WERNER SCHUERING / DER SPIEGEL Parteivize Gauland am Tiefen See in Potsdam „Boateng will jeder haben“ AfD Der stellvertretende Parteichef Alexander Gauland, 75, spricht über Nationalspieler mit Migrationshintergrund, den Mekka-Besuch Mesut Özils und den Rassismus in der AfD. SPIEGEL: Herr Gauland, die Aufnahmegerä- Gauland: Ich kann nicht alles als Rassismus te laufen. Sind Sie ein Rassist? abtun, was eher eine Sorge vor zu viel FremGauland: Nein, ich bin natürlich kein Rassist. dem in der Nachbarschaft ist. Wenn MenIch habe in einem Gespräch mit der „FAS“ schen in ihrer Umgebung Wert darauf legen, darauf hingewiesen, dass manche Men- dass sie nicht das verlieren, was sie als Heischen mit Fremdheit in ihrer Nachbar- mat betrachten, ist das kein Rassismus. schaft ein Problem haben. Dabei haben SPIEGEL: Was ist, bitte schön, ein „Fremder“? die Redakteure mir den Fall des Fußball- Bitte, Ihre Definition, nicht die der ominöspielers Boateng präsentiert, der dazu sen anderen, für die Sie immer sprechen. überhaupt nicht passt, weil er Deutscher Gauland: Ich würde sagen: Kein Europäer und Christ ist. Jérôme Boateng war ein fal- ist mir fremd. Amerikaner auch nicht. sches Symbol. Menschen aus dem Inneren der Türkei SPIEGEL: Was meinten Sie, als Sie von „ei- oder manchen nahöstlichen Ländern sind nem Boateng“ sprachen? Meinten Sie da mir dagegen fremder. Weil sie nicht zum europäischen Kulturkreis gehören. einen Schwarzen, einen Ausländer? Gauland: Da ich gar nicht wusste, dass er SPIEGEL: Ihre Liste ist reine Willkür und reein Schwarzer ist, meinte ich: Das wird duziert Menschen auf ihre Herkunft. wohl jemand sein, der fremd in Deutsch- Gauland: Entscheidend ist natürlich auch land ist. Ein Muslim, denn darum ging es. die Frage: Wie anpassungsbereit ist der Mir ist der Herr Boateng gewissermaßen Mensch? Ich halte es für richtig, wenn mein vor die Füße gelegt worden, und ich bin Freund Björn Höcke sagt: Indem ich die darüber gestolpert. deutsche Grenze überschreite und einen SPIEGEL: Verzeihung, aber gerade deshalb deutschen Pass habe, bin ich noch kein war Ihre Aussage doch rassistisch. Rassis- Deutscher. mus fängt damit an, dass man Kategorien SPIEGEL: Was macht Leute für Sie eher bildet und sagt: Leute sind aufgrund ihrer „fremd“: Hautfarbe oder Religion? Religion oder Herkunft so anders, dass Gauland: Nach den Erfahrungen, die wir mit man etwa nicht mit ihnen leben möchte. Parallelgesellschaften gemacht haben, wür- 36 DER SPIEGEL 23 / 2016 de ich sagen: diese spezielle Religion, der Islam. Ich glaube nicht, dass es zum Beispiel schwierig ist, Vietnamesen zu integrieren. An der Hautfarbe alleine würde ich mich überhaupt nicht stören, eher an einem Konglomerat von Fremdheitsfaktoren: fremde Kultur, andere Religion, andere Lebensauffassung – und eine schwierige soziale Herkunft. Natürlich gibt es Ausnahmen: Die vielen klugen Fernsehjournalistinnen, die einen türkischen oder iranischen Namen haben, sind natürlich in einer Weise integriert, dass wir darüber gar nicht reden müssen. SPIEGEL: Die sind nicht integriert, die sind einfach Deutsche. Aber wie kommen Sie eigentlich darauf, dass Leute „einen Boateng“ nicht als Nachbarn wollen? Aus welchen Quellen speist sich Ihr Wissen? Gauland: Wenn Sie die deutschen Regionalzeitungen in den letzten Monaten lesen, finden Sie überall Fälle von Ablehnung von Asylbewerberheimen, Ablehnung von Nachbarn aus dieser Einwanderung. Eltern, die ihre Kinder in eine andere Schule mit weniger multikulturellen Sprachdefiziten schicken – bis hin zu Hausverkäufen. Es ist doch eine Heuchelei Deutschland zu sagen, das gibt es bei uns in Deutsch- terstellt hat und damit auf mein Alter an- Gauland: Da mich Fußball nicht interessiert, gespielt hat, fand ich illoyal. land nicht. ist mir relativ egal, wo Herr Özil hinwanSPIEGEL: Interessant. Ihre Quelle ist also die SPIEGEL: Was wäre schlimmer für Sie: ein dert. Aber bei Beamten, Lehrern, Politivermeintliche Lügenpresse? EM-Titel für Deutschland, dessen Mann- kern und Entscheidungsträgern würde ich Gauland: Ich verwende diese Bezeichnung schaft aus Muslimen, Schwarzen und an- sehr wohl die Frage stellen: Ist jemand, der nicht. Aber es ist doch so: Den Fußballstar deren Deutschen mit Migrationshinter- nach Mekka geht, in einer deutschen DeBoateng will natürlich jeder neben sich ha- grund besteht, oder ein frühes Ausschei- mokratie richtig aufgehoben? ben. Aber nun stellen Sie sich mal viele den eines Teams aus elf weißen Christen? SPIEGEL: Warum sollte er das nicht sein? Fremde vor, ohne die Bekanntheit, ohne Gauland: Die deutsche Nationalmannschaft Gauland: Weil wir von der AfD deutlich saFußballstar zu sein. Dann ist die Frage, ob sollen der Trainer und der Mannschafts- gen, der Islam ist nicht Teil unserer Kultur Sie die alle als Nachbarn haben wollen, kapitän aufstellen. Da ich nichts davon ver- und gehört nicht zu Deutschland. Es gibt stehe, vertraue ich denen. Und da ist mir ein Zitat von Ajatollah Khomeini: Der Islam schon ganz anders zu beantworten. SPIEGEL: Warum schieben Sie die ganze Zeit auch egal, ob das eine weiße, gelbe, grüne ist entweder politisch, oder er ist es nicht. SPIEGEL: Die meisten Muslime sehen das andere Leute vor, anstatt über sich selbst oder schwarze Mannschaft ist. zu sprechen? Warum verstecken Sie sich? SPIEGEL: Ist es nicht verlogen, einerseits ge- völlig anders. Gauland: Ich wohne nun mal in einer Ge- gen Zuwanderung zu sein, dann aber die Gauland: Mag so sein. Ich muss aber fragen gend, in der es diese Probleme nicht gibt. Tore der Nationalspieler mit Migrations- dürfen, wo die Loyalität dieses Menschen Die Menschen, die bei mir in die Nachbar- hintergrund zu bejubeln? liegt. Liegt sie beim deutschen Grundschaft ziehen, sind sozial so gestellt, dass Gauland: Der Profifußball folgt eben ande- gesetz, oder liegt sie bei einem Islam, der ren Regeln, und eine deutsche oder eine ein politischer Islam ist? Und will er, wenn es überhaupt keine Konflikte gibt. SPIEGEL: Sie wohnen in Potsdam am Heili- englische Nationalmannschaft sind eben er um die Kaaba wandert, zeigen, dass er gen See. Da heißen die Nachbarn Mathias schon lange nicht mehr deutsch oder eng- diesem politischen Islam nahesteht? Aber Döpfner oder Günther Jauch. lisch im klassischen Sinne. Fußball ist letzt- Fußballer wie Herr Özil sind für mich keiGauland: Genau, das sind die „Problemfälle“ lich eine Geldfrage und keine Frage der ne Entscheidungsträger. bei uns. Aber wir alle lesen Zeitungen. nationalen Identität mehr. Für viele Men- SPIEGEL: Die Zahl ausländerfeindlicher Und bei Wahlkundgebungen erlebe ich, schen ist es aber offenbar nach wie vor Straftaten ist massiv gestiegen. Kann es sein, dass viele Täter denken: Also wenn dass viele Menschen sagen: Nein, wir wol- eine gelungene Aufführung. len in unserer Nachbarschaft nicht zu viele SPIEGEL: Im deutschen EM-Kader stehen der feine Herr Dr. Gauland zum Widerneun Fußballspieler mit Migrationshinter- stand aufruft, zur Verteidigung DeutschFremde. SPIEGEL: Sie reden wieder nur über andere. grund. Zeigt das nicht, dass Deutschland lands, dann muss ich handeln? Gauland: Diese Debatte habe ich vor vielen Wäre es für Sie selbst ein Problem, wenn längst ein Einwanderungsland ist? Jahren in der CDU geführt, über die Frage, Fremde in Ihre Nachbarschaft zögen? Gauland: Nur wenn diese Fremden eine völob Jürgen Habermas für sein Lebenswerk lig andere Lebensweise bei uns einführten den Adorno-Preis erhalten sollte. Viele und, sagen wir, Riesenkrach machten. meiner Parteifreunde lehnten das ab, weil Wenn man am Sonntag laute Tanzmusik die Habermas-Denkschule auch den Terspielt, dann habe ich ein Problem. Aber rorismus der RAF hervorgebracht habe. das habe ich auch mit Deutschen. Ich habe schon damals gesagt: Man kann SPIEGEL: Indem Sie sagen, die Leute wollen einer Denkschule nicht kriminelle Taten das Fremde nicht, billigen Sie diese Hal- Gauland: Ich glaube nicht, dass die National- zuschreiben. So wie Karl Marx nicht für tung. Und Sie wollen denen ja nicht die mannschaft dafür das passende Symbol ist. die Verbrechen Josef Stalins verantwortLeviten lesen, Sie wollen sie als Wähler. Eben weil der Profifußball anderen Geset- lich ist, haften wir nicht für brennende Sie geben denen das Gefühl: Die AfD ver- zen folgt. Ich glaube auch nicht, dass das Asylbewerberheime. steht euch, und wir tun alles, um euch Lebensgefühl der meisten Deutschen so mul- SPIEGEL: Auffällig ist, dass die Kommunikafremde Nachbarn zu ersparen. Sie machen tikulti ist. Da gibt es noch immer eine starke tion der AfD stets nach gleichem Muster Verbundenheit zu Land und Leuten und Ge- verläuft. Erst die Provokation, dann folgt Ressentiments salonfähig. Gauland: Den Vorwurf höre ich oft. Natür- schichte und Tradition. Sie fiebern zwar mit der öffentliche Aufschrei, dann rudern Sie lich plädiere ich für Toleranz. Auf der an- dem Fußball mit, aber diese multikulturelle mit herrlichen Entschuldigungen zurück: deren Seite sagen wir, dass diese Toleranz Welt ist den meisten noch immer fremd. Wir sind auf der Maus ausgerutscht, wurnur möglich ist, wenn die von Frau Merkel SPIEGEL: Die AfD Sachsen hat Mesut Özils den falsch zitiert oder ohne Autorisierung. in Gang gesetzte Einwanderung gestoppt Reise nach Mekka als „antipatriotisches Gauland: Da kann ich nur erwidern, was die wird. Weil nur dann eine langsame, ruhige Signal“ kritisiert. Er solle sich nicht de- „FAZ“ zum Thema ganz klug geschrieben Integration die Lage ändert. Ich akzeptiere, monstrativ zum Islam bekennen, sondern hat: Fehler sind keine Strategie. dass die Menschen sich überfremdet füh- „zum eigenen Land“, etwa durch Singen SPIEGEL: So unschuldig, wie Sie tun, sind len, weil die unkontrollierte Einwanderung der Nationalhymne. Denken Sie auch so? Sie nicht. Frauke Petry schrieb in einer von einer Million Menschen in kürzester Gauland: Dass Herr Özil an die Kaaba von Mitglieder-Mail, dass „provokante AussaZeit nicht verkraftbar ist. Mekka gewandert ist, ist sehr gewöhnungs- gen unerlässlich“ seien, „um sich medial SPIEGEL: Sogar Ihre Chefin Frauke Petry bedürftig für eine Partei, die den Islam Gehör zu verschaffen“. Habe man erst die hat sich bei Herrn Boateng entschuldigt nicht als Teil Deutschland betrachtet. Was Aufmerksamkeit, könne man korrigieren. die Kollegen aus Sachsen erklärt haben, Gauland: Das ist sehr klug formuliert, aber für den Eindruck, der entstanden ist. Gauland: Ich bin nicht ganz glücklich mit zeigt, dass es gerade im kulturellen Raum auf meinen Fall nicht anwendbar und wäre ihrer Äußerung. Frau Petry hätte ohne noch Dinge gibt, die die Menschen von- hier ja auch nicht aufgegangen. Auch FrauSchwierigkeiten sagen können: Da ist ein einander trennt. Dass Fragen aufkommen, ke Petrys Aussage zur Frage, ob man auf falscher Eindruck entstanden, als Partei- wenn einer nach Mekka geht und um die Flüchtlinge an der Grenze schießen soll, chefin will ich den geraderücken. Aber sie Kaaba wandert, ist völlig klar. war ein Ausrutscher und keine Strategie sprach von Erinnerungslücken. Dass sie SPIEGEL: Die Frage war: Finden Sie es selbst und hat echten Schaden angerichtet. mir dies ohne Kenntnis des Vorgangs un- problematisch? Interview: Melanie Amann, Markus Feldenkirchen Wo liegt die Loyalität der Leute, die nach Mekka wandern? Beim Grundgesetz oder beim Islam? DER SPIEGEL 23 / 2016 37
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