USA: Ist Rassismus das Problem? Oder ist es die ungleiche Verteilung? Ein Debattentext ▶ Seite 3 AUSGABE BERLIN | NR. 11067 | 28. WOCHE | 38. JAHRGANG DIENSTAG, 12. JULI 2016 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND Heftige Kämpfe im Südsudan H EUTE I N DER TAZ Hunderte Tote bei Kämpfen, darunter auch Blauhelmsoldaten OSTAFRIKA JUBA dpa | In der südsudanesi- schen Hauptstadt Juba werden die seit fünf Tagen anhaltenden Gefechte zwischen Anhängern von Präsident Salva Kiir und Vizepräsident Riek Machar immer heftiger. Bewohner berichteten am Montag von schweren Angriffen mit Artillerie und Handfeuerwaffen sowie Explosionen. Zwischen Freitag und Sonntag wurden laut Angaben der Regierung rund 270 Menschen getötet. Zu den Opfern gehören auch zwei chinesische Blauhelmsoldaten, wie der chinesische TVSender CCTV berichtete. Laut UN wurden auch ruandische Soldaten der UN-Friedensmission verletzt oder getötet. ▶ Der Tag SEITE 2 ▶ Meinung + Diskussion SEITE 10 MOBY Der US-Popstar zeigt sich in seinen Memoiren als widersprüchliche Figur ▶ SEITE 13 d r a w s e nd t r o p S U NETZNEUTRALITÄT Warum das wichtig ist? Erklärt die StanfordProfessorin Barbara van Schewick ▶ SEITE 11 BERLIN Eine Privat schule will benachteiligten Kindern zum Abschluss verhelfen. Kann das klappen? ▶ SEITE 23 n der n a D . r Terro ist klar: r o v t le gs ie An t dem Fina g es vor d t s r i n ei EM E och s nkreich gi k, denn be D . t i c Brex ick in Fra m Glü wird das u Z . K l l Beim m Fußba urnieren 18 E 15– u T T I E n m S e e nd all .taz mme te EM o z t k e l n ie de ig ▶ D r e i w sch Fotos oben: ap VERBOTEN Guten Tag, meine DAX-Konzern-ChefInnen! Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat euch am Montag ermahnt, mehr Flüchtlinge einzustellen. „Es ist der Eindruck entstanden, das Engagement der großen Firmen bleibe weit hinter dem des Mittelstands zurück“, schimpfte der SPD-Chef, nachdem er die FAZ gelesen hat. Die hatte kürzlich ermittelt, dass ihr bis Anfang Juni gerade erst 54 Flüchtlinge eingestellt habt. Da habt ihr ja sogar mehr Frauen in euren Aufsichtsräten! Was Bundessiggi nicht gesagt hat: Nu aber mal hurtig! Wer jetzt noch keinen Flüchtling hat, kriegt bald keinen mehr. Der Nachschub ist begrenzt. Unesco sorgt sich um Welterbe ISTANBUL dpa/taz | Bei der jährli- Das war’s: Beim 1:0 durch Éder im EM-Finale hat Frankreichs Torwart Lloris das Nachsehen Foto: Martin Meissner/ap Das war’s? Ach was, in nicht einmal vier Wochen geht es weiter mit der rio.taz – alles von den Olympischen Spielen in Brasilien chen Tagung des Unesco-Komitees zum Welterbe steht diesmal die Sorge um gefährdete Kulturstätten im Mittelpunkt. Die Diskussion darüber werde viel Raum auf der Konferenz einnehmen, sagte die Direktorin des Unesco-Welterbezentrums, Mechthild Rössler, am Montag in Istanbul. Am Dienstag soll es auch um die teilweise zerstörte Oasenstadt Palmyra im Bürgerkriegsland Syrien gehen. Auch eine Delegation aus Diyarbakır ist angereist. Der historische Kern der Stadt im Osten der Türkei war 2012 zum Weltkulturerbe erklärt worden. Die Altstadt wurde in den vergangenen Monaten bei Kämpfen der türkischen Armee gegen aufständische Kurden weitgehend zerstört. ▶ Schwerpunkt SEITE 4 TAZ MUSS SEI N Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.062 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. 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Genau – wir reden über Fußball. Es ist beinahe schon ein Wunder, dass sich der Sport dieses Turnier zurückgeholt hat. Als die französische Nationalmannschaft vor gut vier Wochen das Tur- Das Wunder von Paris nier mit dem Spiel gegen Rumänien eröffnet hat, hätten das wohl die wenigsten so vorhergesagt. Die Fragen, die gestellt wurden, waren andere. Ob Fußball in Zeiten des IS funktionieren kann, wurde da gefragt. Es ging um die Zerrissenheit des Gastgeberlandes und darum, ob die französische Auswahl wohl etwas dazu beitragen könne, das Land zu befrieden. Von Europa war ganz oft die Rede und davon, ob die Fußball-EM dazu beitragen könne, den Kontinent zu einen. Und dann kamen die russischen Hooligans. Schnell kam der Verdacht auf, die Schläger seien von Wladimir Putin selbst nach Frankreich geschickt worden, um den Westen zu destabilisieren. Diese EM war politisch aufgeladen wie selten ein Turnier zuvor. Der Fußball gab zunächst nur die Kulisse ab für den ganz großen gesellschaftlichen Diskurs. Dann kam Island und schlug England, und der Brexit musste nur noch für ein paar schlechte Wortspiele herhalten. Es kamen die Italiener, die gegen den Titelverteidiger Spanien der guten alten Manndeckung zu neuen Ehren verhol- Der Fußball hat die Regentschaft über sein eigenes Turnier zurückgewonnen fen haben. Es kam Deutschlands TurnierAus gegen gewitzte Franzosen. Und als die dann ihr Finale daheim verloren hatten, sprach niemand mehr davon, dass sich diese Niederlage zu einem Trauma für die geschundene Nation auswachsen könnte. Der Fußball hat die Regentschaft über sein eigenes Turnier zurückgewonnen. Das kann man als politische Botschaft lesen. Es ist der große Erfolg dieser EM. Ob das bei den nächsten Fußball-Events noch einmal gelingen kann, bleibt abzuwarten. Die Weltmeisterschaft 2018 findet in Russland statt. Es wäre zu schön, wenn der Fußball auch dieses Turnier gewinnen würde. 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG PORTRAIT NACH RICHTEN Brasiliens lesbische Löwin N ur 3 Minuten und 14 Se kunden brauchte Amanda Nunes am vergangenen Wochenende in Las Vegas, um sich ihren Traum zu erfüllen. Mit harten Schlägen zum Kopf hatte sie die amtierende Meiste rin Miesha Tate mürbegemacht, sie auf den Boden des Oktagons gebracht und recht mühelos ei nen Rear Naked Choke vollen den können, einen Würgegriff. Tate musste abklopfen. Amanda Nunes bekam den Meistergürtel der Ultimate Figh ting Championship umgebun den, nicht ohne vorher ihre Part nerin Nina Ansaroff umarmt und geküsst zu haben. Nunes ist jetzt die erste offen lesbisch lebende Championess der welt weit größten Veranstaltungs TH EM ENSCHWERPU N KTE N EUE TTI P-DOKUMENTE REGENSBURG Greenepeace: Gefahr für Energiewende Flüchtlinge beenden Dombesetzung BERLIN | Die deutsche Energie Amanda Nunes, Championess der Mixed Martial Arts (MMM) Foto: ap Der Tag DI ENSTAG, 12. JU LI 2016 wende könnte durch die EU-Ver handlungen mit den USA über das Freihandelsabkommen TTIP nach Einschätzung von Green peace ausgebremst werden. Die Organisation stellte Verhand lungsdokumente zum Bereich Energie ins Internet, über die in der 14. Verhandlungsrunde ge sprochen wird. Darin heißt es unter anderem, dass beim Zu gang zu Netzen nicht zwischen Energiearten unterschieden werden soll – Greenpeace sieht daher den in Deutschland gel tenden Einspeisevorrang für Er neuerbare in Gefahr. „Setzt sich dieser Vorschlag durch, schwebt die deutsche Energiewende in Lebensgefahr“, sagte Greenpeace-Sprecher Christoph Lieven über das Pa pier. In der Verhandlungsrunde des Freihandels- und Investiti onsschutzabkommens TTIP geht es unter anderem um Ener gie und den Handel mit Rohstof fen. Die aktuellen Gespräche sol len bis Freitag dauern. Green peace hatte Anfang Mai bereits etliche geheime Verhandlungs dokumente veröffentlicht und damit die Sorge um Verbrau cherschutz- und Umweltstan dards geschürt. (dpa) REGENSBURG | Die 45 Balkan- Flüchtlinge im Regensburger Dom haben dort ihren stillen Protest gegen drohende Abschie bung beendet und sind gestern in ein katholisches Pfarrheim umgezogen. Auch dort blieben sie vorerst geschützt, sagte ein Bistumssprecher. Die Behör den wollten zunächst nicht ge gen die Flüchtlinge vorgehen. Die zuständigen Ämter hätten einer zeitlich befristeten Dul dung zugestimmt, so der Spre cher. Ohne Überprüfung der Asylanträge werde keiner von ihnen abgeschoben. (epd) Nachrichten ändern sich jeden Tag, einige Themen bleiben. Die taz bleibt dran, und auf taz.de finden Sie in unseren dossierarti gen Schwerpunkten alle Texte zu einem Thema gesammelt, über sichtlich und ausführlich. Nachrichten Analysen Übersicht www.taz.de LUFTANGRI FFE IM JEMEN Menschenrechtler für Untersuchung DUBAI | Human Rights Watch hat gestern eine internationale Un tersuchung zur Bombardierung ziviler Wirtschaftsziele im Je men durch die von Saudi-Ara bien geführte Militärallianz ge fordert. Diese Luftangriffe seien offenbar allesamt Verstöße ge gen das internationale huma nitäre Recht, heißt es in einem Bericht der Menschenrechts organisation. Bei einigen die ser Angriffe könne es sich um „Kriegsverbrechen“ handeln. Der Bericht listet 17 Angriffe auf Wirtschaftsziele auf, dabei wur den 130 Zivilisten getötet. (afp) Südsudan: Der Krieg kehrt zurück OSTAFRIKA Ein Jahr nach dem Friedensvertrag gibt es wieder Kämpfe und schon mindestens 300 Tote. Das liegt an ethnischen Konflikten – und daran, dass Paul Malong möglicherweise nach der Macht greift überzeugt zu sein, dass Südsu dan den Dinka gehört und sie darum auch Behörden, Politik und Armee dominieren sollen. Dabei hält er wiederum Dinka aus Bahr el Ghazal, wo er und Kiir herkommen, für besser als Dinka aus dem Rest des Landes. Die Übergangsregierung, auch aus anderen Ethnien zu sammengestellt, gefällt dem Stabschef nicht. Und schon gar nicht der Vorschlag, aus den Mi litärs und Machars Kämpfern eine Armee zu machen. Vor 2013 Paul Malong ist Dinka-Extremist, der nach der Dominanz seiner Ethnie strebt Vor einem Jahr vereint in der Macht, heute möglicherweise Rivalen: Armeechef Paul Malong (l.) und Präsident Salva Kiir Foto: Jok Solomun/reuters Wer war der Anstifter der jüngs ten Kämpfe in Südsudan seit Freitag, durch die das Land wieder zurück in den Krieg ge raten? Das fragt sich die südsu danesische Bevölkerung ebenso wie die internationale Gemein schaft. Präsident Salva Kiir und Vizepräsident Riek Machar hat ten im April eine Übergangsre gierung formiert – nach einem wackligen Friedensabkommen vor knapp einem Jahr, das den Bürgerkrieg nach der Abtren nung von Sudan vor genau fünf Jahren beenden sollte. Warum sich Kiir und Machar streiten, weiß man: Kiir will Präsident bleiben, Machar aber hat große Ambitionen. Kiir und Machar sind Repräsentan ten der beiden größten Ethnien des Landes, der Dinka und der Nuer, die schon lange Rivalität kennen. Im Dezember 2013, als der Krieg begann, wurde der Machtkampf auch zum ethni schen Konflikt. Aber in den derzeitigen ge walttätigen Tagen taucht immer öfter ein dritter Name auf: Paul Malong, Stabschef der südsu danesischen Armee und noch mehr als Kiir ein Dinka-Extre mist, der nach der Dominanz seiner Ethnie strebt. Malong wird als die wirkliche Macht hin ter Kiirs Thron gesehen. In der Hauptstadt Juba hatte es schon einige Tage Spannun gen gegeben, weil es zu Aus einandersetzungen zwischen Kämpfern von Machar und Mi litärs von Kiirs Armee kam. Als Machar als Teil des Friedensab ÄGYPTEN 300 km Nil SUDAN Port Sudan Khartum Bahr el Ghazal SUDAN SÜDSUDAN SÜDSUDAN Juba UGANDA ÄTHIOPIEN taz.Grafik: infotext-berlin.de AUS NAIROBI ILONA EVELEENS TSCHAD reihe im Bereich der Mixed Mar tial Arts (MMA), der gemischten Kampfkünste. Die 28-Jährige, Kampfname „Lioness“, die Löwin, wuchs in einer brasilianischen Kleinstadt in der Nähe von Salvador auf. Schon mit vier Jahren begann sie mit Karate, mit 16 kam Boxen hinzu, anschließend, auf Einla dung ihrer Schwester, brasiliani sches Jiu-Jitsu. Es lag nahe, das zu kombinieren – der Weg zum MMA war frei. Mit 20 gab Nunes ihr MMA-Debüt in Salvador. Seitdem hat sie 17 Kämpfe be stritten – unter anderem gegen die Deutsche Sheila Gaff –, da von nur vier verloren. Seit dem Wochenende steht sie in dieser Sportart ganz oben, als Meiste rin im Bantamgewicht. Nunes lebt in Florida, USA mit ihrer Partnerin. Beide trainieren bei den MMA Masters in Miami – auch Nina Ansaroff kämpft in der UFC, eine Gewichtsklasse tiefer. Beide leben ihre Liebe im Gym, auf Reisen, zu Hause und öffentlich auf Twitter, Insta gram und Facebook. Für einen Sport, der in sei nen Anfängen mit dem Image rauer Macho-Männlichkeit und viel Blut vermarktet wurde, ist das ein beachtlicher Schritt. Da bei ist Nunes keine LGBT-Akti vistin wie Liz Carmouche, die 2012 den ersten Frauenkampf der UFC-Geschichte überhaupt gegen Ronda Rousey bestritt und mit regenbogenfarbenem Mundschutz in den Käfig trat. Auf die Frage, wie bedeutsam es für sie sei, die erste offen les bische Meisterin zu sein, sagte Nunes: „Das ist toll. Sie bedeu tet alles für mich!“ „Sie“, Nina Ansaroff. Eine Liebeserklärung. Ganz selbstverständlich, so wie BERND PICKERT es sein soll. KENIA kommens zurückkehrte, durfte er nur etwa 2.000 Kämpfer nach Juba mitnehmen. Die meisten der etwas mehr als 10.000 Sol daten der Armee wurden 25 Ki lometer außerhalb der Stadt sta tioniert. Eine riskante Situation für Machars Truppen. Als die Spannungen in der Hauptstadt wuchsen, kamen Kiir und Machar im Präsiden tenpalast zusammen, um über die Lage zu diskutieren. Großer Abwesender war Malong – ob wohl er als Stabschef hätte da bei sein sollen. Malong macht kein Geheim nis daraus, dass er von dem Frie densabkommen nicht viel hält: Kiir habe zu sehr nachgegeben. Der Stabschef scheint davon machten Nuer den größten Teil der Streitkräfte aus. Aber seit Kriegsbeginn ist es eine Armee, die überwiegend aus Dinka be steht. Südsudanesen spekulieren nun, dass Malong Kiir und Ma char gegeneinander ausspie len will, um selbst Präsident zu werden. Er ist ein rücksichtslo ser Mann, der für die Massaker unter Nuer in Juba verantwort lich gemacht wird, als 2013 der Krieg begann. Noch immer ist nicht klar, wer genau zum Krieg anstiftete. Obwohl damals wie heute Ma longs Name häufig auftauchte, liegt vieles im Dunkeln. Aber wie vor drei Jahren sind auch jetzt die Kämpfe nicht spon tan ausgebrochen. Damals wie heute muss es einen zugrunde liegenden Plan gegeben haben. Sicher ist: Der Friedensplan ist im Eimer. Nach mehr als 300 Toten, neuem Hass und Miss trauen ist Frieden vorläufig nur ein Traum. Der Kampf der Elefanten LAGE THEMA DES TAGES Die politische Elite, im Südsudan als Elefanten bezeichnet, führt Krieg, während die Bevölkerung Hunger leidet NAIROBI taz | Ein afrikanisches Sprichwort lautet: Wenn Ele fanten sich streiten, leidet das Gras. Im südsudanesischen Kontext sind die Elefanten die politische Elite, das Gras ist die Bevölkerung. Der wiederaufge flammte Krieg im jüngsten Staat der Welt macht die Lage der Be völkerung noch schlimmer, als sie ohnehin schon war. Die Hälfte der ungefähr 11 Millionen Südsudanesen lei det Hunger. Mehr als 2 Millio nen Menschen sind in Flücht lingslager im Land geflohen oder über die Grenze in Nach barländer. Die Wirtschaft ist ka putt. Landwirtschaft wird kaum betrieben, weil Bauern ebenfalls geflohen sind oder es lange zu gefährlich war, auf dem Acker zu arbeiten. Die Inflationsrate liegt bei rund 300 Prozent, es ist die weltweit höchste. Die aktuellen Kämpfe hin dern Hilfsorganisationen daran, ihre Arbeit zu tun. Zwar finden die schwersten Kämpfe in der Hauptstadt Juba statt, aber auch in dem nördlichen Städtchen Wau wie auch in dem Ort Torit im Sü den wird geschossen. Es scheint, dass der Krieg sich auf mehrere Teile des Landes ausdehnt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, die Kämpfe zeigten, dass weder Präsident Salva Kiir noch Vizepräsident Riek Machar im Friedensprozess engagiert seien. „Es ist Verrat an der Bevöl kerung von Südsudan, die seit Dezember 2013 unbeschreibli che Grausamkeiten erlebt hat.“ Auch verschiedene Men schenrechtsorganisationen be richten von solchen Grausam keiten. Viele dringen darauf, die afrikanischen Politiker we gen Kriegsverbrechen anzukla gen. Vergewaltigung scheint auf beiden Seiten gängige Pra xis gewesen zu sein. Der Krieg ist eher durch Angriffe auf Bür ger als durch direkte Konfron tationen zwischen den bewaff neten Gruppen gekennzeichnet. Südsudanesen in Juba haben derzeit kaum Kontakt zur Au ßenwelt. Die Telefone funktio nieren selten. Nur diejenigen mit Wi-Fi können kommuni zieren. Der UN-Mitarbeiter Vic tor Lugala schreibt: „Ich muss gebückt durchs Zimmer krie chen, um nicht womöglich eine Kugel anzubekommen. Ich sitze oder liege auf dem Flur im Ba dezimmer.“ Einwohner der Stadt, ob Südsudanesen oder Ausländer, können nicht fliehen. Der Flug hafen ist geschlossen, und auch dort gibt es viele Kämpfe. Stra ßen in Richtung von Nachbar ländern sind auch zu gefähr lich. Die Journalistin Lucy Poni beschreibt die Lage so: „Wie Rat ten sind wir eingeschlossen.“ ILONA EVELEENS Schwerpunkt USA DI ENSTAG, 12. JU LI 2016 TAZ.DI E TAGESZEITU NG Eine halbwegs funktionierende multikulturelle Gesellschaft läuft Gefahr, sich in eine ethnisch erbittert verfeindete zu verwandeln VON ANJANA SHRIVASTAVA Wenn Donald Trump nicht mehr trompetet, sondern plötzlich versöhnliche Töne anschlägt, dann ist äußerste Vorsicht geboten. Und wenn dann auch noch der potenzielle Vizepräsidentschaftskandidat Newt Gingrich, Galionsfigur der amerikanischen Rechten, darüber schwadroniert, wie unvorstellbar schwer es ist, in Amerika eine schwarze Haut zu tragen, ist noch mehr Misstrauen angebracht. Die ungewohnt emphatischen Äußerungen republikanischer Spitzenpolitiker Der schwarze Durchschnittshaushalt verlor zwischen 2005 und 2010 ganze 59 Prozent des Vermögens, der weiße nur 18 Prozent nach der Katastrophe von Dallas entspringen einem kolossal schlechten Gewissen. Bei Trump, Gingrich und anderen grassiert die Angst, einen gesellschaftlichen Zerfallsprozess ausgelöst zu haben, der eine halbwegs funktionierende multikulturelle Gesellschaft in eine ethnisch bitter verfeindete Gesellschaft verwandelt. Demonstrationen können jederzeit in Straßenkämpfe umschlagen, Mord wird zum politischen Mittel, Politik, Gewalt und Hass vermengen sich unauflöslich. Es herrscht Eskalation, nicht Ausgleich oder Kompromiss. Trump und Gingrich wollen ins Weiße Haus – und sagen und tun dabei, was sie in ihren Augen sagen und tun müssen. Doch schon werden sie aus den eigenen Reihen kritisiert: Ihre versöhnlichen Worte seien unangemessen, die gefallenen Polizisten von Dallas würden nicht adäquat verteidigt. Ebenfalls angegriffen wird die linke Kritik, dass die Polizei immer wieder unschuldige schwarze Männer auf den Straßen Amerikas erschießt. Diese Kritik wird vor allem von der Bewegung „Black Lives Matter“ formuliert. Sie dominiert in den Straßen und ist eine mächtige Lobby in der demokratischen Partei. Vor seinem Tod gab Micah Johnson, der schwarze Schütze von Dallas, bekannt, dass ihn 03 Ungleiches Kräfteverhältnis: Festnahme bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt in Baton Rouge, Louisiana Foto: Jonathan Bachman/reuters Wendepunkt Dallas ESSAY Nicht der Rassismus – die ungleiche Verteilung von Chancen und Ressourcen ist die größte Herausforderung für Gesellschaft und Politik in den Vereinigten Staaten diese Bürgerbewegung, die seit zwei Jahren immer stärker wird, zu seiner Tat motiviert habe. Spätestens jetzt kritisieren konservative Amerikaner, dass „Black Lives Matter“-Aktivisten – mit ihrer Fixierung auf die Polizei in den Brennpunkten amerikanischer Städte – die Polizisten im Endeffekt zu Sündenböcken machten. Sündenböcke für gesellschaftliche Verhältnisse, die von Polizisten zwar verwaltet, aber in der Regel kaum persönlich verursacht werden. Parallel zu der Bürgerbewegung hat die Obama-Regierung nach der Erschießung von Michael Brown in Ferguson, Missouri, vor zwei Jahren, eine Er- hebung über das Verhalten der Polizei in Auftrag gegeben und einen Bericht veröffentlicht. Ebenso wie „Black Lives Matter“ rückt auch die Regierung das Polizeiverhalten ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Diese Fokussierung ist bei Weitem zu selektiv und oberflächlich, und somit tatsächlich Teil des Pro blems und nicht nur der Lösung. Wenn Präsident Obama jetzt nach Dallas fährt, besucht er eine von nur 15 Städten, die seine Empfehlungen für Community Policing unterschrieben haben. 15 von 18.000 Polizeibezirken. Aber diese Empfehlungen haben auch in Dallas nichts genutzt, weil sie den Kern des Problems nicht treffen. Denn das Verhalten der Polizei ist oft allenfalls Symptom der Pro bleme und weniger die Ursache. Die Dimensionen der Pro bleme des schwarzen Amerika sind überwältigend. Über das erste lange Wochenende dieses Sommers wurden in Chicago 64 schwarze Menschen angeschossen, 6 davon starben. Nicht durch Polizisten – durch andere schwarze Bürgern. Die Innenstädte Amerikas sind Kriegszonen geworden, nicht umsonst heißt Chicago im Volksmund „Chiraq“. Amerikas Konservative kritisieren Barack Obama sowie Hillary Clinton, die enge Bindun- gen zu Chicago haben, dafür, dass sie nicht mehr über diese Epidemie schwarzer Gewalt reden. Lieber sprechen Demokraten von der von den Konservativen herbeigezwungene Waffenschwemme. Doch die Ursachen der Gewalt liegen tiefer als in der leichten Zugänglichkeit zu Waffen. Auch hier, wie so oft, ist die amerikanische Debatte von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt. Nicht nur die schwarze Unterschicht hat gravierende Probleme. Nach der Bankenkrise gibt es immer weniger öffentliche Stellen, die bisher für die schwarze Mittelschicht so wichtig waren; auch die damit ver- bundenen guten Renten sind in der Krise unsicher geworden. Der schwarze Durchschnittshaushalt verlor zwischen 2005 und 2010 ganze 59 Prozent des Vermögens, der weiße nur 18 Prozent. Der Fortschritt von Jahrzehnten wurde durch den Finanzcrash vernichtet. Es ist vielleicht reiner Zufall, aber zweifelsohne symbolisch, dass der Schütze von Dallas, Micah Johnson, eben kein von Polizisten misshandelter Armer aus der Innenstadt war, sondern ein Amokläufer und Waffennarr aus einem gepflegten Mittelschichtsvorort, der seine Identität als hochstilisierter Black Nationalist betonen wollte. Überhaupt ist es nicht von der Hand zu weisen, dass eher privilegierte Schwarze ihre schwarze Identität durch diese Bürgerbewegung kundtun wollen – ohne dabei die soziale Spaltung der US-Gesellschaft in Klassen anzusprechen. Das Problem in den USA ist nicht der Rassismus gegen einzelne Schwarze, sondern die Unfähigkeit der Gesellschaft, kollektive Lösungen für Durchschnittsbürger zu schaffen, etwa in der Immobilienkrise. Sowohl der demokratische Sozialist Bernie Sanders als auch Hillary Clinton haben in den letzten Monaten immer wieder auf diesen Klassenaspekt hingewiesen – und wurden dafür von AktivistInnen von „Black Lives Matter“ öffentlich gescholten. Wenn Trump von Einheit redet, obwohl er eigentlich vor allem spaltet, müssen sich linke Bewegungen, die eine Politik der Identität so sehr ins Zentrum rücken, auch diese Frage gelegentlich stellen: Ist Amerikas Pro blem vorwiegend Rassismus? Oder geht es um die Verteilung von Chancen und Ressourcen? Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Dallas einen Wendepunkt darstellen wird. Entweder wird das Land jetzt an einem Strang ziehen, um den Millionen Vergessenen wieder echte Hoffnung zu geben; oder die Verzweifelten und die Polizei werden immer stärker gegeneinander aufgehetzt – mit den unvermeidbaren Konsequenzen. Dann wären die Ereignisse von Dallas nur das Signal zum endgültigen Kontrollverlust. Zum Glück stirbt die Hoffnung zuletzt. ■■ Anjana Shrivastava ist eine US-Journalistin in Berlin. Sie schreibt unter anderem für das „Wall Street Journal Europe“ Die tragische Figur des „Sommers des Zorns“ PORTRÄT David Brown, Polizeichef von Dallas, war lange ein gefeierter Bürger-Cop. Jetzt muss er die Tötung des Todesschützen Micah Johnson begründen WASHINGTON taz | Als er in Dal- las anfing, erinnerte sich David Brown neulich, hatte er noch volles Haar und eine Afrofrisur. „Und nun, Sie sehen ja selber“, fügte der Polizeichef der texanischen Metropole ironisch lächelnd hinzu und strich sich mit der Hand über die Glatze. Brown, 55, ist die tragische Figur des „Sommers des Zorns“, wie US-Kolumnisten die heiße Jahreszeit 2016 charakterisieren. Als er vor sechs Jahren seinen Posten antrat, kam er als Reformer, der dazu beitragen sollte, Dallas’ Image aufzupolieren. Die Stadt war lange nicht mehr die „City of Hate“, wie sie 1963 nach dem Mord an John F. Kennedy genannt wurde. Doch man wollte endgültig mit dem Klischee aufräumen, das Leben in Texas sei besonders rau. Dazu gehörte, dass die lokale Polizei zum Beispiel für geschickte Deeskalation werden sollten. Während andere Kommunen gepanzerte Fahrzeuge bestellten und ihre Polizeieinheiten zu Armeen ausbauten, hielt Brown seine 3.600 Beamten an, sich im Zweifel zurückzuhalten. Er befahl Bürgernähe, Streifen zu Fuß – und die Dienstwaffe, wenn irgend möglich, stecken zu lassen. Die Bilanz gab ihm recht. Hatten die Bewohner von Dallas noch 2009 fast 150 Fälle exzessiver Polizeigewalt beklagt, so sank die Zahl der Beschwerden bis vor Kurzem auf 13. Die Mordrate fiel auf den niedrigsten Stand seit den 1930ern. Umso härter wurde Dallas getroffen, als Micah Johnson vergangenen Donnerstag im Stile einer Einmannbürgerkriegsmiliz gezielt fünf Polizisten erschoss und fünf weitere sowie zwei Zivilisten verletzte. Es sei bittere Ironie, dass „dieser Verrückte“ sich ausgerechnet Dallas ausgesucht habe, so Chuck Wexler, Direktor eines Polizeiforschungsinstituts in Washington. Tatsächlich muss nun Brown, der gefeierte BürgerCop, unter anderem begründen, warum er einen mit Sprengstoff beladenen Roboter zum Einsatz brachte, um den Todesschützen zu töten. „Ich habe es genehmigt. Und ich würde es wieder tun, wenn ich mich noch einmal in so einer Lage befände“, hält Brown Kritikern entgegen. In seinem Parkhausversteck habe Johnson die Polizeitruppe verhöhnt, während Unterhändler ihn zum Aufgeben bringen wollten. „Er hat gelacht und gesungen, er hat gefragt, wie viele er schon getroffen hat, er hat gesagt, dass er noch mehr von uns töten wolle.“ Er, Brown, habe geglaubt, Johnson werde noch einmal angreifen, verteidigt Brown seine Entscheidung für den Bombenroboter: Zudem seien die Ermittler „überzeugt davon, dass er größere Pläne hatte und sich dabei noch im Recht glaubte“. Es hat auch persönliche Gründe, dass der Mann mit der blank polierten Glatze Deeskalation trainieren lässt. Vor sechs Jahren erschoss Browns Sohn, David junior, einen Polizisten und einen Zivilisten, ehe er selber von einem Beamten getötet wurde. Der schockierte Vater führte lange Gespräche mit den Familien der Opfer, bevor er vor laufenden Kameras bekannte: „Das tut so weh, dass ich die Trauer, die ich in meinem Herzen trage, nicht annähernd mit Worten beschreiben kann.“ Wenn jemand in diesen Tagen absolut glaubwürdig zur Besinnung aufrufen könne, so der Tenor der US-Medien, dann sei es David O’Neal Brown. Ob Browns Appelle wirken? Die Demonstrationen in der Nacht zum Montag deuten eher darauf hin, dass es der Sommer noch zorniger wird. In Baton Rouge, wo zwei Polizisten vier Pistolenkugeln auf den wehrlos am Boden liegenden Afroamerikaner Alton Sterling abfeuerten, stürmten Beamte sogar den Garten eines Privathauses, um Protestierende festzunehmen. Um zur Deeskaltation beizutragen, wird Präsident Barack Obama an der Trauerfeier für die in Dallas getöteten Polizisten teilnehmen – genauso wie Vizepräsident Joe Biden und der Expräsident und ehemalige Gouverneur von Texas, George W. FRANK HERRMANN Bush.
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