wochenende - Neue Zürcher Zeitung

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WOCHENENDE
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Sonntag, 14. September 1969
Nr. 564 (Ferntungabc Nr. 255)
S7
Zur Zelt des Autovcrbotcs In Graubanden mußten e
d i Autos ib e abgestelltem Motor mit Plerdevortpann über die bündncrlschen Straßen geschleppt werden.
Der Kampf um das Automobil
in Graubünden
Ib. Am 21. Juni 1925 brach in Graubüntlon endgültig das Zeitalter der Motorisierung c\n: In einer Volksabstimmung hießen die
3 ß Ja gegen 10 271 Nein ein Gesetz über die
Bündner mit
Zulassung dos Automobilverkohrs in ihrem Kanton gut. Erste
Bekanntschaft mit den motorisierten Vehikeln hatte man allerdings im Bündnerland schon ein Viertoijahrhundert früher gemacht, wobei behördlicherseits zunächst einige Unsicherheit geherrscht hatte, wie man sich dem neuen Verkehrsmittel gegenüber verhalten sollte. Ein Automobil, das 1899 in Chur und auf
den Straßen des Oberlandes auftauchte, erregte beispielsweise
wegen seiner «straßenpolizeiwidrigen» roten Farbe amtlichen
Unwillen. Bald aber häuften sich Klagen über «Automobilmaschinen» jeglicher Farbe, die Menschen und Pferde in Schrecken versetzten, wenn sie unvermittelt auf einer schmalen, an Abgründen
entlangführenden Straße dahergerattert kamen. Der Kleine Rdt
beschloß daher am 17. August 1900 kurzerhand: Das Fahren mit
Automobilen auf sämtlichen Straßen des Kantons Graubünden
ist verboten.»
Die Folgen dieses Verbotes und die ein Vierteljahrhundert
dauernde Auseinandersetzung um den Automobilverkehr In GrauF e l i Malssen, die von der
bünden sind in einer Schrift von d
Sektion Graubünden dos Automobilklubs der Schweiz herausgegeben worden ist, eingehend dargestellt." Das mit Federzeichnungen von W. Hausamann und Reproduktionen von Dokumenten des Automobilkampfes illustrierte, von rd e Buchdruckerei
Davos AG sorgfältig gestaltete und gediegen ausgestattete Werk
enthält zahlreiche Zitate aus denkwürdigen parlamentarischen
Debatten, schildert die von Befürwortern und Gegnern des Automobils in nicht weniger als zehn Abstimmungskämpfen vorgebrachten Argumente und bringt Reminiszenzen von Bündner
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Fallet Malisan, D«r Kampf um da» Automobil in GraubUnden
ausgegeben von dar ACS-Scktlon GraubUndao.
Ein Abslimmungaplakat aus dem Jahre 1925.
1900 her-
Autopionioren wie auch eine Reihe von Anekdoten aus der
automobllistticboh Frühzeit Graubündens. Man mag bei der
Lektüre lachen oder den Kopf schütteln über den heroischen
Kampf der Bündner wider den technischen Fortschritt
aber
anderseits kann man heute gewiß auch ein klein wenig Verständnis aufbringen für jene, dio das Auto als eine Landplage
betrachteten, vor der sie ihren Kanton verschonen wollten.
Die Bündner Regierung vorschloß sich in den Jahren nach
der Jahrhundertwende den praktischen Vorteilen des Automobils
nicht und lockerte da und dort das Autoverbot durch Erteilung
von Sonderbewilligungen für den Lastwagenverkehr auf bestimmHöchstgeschwindigkeit wurde dabei
e
ten Strecken. Die zulässig
festgesetzt.
also 12 km/h
auf «5 Minuten per Kilometer»
Großzügig zeigte sich rd e Kleine Rat einem Touristen gegenüber,
der 1907 mit dem Automobil von Cortina nach St. Moritz reisen
wollte' und telegraphisch ürri "tiie"4T)ewilHgimg ersuchfe,-. den
Wagen mit Pferden von Tirano ins Engadin ziehen zu lassen:
der «Durchpaß Automobil mit Pferden wurde gestattet.
Die Aufhebung des Automobilverbotes und eine beschränkte
Zulassung von Motorfahrzeugen auf Bündner Straßon schienen sien
aufzudrängen. Der Große Rat erließ im Herbst 1906 eine entsprechende Verordnung. Der Erlaß war, da man ihn wohlweislich
nicht einer Volksabstimmung aussetzen wollte, nicht in die Form
eines Gesetzes geklnidet worden: aber mit einer Volkslnillallve
wurde die Volksabstimmung dennoch erzwungen. Am 13. Oktober 1907 hatte sich der Bündner Souverän zum erstenmal mit einer
Automobilvorlage zu befassen
sie ging bachab. Regierung und
Großer Rat aber suchten einige Zeit darauf eine neue Lösung
Automobilproblem,
mit dem Ergebnis, daß von Zizers aus
für das
eine Volksinitiative auf ein absolutes gesetzliches Automobilverbot lanciert wurde. Wer die Ortsdurchfahrt von Zizers kennt,
wird sich nicht wundern, daß man hier besonders automoblifelndlich eingestellt war. Die Volksinitiative wurde am 5. März 1911
mit überwältigendem Mehr angenommen.
Der damit ausgesprochene Bann gegen das Automobil blieb
im Prinzip bis 1923 in Kraft: erst in diesem Jahr stimmte das
Bündnervolk einem Gesetz über die probeweise Oeffnung einer
Aulounlall um
Durchfahrtsstraße zu, nachdem vorher drei andere kantonale
AuloVnobilvorlagen in den n
J a h r e 1920 bis 1922 keine Gnade gefunden hatten. Immerhin hatten die Bündner während der Kriogijahro das Automobil dulden müssen: die schweizerische Armee
war mit ihren Motorfahrzeugen ohne nach Verboten zu fragen
ins Bündnerland eingedrungen, und der Bundesrat hatte kraft
seiner kriegswirtschaftlichen Vollmachten eine teilweise Aufhebung des Automobilverbots verfügt, da man angesichts des zunehmenden Pferdemangels auf die Benützung von Lastautomobilen für die Versorgung dos Landes angewiesen war.
Nach dem ersten automobilistischen Abstimmungserfolg von
1923 brachte der 18. Januar 1925 mit der Ablehnung eines neuen,
verbesserten Automobilgesetzes einen letzten Rückschlag. Doch
eine Volksinitiativc, diesmal für das Automobil, führte im gleichen Jahr zu einer zweiten Volksabstimmung, mit der dem
Kampf um das Automobil schließlich ein Ende gesetzt wurdei
Ein Guerillakampf gegen die Automobilisten dauerte allerdings
noch eine Zeitlang an, wie etwa Dr. mecl. Rudolf Campcll aus
Pontresina zu berichten weiß, der in Zürich nach sechs Fahrstunden den Führerschein erhalten hatte und im Mai 1926 einen
neu erworbenen Wagen in sein Heimatdorf fuhr, wo er mit verbeulter Karosserie anlangte: eine der Beulen stammte von einem
Steinhagel, mit dein der motorisierte Arzt bei der Durchfahrt in
Lenz bedacht worden war: die andern Blechschäden waren allerdings vorwiegend auf mangelnde Erfahrung in der Bedienung
des Rückwärtsganges zurückzuführen.
Graubünden geriet bald nach der Oeffnung seiner Straßen in
den Ruf einer wahren Autofalle, da gewisse Dorfpolizisten mit
großem Eifer darauf aus waren, Autofahrer wegen zu hoher Geschwindigkeit zu büßen. Zwar waren selbstverständlich noch
keine Radaranlagen zur Geschwindigkeitskontrolle im Gebrauch,
und auch die Verwendung von Stoppuhren wurde meist als überflüssig betrachtet. Der Dorfpolizist von Zizers aber, rd e sich nicht
auf sein Schätzungsvermögen verlassen wollte, soll sich damit
beholfen haben, daß er seinen Hansli den durchfahrenden Automobilen nachrennen ließ. War das Auto schneller als rd e Knabe,
so hatte der Automobilist eine Buße zu bezahlen.
1027 am
Neue Zürcher Zeitung vom 14.09.1969
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