Manuskript Beitrag: Gift im Grubenwasser – Gefahr durch geflutete Bergwerke Sendung vom 5. Juli 2016 von Anna Neifer und Kersten Schüßler Anmoderation: Die Bergwerke in Nordrheinwestfalen und im Saarland sind mit PCB verseucht. Das Umweltgift gilt als krebserregend. Die Betreiber müssen solche Altlasten eigentlich entsorgen – und sind auch lange nach der Stilllegung des Bergbaus für die Risiken verantwortlich. Ewigkeitskosten nennt sich das. Der Konzern RAG, also die ehemalige Ruhrkohle AG, will das ewig teure Problem offenbar auf die billige Art lösen. Anna Neifer und Kersten Schüßler zeigen: Das aber könnte die Bürger auf ewig kosten - ihre Gesundheit. Text: Die Zeche Zollverein in Essen. Wie hier schufteten Kumpel jahrzehntelang unter Tage für den Wohlstand der Bundesrepublik. Die schweren Maschinen liefen mit Hydraulik-Ölen. Öle, die sich so auch in den Stollen ausbreiteten. In den Ölen war das Umweltgift PCB enthalten, polychlorierte Biphenyle. Mehr als 10.000 Tonnen PCB wurden allein in Nordrhein-Westfalen unter Tage eingesetzt. Und es soll größtenteils dort unten geblieben sein. Ein Gesundheitsrisiko. O-Ton Dirk Jansen, Sprecher BUND Nordrhein-Westfalen: PCB darf nicht in die Umwelt gelangen, es darf nicht freigesetzt werden. PCB ist nicht wasserlöslich, PCB wird angelagert an Sand, an Ton-Partikeln, gelangt so in die Umwelt, kann von Fischen aufgenommen werden gelangt in die Nahrungskette, kann dann auch in den menschlichen Organismus gelangen. Und PCB ist krebserregend, weshalb es weltweit geächtet ist. In den stillgelegten Stollen sammelt sich ständig Wasser an. Damit sich dieses Grubenwasser nicht mit dem Grundwasser unserer Trinkwasserquelle vermischt, müssen Betreiber wie die RAG es in die Flüsse abpumpen. Das ist vertraglich festgelegt. Doch solange das empor gepumpte Grubenwasser nicht gefiltert wird, gelangt auch das hochgiftige PCB in die Flüsse. Man riecht es nicht, man sieht es nicht. Doch es ist da. In kleinsten Mengen in den Fischen nachweisbar und eine schleichende Bedrohung, sagt Michael Möhlenkamp vom Fischereiverband Westfalen und Lippe e.V. O-Ton Michael Möhlenkamp, Geschäftsführer Fischereiverband Westfalen Lippe: Wenn wir hier von Tonnen PCB sprechen, die möglicherweise in unsere Gewässer gelangen, dann ist das auch eine ganz, ganz große Gefahr für unsere Gewässer. Bei der RAG wiegelt man ab. O-Ton Joachim Löchte, Leiter Umweltschutz RAG Deutsche Steinkohle: Natürlich haben wir auch, wenn wir im Bergbau PCB eingesetzt haben, Spuren von PCB im Grubenwasser. Das ist lange bekannt, das ist allen Verantwortlichen, den Ministerien, den Aufsichtsbehörden und auch der RAG bekannt. Wir sind aber alle gemeinsam zu der Entscheidung gekommen, dass von diesem Anteil keine Gefährdung ausgeht. Harald Friedrich hat sich jahrelang mit PCB beschäftigt, sitzt heute in einem Arbeitskreis der Landesregierung. Er warnt: Für die Einleitung von PCB-verseuchtem Grubenwasser gebe es keine rechtliche Grundlage. O-Ton Harald Friedrich, Büro für Umweltconsulting: Das derzeit Sekunde für Sekunde, Tausende von Kubikmeter Grubenwassern in die Lippe, in die Emscher, in die Ruhr und in den Rhein eingeleitet werden, ist ein absolut illegaler Tatbestand, weil dafür hat die Ruhrkohle keine Einleitgenehmigung. Damit nicht immer weiter immer mehr PCB in die Gewässer gelangen, versucht der zuständige Umweltminister nun Schadensbegrenzung. O-Ton Johannes Remmel, B‘90/GRÜNE, Umweltminister Nordrhein-Westfalen: Wir haben zurzeit gemeinsam mit dem Wirtschaftsminister ja per Erlass aufgefordert, dass der Grubenwasser-Anstieg nicht weitergeht, um die Teile der Bergwerke die noch zugänglich sind, offen zu halten, um gegebenenfalls hier das PCB, was vorhanden ist, rauszuholen. Remmels großer Koalitionspartner SPD ist mit der RAG eng verbunden. Im Kuratorium der RAG-Stiftung, die ab 2019 für alle Lasten haften soll, sitzt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Auch bei den Nachbarn an der Saar gibt sich die Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer die Ehre – genauso wie Bundesjustizminister Heiko Maas, der aus dem Saarland kommt. Dort erschüttert im Februar 2008 ein Erdbeben der Stärke vier die Region. Kirchtürme wanken, Häuser werden stark beschädigt. Folgen des Bergbaus. Mit dessen Ende 2012 will die RAG das Grubenwasser ansteigen lassen. Doch das Oberbergamt warnt. Trotzdem gehen die Pläne der RAG bis ganz nach oben. 4. September 2012. Alles ist arrangiert für den damaligen SPDWirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Heiko Maas. Die Flutung soll als Öko-Projekt verkauft werden, als „Grubenwassererhaltung - Erneuerbare Energien an der Saar“. Die Flutung ermögliche den Bau eines Pumpspeicherwerks und könne so zur Energiewende beitragen. Die RAG räumt dabei ein: „Die aktuelle Planung ist aus heutiger Sicht noch mit Restrisiken behaftet.“ Das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz hält die Flutung gar für „irreversibel“ und deshalb für nicht verantwortbar. Dennoch genehmigt das Bergamt der RAG im Frühjahr 2013 eine erste Flutung. Wie kann das sein? Die Frage beschäftigt inzwischen einen Untersuchungsausschuss - geleitet von Grünen-Fraktionschef Hubert Ulrich. Er vermutet Filz auf höchster Ebene. O-Ton Hubert Ulrich, B‘90/GRÜNE, Fraktionsvorsitzender Landtag Saarland: Der erste Schritt, die Hauptflutung die ist innerhalb weniger Wochen ohne Beteiligung der Öffentlichkeit gegen Widerspruch des Oberbergamtes und des Landesamtes für Umweltschutz durchgeführt worden, und dort vermute ich ganz stark, dass es Absprachen gab zwischen der RAGSpitze und der Ministeriums-Spitze, also, dem Minister. Ein schwerer Vorwurf, gerichtet an: Heiko Maas. Der hat bestritten, die Genehmigung persönlich vorangetrieben zu haben. Doch ein Vermerk vom 24. Januar 2013, der Frontal 21 exklusiv vorliegt, zeigt: Maas war der ranghöchste Regierungsvertreter bei der entscheidenden Sitzung. Anlass: Die Zulassung des sogenannten „Sonderbetriebsplans“ der RAG – also, das Projekt „Flutung“. Heiko Maas ist heute Bundesjustizminister in Berlin – eine der SPD-Hoffnungen im Kabinett. Wir treffen ihn auf einer Veranstaltung in Peine, fragen nach, wie es zur umstrittenen Entscheidung kam. O-Ton Heiko Maas, SPD, ehemaliger Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Energie Saarland: Die Genehmigung hat die zuständige Behörde erteilt und es sind alle Fragen im Vorfeld geklärt worden, auch über Gutachten, dass es keine Gesundheitsgefährdung gibt und insofern ist diese Bewilligung, die es damals gegeben hat, völlig rechtsfehlerfrei gewesen. Rechtsfehlerfrei. Angesichts der Risiken durch PCB-verseuchtes Grubenwasser klingt das für Harald Friedrich zynisch. O-Ton Harald Friedrich, Büro für Umweltconsulting: Das Verbleiben von 12.000 Tonnen hochgiftigen Ultragiftes PCB unter Tage ist bestimmt einer der größten Umweltskandale, die diese Republik gesehen hat. Unterdessen fließt das PCB-verseuchte Grubenwasser weiter in die Flüsse. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
© Copyright 2024 ExpyDoc