SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde „Violinen, Virtuosen, Vibrationen. Das Goldene Zeitalter der Teufelsgeiger“ „Corellis Erben “ (4) Von Wolfgang Scherer Sendung: Donnerstag, 30. Juni 2016 Redaktion: Ulla Zierau 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2 2 „Musikstunde“ mit Wolfgang Scherer „Violinen, Virtuosen, Vibrationen. Das Goldene Zeitalter der Teufelsgeiger“ „Corellis Erben “ (4) SWR 2, 27. Juni – 01. Juli 2016, 9h05 – 10h00 Signet: SWR2 Musikstunde Am Mikrophon ist Wolfgang Scherer: Guten Morgen! „Violinen, Virtuosen, Vibrationen. Das Goldene Zeitalter der Teufelsgeiger“ - darum geht es in dieser Musikstundenwoche. Hören Sie heute den vierten Teil: „Corellis Erben “ (Ca.: 0´17) Musikstunde Anfangsmusik: Capriccio 2„15 Im Frühjahr 1714 erreichen zwei reisende Geigen-Virtuosen aus Italien die englische Musikmetropole. Hier hatte einmal Nicola Matteis zu Zeiten Henry Purcells die italienische Violinmusik hoffähig gemacht: vor dreißig Jahren waren hier seine Ayres for the Violin erschienen. Jetzt dominiert George Frederic Händel mit seinen italienischen Opern das Londoner Musikleben, zumal im Oktober sein Dienstherr, der Kurfürst Georg Ludwig von Hannover, in der Westminster Abbey als George der Erste zum König von England und Irland gekrönt werden sollte... Nun, die beiden italienischen Violin-Virtuosen sind nicht zusammen angereist, sondern jeder für sich. Angezogen von den Möglichkeiten, die das vielfältige Musikleben der Themsestadt damals mit seinem aufblühenden bürgerlichen Konzertwesen reisenden Virtuosen bot; angelockt von den Aussichten, in London ihr Glück zu machen. Dabei waren die Chancen auf dem Londoner Musikmarkt ganz anders verteilt als an den europäischen Höfen auf dem Kontinent. Wer hier reüssieren wollte, der hing nicht nur von der Gnade eines Fürsten oder dem Wohlwollen Hochwohlgeborener ab. Wer sich hier durchsetzen wollte, der musste den Geschmack des Publikums treffen, in dem alle halbwegs Wohlhabenden und halbwegs Vornehmen der Londoner Öffentlichkeit vertreten waren. Ein ideales Pflaster also für die unerhörten Violinkünste italienischer Teufelsgeiger. Und genau das waren die beiden. In den folgenden Jahrzehnten sollten ihnen zahlreiche Landsleute nachfolgen und den Weg ins Violin-Dorado an der Themse einschlagen – darunter etwa Zuccari, Pugnani oder Viotti -, so dass der englische Chronist Roger North festhalten konnte, England habe Italien von seinen Geigern „entvölkert“. Wie dem auch sei: Der eine der beiden, Francesco Maria Veracini, Sohn eines Apothekers aus Florenz und eine reichlich exzentrische Persönlichkeit, der die zwei besten seiner Violinen aus der Werkstatt des Tiroler Geigenbauers 3 Jakob Stainer „Petrus und Paul“ getauft hatte -, er galt als echter Ausnahmekünstler unter den italienischen Violinisten und konzertierte im Theater am Haymarket. Der Musikkritiker Charles Burney hielt ihn immerhin für den größten Geiger im Europa seiner Zeit. Hier sind Federico Guglielmo und L´Arte dell´Arco mit dem ersten Satz aus seinem Concerto A-Dur. (Ca.: 2´29) Musik 2 ams M0416040 / 009 Francesco Maria Verracini 1.Satz “Allegro” aus Konzert für Violine, Streicher und Basso continuo A-Dur Federico Guglielmo, Violine L´Arte dell´Arco 3´50 Federico Guglielmo und L´Arte dell`Arco waren das, mit dem ersten Satz aus dem Concerto A-Dur von Francesco Maria Veracini. Der andere Virtuose, der 1714 nach London kommt, war Francesco Geminiani. Er stammte aus Lucca, hatte bei Corelli in Rom und bei Scarlatti in Neapel gelernt und begeisterte mit seinen bravourösen Konzerten, die er auf eigene Rechnung im Hickford Room organisierte, das Londoner Publikum, während er sich bei Hofe in Anwesenheit des englischen Königs schon einmal von il caro Sassone, vom großen Händel also, auf dem Cembalo begleiten ließ. Geminiani hatte entscheidenden Anteil daran, dass sich die englische Begeisterung für die Concerti grossi seines römischen Lehrers zu einer echten Corellimania auswuchs; im Jahr darauf wird sogar Händel seine ersten Concerti grossi auf den Markt bringen. Geminiani jedenfalls, er hat in seinen Konzerten nicht nur Sonaten von Corelli gespielt, sondern sie auch mit seinem eigenen Opus 2 zu veritablen Concerti grossi umgearbeitet. (Ca.: 1´07) Musik 3 CD take 8 Francesco Geminiani 4. Satz „Allegro“ aus Concerto grosso op. 2 Nr. 2 Auser Musici, Leitung: Carlo Ipata Pan Classics, PC 10241, LC 01554 3´29 4 Das Ensemble Auser Musici war das, mit dem letzten Satz aus dem Concerto grosso opus 2 Nr. 2 von Francesco Geminiani. Mit dieser Musik setzte sich Geminiani, wie es die englische Musikkritik nach seinem Tod formulierte, „an die Spitze aller damals lebenden Meister.“ Dass er sich auch als Kunsthändler betätigte und nach seinen Konzerten Gemälde aus seiner Sammlung verkaufte… Geminiani war eben geschäftstüchtig und hatte ein Auge auf den Markt. Das beweist auch seine Violinschule The Art of Playing on the Violin opus 9, die er auf eigene Kosten herausgegeben hat. Fünf Jahre vor Leopold Mozarts großer Violinschule erschienen, macht sie die Eleven des Modeinstruments, die es mit der Violine zu etwas bringen wollen, in zahlreichen Übungsstücken mit den Finessen des italienischen Stils und seiner Spieltechniken bekannt. Hier ist Gottfried von der Goltz mit dem Übungsstück Nr. 11 aus Geminianis opus 9. (Ca.: 1´01) Musik 4 2´38 ams M0411479 / 021 Francesco Geminiani Nr. 11 „Allegro assai“ aus The Art of Playing on the Violin op. 9 Gottfreid von der Goltz, Violine; Annekatrin Beller, Violoncello; Thomas Boysen, Laute; Torsten Johann, Cembalo Gottfried von der Goltz spielte das Übungsstück Nr. 11 „Allegro assai“ aus Francesco Geminianis opus 9: The Art of Playing on the Violin, der ersten richtigen Violinschule, die bald ins Französische und ins Deutsche übersetzt und bis nach Boston nachgedruckt wurde. Anders als Francesco Geminiani, der mit seiner Musik zu dem aufwändigen Bühnenspektakel The Enchanted Forest zwar in Paris gefeiert wird, sich aber in Dublin als gefragter Geigenlehrer der High Society niederlässt, um nie mehr in seine italienische Heimat zurückzukehren, wird sein Londoner Rivale Francesco Maria Veracini bis zu seinem Tod ein unstetes Wanderleben führen. Ob es wirklich so ein glücklicher Zufall war, dass Veracini just in jener Karnevals-Zeit nach Venedig kam, als dort gerade der sächsische Kurprinz Friedrich August mit seinem Gefolge weilte – darunter der Violin-Virtuose und Premier Violon der weltberühmten Dresdner Hofkapelle, Johann Georg Pisendel…? Der Kurprinz hat eigentlich den Auftrag, italienische Sänger für die Dresdner Hofoper zu rekrutieren, deshalb bringt sein Vater, August der Starke, kein Verständnis für die Eskapaden seines Sohnes auf, der an dem Virtuosen Veracini einen Narren gefressen zu haben scheint. Friedrich August will den hochmütigen und sehr von sich eingenommen Star-Geiger unbedingt für Dresden engagieren. Notfalls auch gegen den väterlichen Willen. Und so kommt es, dass Veracini bald 5 auf der Lohnliste der Dresdener Hofkapelle erscheint: mit eintausenzweihundert Talern verdient er dreimal so viel wie der brave Pisendel. „Ein Gott und ein Veracini!“ pflegt der Italiener zu prahlen und bringt mit seiner Arroganz bald die Musiker der ganzen Hofkapelle gegen sich auf. Und die nehmen süße Rache. Als Veracini wieder einmal mehr schlecht als recht ein Violinkonzert von Pisendel zum Besten gibt und sich hernach beim König entschuldigt: wo Deutsche mitspielten, da könne ein Concerto eben nicht besser aufgeführt werden, da bittet Pisendel den König, sein Konzert noch einmal spielen zu lassen. Und zwar von einem seiner Schüler, einem „untersten Ripienisten“, einem Geiger also aus der allerletzten Reihe. Aber der spielt das Konzert in Anwesenheit von König und Hofstaat so brillant und so viel besser als der italienische Maestro, dass Veracini, blass vor Wut, zu toben beginnt, zornig aus dem Saal rennt, sich für Tage in seinem Zimmer einschließt, um sich schließlich in einem närrischen Anfall von Verzweiflung aus dem Fenster zu stürzen. Vom zweiten Stock aus. Mit Blessuren und gebrochenen Beinen lässt er sich nach Florenz zurück bringen. Von Dresden hat er genug. Ob er gewusst hat, dass Pisendel dieses Concerto zuvor mit seinem Schüler bis zum Geht-nicht-mehr geprobt hat, das wissen wir nicht. (Ca.: 3´01) Musik5 CD take 12 5´27 Johann Georg Pisendel 3. Satz „Allegro” aus Concerto in D für Violine solo, 2 Hörner, 2 Oboen, Fagott, 2 Violinen, Viola und Basso continuo Gottfried von der Goltz, Violine und Leitung Freiburger Barockorchester Carus 83.301, LC 3989 Gottfried von der Goltz und das Freiburger Barockorchester mit dem „Allegro“ aus dem Concerto in D-Dur von Johann Georg Pisendel. Ob Pisendel und die Musiker der Dresdner Hofkapelle auch anderen italienischen Virtuosen so übel mitgespielt haben wie dem armen Angeber Veracini, den sein Hinken zeitlebens an die Dresdner Episode erinnern sollte, das wissen wir nicht. Mit Pietro Antonio Locatelli jedenfalls, fünf Jahre jünger als Veracini, ein Schüler Corellis und Montanaris, scheinen die Dresdner Musiker gut zurecht gekommen zu sein. Locatelli war jahrelang als reisender Bravour-Geiger durch Italien und Deutschland gezogen, schließlich in Amsterdam gelandet, dem Zentrum des holländischen Handelssystems mit seinem internationalen Vertriebsnetzt, wo er in den modernen Druckereien seine Werke publizieren wollte, die er unterwegs für 6 seine Auftritte oft nur grob skizziert hatte. Dass er sich um Druck und Verkauf seiner Kammermusik selbst kümmerte, nur größere Concerti professionellen Verlegern anvertraute, ein in Holland gültiges Druckprivileg erwirkte und dann nur noch unter Ausschluss von Berufsmusikern in privaten Konzerten auftrat? Locatelli wollte verhindern, dass man ihn und seine Musik kopierte. Sein „L´Arte del Violino“ bietet ein Feuerwerk der atemberaubendsten Geigenpassagen, die damals geschrieben worden sind. Und ganz so benahm sich auch Locatelli und sorgte mit seinem Auftreten und seinen Allüren bei jeder Gelegenheit dafür, dass man ihn als die Verkörperung des exzentrischen Teufelsgeigers begriff. Auch bei jenem denkwürdigen Gastspiel, das Locatelli am Hof des Soldatenkönigs in Berlin gab. Im Gefolge des sächsischen Kurfürsten August des Starken war er zusammen mit Pisendel und anderen Musikern der Dresdner Hofkapelle nach Berlin gekommen. Als er vor dem Preußenkönig konzertiert, tritt er in einem reich mit Silber gestickten, blausamtenen Kleid auf, trägt an jedem Finger kostbare Ringe mit Brillanten und an der Seite einen Degen. Der König, ohnehin kein besonderer Freund italienischer Virtuosen, findet so einen Aufzug für einen Violinspieler einfach lächerlich und meint: „Dieser Kerl sieht ja aus wie ein Kriegsrat!“ Am nächsten Tag lässt er ihm zwanzig Thaler überbringen. Und was macht Locatelli? Er schenkt die Thaler dem jungen Überbringer und lässt seiner Majestät, dem König, seinen Dank ausrichten. Ein Virtuose, heißt das, nimmt eben kein Trinkgeld. Nicht einmal vom König von Preußen. (Ca.: 2´37) Musik 6 CD takes 15 und 16 Pietro Antonio Locatelli 1. Satz „Allegro“ und „Capriccio“ aus Concerto für Violine, Streicher und Basso continuo op. 3 Nr. 1 Chouchane Siranossian, Violine Hofkapelle München, Leitung: Rüdiger Lotter Dhm 8875115832,LC 7´29 Chouchane Siranossian und die Hofkapelle München spielten das Allegro und das „Capriccio“, die Kadenz, aus dem Concerto op. 3 Nr. 1 von Pietro Antonio Locatelli. Natürlich war der Soldatenkönig not amused als der unverschämte Geiger sein Geldgeschenk verschmäht und die 20 Taler einfach dem Überbringer zugesteckt hatte. Der große Locatelli sei es eben gewohnt, goldene Uhren, Brillantringe, kostbare Tabaksdosen oder dergleichen zu erhalten, klärte man den zürnenden König auf. Also ließ er den Italiener noch einmal konzertieren. Danach rief er ihn zu sich, überreichte ihm eine goldene und schwere, mit Dukaten 7 gefüllte Dose und sagte: „Diesmal will ich das Trinkgeld für mein Geschenk selbst entgegennehmen!“ Woraufhin sich Locatelli verneigte: „Majestät, so ein Geschenk aus der Hand eines Königs hat zu viel Gewicht, als dass ich mich jemals davon trennen könnte.“ Gut gegeben! (Ca.: 0´57) Musik 7 CD take 18 Pietro Antonio Locatelli 4. Satz „Allegro“ Concerto für Violine, Streicher und Basso continuo op. 3 Nr. 1 Chouchane Siranossian, Violine Hofkapelle München, Leitung: Rüdiger Lotter Dhm 8875115832,LC 2´58 Noch einmal Chouchane Siranossian und die Hofkapelle München, diesmal mit dem letzten Satz des Concerto op. 3 Nr.1 von Pietro Antonio Locatelli. Nun, dass das Publikum am preußischen Hof zu Berlin damals das Geigenspiel des PisendelSchülers Johann Gottlieb Graun dem Locatellis vorgezogen haben soll, das ist gewiss dem so prunkvollen wie exzentrischen Auftreten des eitlen Star-Geigers geschuldet, über das ein Zeitgenosse schrieb: „Wer jemals Locatelli seine Fantasien hat spielen sehen, weiß, welche Grimassen er dabei schneidet, und wenn er dann endlich wieder zu Sinnen kommt, ruft er gleich: ‚ Na, was sagt Ihr dazu?„“ Aber, wer wollte es am preußischen Hof denn auch wagen, dem strengen König zu widersprechen, der ja aus seiner Abneigung gegen „diesen Kerl“ keinen Hehl gemacht hatte… Hundert Jahre später wird man Locatelli als den „Paganini des 18. Jahrhunderts“ bezeichnen, und zwar nicht nur weil sein L´Arte del Violino 24 Capricci enthält, die wie Vorläufer der 24 Virtuosenstücke des letzten Teufelsgeigers erscheinen. Die Concerti grossi seines Opus 1 feiern jedenfalls noch einmal die Kunst seines Lehrers Corelli. (Ca.: 1´11) Musik 8 CD 1 takes 19 Pietro Antonio Locatelli 1.Satz „Adagio“ und 2.Satz „Allegro“ aus Concerto grosso op. 1 Nr. 5 D-Dur The Raglan Baroque Players, Leitung: Elizabeth Wallfaisch Hyperion CDD22066, LC 7533 1´30 8 The Raglan Baroque Players spielten das Largo aus dem Concerto grosso op. 1 Nr. 5. Wie der verstorbene Corelli hatte Locatelli seine Concerti grossi, damals noch von Rom aus, in Amsterdam in den Druck gegeben. Ein gutes halbes Jahr nach seinem spektakulären Auftritt vor dem Preußenkönig in Berlin treffen wir Locatelli am Hof des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel. Nun, dort gab es zwar keine mit Dukaten gefüllte Dose, aber immerhin 80 Reichstaler. Dafür begegnete er einem sagenhaften Geiger aus Frankreich. Sein Name: Jean-Marie Leclair. Ob es zwischen den beiden Virtuosen tatsächlich zu einem musikalischen Wettstreit gekommen ist? Der Cembalist Jacob Wilhelm Lustig weiß darüber immerhin folgendes zu berichten: „Einmal waren Locatelli und Leclair zur gleichen Zeit am Hofe zu Kassel und diese musikalische Begegnung veranlasste den Hofnarren, einige Bemerkungen von sich zu geben: Beide Geiger würden die Violine rauf und runter jagen wie die Hasen, der eine aber spiele dabei wie ein Engel, der andere dagegen wie ein Teufel. Der Erste, Leclair, mit seinem makellosen lieblichen Ton wisse, wie man Herzen stehle, während der Zweite, Locatelli, im Wesentlichen seine Geigentechnik zur Schau stelle und seine Zuhörer dabei mit seinem kratzigen Gespiele zu überraschen suche. Aber da er sich bei seiner Schau gut im Sattel halten könne und dabei immer korrekt im Rhythmus spiele, müsse der Franzose schon sehr aufpassen, von diesem Italiener nicht vom Pferd geworfen zu werden.“ Ein Violin-Turnier also, in dem der Teufelsgeiger Locatelli gegen einen Engel zu bestehen hat. Gegen den „französischen Corelli“. Wer war dieser Jean-Marie Leclair? (Ca.: 1´46) Musik 9 CD take 1 5´11 Jean-Marie Leclair 1. Satz „Vivace“ aus Concerto op. 7 Nr. 5 a-Moll für Solo-Violine, 2 Violinen, Viola und Basso continuo Christine Busch, Violine Camerata Köln Dhm 88875016222, LC 00761 Christine Busch und die Camerata Köln spielten den ersten Satz aus dem Concerto opus 7 Nr. 5 von Jean-Marie Leclair. Als Sohn eines Korbflechters in Lyon hatte Leclair seine Karriere gar nicht als Geiger, sondern als Tänzer begonnen. Aber in den Augen des Corelli-Schülers Giovanni Battista Somis war der junge Ballettmeister, den er am Teatro Regio in Turin kennen lernte, jedenfalls ein außerordentlich begabter Geiger. Weshalb er ihm den Rat gab, die Ballettschuhe an den Nagel zu hängen und stattdessen lieber die Finger auf den Saiten der Violine tanzen zu lassen. Das könne er schließlich auch noch im Alter 9 tun… Leclair übte wie ein Besessener, war bald besser als sein Meister und kehrte als glänzender Violin-Virtuose nach Paris zurück, konzertierte in den Concerts spirituels und wurde in die Musique Royale berufen. Seine Musik verbindet die tänzerische Noblesse des Turiner Teatro Regio mit der coolen Eleganz von Versailles, den französischen mit dem italienischen Stil. Aber in Paris hat er nicht nur Freunde. Gerade ist sein alter Rivale Guignon aus Turin auch in die Königliche Kapelle aufgenommen worden. Es gibt Streit, die beiden Konkurrenten machen sich das Leben zur Hölle und es kommt zum Eklat. Leclair schmeißt hin, verzieht sich nach Holland, nimmt eine Anstellung in Chambéry, geht wieder nach Amsterdam, dann nach Paris – ein Getriebener scheinbar, der zuletzt alle Brücken hinter sich abbricht. Sein Leben nimmt ein tragisches Ende. Am frühen Morgen des 23. Oktober 1764 findet man ihn: tödlich verletzt von drei Messerstichen, hingestreckt in einer Blutlache im Hausflur jener obskuren Absteige bei der Porte du Temple, in die sich der menschenscheue Sonderling nach der Trennung von seiner zweiten Frau zurückgezogen hatte. Vom Täter fehlte jede Spur. Der Fall wurde nie aufgeklärt. An einer Aufklärung bestand offenbar gar kein Interesse. Obwohl die Polizeiakten einen Verdächtigen beim Namen nannten. In seinem Roman “Das Schweigen des Sammlers“ hat der katalanische Schriftsteller Jaume Kabré dem ermordeten Leclair übrigens ein Denkmal gesetzt: Verdächtigt wurde damals – so die Polizeiakten – sein Neffe Guillaum, der Sohn seiner Schwester. Allein, es fehlten die Beweise. Und das Motiv. Also nimmt der Literat Kabré die Spur auf. Und für ihn ist der Fall bald klar: Keine Frage: der Neffe hatte es auf Leclairs kostbare Storioni-Geige abgesehen. (Ca.: 2´31) Musik 10 CD take 6 Jean-Marie Leclair 2. Satz „Adagio“ aus Concerto op. 7 Nr. 2 Luis Otavio Santos, Violine Les Muffatti, Leitung: Peter van Heyghen Ramée, RAM 1202, LC 13819 3´32 Luis Ottavio Santos und das Ensemble Les Muffatti waren das, mit dem Adagio aus dem Concerto opus 7 Nr. 2 von Jean-Marie Leclair, heute zum Schluss der Musikstunde. Ihnen wünsche ich noch einen angenehmen Tag! Mein Name ist Wolfgang Scherer. „Tschüss!“ und – wenn Sie mögen – „Bis morgen!“ (Ca.: 0´18)
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