SWR2 Forum Buch vom 30.11.2014

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Forum Buch
Mit neuen Büchern von: Matthias Lohre, Gerd Krumeich / Antoine
Prost, Erich Hackl, Mark Mazower
Sendung: Sonntag, 26. Juni 2016
Redaktion: Wolfram Wessels
Produktion: SWR 2016
Matthias Lohre: Das Erbe der Kriegsenkel.
Was das Schweigen der Eltern mit uns macht.
Gütersloher Verlagshaus, 256 Seiten, 19,99 Euro
Gespräch mit Philipp Kuwert
Gerd Krumeich/ Antoine Prost: Verdun 1916.
Die Schlacht und ihr Mythos aus deutsch-französischer Sicht.
Aus dem Französischen von Ursula Böhme,
Klartext Verlag, 272 Seiten, 19,95 Euro
Rezension: Michael Kuhlmann
Erich Hackl (Hrsg.): So weit uns Spaniens Hoffnung trug.
Erzählungen und Berichte aus dem Spanischen Bürgerkrieg.
Rotpunktverlag, 400 Seiten, 25 Euro
Rezension: Eva Karnofsky
Mark Mazower: Griechenland unter Hitler.
Das Leben während der Besatzung 1941-1944
Aus dem Englischen von Anne Emmert, Jörn Pinnow und Ursel Schäfer
S. Fischer, 528 Seiten, 29,99 Euro
Gespräch mit Wolfgang Schneider
Till Ansgar Baumhauer: Kunst und Krieg in Langzeitkonflikten.
Visuelle Kulturen im Dreißigjährigen Krieg und im heutigen Afghanistan.
Reimer Verlag, 300 Seiten, 79 Euro.
Rezension: Anna Brenken
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
Gerd Krumeich/ Antoine Prost: Verdun 1916. Die Schlacht und ihr Mythos aus
deutsch-französischer Sicht.
Von Michael Kuhlmann
Autor
Düster gestimmt waren die Franzosen im Frühjahr 1916. Das Land blickte nach
Lothringen, auf die Front nördlich der Stadt Verdun. Dort hatte die deutsche Armee am 21.
Februar angegriffen, mit einem noch nie dagewesenen Feuerschlag aus 1.200
Geschützen. Die französische Front schien zu wanken, schreibenAntoine Prost und Gerd
Krumeich.
Buchzitat (159)
"Einige Wochen lang fürchteten die Franzosen, tatsächlich besiegt zu werden. Es ist diese
kollektive Beklemmung, die Verdun schon zu Beginn der Schlacht den einzigartigen
symbolischen Wert verlieh. Die Forderung, die Stadt, koste es, was es wolle, zu
verteidigen, verlieh ihr diese außergewöhnliche Bedeutung: Verdun wurde nunmehr mit
Frankreich selber gleichgesetzt. Und die Verteidigung dieses Ortes am rechten Maasufer
'um jeden Preis' ließ ihn zu einem heiligen Ort werden."
Autor
Der gewaltige Materialeinsatz täuschte freilich darüber hinweg, daß der deutsche
Generalstabschef Erich von Falkenhayn vor Verdun nur einen vorbereitenden Angriff
angesetzt hatte, eigentlich ein Ablenkungsmanöver. Den wichtigeren Schlag hatte er
weiter nördlich führen wollen wenn die französische Front dort entblößt wäre. Aber das
Kalkül verfing nicht: Frankreichs Generale Joseph Joffre und Philippe Pétain wußten ihre
Truppen klug zu verteilen. Die Armee hielt dem deutschen Ansturm stand. „Ils ne
passeront pas“ – sie werden nicht durchkommen, lautete die französische Parole. Verdun
war ein Erfolg der Defensive. Ein besonderer französischer Erfolg, stellen Prost und
Krumeich fest.
Buchzitat (173)
"Die Gedenkkultur von Verdun ist nicht auf die Erinnerungen der Kämpfenden beschränkt,
sie hat eine nationale Dimension. Verdun gehört zu dem Erfahrungsraum aller Franzosen,
es ist integriert in ihr Bewußtsein ihrer Selbst, ihrer Wahrnehmung der Welt."
Autor
Wohl entwickelte sich auch ein deutscher Mythos Verdun; aber der handelte nur von einer
endlosen Abnutzungsschlacht. Er habe die Franzosen vor Verdun ausbluten wollen, so
versuchte Falkenhayn sein Vorgehen nach dem Krieg zu rechtfertigen. Weit wichtiger als
in Deutschland ist Verdun bis heute in Frankreich. Antoine Prost und Gerd Krumeich
haben nun ein deutsch-französisches Buch geschrieben; sie haben dabei Hand in Hand
gearbeitet. Es ist ein Text aus einem Guß; und man müßte wohl enge Mitarbeiter oder
Doktoranden der beiden Autoren befragen, um herauszufinden, ob bei einer bestimmte
2
Passage Krumeich oder Prost die Feder führte. Die erfahrenen Emeriti erkundeten
methodisches Neuland.
Buchzitat (218)
"Diese gemeinsame Arbeit hat uns ermessen lassen, wie schwierig es ist, einen
Standpunkt einzunehmen, der den nationalen Rahmen eindeutig verläßt. Es war für uns
auf erkenntnistheoretischer und freundschaftlicher Ebene immer wieder eine Freude,
feststellen zu können, um wieviel kohärenter, vielfältiger und reicher ein Forschungsthema
wird, wenn man auf beiden Seiten vorgeblich Altbekanntes und sicher Überliefertes
miteinander vergleicht."
Autor
Herausgekommen ist tatsächlich eine Geschichte der Schlacht, die beide Seiten in den
Blick nimmt. Wohl sieht sich die Forschung mit einem asymmetrischen Quellenfundus
konfrontiert. Zum einen sind viele deutsche Archivalien in der Endphase des Zweiten
Weltkrieges verbrannt. Und zum anderen konnten mehr Franzosen ihre Erinnerungen an
Verdun festhalten – denn die meisten französischen Soldaten mußten irgendwann einmal
dorthin. Das lag an einem speziellen Rotationssystem, der sogenannten Noria.
Buchzitat (89)
"Mit Hilfe der Noria kam ein fest in der französischen politischen Kultur verankertes Prinzip
zum Tragen. Es wäre als zutiefst ungerecht empfunden worden, wenn eine dermaßen
harte Strapaze nur von einem Teil der männlichen Bevölkerung hätte ausgehalten werden
müssen. In dieser Gleichheit aller Staatsbürger vor Verdun liegt wohl eine der
wesentlichen Erklärungen für den französischen Mythos dieser Schlacht."
Autor
Wie die Soldaten vor Verdun zu überleben versuchten, das kommt ausführlich zur
Sprache. Sie litten nicht nur Todesangst. In dem Chaos aus Granattrichtern und Schlamm,
aus Trümmern und verstümmelten Leichen mangelte es schon am Nötigsten: an
Trinkwasser.
Buchzitat (110 f.)
"Die Männer waren zu allem bereit, wenn sie nur ihre Lippen benetzen konnten. In den
Forts leckten sie das Sickerwasser von den Wänden ab; und wenn es regnete, saugten
sie es aus ihren tropfnassen Umhängen. Die Soldaten aus Fort Vaux stürzten nach
dessen Eroberung durch die Deutschen nach draußen, um ihren Durst in einem
verschlammten Granattrichter zu stillen. Andere tranken aus Löchern, in denen
zusammengekrümmte Leichen lagen. Sie tranken sogar ihren eigenen Urin."
Autor
In dieser von Granaten ständig aufs neue umgepflügten Mondlandschaft entspann sich ein
zehnmonatiges Massaker. Viele Verwundete blieben zwischen den Linien liegen und
erlitten dort einen qualvollen Tod. Auch wer es in einen Sanitätsunterstand schaffte, hatte
3
das Inferno noch nicht überstanden. Der französische Kompaniechef Charles Delvert
notierte:
Zitat Delvert (137)
"Der Sanitätsposten ist für höchstens sechs bis acht Verwundete ausgelegt. Und von allen
Seiten kommen sie her. Es ist eine richtige Schlächterei, voller Blut und Geheul.
Schmerzverzerrte Gesichter, Wäschefetzen, die an den Fleischfetzen kleben. Ein
atemberaubend widerlicher Geruch unten im Raum; in der Nähe einer Kerze sind ein
Oberfeldarzt und ein Feldgeistlicher, die Hände voller Blut, ohne Unterlaß am verbinden.
Und rundum in der Finsternis zerplatzen die Geschosse, ohne daß sie uns auch nur einen
einzigen Moment Pause gönnen; und die geben den Verwundeten, die im Inneren keinen
Platz mehr finden konnten, den Rest."
Autor
Prost und Krumeich lassen erkennen, daß die französische Erinnerung an dieses Inferno
nicht von plumpem Nationalstolz geprägt war. Sie hatte eine defensive Facette, schon in
der Zeit zwischen den Weltkriegen.
Buchzitat (175)
"Das Gedenken an Verdun verband die offizielle, vaterländische und siegreiche
Gedenkkultur mit der Erinnerung der Kämpfer. Durch die Schlacht, die den Gegner am
Durchzug hinderte, vermochte die Nation sich selbst zu bestätigen, ohne jemanden
anzugreifen. So wurde Verdun für die Franzosen zum Symbol des gesamten Krieges;
denn diese Auffassung symbolisiert eine gewisse Idee der französischen Nation."
Autor
Nie wieder Krieg – das verstand sich für französische Verdun-Veteranen von selbst. Aber
am Ort der Schlacht überdauerten auch emotionale Vorbehalte. Ihre einstigen Gegner hier
wiederzusehen, das ertrugen die meisten Franzosen nicht. So dauerte es fast 70 Jahre bis
zu einer bedeutenden Versöhnungsgeste: François Mitterand ergriff vor dem Gräberfeld
die Hand Helmut Kohls. Prost und Krumeich befinden:
Buchzitat (223)
"Der Händedruck zwischen Kohl und Mitterand von 1984 wäre nicht möglich gewesen,
wenn der Mythos Verdun damals nicht bereits an Kraft verloren hätte. Auf dem geheiligten
Raum des Schlachtfeldes war für die Deutschen zuvor kein Platz gewesen. Dieser
Händedruck paßt sich in den Mythos von Verdun ein und gibt ihm eine andere Richtung,
nimmt ihm seine rein nationale Bedeutung. Die weitere Entwicklung der deutschfranzösischen Versöhnung hat seitdem eine neue Lesart des Krieges und seiner Opfer
hervorgebracht: Millionen Menschen sind im Interesse nationaler Egoismen geopfert
worden."
Autor
Auf dieser Basis umreißen Antoine Prost und Gerd Krumeich Forschungsdesiderate: So
könnte erstens eine – so wörtlich – verjüngte Militärgeschichte die Aktionen einzelner
4
Truppeneinheiten erkunden. Zweitens könnte man die reine Geschichte der Kriegstechnik
und der Kriegswirtschaft kulturhistorisch anreichern. Beides könnte näher erhellen, was
die Menschen in diesem Krieg erlebten. Prost und Krumeich formulieren eine
hoffnungsvolle Prognose: daß der Blick auf die Schrecken von Verdun dem Projekt
Europa helfen könnte. Ihr Buch trägt dazu bei: indem es das Schlachtszenario beschreibt
und zu verstehen hilft, was der Erste Weltkrieg besonders in Frankreich angerichtet hat.
In einer Zeit, in der ein Rückfall in den Nationalismus droht, ist die Erinnerung an Verdun
auch bei uns wichtig wie lange nicht mehr. Denn ohne jenen Nationalismus hätte es die
beiden Weltkriege mit ihren über 70 Millionen Toten nie gegeben. Und die Menschen, die
einander vor Verdun zu Hunderttausenden abschlachteten, waren keine blutrünstigen
Sadisten. Sondern ganz normale Franzosen und Deutsche.
5
Erich Hackl (Hrsg.): So weit uns Spaniens Hoffnung trug. Erzählungen und Berichte
aus dem Spanischen Bürgerkrieg.
Von Eva Karnofsky
Achtzig Jahre nach Beginn des Spanischen Bürgerkrieges am 18. Juli 1936 sind die
Zeitzeugen, die ihn aus der Nähe erlebt haben, wohl fast alle verstorben. So droht dieser
Krieg, der für Hitler-Deutschland und seine Luftflotte ein Übungs-Schlachtfeld für den
Zweiten Weltkrieg war, hierzulande allmählich in Vergessenheit zu geraten. Dabei haben
über 20.000 Deutsche daran teilgenommen. Um die Erinnerung an die fast drei Jahre
währenden, blutigen Geschehnisse in Spanien wachzuhalten, hat der österreichische
Schriftsteller Erich Hackl aus deutschsprachigen Presseartikeln, Memoiren und Romanen
einen Band mit 46 Beiträgen von Zeitzeugen zusammengestellt. Neben Deutschen,
Österreichern und Schweizern kommen auch Serben, Tschechen sowie Ukrainer zu Wort.
Sämtliche Texte wurden auf Deutsch verfasst. Auf Beiträge von deutschsprachigen
Spanienkämpfern, die die faschistische Seite unter Franco unterstützt haben, hat Hackl
verzichtet. Er begründet dies im Vorwort:
1. Zitat:
„Es wäre eine seltsame Auffassung von Pluralismus, Faschisten und Söldner mit
Antifaschisten zusammenzuspannen.“
Während Hitler Armeeangehörige nach Spanien schickte, waren auf republikanischer
Seite lediglich freiwillige Kämpfer anzutreffen. Und während auf Hitlers Kämpfer daheim
Vergünstigungen warteten, zahlte, wer für die Republik eintrat, dies in den meisten
Ländern mit dem Verlust der Staatsbürgerschaft.
Unter den Autoren finden sich etliche weniger bekannte Namen, aber auch illustre
Vertreter der schreibenden Zunft wie der Journalist Egon Erwin Kisch und die Schriftsteller
Arthur Koestler, Hermann Kesten, Erika Mann und Anna Seghers. Einen Autor allerdings
vermisst zumindest der deutsche Leser – den verstorbenen Bundeskanzler Willy Brandt,
der 1937 als Kriegsberichterstatter in Spanien war.
Ein wichtiger Grund dafür, dass Franco schließlich den Sieg über die gewählte LinksRegierung der erst 1931 ausgerufenen, zweiten spanischen Republik davontragen konnte,
war die Unfähigkeit der Regierung von Premierminister José Giral, die verschiedenen
ideologischen Lager seiner Volksfront zusammenzuhalten. Der Schriftsteller und Historiker
Ludwig Renn schildert in Hackls Band die Lage nach dem Aufstand der faschistischen
Offiziere.
2. Zitat:
„Die Kommunistische Partei erklärte, man müßte eine Armee aufstellen, das Land der
Großgrundbesitzer den armen Bauern geben und gegen die verborgenen Faschisten
vorgehen. Da aber Giral nichts von all dem tat, begannen die Parteien überall dort, wo sie
Einfluß hatten, selbst die Verwaltung in die Hand zu nehmen und aus ihren Anhängern
Milizen zu bilden. So verlor die Regierung Giral die zentrale Leitung der Verwaltung und
6
der Truppen, und in Barcelona wurden die Anarchisten, in Madrid die Kommunisten
Herren der Lage. Es entstanden Partei- und Gewerkschaftstruppen ohne eine wirksame
gesamtspanische Leitung. Der Generalstab in Madrid war eine bürgerliche Behörde, in der
noch manche Offiziere saßen, die wohl lieber bei Franco gewesen wären.“
Diese Situation bewog Renn, nach Spanien aufzubrechen und in der sogenannten
Thälmann-Kolonne zu kämpfen.
Musik: Ernst Busch: Die Thälmann-Kolonne, drübersprechen
Ernst Busch nahm 1937 in Barcelona sechs Kampflieder für die Deutschen in Spanien auf,
darunter eines für die Thälmann-Kolonne, in der vorwiegend deutsche Kommunisten
kämpften.
Erich Hackl lässt in seinem Band So weit uns Spaniens Hoffnung trug jedoch nicht nur
Kommunisten zu Wort kommen, sondern Vertreter verschiedener Strömungen des
Regierungslagers, so dass der politische Blickwinkel nicht immer der gleiche ist. Hackl hat
die 46 Beiträge chronologisch geordnet, und so kann sich der Leser ein Bild vom Verlauf
der Ereignisse während des Bürgerkrieges machen. Die Mehrzahl der Beiträge wurde in
der Ich-Form geschrieben, es sind Briefe darunter, ebenso Presseartikel und Auszüge aus
Memoiren und Romanen. Die Vielfalt der Formen und Stile macht das Buch über den
Inhalt hinaus interessant. Aufgrund seines Stils besonders lesenswert ist der Text des
Schriftstellers und Politikers Ernst Toller aus Posen , den er nach einer Reise durch
Spanien geschrieben hat und dem anschließenden, gescheiterten Versuch, in Europa und
den USA Hilfsaktionen für die Hungernden auf beiden Seiten anzuschieben. Tollers
Reisebericht ist eine Art Spickzettel, der in seiner Kürze besonders nahe geht:
3. Zitat:
„Ankunft in Spanien Ende Juli 1938.
Gasthaus in der Grenzstadt.
Kein Brot. Kein Fleisch.
Keine Milch.
Unterhaltung mit spanischen Männern und Frauen.
Bild der Nahrungslage: Menschen hungern. ...
Erster Gedanke: Hilfe katholischer Priester zu gewinnen. Wochenlange Verhandlungen mit
katholischen Priestern... .
Zuerst Versprechungen für Unterstützungsbriefe, dann Ausweichen. Angst vorm Bischof,
vorm Vatikan. Hinhalten. Verleugnen lassen. Verabredungen nicht einhalten. ...
Endlich negativer Grund:
Sie wollen einem Nichtkatholiken keine Unterstützungsbriefe
geben.“
Die ablehnende Haltung der demokratischen Staaten USA, Frankreich oder
Großbritannien, das republikanische Spanien militärisch zu unterstützen, wird in den
Beiträgen ebenso thematisiert wie die massive Hilfe Hitlers und Mussolinis für Franco.
Auch die ständigen Streitigkeiten zwischen Anarchisten und linkssozialistischer POUM auf
7
der einen und der stalinistischen PSUC auf der anderen Seite, die vor allem in Barcelona
zu einem Krieg im Krieg ausarteten, kommen nicht zu kurz.
Nicht nur die politischen und militärischen Aspekte des Spanischen Bürgerkrieges werden
beleuchtet. Breiten Raum nimmt die humanitäre Katastrophe ein. Die deutsche
Schauspielerin und Autorin Erika Mann, Tochter des Nobelpreisträgers Thomas Mann,
reiste 1938 durch das republikanische Spanien und schrieb Folgendes:
4. Zitat:
„Wenn die Väter gefallen sind und die Mütter gestorben, – auf der Flucht aus den
zerstörten Städten, dann sind die Kinder allein, – sie irren herum, tagelang oft, auf den
heißen Landstraßen, – in den kahlen Bergen, – bis man sie findet, – oft sind sie halb
verhungert und krank vor Angst und Verlassenheit, – oft sind sie verwundet, – ein
Granatsplitter hat sie getroffen, oder ein Stein aus einem Haus, das zusammenbrach.“
Der in Belgrad geborene Theodor Balk war bis zum Ende des Bürgerkrieges 1939 in
Spanien, als Chefarzt einer Internationalen Brigade:
5. Zitat:
„Sechsunddreißig waren wir hierhergeeilt, entschlossen zu siegen und zu fallen. Jetzt
konnten wir nicht mehr siegen, nur fallen konnten wir. In den letzten Monaten, als wir
arauf warteten panien zu verlassen hatten wir uns schon au erhal es raftfel es
es o es gef hlt. un erte waren an unserer eite gefallen ausen e un nun stan es
en g ltig fest a wir ie waren ie am e en lei en sollten. ir träumten von vollen
ch sseln von zarten ä chen von weichen etten ie es jenseits er renze in en
än ern es rie ens gi t.“
Länder des Friedens sollte es schon sehr bald in Europa nicht mehr geben, denn nur gut
drei Monate nach der faschistischen Siegesparade am 20. Mai 1939 in Madrid zettelte
Hitler den zweiten Weltkrieg an. Theodor Balk landete, wie rund 440.000 überlebende
Kämpfer der republikanischen Seite, zunächst in einem Internierungslager in Frankreich
und 1941 im mexikanischen Exil.
So weit uns Spaniens Hoffnung trug ist nicht nur für zeitgeschichtlich Interessierte
lesenswert. Angesichts der zahlreichen Bürgerkriege der jüngsten Zeit, sei es in der
Ukraine oder in Libyen, im Jemen oder in Syrien, lohnt sich die Lektüre des von Erich
Hackl herausgegebenen Sammelbandes ganz besonders, denn die Leiden der
Zivilbevölkerung und die Kriegsfolgen haben sich kaum verändert.
8
Till Ansgar Baumhauer: Kunst und Krieg in Langzeitkonflikten.
Visuelle Kulturen im Dreißigjährigen Krieg und im heutigen Afghanistan.
Von Anna Brenken
Forschen mit künstlerischen Mitteln ist zur Zeit hoch angesagt. Till Ansgar Baumhauer
erkun ete mit en trategien er el forschung jetzt „ unst un
rieg“ in
angzeitkonflikten“. Offen ar ein uch as zum i erspruch reizt.
Hier wird Unpassendes passend gemacht. Diese Idee geht einem als Erstes durch den
Kopf, wenn man das Buch in die Hände bekommt.
Der Künstler Till Ansgar Baumhauer reiste 2009 zum ersten mal nach Afghanistan. Er
brachte für die Arbeit als Zeichner bei archäologischen Ausgrabungen in Herat sein
versiertes Können als Radierer und Maler mit. Neben dem Land am Hindukusch ist der
zweite Schauplatz seiner Untersuchung zu „Kunst und Krieg in Langzeitkonflikten“ der
Dreißigjährige Krieg. Der Autor hat, wie er selber schreibt, „ein jahrelanges
leidenschaftliches Interesse an Kunst, Musik und Lyrik des Frühbarock.“
Ein Kunstvergleich von Kriegsbildern, zwischen denen ein Zeitraum von 400 Jahren liegt.
Das macht dann doch neugierig.
Krieg am Hindukusch heute und Krieg in Europa im 17. Jahrhundert.
Baumhauer ging diesen kühnen Spagat mit verschiedenen Mitteln an. Als Feldforscher
übernahm er gleichzeitig die Rollen des Historikers desEthnologen, des Kunstkritikers und
des freien Künstlers. Er setzte dabei auf die Form eines erweiterten Kunstbegriffs, wie er
sich seit vielen Jahren mit intermedialen Grenzüberschreitungen und Konzepten fast
epidemisch ausgebreitet hat.
ZITATOR: „ Ich hoffe, den Leser auf eine Erkundungsreise mitzunehmen, in der die
Untiefen und Schattenzonen eigener kultureller Identität genauso ausgelotet und
beleuchtet werden wie die Zeugnisse einer Kultur, die den meisten von uns fremd
erscheint und die uns doch als adäquater Gesprächspartner gegenübertritt.“
Der im Schwabenland aufgewachsene und heute in Dresden lebende 44jährige
Baumhauer hat als Künstler gelernt, dass ein Krieg der Bilder ergiebiger Zündstoff sein
kann. Und so lässt er Bildwelten aufeinanderprallen, deren gemeinsame Schnittstelle der
Krieg ist. Festzustellen ist, dass es ihm keineswegs um die Darstellungen eines Kampfs
der Kulturen geht, sondern um den Wert der Kulturen in Zeiten des Krieges.
Der Künstler knüpft mit seiner Feldforschung einen riesigen Teppich aus Geschichten und
Geschichte. Da ist man dankbar für ein sorgfältiges, einer Promotion angemessen
strukturiertes Inhaltsverzeichnis, an dem man sich immer wieder orientieren kann.
Ein riesiger Teppich von Geschichten. Das ist das Stichwort für das bizarrste Kapitel
dieser Kriegsbilderstudie. Anfang der 1980er Jahre tauchten in den Bazaren Afghanistans
zum ersten mal Teppiche auf, die, manchmal versteckt, manchmal auch ganz eindeutig,
Kriegsmotive zeigten. Der Abbildungsteil des Buches lässt uns fassungslos staunen über
niedliche Handgranaten, Panzer, Helikopter am Himmel über Moscheen. Dazu
9
Landschaften und Städte, verziert mit bunten Gewehren und anderen Tötungsgeräten.
Alles im Spielzeugformat aus Wolle geknüpft.
Diese „Kriegsteppiche“ oder „War-Rugs“ wurden im Westen schnell zu begehrten
Objekten von Sammlern und Museen. Heute werden sie in Amerika und Europa im
Internet oder in Galerien gehandelt. Sie sind Beispiele für eine im Krieg pervertierte
Teppichkunst, die eigentlich der Schönheit und dem Wohlbefinden dienen soll.
Wie Baumhauer in dem Exkurs zur Geschichte Afghanistans beschreibt, ist das Knüpfen
von Teppichen eins der ältesten Handwerke in dem Land. Anders als in Europa
unterschied man hier nie zwischen Kunst und Kunsthandwerk, hoher und niederer Kunst.
Neben den Kriegsteppichen erhebt Baumhauer die Werke der Schildermaler zu den
wichtigsten Zeugen der gegenwärtigen Kunstszene am Hindukusch.
In der von Alexander dem Großen gegründeten Stadt Herat im Westen des Landes, wo
der Autor während seiner Reisen wohnte, fotografierte er die „Helden auf drei Rädern“. So
nennt er die grellbunten Darstellungen an Motorrikschas, die als Reklamebilder aus dem
Reich der Trivialkunst um Kundschaft buhlen. Männer in Bodybilder-Posen und glutäugige
Schönheiten. Wie entsprungen aus Bollywoodfilmen. An Krieg erinnern höchstens stolz in
die Luft gehaltene Gewehre, eine Folterszene im Comicstil, Raketenreste, die als
Blumentopf dienen oder – völlig aus dem Rahmen dieser Dokumentation fallend – ein
antisowjetisches Plakat im Käthe-Kollwitz-Stil, auf dem eine weinende Mutter vor einer
Kulisse von Panzergeschossen und Fallschirmjägern zwei Kinder im Arm hält.
Bei der hier präsentierten naiven Kunst aus Afghanistan sind die Schrecken des Krieges
so fern, wie man es eigentlich gar nicht für möglich hält.
Um so gnadenloser rücken sie dem Betrachter im Abbildungsteil zum Dreißigjährigen
Krieg auf den Leib. Mit Leichen übersäte Schlachtfelder, an Bäumen erhängte nackte
Gestalten, zu deren Füßen Hunde und Krähen über Tote herfallen, Pferdegerippe, auf
denen der Tod reitet. Manchmal allegorisch zu interpretieren, aber immer drastisch
realistisch dargestellt. Auf jeden Fall sind diese Bilder schonungslos und erbarmungslos
wahrhaftig.
Am bekanntesten – und hier auch mit einigen Blättern dabei – ist die Serie des
französischen Zeichners und Radierers Jacques Callot. Seine „Misères de la guerre“
fanden ihresgleichen erst knapp 200 Jahre später in der ebenso großartigen Radierfolge
„Désastres de la Guerra“ von Goya. In Callots sowie in Goyas apokalyptischen
Kriegsbildern ist die Welt aus den Fugen. In den Bildern aus Afghanistan spiegelt sich eine
triviale Spielart der heutigen Medienwelt in Asien, die es damals noch gar nicht gab. Film,
Fernsehen, Werbung.
Fazit eines Vergleichs der alten und der neuen Kriegsbilder aus zwei Epochen? Man
kann sie nicht vergleichen. Die Zusammenhänge sind zu unterschiedlich.
Die Edition basiert auf einer Promotionsarbeit an der Bauhaus-Universität Weimar. Der
Autor musste der wissenschaftlichen Korrektheit sichtbar seinen Tribut zollen. Als da sind:
für den Leser zahllose unergiebige Fußnoten und ein Mangel an literarischer Kühnheit.
10
Im abschließenden Teil des Buches schließlich erfahren wir etwas über das Werk
Baumhauers selbst. Ein großer Teil der Abbildungen zeigt künstlerische Kooperationen
oder Zusammenfügungen. Eine Kopie der Abbildung der Gehängten aus der Radierserie
von Callot ließ der deutsche Künstler mit einem afghanischen Teppich roter Blüten
einrahmen. Auf seine Initiative hin wurden deutsche Gedichte der Barockzeit ins Persische
übersetzt und als „Poems von Herat“ zu arabesken Schriftbildern umgestaltet.
In Baumhauers kurzem Streifzug durch die zeitgenössische freie Kunst von Afghanistan
gibt es auch einen Seitenblick auf das Werk der in Kabul geborenen, heute in Berlin
lebenden Künstlerin Jeanno Gaussi. Sie sammelte 2011 Porträtaufnahmen im Zoo ihrer
Geburtsstadt, auf denen sich Menschen, ausgerüstet mit Requisiten wie Kalaschnikows
oder Löwen, in Heldenpose inszeniert hatten. Wovon die Menschen in Afghanistan
träumen? In der Serie „Ordinary Heroes“ kann man es sehen.
Gaussi war 2012 Teilnehmerin der Documenta 13. Die weltweit bedeutende Schau fand
vor vier Jahren nicht nur in Kassel statt, sondern auch in Kabul. Seitdem wissen wir: es
gibt in der zeitgenössischen Kunst Afghanistans noch viel zu entdecken. Aber bedarf es
dazu so eines abenteuerlichen Spagats zwischen den Bildern zweier Kriege, wie er in dem
vorliegenden Buch vorgeführt wird?
11