PDF-Datei - Bundesverband evangelische Behindertenhilfe eV

Michael Conty & Uwe Mletzko
Erste Bewertung des Gesetzentwurfs
zum Bundesteilhabesetz (BTHG) –
mögliche Konsequenzen für
Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie
„Alles neu macht der Mai – Veränderung und Innovation“
Bundeskongress für Führungskräfte
Bergisch Gladbach, 29. bis 31. Mai 2016
RefE
Am 26.04.2016 ist der Referentenentwurf zum BTHG veröffentlicht worden.
Er ist eine Fortschreibung des Arbeitsentwurfs vom 18.12.2015, der noch
unvollständig und fehlerhaft war und vor Abschluss der BMAS-internen
Abstimmungen bekannt wurde.
Frist zur Stellungnahme zum 369 Seiten starken Entwurf war der 18. Mai 2016. Der
BeB ist beteiligt an der gemeinsamen Stellungnahme der Fachverbände und an der
gemeinsamen Stellungnahme mit der Diakonie Deutschland.
Die Anhörung der Verbände erfolgte am 24. Mai 2016.
Möglichkeiten für eine „Veredelung“ des danach überarbeiteten RefE zu einem
Regierungsentwurf im Kabinett bestehen voraussichtlich im Juni/Juli 2016.
Das parlamentarische Verfahren (Bundestag und Bundesrat) ist ab Mitte September
2016 geplant und wird bis in den Winter dauern.
Regierung
Koalitionsvereinbarung für die 18. Legislaturperiode (CDU/CSU und SPD)
„Wir werden ein Bundesleistungsgesetz für Menschen mit Behinderung
(Bundesteilhabegesetz) erarbeiten. Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes wird der
Bund zu einer Entlastung der Kommunen bei der Eingliederungshilfe
beitragen. Dabei werden wir die Neuorganisation der Ausgestaltung der
Teilhabe zugunsten der Menschen mit Behinderung so regeln, dass keine neue
Ausgabendynamik entsteht.“
„Wir wollen die Menschen, die aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur
eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
haben, aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ herausführen und die
Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickeln. Die
Leistungen sollen sich am persönlichen Bedarf orientieren und entsprechend
eines bundeseinheitlichen Verfahrens personenbezogen ermittelt werden.
Leistungen sollen nicht länger institutionenzentriert, sondern personenzentriert bereit gestellt werden. Wir werden das Wunsch- und Wahlrecht von
Menschen mit Behinderungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention
berücksichtigen … “
BTHG: Zehn Ziele … (1)
Folgende zehn Ziele sollen im Lichte der UN-BRK verwirklicht werden:
Dem neuen gesellschaftlichen Verständnis einer inklusiven Gesellschaft soll
durch einen neu gefassten Behinderungsbegriff Rechnung getragen werden.
Leistungen sollen wie aus einer Hand erbracht und zeitintensive Zuständigkeitskonflikte der Träger untereinander sowie Doppelbegutachtungen zulasten
der Menschen mit Behinderungen vermieden werden.
Die Position der Menschen mit Behinderungen im Verhältnis zu den Rehabilitationsträgern und den Leistungserbringern soll durch eine ergänzende
unabhängige Teilhabeberatung gestärkt werden.
Die Anreize zur Aufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sollen auf persönlicher und institutioneller Ebene verbessert werden.
Die Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung sollen unter Berücksichtigung
des Sozialraumes bei den Leistungen zur sozialen Teilhabe gestärkt werden.
BTHG: Zehn Ziele … (2)
Die Zusammenarbeit der unter dem Dach der BAR befindlichen Rehabilitationsträger und die Transparenz des Rehabilitationsgeschehens sollen verbessert
werden.
Gleichzeitig soll die Steuerungsfähigkeit der Eingliederungshilfe verbessert
werden, um keine neue Ausgabendynamik entstehen zu lassen und den
insbesondere demographisch bedingten Ausgabenanstieg in der
Eingliederungshilfe zu bremsen.
Im SGB II und im SGB VI sollen präventive Maßnahmen ergriffen und neue
Wege erprobt werden, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit (drohenden)
Behinderungen zu erhalten und so Übergänge in die Eingliederungshilfe zu
reduzieren.
Im Schwerbehindertenrecht soll das ehrenamtliche Engagement der
Schwerbehindertenvertretungen gestärkt, sollen Mitwirkungsmöglichkeiten
von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen
verbessert und sollen die besonders schweren Beeinträchtigungen von
taubblinden Menschen berücksichtigt werden
Beurteilung (1)
Wir müssen uns über die Maßstäbe für den RefE und seine Beurteilung
verständigen:
… „es hätte
schlimmer kommen
können“ reicht
nicht!
Fortschritt – Rückschritt ?
Bietet der RefE einen Einstieg in den Paradigmenwechsel?
Bringt der RefE Schritte in die richtige Richtung?
Begünstigt der RefE eine nachhaltig sinnvolle Entwicklung des Hilfesystems?
Beurteilung (2)
Beurteilungsmaßstäbe und Indikatoren
UN-BRK
Statussicherung und/oder Verbesserungen für Menschen mit Behinderung
(Rechtsposition, Wunsch- und Wahlrecht, bedarfsdeckende Leistungen, Nachteilsausgleich …)
Offenheit für fachliche Weiterentwcklung (
Inklusion)
Gleiche Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderung in Deutschland
Logik des sozialrechtlichen Dreiecks und Fürsorgeprinzipien
(Bedarfsdeckung, Individualisierung, Wunsch- und Wahlrechte, Entwicklungsoffenheit und
Anpassungsfähigkeit der Eingliederungshilfe
„offener Leistungskatalog“, keine Ausschreibung)
Gesicherte Rahmenbedingungen für Dienste und Einrichtungen der EGH
(Achtung ihrer Vielfalt, Unabhängigkeit und Selbständigkeit, wirtschaftlich auskömmliche und
zukunftsorientierte Gestaltungsmöglichkeiten)
Beurteilung (3)
Der BeB begrüßt grundsätzlich den mit dem Gesetz geplanten „Systemwechsel“,
mit dem die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herausgenommen und zu einem
Leistungsrecht innerhalb des SGB IX wird. Dies ist nach der UN-BRK notwendig.
Beurteilung (3)
Der BeB begrüßt grundsätzlich den mit dem Gesetz geplanten „Systemwechsel“,
mit dem die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herausgenommen und zu einem
Leistungsrecht innerhalb des SGB IX wird. Dies ist nach der UN-BRK notwendig.
Der Referentenentwurf begegnet allerdings nachhaltigen Einwänden des BeB. Er
wird den hohen Erwartungen nicht gerecht. In einigen Regelungsbereichen zeichnen
sich tragbare Lösungen ab, in anderen zeigt sich noch erheblicher
Nachbesserungsbedarf.
Der BeB beteiligt sich wie die Diakonie Deutschland weiter ernsthaft an der
Auseinandersetzung um das BTHG und seine Verbesserung. Ein „Ausstieg“ aus
der Diskussion ist weder sinnvoll noch möglich.
Der RefE hat Potential und kann sich nach der Umsetzung verschiedener
Änderungen zu einem guten Bundesteilhabegesetz entwickeln.
Regelungsbereiche
1. Teil: Allgemeine Regelungen im SGB IX
2. Teil: Neue Eingliederungshilfe (EGH) im SGB IX
3. Teil: Schwerbehindertenrecht im SGB IX
Wichtige weitere Bereiche:
Grundsicherung im SGB XII
Pflege im SGB XI (PSG III zeitgleich mit BTHG)
Hilfe zur Pflege im SGB XII
Weitere Anpassungen in zahlenreichen Gesetzbüchern
12 „big points…“
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Allgemeine Regelungen
(Behinderungsbegriff, Personenkreis, Lebensbereiche)
Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger
Beratung
Bedarfsermittlung und -feststellung, Teilhabeplanung/Gesamtplan
Wunsch- und Wahlrecht
Frühförderung
Teilhabe am Arbeitsleben /
Teilhabeausschluss von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf
Soziale Teilhabe / Gesundheitsbezogene Leistungen
Pflege (Schnittstelle SGB XI / Hilfe zur Pflege)
Poolen und Pauschalierung
Trennung von Fachleistungen und Existenzsichernde Leistungen
Vertragsrecht / Prüfung / Kürzung / Wirkungs-/Wirksamkeitskontrolle
Behinderungsbegriff
Der allgemeine Behinderungsbegriff muss die „volle, wirksame und
gleichberechtigte Teilhabe“ umfassen ( §2,§90 Abs. 1).
… und Möglichkeiten zur Teilhabe sind nicht nur zu fördern, sondern in
Übereinstimmung mit der UN-BRK tatsächlich herzustellen und zu
gewährleisten.
Alle neun ICF-Aktivitäts- und Teilhabebereiche (= Lebensbereiche) werden
vollständig abgebildet. Das ist eine echte Errungenschaft.
Die zweite Stufe des Behinderungsbegriffs mit der neuen Wesentlichkeitsschwelle (§99 SGB IX RefE - „erheblichen Teilhabeeinschränkung“)
schließt einen wesentlichen Teil der heute leistungsberechtigten Personen vom
Zugang zu den Leistungen aus. Dabei handelt es sich um Personen, die einen
personellen oder technischen Hilfebedarf in zwei bis vier Lebensbereichen
haben. Dies ist nicht zustimmungsfähig.
Die Ermittlung des individuellen Bedarfs mit an der ICF orientierten
Instrumenten unter Berücksichtigung der Wünsche der Leistungsberechtigten
wird begrüßt.
Koordination und Zusammenarbeit
der Sozialleistungsträger
Die Klärung der Zuständigkeit ist verbessert und „verschärft“, wenn auch auf
den ersten Blick sehr kompliziert. Bei Kritik im Detail kann den Regelungen
weitgehend zugestimmt werden. Positiv ist insbesondere die Zusammenführung
der Zuständigkeit ggü. dem Leistungsberechtigten bei einem Sozialleistungsträger und das Fristensystem.
Der Ausschluss der Träger der Eingliederungshilfe von der Erstattungspflicht
bei selbstbeschaffter Leistung entstammt offensichtlich der SozialhilfeTradition und ist nicht nachzuvollziehen. Er wird abgelehnt.
Die Verfahrensregelungen im SGB IX Teil 1, 3. - 5. Kapitel, können nur dann
positiv bewertet werden, wenn die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger so
ausgestaltet wird, dass die Eingliederungshilfeträger in die Kooperationsverpflichtungen der Sozialleistungsträger einbezogen werden (keine
eindeutige Einbindung in die BAR-Zusammenhänge).
Teilhabeberatung
Die Einführung der „ergänzenden Teilhabeberatung“ zur Stärkung der
Leistungsberechtigten wird grundsätzlich begrüßt.
Allerdings ist nicht zu entnehmen, inwieweit eine flächendeckende und
qualitativ befriedigende Ausgestaltung gelingt, die aus Sicht des BeB
notwendig ist. Weiterhin muss auf Wunsch unbedingt eine persönliche
Begleitung im Bedarfsermittlungs- und Bedarfsfeststellungsprozess möglich
sein.
Die Regelung bleibt hinter der Forderung auf einen Rechtsanspruchs auf
unabhängige Beratung zurück.
Der Befristung bis Ende 2022 kann keinesfalls zugestimmt werden.
Bedarfsermittlung
Die Regelungen zur Bedarfsermittlung und –feststellung entsprechen im
Wesentlichen den Vorschlägen der Fachverbände. Der BeB begrüßt die
Regelungen im RefE.
Die ursprünglich noch bestehenden Harmonisierungserfordernisse zwischen
der Teilhabeplanung (auf der Ebene aller Sozialleistungsträger – 1. Teil SGB
IX) und der Gesamtplanung im Leistungsrecht der EGH (2. Teil SGB IX) sind
weitgehend ausgeräumt.
Der RefE gibt ein bundesweit einheitliches, abweichungsfestes Verfahren
vor. Allerdings bleibt die Festlegung der Instrumente (mit bundesweit
einheitlichen Vorgaben: ICF-Orientierung, alle (!) Lebensbereiche) in der
Verantwortung der Länder.
Teilhabe-/Gesamtplan
Um dem Teilhabe-/Gesamtplan die ihm zukommende Bedeutung zu
verschaffen, muss er Bestandteil des Leistungsbescheides
(Verwaltungsakt) werden.
Der Wunsch auf die Durchführung einer Teilhabekonferenz kann abgelehnt
werden, wenn der maßgebliche Sachverhalt schriftlich ermittelt werden kann
oder der Aufwand nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der
beantragten Leistungen steht. Das Recht der Leistungsberechtigten, die
Durchführung einer Teilhabekonferenz durchzusetzen, muss stärker
ausgeprägt sein.
Insbesondere die Verpflichtung des leistenden Rehabilitationsträgers, den
Bedarf auch über die beantragte Leistung hinaus feststellen zu müssen und die
Leistungserbringung zu verantworten, wird ausdrücklich begrüßt.
Zielvereinbarungen sind möglich/freiwillig, aber kein verpflichtendes
Instrument.
Wunsch- und Wahlrecht
Das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderung (§ 104 Abs. 2
SGB IX RefE) wird als Anspruch auf Leistungen definiert, die die Kosten für
vergleichbare Leistungen nicht unangemessen übersteigen und mit denen
Bedarfsdeckung erreicht werden kann.
Die von den Fachverbänden angemahnte Prüfkaskade ist jetzt wie im
bestehenden Recht wieder aufgenommen: es ist zunächst immer die
Zumutbarkeit einer Leistung zu prüfen, ehe ein Kostenvergleich angestellt wird.
(Ist eine Leistungsgestaltung nicht zumutbar, entfällt die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung.)
Da der Maßstab der Vergleichbarkeit der Leistung unterschiedlich ausgelegt
werden kann, ist zudem eine Klarstellung in folgendem Sinn notwendig: Eine
Leistung ist nur dann mit einer anderen vergleichbar, wenn beide neben
dem Ziel auch in der Form der Leistungserbringung miteinander
übereinstimmen. Insbesondere Einzel- und Gruppenleistungen sind deshalb
keine vergleichbaren Leistungen.
Frühförderung
Seit dem Inkrafttreten des SGB IX ist die Umsetzung der Frühförderung als
Komplexleistung problematisch.
Die im SGB IX Teil 1 und in der Frühförderungsverordnung vorgesehenen
Regelungen erscheinen weitgehend geeignet, einen Teil der Probleme zu
lösen.
Konfliktlösungsmechanismen (insbesondere die Bildung von Pauschalen)
sind allerdings nicht bzw. nicht befriedigend geregelt. Diesbezüglich bedarf es
ergänzender Regelungen.
Nicht befürwortet wird eine grundsätzliche länderspezifische
Abweichungsmöglichkeit.
Teilhabe am Arbeitsleben (1)
Die Regelungen zu einem bundesweiten Budget für Arbeit erhöhen die Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung bei der Teilhabe am Arbeitsleben. In
der gesetzlichen Regelung wird als Bezugsgröße für den Lohnkostenzuschuss
der regelhaft gezahlte Lohn des Arbeitgebers gewählt, allerdings wird dieser
Betrag in Höhe ca. 1.100 € gedeckelt (40% der monatlichen Bezugsgröße nach §
18 Abs. 1 SGB IV ).
Andere Leistungsanbieter können eine sinnvolle Ergänzung der rehabilitativen
Beschäftigungsszene werden. Die Ausgestaltung muss aufmerksam begleitet
werden, damit Menschen mit Behinderung wirklich frei wählen können, wo sie
arbeiten wollen. Problemprävention ist notwendig für „Creaming-Effekte“ und gegen
„Ausbeutung“.
Die Fortschreibung der Voraussetzung eines Mindestmaßes wirtschaftlich
verwertbarer Arbeitsleistung grenzt weiterhin Menschen mit hohem
Unterstützungsbedarf von der Teilhabe am Arbeitsleben aus. Insbesondere der
Ausschluss dieser Personen vom Berufsbildungsbereich negiert, dass auch bei
Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf Ressourcen und Potenziale für die
Teilhabe am Arbeitsleben bestehen und sich entwickeln können.
Teilhabe am Arbeitsleben (2)
Der Wegfall der Anrechnung des Arbeitsentgelts auf das
Arbeitsförderungsgeld wird begrüßt (Verbesserung für Personen mit mehr als 325
€ Werkstattentgelt).
Die Regelungen im Bereich der Werkstätten sind weitgehend unverändert.
Die Stärkung der Mitbestimmung in den Werkstätten und die Einführung einer
Frauenbeauftragten werden begrüßt.
Soziale Teilhabe
Die Leistungen zur Sozialen Teilhabe sind als offener Katalog ausgestaltet, bei
dem allerdings derzeit noch nicht hinreichend klar ist, inwieweit bisher gewährte
Leistungen zu den neuen Leistungsgruppen zugeordnet werden können.
Wichtige Bereiche wie beispielsweise Freizeit werden im Gesetzestext an dieser
Stelle nicht explizit angesprochen. Stattdessen kommt dem geplanten neuen
Leistungstatbestand der „Assistenzleistungen“ eine besondere Bedeutung zu.
Die bisherige Formulierung der Norm ist jedoch an vielen Stellen zu unbestimmt
und unklar, so dass Konflikte in der Praxis zu erwarten sind. Insbesondere ist zu
befürchten, dass dadurch die Unterstützung in zentralen Lebensbereichen wie
beispielsweise bei der Lebensführung im eigenen Haushalt/ Tagesstrukturierung (auch im Seniorenalter), der Gesundheitssorge, der Freizeitgestaltung,
beim Ehrenamt und im Urlaub nicht ausreichend rechtssicher verankert wird.
Darüber hinaus soll die Unterstützung der Leistungsberechtigten, insbesondere im
Bereich der Mobilität, zentral für die soziale und gesellschaftliche Teilhabe, und im
Bereich des ehrenamtlichen Engagements nach dem Referentenentwurf sehr
restriktiv ausgestaltet werden.
Gesundheitsbezogene
Teilhabeleistungen
Notwendige gesundheitsbezogene Teilhabeleistungen, die die Leistungen der
gesetzlichen Krankenversicherung sichern und ergänzen, sind noch nicht
befriedigend berücksichtigt.
So wurden die nachgehenden Hilfen zur Sicherung der Wirksamkeit der
ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen nach §54 Abs.1 Nr. 5 SGB XII im
RefE nicht als Bestandteil der Sozialen Rehabilitation/Teilhabe aufgenommen.
Die umfassend gestalteten Regelungen zu den Leistungen der Medizinischen
Rehabilitation in den §§ 90 Abs. 2 und 109 f. SGB IX RefE berücksichtigen nicht,
dass die Leistungen zur Medizinischen Rehabilitation durch das
Leistungserbringungsrecht - von der Rechtsprechung bestätigt - eng auf das
Spektrum der GKV begrenzt sind und daher nicht über das Recht der
Eingliederungshilfe anders bzw. ergänzend ausgestaltet werden können.
Im Vergleich zur jetzigen Rechtslage ist daher von Leistungslücken auszugehen,
wenn Leistungen, die im Zusammenhang mit gesundheitlicher Sorge erbracht werden
müssen, nicht bzw. nicht mehr im Leistungsrecht der Eingliederungshilfe vorgesehen
sind (§102 Abs.2 SGB IX-RefE).
Schnittstelle Pflege
Die Schnittstelle zur Pflegeversicherung (§ 91 SGB IX RefE) wird – im
Gegensatz zu §13 Abs. 3 S. 3 SGB XI des geltenden Rechts (Gleichrangigkeit) –
für den ambulanten Bereich als Vorrang-Nachrang-Verhältnis formuliert. SGB XILeistungen und Leistungen der Hilfe zur Pflege sollen im häuslichen Bereich den
Leistungen der EGH vorgehen, es sei denn, die Leistungen der EGH stehen im
Vordergrund.
Darüber hinaus bleibt die Schnittstelle zur Hilfe zur Pflege für den jetzigen
stationären Bereich unverändert. §43a SGB XI soll fortbestehen. Notwendige
Leistungen sollen im Rahmen der EGH erbracht werden.
Das erste ist nicht akzeptabel, das zweite enttäuschend.
Pauschalierung und Poolen
Es wird ausdrücklich begrüßt, dass die Auskehrung von Leistungen als
Pauschale Geldleistungen nur mit Zustimmung des Leistungsberechtigten
(§ 116 Abs. 1 SGB IX RefE) erfolgen kann.
Das sogenannte Poolen von Leistungen darf aus Sicht der Fachverbände nur mit
Einverständnis des Leistungsberechtigten erfolgen; die Regelung des §116
Abs. 2 SGB IX RefE, die eine Zumutbarkeitsregelung einführt (z.B. für
Assistenz, Heilpädagogik, Erwerb und Erhalt praktischer Fähigkeiten und
Kenntnisse), ist zwar besser als ein unmittelbarer „Durchgriff“ des
Eingliederungshilfeträgers, aber sinnvolles Poolen kann und muss zukünftig mit
den Leistungsberechtigten vereinbart werden.
Trennung von Leistungen
Die geplante Trennung der Leistungen in existenzsichernde Leistungen und
Teilhabeleistungen bedeutet eine massive Änderung der bisherigen Systematik.
Es muss sichergestellt sein, dass die Kosten des Lebensunterhalts und die
Kosten der notwendigen Alltagsassistenz weiterhin umfassend finanziert
werden – unabhängig vom Lebensort. Für Menschen, die in Einrichtungen der
Eingliederungshilfe wohnen, entfällt der Barbetrag zur persönlichen
Verfügung. Ohne einen solchen Betrag wären die Möglichkeiten von Menschen
mit Behinderung zur selbstbestimmten Lebensführung und Teilhabe massiv
eingeschränkt.
Die Regelungen, insbesondere zur Miethöhe, bedürfen der Anschlussfähigkeit
an die bisherigen Regelungen zur Finanzierung der Unterkunft in
Einrichtungen der Eingliederungshilfe und an die bisherigen Anforderungen der
Sozialhilfeträger bzw. an die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben. Die
vorgesehene starre Grenze von maximal 25% über den örtlich als angemessen
ermittelten Aufwendungen für die Unterkunft spiegelt die Wirklichkeit der
notwendigen Aufwendungen zur Bedarfsdeckung nicht wider und ist nicht
anschlussfähig an die bisherige Leistungsgestaltung.
Vernünftige Umstellung
Es muss für den Übergang vom bestehenden in ein neues System der Finanzierung
eine plausible Schrittfolge entwickelt werden, die sowohl für Leistungsträger wie für
Leistungserbringer sicherstellt, dass in wirtschaftlicher Hinsicht ein tragfähiger
Übergang gesichert ist und die Leistungen gegenüber den Leistungsberechtigten in
Art, Umfang und Qualität keinen Schaden nehmen ( evaluierte
Implementationsstrategie).
Die Aufteilung auf zukünftig mindestens zwei Leistungsträger (Grundsicherung und
Teilhabe) ist dabei die größte Herausforderung. Zur Zeit ist nicht erkennbar, wie die
Aufteilung praxistauglich für die ca. 200.000 Heimbewohner/innen in stationären
Einrichtungen geleistet werden kann. Mindestens wird eine evaluierte Erprobung mit
einer größeren Zahl von Beispieleinrichtungen nötig, die ihre Zeit braucht. (Hierzu
bieten BeB und Diakonie ihre Mitwirkung an.)
Deshalb treten wir dafür ein, den Übergangszeitraum deutlich zu verlängern.
Ein zweijähriges Moratorium hinsichtlich notwendiger Entgeltsteigerungen im
Übergangszeitraum kann nicht hingenommen werden.
Einkommen und Vermögen
Bei der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe muss sichergestellt
sein, dass die Teilhabeleistungen als individueller Nachteilsausgleich
ausgestaltet werden. Dies wird (noch) nicht erreicht.
Die neue Gestaltung der Heranziehung als „Beitrag“ auf der Basis der Einkünfte
nach Einkommensteuergesetz bzw. Renten ist ein erster Schritt in Richtung auf
einen Nachteilsausgleich.
Die schrittweise Erhöhung der Einkommens- und Vermögensgrenzen wird
begrüßt.
Menschen mit Behinderungen, die neben den Fachleistungen der
Eingliederungshilfe bzw. der Hilfe zur Pflege auch Grundsicherung beziehen,
profitieren allerdings in keiner Weise von den Neuregelungen. Bei ihnen gilt eine
Vermögensgrenze von 2.600 Euro (seit 2001 nicht mehr angepasst) fort, die schon
dem Ansparen für Einrichtungsgegenstände oder Urlaubsreisen im Wege stehen
kann. Daher ist hier zumindest eine Anhebung auf die Sätze des SGB II
vorzusehen.
Leistungserbringerrecht (1)
Die (Wieder-)Einführung einer Schiedsstellenfähigkeit der Leistungsvereinbarung
und die Beibehaltung der Schiedsstellenfähigkeit der Vergütungsvereinbarung
ist zu begrüßen. Sie ist notwendig, um in einem stärker auf Kontrolle durch die
Eingliederungshilfeträger ausgestalteten Vertragsrecht die Bedarfsdeckung für
unterschiedliche Bedarfslagen sicherzustellen.
Der ausnahmslos anzuwendende externe Vergleich für die Vergütung im unteren
Drittel führt zu einer Abwärtsspirale der Vergütung (§ 119 Abs. 3 SGB IX ArbE),
die für die Leistungsberechtigten nachteilig ist und zudem der höchstrichterlichen
Rechtsprechung (Beträge oberhalb des unteren Drittels sind nicht ausgeschlossen)
widerspricht.
Die Berücksichtigung tariflich vereinbarter Vergütungen als wirtschaftlich ist zu
begrüßen, ergibt aber nur Sinn, wenn sich dadurch der durch den externen Vergleich
ermittelte Betrag erhöht. Die Einführung des externen Vergleichs kann zudem zu
einer deutlichen Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts führen.
Leistungserbringerrecht (2)
Die Einführung eines gesetzlichen (statt wie bisher vertraglichen) Prüfungsrechts
wird sehr kritisch gesehen.
„Soweit tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass ein Leistungserbringer seine
vertraglichen oder gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt…“ muss nach dem RefE geprüft
werden. Mindestens muss es in das Ermessen des Leistungsträgers gestellt werden,
ob eine Prüfung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit und Qualität einschließlich der
Wirksamkeit der Leistungen im Verhältnis zu den möglicherweise gegebenen
Anhaltspunkten angemessen ist. Grundsätzlich als einer der Willkür Tür und Tor
öffnende Regelung muss die Möglichkeit, von der o.a. Einschränkung nach
Landesrecht abzuweichen, gestrichen werden (§128 Abs.1 SGB IX RefE).
Die Voraussetzungen für die Durchführung müssen bundeseinheitlich im Sinne
des Art. 12 GG konkretisiert werden.
Hier ist die besondere Aufmerksamkeit der Ligen auf Landesebene notwendig, da
hier in den Landesrahmenverträgen Ausgestaltungsregelungen getroffen werden.
Leistungserbringerrecht (3)
Bei den Bestimmungen zur Kürzung der Leistungsentgelte (§129 SGB IX RefE)
als „minderschwere Maßnahme bei Vertragsverletzungen“ kommt es darauf an, dass
tatsächliche Abweichungen bei der Leistungserbringung dem Leistungserbringer
zuzurechnen sind. Insgesamt ist die Bestimmung fragwürdig.
Elemente des Vergaberechts werden nicht eingeführt.
(Achtung: §126 Abs.1 S.3 SGB IX RefE streichen?)
„Experimentierklausel“: Mit §132 SGB IX RefE wird die Möglichkeit eröffnet, dass
Zielvereinbarungen zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern zur
Weiterentwicklung der bestehenden Leistungs- und Finanzierungsstrukturen
abgeschlossen werden. Dabei bleiben die individuellen Leistungsansprüche der
Leistungsberechtigten unberührt. Eine Verknüpfung mit Leistungen der Hilfe zur
Pflege ist nicht zulässig.
Örtliche Zuständigkeit
In § 89 SGB IX RefE werden neue Überlegungen zur örtlichen Zuständigkeit
eingeführt.
Nach dem RefE soll zukünftig wie bisher der Leistungsträger zuständig sein, in
dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Allerdings wird die
Zuständigkeit bei einer Leistung außerhalb seines Bereichs auf zwei Jahre begrenzt.
Die Wirkung dieser Vorschrift muss noch abgeschätzt werden.
Finanzierung (Bund)
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Finanzierung (Länder)
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Danke für Ihr Mitdenken!
Michael Conty & Uwe Mletzko
Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V. (BeB).
Geschäftsstelle
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