Mit den Mitteln der Philosophie

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Tandem
Mit den Mitteln der Philosophie
Wie ein gutes Leben gelingt, trotz kompletter Abhängigkeit
Von Ulrich Noller
Sendung: 30. Juni 2016, 10.05 Uhr
Redaktion: Nadja Odeh
Produktion: SWR 2016
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MIT DEN MITTELN DER PHILOSOPHIE
MANUSKRIPT
Karl Zeidler
(..) Es ist einfach wichtig, dass ich so leben kann, wie ich es gerne möchte, dass ich
mein Selbst entwickle, und im Leben ist es wichtig, dass man sich so entwickeln
kann, was einfach auch vorgegeben ist. Wenn man aber so abhängig ist, und um das
geht es ja, steckt man gerne zurück. Dann (..) versucht man es auch allzu sehr, dem
Helfer recht zu machen, also ihm entgegen zu kommen.
Autor
Karl Zeidler weiß, wovon er spricht, denn er ist seit Jahrzehnten von Hilfe und von
Helfern abhängig. Karl Zeidler ist Anfang 70, verheiratet, sein Sohn studiert in Köln.
Zusammen mit seiner Frau und einem Team von Helfern lebt er ganz oben im
einzigen Hochhaus des kleinen Städtchens Bammental nahe Heidelberg.
Karl Zeidler
Ich leide an einer so genannten spinalen Muskelatrophie. Etwas einfacher gesagt:
Muskelschwund. Der mittlerweile weit fortgeschritten ist. Ich benötige sehr viel
Pflege, Handreichungen. Heute sagt man gerne Assistenz, was ja auch stimmt.
Autor
Die Diagnose kam, als Karl Zeidler drei Jahre alt war. Das war 1948. Zeidlers
Krankheitsvariante ist so selten, dass sie damals in der Literatur noch gar nicht
beschrieben war. Schon in der Grundschule, mit acht, war es ihm nicht mehr
möglich, beim Morgengebet mit aufzustehen – und stehen zu bleiben. Man dachte
damals, der Junge hätte keine große Lebenserwartung, es war nicht vorstellbar, dass
er mit seinem Muskelschwund älter und ja, sogar alt werden würde.
Karl Zeidler
Meine Mutter musste das dann so hören, das war in Ulm, und das werde ich nie
vergessen, wie sie das immer erzählte, der hat ein bisschen Schwäbisch
gesprochen: „Fraule, Fraule, des isch nix Gutes!“ (..) Das war ein Schock, der sie
sehr nieder warf, denn sie hat im Krieg ihren ersten Sohn verloren, 1944, und ich
kam 1945 zur Welt.
Autor
Mit fortschreitender Krankheit nahm für Karl Zeidler auch die Abhängigkeit von Hilfe
immer weiter zu. Trotzdem strahlt er, wenn man ihm begegnet, einen ungeheuren
Lebenswillen aus, und die Lebenslust blitzt aus seinen Augen. Das ist
beeindruckend, wenn man bedenkt dass Karl Zeidler – außer Kauen und Sprechen
und Schauen – nichts mehr ohne Hilfe bewerkstelligen kann.
Karl Zeidler
Die Krankheit (..), das war dann so, dass ich zwar gehen und stehen konnte, aber
eingeschränkt. Ich sackte immer wieder mal in mich zusammen, konnte mich selber
aber wieder erheben. Das ging so bis zu meinem achten Lebensjahr, dann war damit
Schluss, und ich kam aus dem Rollstuhl dann nicht mehr heraus. Allerdings konnte
ich noch vieles, vieles, was heute nicht mehr geht, selber machen: Mir das Gesicht
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waschen und essen. Und wenn ich pinkeln musste, das alles selber erledigen. Also,
die Assistenz, von der wir heute sprechen, war damals geringfügiger.
Autor
Karl Zeidler beschäftigt ein Team von um die zehn Helfern, meist Studenten. Heißt:
er ist niemals allein – es sei denn, er bittet darum. Aber auch dann ist der Helfer im
Nebenraum. Mehr an Freiheit als ein gelegentlicher „mentaler Hofgang“ ist für diesen
Lebenslänglichen nicht möglich. Will er sich am Bart kratzen, den Kopf umbetten, das
Hemd zurecht zupfen – für alles braucht Karl Zeidler Unterstürzung.
Karl Zeidler
Der Muskelschwund tut an und für sich überhaupt nicht weh. Was man dann spürt:
Dass einfach anstrengende Dinge nicht mehr gehen. Ich denke jetzt zum Beispiel,
probeweise sozusagen, ich möchte meinen Arm heben – aber der hebt sich nicht.
Autor
Karl Zeidler lebt damit, dass seine Fähigkeiten schwinden und auf Dauer
verschwunden bleiben. Besserung wird es niemals mehr geben.
Karl Zeidler
Relativ neu für mich ist: (..) Die Fähigkeit zu kauen und zu schlucken. Ich muss
mittlerweile vieles pürieren lassen, also breiige Sachen, das ist eine Einschränkung,
zum Beispiel Fleisch zu kauen, ist sehr anstrengend und muss dann lange im Mund
gekaut werden, also (..) ich brauche zum Essen sehr lange. Das ist, weil es ja auch
Muskeln sind, die da im Spiel sind, die die Arbeit machen, auch bedrückend. (..) Da
habe ich auch jetzt noch, weil es relativ neu ist, mit zu tun. So ein Punkt war, wo ich
mich selber noch rasieren konnte, wo ich mir selber die Augen noch auswischen
konnte. Wenn diese Fähigkeiten verloren gehen, das tut dann psychisch weh, ja?
Autor
Kann man unter diesen Umständen glücklich sein? Wie geht ein gelungenes Leben
im Zeichen einer solch kompletten Abhängigkeit? Eine Frage der Haltung, meint Karl
Zeidler. Und: Ganz wichtig ist natürlich auch das Verhältnis zu den Pflegenden. Karl
Zeidler ist im Prinzip der Manager eines mittelständischen Betriebs, dessen Geschäft
es ist, sein eigenes Leben am Laufen zu halten. Ein Job, der Fingerspitzengefühl und
Umsicht verlangt. Und eine nachhaltige Führungsphilosophie, die die
unterschiedlichen Charaktere und Begabungen optimal zum Einsatz kommen lässt.
Karl Zeidler
(..) ich muss also auf die ca. 10 Leute, meistens sind es Männer, eingehen. Ich muss
ja gucken, wie geht es demjenigen, der gerade für mich zuständig ist, wie ist er drauf,
was kann er bringen, mit wem kann ich eine kleine Reise machen? Oder, noch
andere Fragen: Mit wem kann ich ins Dorf runter marschieren, also mich schieben
lassen, und den Berg wieder rauf? Ich muss also abwägen: Ist es sinnvoll, das mit A
zu machen oder mache ich es lieber mit B? Auch sind manche Helfer für das, was
nachts anfällt, mich auf den Rücken drehen, pinkeln lassen, Schluck trinken lassen
und so weiter, das sind kurze, kleine Dinge, aber das kann mancher nicht. Weil er
kein Nachtmensch ist, also nicht munter wird, oder es zu anstrengend empfindet.
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Autor
Das Verhältnis von Karl Zeidler zu seinen lebens-erhaltenden Mitarbeitern ist im
Grunde paradox: Es ist eine geschäftliche Beziehung – die zugleich voller Intimität
steckt. Denn, wie gesagt: die Mitarbeiter sind in fast jedem Moment des Lebens
unverzichtbar. Beim Toilettengang. Bei der Körperpflege. Bei Besuchen. Wenn Herr
Zeidler anders sitzen möchte – oder wenn er einfach nur mal in Ruhe aus dem
Fenster übers verregnete Bammental gucken möchte.
Karl Zeidler
Ich denke, die so genannte Chemie sollte stimmen, sollte immerhin auf einem
gewissen Level sein. Das spürt man relativ früh, bei den ersten zwei, drei Mal schon.
Und dann die Fähigkeiten, mit dem Körper eines anderen, also meinem Körper,
umzugehen. Manche haben da bei der Körperpflege auch zwei linke Hände,
entweder sie trauen sich nicht oder sind aus anderen Gründen überfordert. Aber es
ist auch möglich, tiefenpsychologisch gesehen (..), dass sie diese Nähe, die sich
eben auch auf die körperliche Nähe ausdehnen muss, dass die ihnen nicht
angenehm ist, aber das finanzielle Einkommen ist für sie ja schon wichtig, und die
werden auch innerlich abwägen, will ich das machen, ich muss das machen, das ist
für die auch ein Dilemma, ja?
Autor
Hinzu kommt noch eine andere besondere Anstrengung: Da Karl Zeidler jegliche
Mittel der Körpersprache fehlen – also: Mimik, spontane Handbewegungen und
dergleichen – muss er alles, aber auch alles in Sprache übersetzen.
Karl Zeidler
Nichtsdestotrotz, so ein lockeres, vertrauensvolles Verhältnis, wo man auch mal
miteinander Spaß haben kann, Unsinn erzählen. So, jetzt komme ich auf das Wort
nicht... - das Blödeln! - ja, jetzt hab ich´s. Ein Psychologe sagte mal, Blödeln ist
Psychohygiene, das, wenn geht, das ist gut, das muss sich irgendwie auf dem Gebiet
der Kommunikation ein bisschen treffen. Eine kritische, sehr unangenehme Situation
ist, (..) stellen Sie sich vor, ich frühstücke mit einem Assistenten. Er kann es sich
leisten, gar nichts zu sagen. Und ich muss: Jetzt möchte ich das. Jetzt möchte ich
das andere. Gib mir das noch. Oder auch: Smalltalk fehlt sogar manchmal. So: Heute
ist es schön; ach scheiß Wetter, oder furchtbares Wetter. Für mich ist das schwierig.
Wenn jemand offen ist, wenn jemand gerne plaudert, ist es für mich viel, viel leichter.
Autor
Einfühlungsvermögen ist erforderlich, wechselseitige Empathie. Nur: Wer ist das
überhaupt, der Andere, das Gegenüber, wie kann man ihn verstehen, sich in ihn
hinein versetzen, wo man doch kraft seiner ganz und gar unterschiedlichen
Lebensbedingungen und -erfahrungen eben ein GANZ anderer ist, ja sein muss?
Wie kommt das erstaunliche Wunder zu Stande, dass wir Menschen auch ein
Miteinander haben, das gewissermaßen zwischen uns schwebt? Eine philosophische
Grund-Frage, die sich im Leben von Karl Zeidler auf besondere Weise zugespitzt
stellt. Und auch noch in einer höchst ungleichen, einer asymetrischen Beziehung: Für
den einen ist es ein Job, für den anderen geht es um alles. Das war allerdings, so
Karl Zeidler, nicht immer so.
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Karl Zeidler
Es war so, dass die Zivildienstleistenden ja aus ganz anderen Motiven zu mir kamen.
Da war die Dienstpflicht, und die haben sich interessiert. Und viele haben das auch
wie – die Arbeit an einem Projekt genommen. Sie haben sich – durchschnittlich – im
Vergleich zu heute weitaus mehr identifiziert mit mir. (..) – die haben sich so
identifiziert, man könnte, man sollte eigentlich von Freundschaft reden. Und das
eigentlich asymetrische Verhältnis wurde gar nicht so wahrgenommen. Und sie
haben auch meine großen Pläne, die ich hatte, also meinen Entwurf eines Tages,
einer Woche, einer Reise, da haben die sich nicht gesperrt. Sondern das fanden die
interessant und haben da auch viel mitgenommen. (..) Und das ist heute, auch mit
den Assistenten, die sich ihr Geld, was sie brauchen, verdienen, völlig anders.
Autor
Ein gravierender Aspekt einer Ethik der Pflege in Abhängigkeit ist die Frage der
Finanzierung. Die Pflege von Herrn Zeidler ist geregelt, auch und insbesondere
finanziell. Das ist gut so, gar keine Frage, und es ist vermutlich in unserer
Gesellschaft auch gar nicht anders denkbar. Aber: Dadurch, dass die Betreuung auf
diese „buchhalterische“ Weise geregelt ist, wird jede Handlung an Herrn Zeidler auch
Teil eines Geschäfts, einer Transaktion. Berührungen ohne „professionellen“
Charakter sind in seinem Leben selten geworden.
Karl Zeidler
Eigentlich könnte man sagen: Warum stört dich das? Aber mich stört schon, dieser
Aspekt, weil... - Ich zögere. - Weil, ich hätte es gern anders, so wie früher bei den
Zivis. (..) Ich bekomme ja das zu spüren, dass für den Helfer die finanziellen Mittel
wichtig sind. (..) Die meisten sind so eingestellt, aus welchen Gründen auch immer,
dass sie eine gewisse Summe von Geld verdienen wollen, verdienen zu müssen, um
das und das verwirklichen zu können, zum Beispiel das Studium. Und dann, wenn es
geboten wäre, mir mehr zu helfen, sich zurückziehen. (..) Und da fühle ich mich so
was wie: missachtet. Das war völlig anders bei den Zivis, weil ich ja wusste, die
haben sich aus freien Stücken für diese Dienstart – individuelle
Schwerbehindertenbetreuung, so hieß es damals - entschieden, und da kam dieses
Gefühl nicht auf.
Autor
Jemanden wie Karl Zeidler zu betreuen ist bei genauerer Betrachtung eben nicht
einfach nur ein Job. Dann zumindest, wenn dem Pflegebedürftigen tatsächlich nicht
nur ein Über-leben, sondern ein möglichst gutes Leben möglich sein soll. Und „gutes
Leben“, das heißt insbesondere auch: Selbstbestimmung.
Karl Zeidler
(..) Und ich kann mir vorstellen, dass manche auch, wenn sie sich für den Dienst
interessieren, das nicht vor Augen haben oder vor Augen haben können. Manche
meinen auch, sie müssten hier noch was verändern oder Farbe in mein Leben
bringen oder einen Schwung. Aber all das hab ich ja schon. Ich will ja mein Leben,
was sich so auf den Punkt entwickelt hat, weiter leben. Ich möchte jeden Schritt
gehen, ich möchte selbst bestimmen. Das ist vielen nicht bewusst. Die wollen sich
sehr einbringen, und - (..) die Pflege und die Assistenz wird für mich immer vom
Stempel, also von der Eigenart, von der Persönlichkeit des jeweiligen Helfers mit
bestimmt. Da kann er auch nichts dafür. Er bringt sich ja selbst mit rein. Und wenn
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dann die beiden – also er und ich – gut zusammen wirken können, das ist toll. Aber
wenn er will mich verändern, sagen wir es ganz kurz, dann wird es sehr, sehr
schwierig.
Autor
Da kann allein schon ein kleiner Ausflug mit dem Rollstuhl zur großen
psychochoreographischen Herausforderung werden.
Karl Zeidler
Jeder Mensch hat ja seine Gangart. Manche haben einen schweren Gang, manche
gehen ganz flott und leicht. Ich hatte mal einen, der traute sich nicht, mit mir
einigermaßen zügig spazieren zu gehen, der trippelte nur. Und das aus einem Helfer
heraus zu bringen, also ihm zu sagen, das kannst du so nicht machen – das bringt
fast nichts. Ich kann natürlich vieles selbst bestimmen, und ich kann auch Grenzen
setzen. Aber die direkte Umsetzung von einem Plan, da muss ich mich dann oft auch
begnügen.
Autor
Wo nicht Pflegebedürftige einfach mal kurz die Sitzposition ändern, wenn ihnen etwa
der Rücken zwickt, muss jemand wie Karl Zeidler einen komplexen Prozess des
Zusammenspiels mit anderen in Gang setzen. Wobei die gewünschte
Selbstbestimmung schon in kleinen Dingen an ihre Grenzen stoßen kann.
Karl Zeidler
Es macht traurig, mindestens nachdenklich, aber auch mitunter etwas depressiv.
Gottseidank bin ich ein Typ, der in so einer Stimmung nicht lange bleibt. Ich bin leicht
da wieder hervor zu holen. Aber ich war auch schon, wenn jemand angelernt werden
musste, am Ende der Kräfte, dass ich dann, ja, geschrien habe! Meine Frau hat mich
dann beruhigt, das war wichtig. Ich wollte ja den Helfer nicht so attackieren, dass ich
ihn runter drücke. Aber für meine Emotionen konnte er das Verständnis auch nicht
aufbringen.
Autor
Ein Mindestmaß an Selbstbestimmung ist im Grunde genommen nur möglich, wenn
Karl Zeidler den Chef gibt. Er ist, sagt er, ein Imperator wider Willen.
Karl Zeidler
Asymetrische Beziehung gibt es zum Beispiel vom Lehrer zum Schüler, vom Boss
zum Angestellen (..) - also, wenn derjenige, der anschafft, etwas sagt, und der
andere macht das. Das ist asymetrisch. Bei Freunden, bei Ehepartnern sollte es nicht
so sein. Diese Asymetrie, die liegt mir auch nicht, aber sie muss, sie muss unbedingt
sein.
Autor
Insofern macht natürlich auch die Sache mit der Bezahlung Sinn: Wo einer den
anderen entlohnt, da ist schließlich klar geregelt, wer die Anweisungen gibt und wer
sie zu befolgen hat.
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Karl Zeidler
Ich muss sagen, dieses ständige Anschaffen, jetzt gib mir dieses Stück Brot, jetzt gib
mir einen Schluck Wein oder Wasser, es gibt ja so unsäglich viele Dinge, und die
immer wieder anzuschaffen, immer wieder zu sagen, gib mir, mach mir, was ja auch
schon grammatikalisch Imperative sind, ich kann das und habe mich daran gewöhnt
– aber müsste ich es nicht mehr machen, wäre ich froh.
Autor
Jemandem, der von Pflege abhängig ist, auf ideale Weise zu helfen, heißt also, eben
jene komplexe Natur des paradoxen Machtverhältnisses von Pflegebedürftigem und
Pflegendem so zu gestalten, dass der eine möglichst wenig Imperator sein muss und
der andere möglichst wenig Befehlsempfänger. Zugleich muss klar sein, dass es nur
und ausschließlich um den Pflegebedürftigen und sein Befinden und seine
Vorstellungen geht. Die Asymetrie der Beziehung sollte also möglichst aufgehoben
werden – und doch zugleich möglichst vorhanden bleiben.
Karl Zeidler
Allerdings muss ich sagen, es gibt Phasen, wo die Beziehung, auch wenn sie
ungleich ist, auch wenn sie asymetrisch ist, trotzdem gut läuft. Nicht nur mit Befehl
und Gehorsam, sondern man kommt sich nahe, man tauscht vieles aus. Es ist ja
auch so (..), dass ich Dinge anvertraut bekomme, die man höchstens dem besten
Freund sagt. Und da verschwindet dann diese asymetrische Beziehung, sie ist also (..) dass man sich von Mensch zu Mensch auf derselben Ebene begegnet.
Autor
Freiheit im Sinne von vollkommener Unabhängigkeit ist angesichts all dessen
natürlich extrem schwierig. Fast unmöglich sogar. Karl Zeidler hat trotzdem eine
Form von Freiheit gefunden, und zwar mit Hilfe technischer Mittel.
Karl Zeidler
Der freie Wille ist natürlich mehr beschränkt, als bei anderen Menschen.
Durchschnittlich gesehen. Ich denke jetzt an etwas – und zwar die Spracherkennung
an meinem Computer. Ich kann mich da hinsetzen lassen, das Headset aufsetzen
lassen, und dann kann ich sprechen oder im Netz auch surfen und so weiter. Früher
war das nicht möglich. Da hatte ich weniger Freiheit als heute. Jetzt muss ich
natürlich noch aufpassen, dass mir das bleibt, dass nicht jemand sich hinter mich
stellt in den Rücken und liest, was ich schreibe. Das ist ein großer Fortschritt! Durch
die Technik kann man die Freiheit erweitern! Das hat mir sehr geholfen. Das ist so
mein Reich geworden.
Autor
Die Freiheit an sich aber findet Karl Zeidler aber insbesondere auch durch das
Denken und durch die Philosophie.
Karl Zeidler
(..) Ich weiß noch, das ist lange her, als ich gerade so einen Spaziergang machte,
durch einen Kurs „Grundlagen der Philosophie“, da habe ich mir Gedanken gemacht
zu dem Ausspruch, den hat der Kant gemacht, das Ding an sich kann man nicht
erkennen, das war eine Erleuchtung sondergleichen! Also, ich kann jetzt nicht
erkennen, was im anderen vorgeht. Ich sehe eben mit der Brille, die mir gegeben ist.
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Sie sehen den Baum anders als ich. Das geht ja so weit – diese Aspekte – das hat
mich dermaßen begeistert. Man muss ja nicht alles, was ein Philosoph geschrieben
oder gesagt hat, so nehmen, als sei es der Weisheit letzter Schluss, man darf es
auch hinterfragen, nicht?
Autor
Bleibt die Frage nach dem guten Leben. Er könne verstehen, sagt Karl Zeidler, wenn
Menschen in seiner Situation darüber nachdenken, ein so beschwerliches Leben zu
beenden. Sein Fall ist das nicht. Wohl auch deshalb, weil er die zentrale Frage der
Philosophie für sich längst beantwortet hat.
Karl Zeidler
Ich habe ein gutes Leben. Ich konnte das erreichen und bekommen, was ich mir als
junger Mann schon wünschte, eine Familie, ein Kind. Ich denke, dass zu einem guten
Leben nicht gehört, dass alle Wünsche in Erfüllung gehen, sondern dass ich mich
verwirklichen kann. Also meine Hobbys, meine Interessen, aber auch die kleinen
Genüsse im Alltag wie das Glas Wein, die befriedigen mich. Und so würde ich sagen:
Ja, ich habe ein gutes Leben.
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