Michael Conty & Uwe Mletzko Erste Bewertung des Gesetzentwurfs zum Bundesteilhabesetz (BTHG) – mögliche Konsequenzen für Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie „Alles neu macht der Mai – Veränderung und Innovation“ Bundeskongress für Führungskräfte Bergisch Gladbach, 29. bis 31. Mai 2016 RefE Am 26.04.2016 ist der Referentenentwurf zum BTHG veröffentlicht worden. Er ist eine Fortschreibung des Arbeitsentwurfs vom 18.12.2015, der noch unvollständig und fehlerhaft war und vor Abschluss der BMAS-internen Abstimmungen bekannt wurde. Frist zur Stellungnahme zum 369 Seiten starken Entwurf war der 18. Mai 2016. Der BeB ist beteiligt an der gemeinsamen Stellungnahme der Fachverbände und an der gemeinsamen Stellungnahme mit der Diakonie Deutschland. Die Anhörung der Verbände erfolgte am 24. Mai 2016. Möglichkeiten für eine „Veredelung“ des danach überarbeiteten RefE zu einem Regierungsentwurf im Kabinett bestehen voraussichtlich im Juni/Juli 2016. Das parlamentarische Verfahren (Bundestag und Bundesrat) ist ab Mitte September 2016 geplant und wird bis in den Winter dauern. Regierung Koalitionsvereinbarung für die 18. Legislaturperiode (CDU/CSU und SPD) „Wir werden ein Bundesleistungsgesetz für Menschen mit Behinderung (Bundesteilhabegesetz) erarbeiten. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes wird der Bund zu einer Entlastung der Kommunen bei der Eingliederungshilfe beitragen. Dabei werden wir die Neuorganisation der Ausgestaltung der Teilhabe zugunsten der Menschen mit Behinderung so regeln, dass keine neue Ausgabendynamik entsteht.“ „Wir wollen die Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft haben, aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ herausführen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickeln. Die Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf orientieren und entsprechend eines bundeseinheitlichen Verfahrens personenbezogen ermittelt werden. Leistungen sollen nicht länger institutionenzentriert, sondern personenzentriert bereit gestellt werden. Wir werden das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention berücksichtigen … “ BTHG: Zehn Ziele … (1) Folgende zehn Ziele sollen im Lichte der UN-BRK verwirklicht werden: Dem neuen gesellschaftlichen Verständnis einer inklusiven Gesellschaft soll durch einen neu gefassten Behinderungsbegriff Rechnung getragen werden. Leistungen sollen wie aus einer Hand erbracht und zeitintensive Zuständigkeitskonflikte der Träger untereinander sowie Doppelbegutachtungen zulasten der Menschen mit Behinderungen vermieden werden. Die Position der Menschen mit Behinderungen im Verhältnis zu den Rehabilitationsträgern und den Leistungserbringern soll durch eine ergänzende unabhängige Teilhabeberatung gestärkt werden. Die Anreize zur Aufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sollen auf persönlicher und institutioneller Ebene verbessert werden. Die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung sollen unter Berücksichtigung des Sozialraumes bei den Leistungen zur sozialen Teilhabe gestärkt werden. BTHG: Zehn Ziele … (2) Die Zusammenarbeit der unter dem Dach der BAR befindlichen Rehabilitationsträger und die Transparenz des Rehabilitationsgeschehens sollen verbessert werden. Gleichzeitig soll die Steuerungsfähigkeit der Eingliederungshilfe verbessert werden, um keine neue Ausgabendynamik entstehen zu lassen und den insbesondere demographisch bedingten Ausgabenanstieg in der Eingliederungshilfe zu bremsen. Im SGB II und im SGB VI sollen präventive Maßnahmen ergriffen und neue Wege erprobt werden, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit (drohenden) Behinderungen zu erhalten und so Übergänge in die Eingliederungshilfe zu reduzieren. Im Schwerbehindertenrecht soll das ehrenamtliche Engagement der Schwerbehindertenvertretungen gestärkt, sollen Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen verbessert und sollen die besonders schweren Beeinträchtigungen von taubblinden Menschen berücksichtigt werden Beurteilung (1) Wir müssen uns über die Maßstäbe für den RefE und seine Beurteilung verständigen: … „es hätte schlimmer kommen können“ reicht nicht! Fortschritt – Rückschritt ? Bietet der RefE einen Einstieg in den Paradigmenwechsel? Bringt der RefE Schritte in die richtige Richtung? Begünstigt der RefE eine nachhaltig sinnvolle Entwicklung des Hilfesystems? Beurteilung (2) Beurteilungsmaßstäbe und Indikatoren UN-BRK Statussicherung und/oder Verbesserungen für Menschen mit Behinderung (Rechtsposition, Wunsch- und Wahlrecht, bedarfsdeckende Leistungen, Nachteilsausgleich …) Offenheit für fachliche Weiterentwcklung ( Inklusion) Gleiche Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderung in Deutschland Logik des sozialrechtlichen Dreiecks und Fürsorgeprinzipien (Bedarfsdeckung, Individualisierung, Wunsch- und Wahlrechte, Entwicklungsoffenheit und Anpassungsfähigkeit der Eingliederungshilfe „offener Leistungskatalog“, keine Ausschreibung) Gesicherte Rahmenbedingungen für Dienste und Einrichtungen der EGH (Achtung ihrer Vielfalt, Unabhängigkeit und Selbständigkeit, wirtschaftlich auskömmliche und zukunftsorientierte Gestaltungsmöglichkeiten) Beurteilung (3) Der BeB begrüßt grundsätzlich den mit dem Gesetz geplanten „Systemwechsel“, mit dem die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herausgenommen und zu einem Leistungsrecht innerhalb des SGB IX wird. Dies ist nach der UN-BRK notwendig. Beurteilung (3) Der BeB begrüßt grundsätzlich den mit dem Gesetz geplanten „Systemwechsel“, mit dem die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herausgenommen und zu einem Leistungsrecht innerhalb des SGB IX wird. Dies ist nach der UN-BRK notwendig. Der Referentenentwurf begegnet allerdings nachhaltigen Einwänden des BeB. Er wird den hohen Erwartungen nicht gerecht. In einigen Regelungsbereichen zeichnen sich tragbare Lösungen ab, in anderen zeigt sich noch erheblicher Nachbesserungsbedarf. Der BeB beteiligt sich wie die Diakonie Deutschland weiter ernsthaft an der Auseinandersetzung um das BTHG und seine Verbesserung. Ein „Ausstieg“ aus der Diskussion ist weder sinnvoll noch möglich. Der RefE hat Potential und kann sich nach der Umsetzung verschiedener Änderungen zu einem guten Bundesteilhabegesetz entwickeln. Regelungsbereiche 1. Teil: Allgemeine Regelungen im SGB IX 2. Teil: Neue Eingliederungshilfe (EGH) im SGB IX 3. Teil: Schwerbehindertenrecht im SGB IX Wichtige weitere Bereiche: Grundsicherung im SGB XII Pflege im SGB XI (PSG III zeitgleich mit BTHG) Hilfe zur Pflege im SGB XII Weitere Anpassungen in zahlenreichen Gesetzbüchern 12 „big points…“ 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. Allgemeine Regelungen (Behinderungsbegriff, Personenkreis, Lebensbereiche) Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger Beratung Bedarfsermittlung und -feststellung, Teilhabeplanung/Gesamtplan Wunsch- und Wahlrecht Frühförderung Teilhabe am Arbeitsleben / Teilhabeausschluss von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf Soziale Teilhabe / Gesundheitsbezogene Leistungen Pflege (Schnittstelle SGB XI / Hilfe zur Pflege) Poolen und Pauschalierung Trennung von Fachleistungen und Existenzsichernde Leistungen Vertragsrecht / Prüfung / Kürzung / Wirkungs-/Wirksamkeitskontrolle Behinderungsbegriff Der allgemeine Behinderungsbegriff muss die „volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe“ umfassen ( §2,§90 Abs. 1). … und Möglichkeiten zur Teilhabe sind nicht nur zu fördern, sondern in Übereinstimmung mit der UN-BRK tatsächlich herzustellen und zu gewährleisten. Alle neun ICF-Aktivitäts- und Teilhabebereiche (= Lebensbereiche) werden vollständig abgebildet. Das ist eine echte Errungenschaft. Die zweite Stufe des Behinderungsbegriffs mit der neuen Wesentlichkeitsschwelle (§99 SGB IX RefE - „erheblichen Teilhabeeinschränkung“) schließt einen wesentlichen Teil der heute leistungsberechtigten Personen vom Zugang zu den Leistungen aus. Dabei handelt es sich um Personen, die einen personellen oder technischen Hilfebedarf in zwei bis vier Lebensbereichen haben. Dies ist nicht zustimmungsfähig. Die Ermittlung des individuellen Bedarfs mit an der ICF orientierten Instrumenten unter Berücksichtigung der Wünsche der Leistungsberechtigten wird begrüßt. Koordination und Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger Die Klärung der Zuständigkeit ist verbessert und „verschärft“, wenn auch auf den ersten Blick sehr kompliziert. Bei Kritik im Detail kann den Regelungen weitgehend zugestimmt werden. Positiv ist insbesondere die Zusammenführung der Zuständigkeit ggü. dem Leistungsberechtigten bei einem Sozialleistungsträger und das Fristensystem. Der Ausschluss der Träger der Eingliederungshilfe von der Erstattungspflicht bei selbstbeschaffter Leistung entstammt offensichtlich der SozialhilfeTradition und ist nicht nachzuvollziehen. Er wird abgelehnt. Die Verfahrensregelungen im SGB IX Teil 1, 3. - 5. Kapitel, können nur dann positiv bewertet werden, wenn die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger so ausgestaltet wird, dass die Eingliederungshilfeträger in die Kooperationsverpflichtungen der Sozialleistungsträger einbezogen werden (keine eindeutige Einbindung in die BAR-Zusammenhänge). Teilhabeberatung Die Einführung der „ergänzenden Teilhabeberatung“ zur Stärkung der Leistungsberechtigten wird grundsätzlich begrüßt. Allerdings ist nicht zu entnehmen, inwieweit eine flächendeckende und qualitativ befriedigende Ausgestaltung gelingt, die aus Sicht des BeB notwendig ist. Weiterhin muss auf Wunsch unbedingt eine persönliche Begleitung im Bedarfsermittlungs- und Bedarfsfeststellungsprozess möglich sein. Die Regelung bleibt hinter der Forderung auf einen Rechtsanspruchs auf unabhängige Beratung zurück. Der Befristung bis Ende 2022 kann keinesfalls zugestimmt werden. Bedarfsermittlung Die Regelungen zur Bedarfsermittlung und –feststellung entsprechen im Wesentlichen den Vorschlägen der Fachverbände. Der BeB begrüßt die Regelungen im RefE. Die ursprünglich noch bestehenden Harmonisierungserfordernisse zwischen der Teilhabeplanung (auf der Ebene aller Sozialleistungsträger – 1. Teil SGB IX) und der Gesamtplanung im Leistungsrecht der EGH (2. Teil SGB IX) sind weitgehend ausgeräumt. Der RefE gibt ein bundesweit einheitliches, abweichungsfestes Verfahren vor. Allerdings bleibt die Festlegung der Instrumente (mit bundesweit einheitlichen Vorgaben: ICF-Orientierung, alle (!) Lebensbereiche) in der Verantwortung der Länder. Teilhabe-/Gesamtplan Um dem Teilhabe-/Gesamtplan die ihm zukommende Bedeutung zu verschaffen, muss er Bestandteil des Leistungsbescheides (Verwaltungsakt) werden. Der Wunsch auf die Durchführung einer Teilhabekonferenz kann abgelehnt werden, wenn der maßgebliche Sachverhalt schriftlich ermittelt werden kann oder der Aufwand nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der beantragten Leistungen steht. Das Recht der Leistungsberechtigten, die Durchführung einer Teilhabekonferenz durchzusetzen, muss stärker ausgeprägt sein. Insbesondere die Verpflichtung des leistenden Rehabilitationsträgers, den Bedarf auch über die beantragte Leistung hinaus feststellen zu müssen und die Leistungserbringung zu verantworten, wird ausdrücklich begrüßt. Zielvereinbarungen sind möglich/freiwillig, aber kein verpflichtendes Instrument. Wunsch- und Wahlrecht Das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderung (§ 104 Abs. 2 SGB IX RefE) wird als Anspruch auf Leistungen definiert, die die Kosten für vergleichbare Leistungen nicht unangemessen übersteigen und mit denen Bedarfsdeckung erreicht werden kann. Die von den Fachverbänden angemahnte Prüfkaskade ist jetzt wie im bestehenden Recht wieder aufgenommen: es ist zunächst immer die Zumutbarkeit einer Leistung zu prüfen, ehe ein Kostenvergleich angestellt wird. (Ist eine Leistungsgestaltung nicht zumutbar, entfällt die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung.) Da der Maßstab der Vergleichbarkeit der Leistung unterschiedlich ausgelegt werden kann, ist zudem eine Klarstellung in folgendem Sinn notwendig: Eine Leistung ist nur dann mit einer anderen vergleichbar, wenn beide neben dem Ziel auch in der Form der Leistungserbringung miteinander übereinstimmen. Insbesondere Einzel- und Gruppenleistungen sind deshalb keine vergleichbaren Leistungen. Frühförderung Seit dem Inkrafttreten des SGB IX ist die Umsetzung der Frühförderung als Komplexleistung problematisch. Die im SGB IX Teil 1 und in der Frühförderungsverordnung vorgesehenen Regelungen erscheinen weitgehend geeignet, einen Teil der Probleme zu lösen. Konfliktlösungsmechanismen (insbesondere die Bildung von Pauschalen) sind allerdings nicht bzw. nicht befriedigend geregelt. Diesbezüglich bedarf es ergänzender Regelungen. Nicht befürwortet wird eine grundsätzliche länderspezifische Abweichungsmöglichkeit. Teilhabe am Arbeitsleben (1) Die Regelungen zu einem bundesweiten Budget für Arbeit erhöhen die Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung bei der Teilhabe am Arbeitsleben. In der gesetzlichen Regelung wird als Bezugsgröße für den Lohnkostenzuschuss der regelhaft gezahlte Lohn des Arbeitgebers gewählt, allerdings wird dieser Betrag in Höhe ca. 1.100 € gedeckelt (40% der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV ). Andere Leistungsanbieter können eine sinnvolle Ergänzung der rehabilitativen Beschäftigungsszene werden. Die Ausgestaltung muss aufmerksam begleitet werden, damit Menschen mit Behinderung wirklich frei wählen können, wo sie arbeiten wollen. Problemprävention ist notwendig für „Creaming-Effekte“ und gegen „Ausbeutung“. Die Fortschreibung der Voraussetzung eines Mindestmaßes wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung grenzt weiterhin Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf von der Teilhabe am Arbeitsleben aus. Insbesondere der Ausschluss dieser Personen vom Berufsbildungsbereich negiert, dass auch bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf Ressourcen und Potenziale für die Teilhabe am Arbeitsleben bestehen und sich entwickeln können. Teilhabe am Arbeitsleben (2) Der Wegfall der Anrechnung des Arbeitsentgelts auf das Arbeitsförderungsgeld wird begrüßt (Verbesserung für Personen mit mehr als 325 € Werkstattentgelt). Die Regelungen im Bereich der Werkstätten sind weitgehend unverändert. Die Stärkung der Mitbestimmung in den Werkstätten und die Einführung einer Frauenbeauftragten werden begrüßt. Soziale Teilhabe Die Leistungen zur Sozialen Teilhabe sind als offener Katalog ausgestaltet, bei dem allerdings derzeit noch nicht hinreichend klar ist, inwieweit bisher gewährte Leistungen zu den neuen Leistungsgruppen zugeordnet werden können. Wichtige Bereiche wie beispielsweise Freizeit werden im Gesetzestext an dieser Stelle nicht explizit angesprochen. Stattdessen kommt dem geplanten neuen Leistungstatbestand der „Assistenzleistungen“ eine besondere Bedeutung zu. Die bisherige Formulierung der Norm ist jedoch an vielen Stellen zu unbestimmt und unklar, so dass Konflikte in der Praxis zu erwarten sind. Insbesondere ist zu befürchten, dass dadurch die Unterstützung in zentralen Lebensbereichen wie beispielsweise bei der Lebensführung im eigenen Haushalt/ Tagesstrukturierung (auch im Seniorenalter), der Gesundheitssorge, der Freizeitgestaltung, beim Ehrenamt und im Urlaub nicht ausreichend rechtssicher verankert wird. Darüber hinaus soll die Unterstützung der Leistungsberechtigten, insbesondere im Bereich der Mobilität, zentral für die soziale und gesellschaftliche Teilhabe, und im Bereich des ehrenamtlichen Engagements nach dem Referentenentwurf sehr restriktiv ausgestaltet werden. Gesundheitsbezogene Teilhabeleistungen Notwendige gesundheitsbezogene Teilhabeleistungen, die die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sichern und ergänzen, sind noch nicht befriedigend berücksichtigt. So wurden die nachgehenden Hilfen zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen nach §54 Abs.1 Nr. 5 SGB XII im RefE nicht als Bestandteil der Sozialen Rehabilitation/Teilhabe aufgenommen. Die umfassend gestalteten Regelungen zu den Leistungen der Medizinischen Rehabilitation in den §§ 90 Abs. 2 und 109 f. SGB IX RefE berücksichtigen nicht, dass die Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation durch das Leistungserbringungsrecht - von der Rechtsprechung bestätigt - eng auf das Spektrum der GKV begrenzt sind und daher nicht über das Recht der Eingliederungshilfe anders bzw. ergänzend ausgestaltet werden können. Im Vergleich zur jetzigen Rechtslage ist daher von Leistungslücken auszugehen, wenn Leistungen, die im Zusammenhang mit gesundheitlicher Sorge erbracht werden müssen, nicht bzw. nicht mehr im Leistungsrecht der Eingliederungshilfe vorgesehen sind (§102 Abs.2 SGB IX-RefE). Schnittstelle Pflege Die Schnittstelle zur Pflegeversicherung (§ 91 SGB IX RefE) wird – im Gegensatz zu §13 Abs. 3 S. 3 SGB XI des geltenden Rechts (Gleichrangigkeit) – für den ambulanten Bereich als Vorrang-Nachrang-Verhältnis formuliert. SGB XILeistungen und Leistungen der Hilfe zur Pflege sollen im häuslichen Bereich den Leistungen der EGH vorgehen, es sei denn, die Leistungen der EGH stehen im Vordergrund. Darüber hinaus bleibt die Schnittstelle zur Hilfe zur Pflege für den jetzigen stationären Bereich unverändert. §43a SGB XI soll fortbestehen. Notwendige Leistungen sollen im Rahmen der EGH erbracht werden. Das erste ist nicht akzeptabel, das zweite enttäuschend. Pauschalierung und Poolen Es wird ausdrücklich begrüßt, dass die Auskehrung von Leistungen als Pauschale Geldleistungen nur mit Zustimmung des Leistungsberechtigten (§ 116 Abs. 1 SGB IX RefE) erfolgen kann. Das sogenannte Poolen von Leistungen darf aus Sicht der Fachverbände nur mit Einverständnis des Leistungsberechtigten erfolgen; die Regelung des §116 Abs. 2 SGB IX RefE, die eine Zumutbarkeitsregelung einführt (z.B. für Assistenz, Heilpädagogik, Erwerb und Erhalt praktischer Fähigkeiten und Kenntnisse), ist zwar besser als ein unmittelbarer „Durchgriff“ des Eingliederungshilfeträgers, aber sinnvolles Poolen kann und muss zukünftig mit den Leistungsberechtigten vereinbart werden. Trennung von Leistungen Die geplante Trennung der Leistungen in existenzsichernde Leistungen und Teilhabeleistungen bedeutet eine massive Änderung der bisherigen Systematik. Es muss sichergestellt sein, dass die Kosten des Lebensunterhalts und die Kosten der notwendigen Alltagsassistenz weiterhin umfassend finanziert werden – unabhängig vom Lebensort. Für Menschen, die in Einrichtungen der Eingliederungshilfe wohnen, entfällt der Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Ohne einen solchen Betrag wären die Möglichkeiten von Menschen mit Behinderung zur selbstbestimmten Lebensführung und Teilhabe massiv eingeschränkt. Die Regelungen, insbesondere zur Miethöhe, bedürfen der Anschlussfähigkeit an die bisherigen Regelungen zur Finanzierung der Unterkunft in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und an die bisherigen Anforderungen der Sozialhilfeträger bzw. an die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben. Die vorgesehene starre Grenze von maximal 25% über den örtlich als angemessen ermittelten Aufwendungen für die Unterkunft spiegelt die Wirklichkeit der notwendigen Aufwendungen zur Bedarfsdeckung nicht wider und ist nicht anschlussfähig an die bisherige Leistungsgestaltung. Vernünftige Umstellung Es muss für den Übergang vom bestehenden in ein neues System der Finanzierung eine plausible Schrittfolge entwickelt werden, die sowohl für Leistungsträger wie für Leistungserbringer sicherstellt, dass in wirtschaftlicher Hinsicht ein tragfähiger Übergang gesichert ist und die Leistungen gegenüber den Leistungsberechtigten in Art, Umfang und Qualität keinen Schaden nehmen ( evaluierte Implementationsstrategie). Die Aufteilung auf zukünftig mindestens zwei Leistungsträger (Grundsicherung und Teilhabe) ist dabei die größte Herausforderung. Zur Zeit ist nicht erkennbar, wie die Aufteilung praxistauglich für die ca. 200.000 Heimbewohner/innen in stationären Einrichtungen geleistet werden kann. Mindestens wird eine evaluierte Erprobung mit einer größeren Zahl von Beispieleinrichtungen nötig, die ihre Zeit braucht. (Hierzu bieten BeB und Diakonie ihre Mitwirkung an.) Deshalb treten wir dafür ein, den Übergangszeitraum deutlich zu verlängern. Ein zweijähriges Moratorium hinsichtlich notwendiger Entgeltsteigerungen im Übergangszeitraum kann nicht hingenommen werden. Einkommen und Vermögen Bei der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe muss sichergestellt sein, dass die Teilhabeleistungen als individueller Nachteilsausgleich ausgestaltet werden. Dies wird (noch) nicht erreicht. Die neue Gestaltung der Heranziehung als „Beitrag“ auf der Basis der Einkünfte nach Einkommensteuergesetz bzw. Renten ist ein erster Schritt in Richtung auf einen Nachteilsausgleich. Die schrittweise Erhöhung der Einkommens- und Vermögensgrenzen wird begrüßt. Menschen mit Behinderungen, die neben den Fachleistungen der Eingliederungshilfe bzw. der Hilfe zur Pflege auch Grundsicherung beziehen, profitieren allerdings in keiner Weise von den Neuregelungen. Bei ihnen gilt eine Vermögensgrenze von 2.600 Euro (seit 2001 nicht mehr angepasst) fort, die schon dem Ansparen für Einrichtungsgegenstände oder Urlaubsreisen im Wege stehen kann. Daher ist hier zumindest eine Anhebung auf die Sätze des SGB II vorzusehen. Leistungserbringerrecht (1) Die (Wieder-)Einführung einer Schiedsstellenfähigkeit der Leistungsvereinbarung und die Beibehaltung der Schiedsstellenfähigkeit der Vergütungsvereinbarung ist zu begrüßen. Sie ist notwendig, um in einem stärker auf Kontrolle durch die Eingliederungshilfeträger ausgestalteten Vertragsrecht die Bedarfsdeckung für unterschiedliche Bedarfslagen sicherzustellen. Der ausnahmslos anzuwendende externe Vergleich für die Vergütung im unteren Drittel führt zu einer Abwärtsspirale der Vergütung (§ 119 Abs. 3 SGB IX ArbE), die für die Leistungsberechtigten nachteilig ist und zudem der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Beträge oberhalb des unteren Drittels sind nicht ausgeschlossen) widerspricht. Die Berücksichtigung tariflich vereinbarter Vergütungen als wirtschaftlich ist zu begrüßen, ergibt aber nur Sinn, wenn sich dadurch der durch den externen Vergleich ermittelte Betrag erhöht. Die Einführung des externen Vergleichs kann zudem zu einer deutlichen Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts führen. Leistungserbringerrecht (2) Die Einführung eines gesetzlichen (statt wie bisher vertraglichen) Prüfungsrechts wird sehr kritisch gesehen. „Soweit tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass ein Leistungserbringer seine vertraglichen oder gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt…“ muss nach dem RefE geprüft werden. Mindestens muss es in das Ermessen des Leistungsträgers gestellt werden, ob eine Prüfung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit und Qualität einschließlich der Wirksamkeit der Leistungen im Verhältnis zu den möglicherweise gegebenen Anhaltspunkten angemessen ist. Grundsätzlich als einer der Willkür Tür und Tor öffnende Regelung muss die Möglichkeit, von der o.a. Einschränkung nach Landesrecht abzuweichen, gestrichen werden (§128 Abs.1 SGB IX RefE). Die Voraussetzungen für die Durchführung müssen bundeseinheitlich im Sinne des Art. 12 GG konkretisiert werden. Hier ist die besondere Aufmerksamkeit der Ligen auf Landesebene notwendig, da hier in den Landesrahmenverträgen Ausgestaltungsregelungen getroffen werden. Leistungserbringerrecht (3) Bei den Bestimmungen zur Kürzung der Leistungsentgelte (§129 SGB IX RefE) als „minderschwere Maßnahme bei Vertragsverletzungen“ kommt es darauf an, dass tatsächliche Abweichungen bei der Leistungserbringung dem Leistungserbringer zuzurechnen sind. Insgesamt ist die Bestimmung fragwürdig. Elemente des Vergaberechts werden nicht eingeführt. (Achtung: §126 Abs.1 S.3 SGB IX RefE streichen?) „Experimentierklausel“: Mit §132 SGB IX RefE wird die Möglichkeit eröffnet, dass Zielvereinbarungen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern zur Weiterentwicklung der bestehenden Leistungs- und Finanzierungsstrukturen abgeschlossen werden. Dabei bleiben die individuellen Leistungsansprüche der Leistungsberechtigten unberührt. Eine Verknüpfung mit Leistungen der Hilfe zur Pflege ist nicht zulässig. Örtliche Zuständigkeit In § 89 SGB IX RefE werden neue Überlegungen zur örtlichen Zuständigkeit eingeführt. Nach dem RefE soll zukünftig wie bisher der Leistungsträger zuständig sein, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Allerdings wird die Zuständigkeit bei einer Leistung außerhalb seines Bereichs auf zwei Jahre begrenzt. Die Wirkung dieser Vorschrift muss noch abgeschätzt werden. Finanzierung (Bund) 32 Finanzierung (Länder) 33 Danke für Ihr Mitdenken! Michael Conty & Uwe Mletzko Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V. (BeB). Geschäftsstelle Invalidenstraße 29, 10115 Berlin Postfach 330220, 14172 Berlin 030/83001-270 [email protected] www.beb-ev.de
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