Juli 2016 Öffentliches Recht • Vergaberecht • Privates Baurecht Liebe Leserinnen und liebe Leser, nach dem Spiel ist vor dem Spiel: Waren auch Sie vom EM-Fieber gepackt und feuerten Ihre Lieblingsmannschaft mit ebenso Fußballbegeisterten beim sog. Public Viewing in Gaststätten und Biergärten gemeinsam an? Der Jubel kann groß und laut sein, wenn Tore fallen. Doch wie sieht es dabei mit dem Lärmschutz der Nachbarschaft der Gaststättenbetriebe aus? Diese Immissionsschutzprobleme behandelt gleich der erste Beitrag unseres aktuellen Mandantenrundbriefes. Neben weiteren interessanten und aktuellen Themen aus dem Bereich des Öffentlichen Rechts, Vergabeund privaten Baurechts wird Ihnen auf den nächsten Seiten u. a. das „Verjährungsgespenst“ erläutert und die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zum Kampf um die Vergütung von Mehrdiensten im Beamtenrecht vorgestellt. Für die ehemaligen Landwirte unter Ihnen mag zudem der Beitrag der „Entprivilegierung“ landwirtschaflicher Gebäude und die damit einhergehende Baugenehmigungsbedürftigkeit der fortgesetzten Wohnnutzung nach Aufgabe der Landwirtschaft von besonderem Interesse sein. Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre! Herzlichst Ihr BRANDI-Team www.brandi.net BIELEFELD | DETMOLD | GÜTERSLOH | PADERBORN | MINDEN | HANNOVER | PARIS | PEKING Seite 2 Juli 2016 Öffentliches Recht Dr. Manfred Schröder Immissionsschutzprobleme im Umfeld von Gaststätten und Biergärten - unter Berücksichtigung von sportlichen Großereignissen, wie der Fußball-Europameisterschaft 2016................................................................Seite Prof. Dr. Martin Dippel Das Zementwerk und das Reifenschnitzellager – Abfallentsorgungsanlage? Sicherheitsleistung?.......................................................Seite Nina Drüke Die Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts............................................Seite Dr. Nils Gronemeyer Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung............................................Seite Prof. Dr. Martin Dippel Problemfall Abwasser: Unzulässige Einleitungen in die Kanalisation können zu Schadensersatzansprüchen der Kommune führen.................................Seite Dr. Manfred Schröder Baurechtliche Folgen und Pflichten im Zusammenhang mit der Aufgabe der Landwirtschaft...........................................................................Seite Dr. Jörg Niggemeyer Update – Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts in nichtöffentlicher Sitzung?........................................................................................Seite Dr. Christoph Worms Sind auch Sie betroffen? Pflichten nach der REACH-Verordnung............................Seite Andreas Wiemann Beamtenrecht: Der Kampf um die Vergütung von Mehrdiensten – Das „Verjährungsgespenst“ .........................................................................................Seite Dr. Christoph Worms Alles neu?! Gesellschafter und Rentenversicherung.................................................Seite 3 3 4 5 6 7 7 8 9 10 Vergaberecht Prof. Dr. Martin Dippel Neue Rahmenbedingungen für die interkommunale Zusammenarbeit.................Seite 11 Dr. Christoph Jahn Neue strategische Ziele im Vergaberecht – mit beihilferechtlichen Risiken?.........Seite 13 Dr. Annette Mussinghoff-Siemens Vergaberechtsnovelle 2016 – Neuerungen bei der Vergabe von Bauleistungen nach der EU-VOB/A....................Seite 14 Privates Baurecht Dr. Sandra Vyas Neuregelung der VOB/B zum 19.01.2016 in Kraft getreten.......................................Seite Dr. Christian Kollmeier Keine Unwirksamkeit von § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2, Nr. 2 VOB/B endlich Rechtssicherheit bei Insolvenz des Werkunternehmers?............................Seite Dr. Sandra Vyas BGH bleibt dabei: Vereinbarung einer Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10 % der Auftragssumme ist wirksam....................................................Seite Andreas Wiemann BGH: Verjährung von Mängelansprüchen bei Auf-Dach-Photovoltaikanlagen Begriff des „Bauwerks“.................................................................................................Seite www.brandi.net 16 16 18 19 Seite 3 Juli 2016 Immissionsschutzprobleme im Umfeld von Gaststätten und Biergärten - unter Berücksichtigung von sportlichen Großereignissen, wie der FußballEuropameisterschaft 2016 „Das gemeinsame Erleben von Fußballspielen auf den PublicViewing-Veranstaltungen war während der letzten FußballWeltmeisterschaft ein großer Erfolg. Solche Gemeinschaftserlebnisse wollten wir den Fans auch bei den Spielen der Europameisterschaft in Frankreich ermöglichen. Das Ruhebedürfnis der Anwohner durfte dabei aber nicht unter den Tisch fallen, besonders bei späten Spielen und an Werktagen“, sagte NRW-Umweltminister Johannes Remmel. Die Landesregierung NRW hat in einem Erlass klar gestellt, dass Public-Viewing auch nach 22:00 Uhr erlaubt ist. Die Entscheidung darüber treffen die Behörden vor Ort. Wie Lärmschutzkonflikte in solchen Fällen sachgerecht und rechtmäßig gelöst werden können, war in den letzten Jahren vielfach umstritten. So war zu den Gaststätten mit einer angegliederten Außengastronomie fraglich, ob die Beurteilung des Lärms nach der TA Lärm (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm vom 26.08.1998) zu erfolgen hat oder ob es sich um Freizeitlärm handelt, für den ein anderes Regelwerk, nämlich die Freizeitlärm-Richtlinie gilt. Spannend war diese Frage deshalb, weil ein bundesrechtliches Regelwerk nicht einfach von den Landesbehörden verändert werden kann, wohl aber die zum Landesrecht gehörenden Freizeitlärm-Richtlinien. Zu unterschiedlichen Ergebnissen kam man insbesondere bei der Frage, in welchem Umfang die Außengastronomie auch nach 22:00 Uhr den Nachbarn noch zugemutet werden kann. Welche Anforderungen an die gebotene nachbarschützende gaststättenrechtliche Bewältigung des Konfliktes zwischen dem Gaststättenbetrieb und dem Ruhebedürfnis der Nachbarschaft zu stellen sind, hängt nach der aktuellen Rechtsprechung entscheidend von der Art der in Rede stehenden störenden Geräusche ab. In der baurechtlichen und gaststättenrechtlichen Judikatur ist anerkannt, dass die Bewertung der Zumutbarkeit des durch Menschen verursachten Lärms von einem Bündel von Faktoren abhängt, die nur unvollkommen in einem einheitlichen Messwert aggregierend erfasst werden können. Dies gilt gerade auch für Geräusche, die von Dritten verursacht werden und vom Betreiber einer Außengastronomie - anders als bei gewerblichem Lärm im herkömmlichen Sinne - nicht zu steuern sind. Erforderlich ist in solchen Fällen eine situationsbezogene Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Eine solche solide Abwägung aller erkennbaren Belange muss einem Bescheid vorausgehen und sie muss sich der Begründung dieses Bescheides auch deutlich entnehmen lassen. Eine gründliche Abwägung und eine überzeugende Begründung des Abwägungsergebnisses sind vielfach Voraussetzung dafür, dass die an solchen Konflikten Beteiligten die behördliche Entscheidung akzeptieren können und dass insoweit dann eine befriedende Wirkung von der Behördenentscheidung ausgeht. Dr. Manfred Schröder, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Das Zementwerk und das Reifenschnitzellager - Abfallentsorgungsanlage? Sicherheitsleistung? Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte sich in einem Beschluss vom 03.03.2016 – 7 B 44/15 – mit einem Sachverhalt zu befassen, wie er in vergleichbarer Form vielfach in Industrieanlagen auftritt: Ein Zementwerk hat die Genehmigung, im Drehrohrofen Reifenschnitzel als Energieträger einzusetzen. Diese Reifenschnitzel dürfen im Zementwerk angenommen und bis zu einer Menge von maximal 7.000 t in einem dafür bestimmten Lager vorgehalten werden. Das wäre als solches für das Unternehmen nicht weiter aufregend, wenn es sich bei den Reifenschnitzeln nicht um Abfall handelte und die zuständige Behörde nicht auf der Basis einer Regelung im BundesImmissionsschutzgesetz (BISchG) für die maximal 7.000 t Reifenschnitzel eine Sicherheitsleistung angeordnet hätte (Vgl. § 17 Abs. 4a) S. 1 BImSchG). Das Unternehmen musste Sicherheit dafür erbringen, dass z. B. im Fall einer Insolvenz die Allgemeinheit nicht auf den Entsorgungskosten für die Reifenschnitzel „sitzen bleibt“. Gegen die Anordnung der Sicherheitsleistung hat sich das Unternehmen mit einer Klage gewandt und vorgetragen, dass das Reifenschnitzellager keine Abfallentsorgungsanlage sei (für die eine Sicherheitsleistung angeordnet werden könne), weil es zum Zementwerk gehöre – und das sei nun einmal keine Abfallentsorgungsanlage. Dem ist das BVerwG nicht gefolgt. Es hat nun höchstrichterlich geklärt, dass die Regelung des § 17 Abs. 4a) S. 1 BImSchG, auf Grund derer bei Abfallentsorgungsanlagen eine Sicherheitsleistung für den „Fall der Fälle“ der Entsorgung auf Kosten der öffentlichen Hand angeordnet werden kann, auch dann anwendbar ist, wenn diese Anlage lediglich Nebeneinrichtung einer für sich gesehen immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Produktionsanlage ist. Der Wortlaut des Gesetzes trenne nicht zwischen eigenständigen Abfallentsorgungsanlagen und solchen, die Nebeneinrichtungen einer Produktionsanlage sind. Auch dem gesetzlichen Regelungssystem lasse sich insoweit kein Unterschied entnehmen. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung ist deshalb auch in diesen Fällen möglich. Praxishinweis: Mit der Entscheidung des BVerwG ist bundeseinheitlich geklärt, dass die Behörde Sicherheitsleistungen anordnen kann, wenn in Produktionsanlagen Abfälle (z. B. als Energieträger in einer Feuerung oder als Ausgangsstoff für ein Produkt) eingesetzt werden und diese Abfälle an der Produktionsanlage angenommen bzw. gelagert werden. Es macht insofern keinen Unterschied, ob Abfälle in einer „echten“ Entsorgungsanlage oder in einer Nebeneinrichtung zu einer Produktionsanlage gelagert werden. Dies trifft auf eine Unzahl von Fallgestaltungen in der Industrie zu: So wird nicht nur an Zementwerken Abfall angenommen (sei es als Ersatzbrennstoff oder als Rohmehlsubstitut), sondern es wird z. B. bei Holzwerkstoffwerken Altholz angenommen (zur stofflichen oder energetischen Verwertung), bei Stahlwerken oder www.brandi.net Seite 4 Gießereien werden Schrotte angenommen, bei Papierfabriken wird Altpapier angenommen, bei Glashütten wird Altglas angenommen usw. Wenngleich diese Abfälle natürlich unterschiedlich hohe Risiken im Fall einer Entsorgung bergen und unterschiedlich hohe Kosten auslösen würden, so ist das Prinzip gleich. Dem Grunde nach ist jetzt klar, dass Sicherheitsleistungen angeordnet werden können. Die Industriebetriebe sollten sich, wenn sie mit diesem Thema bisher noch nicht konfrontiert wurden, auf diese Rechtslage einstellen. Wichtig ist in solchen Fällen die Überprüfung, dass die Sicherheitsleistung dem tatsächlichen Entsorgungsrisiko entspricht. Die Behörden neigen mitunter dazu, sehr vorsichtig zu agieren und überhöhte Sicherheitsleistungen festzusetzen. Das lässt sich zumeist im Vorwege einer Anordnung noch ausräumen. Prof. Dr. Martin Dippel, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Die Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts Durch das europäische Recht wird den zugehörigen Mitgliedstaaten kein einheitliches Rechtsschutzmodell vorgeschrieben. Vielmehr besteht die Möglichkeit einer freien Ausgestaltung; Voraussetzung hierfür ist, dass die durch das europäische Recht vorgegebenen Grenzen eingehalten werden. In diesem Spannungsverhältnis zwischen europarechtlichen Vorgaben und Gestaltungsbefugnissen der Mitgliedstaaten sind bereits mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ergangen, die Kernbereiche des deutschen Verwaltungsrechts als EU-rechtswidrig verworfen haben. Insoweit wird von einer „dynamischen Europäisierungstendenz des Verwaltungsrechts“ gesprochen. Das kann überaus praxiswirksame Folgen haben. Die Fehleranfälligkeit bestimmter (umweltrelevanter) Genehmigungen ist größer geworden. In einem von der Kommission gegen Deutschland im Jahr 2012 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren hat der EuGH mit Urteil vom 15.10.2015 nunmehr die zentrale Feststellung getroffen, dass das altbewährte deutsche Verwaltungsrechtsinstrument der materiellen Präklusion (d. h. des Ausschlusses nicht rechtzeitig vorgebrachter Positionen Dritter auch in einem späteren Gerichtsverfahren) die durch das europäische Recht gesteckten Grenzen überschreitet. Die Vorschriften des § 2 Abs. 3 des Umweltrechtsbehelfgesetzes (UmwRG) und § 73 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) verstoßen nach Auffassung des EuGH sowohl gegen die UVP- als auch gegen die Industrieemissions-Richtlinie. I. Inhalt der materiellen Präklusion Die unter anderem in den vorgenannten Gesetzen verankerte materielle Einwendungspräklusion ist insbesondere ein im umweltrechtlichen Bereich verankertes Rechtsinstitut. Die Präklusion nahm bisher Klägern, die ihre Einwendungen nicht bereits im behördlichen Beteiligungsverfahren fristge- www.brandi.net Juli 2016 recht vorgetragen hatten, die Möglichkeit, diese Einwendungen in einem späteren Gerichtsverfahren geltend zu machen. Auf Grund der oftmals äußerst umfangreichen Gutachten und Planungsunterlagen von Großprojekten mit Konfliktpotential sind an der materiellen Präklusion zahlreiche Klagen gescheitert. Insbesondere waren hiervon Umweltvereinigungen betroffen, die auch schon im Verwaltungsverfahren Stellung beziehen und ihre Einwendungen substantiiert darlegen mussten. Als „Anwälte der Natur“ wurde von ihnen erwartet, dass sie hinreichend konkret zu den vom Projekt möglicherweise betroffenen Tier- oder Pflanzenarten, zu möglichen Beeinträchtigungen etc. Stellung nahmen. Je ausführlicher eine Behörde im Verfahren diese Frage beantwortet hatte, umso höhere Anforderungen wurden an die darzulegenden Einwendungen der Umweltvereinigungen innerhalb der kurzen – zweiwöchigen – Einwendungsfrist gestellt. Auf Grund dieser Fristen und der zu sichtenden umfangreichen Unterlagen war deshalb die Gefahr, mit bestimmten Einwendungen im gerichtlichen Verfahren präkludiert zu sein, relativ hoch. II. Sinn und Zweck der materiellen Präklusion Sinn und Zweck der Präklusionsvorschriften war es, Betroffene und Umweltvereinigungen dazu anzuhalten, ihre Bedenken im Verwaltungsverfahren möglichst frühzeitig vorzutragen und auf aus den Antragsunterlagen erkennbare Mängel hinzuweisen. Angestrebt wurde eine effektive und zügige Gestaltung des Verwaltungsverfahrens. Ferner sollte sichergestellt werden, dass sich die spätere Gerichtskontrolle auf maßgebliche, möglichst umfassend und detailliert vorgetragene Umstände beschränken konnte. Neben der Förderung der Verfahrensökonomie sollte der Einwendungsausschluss aber auch zugleich dem Vorhabenträger (z. B. einer Kommune, die eine Kläranlage erweitern will, oder einem Unternehmen, dass eine Industrieanlage errichten oder erweitern will) eine gewisse Rechtssicherheit vermitteln, indem dieser mit einer späteren Genehmigungsanfechtung wegen nicht bereits im Verwaltungsverfahren eingewandter Mängel grundsätzlich nicht mehr zu rechnen brauchte. Er war somit nach Genehmigungserteilung für sein Vorhaben vor überraschenden, neuen Einwendungen geschützt. III. Entscheidung des EuGH Der EuGH beurteilte die Beschränkung der Gründe, auf die ein gerichtliches Verfahren gestützt werden konnte, als unionsrechtswidrig. Zur Begründung führte er aus, dass die mit der Präklusion einhergehende Beschränkung eine übermäßige Einschneidung des Rechts der betroffenen Öffentlichkeit auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz darstelle. Die Richtlinienziele machten einen möglichst weitreichenden Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung erforderlich. Auch werde eine umfassende materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen verlangt. Durch die materiellen Präklusionsregelungen werde gegen diese Ziele verstoßen. Die Rechtsordnung der Union lasse es nicht zu, dass die Zulässigkeit von Juli 2016 Seite 5 Rügen vor Gericht davon abhängig gemacht werden werde, dass sie vorher im Rahmen des Verwaltungsverfahrens geltend gemacht worden seien. Denn das gerichtliche Verfahren sei ein eigenständiges Verfahren, in dem eine vollständige Überprüfung einer Entscheidung möglich sein müsse. Diese Ziele wögen im Ergebnis schwerer als das Interesse, das gerichtliche Klageverfahren effizient durchzuführen und Rechtssicherheit zu erlangen. Für die Zukunft kann sich daher insbesondere ein Vorhabenträger nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch Genehmigungserteilung nicht mehr auf eine gewisse Rechtssicherheit verlassen. Auch die Behörde muss damit rechnen, dass im Verwaltungsverfahren unerkannt gebliebene Mängel erstmals im Gerichtsverfahren zu Tage treten und ggfs. neue Untersuchungen und darauf basierend neue Entscheidung erfordern. Eine „Hintertür“ ließ der EuGH allerdings offen: Er betonte, dass ausnahmsweise ein Ausschluss der erstmaligen Geltendmachung von Einwendungen im Gerichtsverfahren zulässig sei, wenn z. B. ein missbräuchliches oder unredliches Vorbringen vorliege. Hierfür könne der nationale Gesetzgeber spezifische Verfahrensvorschriften vorsehen. Nina Drüke, BRANDI Rechtsanwälte I [email protected] IV. Praxishinweise Das Urteil des EuGH wirkt weit in den Kernbereich des Verwaltungsrechts hinein, da es die Beschränkungen der Einwendungsbefugnisse in inhaltlicher und in zeitlicher Hinsicht außer Kraft setzt. Es besteht mithin Anpassungsbedarf im deutschen Umweltrecht, da nicht nur die direkt als europarechtswidrig deklarierten Regelungen, sondern auch weitere vergleichbare Vorschriften, wie z. B. § 10 Abs. 3 Satz 5 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), existieren. Mit der Entscheidung des EuGH sind diese Regelungen auf Grund des Vorrangs des Unionsrechts in ihrer bisherigen Fassung unanwendbar geworden. Darauf sollten sich Vorhabenträger in Genehmigungsverfahren für Industrie-, Energieoder Entsorgungsanlagen oder für größere landwirtschaftliche Anlagen einstellen, ebenso Vorhabenträger für Infrastrukturprojekte. Auch die Genehmigungsbehörden sind insofern zu sorgfältigem Umgang mit diesen neuen Rahmenbedingungen aufgerufen. Die nach dem EuGH mögliche Einschränkung aufgrund eines missbräuchlichen oder eines unredlichen Verhaltens erinnert an das Verbot des Rechtsmissbrauchs, welches als allgemeiner – auch im Unionsrecht geltender – Rechtsgrundsatz ohnehin besteht. Ein möglicher Anwendungsfall könnte in einem Verhalten eines Betroffenen liegen, wenn dieser – ohne überhaupt Einwendungen im Verwaltungsverfahren zu erheben – gezielt die Erteilung der Genehmigung abwartet, um dann mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz die Realisierung des Vorhabens zu verzögern. Da die materielle Beweislast für das Vorhaben eines Rechtsmissbrauchs aber bei der Genehmigungsbehörde bzw. dem Vorhabenträger liegen dürfte, werden diese Fälle wohl eine Ausnahme darstellen. Der Regelfall wird die Nichtanwendbarkeit der bisherigen materiellen Einwendungspräklusion sein, so dass ein Betroffener berechtigterweise sein Vorbringen erstmalig im Klageverfahren darlegen darf. Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung Verschiedene bauliche Vorhaben, wie z. B. die Errichtung eines größeren Hotels, die Errichtung oder Änderung bestimmter Industrieanlagen, bestimmter landwirtschaftlicher Anlagen wie z. B. eines Schweinemaststalls mit mehr als 1.500 Mastplätzen oder die Errichtung von mehr als drei Windenergieanlagen erfordern eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz. Das gilt auch, wenn kleinere Anlagen der genannten Art zu bereits vorhandenen Anlagen hinzukommen sollen, also z. B. ein Windpark erweitert werden oder neben einem schon bestehenden Schweinemaststall ein weiterer errichtet werden soll. Die Genehmigungsbehörden haben auf die Vorlage einer solchen Umweltverträglichkeitsprüfung häufig verzichtet, wenn sie aus anderen, bauplanungsrechtlichen oder bauordnungsrechtlichen Gründen die baulichen Anlagen für nicht genehmigungsfähig halten – letztendlich, um dem Antragsteller die Kosten für eine solche Umweltverträglichkeitsprüfung zu ersparen. In verschiedenen Urteilen haben das Verwaltungsgericht Minden und das Oberverwaltungsgericht Münster in den letzten Monaten Folgendes festgehalten: -- Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist Bestandteil des Verwaltungsverfahrens und muss deshalb im Genehmigungsverfahren zwingend durchgeführt werden, und zwar auch dann, wenn dem Genehmigungsantrag letztendlich nicht stattgegeben werden kann. Inwieweit eine Umweltverträglichkeitsprüfung in einem Klageverfahren auf Erteilung der Genehmigung für das Vorhaben nachgeholt werden kann, wird nach wie vor von den Gerichten nicht einheitlich beantwortet und ist auch von der unterschiedlich ausgestalteten Gesetzeslage in den Bundesländern abhängig. -- Wird die Umweltverträglichkeitsprüfung unterlassen, stellt dieses einen Verfahrensfehler dar, durch den subjektivöffentliche Rechte eines Nachbarn verletzt sein können. Allein das Fehlen der Umweltverträglichkeitsprüfung führt somit unter Umständen zur Aufhebung einer Genehmigung unabhängig von der Frage, ob eine Umweltverträglichkeit vorliegt oder nicht. www.brandi.net Seite 6 Praxishinweis: Auch wenn es zusätzliche Kosten verursacht: Bei der Beantragung von Vorhaben, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen, ist deshalb darauf zu achten, dass eine solche Prüfung im Verwaltungsverfahren vorgenommen wird. Dr. Nils Gronemeyer, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Problemfall Abwasser: Unzulässige Einleitungen in die Kanalisation können zu Schadensersatzansprüchen der Kommune führen Immer wieder treten Fälle auf, in denen um die Zulässigkeit von Abwassereinleitungen aus industriellen und gewerblichen Betrieben in die öffentliche Kanalisation gestritten werden muss. Gegenstand solcher Streitigkeiten sind oft diejenigen Fälle, in denen beispielsweise Schadstoffe in überhöhter Konzentration (d.h. über dasjenige hinaus, was die Gemeinde in einem Anschlussbescheid oder in ihrer Satzung zugelassen hat) eingeleitet werden, oder in denen es auf Grund von Fehlverhalten betrieblicher Mitarbeiter zur Einleitung von Stoffen kommt, die überhaupt nicht eingeleitet werden dürfen, z. B. weil sie zu Verstopfungen der Kanalisation führen können (Fette, Beton etc.). So hatte sich das Verwaltungsgericht (VG) Minden jüngst mit einem Fall zu befassen, in dem es zur Einleitung von Zement bzw. Mörtel in die Kanalisation gekommen war. Es hatte sich ein „Betonpfropfen“ gebildet, der den Kanal verstopfte (VG Minden, Urteil vom 08.08.2015 – 11 K 2256/14 –). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte einen Fall zu beurteilen, in dem es zur Einleitung sulfathaltiger Abwässer gekommen war, die das Betonmaterial der Kanalisation angegriffen hatten (BayVGH, Beschluss vom 23.09.2010 – 4 ZB 09.1190 –). Oft sind es auch Fälle, in denen Abwassereinleiter Schadstoffe in die Kanalisation einbringen, die dann zu Schäden in der Kläranlage oder zu überhöhten Ablaufwerten des dort gereinigten Abwassers führen, oder die zu stärkeren Schadstoffbelastungen des Klärschlamms führen. In einem vom VG Köln entschiedenen Fall (Urteil vom 16.09.2008 – 14 K 6393/05 –) ging es z. B. um die Einleitung von Abwasser aus einem Industriebetrieb mit einer überhöhten Konzentration an Chrom und Zink. Derartigen Fällen ist gemeinsam, dass ein Schaden beim Kanalisationsbetreiber eintritt, entweder an der Kanalisation selbst, an der Kläranlage oder in Gestalt wirtschaftlicher Schäden durch erhöhte Entsorgungskosten für den Klärschlamm oder eine erhöhte Abwasserabgabe, die der Kläranlagenbetreiber zu zahlen hat. In diesen Fällen können sich Schadensersatzansprüche des kommunalen Betreibers der Kanalisation bzw. Kläranlage gegen den Abwassereinleiter richten. Grundlage solcher Schadensersatzansprüche ist das öffentlich-rechtliche, sogenannte „Kanalbenutzungsverhältnis“. Verletzt der Einleiter die ihm obliegenden Pflichten aus diesem „Kanalbenutzungsverhältnis“, indem er unzulässige Einleitungen vornimmt, kann er sich nach den im Zivilrecht entwickelten Grundsätzen der positiven Forderungs- www.brandi.net Juli 2016 verletzung gegenüber dem Betreiber der Kanalisation/ Kläranlage schadensersatzpflichtig machen. Neben einem Verstoß gegen die Pflichten aus dem „Kanalbenutzungsverhältnis“ (siehe oben genannte Beispiele – in der Regel geht es hierbei um Verstöße gegen die Entwässerungssatzung oder gegen eine Anschlussgenehmigung) setzt ein Schadensersatzanspruch voraus, dass der Einleiter schuldhaft gehandelt, d. h. entweder vorsätzlich oder fahrlässig gegen seine Pflichten verstoßen hat. Außerdem muss, wie im Zivilrecht, der Verstoß gegen die Pflichten des Einleiters aus dem „Kanalbenutzungsverhältnis“ kausal für den Schaden sein, d. h., dass der Schaden auf den Verstoß des Einleiters zurückzuführen sein muss. Liegen diese Voraussetzungen vor, was in der Praxis zuweilen schwierig festzustellen ist, kann ein Schadensersatzanspruch des kommunalen Betreibers der Kanalisation bzw. Kläranlage gegen den Einleiter gegeben sein. Kommunen, die meinen, ihnen stehe ein solcher Anspruch gegen einen Abwassereinleiter zu, machen bei der Geltendmachung solcher Ansprüche auch heute noch viele Fehler. In der Praxis sieht man z. B. häufig, dass Kommunen mit solchen Klagen vor die Zivilgerichte gehen. Da es sich hierbei aber um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch handelt, gehört er ebenso wie Schadensersatzansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag vor die Verwaltungsgerichte, nicht vor die Zivilgerichte. Weit verbreitet ist auch immer noch die Auffassung bei den kommunalen Kläranlagenbetreibern, sie könnten einen vermeintlichen Schadensersatzanspruch wie die Abwassergebühren durch einen Leistungsbescheid geltend machen. Auch das ist falsch. Es gibt nämlich im Hinblick auf Schadensersatzansprüche kein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis, in dem die Gemeinde ihre vermeintlichen Ansprüche durch einen Bescheid geltend machen könnte. Richtig ist vielmehr, dass die Gemeinde, wenn sie meint, einen Schadensersatzanspruch zu haben, diesen durch eine Zahlungsklage geltend machen muss (siehe z. B. OVG Lüneburg, Beschluss vom 26.03.2014 – 13 ME 21/14 –) Praxishinweise Den Einleitern von Abwasser, insbesondere „problematischer“ Abwässer aus Industrie und Gewerbe, ist anzuraten, sich um die Qualität ihrer Abwässer insofern zu bemühen, als dass keine unzulässigen Einleitungen vorgenommen werden, die zu Schäden an der Kanalisation, der Kläranlage oder zu finanziellen Schäden beim Kläranlagenbetreiber führen können. Dazu gehört, dass sich Industrie- und Gewerbebetriebe mit dem Inhalt der für sie geltenden Entwässerungssatzung der Gemeinde bzw. des Zweckverbandes, der die Kläranlage betreibt, vertraut machen. Gegebenenfalls muss geprüft werden, ob das Abwasser vorbehandelt werden kann oder sollte. Entsteht einmal ein Schaden, der auf eine bestimmte Einleitung zurückgeführt werden kann, muss die Gemeinde beachten, dass sie den Schadensersatzanspruch nicht im Über-/Unterordnungsverhältnis geltend macht, sondern auf einer grundsätzlich gleichrangigen Ebene. Wie bei Schäden im zivilrechtlichen Bereich muss also eine Leistungsklage (gerichtet auf Zahlung und gegebenenfalls Feststellung weiterer Ersatzpflicht) erhoben werden, dies allerdings nicht vor Seite 7 Juli 2016 dem Zivilgericht, sondern vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Prof. Dr. Martin Dippel, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Baurechtliche Folgen und Pflichten im Zusammenhang mit der Aufgabe der Landwirtschaft In Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen sind in der jüngsten Vergangenheit vermehrt Eigentümer ehemaliger landwirtschaftlicher Hofstellen böse überrascht worden durch den Standpunkt der zuständigen Baubehörden, im Falle der Einstellung der Landwirtschaft sei für die schlichte Fortsetzung der Wohnnutzung in der ehemaligen Betriebsleiterwohnung oder dem ehemaligen Altenteilerhaus eine neue Baugenehmigung erforderlich. „Kann es denn angehen“, so fragen die betroffenen Eigentümer ehemaliger landwirtschaftlicher Hofstellen, „dass nun auch für die unveränderte Fortsetzung der Wohnnutzung eine Baugenehmigung erforderlich sein soll?“. Baurechtlich spricht man von der sogenannten „Entprivilegierung“, weil landwirtschaftliche Gebäude im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 Baugesetzbuch (BauGB) privilegiert errichtet und genutzt werden dürfen. Wird die Landwirtschaft aufgegeben, entfällt diese Privilegierung und es stellt sich die Frage, welche Folgen dies für vorhandene Gebäude hat. Die Rechtsprechung nahm in der Vergangenheit an, dass eine solche „Entprivilegierung“ landwirtschaftlicher Gebäude keine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung darstelle (Vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 14.01.1965 - I A 109/63 - BRS 16 Nr. 53). In jüngeren und aktuellen Entscheidungen lässt sich hier aber ein Meinungswandel feststellen. Heute wird immer mehr angenommen, dass der Übergang von der ursprünglich privilegierten zu einer allgemeinen Wohnnutzung einer neuen Baugenehmigung bedarf, weil eine Änderung des Inhalts der ursprünglich erteilten Baugenehmigung nicht automatisch eintritt (Vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 26.11.2014 - 1 LB 164/13 -; VG Münster, Urteil v. 28.01.2015 - 10 K 459/14 -). haupt nicht genehmigt werden. In solchen Situationen kommt es immer mehr zu den oben bereits erwähnten „bösen Überraschungen“. Die entsprechende Entwicklung kommt für die im Baurecht tätigen Spezialisten aber nicht völlig überraschend, denn die Problemlage ist mit den Betriebsinhaber- und Betriebsleiterwohnungen in Gewerbegebieten durchaus vergleichbar. Auch hier stellen sich baurechtlich gravierende Probleme, wenn der Betrieb, an den die Wohnnutzung früher gebunden war, wegfällt oder aufgegeben wird. Der Übergang zu einer allgemeinen Wohnnutzung darf nämlich im Ergebnis nicht dazu führen, dass die Interessen benachbarter Betriebe dadurch verletzt werden, dass von diesen erwartet wird, zukünftig in erhöhtem Maße Rücksicht zu nehmen auf die in der Nachbarschaft nun plötzlich vorhandene allgemeine Wohnnutzung. Deshalb ist in Gewerbegebieten eine Genehmigung einer allgemeinen Wohnnutzung nicht möglich. Im Außenbereich ist dies auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen dagegen zulässig, allerdings müssen die speziellen Umstände des Einzelfalls geprüft und beachtet werden. Dr. Manfred Schröder, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Update – Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts in nichtöffentlicher Sitzung? Im Mandantenrundbrief von Oktober 2015 (S. 4) berichteten wir über die formellen Ausübungsanforderungen an die Gemeinde zur rechtmäßigen Ausübung ihres gemeindlichen Vorkaufrechts. Diesem Bericht lag das Urteil des VG Aachen vom 22.05.2012 – 3 K 347/11 – zugrunde, wonach die Entscheidung über die (Nicht-)Ausübung des Vorkaufsrechts in öffentlicher Sitzung zu beschließen ist. Es sei keine Ausnahme von dem Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit gem. § 48 GO NRW zu erkennen, da das Vorkaufsrecht nur zum Wohl der Allgemeinheit ausgeübt werden dürfe und daher eine hoheitliche Maßnahme des Bauplanungsrechts sei. Vor diesem Hintergrund hat zum Beispiel das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung als oberste Baubehörde im Januar 2016 ausgeführt, dass eine Nutzungsänderung von privilegiertem Wohnen nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB zu sonstiger Wohnnutzung im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 BauGB einer Baugenehmigung bedarf. Mit Urteil vom 15.03.1016 hat sich nunmehr erstmals das OVG NRW – 10 A 1066/14 – mit der Frage beschäftigt. Das VG Köln – 8 K 37/13 – als Vorinstanz hatte sich zuvor der Auffassung des VG Aachen angeschlossen. Der Beschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts sei rechtswidrig gewesen, da die Ratssitzung gem. § 48 II 1 GO NRW hätte öffentlich sein müssen. Das OVG NRW schließt sich jedoch der Auffassung beider Verwaltungsgerichte nicht an. Der Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Beratung über die Ausübung des Vorkaufrechts sei rechtmäßig. Die reine Genehmigungspflicht wäre nun wenig problematisch, wenn man davon ausgehen könnte, dass der Übergang zu einer allgemeinen Wohnnutzung im Regelfall materiell legal und somit genehmigungsfähig ist, denn dann würde der Bestandsschutz für eine Wohnnutzung erneut bestätigt. Schwierigkeiten bereiten die Fälle, in denen etwa wegen der von den benachbarten landwirtschaftlichen Hofstellen ausgehenden Lärm- und Geruchsimmissionen der Standpunkt eingenommen wird, eine allgemeine Wohnnutzung könne über- Zur Begründung führt das OVG NRW aus, dass die Ratssitzungen zwar gem. § 48 II 1 GO NRW grundsätzlich öffentlich sein müssen, die Öffentlichkeit aber durch die Geschäftsordnung für Angelegenheiten einer bestimmten Art ausgeschlossen werden könne. Dies gelte auch für den Ausschluss der Öffentlichkeit bei Beratungen über Liegenschaftssachen. Im Gegensatz zu den Verwaltungsgerichten geht das OVG NRW davon aus, dass es sich bei der Ausübung des Vorkaufsrechts nicht nur um eine hoheitliche Maßnahme des www.brandi.net Seite 8 Bauplanungsrechts handelt. Im Gegenteil gehe es vielmehr um Vertragsverhandlungen, von denen die Öffentlichkeit auszuschließen sei. Mit der Ausübung des Vorkaufsrechts trete die Gemeinde regelmäßig anstelle des Käufers in den Grundstücksvertrag ein und akzeptiere die ausgehandelten Vertragskonditionen, deren Bekanntwerden in der Öffentlichkeit würde ihre Position in vergleichbaren Fällen möglicherweise negativ beeinflussen könne. Ein Bekanntwerden der Höhe des Kaufpreises hätte insbesondere das Recht des Grundstückseigentümers und seines Vertragspartners auf Schutz ihrer privaten Daten in ihren Vermögensangelegenheiten verletzt. Juli 2016 registrieren lassen. Ist das Produkt nicht registriert, so besteht ein Verkaufsverbot. Es ergeben sich aus der REACH-Verordnung für Hersteller oder Importeure von bestimmten Stoffen oder Erzeugnissen Informationspflichten gegenüber nachgeordneten Abnehmern. Nicht nur Verbraucher, sondern vor allem andere gewerbliche Abnehmer haben Anspruch darauf, informiert zu werden, wenn ein Produkt selbst oder Teile des Produkts schadstoffbelastet sind. 3. Was verlangt wird Praxishinweis Das OVG NRW erweitert damit seine bisherige Rechtsprechung zur Annahme von Liegenschaftssachen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.09.2008 – 15 A 2129/08) um die Ausübung des Vorkaufrechts. Unter Liegenschaftssachen sind nunmehr also grundsätzlich auch Verträge über die Ausübung des Vorkaufsrechts zu verstehen, da das Bekanntwerden dieser Angelegenheiten in der Öffentlichkeit dem Gemeinwohl oder den berechtigten Interessen der Beteiligten zuwiderlaufe. Dr. Jörg Niggemeyer, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Sind auch Sie betroffen? Pflichten nach der REACH-Verordnung Die Pflichten von Lieferanten, Herstellern u. a. nach dem Europäischen Chemikalienrecht, insbesondere nach der sog. REACH-Verordnung sind erfahrungsgemäß immer noch weithin unbekannt. Die Folgen der Nichtbeachtung der produktbezogenen Verpflichtungen können allerdings schmerzhaft sein. 1. Worum es geht Das Anliegen der REACH-Verordnung ist es, dass die in Umlauf befindlichen Schadstoffe in der Europäischen Union einheitlich und bekannt zentral registriert werden. Außerdem soll eine lückenlose Kette der Informationen vom Hersteller bzw. Importeur eines Produkts bis zum Verbraucher entstehen. 2. Um wen es geht Sind Sie Hersteller, Importeur, oder Lieferant von Produkten, die möglicherweise Schadstoffe enthalten? In diesem Fall stellt sich für Sie die Frage, welche Pflichten nach der REACH-Verordnung für Ihr Unternehmen bestehen. Sind Sie Produzent oder Importeur von Produkten, die schadstoffbelastet sind, so müssen Sie diese Produkte ggf. www.brandi.net Wichtig ist, welche Mengen Schadstoffe in dem Produkt enthalten sind. Findet sich hier mehr als 0,1%? Nur: 0,1% worauf bezogen? Auf das Gesamtprodukt, einen Inhaltsstoff, einen einzelnen Bestandteil? Das hängt davon ab, ob Ihr Produkt ein Stoff, ein Erzeugnis oder ein Gemisch darstellt. Es ist im Einzelfall schwer bestimmbar, ob es sich bei einem bestimmten Produkt um einen Stoff, um ein Gemisch oder um ein Erzeugnis handelt. Kategorien wie UVCB-Stoffe oder Reaktionsgemische usw. machen die Sache kaum übersichtlicher. Für jede Kategorie wiederum gibt es eigene Anforderungen. Die Schadstoffgrenzwerte bestimmen sich bei einem Gemisch anders als bei einem Stoff und wieder anders bei einem Erzeugnis. Umstritten war lange Zeit vor allem die Frage, wie sich die Schadstoffbelastung bei einem Erzeugnis bemisst. Ein Erzeugnis ist zumeist dadurch gekennzeichnet, dass es sich aus mehreren einzelnen Bestandteilen zusammensetzt. Durchgesetzt hat sich hierbei die Auffassung, dass für jeden einzelnen Bestandteil des Erzeugnisses gesondert zu untersuchen ist, ob dort Schadstoffe enthalten sind. Die bestimmten Grenzwerte für eine Registrierungsbzw. Mitteilungspflicht von 0,1 % eines Schadstoffes sollen sich damit für jede einzelne Komponente des Erzeugnisses bestimmen. Eine Informationspflicht besteht demnach schon, wenn eine Schadstoffbelastung von mindestens 0,1 % bezüglich einer einzelnen Komponente des Erzeugnisses vorhanden ist. Im Klartext: Schon wenn nur eine einzelne Schraube mit 0,1 % schadstoffbelastet ist, erwachsen die besonderen Pflichten nach der REACH-Verordnung. Für die Akteure innerhalb einer Lieferkette bedeutet dies erkennbar einen erheblichen Aufwand. Bei Verdacht ist jeder einzelne Akteur in der Lieferkette verpflichtet, eigene Ermittlungen anzustellen. Hersteller von schadstoffbelasteten Produkten unterliegen bei Überschreiten einer bestimmten Mengengrenze der Registrierungspflicht. Stellen sie einen belasteten Stoff in einer Größenordnung von 1t pro Jahr her, ist dieser Stoff grds. zu registrieren. Ein solches Verfahren dauert üblicherweise mindestens ein Jahr und kostet in der Regel einen mittleren fünfstelligen Betrag. Juli 2016 4. Was passieren kann Wird ein Produkt in Umlauf gebracht, welches bestimmte Schadstoffgrenzwerte überschreitet und nicht registriert ist, so ist es mit einem Verkaufsverbot belastet. Verstöße gegen die Informationspflichten und Meldepflichten nach der REACH-Verordnung können Bußgelder sowie Schadensersatzzahlungen nach sich ziehen. Es ist daher für nahezu jedes Unternehmen dringend geraten, sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Verpflichtungen für das Unternehmen nach dem Europäischen Chemikalienrecht bestehen. Dr. Christoph Worms, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Beamtenrecht: Der Kampf um die Vergütung von Mehrdiensten – Das „Verjährungsgespenst“ In den zurückliegenden Jahren ist es vermehrt zu einer allgemeinen Praxis geworden, dass Beamte Mehrarbeitsstunden zu leisten haben. Dies gilt beispielsweise insbesondere für die Polizeibeamten im Land Nordrhein-Westfalen. Hier „schieben“ nicht selten Beamte mehrere Hundert Mehrarbeitsstunden „vor sich her“. Maßgeblicher Grund hierfür sind fehlende Einstellungen in Folge beschränkter finanzieller Personalmittel. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Aufgabenerfüllung lediglich durch die Leistung von Mehrdiensten aufrechterhalten werden kann. Dieser Befund kann teilweise aber auch auf andere Beamtengruppen bzw. andere Dienstherrn, so auch in der Kommunalverwaltung, übertragen werden. In der Praxis waren die Beamten in der Vergangenheit regelmäßig bereit, Mehrdienste zu leisten. Konnten sie doch darauf vertrauen, dass entweder eine Dienstbefreiung oder aber eine Mehrarbeitsvergütung (§ 61 LBG NRW) zum Ausgleich erfolgte. Soweit ersichtlich, spielte in der Vergangenheit die Gefahr der dreijährigen Verjährungsfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) in der Praxis kaum eine Rolle. Erste „Erosionen“ in diesem eingespielten System ergaben sich aus der Problematik, dass immer mehr Beamte die dienstliche Altersgrenze nicht erreichten, sondern wegen Dienstunfähigkeit zur Ruhe gesetzt wurden. Hier stellte sich dann die Frage, ob nach erfolgter Zurruhesetzung ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung durchsetzbar ist. Abgesehen von einigen Ausnahmefällen wurden dahingehende Ansprüche von den Dienstherrn grundsätzlich abgelehnt. Zur Begründung wurde zumeist darauf hingewiesen, dass eine Vergütung von Mehrarbeitsstunden nur an Beamte mit laufenden Dienstbezügen erfolgen könne, eine Auszahlung an Ruhestandsbeamte sei nicht möglich. In vereinzelten Fällen wurde auch ergänzend die Einrede der Verjährung erhoben. Bereits dies führte aus nachvollziehbaren Gründen einerseits zu erheblichem Unmut bei den betroffenen Ruhestandsbeamten und zum anderen zu Unruhe und Verunsicherung bei aktiven Beamten. Letztere mussten befürchten, dass sie bei einer Erkrankung, die in eine Zurruhesetzung mündete, Seite 9 Gefahr liefen, keinen Ausgleich für (in erheblichem Umfang) geleistete Mehrarbeitsstunden zu erhalten. Dies wiederum führte vereinzelt zu Bemühungen von Beamten, ihren „Überstundenberg“ noch im aktiven Dienst abzubauen. Allerdings scheiterten Dienstbefreiungen nicht selten an der geschilderten knappen Personaldecke. Die Geltendmachung einer Mehrarbeitsvergütung ist bei aktiven Beamten vielfach deshalb verpönt, weil eine Mehrarbeitsvergütung insbesondere auch wegen der anfallenden Steuerpflicht keine „Eins-zueins-Kompensation“ darstellen kann. In der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung scheiterten Ansprüche auf Zahlung einer Mehrarbeitsvergütung von Ruhestandsbeamten regelmäßig aus den vorgenannten Gründen. Allerdings ergeben sich aktuell Tendenzen, dass die Rechtsprechung versucht, betroffenen Beamten mit Hilfe des Rechtsinstituts von Treu und Glauben gem. § 242 BGB analog zu helfen. Dabei ist aber der Sonderfall zu beachten, dass die Rechtsprechung hier auch zwischen rechtmäßig angeordneten oder genehmigten Mehrarbeitsstunden im Sinne des § 61 Landesbeamtengesetz (LBG NRW) und der Ableistung von dienstlich erforderlichen Überstunden außerhalb des § 61 LBG NRW differenziert (vgl. VG Düsseldorf, Urteil v. 04.05.2016 – 13 K 5760/15 -). Soweit ersichtlich, hat sich nunmehr erstmalig ein „großer“ Dienstherr dem oben beschriebenen Dilemma angenommen: Das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen hat den Polizeibehörden im Land Nordrhein-Westfalen durch Erlass vom 22.05.2015 Vorgaben im Zusammenhang mit Mehrarbeit gem. § 61 LBG NRW gemacht. Es weist in diesem Erlass auch ausdrücklich darauf hin, dass ein Anspruch auf Dienstbefreiung bzw. auf Vergütung von Mehrarbeitsstunden der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren unterliege. Unter Hinweis auf ein Urteil, des VGH Baden-Württemberg vom 30.09.2014 – 4 S 1980/13 – wird weiter klargestellt, dass für den Beginn der Verjährung beider Ansprüche gem. § 199 Abs. 1 BGB einheitlich auf das Ende des Jahres abzustellen sei, in dem die ausgleichspflichtige Mehrarbeit und der Anspruch auf Ausgleich entstanden seien. Schließlich nimmt sich das Ministerium auch dem Problem der bei den Landespoilzeibeamten angefallenen erheblichen Mehrarbeitsstunden an und verfügt, dass für die vor 2015 geleisteten Mehrarbeitsstunden für einen Übergangszeitraum bis zum 31.12.2020 auf die Einrede der Verjährung verzichtet werde. Auf die oben angesprochene Problematik des Anspruchs auf Mehrarbeitsvergütung von Ruhestandsbeamten geht der Erlass nicht ein. Weiter wird den Polizeibeamten aufgegeben, entstandene Mehrarbeitsstunden konsequent abzubauen; der Abbau werde durch künftige Abfragen kontrolliert. Soweit erkennbar, hat dieser Erlass bereits für erhebliche Unruhe bei den betroffenen Beamten und in den Behörden gesorgt. Es ist derzeit offenbar nicht ersichtlich, wie der Spagat zwischen der Aufforderung zum konsequenten Abbau von Mehrarbeitsstunden und der angespannten Personallage gelingen soll, zumal ein Abbau gemäß Erlass vornehmlich durch Dienstbefreiung erfolgen soll. Insbesondere das nunmehr erstmalig für alle Polizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen schriftlich bindende „aktivierte“ Rechtsinstitut der Verjährung sorgt für Unmut. Es ist derzeit nämlich www.brandi.net Seite 10 nicht erkennbar, wie es unter Berücksichtigung des befristeten Verzichts auf die Erhebung der Einrede der Verjährung in den nächsten Jahren gelingen soll, die erheblichen „Überstundenberge“ abzubauen. Zu begrüßen ist, dass sich das Ministerium der Problematik nunmehr stellt. Zu kritisieren ist, dass zum einen die Frage eines Mehrarbeitsvergütungsanspruchs von Ruhestandsbeamten nicht aufgegriffen wird und das Verjährungsproblem in der Praxis wohl zeitlich nur verschoben sein dürfte. Es bleibt abzuwarten, ob der vorstehende Erlass auch bei anderen Dienstherrn Schule macht. Zu hoffen bleibt, dass seitens des Ministeriums oder auch von anderen Dienstherrn zeitnah die erforderlichen Korrekturen erfolgen, um einen gerechten Ausgleich zwischen den dienstlichen Interessen des jeweiligen Dienstherrn und der betroffenen Beamten zu schaffen. Zu hoffen bleibt auch, dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hier zukünftig helfend zugunsten der Beamten eingreift. Andreas Wiemann, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Alles neu?! Gesellschafter und Rentenversicherung Zu einer bösen Überraschung sind die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.07.2015 (B 12 KR 23/13 R und B 12 KR 1/13 R) für viele Gesellschafter insbesondere mittelständischer Familienunternehmen geworden. Das Bundessozialgericht vollzieht nicht weniger als eine Kehrtwende in seiner Rechtsprechung. Viel stärker als früher werden in einem Unternehmen mitarbeitende Gesellschafter nun der Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen. 1. Bisherige Situation Viele Gesellschafter haben sich in der Vergangenheit darauf eingestellt, dass sie nicht Mitglieder der Deutschen Rentenversicherung sind. Sie konnten sich dazu auf die Rechtsprechung des BSG berufen. Ausgangspunkt der Auseinandersetzung bildet seit jeher die Frage, ob die Tätigkeit eines mitarbeitenden Gesellschafters als abhängige Beschäftigung zu qualifizieren ist oder als selbstständige Tätigkeit. Handelt es sich um eine abhängige Beschäftigung, so unterliegt der Gesellschafter der Beitragspflicht zur Deutschen Rentenversicherung. Mitarbeitende Gesellschafter wurden nicht zuletzt kraft ihrer besonderen Kenntnisse und besonderen und herausgehobenen Stellung innerhalb des Unternehmensgefüges als selbstständig Tätige angesehen. Freilich spielten auch in der Vergangenheit andere Kriterien (kein Urlaubsanspruch, keine festen Bezüge, faktische Weisungsfreiheit usw.) bei der Abgrenzung eine nicht unbedeutende Rolle. Die sog. Kopf- und Seele-Rechtsprechung des BSG hat diejenigen Gesellschafter aber häu- www.brandi.net Juli 2016 fig beitragsfrei gestellt, die angesichts ihres Fachwissens, ihrer Kompetenz sowie ihrer hohen Verantwortung für das Unternehmen nicht als abhängig Beschäftigte angesehen werden sollten. 2. Die neue Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Mit dieser Rechtsprechung hat das BSG nunmehr zum Teil gebrochen. Danach soll es ausdrücklich nicht mehr ausreichen, dass ein Gesellschafter Kopf und Seele eines Unternehmens ist. Es soll nicht mehr genügen, dass er rein faktisch keine Weisungen erhält und das Unternehmen nach eigenen Maßstäben leitet und lenkt. Das BSG stellt vielmehr ausdrücklich darauf ab, dass der mitarbeitende Gesellschafter in formal-rechtlicher Hinsicht über eine Rechtsposition verfügt, die ihn in die Lage versetzt, sich im Zweifel gegen Weisungen auch effektiv zur Wehr setzen zu können. In den Mittelpunkt der Betrachtung rückt damit die Ausgestaltung eines etwaigen Arbeitsvertrages bzw. des Gesellschaftsvertrages. Schon das Vorliegen eines Arbeitsvertrages deutet auf eine abhängige Beschäftigung hin. Häufig sind die Fragen der Maßgaben eines mitarbeitenden Gesellschafters im Rahmen des Gesellschaftsvertrages geregelt. Verfügt der mitarbeitende Gesellschafter kraft seiner Position, beispielsweise seiner Stimmanteile, oder kraft ausdrücklicher Regelungen im Gesellschaftsvertrag über eine Stimmenminderheit oder über eine Sperrminorität, so unterliegt der Gesellschafter formal-rechtlich einer Abhängigkeit gegenüber Dritten. Diese Abhängigkeit, so das BSG, deutet ganz entscheidend darauf hin, dass hier keine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Beispiel: In einem Unternehmen, in welchem die Ehefrau Mehrheitsgesellschafterin und der Ehemann Minderheitsgesellschafter ist, ist der mitarbeitende Ehemann grundsätzlich als abhängig Beschäftigter anzusehen. Dies wäre auch dann anzunehmen, wenn der Ehemann mit der Ehefrau im Innenverhältnis einen Stimmbindungsvertrag geschlossen hat und auf dieser Grundlage im Innenverhältnis einen Anspruch hätte, dass die Ehefrau ihre Stimmrechte in seinem Sinne ausübt. Die Abrede im Innenverhältnis ist im Außenverhältnis ohne Bedeutung. Die Ehefrau hätte die rechtliche Möglichkeit, sich über den Stimmbindungsvertrag hinwegzusetzen. In diesen Fällen würde der Ehemann grundsätzlich als abhängig Beschäftigter gelten. Selbstverständlich bezieht das BSG nach wie vor auch alle anderen Umstände des Einzelfalls in die Betrachtung und Abwägung ein. Die formal-rechtliche Stellung eines mitarbeitenden Gesellschafters soll aber nunmehr zentrale Bedeutung erlangen. 3.Folgen Die Entscheidungen des BSG sind vergleichsweise neu. Darauf aufbauende Rechtsprechung gibt es bislang kaum. Insbesondere wird sich die Frage stellen, ob die Entscheidungen des BSG vor allem auf Kapitalgesellschaften Anwendung finden oder auch auf Personengesellschaften in gleicher Seite 11 Juli 2016 Weise. Die Entscheidungen selbst sind jeweils zu Kapitalgesellschaften ergangen. Die Bedeutung des verschriftlichten Gesellschaftsvertrages ist bei Personengesellschaften weniger stark ausgeprägt, was für eine etwas andere Sichtweise sprechen würde. Ratsam ist vor diesem Hintergrund allerdings in jedem Fall, dass die Gesellschaftsverträge und die Praxis der Unternehmensleitung auf Grundlage der Gesellschaftsverträge kritisch betrachtet wird und ggf. – soweit möglich – rückwirkend angepasst und geändert wird. Die Deutsche Rentenversicherung ist auf Grundlage der Entscheidung des BSG verstärkt daran interessiert, mitarbeitende Gesellschafter zur Beitragspflicht heranzuziehen. Wenn die Deutsche Rentenversicherung dem Unternehmen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Nichtzahlung von Rentenversicherungsbeiträgen vorwirft, so kann die Angelegenheit teuer werden. Die Rentenversicherungsbeiträge können dann ggf. über 30 Jahre zzgl. Säumniszuschlägen verlangt werden. Außerdem würde ggf. das bezogene Entgelt als vereinbarter Netto-Lohn fingiert. Neue Rahmenbedingungen für die interkommunale Zusammenarbeit Solange es Kommunen gibt, erledigen sie bestimmte Aufgaben gemeinsam. In allen Bundesländern existieren Gesetze, die den Kommunen die gemeinderechtlichen Möglichkeiten dazu eröffnen, sei es über den Abschluss von Kooperationsverträgen (sogenannter „Zweckvereinbarungen“), sei es über (gemeinsame) kommunale Unternehmen oder sei es in Form fest organisierter Zweckverbände. Mit der kommunalrechtlichen Regelung ist indes noch nichts darüber gesagt, wie die vergaberechtliche Bewertung interkommunaler Zusammenarbeit ausfällt, ob es sich also in bestimmten Konstellationen um einen öffentlichen Auftrag handelt, der nach vergaberechtlichen Vorschriften hätte ausgeschrieben werden müssen. Diese Frage regelt jetzt § 108 Abs. 6 des seit dem 18.04.2016 geltenden, neu gefassten vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Diese Vorschrift enthält die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine „vergaberechtsfreie“ interkommunale Zusammenarbeit, wie sie sich vor allem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gebildet haben. 4. Empfehlung Öffentliche Auftraggeber Auf Grundlage dieser Situation ist es daher dringend geboten, die eigene Praxis im Unternehmen kritisch zu hinterfragen. Die Vergaberechtsfreiheit interkommunaler Zusammenarbeit Die vorhandenen Gesellschaftsverträge bzw. Arbeitsverträge setzt zunächst voraus, dass alle Beteiligten öffentliche Aufsind – ggf. rückwirkend – zu ändern. Die tatsächliche Praxis traggeber im Sinne des § 99 Nrn. 1 bis 3 GWB (früher im Unternehmen muss auch im verschriftlichten Gesell- § 98 Nrn. 1 bis 3 GWB) sind. Hierbei handelt es sich um die schaftsvertrag Niederschlag finden. Auf Grundlage einer „klassischen“ öffentlichen Auftraggeber wie Gebietskörpersolchen Situation kann dann ggf. auch ein Statusfeststel- schaften oder um andere juristische Personen des öffentlilungsverfahren durchgeführt werden, um in dieser Angele- chen oder privaten Rechts, die im Allgemeininteresse genheit Rechtssicherheit zu erlangen. liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen, oder um Verbände, deren Mitglieder Gebietskörperschaften bzw. deren Sondervermögen oder die eben angesprochenen Können wir Sie hierbei unterstützen? anderen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Sprechen Sie uns gern an. Rechts sind. Dr. Christoph Worms, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Diese öffentlichen Auftraggeber sind insofern zur Vereinbarung einer vergaberechtsfreien interkommunalen Zusammenarbeit „geeignet“. Grundsätzlich schadet es auch nicht, wenn an einem öffentlichen Auftraggeber (z. B. einer privatrechtlich verfassten GmbH, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllt) eine private Kapitalbeteiligung besteht. Dies ist nur dann schädlich für die Vergaberechtsfreiheit der interkommunalen Zusammenarbeit, wenn auf diese Weise ein privates Unternehmen – nämlich das am Kapital eines privatrechtlich verfassten öffentlichen Auftraggebers beteiligte Unternehmen – wettbewerblich bevorteilt würde. Das würde eine vergaberechtsfreie interkommunale Zusammenarbeit ausschließen. Vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit Weitere Voraussetzung für die Vergaberechtsfreiheit einer interkommunalen Zusammenarbeit ist, dass es sich um eine vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit handelt. Für die Beurteilung unter vergaberechtlichen Aspekten ist es demnach gleichgültig, ob es sich um eine sogenannte mandatie- www.brandi.net Seite 12 rende Vereinbarung handelt, bei der im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit lediglich die Durchführung einer Aufgabe übertragen, die Aufgabenzuständigkeit aber nicht berührt wird, oder ob die vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit auch den Übergang der gesamten Aufgabenzuständigkeit auf einen anderen Verwaltungsträger mit beinhaltet (sogenannte delegierende Vereinbarung). Beide Gestaltungsformen sind grundsätzlich vergaberechtlich möglich, solange es sich eben lediglich um eine vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit handelt. Erreichung gemeinsamer Ziele im öffentlichen Interesse Dritte Voraussetzung für die Vergaberechtsfreiheit einer interkommunalen Zusammenarbeit ist, dass sie der Erreichung gemeinsamer Ziele im öffentlichen Interesse dient. Hinter ihr muss ein sogenanntes kooperatives Konzept stehen. Nun können im Rahmen einer interkommunalen Zusammenarbeit nicht alle Beteiligten weiterhin alle Aufgaben gleichmäßig ausüben. Sonst könnten die Aufgaben auch von jedem Beteiligten allein für sich erledigt werden, und es bedürfte der interkommunalen Zusammenarbeit nicht. Es ist deshalb nicht zwangsläufig erforderlich, dass alle teilnehmenden Stellen die Ausführung wesentlicher Vertragspflichten übernehmen. Im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit und des dahinter stehenden kooperativen Konzepts sind vielmehr alle Arten von Tätigkeiten denkbar, die der Zusammenarbeit dienlich sind. Die Vertragspflichten bzw. Tätigkeiten der Beteiligten müssen nicht identisch sein, sondern können sich (idealerweise) ergänzen. Grundsätzlich kann sich einer der Partner im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit auch auf einen Finanztransfer beschränken, also auf die Erstattung von Kosten für Tätigkeiten, die andere Partner im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit erbringen. Die reine Kostenerstattung im Sinne eines Finanztransfers reicht aber nur dann für die Vergaberechtsfreiheit der interkommunalen Zusammenarbeit aus, wenn sie durch Erwägungen des öffentlichen Interesses gedeckt ist. Juli 2016 verfahren zu einer erheblichen Erleichterung für die interkommunale Zusammenarbeit gekommen, die in § 108 Abs. 6 Nr. 3 GWB „eins-zu-eins“ eingeflossen ist. Zwischen „im Prinzip keiner“ Tätigkeit auf dem freien Markt und einer Tätigkeit von nicht mehr als 20 % liegt eine erhebliche Spanne, mit entsprechenden wettbewerblichen Folgen. Macht man sich dies am Beispiel der Entsorgungswirtschaft deutlich, so bedeutet das, dass die Beteiligten an einer interkommunalen Zusammenarbeit über den Bereich der normalen Haushaltsabfälle – also der Abfälle, die an den kommunalen Entsorgungsträger überlassen werden müssen – hinaus einen erheblichen Anteil an Gewerbeabfällen erfassen darf, ohne dass die interkommunale Tätigkeit vergaberechtsrelevant würde. Dass dies nicht wettbewerbsrelevant sei, wird man kaum behaupten können. Keine Besserstellung privater Unternehmen Durch die interkommunale Zusammenarbeit darf schließlich – als letzte Voraussetzung der Vergaberechtsfreiheit – keine Besserstellung privater Unternehmen erfolgen, die in die interkommunale Zusammenarbeit in der einen oder anderen Weise (z. B. durch eine Kapitalbeteiligung oder durch einen bestehenden Dienstleistungsauftrag) einbezogen sind oder einbezogen werden können. Dieses Kriterium soll wiederum die Wettbewerbsneutralität der interkommunalen Zusammenarbeit sicherstellen. An der Erfüllung dieses Kriteriums fehlt es beispielsweise in der interkommunalen Zusammenarbeit, wenn eine Kommune eine andere Kommune mit Reinigungsleistungen in einem öffentlichen Gebäude beauftragt und die als „Auftragnehmer“ agierende Kommune ein privates Unternehmen einbeziehen kann, welches dann auf völlig intransparente Weise an einen neuen Auftrag käme, der für sich gesehen ausschreibungspflichtig wäre. Zentrale Beschaffungsstellen Ein wichtiges Kriterium für die Vergaberechtsfreiheit der interkommunalen Zusammenarbeit ist, dass die öffentlichen Auftraggeber auf dem Markt weniger als 20 % der Tätigkeiten erbringen, die durch die Zusammenarbeit erfasst sind. Öffentliche Aufträge zur Ausübung zentraler Beschaffungstätigkeiten können nach § 120 Abs. 4 S. 3 GWB an eine zentrale Beschaffungsstelle vergeben werden, ohne ein Vergabeverfahren durchzuführen. Eine zentrale Beschaffungsstelle ist ein öffentlicher Auftraggeber, der für andere öffentliche Auftraggeber dauerhaft Liefer- und Dienstleistungen beschafft, öffentliche Aufträge vergibt oder Rahmenvereinbarungen abschließt (zentrale Beschaffungstätigkeit). Diese Regelung war von der Europäischen Kommission ursprünglich sehr viel strenger gefasst. In einem Arbeitsdokument vom 04.10.2011 heißt es, die Kooperationspartner sollten „im Prinzip“ gar keine Tätigkeiten auf dem Markt im Rahmen der Zusammenarbeit ausüben. In seiner endgültigen Form spricht dieses Dokument der EU-Kommission davon, dass die beteiligten öffentlichen Auftraggeber nicht mehr als 10 % ihrer Tätigkeiten auf dem offenen Markt ausüben sollen. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in seiner Rechtsprechung – bis auf Sonderfälle – für eine Grenze von 10 % entschieden, die nicht durch die Tätigkeiten auf dem freien Markt überschritten werden darf. Letztendlich ist es hier in Folge der kommunalen Einflussnahme im Richtlinien- Die Vorschrift gestattet es öffentlichen Auftraggebern, Liefer- und Dienstleistungen von zentralen Beschaffungsstellen zu erwerben (die Dienstleistung kann beispielsweise auch die Durchführung von Vergabeverfahren für einen Auftraggeber durch die zentrale Beschaffungsstelle sein) oder Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge mittels zentraler Beschaffungsstellen zu vergeben. Maßgebliches Kriterium, das eine zentrale Beschaffungsstelle kennzeichnen muss, ist allerdings ihre Dauerhaftigkeit. Übernimmt ein öffentlicher Auftraggeber lediglich sporadisch solche Aufgaben für andere öffentliche Auftraggeber, ist dieses Kriterium unter Umständen nicht erfüllt. Die Erbringung der Dienstleistung durch einen öffentlichen Auftraggeber für einen anderen öffentli- Nur geringe Tätigkeit am „freien Markt“ www.brandi.net Juli 2016 chen Auftraggeber wäre sonst eine (bei Überschreitung der Schwellenwerte) nach den Vorschriften des GWB ausschreibungspflichtige Dienstleistung. Praxishinweise § 106 Abs. 8 GWB regelt die im Wesentlichen schon aus der Rechtsprechung des EuGH abzuleitenden Zulässigkeitsvoraussetzungen für interkommunale Kooperation jetzt deutlich im Gesetz. Öffentlichen Auftraggebern ist anzuraten, diese Zulässigkeitsgrenzen genau einzuhalten, weil sie sonst Gefahr laufen, dass die – möglicherweise kommunalrechtlich ohne Weiteres zulässige – interkommunale Kooperation vergaberechtlich unzulässig wird und gegebenenfalls entsprechende Leistungen im Wege eines Vergabeverfahrens beschafft werden müssten. Die Kriterien sind nicht immer leicht zu überschauen, so dass eine sorgfältige Prüfung anzuraten ist. Erbringern von Liefer- oder Dienstleistungen, die eine interkommunale Kooperation im konkreten Fall für unzulässig halten, ist – neben einer genauen Prüfung der Zulässigkeitsfrage – zu raten, ggf. die Voraussetzungen eines Nachprüfungsantrags zu prüfen. Die unzulässige interkommunale Kooperation unterliegt dann als ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag dem Nachprüfungsrecht des GWB. Es handelt sich um eine unzulässige de facto-Vergabe, die nur innerhalb der gesetzlichen Fristen angegriffen werden kann. Besonders vergaberechtsrelevant sind solche Fälle, in denen es entweder um reine Finanztransfers im Gegenzug zur Erbringung bestimmter Leistungen geht, oder in denen über eine interkommunale Zusammenarbeit bestimmte private Unternehmen direkt oder indirekt bevorzugt werden, oder in denen beispielsweise auch die Tätigkeit der beteiligten öffentlichen Auftraggeber am freien Markt 20 % oder mehr ihrer von der interkommunalen Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten beträgt. Prof. Dr. Martin Dippel, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Neue strategische Ziele im Vergaberecht – mit beihilferechtlichen Risiken? Öffentliche Auftraggeber dürfen nun strategischer handeln. Das im April 2016 in Kraft getretene neue Kartellvergaberecht räumt größere Spielräume ein, um mit der Beschaffung von Leistungen nicht nur den Beschaffungsbedarf zu decken, sondern, um mit dem Instrument der Vergabe auch soziale, umwelt- und personalpolitische Ziele zu unterstützen. Dabei soll der althergebrachte eigentliche Zweck vergaberechtlicher Verfahren aber nicht vernachlässigt werden: Öffentliche Mittel sollen effizient eingesetzt werden. Neben der Leistungsbeschreibung sind die Wertungsund Zuschlagskriterien das zentrale Element eines Vergabeverfahrens. An ihnen entscheidet sich, ob die angestrebte Seite 13 Beschaffung von Leistungen erfolgreich verläuft, indem sie die Ziele erreicht, die ein öffentlicher Auftraggeber selbst definiert. Mit der Betonung strategischer Ziele, denen Vergabeverfahren nun auch dienen sollen, geht eine breite Öffnung der zulässigen Kriterien für die Wertung von Angeboten einher. Damit ist ein Abschied von der vergleichsweise übersichtlichen Welt einiger weniger Wertungs- und Zuschlagskriterien verbunden. Diese waren im Kern darauf gerichtet, das wirtschaftlichste Angebot im ökonomischen Sinne zu identifizieren. Das war vorrangig ein Angebot, welches ein Maximum an Leistungen für ein festgelegtes Budget oder bestimmte Leistungsanforderungen zu einem möglichst niedrigen Preis versprach. Es ist wahr, dass insbesondere die Landesgesetzgeber schon seit einigen Jahren darauf hingewirkt haben, dass öffentliche Auftraggeber in Vergabeverfahren sicherstellen, dass Mindestanforderungen an die Personalentlohnung erfüllt werden, die sich aus gesetzlichen Vorschriften (Mindestlohngesetz, Arbeitnehmerentsendegesetz) sowie aus verbindlichen Tarifverträgen ergeben. Ferner soll die Einhaltung von Kernarbeitsnormen der ILO abgefragt werden und sollen Mindeststandards an die Frauenförderung im Unternehmen mit der Abgabe von Angeboten bestätigt werden (beispielsweise nach §§ 4, 18, 19 Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen (TVgG NRW)). Des Weiteren ist die Energieeffizienz nicht nur in Leistungsbeschreibungen, sondern auch in der Wertung von Angeboten für Dienst- und Liefer- sowie Bauleistungen zu berücksichtigen und damit ein seit Jahren anerkanntes umweltbezogenes Kriterium. Dennoch ermöglicht das neugefasste Vergaberecht die Einbeziehung von Kriterien und Aspekten zur Bestimmung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses, die in der Vergangenheit als Wertungs- und Zuschlagskriterium ausgeklammert blieben. Dazu zählen etwa die „Zugänglichkeit der Leistung insbesondere für Menschen mit Behinderungen“, die Übereinstimmung mit Anforderungen des „Designs für Alle“, „Vertriebs- und Handelsbedingungen“, „Kundendienst und technische Hilfe“, „Ästhetik“, der „faire Handel“, der „Schutz der Gesundheit und der Arbeitskräfte“, die „Fortbildung“ des Personals“. Die neugefassten Vorschriften zur Zuschlagserteilung in § 127 GWB, § 58 Vergabeverordnung und § 16d EU VOB/A ermöglichen damit eine große Bandbreite zulässiger Kriterien, die nun alle unter den Oberbegriff des wirtschaftlichsten Angebots und zu dessen Konkretisierung gefasst werden dürfen. Einschränkend gilt nur Folgendes: Alle Kriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Damit sind nicht nur materielle Eigenschaften gemeint. Es reicht vielmehr aus, wenn die genannten Kriterien und Aspekte auf Prozesse bezogen sind, die „im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung“ stehen. Diese Einschränkung ist nicht sehr restriktiv. Sie schließt es nur aus, dass bewertet wird, ob ein Bieter eine allgemeine Politik, etwa der sozialen oder ökologischen Verantwortung, verfolgt. Darauf hat der EU-Richtliniengeber hingewiesen (Vgl. Erwägungsgrund 97 der Richtlinie 2014/24/EU), nicht so sehr der deutsche Gesetzgeber. www.brandi.net Seite 14 Eine andere Einschränkung kann sich dagegen als wirksamer erweisen. Denn die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt werden, dass überprüft werden kann, ob die Angebote sie erfüllen. Wenn öffentliche Auftraggeber das ernst nehmen, müsste für einige der zitierten Kriterien und Aspekte, die eher strategischen Zielen als der ökonomischen Beschaffung von Leistungen dienen, sehr kritisch überlegt werden, wie ihre Erfüllung überhaupt verifiziert werden kann. Blankoerklärungen der Bieter reichen dafür nicht aus. Zuletzt soll auf ein Risiko hingewiesen werden, das im Zusammenhang mit einer offensiven Verwendung von Kriterien und Aspekten, die strategischen Zielen dienen, verbunden sein kann. Dieses Risiko schlummert in der bisher geführten Diskussion noch latent und fast unbemerkt, nämlich das Risiko eines Verstoßes gegen beihilferechtliche Vorschriften. Denn eines der Kernmerkmale einer im Grundsatz verbotenen Beihilfe ist die Verschaffung einer Begünstigung im Sinne von Art. 107 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Nach beihilferechtlichen Maßstäben liegt eine Begünstigung nicht nur vor, wenn eine Leistung ohne Gegenleistung gewährt wird, sondern auch dann, wenn die Gegenleistung unter dem Marktwert liegt. Um das zu ermitteln, werden sogenannte market economy investor tests angewandt, beispielsweise der private investor test (pit). Aber diese Verfahren erfassen nicht, ob und welchen „Mehrwert“ Kriterien und Aspekte schaffen, die strategischen Zielen dienen. Zu einer Verteuerung der Leistungsbeschaffung zu Lasten der öffentlichen Auftraggeber führen sie aber fast immer. Es ist bisher nicht geklärt, ob ein gesellschaftspolitisch, ein sozial oder aus anderer Sicht erwünschter Mehrwert sich auf den Marktwert einer Leistung im Sinne des Beihilferechts auswirkt. Sollte die EU-Kommission oder der EuGH das verneinen, müsste häufig festgestellt werden, dass ein öffentlicher Auftraggeber dem erfolgreichen Bieter des Vergabeverfahrens eine Begünstigung verschafft, wenn er den angebotenen Preis des wirtschaftlich günstigsten Angebots zahlt. Darin offenbart sich ein Wertungswiderspruch zwischen dem Vergaberecht und dem Beihilferecht. Es wird spannend sein zu beobachten, wie dieser bisher noch latente Wertungswiderspruch aufgelöst wird. Dr. Christoph Jahn, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Juli 2016 Vergaberechtsnovelle 2016 – Neuerungen bei der Vergabe von Bauleistungen nach der EU-VOB/A Pünktlich zum Ablauf der Frist zur Umsetzung der in 2014 reformierten EU-Vergaberichtlinien ist am 18.04.2016 mit der Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung (VgV) die VOB 2016 in Kraft getreten. Während die Regelwerke für die europaweite Ausschreibung von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen und freiberuflichen Aufträgen oberhalb der EUSchwellenwerte, die EU-VOL/A und die VOF entfallen sind und die ehemals dort normierten Vorgaben vereinheitlicht und die VgV integriert worden sind, existiert das Regelwerk der EU VOB/A fort. Wegen bauspezifischer Aspekte hatte die Bundesregierung bereits in ihrem Eckpunktepapier zur Reform des Vergaberechts im Januar 2015 mitgeteilt, sie beabsichtige die VOB/A 2. Abschnitt bestehen zu lassen. Mit der Novellierung der VOB/A sollten allerdings nicht nur die Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU (Allgemeine Vergaberichtlinie) umgesetzt, sondern die VOB/A sollte auch einfacher und anwenderfreundlicher ausgestaltet werden. Diesem Ansinnen ist im Wesentlichen dadurch Rechnung getragen worden, dass die bei der Vergabe von Bauaufträgen besonders wichtigen Bestimmungen aus dem GWB und der VgV in der VOB/A wiederholt worden sind, um ein einheitliches Regelwerk für die Vergabe von Bauaufträgen zu schaffen. Zudem enthält die VOB/A nun konkrete Vorgaben für den Ablauf aller Verfahrensarten, so dass die Strukturierung der Verfahren, die bislang im Wesentlichen durch die vergaberechtliche Rechtsprechung vorgegeben waren, erleichtert wird. Die in der Praxis gravierendste, allerdings nicht bauvergabespezifische Änderung ist die nunmehr zwingend vorgeschriebene elektronische Kommunikation. Vergabeverfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte sind nun grundsätzlich mit elektronischen Mitteln durchzuführen. In der Bekanntmachung oder der Aufforderung zur Angebotsabgabe/Interessenbekundung hat der öffentliche Auftraggeber eine elektronische Anschrift anzugeben, unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können. Es ist nicht mehr zulässig, von dem Interessenten in den Unterlagen eine Registrierung zu verlangen. Alle Vergabeunterlagen müssen bereits mit Beginn des Vergabeverfahrens, also mit Veröffentlichung der Bekanntmachung, frei verfügbar sein. Die fehlende Registrierungspflicht bringt im Umkehrschluss die Notwendigkeit für Bieter mit sich, sich eigenständig über etwaige Aktualisierungen der Vergabeunterlagen oder die Beantwortung von Bieterfragen unter der elektronischen Anschrift unterrichtet zu halten. Die ebenfalls vorgesehene elektronische Abwicklung des Vergabeverfahrens, insbesondere die Abgabe von Teilnahmeanträgen oder Angeboten in elektronischer Form ist für zentrale Vergabestellen ab dem 18.04.2017, für alle anderen öffentlichen Auftraggeber erst ab dem 18.10.2018 zwingend. Bis dahin kann es bei der bislang praktizierten Schriftform bleiben. www.brandi.net Seite 15 Juli 2016 Infolge der raschen Verfügbarkeit der Vergabeunterlagen sind die Fristen deutlich verkürzt worden. Beim offenen Verfahren beträgt die Regelangebotsfrist nun nicht mehr 52 Kalendertage, sondern nur noch 35 Kalendertage. Bei nicht offenen Verfahren und Verhandlungsverfahren beträgt die Frist für Teilnahmeanträge und für Angebote nur noch 30 Kalendertage. Weitere Verkürzungen sind bei Dringlichkeit möglich. Klargestellt ist durch die Neuregelung in § 4 a EU VOB/A nun, dass auch für Bauleistungen Rahmenvereinbarungen abgeschlossen werden können. Der öffentlichen Hand wird damit ein sehr flexibles Instrument für die Deckung eines Beschaffungsbedarfs an Bauleistungen für einen Zeitraum von max. 4 Jahren an die Hand gegeben, wenn der konkrete Umfang der benötigten Bauleistungen und der Leistungszeitpunkt noch unklar sind. Im Bereich der Eignungsprüfung ist nun in § 6 EU VOB/A klargestellt, dass Eignungskriterien nur die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit und die technische und berufliche Leistungsfähigkeit eines Bieters betreffen dürfen. Zudem müssen die aufgestellten Eignungskriterien zu dem Auftragsgegenstand in einem angemessenen Verhältnis stehen. Als Ausprägung dieses Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darf ein vom Auftraggeber geforderter Mindestjahresumsatz nun nur noch max. das Doppelte des Auftragswertes pro Jahr betragen. Die EU VOB/A 2016 schränkt die Zulässigkeit der sogenannten „Eignungsleihe“ ein. Will sich ein Bieter zum Nachweis seiner Eignung auf andere Unternehmen stützen, darf der Auftraggeber verlangen, dass diese anderen Unternehmen die ausgeschriebenen Arbeiten ausführen, wenn die Eignungsleihe die berufliche Befähigung des Bieters betrifft. Bezieht sich die Eignungsleihe auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit, so kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass die Unternehmen, auf die sich der Bieter beruft, gemeinsam mit dem Bieter für die Auftragsausführung haften. Schließlich setzt die EU VOB/A der unbeschränkten Vergabe von Leistungen an Nachunternehmer Grenzen. Nach § 6d Abs. 4 EU VOB/A ist es nun für öffentliche Auftraggeber möglich, vorzuschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben direkt vom Bieter selbst bzw. von einem Mitglied der Bietergemeinschaft ausgeführt werden. schlagskriterium sein kann. Trotz der Betonung des besten Preis-Leistungsverhältnisses bleibt die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebotes allein nach dem niedrigsten Preis jedoch zulässig, wenn die Vorgaben des Auftraggebers an die abzugebenden Angebote einen qualitativen Leistungsunterschied nicht zulassen. In § 22 EU VOB/A finden sich nun Bestimmungen über wesentliche Änderungen eines einmal erteilten Bauauftrages während der Vertragslaufzeit, die ein neues Vergabeverfahren erforderlich machen. Praktische Bedeutung erlangt diese Bestimmung vor allem, weil sie klarstellt, in welchen Fällen von einem neuen Vergabeverfahren abgesehen werden darf. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert, der Wert der jeweiligen Änderung den EU-Schwellenwert nicht übersteigt und der Wert der Änderung nicht mehr als 50 % des ursprünglichen Auftragswerts beträgt. Fazit Dem Verordnungsgeber ist es mit der EU VOB/A gelungen, ein leichter handhabbares Instrumentarium mit mehr Flexibilität für den öffentlichen Auftraggeber zu entwickeln, ohne dass allerdings spürbare Änderungen hinsichtlich des Aufwandes festzustellen sind, der mit der Durchführung von Vergabeverfahren regelmäßig einhergeht. Dr. Annette Mussinghoff-Siemens, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Eine weitere wesentliche Änderung betrifft die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots. Die EU VOB/A stellt in § 16d Abs. 2 klar, dass das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis den Zuschlag erhalten muss. Maßgeblich für dieses Verhältnis sind die vom Auftraggeber festgesetzten Zuschlagskriterien. Als Zuschlagskriterien können nun auch die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals berücksichtigt werden, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann. Insoweit weicht die EU VOB/A den Grundsatz der strikten Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien auf. Es bleibt allerdings dabei, dass die Qualität des Personals nicht zugleich Eignungs- und Zu- www.brandi.net Seite 16 Neuregelung der VOB/B zum 19.01.2016 in Kraft getreten Am 19.01.2016 wurden die Änderungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B (VOB/B) bekannt gemacht. Es besteht keine rückwirkende Geltung dieser neuen Bestimmungen für bereits abgeschlossene Verträge, sie sind allerdings für alle VOB/B-Bauverträge, die nach dem 19.01.2016 abgeschlossen wurden und werden, zu beachten. Die Änderungen sind im Wesentlichen redaktioneller Art und stellen sich – auszugsweise – wie folgt dar: -- Während die VOB/B 2012 in den §§ 4, 5 und 8 die Formulierung „Entziehung des Auftrags“ verwendete, spricht die Neuregelung nun von einer „Kündigung“, ohne dass sich hierdurch inhaltliche Neuerungen ergeben haben. Im Rahmen von Fristsetzungen, beispielsweise nach § 4 Abs. 7 VOB/B oder § 5 Abs. 4 VOB/B, ist jetzt auf die korrekte neue Formulierung zu achten. -- In § 4 Abs. 8 Nr. 3 wurde eine neue Verpflichtung des Auftragnehmers aufgenommen, wonach der Auftragnehmer dem Auftraggeber bis zum Leistungsbeginn den Nachunternehmer mit Namen, gesetzlichen Vertretern und Kontaktdaten bekannt zu geben hat. Dies stellt eine Mitteilungspflicht des Auftragnehmers in der Leistungskette dar, die er durch entsprechende organisatorische Maßnahmen zu erfüllen hat. -- In § 8 Abs. 4 wurden weitere Kündigungsgründe zugunsten des Auftraggebers aufgenommen, wie etwa bei EU-Vergaben oder einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung des Auftragnehmers. Juli 2016 Keine Unwirksamkeit von § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2, Nr. 2 VOB/B - endlich Rechtssicherheit bei Insolvenz des Werkunternehmers? Anmerkung zu BGH, Urteil vom 07.04.2016 - VII ZR 56/15 Mit seinem Grundsatzurteil vom 07.04.2016 hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine insbesondere in den letzten Jahren intensiv und kontrovers diskutierte Frage nunmehr (teilweise) entschieden: Kann der Auftraggeber (AG) einen VOB/B-Werkvertrag im Falle des Eigeninsolvenzantrags des Auftragnehmers (AN) gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B aus wichtigem Grund kündigen und anschließend etwaige Mehrkosten für die Beauftragung eines Dritten mit der Fertigstellung der Werkleistungen gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (im Insolvenzverfahren oder gegenüber Bürgen o.ä.) als Schadensersatz geltend machen? Eindeutige Antwort des BGH jedenfalls bei einem Eigeninsolvenzantrag des AN (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B): ja, er kann! I. Sachverhalt In dem vom BGH zu entscheidenden Sachverhalt hatte der AG den AN unter Einbeziehung der VOB/B mit der Errichtung eines Geschäftshauses zu einem Pauschalpreis beauftragt und entsprechend der vertraglichen Vereinbarungen von ihm eine Vertragserfüllungsbürgschaft über 10% der Auftragssumme erhalten. Vor Fertigstellung der Arbeiten stellte der AN einen Antrag Hintergrund der vorgenommenen Änderungen ist zum einen auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, woraufhin der AG die gleichzeitige Änderung der VOB/A. Zum anderen sind sie unter Hinweis auf § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B den Vertrag im Zusammenhang mit dem sich derzeit im Gesetzgebungs- kündigte. Der AN stellte deshalb die Arbeiten ein, der AG verfahren befindenden gesetzlichen Bauvertragsrecht zu beauftragte Dritte mit der Fertigstellung der Arbeiten. Dadurch sehen. Die Bundesregierung hat am 02. März den vom Bun- - so seine Behauptung - seien Mehrkosten in sechsstelliger desjustizminister vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Höhe entstanden. Mit der Klage nahm er deshalb die Bürgin Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kauf- aus der Vertragserfüllungsbürgschaft in Anspruch. Das Landrechtlichen Mängelhaftung beschlossen. Es bleibt abzuwar- gericht gab der Klage dem Grunde nach statt, das Berufungsten, ob und in welcher endgültigen Fassung es vom Bundestag gericht, das OLG Frankfurt/Main, wies demgegenüber die verabschiedet wird und welche Wirkungen die neuen gesetz- Klage unter Hinweis auf die Unwirksamkeit von § 8 Abs. 2 Nr. lichen Regelungen sowohl auf die VOB/B – dann wären u.U. 1 VOB/B wegen Verstoßes gegen § 119 InsO ab und verwies nochmalige Änderungen notwendig - als auch auf die Ver- dabei unter anderem auf ein Urteil des IX. Zivilsenates des tragspraxis haben werden. BGH aus dem Jahre 2012 (IX ZR 169/11), in dem entsprechende Lösungsklauseln in Energielieferverträgen als unwirksam beschieden worden waren. Da die Revision vom OLG Dr. Sandra Vyas, BRANDI Rechtsanwälte Frankfurt/Main zugelassen wurde, konnte sich jetzt der für [email protected] das Baurecht zuständige VII. Zivilsenat des BGH mit der eingangs gestellten Frage auseinandersetzen. II. Hintergrund § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B sieht ein Kündigungsrecht des AG aus wichtigem Grund u.a. für den Fall vor, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des AN beantragt (von ihm selbst oder berechtigterweise vom Auftraggeber www.brandi.net Seite 17 Juli 2016 oder einem anderen Gläubiger), dass ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgelehnt wird. Folge ist gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B, dass der AG wegen der nicht mehr ausgeführten Rest-Werkleistungen Schadensersatz verlangen kann. Gegen diese Regelungen wird teilweise sowohl in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung als auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur eingewendet, dass sie wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB unwirksam seien. Die gesetzliche Verbotsnorm sollen die Regelungen der §§ 103, 119 Insolvenzordnung (InsO) sein. Danach steht dem Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei gegenseitigen Verträgen, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht vollständig erfüllt sind, ein Wahlrecht zu, ob er die Erfüllung der beiderseitigen vertraglichen Pflichten (mithin die Fortführung des Vertrages) wählt oder aber die Erfüllung ablehnt, der Vertrag im Ergebnis also nicht weitergeführt wird. § 119 InsO schützt dieses Wahlrecht, da nach dieser Vorschrift Vereinbarungen unwirksam sind, durch die unter anderem das Wahlrecht des Insolvenzverwalters (§ 103 InsO) im Voraus beschränkt oder ausgeschlossen wird. Dies kann auch für Vereinbarungen gelten, die nur eine mittelbare Beeinträchtigung des Wahlrechts darstellen, indem sie - wie § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B - ein Kündigungsrecht für den Fall vorsehen, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt oder ein solches Verfahren eröffnet wird. Zweck der insolvenzrechtlichen Regelungen ist es, dem Insolvenzverwalter die Entscheidung zu überlassen, welche Verträge zum Schutz und zur Mehrung der Insolvenzmasse im Interesse einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung fortgeführt und welche beendet werden sollen. III. Entscheidung des BGH In seinem sehr ausführlich begründeten Urteil ist der BGH - soweit ersichtlich - auf sämtliche bislang für eine Unwirksamkeit der Regelungen in § 8 Abs. 2 VOB/B vorgebrachten Argumente eingegangen, hat diese zurückgewiesen und für die Wirksamkeit sprechende Argumente aufgeführt, so insbesondere: Der Gesetzgeber habe bei Einführung der InsO gemäß der Gesetzesbegründung die Frage des Verstoßes von § 8 Abs. 2 VOB/B gegen die §§ 103, 119 InsO ausdrücklich nicht geregelt, sondern diese Entscheidung der Rechtsprechung vorbehalten. Höchstrichterlich sei bereits entschieden, dass eine „insolvenzabhängige Lösungsklausel“ dann das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nicht beeinträchtige, wenn die Klausel sich eng an eine gesetzliche Lösungsmöglichkeit anlehne. Die Regelung in § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B gehe aber nicht weiter als das in § 649 BGB geregelte Recht zur jederzeitigen freien Kündigung des Vertrages. Etwas anderes ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung des in § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B geregelten Schadensersatzanspruches. Die notwendige Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen des AG und der übrigen Insolvenzgläubiger führe bei einem Bauvertrag nämlich dazu, dass die Interessen des AG diejenigen der Insolvenzgläubiger erheblich überwiegen würden und dem AG ein Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten sei. Denn es drohe ein in der Regel nicht unerheblicher Schaden aufgrund eines regelmäßig eintretenden Baustillstandes, wenn der AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Entscheidung des Insolvenzverwalters über sein Wahlrecht bezogen auf den Bauvertrag abwarten müsse. Ein solcher Stillstandsschaden könne nur durch die Möglichkeit einer frühzeitigen Vertragsbeendigung gering gehalten werden. Zudem seien bei einem Bauvertrag auch die persönlichen Eigenschaften des AN (Fachkunde, Zuverlässigkeit, etc.) für den AN von besonderer Bedeutung, der Abschluss eines solchen Vertrages erfolge regelmäßig unter Inanspruchnahme besonderen Vertrauens. Dieses Vertrauen zerstöre der AN aber mit Stellen des Eigeninsolvenzantrages. Zwar komme die Fortführung durch den Insolvenzverwalter in Betracht. Dieser könne aber das erforderliche Vertrauen für sich nicht in gleicher Weise in Anspruch nehmen wie der AN vor dem Antrag. Der AG müsse stets befürchten, dass die Arbeiten durch den Insolvenzverwalter nicht ordnungsgemäß weitergeführt werden könnten. Daher bestehe auch kein Widerspruch zu der Energielieferverträge betreffenden Entscheidung des IX. Zivilsenates aus dem Jahr 2012. Es sei richterrechtlich anerkannt, dass dem AG ein außerordentliches Kündigungsrecht ohne Vergütungspflicht gemäß § 649 Satz 2 BGB zustehe, wenn der AN seine Vertragspflichten derart verletze, dass das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört oder die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet sei. Dies sei in der Regel aber aufgrund des Eigeninsolvenzantrages des AN der Fall, und zwar unabhängig davon, ob der AN nach Antragstellung seine Arbeiten fortsetze oder nicht. Zudem stehe dem AG dann regelmäßig auch ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 282 BGB zu, da der AN mit dem Eigeninsolvenzantrag die aus dem Bauvertrag resultierende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen des Vertragspartners verletze. Es liege auch keine Unwirksamkeit gemäß § 307 Abs. 1, 2 BGB vor, da § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2, Abs. 2 VOB/B nicht von wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes abweichen würden. § 649 Satz 2 BGB gelte nur für freie Kündigungen, nicht aber für Kündigung aus wichtigem Grund. Auch stehe § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B im Einklang mit dem wesentlichen Grundgedanken des Haftungsrechts, dass nur schuldhaftes Verhalten zum Schadensersatz verpflichtet. Mit Stellen des Eigenantrags verletze der AN aber seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen des AG. Dieses habe er auch stets zu vertreten, da er nach dem Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen habe. IV. Fazit Der BGH stellt in seiner Entscheidung deutlich in den Vordergrund, dass jedenfalls bei einem Eigeninsolvenzantrag des AN die zu schützenden Interessen des AG diejenigen der übrigen Insolvenzgläubiger erheblich überwiegen. Diese Auffassung fußt auf den in der Entscheidung mehrfach deutlich hervorgehobenen Besonderheiten des Bauvertrages mit sei- www.brandi.net Seite 18 Juli 2016 nen gesteigerten gegenseitigen Rücksichtnahme- und Kooperationspflichten. Aus diesem Grund könnte die Entscheidung noch zusätzliche Bedeutung für andere zu entscheidende Fragen betreffend den Bauvertrag (wie z. B. Leistungsverweigerungsrechte des AN, etc.) haben. Kündigungsmöglichkeit hat verstreichen lassen, nämlich diejenige bei Antragstellung. Insoweit könnte es entscheidend darauf ankommen, ob der AN trotz Antragstellung weiter arbeitet oder seine Arbeit einstellt - beim Eigeninsolvenzantrag soll dies dem BGH zufolge ja unerheblich sein. Zu hinterfragen ist sicherlich einerseits, ob der AN tatsächlich stets die Insolvenz und damit auch die Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht, die Rechtsgüter und Interessen des anderen zu schützen, zu vertreten hat. Denn zum einen ist der AN unter gewissen Umständen gesetzlich verpflichtet, einen Eigeninsolvenzantrag zu stellen. Zum anderen sind auch Sachverhalte denkbar, in denen der AN objektiv betrachtet die Insolvenz nicht zu vertreten hat (z.B. bei Fällen, in denen der AN eigene berechtigte Forderungen gegen Dritte nicht durchsetzen kann und deshalb zur Antragstellung gezwungen ist). Aufgrund der eindeutigen Ausführungen des BGH wird sich an dieser Wertung aber erst einmal nichts ändern. Insgesamt eher kritisch zu beurteilen ist das Urteil indes für die übrigen Insolvenzgläubiger von Werkunternehmern. Denn die Fortführung eines Unternehmens wie auch die Größe der Insolvenzmasse werden oftmals (auch) davon abhängen, ob die nicht vollständig beendeten Verträge noch zu Ende geführt werden können oder nicht. Nach dem Urteil des BGH vom 07.04.2016 ist damit zu rechnen, dass dem oftmals die Kündigung des Auftraggebers entgegenstehen wird. Mit der vorliegenden Entscheidung besteht im Ergebnis zukünftig Rechtssicherheit für den AG jedenfalls in den Fällen, in denen der AN einen Eigeninsolvenzantrag stellt. Nur hierzu hat der BGH entschieden. Ob die Wirksamkeit auch der übrigen Alternativen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B genauso bestätigt würde, bleibt nach meiner Einschätzung zumindest teilweise offen. Davon auszugehen ist, dass der BGH entsprechend entscheiden dürfte bei Antragstellung durch den AG oder einen Dritten. Auch dann droht dem AG ein Schaden wegen Stillstands der Baustelle, so dass ihm ein Zuwarten auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Entscheidung des Insolvenzverwalters über das Wahlrecht gleichermaßen nicht zumutbar sein dürfte. Auch in diesem Fall kann man mit der Argumentation des BGH dem AN als Pflichtverletzung vorwerfen, das Vertrauensverhältnis erheblich gestört zu haben dadurch, dass er in die Zahlungsunfähigkeit bzw. die Überschuldung gerät. Problematisch wird insoweit in der jeweiligen Situation eher die Frage sein, ob der AG oder der Dritte (noch schwieriger festzustellen!) berechtigterweise den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt haben. Denn nur dann besteht nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B das Kündigungsrecht. Wird die Kündigung ausgesprochen, obwohl die Voraussetzungen nicht vorliegen, könnte die Erklärung zum einen als freie Kündigung mit den entsprechenden Vergütungsfolgen verstanden werden oder aber der AN ist berechtigt, seinerseits aus wichtigem Grund zu kündigen, da der AG mit der fehlerhaften Kündigung und/oder dem fehlerhaften Insolvenzantrag das Vertrauensverhältnis erheblich gestört und damit eine Pflichtverletzung begangen hat. BGH bleibt dabei: Vereinbarung einer Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10 % der Auftragssumme ist wirksam Kritisch zu sehen ist nach meiner Auffassung demgegenüber die Übertragung der im Urteil aufgeführten Grundsätze auf die weiteren Kündigungsrechte gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 3 und 4 (bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und bei Ablehnung der Eröffnung mangels Masse). In diesen Fällen greift zum einen nicht das Argument, dass dem AG ein Zuwarten auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zumutbar sein soll. Allein das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters kann dann noch zu einer Verzögerung führen. Allerdings muss der Verwalter sich zum Wahlrecht „unverzüglich“ äußern, wenn der AG ihn hierzu auffordert. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass in diesem Fall der AG bereits eine www.brandi.net Dr. Christian Kollmeier, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Wie in dem vorherigen Beitrag von Herrn Dr. Kollmeier angesprochen, hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) zur Vertragserfüllungsbürgschaft geäußert und in seinem aktuellen Urteil vom 07.04.2016 - VII ZR 56/15 - seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Im entschiedenen Fall enthielt ein Bauvertrag die Regelung, dass der Generalunternehmer eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10 % der Auftragssumme stellen und diese bis zur Auszahlung der ersten Abschlagsrechnung dem Auftraggeber vorgelegt sein muss. Nach der Insolvenz des Generalunternehmers nahm der Auftraggeber den Bürgen in Anspruch. Dieser wendete sich hiergegen mit dem Argument, die Vereinbarung zur Stellung der Vertragserfüllungsbürgschaft verstoße gegen AGB-rechtliche Vorschriften und sei daher unwirksam. Mit diesem Einwand drang der Bürge nicht durch. Denn der BGH hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach die in der Praxis gängige Größenordnung von 10 % der Auftragssumme für eine Vertragserfüllungsbürgschaft nicht zu hoch ist. Zur Begründung führt der BGH aus, dass eine derartige Sicherungsabrede nach AGB-rechtlichen Vorschriften: Es liegt kein Verstoß gegen das gesetzliche Leitbild des § 632a Abs. 3 S. 1 BGB dar, da diese Vorschrift unter Verbraucherschutzgesichtspunkten lediglich den Mindestschutz sicher stellen will, dass der Verbraucher einen gesetzlichen Anspruch aus Bestellung einer 5%igen Sicherheit hat. Diese Bestimmung schließt nach Ansicht des BGH aber nicht aus, dass eine Vertragserfüllungssicherheit, die von einem Verbraucher – und erst recht von einem Unternehmer – verlangt wird, mehr als fünf Prozent betragen kann. § 632a Abs. 3 S. 1 BGB ist vielmehr dispositiv und enthält keine Obergrenze der zulässigen Sicherheitsleistung. Weiter führt der BGH aus, dass sich in der Praxis für die Vertragserfüllungsbürgschaft eine Größenordnung von 10% durchgesetzt habe und somit keine Benachteiligung für den Auftragnehmer darstelle. Begründet wird dies damit, dass im Falle einer insolvenzbe- Seite 19 Juli 2016 dingten Kündigung typischerweise ein weitaus höherer Schaden entsteht, da der Auftraggeber nunmehr einen Dritten mit der Vollendung des Bauvorhabens beauftragen und daher einen finanziellen Mehraufwand, der 10% der Auftragssumme in der Regel überschreiten wird, tragen muss. Der BGH schließt damit eine nach Änderung des § 632 a BGB aufgetretene Lücke. Auftraggeber können also weiterhin Vertragserfüllungsbürgschaften in Höhe von 10 % mit den Auftragnehmern vereinbaren. Nichtsdestotrotz ist bei der Formulierung der Vereinbarung zur Stellung der Vertragserfüllungsbürgschaft nach wie vor Vorsicht geboten. Es gibt diverse andere Fallstricke, die zu einer Unwirksamkeit der Vereinbarung führen können. So führt beispielsweise eine zusätzlich vereinbarte Beschränkung von Abschlagszahlungen auf 90 % zur Unwirksamkeit der Sicherungsabrede und zur Entwertung der Bürgschaft. Auch die Kumulation von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft kann die Sicherungsabrede unwirksam machen. Insoweit muss eine vertragliche Regelung sorgfältig formuliert werden. Dr. Sandra Vyas, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] BGH: Verjährung von Mängelansprüchen bei Auf-Dach-Photovoltaikanlagen - Begriff des „Bauwerks“ Photovoltaikanlagen auf Dächern erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit. Damit einhergehend kommt es nicht selten zu Rechtstreitigkeiten wegen geltend gemachter Mängelansprüche. Hierbei stellt sich unabhängig von der oft strittigen Einordnung der Verträge als Kauf- oder Werkverträge die Frage, ob die Verjährungsfrist 5 Jahre (§ 438 Abs. 1 Nr. 2 oder § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB) oder kürzer beträgt. Der BGH hat hier jüngst eine wichtige Entscheidung getroffen, die sich insbesondere mit dem Begriff des „Bauwerks“ als maßgeblichen Punkt für die Abgrenzung der denkbaren unterschiedlichen Verjährungsfristen befasst (BGH, Entscheidung v. 02.06.2016 – VII ZR 348/13 -). Nachdem erstinstanzlich die Klage abgewiesen worden war, befasste sich das zweitinstanzliche OLG (OLG München, Urteil v. 10.12.2013 – 9 U 543/12 -) ausführlich mit der Frage der Verjährung und dem Begriff des „Bauwerks“. Es kam im Ergebnis zu dem Schluss, dass der Minderungsanspruch nicht verjährt sei, weil es sich entgegen der Ansicht der beklagten Firma bei der geschuldeten Leistung um eine solche bei einem Bauwerk gehandelt habe. Die 5-jährige Verjährungsfrist gem. § 634a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB gelte, der Anspruch sei nicht verjährt. Der BGH hat in der zitierten Entscheidung die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt, für den geltend gemachten Anspruch gelte die lange Verjährungsfrist von 5 Jahren. Zur Begründung hat das Gericht dargelegt, dass die lange Verjährungsfrist „bei Bauwerken“ gelte, wenn das Werk in der Errichtung oder grundlegenden Erneuerung eines Gebäudes bestehe, das Werk in das Gebäude fest eingefügt werde und dem Zweck des Gebäudes diene. Hiervon sei vorliegend auszugehen. Denn die Photovoltaikanlage werde durch die Vielzahl der verbauten Komponenten so mit der Tennishalle verbunden, dass eine Trennung von dem Gebäude nur mit einem erheblichen Aufwand möglich sei. Darin liege zugleich eine grundlegende Erneuerung der Tennishalle, die einer Neuerrichtung gleich komme. Außerdem diene die Photovoltaikanlage dem weiteren Zweck der Tennishalle, nämlich Trägerobjekt einer solchen Anlage zu sein. In der Vergangenheit gab es vermehrt Stimmen, die für eine kurze Verjährungsfrist plädierten (vgl. Taplan/Baugartner, NZBau 2014, 540). Dieser Auffassung hat der BGH zumindest in der dort vertretenen Grundsätzlichkeit eine Absage erteilt. Zu beachten ist allerdings, dass die rechtserhebliche Frage, ob es um Ansprüche „bei einem Bauwerk“ geht, auch nach der jüngsten Entscheidung des BGH stets eine Einzelfallenscheidung unter Berücksichtigung des jeweiligen konkreten Sachverhalts bleibt. Der BGH hat aber zumindest für vergleichbare Sachverhalte, bei denen es um auf (großen) Dächern gewerblich genutzter Gebäude oder auch Sportanlagen errichtete Anlagen geht, eine richtungsweisende Entscheidung getroffen. Andreas Wiemann, BRANDI Rechtsanwälte [email protected] Gegenstand des Rechtsstreits war ein Minderungsanspruch eines Eigentümers eines Grundstücks mit einer Tennishalle, auf der eine Photovoltaikanlage aus 335 g Modulen errichten worden war. Die Module waren auf einer Unterkonstruktion, die mit dem Dach fest verbunden wurde, angebracht. Die Module wurden mit insgesamt ca. 500 m Kabeln im Inneren der Halle angebrachten Wechselrichtern verbunden. Die hierfür erforderliche Durchdringung des Dachs bzw. der Gebäudeaußenhaut wurde dauerhaft witterungsbeständig und dicht ausgeführt. Weiter hatte die ausführende Firma zu einem außerhalb der Halle befindlichen Zählerverteilungskasten Stromleitungen zu den Wechselrichtern verlegt und eine Kontroll- und Steuerungsanlage errichtet und programmiert. Die Klägerin rügte eine zu geringe Leistung der Anlage und verlangte eine Minderung um 25 % der Nettovergütung. www.brandi.net Seite 20 Juli 2016 Die Autoren Die Autoren dieser Ausgabe dieser Ausgabe www.brandi.net Juli 2016 Seite 21 www.brandi.net Seite 22 Juli 2016 Unser neuer Notar in in Detmold Unser neuer Notar Detmold Ab Juli 2016 steht Ihnen Herr Dr. Christian Behrendt als Notar in Detmold zur Verfügung. Überörtlich ist BRANDI dann mit 20 Notarinnen und Notaren an sechs Standorten vertreten. Es ist geplant, die Notariatspraxis an allen Standorten in Zukunft weiter auszubauen. Unsere Unsereneuen neuen Kollegen Kollegen Victoria Wessel verstärkt seit Februar 2016 unseren Standort in Paderborn in den Bereichen Gesellschaftsrecht und Erbrecht sowie im allgemeinen Zivilrecht. Frau Wessel studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Osnabrück und Straßburg und hat bereits ihre Referendarstation in unserem Paderborner Büro verbracht. Dr. Daniel Kollmeyer unterstützt seit Februar 2016 unseren Standort in Gütersloh im Bereich Erbrecht und im notariatsbezogenen Zivilrecht. Herr Dr. Kollmeyer studierte zuvor Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld und der Tilburg University. Carsten Christophery verstärkt seit März 2016 unseren Standort in Gütersloh in den Bereichen Steuerund Gesellschaftsrecht sowie im Insolvenz- und Sanierungsrecht. Herr Christophery studierte Rechtswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie an der Universität Osnabrück und verbrachte seine Referedarstation u.a. in unserem Gütersloher Büro. www.brandi.net Seite 23 Juli 2016 Wir Wirwünschen wünschen Ihnen Ihnen eine eineschöne schöneSommerzeit! Sommerzeit! www.brandi.net Bielefeld Adenauerplatz 1 33602 Bielefeld Tel.: +49 (0) 521 / 96535 - 0 Fax: +49 (0) 521 / 96535 - 99 E-Mail: [email protected] Detmold Lindenweg 2 32756 Detmold Tel.: +49 (0) 5231 / 9857 - 0 Fax: +49 (0) 5231 / 9857 - 50 E-Mail: [email protected] Gütersloh Thesings Allee 3 33332 Gütersloh Tel.: +49 (0) 5241 / 5358 - 0 Fax: +49 (0) 5241 / 5358 - 40 E-Mail: [email protected] Paderborn Rathenaustraße 96 33102 Paderborn Tel.: +49 (0) 5251 / 7735 - 0 Fax: +49 (0) 5251 / 7735 - 99 E-Mail: [email protected] Minden Königswall 47-49 32423 Minden Tel.: +49 (0) 571 / 83706 - 0 Fax: +49 (0) 571 / 83706 - 66 E-Mail: [email protected] Hannover Adenauerallee 12 30175 Hannover Tel.: +49 (0) 511/ 899379-0 Fax: +49 (0) 511/ 899379-77 E-Mail: [email protected] Paris 70, boulevard de Courcelles F-75017 Paris Tel.: +33 / 1 42 66 89 00 Fax: +33 / 1 42 66 89 01 E-Mail: [email protected] Beijing/Peking Grandall Law Firm 9th Floor Taikang Financial Tower No. 38 North Road East Third Ring Choayang Beijing (Peking) 100026 Tel.: +86 10 6589 0699 E-Mail: [email protected] www.brandi.net Die in unseren Beiträgen allgemein erteilten Hinweise und Empfehlungen können und sollen eine anwaltliche Beratung nicht ersetzen. 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