SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Das Frauen-KZ Ravensbrück Von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza Sendung: Freitag, 8. Juli 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Udo Zindel Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2014 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books: Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de MANUSKRIPT Ravensbrücklied, von der CD „damit die Welt es erfährt …: Nicht weit von Berlin, von der Hauptstadt ein Stück Erde, das Wasser umgibt darauf leben wir hinter der Mauer darauf steht das KZ Ravensbrück. Aus Holz zweiunddreißig Baracken Bunker, Küche, Betrieb und Revier Und die Mädchen, sie geh‘n ohne Jacken und wir haben noch März, und es friert. Irma Trksak: Ich sehe sie jetzt noch vor mir, die Frauen die schwersten Arbeiten verrichten, Bäume fällen, Loren schieben, Lasten tragen, und das ganz lange Appellstehen, das war alles ausgerichtet nur, das hatte ein Ziel, um die Menschen zu demütigen, zu quälen. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr hat sich das wiederholt, und alles hatte nur den Sinn, die Arbeitsunfähigen ganz einfach zu vernichten mit allen möglichen Mitteln, war alles nur darauf aufgerichtet. Sprecherin: Die Wienerin Irma Trksak war eine von mehr als 130.000 Frauen und Kindern aus rund 40 Nationen, die im Frauen-KZ Ravensbrück unter Zwangsarbeit und Folter litten. Bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 30. April 1945 war ihr KZ-Alltag ein Martyrium, angelegt auf brutale Erniedrigung und die Zerstörung der Persönlichkeit, ähnlich wie bei männlichen Gefangenen. Und doch galten hier andere Gesetze, und Frauen reagierten auf das Grauen des Lagerlebens oft anders als Männer. Ansage: Das Frauen-KZ Ravensbrück. Von Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza. Sprecherin: Ravensbrück ist seit 1950 Ortsteil des Städtchens Fürstenberg an der Havel. Die 6.000-Seelen-Gemeinde liegt am Schwedtsee in Brandenburg, etwa 80 Kilometer nördlich von Berlin. Dort mussten Häftlinge des KZs Sachsenhausen im Dezember 1938 auf Befehl Heinrich Himmlers mit dem Bau des KZs beginnen. Es war das größte Frauen-KZ unter den rund 1.000 Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Ravensbrücklied: Sie wecken uns lang, eh es hell ist heißes Wasser, das ist unser Mahl dann hinaus zum Appell, in die Kälte danach geht’s in den Arbeitstag. [Sprecherin: Im Mai 1939 nahm die SS Ravensbrück in Betrieb und verlegte rund 1.000 weiblichen Gefangenen aus anderen Konzentrationslagern in das neue KZ am Schwedtsee.] 2 Matthias Heyl: Anfangs hat es in der Nazi-Hierarchie schon auch Diskussionen gegeben, ob es überhaupt auf Dauer Frauenkonzentrationslager bräuchte, weil sie die Frauen als politische Subjekte nicht ernst genommen haben. Bis 1939 war aber deutlich, dass viele Frauen widerständig oder anderweitig nicht passend im NS-Gefüge agierten, und dass die Nazis daher auch meinten, Frauenkonzentrationslager zu brauchen als Einrichtung. Sprecherin: Matthias Heyl ist pädagogischer Leiter der heutigen Mahn- und Gedenkstätten Ravensbrück. Im KZ saßen Frauen mit ganz unterschiedlicher Herkunft und Biografie, erzählt er: Matthias Heyl: Dass zum Beispiel eine sehr große Gruppe Zeuginnen Jehovas hierher gebracht wurden, eine Religionsgemeinschaft, die auch den Kriegsdienst ablehnt, dann viele politische Häftlinge, Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen, andere politisch Widerständige, und dann Frauen, die als Kriminelle oder Asoziale verfolgt worden sind, einige Jüdinnen, die wegen Rassenschande belangt wurden, und dann auch Sinti und Roma. Das ist so die Erstbelegung im Lager gewesen, und dann mit dem Kriegsgeschehen sind immer mehr aus den besetzten Ländern Frauen hierher gebracht worden. Sprecherin: Die meisten Frauen wurden in Viehwaggons der Reichsbahn gepfercht und zum Bahnhof Fürstenberg gebracht. Hildegard Schäfer aus Bad Kreuznach kam dort im August 1940 mit einem Gefangenentransport an. Die damals 22-Jährige hatte sich geweigert, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten und war daraufhin verhaftet worden. Hildegard Schäfer: Und da standen schon die SS-Frauen mit den Hunden und haben uns schon in Empfang genommen. Da standen schon Lastautos, die uns dann hochfuhren ins Lager. Ja, und so kamen wir dann in Ravensbrück, kamen da an, an der Kommandantur vorbei, und dann am Tor rein. Und da fielen dann schon die ersten Ausdrücke: ‚Ihr Schweine‘ und ‚Ihr Saupack‘ und so weiter, Ausdrücke, die ich vorher nie gehört hatte, und musste mir das da mitanhören. Und da bekamen wir auch schon gleich die ersten Tritte von den Frauen, von den Aufseherinnen, und da dachten wir: ‚Mensch, wo kommen wir jetzt hin?‘ Sprecherin: 1942 wurde die Österreicherin Antonia Bruha in Ravensbrück interniert, weil sie für die sozialdemokratischen "Tschechischen Wiener Blätter“ gearbeitet und sich später einer Widerstandsgruppe angeschlossen hatte. Wie bei vielen anderen Häftlingen vermerkte die Gestapo – die Geheime Staatspolizei – auch in ihren Papieren kurz „RU“: Rückkehr unerwünscht. Ein Todesurteil, denn es bedeutete, dass so Gezeichnete das Lager nicht mehr lebend verlassen durften. Antonia Bruha überlebte dennoch und erinnert sich noch genau an die Torturen bei ihrer Ankunft im Lager. 3 Antonia Bruha: Wir wurden zu einem Tisch geführt. Da saß eine Aufseherin. Ein Häftling neben ihr. Da hat man uns dann den Schmuck weggenommen. Wir mussten uns ausziehen. Also ganz nackt. Das Gewand abgeben. Und dann haben wir in einem großen Raum wirklich geduscht. Dann sind wir in einer Reihe gestanden und haben auf den Arzt gewartet. Dann, nackt natürlich, dann ist der Arzt gekommen und ein paar SSMänner. Er hat sich hingesetzt. Die SS-Männer sind um ihn herumgestanden und die ganze Untersuchung hat so ausgesehen, dass man sich eigentlich mehr oder weniger über uns lustig gemacht hat, die alten Frauen verspottet, die jungen begutachtet. Also, es war ganz furchtbar, das war so entwürdigend, muss ich sagen, wirklich entwürdigend. Sprecherin: Nach dieser sexuellen Erniedrigung erhielten die Gefangenen gestreifte Lagerkleidung mit ihrer Häftlingsnummer, grobes Wasch- und Bettzeug und Essbesteck aus Aluminium. Die ausgehändigten Holzpantinen waren meist viel zu groß und kaum eine Frau konnte darin richtig laufen. Zunächst wurden die Neuangekommenen in sogenannte Quarantäneblocks gesteckt, erzählt Matthias Heyl. Matthias Heyl: Wo sie dann in der Regel für sechs Wochen noch nicht fest anderen Baracken zugeordnet waren, noch nicht festen Arbeitskommandos und dann in diesem Status der Verfügbaren häufig dann die besonders schweren Arbeiten auch zu tun hatten. Sprecherin: Antonia Bruha musste schwere Bergwerksloren mit Schutt vollschaufeln, entlang der Lagerstraße schieben und wieder entladen. Antonia Bruha: Ich hab die ganzen Hände wund gehabt. Und da werde ich nie vergessen, die Schaufel war so schwer. Und hinter mir ist eine Aufseherin gestanden und ein Anweishäftling. Und wenn man nicht genug geschaufelt hatte, hat die Aufseherin mit der Peit… mit dieser Peitsche hingeschlagen. Und ich habe eine furchtbar schwere Schaufel gehabt. Und da hat mit mir eine Russin geschaufelt. Und die hat eine leichtere gehabt. Die hat die Schaufel mir weggenommen, hat sie die schwere genommen und mir die leichte gegeben. Dann hab ich einen Tag draußen die Walze gezogen. Sprecherin: Eine dieser tonnenschweren Stein-Walzen ist heute noch in der Gedenkstätte auf dem ehemaligen Lagergelände zu besichtigen. Matthias Heyl: Diese Walze war wie andere Walzen auch im Einsatz, um das Gelände zu planieren, es gab welche, die von acht, welche, die von zwölf Frauen gezogen wurden, wo dann zwei Frauen auch immer nebenher laufen mussten mit großen Holzscheiten, um die im Zweifel abzubremsen, wir wissen, dass das ein besonderes schweres Arbeiten war und auch eins, bei dem viele Frauen zu Tode gekommen sind, weil 4 nicht immer schnell genug abgebremst wurde, also auch viele unter diese Walzen geraten sind. [Sprecherin: Anfangs bestand das KZ Ravensbrück aus 18 langestreckten Holzbaracken. Die in Haft genommenen Frauen waren in zwölf dieser Baracken untergebracht. Dann gab es eine mit Stacheldraht abgetrennte Strafbaracke und einen zusätzlichen massiven Zellenbau, in dem die Gefangenen Strafen in Dunkelarrest absitzen mussten. Eine von SS-Soldaten bewachte vier Meter hohe Mauer, auf der ein mit Starkstrom geladener Stacheldraht angebracht war, umgab das Lager und sollte jeglichen Fluchtversuch verhindern. OT 09 Matthias Heyl: Man muss sich vorstellen dass die Baracken anfangs mit jeweils zwei Schlafsälen für jeweils 150 Häftlinge ausgestattet waren, jeweils zwei Tagesräume, in denen Tische und Stühle standen, und etwa 20 Waschmöglichkeiten und zehn Toiletten. Also 300 Häftlinge in der Baracke teilten sich dann 20 Waschmöglichkeiten und zehn sogenannte Toiletten, das waren überwiegend Latrinen.] Sprecherin: Ab Kriegsbeginn am 1. September 1939 zwang die SS mehr und mehr Verhaftete aus den eroberten und besetzten Gebieten in die Konzentrationslager, vor allem Kriegsgegner, politisch Andersdenkende und jüdische Menschen. Die Zahl der Einlieferungen überstieg bald bei weitem die Unterbringungskapazitäten der Lager. So auch in Ravensbrück. Die Frauen mussten sich schon bald nach Inbetriebnahme des Lagers zu zweit oder zu dritt eine der schmalen Schlafkojen teilen. Bis zu 35.000 Gefangene pferchten die Nazis gleichzeitig ins Lager. Mussten sich 1939 noch 300 weibliche Häftlinge eine Baracke teilen, waren es gegen Ende des Krieges bis zu 2.000. Besonders schlimm wurde es 1944, als nach dem Warschauer Aufstand Tausende Polinnen ins KZ Ravensbrück deportiert wurden. Für diese Frauen errichtete man keine neuen Baracken mehr, sondern verfrachtete sie in ein – für ihre große Zahl – viel zu kleines Zelt. Häftlingskleidung und Bettwäsche gab es da schon lange nicht mehr, ebenso wenig Essgeschirr und Besteck. Matthias Heyl: Dort gab’s auch keine Toiletten mehr, keine dreistöckigen Betten, das war alles sehr viel einfacher, mit dem Stroh auf dem Boden, wo die Häftlinge kauerten, mit Eimern, die die Toilettenfunktion übernahmen. Sprecherin: Alle drei Tage wurde ein großer Kessel ins Zelt gebracht, aus dem die Gefangenen mit bloßen Händen wässrige Suppe schöpfen mussten. Oftmals, so weiß Matthias Heyl aus den Erzählungen einer Überlebenden, kippte der Kessel um. Matthias Heyl: Sie sagte, häufig stürzten auch diese Toiletteneimer um, und dann vermengte sich das aus dem Kessel mit dem, was auf dem Boden war, und wir waren so hungrig, dass wir aufgeklaubt haben, was wir konnten. Das war ihre Situation dann in der Zeit. 5 Sprecherin: Für viele der internierten Frauen wurden Solidarität und das innere Aufbegehren gegen die brutale Entmenschlichung durch den Lageralltag zu einer Frage des Überlebens. So halfen einflussreiche sogenannte Funktionshäftlinge, die von der SS zur Aufrechterhaltung des Lagerbetriebs eingesetzt wurden und Privilegien besaßen, durch riskante Umverteilungen von Brot, Kleidung oder Medikamenten immer wieder schwachen oder kranken Frauen. Manch einer zum Tode verurteilten Inhaftierten retteten sie das Leben, indem sie die Namen auf den Todeslisten änderten und so den Weg zur Hinrichtung oder in die Gaskammer verhinderten. Ravensbrücklied: Macht die grimmige Kälte uns schluchzen denn wir haben ja Kleider nur an dann rufen wir uns ins Bewusstsein dass die Welt ist voll Feuer und Kampf. Dass jetzt weinen die Brüder und Schwestern Vater, Mutter, die Liebsten daheim doch der Kampf an den Fronten ist heftig und das Ende naht unserer Pein. Sprecherin: [Gegen halb fünf wurden die Frauen geweckt. Eine Stunde hatten sie Zeit, um sich – in den hoffnungslos überbelegten Waschräumen – zu waschen, das wenige, das sie bekamen, zu essen, die Betten akkurat zu machen und auf die – ebenso überfüllten – Toiletten zu gehen. Das Frühstück bestand anfangs aus zwei Scheiben Brot, etwas Margarine, ein wenig Wurst, Harzer Käse oder zwei Löffeln Ersatzmarmelade. Dazu gab es eine schwarze Brühe, Lorke genannt, eine Art Ersatzkaffee.] Als im Laufe des Krieges Nahrungsmittel immer knapper wurden, gaben die Aufseherinnen den Frauen trotz der zu leistenden Schwerstarbeit nur noch ein kleines Stück Brot für den ganzen Tag, mittags und abends wässrige Steckrübensuppe und ab und zu eine Kartoffel oder ein Rübchen. Hildegard Schäfer: Hunger, das war das Schlimmste. Sprecherin: Hildegard Schäfer, Lagerinsassin aus Bad Kreuznach. Hildegard Schäfer: Hunger hatten wir immer. Du hast ja keine richtige Verpflegung gehabt. Ich kann mich entsinnen, dass wir einmal ein gutes Essen hatten, das war, als Himmler das Lager besuchte. Und sonst hatten wir ja nur die Steckrübensuppe, ab und zu ein paar Kartoffelschalen drin, das war unser Essen. Hunger hatten wir immer, sogar großen Hunger. Sprecherin: Nach dem Frühstück mussten alle Häftlinge in Reih und Glied zum Appell antreten. Abends wurde die ganze Prozedur wiederholt. Egal, ob es regnete, stürmte und 6 schneite oder die Sonne erbarmungslos vom Himmel brannte. Die Appelle hatten mehrere Funktionen. Zum einen, erzählt Matthias Heyl, der pädagogische Leiter der Gedenkstätte: Matthias Heyl: dass die Häftlinge gezählt wurden, dann dass bestimmte Meldungen gemacht worden sind, dass Häftlinge für Strafen gemeldet wurden und dann aus dem Appell herausgeholt worden sind, es gab Strafen, die vor den versammelten Häftlingen vollzogen worden sind, so dass das auch immer ein Moment der Erniedrigung auf jeden Fall gewesen ist. Sprecherin: Die Wuppertaler Kommunistin Waltraud Blass war im November 1943 in Ravensbrück eingeliefert worden: Waltraud Blass: Wehe einer fehlte, dann mussten wir so lange stehen, bis derjenige gefunden war oder so. Wir haben ja oft Stunden da gestanden. Und da sind ja manche umgekippt, hungrigen Magen und dann lange stehen, und dann noch grade stehen, war schon eine Schikane, war es. Sprecherin: Die Ärztin Ilse Reibmayr aus dem österreichischen Graz wurde im November 1944 ins Lager gebracht: Ilse Reibmayr: Und wenn da jemand zusammengefallen ist, dann haben die beiden anderen von den Nebenreihen müssen auf jeder Seite die Frau halten, obwohl sie bewusstlos war. Und so ist es auch vorgekommen, dass Tote auf solche Art gehalten wurden, bis der Zählappell vorbei war. Man hat sich nicht die Mühe genommen, vielleicht jemanden weg zu transportieren und den dann dazu zu zählen, sondern man hat verlangt, dass der Tote ebenso wie der Lebende steht. Das waren diese kleinen gemeinen Tücken, die dort aber zur Ordnung gehört haben. Sprecherin: Ständig waren die weiblichen KZ-Häftlinge der Willkür des SS-Personals ausgesetzt. Kleinste Abweichungen von der Lagerordnung oder von dem, was den Aufseherinnen richtig schien, wurden umgehend bestraft: Die Häftlinge wurden verprügelt, mussten die Kloake ausleeren, sie kamen in Dunkelarrest – oder wurden gar erschossen. Auch bei der Zwangsarbeit für die SS-eigene Textil- und Lederfabrikation Texled kam es immer wieder zu drastischen Strafen. Etwa wenn die hungernden, oft kranken Frauen die unmenschlichen Produktionsvorgaben nicht einhalten konnten. Die großen Texled-Werkstätten, in denen Strümpfe gestrickt und Uniformen für die SS genäht wurden, lagen etwas abseits der Baracken. Hier arbeiteten die Häftlinge in zwölf Stunden langen Tag- und Nachtschichten. Die 1917 in Schwäbisch-Gmünd geborene Lieselotte Thumser-Weil musste Seitennähte von Hosen zusammennähen. Die ausgebildete Krankenschwester, die 7 ins KZ gebracht wurde, weil sie sich offen dagegen gewandt hatte, dass behinderte Kinder in einem kirchlichen Heim getötet wurden, kam mit der Nähmaschine nicht zurecht und blieb deutlich unter ihrem Soll. Lieselotte Thumser-Weil: Zwei, drei Tage haben mir die Kameradinnen geholfen, haben wieder aufgetrennt schnell und weiter ging‘s, aber dadurch ist unsere Leistung zurückgegangen. Wir mussten 28 oder 29 Hosen pro Schicht nähen. Und wir waren einfach unter unserem Pensum. Dann gab es Kostentzug für die Nacht. [Sprecherin: Schließlich kam ein Aufseher dahinter. Lieselotte Thumser-Weil: Er war wütend, hat mordsmäßig getobt und was mir bis heute – das erlebe ich jetzt in diesem Augenblick wieder – wie er mich oben an den Haaren gefasst hat und meinen Kopf auf die Nähmaschine rauf. die Nähmaschine hatte drei Zacken, da hat er mir meinen Kopf drauf gehauen, so arg das das Blut gespritzt ist und das mir dieser ganze Teil des Nasenbereichs und des Kieferbereichs beschädigt worden ist. Also ich habe geblutet und bin dann aus der Schneiderei rausgeflogen.] Sprecherin: Die Arbeitskraft der Gefangenen wurde nicht nur von der SS erbarmungslos bis aufs Letzte ausgebeutet. Von der Zwangsarbeit profitierten neben vielen kleinen und mittelständischen Betrieben aus der Umgebung auch Großunternehmen. Matthias Heyl: Beispielsweise gehört zu den Nutznießern der Zwangsarbeit Daimler Benz, da gab’s in Genshagen zwischen Ravensbrück und Berlin gelegen ein Werk, wenn man hineinschaut in die Arbeitseinteilungslisten oder in andere Dokumente, dann findet man für Ravensbrück wie ja auch für alle anderen Konzentrationslager, dass alle Unternehmen, die irgendwie wehrwirtschaftlich unterwegs waren, Zwangsarbeit ausgebeutet haben, auch von KZ-Häftlingen. Da wird dann Ravensbrück zu einem regelrechten Umschlagplatz für Zwangsarbeiterinnen. Also es sind aus Unternehmen Vertreter hierhergekommen und haben fast wie in einer Sklavenbeschau sich die Häftlinge angeschaut. Die Firma Siemens beispielsweise entscheidet sich dann ’42, hier die Verhandlungen mit der SS aufzunehmen für die Einrichtung eines eigenen Lagers hier. Man hat bis 1942 noch jüdische Frauen aus Berlin in den Berliner Werken in Zwangsarbeit gehabt, und der Ersatz wird hier in Ravensbrück gefunden. Sprecherin: So entstand südlich des Hauptlagers das sogenannte Siemenslager. In den 20 Montagehallen dort arbeiteten bis zu 3.000 Häftlinge, die jeden Morgen vom Appellplatz zur Zwangsarbeit ins Außenlager geschickt wurden. Dort stellten sie unter anderem Teile von Rundfunkempfängern, Funksprechgeräte und Schalter für U-Boote her – was im Vergleich zu den Schwerstarbeiten draußen eher als leichte Tätigkeit galt. Die Siemensarbeiterinnen hatten wenigstens ein Dach über dem Kopf und arbeiteten in geheizten Räumen. Zum Ende des Krieges hin jedoch wurden auch 8 die ausgezehrten und ausgemergelten Gefangenen im Siemenslager selektiert. Wer nicht mehr arbeiten konnte, wurde in die Gaskammer des Lagers Ravensbrück geschickt. Matthias Heyl: Das ist dann die Phase Januar bis April 1945, wo dann hier eine hölzerne Baracke im Umfeld des Krematoriums, die vorher zur Lagerung von Material genutzt wurde, abgedichtet wurde und so hergerichtet wurde, dass dort mal 150 bis 180 Häftlinge vergast werden konnten. Und etwa zwischen fünf- und sechstausend Häftlinge sind dann dort noch vergast worden. Aber auch in der Phase drum herum wissen wir, dass in einer Sandgrube Massenerschießungen stattgefunden haben. Ravensbrück war immer auch ein Hinrichtungsort. Sprecherin: Auch im 1,5 Kilometer entfernten "Jugendschutzlager" Uckermark mordete die SS planmäßig. Das Lager war 1942 für 16- bis 22-jährige Mädchen und junge Frauen errichtet worden, die als kriminell oder obdachlos, als aufmüpfig oder bisexuell galten, die sich prostituiert hatten oder sich dem nationalsozialistischen Unrechtssystem widersetzten. Im Januar 1945 räumte die SS das Jugendlager größtenteils, um Platz zu schaffen für selektierte ältere, geschwächte und kranke Frauen aus dem KZ Ravensbrück. Sie bekamen nur noch die Hälfte der ohnehin spärlichen Verpflegung, wurden nicht mehr medizinisch versorgt und hatten kaum noch Kleidung am Leib. [Bis zu 50 Frauen starben dort täglich – allein während der fünf- bis sechsstündigen Appelle in winterlicher Kälte. Noch viel mehr wurden durch Giftinjektionen und Massenerschießungen umgebracht. So starben insgesamt etwa 6.500 weibliche KZ-Häftlinge grauenvoll in diesem "Jugendschutzlager".] Zusätzlich wurden Frauen bei medizinischen Experimenten ermordet. Um die Behandlung verwundeter Frontsoldaten zu verbessern, brachten SS-Ärzte insbesondere polnischen Frauen absichtlich Wunden bei, die dann mit Bakterien, Fäulniserregern, Holz- und Glassplittern infiziert und wieder zugenäht wurden, v. a. um die Wirkung von Sulfonamiden zu testen. Die Versuchsopfer wurden von ihren Peinigern "Kaninchen" genannt. Sie starben entweder bald nach den Experimenten, gingen Jahre danach an den Spätfolgen zugrunde oder blieben ihr Leben lang entstellt oder körperlich versehrt. Sinti- und Roma-Frauen und ihren Töchtern wurde versprochen, dass sie aus dem KZ entlassen würden, wenn sie sich sterilisieren ließen. Dann bekamen sie von den Ärzten verätzende Substanzen in die Gebärmutter injiziert oder ihre Eierstöcke wurden mit Röntgenstrahlen verbrannt. Antonia Bruha arbeitete im Krankenrevier. Antonia Bruha: Das war so entsetzlich. Diese 12-jährigen Mädchen haben gebrüllt vor Schmerzen. Und die Mutti, die Mütter haben immer gesagt: 'Wein nicht, wir gehen frei, wir gehen frei'. Sprecherin: Viele Frauen wurden auch gezielt mit Injektionen umgebracht. Besonders grausam ging dabei die Ärztin Herta Oberheuser vor. Sie spritzte Benzin, das die Opfer erst nach mehreren Minuten und bei vollem Bewusstsein qualvoll sterben ließ. Unter 9 ihrem Chef, dem SS-Arzt Gerhard Schiedlausky, war Herta Oberheuser außerdem verantwortlich für Zwangsabtreibungen, die bei den weiblichen Häftlingen sogar noch im siebten oder achten Schwangerschaftsmonat vorgenommen wurden. Dann habe es eine Phase gegeben, so erzählt Matthias Heyl: Matthias Heyl: wo die SS sich die Mühe mit den Abtreibungen nicht mehr macht und die Frauen ihre Kinder zur Welt bringen lässt und sie dann ermordet. Das sind alles Kinder, die keine Spuren hinterlassen haben. Sprecherin: Schon ab 1942 kamen im KZ Ravensbrück die ersten Kinder zur Welt. Es wurde eigens eine Geburtsstation eingerichtet. Später führten die Ärzte ein Geburtenbuch, das zwischen September 1944 und April 1945 genau 560 Entbindungen verzeichnet. Überlebt hat aber kaum ein Neugeborenes, obwohl die meisten trotz entsetzlicher Mangelernährung der Mütter mit fast normalem Gewicht zur Welt kamen. Die inhaftierte Ärztin Ilse Raibmayr aus Graz arbeitete auf der Station. Ilse Raibmayr: Nur war da auch das Gewebe mit Wasser gefüllt. Also, durch diese wässerige Kost. Sie waren so aufgeschwemmt. Haben dadurch wunderschön ausgeschaut. Mei, ganz strahlend schöne Kinder waren das. Wir hatten gewusst, dass das natürlich ein Trug ist. Sprecherin: Matthias Heyl weiß von überlebenden Frauen, dass sie versuchten, die Neugeborenen mit Wasser am Leben zu erhalten. Sie selber hatten des ständigen Hungers wegen keine Milch mehr in den Brüsten. Matthias Heyl: Dass sie dann mit ansehen mussten, wie die Kinder manchmal innerhalb von Stunden, manchmal innerhalb von Tagen oder sogar auch Wochen dann hier zugrunde gingen. Sprecherin: Insgesamt haben etwa 30.000 Häftlinge das KZ Ravensbrück nicht überlebt. Sie gingen elend an Hunger, Kälte oder Krankheiten zugrunde, wurden ermordet, durch sinnlose Schwerstarbeit bewusst getötet oder in andere Vernichtungslager gebracht. [Matthias Heyl: Wir gehen heute also von einer Schätzung bei 30.000 aus, und haben in dem Totenbuch, in dem Gedenkbuch, das es hier gibt, 13.161 Namen nachgewiesen. Das Problem ist, dass der Nachweis sehr schwer möglich ist, weil zum Kriegsende die SS nicht nur sich bemüht hat, viele Zeugen ihrer Verbrechen zu vernichten, umzubringen, sondern auch viele Zeugnisse noch vernichtet hat.] Ravensbrücklied: Also Kopf hoch, bleibt stark, Kameradinnen kühner singt, haltet durch bis zum Mai! 10 Nur noch zwei, drei Torturen ertragen und die Nachtigall fliegt schon herbei. Sie wird öffnen das Tor in die Freiheit von uns nehmen das Streifenkleid und die Wunden des Herzens uns heilen und uns trösten und stillen das Leid. Antonia Bruha: Es ist so gewesen im Lager, entweder ist man ein Mensch geblieben oder man ist untergegangen. Und begonnen hat diese Vertrauenssituation mit dem, dass einer dem anderen geholfen hat. Nicht zuerst im Großen, sondern im Kleinen. Sprecherin: Zahlreiche Frauen versuchten, ihre Menschenwürde und persönliche Identität auch dadurch zu bewahren, dass sie sich kulturell oder künstlerisch betätigten. Sie fertigten feine Schnitzarbeiten aus Holz oder kleine Plastiken aus Zahnbürsten an, hielten den KZ-Alltag in Zeichnungen fest und arbeiteten auf ganz unterschiedliche Weise an der Vermittlung kultureller Bildung. Seit 1941 organisierten vor allem Polinnen – aber auch Frauen anderer Nationen – heimlich kulturelle Themenabende mit Theateraufführungen oder Singspielen in den Baracken. Internierte Lehrerinnen unterrichteten Mädchen und junge Frauen in verschiedenen Fächern und verhalfen ihnen so zu einer gewissen Schulbildung. Immer bestand die Gefahr, entdeckt und drakonisch bestraft zu werden. Für viele Frauen war dieser kulturelle Zusammenhalt ein besonderer Ausdruck ihres Überlebens- und Selbstbehauptungswillens. Diese Treffen dienten nicht nur der Ablenkung von den Qualen der Lagerwelt, sie sollten auch auf die Zeit nach dem Lager vorbereiten. Sie waren Teil einer Utopie für ein neues Leben, erklärt Constanze Jaiser, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berliner Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Constanze Jaiser: Es gab sowohl heimliche Vorträge von Frauen, die eben bestimmte Wissensgebiete abdeckten, als auch Unterricht. Und der Unterricht ist ganz verrückt im Grunde genommen gelaufen, gerade bei den polnischen Frauen ist es überliefert, dass sie dachten, wenn wir hier frei kommen, dann müssen unsere Mädchen ja auch n Schulabschluss haben, damit sie in der Welt irgendwie Fuß fassen können. Und es kam zu Kleinstgrüppchen, Unterrichtsgrüppchen zum Beispiel während des Appellstehens. Sprecherin: Erstaunlich ist, dass in Ravensbrück vor allem das Schreiben, Rezitieren und Überliefern von Gedichten den Lagerinsassinnen enorm viel bedeutete. Es spendete ihnen Trost, ließ sie auf bessere Zeiten hoffen und ermutigte sie, weiter zu leben. Trotz systematischer Entwürdigung durch die SS versuchten viele der Inhaftierten immer wieder, sich ihrer Menschenwürde in einer der sensibelsten Formen sprachlichen Ausdrucks zu versichern. [Mehr als 1.200 in Ravensbrück geschriebene Gedichte von Frauen aus 15 Nationen konnte Constanze Jaiser bisher nachweisen. 11 Constanze Jaiser: Es war unmöglich, dass eine Frau allein n Gedicht retten konnte über die Lagerzeit. Da mussten auch immer andere helfen. Es gab immer Mitwisserinnen, es gab welche, die haben´s dann mal bei sich in die Wäsche gesteckt oder unterm Dach in die Ritze geschoben. Nee, es war überhaupt nicht erlaubt, und es gibt Berichte, die ich im Archiv gesehen habe, Prügelstrafe, wenn jemand mit einem Gedicht erwischt wurde. Oder bei einer Frau ist überliefert, die kam in den sogenannten Bunker, das lagereigene Gefängnis, Einzelhaft ohne Essen. Also, lebensgefährlich konnte das sein. Sprecherin:] Den beiden Tschechinnen Vera Hozáková und Vlasta Kladiová gelang es, unter dem Titel "Europa im Kampf 1939-1944" in Ravensbrück eine internationale Gedichtanthologie zusammenstellen. Darin finden sich neben etwa 50 im KZ geschriebenen Gedichten von Häftlingen aus 15 Nationen auch mehrere Zeichnungen. Vera Hozáková trug dieses kleine Buch über Monate unter ihrer Kleidung. Ein lebensgefährliches Versteck, das die SS jedoch nicht entdeckte, so dass diese internationale Gedichtsammlung nach der Befreiung des Konzentrationslagers als wertvolles Dokument der Nachwelt erhalten blieb. Darin findet sich auch das 1943 entstandene Gedicht Die Traubenkirsche der Tschechin Anicka Kvapilovà. Zitatorin: Nein, hier blüht keine weiße Traubenkirsche, der räudige Hund heult auf dem Kreuzweg der Qualen. Wohin du auch gehst, abgekommen bist du von dem Pfad, nein, hier blüht keine weiße Traubenkirsche in der Einsamkeit der taufeuchten Wiesen. Die verfaulten Lilien weinen in dem Sand der Wege, Die Zeit tropft mit Blut langsam in das Moos, die Sternenwasserfälle glühen vor Schmerz, die verfaulten Lilien weinen in dem Sand der Wege und saugen aus dem Winde Trost. Ein verlassener Turm schlummert im Morast, die Glocken sind erstickt vor Gram, ich nehme dich an die Hand, wenn du magst. Ein verlassener Turm schlummert im Morast, und alle Türen sind zugesperrt. ***** (Die Passagen in [eckigen Klammern] mussten aus Zeitgründen gestrichen werden.) 12
© Copyright 2024 ExpyDoc