Sonntag, 10. Juli 2016 (20:05-21:00 Uhr) KW 27 Deutschlandfunk – Feature, Hörspiel, Hintergrund Kultur FREISTIL Die Puppe und ich. Vom Leben mit Stofftieren und anderen Gefährten Von Claudia Cosmo Regie: Susanne Krings Redaktion: Klaus Pilger Produktion: Deutschlandfunk 2016 Manuskript Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - ggf. unkorrigiertes Exemplar 1 1.O-TON: Handpuppe Horst Pferdinand 3`51 + Der Kakerlak 6`38 + Wiwaldi 0`59 „Hort Pferdinand: Mein Name ist Horst Pferdinand. Und ich bin ein altes Zirkuspferd, was machen Sie beruflich?... (kleiner Pferdelacher)...+Der Kakerlak: He, was? Ist das hier ein Philosophiekurs oder was? Ja, natürlich bin ich echt,...eh, die Wahrheit, eh, die Wahrheit ist doch...Was? Da ist `ne Hand drin? Wer ist denn der Typ neben mir?...+Wiwaldi: Selbstverständlich bin ich real, ich habe Fell, ich habe Schuppen,... ich habe Hautausschlag und ich habe Zecken!...ich verstehe die Frage irgendwie nicht...“ 2.O-TON: Martin Reinl 5`13 „Ich glaube, ein bisschen verrückt muss man sein, wenn man sich mit Puppen auseinandersetzt und Puppen lieb hat. Es geht mir auch nicht anders. Ich meine, ich habe daraus einen ganzen Beruf gemacht. Aber es ist einfach eine Verspieltheit. Und natürlich ist es ja auch interessant zu sehen, dass es eine therapeutische Wirkung haben kann. Ich meine, ich sehe das ja bei mir selber, manchmal kommen durch die Figuren Sachen zum Vorschein oder man sagt Dinge, die man selbe nicht erahnt hat, dass man sie mal sagen wird. Und man kann natürlich die Figuren als eine Art Ventil benutzen. Mit Wiwaldi bin ich auch mutiger, als ich im wahren Leben bin. Da sag ich auch Sachen zu Leuten, die würde ich mich im Leben niemals trauen, die jemandem so an den Kopf zu werfen. Aber man hat mit so einer Figur auch so eine Entschuldigung und auch einen Schutz.“ 3.O-TON: Regisseur Moritz Sostmann 2 1`50 + Hatzius1 5`05 „Sostmann: Es geht ja auch mir so als Macher, wenn da so ein kleiner Mensch steht, die sind ja knapp so einen Meter groß,..hyperrealistisch, und der steht da und guckt dich an und ist..gekleidet wie ein Mensch, hat Augen wie ein Mensch, man ist unglaublich gerührt und empathisch plötzlich...und ich glaube, das hat etwas mit dieser Leerstelle zu tun, dass man sich in so `ne Leerstelle selber hineindenkt, in seiner eigenen Persönlichkeit, auch als Zuschauer...+Hatzius:...Und wenn wir das schaffen...und jemand anders, der da drauf schaut, diese Dinge dechiffriert und wiedererkennt, dann..beginnt die Magie des Ganzen...“ Sprecherin SP: Die Puppe und ich. Vom Leben mit Stofftieren und anderen Gefährten Ein Feature von Claudia Cosmo 4.O-TON: Andrea Lehmann2 2`32 + 2`56 „Wir telefonieren auch manchmal mit dem Läppi, oder das Läppi ruft ein anderes Stofftier an. Es gibt sehr viele Stofftiere bei meiner Schwester, jede Menge, die habe auch alle sehr unterschiedliche Charaktere...“ 4a.O-TON: Hatzius2 0`46 + Hatzius4 Michael Hatzius spricht Echse 4`28 „Die Echse ist eine Klappmaulfigur in offener Spielweise, die ich mit meinem ganzen Körper bespiele. Meine Beine sind dann die Beine der Echse...und meine linke Hand ist auch die linke Hand der Echse...+Hatzius Spricht Echse: Ach, weisst du Mäuschen, was heisst, beliebt zu sein? Ich bin ehrlich, ich bin offen, die Leute wissen, was sie an mir haben. Ob ich dann beliebt bin oder nicht, das müssen die selber entscheiden.“ 2 Sprecherin (SP): Es ist schon eigenartig, dass man Respekt gegenüber einer schlecht gelaunten Echse hat, die sich ihre Beine von ihrem Erfinder, dem Puppenspieler Michael Hatzius, borgt und in ihrer Bühnenshow „Echstasy“ in arrogantem Ton zu verstehen gibt, alles besser zu wissen. 5. O-TON: Atmo Echsenshow2 ab 0`50 „(Applaus und Lacher sind zu hören)...Echse: das Ding ist, wenn du auf so ne Scheiße hinweist, dann bist du sofort der Verschwörungstheoretiker, dann machen sie dich alle fertig, mundtot, und das war schon immer so. Ich war unter uns Dinosauriern der EINZIGE!, der frühzeitig auf einen möglichen Meteroideneinschlag hingewiesen hat und dass es richtig Kacke wird. Ich weiß noch wie heute, Meteroideneinschlag war Mittwoch früh...Köln, ihr müsst euch das vorstellen wie Stadtarchiv, nur die ganze Welt (Lacher)...“ Sprecherin (SP): Das Publikum lacht über die Witze und Bemerkungen der Echse, die mit ihrer panzerartigen Echsenhaut, der grünen Wachsjacke mit passender Hose und der Zigarre in der linken Hand gelangweilt wirkt, weil sie den Menschen zum Xten mal erklären muss, wie das Leben funktioniert. Hinzu kommt noch der hypnotisierend wirkende Blick, der den Betrachter davon abhält, die Puppe berühren zu wollen. Obwohl Michael Hatzius` Echse etwas Unheimliches an sich hat, zieht sie den Zuschauer in ihren Bann. Den Einfall, eine Echsenpuppe zu entwerfen und zu spielen, hatte Michael Hatzius während eines Puppenspielfestivals in Erfurt. Der Veranstalter suchte nach einem ungleichen Kommentatorenpaar in Puppenform, das abschließend das Festival bewerten sollte. Und so entstand neben einem gutgelaunten Papageien die mürrische Echse. Nachdem ein Puppenbauer deren Aussehen nach Hatzius` Vorstellungen präzisiert hatte, ging der Puppenspieler mit der Echsenfigur auf Tour. Seitdem ist Michael Hatzius auf deutschsprachigen Bühnen erfolgreich und auch häufig Gast in Fernsehshows. 3 6.O-TON: Hatzius2 6`50 „Ich war auch in einer Talkshow, wo wir gesagt haben, lass` uns die erste Stunde die Echse als Gast dort haben und in der zweiten Stunde mich. Und dann waren alle überrascht, als ich denn da war, dass ich ganz anders bin als die Echse...ich kann das nicht nachvollziehen, weil für mich ist das ja mein Beruf. Ich bin ja Darstellender Künstler...das ist ein bewusster Darstellungsvorgang, das ist die Aufgabe, und deshalb kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, wenn einem unterstellt wird, dass man da eine Störung hat und mit der Puppe zuhause lebt...das ist ein professioneller Vorgang und keineswegs eine Störung.“ 7.O-TON: Martin Reinl 10`37 + 2`00 „Ich glaube, meine Eltern haben es bis heute nicht ganz begriffen, was ich da tue. Sie sehen, dass ich da ab und zu im Fernsehen rumlaufe und was mache und sie nicht um Geld anbettele. Von daher sind sie ganz zufrieden...es ist der tollste Beruf, den man haben kann. Man spielt ja einfach nur...Ich bin jetzt 40 Jahre alt und spiele immer noch wie ein kleines Kind mit Figuren und tauche jeden Abend in ein Paralleluniversum ab...und kann da auch alles lebendig werden lassen, was ich mache...+Ich bin jetzt keiner, der zuhause mit denen redet, wenn sie im Regal sitzen, sondern ich muss sie auf ne Hand nehmen. Es ist im Grunde genommen, wie ein Schauspieler, der eine Rolle spielt. Ich sage auch, dass die Figuren nichts anderes sind, als zu klein geratene Kostüme, die über meine Hand passen. In dem Moment, in dem man da rein schlüpft, ist man das...“ Sprecherin (SP): Zu Martin Reinls beliebtesten Handpuppen zählt das alte Zirkuspferd „Horst Pferdinand“. Im Gegensatz zu Hatzius` Echse hegt der Zuschauer plötzlich zarte Gefühle für das zerstreut wirkende, aber sehr selbstbewusste und vorlaute Zirkuspferd. Bewundert und vom Publikum bisweilen gar zum Vorbild genommen wird dagegen die Vorwitzigkeit und Frechheit eines zotteligen Hundes aus Martin Reinls Handpuppenschar. Mit „Die Wiwaldi Show“ hat der Stoffhund sogar eine nach ihm benannte Fernseh Sendung, die er moderiert... 8. O-TON: Wiwaldi 2`12 Wiwaldi:“ Eigentlich wollte ich ja Schäferhund werden, aber immer, wenn ich die Schafe gezählt habe, bin ich eingeschlafen...“ 4 Sprecherin (SP): ...und in der er in schonungslosen Gesprächen Prominenten auf die Pelle rückt. „Der Kakerlak“ zählt zu den Pragmatikern in Martin Reinls Figurenrepertoire 8a. O-TON: Kakerlak 6`15 „Kakerlak: Ich hab 5000 Kinder zuhause, ich muss jetzt!“ Sprecherin (SP): Sowohl Martin Reinls Handpuppen als auch Michael Hatzius` Echsen- Puppe begeistern das Publikum. Dass die Echse der Star der Show ist, stört Hatzius, der an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ das Puppenspiel erlernte, nicht 9.O-TON: Hatzius2 4 ´13 „Dahinter zu verschwinden, damit habe ich überhaupt kein Problem. Wenn ich sage, ich will auf die Bühne, dann meine ich damit nicht wie schön ich aussehe, und ich muss im Mittelpunkt stehen, sondern es geht mir um das Kunstwerk, mir geht es darum, einen Charakter, eine Figur zum Leben zu erwecken...so wie man jetzt vielleicht `nen Maler ja auch nicht fragen würde, Moment mal, die Leute gucken auch nur dein Bild an, keiner guckt dich an, findest du das jetzt schlimm? Er wird das wahrscheinlich nicht so schlimm finden, weil er hat seine Seele, das was er zu sagen hat, das was er kann, was er handwerklich zu bieten hat,..auf diese Leinwand gebannt und so wie der Maler das macht...so mache ich das ..mit Puppen.“ 9a. O-TON: Leute Echse 2 0`14 + 1`05 + 3`10 + Leute Reinl 1, Daniel/Diana Borchers 2`20 + 5`17 + 5`40 + Leute Reinl 2 Nina Wagner 1`28 „Mann:„Ich gucke mir den Michael Hatzius gar nicht an, ich gucke nur auf die Echse, weil er das brillant macht...+die Art halt, wie die Echse spricht und Sachen ausspricht, die mancher oder man selber nicht so direkt aussprechen würde...das gefällt mir an der Echse... Daniel:...Horst Pferdinand ist schon irgendwie..cool...man könnte sie fast schon als real ansehen, so wie es gespielt wird finde ich da keinen Unterschied...+Diana: (lacht)...ich glaub` ich seh` die eher als Zwischending an, als menschlich würde ich die jetzt nicht unbedingt ansehen, es sind auf jeden Fall schon Figuren. Das ist jetzt auch kein Gegenstand, eher so ein Zwischending...+„Nina Wagner: Klar, ist das als Erwachsener schwierig das auszublenden, dass da noch ein Mensch hinter ist, aber es ist schon so, dass man das versucht...das ist auch immer schön, dass mit..Kinderaugen so zu sehen. Es ist schon so, dass man versucht die Figur in der Puppe zu sehen und nicht, da ist ein Mensch, der hat eine Hand im Kuscheltier (lacht)...“ 5 Sprecherin (SP): In den Pausen von Martin Reinls „Pfoten hoch“- Live Shows begeben sich die Zuschauer an den Merchandising- Stand, um sich mit den zum Verkauf stehenden Kopien der flauschigen Handpuppen direkt gegenseitig fotografieren zu können. Unter den Zuschauern verbreitet sich eine regelrechte Spielwut 10. szenischer O-TON: O25 ab 0`16 + 0`39 „(Man hört ein Piepen einer Kamera und wie Kamera klickt)..Mann: So sach` mal wann gut ist (imitiert mit Stimme eine der Handpuppen), wie muss ich denn jetzt hier? (alle lachen)...Mann: immer diese Selfies hier...Mann2: ich bin doch ein altes Zirkuspferd...Mann: Natürlich, sonst fotografiert dich auch keiner, das musst du schon selber machen, heheheh...Mann2: Meine beste Nummer war die Fünf! (Alle lachen)...“ 11.O-TON: Martin Reinl 1`24 + Hatzius2 7`45 „Reinl: Wir erlauben den Leuten und sei es nur für einen kurzen Moment, zwei Stunden am Abend, hier bei uns, dass sie da noch einmal eine Reise in ihre Kindheit machen. Wir geben ihnen die Erlaubnis, noch einmal Kind zu sein und sich darüber zu amüsieren...Und es gibt den Leuten ein wohliges Gefühl...+Hatzius: Weil es wahrscheinlich eine Form von mystischem, archaischen Vorgang ist, diese Belebung, dass man sich einlässt auf die Faszination, dass man zwar gleichzeitig weiss, es lebt nicht, aber doch nimmt man es irgendwie an, als was von sich, als was Lebendiges. Und dafür gibt es dann auch eine große Begeisterung, auch eine sehr starke Emotionalität, das merke ich auch so, dass Leute- gerade Frauen- dann richtig hysterisch werden, wenn die Echse auftaucht...Ich finde das erst mal schön, weil es was loslöst in den Menschen, was mit `ner urkindlichen Freude, Spielfreude zu tun hat...“ 12. O-TON: Tim Burton /nachgesprochen von Zitatesprecher ZP „I think everybody is four.“ ZP: Zitatesprecher „Ich finde, dass jeder vier Jahre alt ist.“ Sprecherin (SP): Postuliert der US- amerikanische Filmregisseur Tim Burton. Der Antriebsmotor seines künstlerischen Schaffens liegt für ihn in der eigenen Kindheit. Die Filme des 1958 im kalifornischen Burbank geborenen Filmemachers sind skurril und morbid. In Filmen wie „Frankenweenie“ oder „Alice im Wunderland“ spielen animierte Puppen die Hauptrollen. Ihnen fällt manchmal ein Auge heraus, sie sind zusammengeflickt oder haben eine aschfahle Gesichtsfarbe, weil sie im Totenreich leben. Tim Burton, der seine Filmkarriere als Animator und Zeichner in den Disney 6 Studios begonnen hat, nimmt seinen kleinen Monsterpuppen das Furchterregende und lässt sie ihre Gefühle ausleben 13. O-TON: Tim Burton 5`00 ZP: Zitatesprecher „Wir werden alle älter, aber Kind gewesen zu sein und so gefühlt zu haben, prägt uns. Deshalb fühle ich mich den Monstern verbunden. Und dann wirst du älter. Du hast Erfolg und Freunde und hast all die Dinge, die dir als Kind fehlten. Aber du hast immer noch diese Gefühle. Sie verlassen dich nicht und bleiben dein ganzes Leben bei dir. Das ist nicht schlimm. Als Kind sieht man die Dinge immer wieder neu an. Alles ist neu. Und ich glaube, dass man die Dinge immer wieder neu sehen sollte.“ Sprecherin (SP): Die Kindheit als kostbaren Erinnerungsraum zu behalten, kindliche Verhaltensweisen nicht ganz zu verlieren und das Spiel mit Puppen oder Stofftieren in den Alltag zu integrieren, meint keineswegs die „Auszeit vom eigenen Ich“. Ganz im Gegenteil. Sich im Spiel zu verlieren, bedeutet, ganz bei sich zu sein und sich von alltäglichen Dringlichkeiten und gesellschaftlichen Zwängen abwenden zu können. 14. O-TON: Zitat Zitatesprecher ZP „ZP: Wenn man ein Junge ist im selbstverständlichen Vollbesitz seiner Kräfte, dann macht man sich Gedanken, wie man zwischen einer Schulstunde und den nächsten zehn Minuten Erholung haben kann. Und wenn man erwachsen ist, dann nicht?“ Sprecherin (SP): So formulierte es der italienische Maler und Schriftsteller Alberto Savinio, der jüngere Bruder des Surrealisten Giorgio De Chirico. In einer durchtechnisierten, auf Funktion und Effizienz gedrillten Welt, hat das Postulat, alles erreichen zu können, wenn man nur will, nichts mit Freiheit zu tun. Denn: 7 15. O-TON: Zitatesprecher „ZP:„Wir leben in einer Gesellschaft von feinen Drohungen.“ Sprecherin (SP): ...sagte der Soziologe Heinz Bude in diesem Zusammenhang in einer Fernsehsendung. Denn die angeblich unbegrenzten Möglichkeiten, berufliche und persönliche Ziele erreichen zu können, sind kein freies Gut. An diese vermeintlichen Verheißungen ist die Bedingung geknüpft: „Solange du dich anstrengst und dein Bestes gibst!“ Schafft man dies nicht, hat man versagt und ist selbst Schuld, dass das Ziel nicht erreicht wurde. Somit ist an die scheinbare Unbegrenztheit der Möglichkeiten immer die Drohung gekoppelt, dass man gefälligst darum kämpfen muss. Angesichts des gesellschaftlichen Leistungs- und Erwartungsdrucks bleibt die Sehnsucht nach einem Leben, in dem man seine Persönlichkeit wirklich frei entfalten und sich selbst spüren kann, bestehen. Sprecherin (SP): Für die Malerin Simone Lucas stellt das Spiel ein ursprüngliches, menschliches Bedürfnis dar, das jedweder Erwartungshaltung der Gesellschaft an eine Lebensführung, diametral gegenüber steht. Davon erzählen auch die Leinwände der gebürtigen Neusserin. In ihrem Hause und ihrem Atelier lebt sie nicht mit Stofftieren zusammen. 16.O-TON: Simone Lucas 2`58 „...aber ich benutze die ja für die Bilder, als Erweiterung einer Figur, oder als Stellvertreter,...als Raum- und Gedankenerweiterung...das sind ja Tiere meistens...die Eigenschaften auf den Menschen übertragen und umgekehrt. Also einfach so eine Existenzerweiterung in so anderen Dimensionen. In Kindern ist das ja angelegt,..die schweben in andere Bereiche einfach im Spiel. Und das ist das dann, was bei Erwachsenen, was wir glauben, das verloren geht, was aber nicht sein muss und auch nicht so ist. Also, das muss, das muss nicht weg sein, später.“ Sprecherin (SP): Deshalb sind Erwachsene auf den Leinwänden auch selten anzutreffen. Simone Lucas malt lieber Kinder. Sie sind die Akteure, die in Tierkostüme oder in Labormäntel gekleidet die Welt erforschen. Die Kinder führen auch Marionetten, und es scheint, 8 als ob sie mit den Puppen ausprobieren, wie man das Leben lebt. Oft sind es aber auch mathematische und kosmische Fragen, denen die Kinder auf den Großformaten auf den Grund gehen. Sie erstellen Sternenbilder und malen sie auf große Schultafeln oder auf Wände. Die Kinder bewegen sich durch Räume, die mit einer feinen Kalkschicht überzogen zu sein scheinen, lösen komplizierte, mathematische Rechnungen und schreiben die Formeln nieder. Simone Lucas` Leinwandkinder haben viel zu tun und sind ständig in Bewegung. Nichts ist eindeutig und die Suche nach Antworten geht weiter. Alles mutet wie eine ewig andauernde Schnitzeljagd an. 17.O-TON: Simone Lucas 0`36 + 1`23 + 2`01 „Ich finde sie interessante Figuren, weil die so in einer Entwicklung sind, beispielhaft. Also, es geht um die Entwicklung, um die Existenz einer Figur. Und an Kindern kann man das sehr gut sehen, weil die offen sind...Also, das ist nicht niedlich oder harmlos oder alles, was man mit so etwas Kindlichem verbindet. Und es ist auch wirklich ernst...ich glaube, die Spiele sind auch ernst bei den...Kindern...+es ist einfach erlaubt und nicht verdeckt. Und später wird alles in Bahnen gelenkt...wie es zu sein hat, und Kinder müssen da noch nicht so funktionieren.“ 18.O-TON: Norika Nienstedt 3 (N) 4`44 „N: Im Spiel zu versinken...Das ist was ungeheuer Erholsames...ja, und Stofftier- Verrückte haben uns schon andere genannt, weil niemand hat so viele Stofftiere um sich versammelt wie wir in unseren Hochzeiten...und die Sammler gehen ja auf ganz andere Werte...oder oft und gerne auch Dinge, die einen bleibenden Wert haben, wo sie wissen, die können sie auch später wieder verkaufen. Bei uns ist ja in dem Sinne kein materieller Wert angehäuft worden. Das ist ja reiner ideeller Wert, ne.“ Sprecherin (SP): Genauso wie Simone Lucas ist Norika Nienstedt auch Malerin. Sie porträtiert und zeichnet Stofftiere nicht nur, sondern sie teilt sich mit ihnen ihre Wohnung. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten, dem Filmemacher Michael Jonas, brachte es Nienstedt einmal auf rund 6.000 Stofftiere, wobei allein 300 ein Sofa bewohnten. Heute sitzen auf dem neuen Sofa nur noch 200 von ihnen, da das Paar mittlerweile viele der Stofftiere schweren Herzens ausrangiert hat. Sie wurden erst gelagert und später auf so genannte Gift- Boxen verteilt, die an öffentlichen Plätzen stehen, wo sich jeder einfach ein Stofftier mit nach Hause nehmen kann. Manche wurden aber auch weggeworfen, da sie zerbröselt oder verrottet waren. 9 19.O-TON: Norika (N) und Jonas (J) 1 6`12 „N: Ich war bei dieser Aktion nicht dabei, ich war verreist? Ich weiß nicht mehr, was da los war...dass da welche auch weggeschmissen wurden, erfahre ich erst jetzt, ich bin ein bisschen schockiert (lacht traurig).“ Sprecherin (SP): Darunter waren auch viele Stofftiere, die es in 10facher Ausführung gab, da Michael und Norika auch auf Jahrmärkten fündig wurden und die Tiere an Schießbuden erwarben. 20.O-TON: Jonas (J) 1 12`04 + Norika (N) 1 16`03 + Norika (N) und Jonas (J) 1 16`30+ Norika (N) und Jonas (J) 2 2`38 „N:...unser großes Ballonseidetier Bumsi, der mit beiden Augen durch ein Schlüsselloch gucken kann, so eng beisammen sind die. Der aber mit einem sanften Neigen seines Kopfes so viel ausdrücken kann...+J:Wir haben jetzt hier so ein orangenes, total abgeschrabbeltes Nilpferd mit nur einem Auge, der heißt Humphry, der hat auch einen Zprachfehler, dazth heizth, er drückt zith immer etwaz ungethickt auzth...(lacht)...“ Sprecherin (SP): Norika Nienstedts und Michael Jonas` Freunde und Bekannte wissen um deren gemeinsame Leidenschaft für Stofftiere und haben Verständnis dafür. Ein befreundeter Künstler hatte ihnen sogar einen großen Lagerplatz für ihre Plüschtiere über einen langen Zeitraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Vorliebe für Stofftiere ist erst einmal Privatangelegenheit. Besucht man das Paar, so begegnet man den Tieren an vielen Ecken der Wohnung. Nur wenn man nach dem ein oder anderen fragt, dann erklären die beiden Besitzer, was es beispielsweise mit dem aufsässigen Eichhörnchen oder dem aufmerksamkeitsbedürftigen Püppchen auf sich hat. Die Gründe für die gemeinsame Stofftieraffinität, so wie sie es nennen würden, sind bei beiden ähnlich. 21.O-TON: Norika (N) und Jonas (J) 4 + 2`23 + 3`24 „N: Bei mir hat es möglicherweise damit zu tun, dass ich mich so viel mit Stofftieren beschäftigt habe, dass ich einen Ein- Und- Alles Lieblingsteddy als Kind hatte, und meine Mutter den weg geworfen hatte, nachdem meine kleine Schwester als Baby mal drauf gekackt hatte. Und ich habe den danach gewaschen, und das ging aber nicht ganz raus, und dann habe ich noch ne halbe Flasche 41/11 drauf geschüttet, und das zusammen mit dem restlichen Babygestank hat meine Mutter so kirre gemacht, dass sie (zögern)...zum ersten Mal, als er in der Mülltonne gelandet ist, habe ich ihn noch retten können und dann hat sie- ich glaube als ich erste oder zweite Klasse in der Schule war10 ihn nochmal weggeworfen, und da habe ich sehr schwer drunter gelitten...+J:Das Fachwort in dem Zusammenhang heisst...: Verlustprägung..und das bezieht sich nicht nur auf Stofftiere, sondern auch auf alle möglichen anderen- ich sage Mal- Spielsachen im weitesten Sinne..das heißt, man entdeckt etwas wieder, was einem in der Kindheit entweder genommen wurde oder mit der Kindheit genommen wurde...und in dem Moment, in dem man es wieder findet, eine besondere Freude, besonderes Glück auslöst.“ Sprecherin (SP): Michael Jonas und Norika Nienstedt verstehen sich nicht als Stofftiersammler. Sie sind nicht daran interessiert, wie hoch der Wert eines Stücks ist. Es muss zu ihnen passen. Danach suchen sie ihre plüschigen Mitbewohner aus, die sie manchmal auch an gute Freunde verschenken, wenn sie glauben, dass das Stofftier dort gut aufgehoben ist. Aber die beiden leben mit ihren Stofftieren nicht nur unter einem Dach und dulden ihre Präsenz im Wohnbereich, sondern sie arbeiten auch mit ihnen. Ihre Stofftiere waren bereits Teil von Rauminstallationen oder sind die Hauptfiguren in kurzen Stofftierfilmen. Die Filme entstehen aus freier Improvisation heraus, erst einmal für das eigene Vergnügen. Als gelernter Filmemacher weiß Michael Jonas mit der Kamera umzugehen, hat die Filme aber nie zu kommerziellen Zwecken angeboten und in den Handel gebracht. Hat ein Freund des Paares Geburtstag, so dreht man auch schon mal einen Film und verschenkt ihn. Auf den Stofftierfilm „Jochen“ zum Beispiel haben Freunde und Bekannte unterschiedlich reagiert, weil er seine Längen hat und ein ungewöhnliches Thema aufgreift. Darin versucht die sprechende Krokodil- Handpuppe „Knut“ jemandem etwas beizubringen. 22.O-TON: Ausschnitt aus Stofftierfilm „Jochen“ DVD ab 1:09:12 (es ist Musik zu hören, kann man schon unter den vorangehenden SP- Text legen) „Krokodil: Da hinten ziehen Wolken auf, es wird wahrscheinlich gleich ein Gewitter geben. Vorher wollte ich euch noch meinen Freund Jochen vorstellen. Jochen, den Stein. Und dem wollten wir heute schwimmen beibringen...außerdem ist hier noch Babette...hallo Babette, Babette (ganz leise): Hallo Knut!...Krokodil: Babette hilft mir, sie ist die Assistentin für meine Schwimmkurse, die ich immer gebe. Jochen ist ein ganz besonderer Fall, der will von sich aus nämlich überhaupt nicht schwimmen...ich gebe zu, es ist eine besondere Herausforderung, einem Stein schwimmen beizubringen. Aber in langen Gesprächen mit ihm habe ich herausgefunden, dass es gut für ihn wäre...“ 11 23.O-TON: Jonas (J) 1 12`40 + Jonas (J) 1 14Jonas (J) 3 11`17 `46 + Jonas (J) 3 11`17 „J: In dem Moment, in dem man den Blick des Stofftieres sich selbst zuwendet, ist der Moment, in dem es lebendig wird. Und dann bleibt`s auch so...+Die Stofftiere sind ja Medien, über die man Aussagen treffen kann, die man sich als Mensch im Dialog auf gar keinen Fall leisten kann. Ironie, oder Frechheit oder Kritik, bis hin zu radikalen Vorstellungen, die man sich selbst verbietet,...die darf man `nem Stofftier in den Mund legen und dann durchspielen...das hat ja so `ne Katharsis, so `ne reinigende Funktion auch für die Psyche. Man lacht halt sehr viel dabei...“ Sprecherin (SP): Ein ernsthaftes Spiel, das leichtfüßig daher kommt. Spielen bedeutet höchste Konzentration auf das eigene Ich. Das Spiel ist ein schöpferischer Akt. Für Norika Nienstadt und Michael Jonas ist es ein Versuch, Objekte wie Stofftiere oder Puppen aus ihrer reinen Ding- Existenz zu befreien und mit der eigenen menschlichen Existenz zu konfrontieren. Musik5: Ausschnitt CD Wouter van Riessen ab 0`00 dann freistehen lassen ab: 0`08 mit Vocals „Wouter van Riessen singt: I am just a dummy, my lady calls me Wouter...“ Sprecherin (SP): Innerhalb des künstlerischen Schaffens des niederländischen Malers, Fotografen, Sängers und Performancekünstlers Wouter van Riessen (Aussprache: Wauter Van Rissen) nimmt die Puppe einen großen symbolischen Stellenwert ein. So lautet der Titel seines Musikalbums „Made out of Wood- Aus Holz gemacht“. Zum einen spielt das Holz auf die Figur des Pinocchio an. 24.O-TON: Van Riessen 12`24+ Van Riessen 2 3`26 „Pinocchio ist immer wichtig in meiner Arbeit gewesen, weil es eine Puppe sein wollte, die leben wollte,...der fühlt es, dass es nicht wirklich ist, aber es ist wirklich... in...den Menschen lebt der schon, aber er fühlt es nicht...das ist, was eine Puppe ist, der kann leben in den Augen...von den Beobachtern...+Wenn man tot ist, dann ist man wie eine Puppe, dann ist man leer. Aber, wenn man lebt, dann ist man voll mit Leben. Also, das ist etwas Schlichtes, aber auch etwas Schweres...“ Sprecherin (SP): Zum anderen verweist das Holz stellvertretend auf alles Unanimierte, Objekthafte, das durch den Kontakt mit dem Menschen belebt werden kann. 25.O-TON: Van Riessen3 0`37 „Die Puppen sind auch eine Reflexion, wie man..der Welt anguckt..und andere Leute ..und findet sich selbst, aber es ist nicht nur sich selbst, es ist eine andauernde Interaktion. Man sieht 12 eine Puppe, man fühlt etwas. Dann mit diesem Gefühl schaut man eine zweite Mal, und dann fühlt man etwas anders,...bewegt die Puppe...das ist eine Reaktion zwischen Subjekt und Objekt..die ganze Zeit und der ganze Tag passiert das in unserem Leben und mit den Puppen wird es sehr deutlich...das Leben ist eine lebendige Sache! Es ist nicht scharf,..na, die Grenzen sind nicht so scharf, was ich bin und was draußen von mir ist. Das ist eine Grenze, die nicht ganz scharf sein kann, weil man in einer andauernden Kommunikation mit der Umwelt ist, mit der Umgebung ist.“ Sprecherin (SP): Wouter van Riessen, der 1967 im niederländischen Bloemendaal geboren wurde, legt seine Gemälde und Siebdrucke kompositorisch an. Die knalligen Farben könnten aus der Pop Art stammen. Sie sind scharf konturiert und bedecken eine festgelegte Fläche, die der Künstler zuvor am Computer berechnet hat. Dem Betrachter begegnen menschliche Figuren mit maskenhaften Zügen. Sie stehen meist in Interaktion mit einer Puppe, oder versuchen eine Verbindung zu ihr herzustellen. Wobei sich sofort die Frage stellt: Wer ist Puppe, wer ist Mensch? Wer ist lebendiger: Der kleine Kasper oder der Mensch, der ihn sich auf die Hand gestülpt hat? Indem man seine Gemälde, Fotografien und Druckarbeiten anschaue, so van Riessen, erwecke man seine Figuren zum Leben, seien es die Puppenspieler, seien es die Puppen. In dem Moment des Anschauens tritt der Bildbetrachter in Dialog mit den Figuren. 26.O-TON: Van Riessen 5`45 + 6`45 + 4`46 „Die Grenzen in Real Life sind scharf. Man sieht, das ist der Puppenspieler, das ist die Puppe, das ist Fleisch und Blut und das ist Plastik oder Wolle oder so was...Auf einem Gemälde oder auf einem Foto ist es total anders, und das interessiert mich. Weil es eine Möglichkeit gibt, darüber nachzudenken und es abstrakt zu machen...+ die Gleichberechtigung ist total in einem Gemälde...+die Realität, die wird flach gemacht, die sind genauso real, und das ist fremd, das ist nicht das, was man erwarten würde. Denn man denkt, ein Mensch ist real und eine Puppe ist Phantasie. Aber das ist nicht die Wahrheit auf einem Gemälde.“ 27.O-TON: ZP Zitat aus Dante „Il Convivio“, 4. Traktat, Kapitel 20 „ZP: Omo è legno animato- Der Mensch ist belebtes Holz.“ Sprecherin (SP): ...heißt es im 4. Traktat, 20. Kapitel, von Dante Alighieris „Il Convivio“, das Gastmahl, einer zwischen 1304 und 1307 verfassten Abhandlung. In dem unvollendet 13 gebliebenen Werk beschreibt Dante unter anderem, dass wahre Nobilität und wahrer Adel nicht von der sozialen Herkunft abhänge, sondern aus dem Verhalten der betreffenden Person heraus resultiere. Die Maxime des angestrebten wahrhaftigen und noblen Handelns bezieht Dante auch auf die Kunst. 28.O-TON: ZP Zitat aus Dante „Il Convivio“, 4. Traktat, Kapitel 20 ZP:„Quando una cosa si génera da un’altra, generási di quella, essèndo in quello éssere. Poi chi (ki) pinge figúra, se non può ésser lei, non la può pòrre. Onde nullo dipintòre potrebbe pòrre alcùna figùra, se intenzionalmente non si facésse prima tàle quàle la figùra èssere dée.“ Sprecherin (SP): Demnach kann sich eine Sache- das heißt ein Kunstwerk- nur dann entwickeln, wenn es sich auf seine Quelle bezieht. Dies bedeutet, dass beispielsweise ein Maler nur dann eine Figur malen kann, wenn er ihren Kern erkannt hat und sich anschließend selbst in ihr wieder findet. Sprecherin (SP): Aus heutiger psychologischer Perspektive heraus könnte man Dantes Erkenntnisse so deuten: Für einen heranwachsenden Menschen sind Objekte wie Puppen und Stofftiere existentiell wichtig. Erkennt das Kind, was die Puppe ausmacht und spiegelt es sich darin wider, so ist das Kind letzten Endes auch in der Lage, eine Beziehung zu sich selbst aufzubauen. Die Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin Angelika Kallwass erklärt, dass so genannte Übergangsobjekte in der frühen Kindheit dabei eine große Rolle spielen. Wobei das Kind als Subjekt agiert, sich mit einem Objekt beruhigen und damit von der Mutter emanzipieren kann. In den meisten Fällen sind solche Übergangsobjekte Handpuppen, Schmusedecken oder Stofftiere. 14 29.O-TON: Angelika Kallwass1 17 ´15 „Das heißt, das ist eine ganz, ganz symbiotische Beziehung, die man mit diesem Objekt hat, die man, wenn man Glück hat, mit der Mamma in den ersten Wochen hat, nämlich, man quakt und die ist da. Man quakt und kriegt die Brust. Und irgendwann sagt die Mamma, nein jetzt nicht. Das ist eine massive Kränkung, die mit großer Angst verbunden sein kann. Und in so einem Moment ist so ein Objekt lebensrettend.“ Sprecherin (SP): Irgendwann besinnt sich ein Kind aber auf die Eltern zurück, und dieses Objekt wird unwichtiger. Verläuft die Kindheit aber dramatisch, so kann es zu massiven Störungen kommen, die sich vielleicht erst im Erwachsenenalter zeigen und spät erkannt werden 30.O-TON: Angelika Kallwass2 4`00 „Als Patienten tauchen zum Beispiel Menschen auf, die Puppen sammeln, die mit Puppen ins Bett gehen, die Puppen, auch kleinere Puppen mit auf Reisen nehmen oder immer ihre Stofftiere mit dabei haben,..die zum Beispiel Probleme in der Partnerschaft haben, wo der Partner vielleicht noch zwei Puppen duldet. Aber wenn es dann irgendwann zu einer Sucht wird, dass immer mehr Puppen gekauft werden und kein Platz mehr auf dem Sofa oder im Sessel ist, dann kann das einfach zu massiven Paarproblemen führen...und dann kommen sie in die Therapien. Wobei jede Form von Zwang- und es ist ja was Zwanghaftes dabei- es ist sehr schwer zu therapieren, weil sie als Therapeut nie an den Punkt kommen, wo sie dem Patienten das geben können, was er braucht. Man kann spiegeln, die sind natürlich dann auch gierig, was den Therapeuten anbetrifft. Aber man kann sich nicht so zur Verfügung stellen. Und es kann sein, dass...sie denn auch abspringen wie bei jeder anderen Sucht auch, und sagen: Das andere ist mir sicher, Sie nicht!“ Sprecherin (SP): Die Subjekt- Objekt- Beziehungen können sich in noch größere Extreme steigern, wenn es nicht mehr darum geht, sich in einer Puppe oder einem Stofftier zu spiegeln oder in Dialog zu treten. Sondern darum, das Objekt besitzen zu wollen. Dann geht es um die Verfügungsgewalt über eine Puppe, der kein Eigenleben gestattet wird. Kinofilme wie zum Beispiel „Lars und die Frauen“ oder Fernsehdokumentationen erzählen von dieser Problemantik. In dem US- amerikanischen Film verkündet die Hauptfigur Lars, gespielt von Schauspieler Ryan Gosling, dass er eine Frau im Internet kennen gelernt habe. Sie heißt Bianca und ist ausgebildete Krankenschwester. Doch Bianca ist eine lebensgroße Puppe. Lars` Umfeld, besonders sein Bruder, ist zunächst geschockt, da Bianca bei Lars „einzieht“. Lars nimmt die 15 Puppe auch mit in die Kirche, zu Partys oder Vereinsversammlungen. Doch nach und nach verstehen seine Freunde und Bekannte, dass Lars ein Problem mit Nähe hat und zu „echten“ Menschen keine richtige Beziehung aufbauen kann. Mit Hilfe der Puppe Bianca fällt es ihm leichter, am Gemeinschaftsleben teilzunehmen. Bianca fungiert als eine Art Kommunikationsmittel und stellt für Lars einen Kontakt zur Außenwelt dar. Alle Bewohner des kleinen US- amerikanischen Städtchens lassen sich schließlich auf Bianca ein, integrieren sie und binden die Puppe in den Alltag mit ein. Dadurch ist es Lars möglich, mit seinen Mitmenschen in Kontakt zu treten. 31.O-TON: Angelika Kallwass2 6`43 + 9`16 „Wenn sich Männer mit Puppen einlassen...die ja so gestaltet sind, dass sie sich anfühlen können wie Haut, wie eine besonders schöne Haut, man kann sich das ja aussuchen, Busengröße, wie breit das Becken sein soll, das ist ja alles wählbar...das ist im Grunde genommen auch, das Objekt, das sich zur Verfügung stellt, das kein Nein sagt, das sich nicht wehrt, das ist wieder der Moment der Regression, und jetzt auch im sexuellen Sinne, an einem Punkt, wo keine...Trennung ist zwischen mir und dem geliebten Objekt. Es tut alles das, was ich will...ich muss es auch nicht wecken, und sagen, ich habe Lust, mit dir zu schlafen, ich schnappe es mir einfach. Und man kann ja auch inzwischen auch Stöhnen einstellen, es wird ja immer mehr perfektioniert, ne. Das heißt..da ist eine..massive Störung entstanden, in einer Zeit- und ich will das jetzt nicht nur den Müttern oder Vätern anlasten, das können Zufälle sein- eine massive Störung.., sich selbst wahrzunehmen und den anderen als Objekt wahrzunehmen und eigentlich die Trennung zwischen Selbst und Objekt, das in der Vereinigung eine Auflösung erlebt und vorher eine spannungsgeladene Situation ist, als etwas Positives und Befriedigendes zu erleben. Das ist hochfrustrierend für solche Menschen, hoch gefährlich, selbstauflösend, und dann greifen sie lieber zu Puppen, die ständig zur Verfügung stehen...+Sie wollen sie besitzen.“ Sprecherin (SP): Die Liaison zwischen dem Maler Oskar Kokoschka und Alma Mahler ist ein prominentes Beispiel dafür. Nachdem die Beziehung zu Alma auf dramatische Weise zu Ende gegangen und Kokoschka über den Trennungsschmerz nicht hinweg gekommen war, bestellte er sich im Juli 1918 bei der Münchener Puppenmacherin Hermine Moos eine lebensgroße Puppe, die ein Abbild Alma Mahlers war. Der passende Originalton Kokoschkas ist auf der Internetseite der Alma-TheaterProduktion zu hören. 16 32. O-TON: Okskar Kokoschka, Internet, freie Quelle, mp4 „Ich hab` mit der Puppe Spaß gehabt, immer. Ich hab` zum Beispiel eine Loge gemietet in der Oper und hab` dann die Puppe ausgeführt in die Oper. Die hat neben mir gesessen, und mit den Interessen, da konnt` i ja machen,was ich wollte...“ Sprecherin (SP): Doch Kokoschkas sexuelle Bedürfnisse konnte die Alma-Puppe nicht vollends zufrieden stellen, worauf sie nur noch als Modell diente und zum Motiv vieler Leinwände und Zeichnungen wurde. Ein großes Interesse an Puppen hegten auch die Surrealisten, die die Puppe als Ganzes und auch als Körperfragment zur Projektionsfläche künstlerischer Auseinandersetzungen zu Themen wie Glaubwürdigkeit, Wahrnehmung und Repräsentation machten. Professor Sigrid Schade leitet an der Zürcher Hochschule der Künste das „Institute for Cultural Studies in the Arts“. In ihrem Aufsatz „Die Medien/Spiele der Puppe. Vom Mannequin zum Cyborg“ beschreibt sie die über viele Jahrzehnte andauernde Beschäftigung mit dem Thema Puppe. So heißt es in ihrem wissenschaftlichen Text: 33.O-TON: Zitatesprecher aus Aufsatz Prof. Schade ZP: „Die Puppe wird nicht nur als Schauplatz von Fantasmen der Ganzheit und Zerstückelung gesehen, sondern auch als Figur, an der der Zusammenhang von Unbewusstem und Kreativität, das Verhältnis von Kunst und Politik und die Reflexion der surrealistischen Experimente mit Medieninszenierungen thematisiert werden können. Man kann die aktuelle Häufung des Puppenmotivs symptomatisch lesen, als Hinweis auf Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Körperbildern verstehen, die zwischen Werbung, Schönheitschirurgie und Gentechnologie angesiedelt sind, und nicht zuletzt als Auseinandersetzung mit den neuen scheinbar körperlosen Kriegstechnologien und den in der westlichen Welt allenfalls über Fernsehbilder vermittelten neuen Kriegen in Afghanistan und im Irak.“ 17 34. O-TON: Ausschnitt, Schauspielhaus Köln, Theaterstück „3.31.93“ ab Anfang- 0`17, freistehen lassen, Musik des Stücks nur Instrumentalintro Sprecherin (SP): Schauspielhaus Köln: Auf der Bühne ist das Stück „3.31.93“ des schwedischen Lyrikers und Dramatikers Lars Norén zu sehen. Moritz Sostmann, der an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ zum Puppenspieler ausgebildet wurde, hat das Stück inszeniert. Seit der Spielzeit 2013/2014 ist Sostmann Hausregisseur am Kölner Schauspielhaus. Im Theater sind in der aktuellen Spielzeit gleich mehrere Stücke von ihm auf der Bühne zu sehen. Sostmanns Zugang zum Puppenspiel war ein langsamer und führte über viele Widerstände, obwohl es sozusagen in der Familie lag 35. O-TON: Sostmann 11`50 „Meine Mutter war Puppenspielerin, und ich hab` irgendwann einmal dieses Studium angefangen, weil ich dachte, da kann ich ganz viel zusammen machen. Ich kann Regie machen. Ich kann selber Stücke schreiben, ich kann selber spielen, dann hat es noch mit einer bestimmten Subkultur zu tun, weil es war damals noch vor der Wende im Osten. Und dieser Bereich des Puppenspiels war noch so ein merkwürdiges Refugium für Freiheit und Anarchie und das hat sich mit der Maueröffnung dann ganz schnell erledigt, und ich wollte nie wieder eine Puppe in die Hand nehmen, das habe ich zwölf Jahre gemacht. Und durch einen Zufall habe ich wieder entdeckt, dass da etwas ist, erst widerwillig...und dann habe ich gemerkt, dass man mit den Puppen, dass man da einen theatralen Mehrwert draus gewinnen kann und einen Ausdruck, der sonst nicht zu finden ist.“ Sprecherin (SP): Moritz Sostmann hat in Köln neben Bert Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, unter anderem Molières „Menschenfeind“ und Roger Vitracs „Victor oder Kinder an die Macht“ inszeniert. In diesen Stücken besteht das Ensemble aus Schauspielern und aus den realistisch gestalteten, bis zu ungefähr 1 Meter großen Puppen, die von Puppenmachern ausschließlich für die Stücke hergestellt werden. Als Schauspielerensemble agieren Mensch und Puppe im so genannten „offenen Spiel“ miteinander. Der Zuschauer sieht, wie eine Puppe von einem oder mehreren Schauspielern geführt wird. Die Aufgabenverteilung ändert sich, je nach Puppe. Mal spricht und hält einer die Puppe, eine andere Schauspielerin führt die Beine und ein dritter Schauspieler bewegt die Hände und Arme. So als ob man eine Maschine ans 18 Laufen bringen würde. Der Schauspieler Philipp Plessmann, auch er studierte Puppenspiel, gehört zu Moritz Sostmanns Ensemble. Plessmann empfindet die Puppe nicht als Rivalen, der ihm die Show stehlen könnte, sondern sieht darin ein Instrument. 36. O-TON: Plessmann (P) Sostmann (S) 9`57 + Sostmann (S) 12`48+ Sostmann 2 1`50 „Plessmann: Man benutzt ja die Puppen aus nem bestimmten Grund,..weil man damit anders erzählen kann. Man begibt sich von Anfang an auf eine andere Ebene mit dem Publikum, weil es eine ganz klare Vereinbarung ist, weil natürlich ist die Puppe tot, weil es ja Material ist. Aber im Spielprozess, also dieser Kommunikationsprozess, also da ist jemand, der bewegt die Puppe,...und dann gibt es jemanden, der sie anguckt und in der Vereinbarung ist das ein lebendiges Wesen...Und da ist man automatisch nicht in Konkurrenz oder so...+Sostmann: Ich meine, ist ja schon `ne merkwürdige Sache mit Mitte 40 noch mit Puppen zu spielen, oder, ich spiele ja nicht selber, sondern sich mit Puppen zu beschäftigen, ist ja so merkwürdig, zwischen kindlich und auch ein bisschen antiquiert, weil natürlich gibt es heute Trickfilm..und Computeranimation, ist ja alles viel perfekter. Trotzdem erwischt das einen Ausdruck, den es ansonsten nicht gibt und den ich auf theatraler Ebene extrem schätze.“ Sprecherin (SP): In Moritz Sostmanns Adaption des Lars Norén- Stücks „3.31.93“ geht es um die Schicksale unterschiedlicher Menschen, die alle an einem Ort leben und deren Lebenslinien zusammenlaufen. So wundert sich ein altes Ehepaar über den großen Abgrund, der sich zwischen den beiden im Laufe der Zeit aufgetan hat. 37. O-TON: Ausschnitt, Schauspielhaus Köln, Theaterstück „3.31.93“ ab 0`22 „Figur: Tja, jetzt haben wir viel Zeit...bis)...mach ich aber nicht.“ Sprecherin (SP): Die Schicksale der von Puppen dargestellten Figuren kommen dem Zuschauer besonders nahe. Und das obwohl sich die Münder der Puppen nicht bewegen und das Gesicht starr bleibt. Zum einen liegt es an der fast symbiotischen Beziehung zwischen Schauspieler und Puppe. Der Mime positioniert sich seitlich oder hinter der Puppe und spricht mit konzentriertem, meist starr auf den Hinterkopf der Puppe gerichteten Blick den Text, während er alleine oder mit anderen Schauspielkollegen die Puppe bewegt. Die gesamte Energie des Schauspielers fließt in die Puppe hinein. Zum anderen potenzieren sich ebenso die Gesten und Bewegungen der Puppe, da 19 durch eine besonders präzise Führung der Puppengliedmaßen eine intensivere Darstellung von Befindlichkeiten möglich ist. Das alles nimmt der Zuschauer wahr. . Und es berührt ihn. 38. O-TON: Sostmann 2 1`50 „Mein liebstes Beispiel...Richard der Dritte, der größte Bösewicht und jeder Schauspieler möchte diese Rolle einmal spielen...das ist unglaublich schwer, das vier Stunden auf der Bühne zu spielen, weil er müht sich vier Stunden auf der Bühne ab, und am Schluss glaubt man ihm was durch die körperliche Erschöpfung. Ne Puppe muss nur auf die Bühne kommen und sagen, ich bin so böse, ich bin Richard der Dritte, und die Leute glauben ihr und sind hin und weg.“ 39. O-TON: Ausschnitt, Schauspielhaus Köln, Theaterstück „Der gute Mensch von Sezuan “ ab Anfang- 0`17 40. O-TON: Sostmann (S) 5`20 + 6`43 „...Es gibt eine bestimmte Sorte von Puppenspielern, nach denen ich auch suche, die...über diese Puppen ihre Persönlichkeit übertragen können. Und das ist ein merkwürdiger, eigenartiger Effekt, den ich auch von mir in gewisser Weise kenne...sich zu gestatten, tiefer gucken zu lassen, als wenn man das tut, wenn man sich als Mensch angucken lässt, wo man sich ja meistens versteckt oder verbirgt...+für mich ich ist das fast- und deshalb finde ich diese offene Spielweise so schön- fast wie ein Musiker mit seinem Instrument...dass es plötzlich zu einer Synthese von Persönlichkeiten kommt, und man mehr von dem einen sieht, von dem Spieler dahinter.“ 41. O-TON: Ausschnitt, Schauspielhaus Köln, Theaterstück „Der gute Mensch von Sezuan “ ab 0`43- 1`56, freistehen lassen, maximal, geht auch viel früher raus „Schauspieler: Ich bin Wasserverkäufer hier in der Hauptstadt von Sezuan...(bis)...wenn ich sie nur erkenne...“ Sprecherin (SP): Mit ihren allzu menschlichen Nöten und Anliegen bauen Moritz Sostmanns Puppenfiguren eine Beziehung zum Betrachter auf und ermöglichen eine Identifikation. Sie zeigen dem Zuschauer Möglichkeiten auf, wie man sich gegenüber dem Leben und dessen Talfahrten positionieren kann. Dass sie keine Menschen, sondern Puppen sind, die das menschliche Sein mit beweglichen Gliedmaßen und überhöhten Gesten darzustellen vermögen, erhöht den Lerneffekt für den Zuschauer. Es handelt sich um eine Dramatik auf Augenhöhe; unter Gleichgesinnten sozusagen, die in ihrem Weltempfinden auf derselben Ebene stehen. 20 Sprecherin (SP): Um die Realität der Welt zu erfassen, tritt Ralf Weiss mit Stofftieren gerne in einen speziellen Dialog. Der Münchner Fotograf hat ein besonderes Projekt initiiert und einen Fotoband gemacht, der Portraits von Stofftieren mit ihren Besitzern zeigt. Manche Leute halten auf den Fotografien ihren kleinen Stoffhund ganz eng am Gesicht oder setzen sich ihren Elefanten auf die Schulter und schauen zusammen mit ihren Plüschtieren in die Kamera. Wie bei einem Familienportrait. Ziel des Projektes war es, auszuloten, in welcher Beziehung die jeweiligen Menschen zu ihren Stofftieren stehen. Zumal Ralf Weiss selbst Stofftiere zu Hause hat. 42.O-TON: Ralf Weiss 1`37 „Ich habe mich ja so ein bisschen auf Porträtfotografie spezialisiert...und auf dieses Thema kam ich eigentlich durch meine Kindheit. Weil ich war Einzelkind, hatte keine Geschwister, und da waren die Plüschtiere doch wichtige Weggefährten meiner Kindheit...ich habe ja eine sehr intensive Beziehung zu einigen Plüschtieren und das wollte ich untersuchen, wie das bei anderen Leuten, bei meinen Mitmenschen ist. Das hat mich auch speziell interessiert, das bei Männern kennen zu lernen, weil ich dachte...als ich angefangen habe zu fotografieren, ich kriege eher Frauen dazu, die Männer waren tatsächlich etwas zurückhaltender, aber letztendlich habe ich auch viele, interessante Männer auch kennengelernt, die mir ihre Plüschtiere gezeigt haben.“ Sprecherin (SP): Andrea Lehmanns Plüschtier hingegen ist nicht sichtbar, da sie es versteckt an sich trägt. Das „Läppi“ ist ein besonderes Tierfragment, das auf das eigentliche Stofftier verweist. „Läppi“ ist ein losgelöstes, mobiles Teil eines Stofftierhasen. 43.O-TON: Andrea Lehmann1 0`45 „Wir sehen einen Hasen, Deli- von Fidelio, den habe ich zu meinem ersten Ostern geschenkt bekommen, da war ich 3 Monate...der ist jetzt 41 Jahre alt und der hat zwei Ohren, wie man das bei Hasen erwarten würde. Und das rechte Ohr ist das, worum es geht. Das wird ausgetauscht, wenn ein Loch drin ist...und das ganze fadenscheinig wird, dann wird das Ohr ausgetauscht, dann wird das Ohr abgeschnitten von meiner Mutter, der Deli bekommt dann einen neuen Bezug. Und das Ohr, das denn abgetrennt ist, ist dann die Reiseversion. Das wohnt in meiner Hosentasche, und wird den ganzen Tag beschnuffelt und auch befühlt...und die Materialität ändert sich...und irgendwann verschwindet es dann. Aber das Läppi ist ein Formwandler. Nämlich die Seele überträgt sich immer auf die nächste Verkörperung.“ 21 Sprecherin (SP): Andrea Lehmann, Mutter eines 4-jährigen Sohnes und einer 8 Monate alten Tochter, ist sich bewusst, dass ihr „Läppi“ für sie eine besondere Funktion hat. Es entstand als Figur auch in dem Moment der Kindheit, als Andrea Lehmann Krach mit ihrer Schwester hatte und beide nicht mehr miteinander sprechen wollten. Dann sprang das „Läppi“ als Kommunikationsmittel ein. Das haben die Lehmann- Schwestern bis heute als gemeinsames Dialog- Ritual beibehalten. So telefoniert das Stofftierohr regelmäßig mit den Stofftieren von Lehmanns Schwester. Als Kommunikationsinstrument verbindet das „Läppi“ alle Lehmann- Familienmitglieder miteinander, bis auf den Vater, der erst neulich die Existenz des „Läppi“ anerkannt hat. Auch Lehmanns Ehemann hatte anfangs damit Probleme 44.O-TON: Andrea Lehmann2 0`44 „Als ich meinen Mann kennen gelernt habe, was er ein bisschen verwirrt, hat das aber nicht so ernst genommen mit dem Läppi, hat sich gedacht, das gibt sich schon...und es hat sich aber nicht gegeben und das wird es auch nicht. Für meine Kinder ist das auch kein Problem, weil sie ja damit groß werden...Also es ist praktisch ein weiteres Familienmitglied...aber einen ganz anderen Charakter hat als von uns...“ Sprecherin (SP): Ralf Weiss fotografiert die Stofftiere nicht nur, er besitzt auch welche. Zum Beispiel „Biff“: ein Bär, der mit seinem roten Halstuch und den Fransen an den Teddyarmen wie ein Cowboy aussieht. Ralf Weiss hatte ihn von einer Amerikareise mitgebracht und der Lebensgefährtin damals als neuen Mitbewohner vorgestellt. Ralf Weiss sieht Biff als eine Figur, die symbolisch für Selbstbewusstsein steht. Manchmal spielt er mit Biff kleine Dialoge und unterhält damit seine Lebensgefährtin. Je mehr sich Ralf Weiss in seiner Arbeit mit Stofftieren auseinander gesetzt hat und je länger Biff bei ihm zu Hause ist, desto mehr drängte sich für ihn die Frage auf: Was geschieht mit dem Stofftier, wenn man tot ist? 45.O-TON: Ralf Weiss 17`13 + 17`43+ 17`54 „Ja, das haben wir auch schon diskutiert, soll Biff zum Beispiel in einen Sarg,..soll er mit verbrannt werden? Also ich, wenn ich sterbe, ich würde mich gerne verbrennen lassen, soll er dann auch ins Feuer? Solange ein Partner da ist, würde man das sicher nicht tun, weil es ist ja ein Andenken an den Menschen, den man verloren hat...+aber ich habe mich bisher noch nicht dazu entschieden, wie 22 ichs machen möchte...+man kann mit ihm drüber sprechen, aber...wenn ich Biff vor die Wahl stelle, mit mir verbrannt zu werden, wird er wohl sagen,...er möchte lieber nicht abgefackelt werden, wie er sagen würde (eingeschoben),...er möchte lieber da bleiben.“ Sprecherin (SP): Eine Frage, mit der sich auch die anderen Stofftierenthusiasten auseinander gesetzt haben 46.O-TON: Norika (N) und Jonas (J) 3 0`45 + Andrea Lehmann2 5`59 „Nienstedt: Ich könnte mir vorstellen, dass sie dann mit im Grab sind, dass sie außen drauf liegen, dass sich selbstverständlich Freunde...auch ein paar nehmen, als Erinnerung an einen, wen sie Lust dazu haben...(lacht)...Jonas:...der Wert, den man den Stofftieren, Puppen...ja zumisst, endet eigentlich mit dem eigenen Ableben...+Lehmann: Es ist wahrscheinlich wie mit dem eigenen Körper, dass man davon ausgehen muss, dass eine Menge von Charaktere und auch von Ego verloren geht, was natürlich in Ordnung ist...ich würde eh nicht in einen Sarg wollen, also verbrannt werden, aber selbst das würde ich für meinen Hasen nicht wollen...der soll halt seinen Weg gehen, so...“ Sprecherin (SP): Der Puppenspieler Martin Reinl und der Theaterregisseur Moritz Sostmann haben im Umgang mit ihrem „Arbeitsinstrument Puppe“ und der Frage nach dem Tod jeder für sich einen pragmatischen Ansatz gefunden- zumindest auf der Bühne. 47.O-TON: Martin Reinl 12´06 + Sostmann 0`47 „Reinl: Puppen sind so unkaputtbar wie Zeichentrickfiguren...und..das hat schon etwas..für die Ewigkeit. Man hat schon das Gefühl, das kann nicht aufhören. Obwohl ich auch mal die Idee hatte, eine Puppe wirklich sterben zu lassen...was ich hoch interessant finde...+Sostmann: Man sagt immer, wenn die Puppe nicht angeguckt wird, ist sie tot.“ + Schlußatmo: Ausschnitt aus Stück „3.31.93“, Atmo Schausp. Schluß ab 4`53 „(Es ist ein Röcheln zu hören) Schauspieler: Willst du etwas sagen? Was ist mit dem? Plessmann: Hilf ihm!...Schauspieler1: Ich kann nicht, womit denn? Plessmann: Zu sterben...(bis)...Plessmann: Er ist gestorben. Schauspieler1: Ich hab`s gesehen. Dann kann ich jetzt gehn`.“ 23 ABSAGE Das war: Die Puppe und ich. Vom Leben mit Stofftieren und anderen Gefährten Von Claudia Cosmo Es sprachen: Annika Schilling und Vittorio Alfieri Regie: Susanne Krings Redaktion: Klaus Pilger Produktion: Deutschlandfunk 2016 ENDE 24
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