SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Forum Buch Mit neuen Büchern von: Matthias Lohre, Gerd Krumeich / Antoine Prost, Erich Hackl, Mark Mazower Sendung: Sonntag, 26. Juni 2016 Redaktion: Wolfram Wessels Produktion: SWR 2016 Matthias Lohre: Das Erbe der Kriegsenkel. Was das Schweigen der Eltern mit uns macht. Gütersloher Verlagshaus, 256 Seiten, 19,99 Euro Gespräch mit Philipp Kuwert Gerd Krumeich/ Antoine Prost: Verdun 1916. Die Schlacht und ihr Mythos aus deutsch-französischer Sicht. Aus dem Französischen von Ursula Böhme, Klartext Verlag, 272 Seiten, 19,95 Euro Rezension: Michael Kuhlmann Erich Hackl (Hrsg.): So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Rotpunktverlag, 400 Seiten, 25 Euro Rezension: Eva Karnofsky Mark Mazower: Griechenland unter Hitler. Das Leben während der Besatzung 1941-1944 Aus dem Englischen von Anne Emmert, Jörn Pinnow und Ursel Schäfer S. Fischer, 528 Seiten, 29,99 Euro Gespräch mit Wolfgang Schneider Till Ansgar Baumhauer: Kunst und Krieg in Langzeitkonflikten. Visuelle Kulturen im Dreißigjährigen Krieg und im heutigen Afghanistan. Reimer Verlag, 300 Seiten, 79 Euro. Rezension: Anna Brenken Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Gerd Krumeich/ Antoine Prost: Verdun 1916. Die Schlacht und ihr Mythos aus deutsch-französischer Sicht. Von Michael Kuhlmann Autor Düster gestimmt waren die Franzosen im Frühjahr 1916. Das Land blickte nach Lothringen, auf die Front nördlich der Stadt Verdun. Dort hatte die deutsche Armee am 21. Februar angegriffen, mit einem noch nie dagewesenen Feuerschlag aus 1.200 Geschützen. Die französische Front schien zu wanken, schreibenAntoine Prost und Gerd Krumeich. Buchzitat (159) "Einige Wochen lang fürchteten die Franzosen, tatsächlich besiegt zu werden. Es ist diese kollektive Beklemmung, die Verdun schon zu Beginn der Schlacht den einzigartigen symbolischen Wert verlieh. Die Forderung, die Stadt, koste es, was es wolle, zu verteidigen, verlieh ihr diese außergewöhnliche Bedeutung: Verdun wurde nunmehr mit Frankreich selber gleichgesetzt. Und die Verteidigung dieses Ortes am rechten Maasufer 'um jeden Preis' ließ ihn zu einem heiligen Ort werden." Autor Der gewaltige Materialeinsatz täuschte freilich darüber hinweg, daß der deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn vor Verdun nur einen vorbereitenden Angriff angesetzt hatte, eigentlich ein Ablenkungsmanöver. Den wichtigeren Schlag hatte er weiter nördlich führen wollen wenn die französische Front dort entblößt wäre. Aber das Kalkül verfing nicht: Frankreichs Generale Joseph Joffre und Philippe Pétain wußten ihre Truppen klug zu verteilen. Die Armee hielt dem deutschen Ansturm stand. „Ils ne passeront pas“ – sie werden nicht durchkommen, lautete die französische Parole. Verdun war ein Erfolg der Defensive. Ein besonderer französischer Erfolg, stellen Prost und Krumeich fest. Buchzitat (173) "Die Gedenkkultur von Verdun ist nicht auf die Erinnerungen der Kämpfenden beschränkt, sie hat eine nationale Dimension. Verdun gehört zu dem Erfahrungsraum aller Franzosen, es ist integriert in ihr Bewußtsein ihrer Selbst, ihrer Wahrnehmung der Welt." Autor Wohl entwickelte sich auch ein deutscher Mythos Verdun; aber der handelte nur von einer endlosen Abnutzungsschlacht. Er habe die Franzosen vor Verdun ausbluten wollen, so versuchte Falkenhayn sein Vorgehen nach dem Krieg zu rechtfertigen. Weit wichtiger als in Deutschland ist Verdun bis heute in Frankreich. Antoine Prost und Gerd Krumeich haben nun ein deutsch-französisches Buch geschrieben; sie haben dabei Hand in Hand gearbeitet. Es ist ein Text aus einem Guß; und man müßte wohl enge Mitarbeiter oder Doktoranden der beiden Autoren befragen, um herauszufinden, ob bei einer bestimmte 2 Passage Krumeich oder Prost die Feder führte. Die erfahrenen Emeriti erkundeten methodisches Neuland. Buchzitat (218) "Diese gemeinsame Arbeit hat uns ermessen lassen, wie schwierig es ist, einen Standpunkt einzunehmen, der den nationalen Rahmen eindeutig verläßt. Es war für uns auf erkenntnistheoretischer und freundschaftlicher Ebene immer wieder eine Freude, feststellen zu können, um wieviel kohärenter, vielfältiger und reicher ein Forschungsthema wird, wenn man auf beiden Seiten vorgeblich Altbekanntes und sicher Überliefertes miteinander vergleicht." Autor Herausgekommen ist tatsächlich eine Geschichte der Schlacht, die beide Seiten in den Blick nimmt. Wohl sieht sich die Forschung mit einem asymmetrischen Quellenfundus konfrontiert. Zum einen sind viele deutsche Archivalien in der Endphase des Zweiten Weltkrieges verbrannt. Und zum anderen konnten mehr Franzosen ihre Erinnerungen an Verdun festhalten – denn die meisten französischen Soldaten mußten irgendwann einmal dorthin. Das lag an einem speziellen Rotationssystem, der sogenannten Noria. Buchzitat (89) "Mit Hilfe der Noria kam ein fest in der französischen politischen Kultur verankertes Prinzip zum Tragen. Es wäre als zutiefst ungerecht empfunden worden, wenn eine dermaßen harte Strapaze nur von einem Teil der männlichen Bevölkerung hätte ausgehalten werden müssen. In dieser Gleichheit aller Staatsbürger vor Verdun liegt wohl eine der wesentlichen Erklärungen für den französischen Mythos dieser Schlacht." Autor Wie die Soldaten vor Verdun zu überleben versuchten, das kommt ausführlich zur Sprache. Sie litten nicht nur Todesangst. In dem Chaos aus Granattrichtern und Schlamm, aus Trümmern und verstümmelten Leichen mangelte es schon am Nötigsten: an Trinkwasser. Buchzitat (110 f.) "Die Männer waren zu allem bereit, wenn sie nur ihre Lippen benetzen konnten. In den Forts leckten sie das Sickerwasser von den Wänden ab; und wenn es regnete, saugten sie es aus ihren tropfnassen Umhängen. Die Soldaten aus Fort Vaux stürzten nach dessen Eroberung durch die Deutschen nach draußen, um ihren Durst in einem verschlammten Granattrichter zu stillen. Andere tranken aus Löchern, in denen zusammengekrümmte Leichen lagen. Sie tranken sogar ihren eigenen Urin." Autor In dieser von Granaten ständig aufs neue umgepflügten Mondlandschaft entspann sich ein zehnmonatiges Massaker. Viele Verwundete blieben zwischen den Linien liegen und erlitten dort einen qualvollen Tod. Auch wer es in einen Sanitätsunterstand schaffte, hatte 3 das Inferno noch nicht überstanden. Der französische Kompaniechef Charles Delvert notierte: Zitat Delvert (137) "Der Sanitätsposten ist für höchstens sechs bis acht Verwundete ausgelegt. Und von allen Seiten kommen sie her. Es ist eine richtige Schlächterei, voller Blut und Geheul. Schmerzverzerrte Gesichter, Wäschefetzen, die an den Fleischfetzen kleben. Ein atemberaubend widerlicher Geruch unten im Raum; in der Nähe einer Kerze sind ein Oberfeldarzt und ein Feldgeistlicher, die Hände voller Blut, ohne Unterlaß am verbinden. Und rundum in der Finsternis zerplatzen die Geschosse, ohne daß sie uns auch nur einen einzigen Moment Pause gönnen; und die geben den Verwundeten, die im Inneren keinen Platz mehr finden konnten, den Rest." Autor Prost und Krumeich lassen erkennen, daß die französische Erinnerung an dieses Inferno nicht von plumpem Nationalstolz geprägt war. Sie hatte eine defensive Facette, schon in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Buchzitat (175) "Das Gedenken an Verdun verband die offizielle, vaterländische und siegreiche Gedenkkultur mit der Erinnerung der Kämpfer. Durch die Schlacht, die den Gegner am Durchzug hinderte, vermochte die Nation sich selbst zu bestätigen, ohne jemanden anzugreifen. So wurde Verdun für die Franzosen zum Symbol des gesamten Krieges; denn diese Auffassung symbolisiert eine gewisse Idee der französischen Nation." Autor Nie wieder Krieg – das verstand sich für französische Verdun-Veteranen von selbst. Aber am Ort der Schlacht überdauerten auch emotionale Vorbehalte. Ihre einstigen Gegner hier wiederzusehen, das ertrugen die meisten Franzosen nicht. So dauerte es fast 70 Jahre bis zu einer bedeutenden Versöhnungsgeste: François Mitterand ergriff vor dem Gräberfeld die Hand Helmut Kohls. Prost und Krumeich befinden: Buchzitat (223) "Der Händedruck zwischen Kohl und Mitterand von 1984 wäre nicht möglich gewesen, wenn der Mythos Verdun damals nicht bereits an Kraft verloren hätte. Auf dem geheiligten Raum des Schlachtfeldes war für die Deutschen zuvor kein Platz gewesen. Dieser Händedruck paßt sich in den Mythos von Verdun ein und gibt ihm eine andere Richtung, nimmt ihm seine rein nationale Bedeutung. Die weitere Entwicklung der deutschfranzösischen Versöhnung hat seitdem eine neue Lesart des Krieges und seiner Opfer hervorgebracht: Millionen Menschen sind im Interesse nationaler Egoismen geopfert worden." Autor Auf dieser Basis umreißen Antoine Prost und Gerd Krumeich Forschungsdesiderate: So könnte erstens eine – so wörtlich – verjüngte Militärgeschichte die Aktionen einzelner 4 Truppeneinheiten erkunden. Zweitens könnte man die reine Geschichte der Kriegstechnik und der Kriegswirtschaft kulturhistorisch anreichern. Beides könnte näher erhellen, was die Menschen in diesem Krieg erlebten. Prost und Krumeich formulieren eine hoffnungsvolle Prognose: daß der Blick auf die Schrecken von Verdun dem Projekt Europa helfen könnte. Ihr Buch trägt dazu bei: indem es das Schlachtszenario beschreibt und zu verstehen hilft, was der Erste Weltkrieg besonders in Frankreich angerichtet hat. In einer Zeit, in der ein Rückfall in den Nationalismus droht, ist die Erinnerung an Verdun auch bei uns wichtig wie lange nicht mehr. Denn ohne jenen Nationalismus hätte es die beiden Weltkriege mit ihren über 70 Millionen Toten nie gegeben. Und die Menschen, die einander vor Verdun zu Hunderttausenden abschlachteten, waren keine blutrünstigen Sadisten. Sondern ganz normale Franzosen und Deutsche. 5 Erich Hackl (Hrsg.): So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Von Eva Karnofsky Achtzig Jahre nach Beginn des Spanischen Bürgerkrieges am 18. Juli 1936 sind die Zeitzeugen, die ihn aus der Nähe erlebt haben, wohl fast alle verstorben. So droht dieser Krieg, der für Hitler-Deutschland und seine Luftflotte ein Übungs-Schlachtfeld für den Zweiten Weltkrieg war, hierzulande allmählich in Vergessenheit zu geraten. Dabei haben über 20.000 Deutsche daran teilgenommen. Um die Erinnerung an die fast drei Jahre währenden, blutigen Geschehnisse in Spanien wachzuhalten, hat der österreichische Schriftsteller Erich Hackl aus deutschsprachigen Presseartikeln, Memoiren und Romanen einen Band mit 46 Beiträgen von Zeitzeugen zusammengestellt. Neben Deutschen, Österreichern und Schweizern kommen auch Serben, Tschechen sowie Ukrainer zu Wort. Sämtliche Texte wurden auf Deutsch verfasst. Auf Beiträge von deutschsprachigen Spanienkämpfern, die die faschistische Seite unter Franco unterstützt haben, hat Hackl verzichtet. Er begründet dies im Vorwort: 1. Zitat: „Es wäre eine seltsame Auffassung von Pluralismus, Faschisten und Söldner mit Antifaschisten zusammenzuspannen.“ Während Hitler Armeeangehörige nach Spanien schickte, waren auf republikanischer Seite lediglich freiwillige Kämpfer anzutreffen. Und während auf Hitlers Kämpfer daheim Vergünstigungen warteten, zahlte, wer für die Republik eintrat, dies in den meisten Ländern mit dem Verlust der Staatsbürgerschaft. Unter den Autoren finden sich etliche weniger bekannte Namen, aber auch illustre Vertreter der schreibenden Zunft wie der Journalist Egon Erwin Kisch und die Schriftsteller Arthur Koestler, Hermann Kesten, Erika Mann und Anna Seghers. Einen Autor allerdings vermisst zumindest der deutsche Leser – den verstorbenen Bundeskanzler Willy Brandt, der 1937 als Kriegsberichterstatter in Spanien war. Ein wichtiger Grund dafür, dass Franco schließlich den Sieg über die gewählte LinksRegierung der erst 1931 ausgerufenen, zweiten spanischen Republik davontragen konnte, war die Unfähigkeit der Regierung von Premierminister José Giral, die verschiedenen ideologischen Lager seiner Volksfront zusammenzuhalten. Der Schriftsteller und Historiker Ludwig Renn schildert in Hackls Band die Lage nach dem Aufstand der faschistischen Offiziere. 2. Zitat: „Die Kommunistische Partei erklärte, man müßte eine Armee aufstellen, das Land der Großgrundbesitzer den armen Bauern geben und gegen die verborgenen Faschisten vorgehen. Da aber Giral nichts von all dem tat, begannen die Parteien überall dort, wo sie Einfluß hatten, selbst die Verwaltung in die Hand zu nehmen und aus ihren Anhängern Milizen zu bilden. So verlor die Regierung Giral die zentrale Leitung der Verwaltung und 6 der Truppen, und in Barcelona wurden die Anarchisten, in Madrid die Kommunisten Herren der Lage. Es entstanden Partei- und Gewerkschaftstruppen ohne eine wirksame gesamtspanische Leitung. Der Generalstab in Madrid war eine bürgerliche Behörde, in der noch manche Offiziere saßen, die wohl lieber bei Franco gewesen wären.“ Diese Situation bewog Renn, nach Spanien aufzubrechen und in der sogenannten Thälmann-Kolonne zu kämpfen. Musik: Ernst Busch: Die Thälmann-Kolonne, drübersprechen Ernst Busch nahm 1937 in Barcelona sechs Kampflieder für die Deutschen in Spanien auf, darunter eines für die Thälmann-Kolonne, in der vorwiegend deutsche Kommunisten kämpften. Erich Hackl lässt in seinem Band So weit uns Spaniens Hoffnung trug jedoch nicht nur Kommunisten zu Wort kommen, sondern Vertreter verschiedener Strömungen des Regierungslagers, so dass der politische Blickwinkel nicht immer der gleiche ist. Hackl hat die 46 Beiträge chronologisch geordnet, und so kann sich der Leser ein Bild vom Verlauf der Ereignisse während des Bürgerkrieges machen. Die Mehrzahl der Beiträge wurde in der Ich-Form geschrieben, es sind Briefe darunter, ebenso Presseartikel und Auszüge aus Memoiren und Romanen. Die Vielfalt der Formen und Stile macht das Buch über den Inhalt hinaus interessant. Aufgrund seines Stils besonders lesenswert ist der Text des Schriftstellers und Politikers Ernst Toller aus Posen , den er nach einer Reise durch Spanien geschrieben hat und dem anschließenden, gescheiterten Versuch, in Europa und den USA Hilfsaktionen für die Hungernden auf beiden Seiten anzuschieben. Tollers Reisebericht ist eine Art Spickzettel, der in seiner Kürze besonders nahe geht: 3. Zitat: „Ankunft in Spanien Ende Juli 1938. Gasthaus in der Grenzstadt. Kein Brot. Kein Fleisch. Keine Milch. Unterhaltung mit spanischen Männern und Frauen. Bild der Nahrungslage: Menschen hungern. ... Erster Gedanke: Hilfe katholischer Priester zu gewinnen. Wochenlange Verhandlungen mit katholischen Priestern... . Zuerst Versprechungen für Unterstützungsbriefe, dann Ausweichen. Angst vorm Bischof, vorm Vatikan. Hinhalten. Verleugnen lassen. Verabredungen nicht einhalten. ... Endlich negativer Grund: Sie wollen einem Nichtkatholiken keine Unterstützungsbriefe geben.“ Die ablehnende Haltung der demokratischen Staaten USA, Frankreich oder Großbritannien, das republikanische Spanien militärisch zu unterstützen, wird in den Beiträgen ebenso thematisiert wie die massive Hilfe Hitlers und Mussolinis für Franco. Auch die ständigen Streitigkeiten zwischen Anarchisten und linkssozialistischer POUM auf 7 der einen und der stalinistischen PSUC auf der anderen Seite, die vor allem in Barcelona zu einem Krieg im Krieg ausarteten, kommen nicht zu kurz. Nicht nur die politischen und militärischen Aspekte des Spanischen Bürgerkrieges werden beleuchtet. Breiten Raum nimmt die humanitäre Katastrophe ein. Die deutsche Schauspielerin und Autorin Erika Mann, Tochter des Nobelpreisträgers Thomas Mann, reiste 1938 durch das republikanische Spanien und schrieb Folgendes: 4. Zitat: „Wenn die Väter gefallen sind und die Mütter gestorben, – auf der Flucht aus den zerstörten Städten, dann sind die Kinder allein, – sie irren herum, tagelang oft, auf den heißen Landstraßen, – in den kahlen Bergen, – bis man sie findet, – oft sind sie halb verhungert und krank vor Angst und Verlassenheit, – oft sind sie verwundet, – ein Granatsplitter hat sie getroffen, oder ein Stein aus einem Haus, das zusammenbrach.“ Der in Belgrad geborene Theodor Balk war bis zum Ende des Bürgerkrieges 1939 in Spanien, als Chefarzt einer Internationalen Brigade: 5. Zitat: „Sechsunddreißig waren wir hierhergeeilt, entschlossen zu siegen und zu fallen. Jetzt konnten wir nicht mehr siegen, nur fallen konnten wir. In den letzten Monaten, als wir arauf warteten panien zu verlassen hatten wir uns schon au erhal es raftfel es es o es gef hlt. un erte waren an unserer eite gefallen ausen e un nun stan es en g ltig fest a wir ie waren ie am e en lei en sollten. ir träumten von vollen ch sseln von zarten ä chen von weichen etten ie es jenseits er renze in en än ern es rie ens gi t.“ Länder des Friedens sollte es schon sehr bald in Europa nicht mehr geben, denn nur gut drei Monate nach der faschistischen Siegesparade am 20. Mai 1939 in Madrid zettelte Hitler den zweiten Weltkrieg an. Theodor Balk landete, wie rund 440.000 überlebende Kämpfer der republikanischen Seite, zunächst in einem Internierungslager in Frankreich und 1941 im mexikanischen Exil. So weit uns Spaniens Hoffnung trug ist nicht nur für zeitgeschichtlich Interessierte lesenswert. Angesichts der zahlreichen Bürgerkriege der jüngsten Zeit, sei es in der Ukraine oder in Libyen, im Jemen oder in Syrien, lohnt sich die Lektüre des von Erich Hackl herausgegebenen Sammelbandes ganz besonders, denn die Leiden der Zivilbevölkerung und die Kriegsfolgen haben sich kaum verändert. 8 Till Ansgar Baumhauer: Kunst und Krieg in Langzeitkonflikten. Visuelle Kulturen im Dreißigjährigen Krieg und im heutigen Afghanistan. Von Anna Brenken Forschen mit künstlerischen Mitteln ist zur Zeit hoch angesagt. Till Ansgar Baumhauer erkun ete mit en trategien er el forschung jetzt „ unst un rieg“ in angzeitkonflikten“. Offen ar ein uch as zum i erspruch reizt. Hier wird Unpassendes passend gemacht. Diese Idee geht einem als Erstes durch den Kopf, wenn man das Buch in die Hände bekommt. Der Künstler Till Ansgar Baumhauer reiste 2009 zum ersten mal nach Afghanistan. Er brachte für die Arbeit als Zeichner bei archäologischen Ausgrabungen in Herat sein versiertes Können als Radierer und Maler mit. Neben dem Land am Hindukusch ist der zweite Schauplatz seiner Untersuchung zu „Kunst und Krieg in Langzeitkonflikten“ der Dreißigjährige Krieg. Der Autor hat, wie er selber schreibt, „ein jahrelanges leidenschaftliches Interesse an Kunst, Musik und Lyrik des Frühbarock.“ Ein Kunstvergleich von Kriegsbildern, zwischen denen ein Zeitraum von 400 Jahren liegt. Das macht dann doch neugierig. Krieg am Hindukusch heute und Krieg in Europa im 17. Jahrhundert. Baumhauer ging diesen kühnen Spagat mit verschiedenen Mitteln an. Als Feldforscher übernahm er gleichzeitig die Rollen des Historikers desEthnologen, des Kunstkritikers und des freien Künstlers. Er setzte dabei auf die Form eines erweiterten Kunstbegriffs, wie er sich seit vielen Jahren mit intermedialen Grenzüberschreitungen und Konzepten fast epidemisch ausgebreitet hat. ZITATOR: „ Ich hoffe, den Leser auf eine Erkundungsreise mitzunehmen, in der die Untiefen und Schattenzonen eigener kultureller Identität genauso ausgelotet und beleuchtet werden wie die Zeugnisse einer Kultur, die den meisten von uns fremd erscheint und die uns doch als adäquater Gesprächspartner gegenübertritt.“ Der im Schwabenland aufgewachsene und heute in Dresden lebende 44jährige Baumhauer hat als Künstler gelernt, dass ein Krieg der Bilder ergiebiger Zündstoff sein kann. Und so lässt er Bildwelten aufeinanderprallen, deren gemeinsame Schnittstelle der Krieg ist. Festzustellen ist, dass es ihm keineswegs um die Darstellungen eines Kampfs der Kulturen geht, sondern um den Wert der Kulturen in Zeiten des Krieges. Der Künstler knüpft mit seiner Feldforschung einen riesigen Teppich aus Geschichten und Geschichte. Da ist man dankbar für ein sorgfältiges, einer Promotion angemessen strukturiertes Inhaltsverzeichnis, an dem man sich immer wieder orientieren kann. Ein riesiger Teppich von Geschichten. Das ist das Stichwort für das bizarrste Kapitel dieser Kriegsbilderstudie. Anfang der 1980er Jahre tauchten in den Bazaren Afghanistans zum ersten mal Teppiche auf, die, manchmal versteckt, manchmal auch ganz eindeutig, Kriegsmotive zeigten. Der Abbildungsteil des Buches lässt uns fassungslos staunen über niedliche Handgranaten, Panzer, Helikopter am Himmel über Moscheen. Dazu 9 Landschaften und Städte, verziert mit bunten Gewehren und anderen Tötungsgeräten. Alles im Spielzeugformat aus Wolle geknüpft. Diese „Kriegsteppiche“ oder „War-Rugs“ wurden im Westen schnell zu begehrten Objekten von Sammlern und Museen. Heute werden sie in Amerika und Europa im Internet oder in Galerien gehandelt. Sie sind Beispiele für eine im Krieg pervertierte Teppichkunst, die eigentlich der Schönheit und dem Wohlbefinden dienen soll. Wie Baumhauer in dem Exkurs zur Geschichte Afghanistans beschreibt, ist das Knüpfen von Teppichen eins der ältesten Handwerke in dem Land. Anders als in Europa unterschied man hier nie zwischen Kunst und Kunsthandwerk, hoher und niederer Kunst. Neben den Kriegsteppichen erhebt Baumhauer die Werke der Schildermaler zu den wichtigsten Zeugen der gegenwärtigen Kunstszene am Hindukusch. In der von Alexander dem Großen gegründeten Stadt Herat im Westen des Landes, wo der Autor während seiner Reisen wohnte, fotografierte er die „Helden auf drei Rädern“. So nennt er die grellbunten Darstellungen an Motorrikschas, die als Reklamebilder aus dem Reich der Trivialkunst um Kundschaft buhlen. Männer in Bodybilder-Posen und glutäugige Schönheiten. Wie entsprungen aus Bollywoodfilmen. An Krieg erinnern höchstens stolz in die Luft gehaltene Gewehre, eine Folterszene im Comicstil, Raketenreste, die als Blumentopf dienen oder – völlig aus dem Rahmen dieser Dokumentation fallend – ein antisowjetisches Plakat im Käthe-Kollwitz-Stil, auf dem eine weinende Mutter vor einer Kulisse von Panzergeschossen und Fallschirmjägern zwei Kinder im Arm hält. Bei der hier präsentierten naiven Kunst aus Afghanistan sind die Schrecken des Krieges so fern, wie man es eigentlich gar nicht für möglich hält. Um so gnadenloser rücken sie dem Betrachter im Abbildungsteil zum Dreißigjährigen Krieg auf den Leib. Mit Leichen übersäte Schlachtfelder, an Bäumen erhängte nackte Gestalten, zu deren Füßen Hunde und Krähen über Tote herfallen, Pferdegerippe, auf denen der Tod reitet. Manchmal allegorisch zu interpretieren, aber immer drastisch realistisch dargestellt. Auf jeden Fall sind diese Bilder schonungslos und erbarmungslos wahrhaftig. Am bekanntesten – und hier auch mit einigen Blättern dabei – ist die Serie des französischen Zeichners und Radierers Jacques Callot. Seine „Misères de la guerre“ fanden ihresgleichen erst knapp 200 Jahre später in der ebenso großartigen Radierfolge „Désastres de la Guerra“ von Goya. In Callots sowie in Goyas apokalyptischen Kriegsbildern ist die Welt aus den Fugen. In den Bildern aus Afghanistan spiegelt sich eine triviale Spielart der heutigen Medienwelt in Asien, die es damals noch gar nicht gab. Film, Fernsehen, Werbung. Fazit eines Vergleichs der alten und der neuen Kriegsbilder aus zwei Epochen? Man kann sie nicht vergleichen. Die Zusammenhänge sind zu unterschiedlich. Die Edition basiert auf einer Promotionsarbeit an der Bauhaus-Universität Weimar. Der Autor musste der wissenschaftlichen Korrektheit sichtbar seinen Tribut zollen. Als da sind: für den Leser zahllose unergiebige Fußnoten und ein Mangel an literarischer Kühnheit. 10 Im abschließenden Teil des Buches schließlich erfahren wir etwas über das Werk Baumhauers selbst. Ein großer Teil der Abbildungen zeigt künstlerische Kooperationen oder Zusammenfügungen. Eine Kopie der Abbildung der Gehängten aus der Radierserie von Callot ließ der deutsche Künstler mit einem afghanischen Teppich roter Blüten einrahmen. Auf seine Initiative hin wurden deutsche Gedichte der Barockzeit ins Persische übersetzt und als „Poems von Herat“ zu arabesken Schriftbildern umgestaltet. In Baumhauers kurzem Streifzug durch die zeitgenössische freie Kunst von Afghanistan gibt es auch einen Seitenblick auf das Werk der in Kabul geborenen, heute in Berlin lebenden Künstlerin Jeanno Gaussi. Sie sammelte 2011 Porträtaufnahmen im Zoo ihrer Geburtsstadt, auf denen sich Menschen, ausgerüstet mit Requisiten wie Kalaschnikows oder Löwen, in Heldenpose inszeniert hatten. Wovon die Menschen in Afghanistan träumen? In der Serie „Ordinary Heroes“ kann man es sehen. Gaussi war 2012 Teilnehmerin der Documenta 13. Die weltweit bedeutende Schau fand vor vier Jahren nicht nur in Kassel statt, sondern auch in Kabul. Seitdem wissen wir: es gibt in der zeitgenössischen Kunst Afghanistans noch viel zu entdecken. Aber bedarf es dazu so eines abenteuerlichen Spagats zwischen den Bildern zweier Kriege, wie er in dem vorliegenden Buch vorgeführt wird? 11
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