nuer, die schon lange Rivalität
kennen. Im Dezember 2013, als
der Krieg begann, wurde der
Machtkampf auch zum ethni­
schen Konflikt.
Aber in den derzeitigen ge­
walttätigen Tagen taucht immer
öfter ein dritter Name auf: Paul
Malong, Stabschef der südsu­
danesischen Armee und noch
mehr als Kiir ein Dinka-Extre­
mist, der nach der Dominanz
seiner Ethnie strebt. Malong
wird als die wirkliche Macht hin­
ter Kiirs Thron gesehen.
In der Hauptstadt Juba hatte
es schon einige Tage Spannun­
gen gegeben, weil es zu Aus­
einandersetzungen zwischen
Kämpfern von Machar und Mi­
litärs von Kiirs Armee kam. Als
Machar als Teil des Friedensab­
ÄGYPTEN
300 km
Nil
SUDAN
Port Sudan
Khartum
Bahr el
Ghazal
SUDAN
SÜDSUDAN
SÜDSUDAN
Juba
UGANDA
ÄTHIOPIEN
taz.Grafik: infotext-berlin.de
AUS NAIROBI ILONA EVELEENS
TSCHAD
reihe im Bereich der Mixed Mar­
tial Arts (MMA), der gemischten
Kampfkünste.
Die 28-Jährige, Kampfname
„Lioness“, die Löwin, wuchs in
einer brasilianischen Kleinstadt
in der Nähe von Salvador auf.
Schon mit vier Jahren begann
sie mit Karate, mit 16 kam Boxen
hinzu, anschließend, auf Einla­
dung ihrer Schwester, brasiliani­
sches Jiu-Jitsu. Es lag nahe, das
zu kombinieren – der Weg zum
MMA war frei. Mit 20 gab Nunes
ihr MMA-Debüt in Salvador.
Seitdem hat sie 17 Kämpfe be­
stritten – unter anderem gegen
die Deutsche Sheila Gaff –, da­
von nur vier verloren. Seit dem
Wochenende steht sie in dieser
Sportart ganz oben, als Meiste­
rin im Bantamgewicht.
Nunes lebt in Florida, USA mit
ihrer Partnerin. Beide trainieren
bei den MMA Masters in Miami
– auch Nina Ansaroff kämpft in
der UFC, eine Gewichtsklasse
tiefer. Beide leben ihre Liebe
im Gym, auf Reisen, zu Hause
und öffentlich auf Twitter, Insta­
gram und Facebook.
Für einen Sport, der in sei­
nen Anfängen mit dem Image
rauer Macho-Männlichkeit und
viel Blut vermarktet wurde, ist
das ein beachtlicher Schritt. Da­
bei ist Nunes keine LGBT-Akti­
vistin wie Liz Carmouche, die
2012 den ersten Frauenkampf
der UFC-Geschichte überhaupt
gegen Ronda Rousey bestritt
und mit regenbogenfarbenem
Mundschutz in den Käfig trat.
Auf die Frage, wie bedeutsam
es für sie sei, die erste offen les­
bische Meisterin zu sein, sagte
Nunes: „Das ist toll. Sie bedeu­
tet alles für mich!“ „Sie“, Nina
Ansaroff. Eine Liebeserklärung.
Ganz selbstverständlich, so wie
BERND PICKERT
es sein soll. KENIA
kommens zurückkehrte, durfte
er nur etwa 2.000 Kämpfer nach
Juba mitnehmen. Die meisten
der etwas mehr als 10.000 Sol­
daten der Armee wurden 25 Ki­
lometer außerhalb der Stadt sta­
tioniert. Eine riskante Situation
für Machars Truppen.
Als die Spannungen in der
Hauptstadt wuchsen, kamen
Kiir und Machar im Präsiden­
tenpalast zusammen, um über
die Lage zu diskutieren. Großer
Abwesender war Malong – ob­
wohl er als Stabschef hätte da­
bei sein sollen.
Malong macht kein Geheim­
nis daraus, dass er von dem Frie­
densabkommen nicht viel hält:
Kiir habe zu sehr nachgegeben.
Der Stabschef scheint davon
machten Nuer den größten Teil
der Streitkräfte aus. Aber seit
Kriegsbeginn ist es eine Armee,
die überwiegend aus Dinka be­
steht.
Südsudanesen ­spekulieren
nun, dass Malong Kiir und Ma­
char gegeneinander ausspie­
len will, um selbst Präsident zu
werden. Er ist ein rücksichtslo­
ser Mann, der für die Massaker
unter Nuer in Juba verantwort­
lich gemacht wird, als 2013 der
Krieg begann.
Noch immer ist nicht klar,
wer genau zum Krieg anstiftete.
Obwohl damals wie heute Ma­
longs Name häufig auftauchte,
liegt vieles im Dunkeln. Aber
wie vor drei Jahren sind auch
jetzt die Kämpfe nicht spon­
tan ausgebrochen. Damals wie
heute muss es einen zugrunde
liegenden Plan gegeben haben.
Sicher ist: Der Friedensplan ist
im Eimer. Nach mehr als 300
Toten, neuem Hass und Miss­
trauen ist Frieden vorläufig nur
ein Traum.
Der Kampf der Elefanten
LAGE
THEMA
DES
TAGES
Die politische Elite, im Südsudan als Elefanten bezeichnet, führt Krieg, während die Bevölkerung Hunger leidet
NAIROBI taz | Ein afrikanisches
Sprichwort lautet: Wenn Ele­
fanten sich streiten, leidet das
Gras. Im südsudanesischen
Kontext sind die Elefanten die
politische Elite, das Gras ist die
Bevölkerung. Der wiederaufge­
flammte Krieg im jüngsten Staat
der Welt macht die Lage der Be­
völkerung noch schlimmer, als
sie ohnehin schon war.
Die Hälfte der ungefähr
11 Millionen Südsudanesen lei­
det Hunger. Mehr als 2 Millio­
nen Menschen sind in Flücht­
lingslager im Land geflohen
oder über die Grenze in Nach­
barländer. Die Wirtschaft ist ka­
putt. Landwirtschaft wird kaum
betrieben, weil Bauern ebenfalls
geflohen sind oder es lange zu
gefährlich war, auf dem Acker zu
arbeiten. Die Inflationsrate liegt
bei rund 300 Prozent, es ist die
weltweit höchste.
Die aktuellen Kämpfe hin­
dern Hilfsorganisationen daran,
ihre Arbeit zu tun. Zwar finden
die schwersten Kämpfe in der
Hauptstadt Juba statt, aber auch
in dem nördlichen Städtchen Wau
wie auch in dem Ort Torit im Sü­
den wird geschossen. Es scheint,
dass der Krieg sich auf mehrere
Teile des Landes ausdehnt.
UN-Generalsekretär Ban Ki
Moon sagte, die Kämpfe zeigten,
dass weder Präsident Salva Kiir
noch Vizepräsident Riek Machar
im Friedensprozess engagiert
seien. „Es ist Verrat an der Bevöl­
kerung von Südsudan, die seit
Dezember 2013 unbeschreibli­
che Grausamkeiten erlebt hat.“
Auch verschiedene Men­
schenrechtsorganisationen be­
richten von solchen Grausam­
keiten. Viele dringen darauf,
die afrikanischen Politiker we­
gen Kriegsverbrechen anzukla­
gen. Vergewaltigung scheint
auf beiden Seiten gängige Pra­
xis gewesen zu sein. Der Krieg
ist eher durch Angriffe auf Bür­
ger als durch direkte Konfron­
tationen zwischen den bewaff­
neten Gruppen gekennzeichnet.
Südsudanesen in Juba haben
derzeit kaum Kontakt zur Au­
ßenwelt. Die Telefone funktio­
nieren selten. Nur diejenigen
mit Wi-Fi können kommuni­
zieren. Der UN-Mitarbeiter Vic­
tor Lugala schreibt: „Ich muss
gebückt durchs Zimmer krie­
chen, um nicht womöglich eine
Kugel anzubekommen. Ich sitze
oder liege auf dem Flur im Ba­
dezimmer.“
Einwohner der Stadt, ob
Südsudanesen oder Ausländer,
können nicht fliehen. Der Flug­
hafen ist geschlossen, und auch
dort gibt es viele Kämpfe. Stra­
ßen in Richtung von Nachbar­
ländern sind auch zu gefähr­
lich. Die Journalistin Lucy Poni
beschreibt die Lage so: „Wie Rat­
ten sind wir eingeschlossen.“
ILONA EVELEENS
Schwerpunkt
USA
DI ENSTAG, 12. JU LI 2016
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
Eine halbwegs funktionierende multikulturelle Gesellschaft läuft
Gefahr, sich in eine ethnisch erbittert verfeindete zu verwandeln
VON ANJANA SHRIVASTAVA
Wenn Donald Trump nicht mehr
trompetet, sondern plötzlich
versöhnliche Töne anschlägt,
dann ist äußerste Vorsicht geboten. Und wenn dann auch
noch der potenzielle Vizepräsidentschaftskandidat
Newt
Gingrich, Galionsfigur der amerikanischen Rechten, darüber
schwadroniert, wie unvorstellbar schwer es ist, in Amerika
eine schwarze Haut zu tragen,
ist noch mehr Misstrauen angebracht.
Die ungewohnt emphatischen Äußerungen republikanischer
Spitzenpolitiker
Der schwarze
Durchschnittshaushalt verlor zwischen
2005 und 2010
ganze 59 Prozent des
Vermögens, der
weiße nur 18 Prozent
nach der Katastrophe von Dallas entspringen einem kolossal schlechten Gewissen. Bei
Trump, Gingrich und anderen
grassiert die Angst, einen gesellschaftlichen
Zerfallsprozess ausgelöst zu haben, der eine
halbwegs funktionierende multikulturelle Gesellschaft in eine
ethnisch bitter verfeindete Gesellschaft verwandelt. Demonstrationen können jederzeit in
Straßenkämpfe umschlagen,
Mord wird zum politischen Mittel, Politik, Gewalt und Hass vermengen sich unauflöslich.
Es herrscht Eskalation, nicht
Ausgleich oder Kompromiss.
Trump und Gingrich wollen
ins Weiße Haus – und sagen
und tun dabei, was sie in ihren
Augen sagen und tun müssen.
Doch schon werden sie aus den
eigenen Reihen kritisiert: Ihre
versöhnlichen Worte seien unangemessen, die gefallenen Polizisten von Dallas würden nicht
adäquat verteidigt.
Ebenfalls angegriffen wird
die linke Kritik, dass die Polizei immer wieder unschuldige
schwarze Männer auf den Straßen Amerikas erschießt. Diese
Kritik wird vor allem von der
Bewegung „Black Lives Matter“
formuliert. Sie dominiert in den
Straßen und ist eine mächtige
Lobby in der demokratischen
Partei.
Vor seinem Tod gab Micah
Johnson, der schwarze Schütze
von Dallas, bekannt, dass ihn
03
Ungleiches Kräfteverhältnis: Festnahme bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt in Baton Rouge, Louisiana Foto: Jonathan Bachman/reuters
Wendepunkt Dallas
ESSAY Nicht der Rassismus – die ungleiche Verteilung von Chancen und Ressourcen ist
die größte Herausforderung für Gesellschaft und Politik in den Vereinigten Staaten
diese Bürgerbewegung, die
seit zwei Jahren immer stärker
wird, zu seiner Tat motiviert
habe. Spätestens jetzt kritisieren
konservative Amerikaner, dass
„Black Lives Matter“-Aktivisten
– mit ihrer Fixierung auf die Polizei in den Brennpunkten amerikanischer Städte – die Polizisten im Endeffekt zu Sündenböcken machten. Sündenböcke für
gesellschaftliche Verhältnisse,
die von Polizisten zwar verwaltet, aber in der Regel kaum persönlich verursacht werden.
Parallel zu der Bürgerbewegung hat die Obama-Regierung
nach der Erschießung von Michael Brown in Ferguson, Missouri, vor zwei Jahren, eine Er-
hebung über das Verhalten der
Polizei in Auftrag gegeben und
einen Bericht veröffentlicht.
Ebenso wie „Black Lives Matter“
rückt auch die Regierung das Polizeiverhalten ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Diese Fokussierung ist bei Weitem zu
selektiv und oberflächlich, und
somit tatsächlich Teil des Pro­
blems und nicht nur der Lösung.
Wenn Präsident Obama jetzt
nach Dallas fährt, besucht er
eine von nur 15 Städten, die
seine Empfehlungen für Community Policing unterschrieben
haben. 15 von 18.000 Polizeibezirken. Aber diese Empfehlungen haben auch in Dallas nichts
genutzt, weil sie den Kern des
Problems nicht treffen. Denn
das Verhalten der Polizei ist oft
allenfalls Symptom der Pro­
bleme und weniger die Ursache.
Die Dimensionen der Pro­
bleme des schwarzen Amerika
sind überwältigend. Über das
erste lange Wochenende dieses
Sommers wurden in Chicago
64 schwarze Menschen angeschossen, 6 davon starben. Nicht
durch Polizisten – durch andere
schwarze Bürgern. Die Innenstädte Amerikas sind Kriegszonen geworden, nicht umsonst
heißt Chicago im Volksmund
„Chiraq“.
Amerikas Konservative kritisieren Barack Obama sowie Hillary Clinton, die enge Bindun-
gen zu Chicago haben, dafür,
dass sie nicht mehr über diese
Epidemie schwarzer Gewalt reden. Lieber sprechen Demokraten von der von den Konservativen herbeigezwungene Waffenschwemme. Doch die Ursachen
der Gewalt liegen tiefer als in
der leichten Zugänglichkeit zu
Waffen. Auch hier, wie so oft, ist
die amerikanische Debatte von
gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt.
Nicht nur die schwarze Unterschicht hat gravierende Probleme. Nach der Bankenkrise
gibt es immer weniger öffentliche Stellen, die bisher für die
schwarze Mittelschicht so wichtig waren; auch die damit ver-
bundenen guten Renten sind
in der Krise unsicher geworden.
Der schwarze Durchschnittshaushalt verlor zwischen 2005
und 2010 ganze 59 Prozent
des Vermögens, der weiße nur
18 Prozent. Der Fortschritt von
Jahrzehnten wurde durch den
Finanzcrash vernichtet.
Es ist vielleicht reiner Zufall,
aber zweifelsohne symbolisch,
dass der Schütze von Dallas,
­Micah Johnson, eben kein von
Polizisten misshandelter Armer
aus der Innenstadt war, sondern
ein Amokläufer und Waffennarr
aus einem gepflegten Mittelschichtsvorort, der seine Identität als hochstilisierter Black
Nationalist betonen wollte.
Überhaupt ist es nicht von der
Hand zu weisen, dass eher privilegierte Schwarze ihre schwarze
Identität durch diese Bürgerbewegung kundtun wollen –
ohne dabei die soziale Spaltung
der US-Gesellschaft in Klassen
anzusprechen. Das Problem in
den USA ist nicht der Rassismus gegen einzelne Schwarze,
sondern die Unfähigkeit der
Gesellschaft, kollektive Lösungen für Durchschnittsbürger
zu schaffen, etwa in der Immobilienkrise.
Sowohl der demokratische
Sozialist Bernie Sanders als auch
Hillary Clinton haben in den
letzten Monaten immer wieder
auf diesen Klassenaspekt hingewiesen – und wurden dafür von
AktivistInnen von „Black Lives
Matter“ öffentlich gescholten.
Wenn Trump von Einheit redet,
obwohl er eigentlich vor allem
spaltet, müssen sich linke Bewegungen, die eine Politik der
Identität so sehr ins Zentrum rücken, auch diese Frage gelegentlich stellen: Ist Amerikas Pro­
blem vorwiegend Rassismus?
Oder geht es um die Verteilung
von Chancen und Ressourcen?
Man kann mit Fug und Recht
behaupten, dass Dallas einen
Wendepunkt darstellen wird.
Entweder wird das Land jetzt
an einem Strang ziehen, um den
Millionen Vergessenen wieder
echte Hoffnung zu geben; oder
die Verzweifelten und die Polizei werden immer stärker gegeneinander aufgehetzt – mit
den unvermeidbaren Konsequenzen. Dann wären die Ereignisse von Dallas nur das Signal
zum endgültigen Kontrollverlust. Zum Glück stirbt die Hoffnung zuletzt.
■■ Anjana Shrivastava ist eine
US-Journalistin in Berlin. Sie
schreibt unter anderem für das
„Wall Street Journal Europe“
Die tragische Figur des „Sommers des Zorns“
PORTRÄT
David Brown, Polizeichef von Dallas, war lange ein gefeierter Bürger-Cop. Jetzt muss er die Tötung des Todesschützen Micah Johnson begründen
WASHINGTON taz | Als er in Dal-
las anfing, erinnerte sich David
Brown neulich, hatte er noch
volles Haar und eine Afrofrisur.
„Und nun, Sie sehen ja selber“,
fügte der Polizeichef der texanischen Metropole ironisch lächelnd hinzu und strich sich mit
der Hand über die Glatze.
Brown, 55, ist die tragische
Figur des „Sommers des Zorns“,
wie US-Kolumnisten die heiße
Jahreszeit 2016 charakterisieren. Als er vor sechs Jahren seinen Posten antrat, kam er als
Reformer, der dazu beitragen
sollte, Dallas’ Image aufzupolieren. Die Stadt war lange nicht
mehr die „City of Hate“, wie sie
1963 nach dem Mord an John F.
Kennedy genannt wurde. Doch
man wollte endgültig mit dem
Klischee aufräumen, das Leben
in Texas sei besonders rau. Dazu
gehörte, dass die lokale Polizei
zum Beispiel für geschickte Deeskalation werden sollten.
Während andere Kommunen
gepanzerte Fahrzeuge bestellten
und ihre Polizeieinheiten zu Armeen ausbauten, hielt Brown
seine 3.600 Beamten an, sich
im Zweifel zurückzuhalten. Er
befahl Bürgernähe, Streifen zu
Fuß – und die Dienstwaffe, wenn
irgend möglich, stecken zu lassen. Die Bilanz gab ihm recht.
Hatten die Bewohner von Dallas noch 2009 fast 150 Fälle exzessiver Polizeigewalt beklagt,
so sank die Zahl der Beschwerden bis vor Kurzem auf 13. Die
Mordrate fiel auf den niedrigsten Stand seit den 1930ern.
Umso härter wurde Dallas getroffen, als Micah Johnson vergangenen Donnerstag im Stile
einer Einmannbürgerkriegsmiliz gezielt fünf Polizisten erschoss und fünf weitere sowie
zwei Zivilisten verletzte. Es sei
bittere Ironie, dass „dieser Verrückte“ sich ausgerechnet Dallas ausgesucht habe, so Chuck
Wexler, Direktor eines Polizeiforschungsinstituts in Washington. Tatsächlich muss nun
Brown, der gefeierte BürgerCop, unter anderem begründen,
warum er einen mit Sprengstoff
beladenen Roboter zum Einsatz
brachte, um den Todesschützen
zu töten.
„Ich habe es genehmigt. Und
ich würde es wieder tun, wenn
ich mich noch einmal in so einer
Lage befände“, hält Brown Kritikern entgegen. In seinem Parkhausversteck habe Johnson die
Polizeitruppe verhöhnt, während Unterhändler ihn zum Aufgeben bringen wollten. „Er hat
gelacht und gesungen, er hat gefragt, wie viele er schon getroffen hat, er hat gesagt, dass er
noch mehr von uns töten wolle.“
Er, Brown, habe geglaubt, Johnson werde noch einmal angreifen, verteidigt Brown seine Entscheidung für den Bombenroboter: Zudem seien die Ermittler
„überzeugt davon, dass er größere Pläne hatte und sich dabei
noch im Recht glaubte“.
Es hat auch persönliche
Gründe, dass der Mann mit
der blank polierten Glatze Deeskalation trainieren lässt. Vor
sechs Jahren erschoss Browns
Sohn, David junior, einen Polizisten und einen Zivilisten, ehe
er selber von einem Beamten getötet wurde. Der schockierte Vater führte lange Gespräche mit
den Familien der Opfer, bevor
er vor laufenden Kameras bekannte: „Das tut so weh, dass
ich die Trauer, die ich in meinem Herzen trage, nicht annähernd mit Worten beschreiben
kann.“ Wenn jemand in diesen
Tagen absolut glaubwürdig zur
Besinnung aufrufen könne, so
der Tenor der US-Medien, dann
sei es David O’Neal Brown.
Ob Browns Appelle wirken?
Die Demonstrationen in der
Nacht zum Montag deuten eher
darauf hin, dass es der Sommer
noch zorniger wird. In Baton
Rouge, wo zwei Polizisten vier
Pistolenkugeln auf den wehrlos
am Boden liegenden Afroamerikaner Alton Sterling abfeuerten,
stürmten Beamte sogar den Garten eines Privathauses, um Protestierende festzunehmen.
Um zur Deeskaltation beizutragen, wird Präsident Barack
Obama an der Trauerfeier für
die in Dallas getöteten Polizisten
teilnehmen – genauso wie Vizepräsident Joe Biden und der Expräsident und ehemalige Gouverneur von Texas, George W.
FRANK HERRMANN
Bush.