Kapitel 2 - bookshouse Verlag

Tanya Carpenter
Azrae
Das Buch:
Beth Preston ist eine Nephilim, eine jener Halbengel, denen es bestimmt sein soll, die Vergessene Schrift wiederzufinden und die Engel ins Paradies zurückzuführen. Über das Wie sind die Gefallenen
geteilter Meinung. Die einen wollen sie beschützen, die anderen opfern, aber jeder hofft auf Erlösung von ihrer Hand.
Kyle und Proud McLean haben die Aufgabe übernommen, Beth
zu beschützen, doch dann wird Kyle bei einem Grigori-Angriff in
einen Schnitter verwandelt. Von diesem Moment an ist er eine stete
Gefahr für Beth und muss sie und Proud in Los Angeles zurücklassen. Ein Umstand, der nicht ohne Zündstoff ist, denn auch Proud
hat schon länger ein Auge auf Beth geworfen, und sie kann seine Anziehungskraft kaum leugnen.
Derweil verfolgen andere Engel ihre ganz eigenen Pläne, die Beth
noch immer in höchste Gefahr bringen. Auch der selbst ernannte Herrscher von L.A. – Samuel van Vaughn – lässt sie nicht aus den Augen.
Die Autorin:
Die vielseitige Autorin ist inzwischen
in nahezu allen Genre der Belletristik
zu Hause, wobei zumeist eine gehörige Portion Erotik nicht fehlen
darf. Aber auch einige fachliche Texte über Wölfe und Hunde wurden
bereits veröffentlicht. Neben dem
Schreiben ihrer eigenen Bücher lektoriert sie als Mitglied des Teutonic
Text Teams Romane und Novellen
anderer Autoren für diverse Verlage. Hauptberuflich ist Tanya Carpenter als Assistentin der Vertriebsleitung in einem weltweit agierenden Industrieunternehmen tätig. Ihre Freizeit verbringt sie vorzugsweise mit ihren Hunden und ihrem Pferd in freier Natur, schätzt aber
auch gemütliche Leseabende vor dem Kamin bei guter Musik. Sie
hat ein Faible für Mythologie und Historie, was sie nicht selten in
ihre Geschichten einfließen lässt. Vertreten wird die Autorin von der
Agentur Ashera.
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Tanya Carpenter
Roman
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Azrae – L.A. Vampires 2
Tanya Carpenter
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Für Angie
Danke, dass es dich gibt
Vorwort
inst kamen sie in diese Welt, um Leid und Frevel
aus ihr zu tilgen, als Sühne für ihre Schuld.
Vier Engelkasten, jede mit ihrer ureigensten
Aufgabe betraut.
Da waren die Grigori – Wächterengel. Geboren, jene
zu strafen, deren Herz voll Zorn, Hass und Habgier gegen
ihre Nächsten ist. Sie werfen die Seelen der Schuldigen
geradewegs in den Höllenschlund.
Ihnen nach kamen die Azrae – Todesengel. Sie erlösen
die unheilbar Kranken von ihrem Leid, reinigen die Erde
von Seuchen und geleiten die Seelen auf die andere Seite.
Es folgten die Cherubim – Schutzengel, die sich in
reißende Bestien verwandeln, um jene zu bewahren, die
ihnen anvertraut sind.
Zuletzt erschienen die Djin – Seelensammler, die all
jenen den Weg weisen, die vor ihrer Zeit aus dem Leben
gerissen wurden.
Über allen wachen vom Himmel herab die Seraphim –
Racheengel, die vor den Toren des Garten Eden stehen,
damit kein anderer Engel ihn je wieder wird betreten.
Denn den Gefallenen ist der Zutritt ins Paradies auf ewig
verwehrt. Zur Strafe für ihre Sünden sollen sie dienen den
Menschen bis hin zum Tag des Jüngsten Gerichts – ohne
Hoffnung auf Gnade oder Vergebung.
So steht es geschrieben in der Vergessenen Schrift. Nur
eine Hoffnung bleibt. Denn einst soll geboren werden der
Nephilim. Wenn die Gefallenen ihre Schuld verbüßt, wird
er allein ihre Schwächen heilen, wird die Engel befreien
und die Tore öffnen mit seinem Blut.
Jedoch diese Hoffnung schwindet.
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Mit den Jahrhunderten wandelten sich die Engel auf
Erden. Wurden die Wächter vergiftet von den schwarzen
Seelen ihrer Opfer. Lockten die Djin jene, die schwachen
Glaubens waren, in den Tod. Berauschten sich die Azrae
an heilem Blut. Und vergaßen die Cherubim ihre Pflichten.
Sie traten hervor aus dem Geheimen und mischten
sich unter die Lebenden, bis die Menschen begannen,
mit Argwohn von Vampiren und Werwesen zu sprechen.
Von bösen Geistern und Dämonen, die den Menschen
das Blut aussaugen, sie in Stücke reißen oder ihre Seelen
rauben. Zitternd vor der dunklen Macht und gleichwohl
angezogen von ihrer Verheißung, ohne je wirklich daran
zu glauben.
So war es, und so sollte es bleiben, und der Nephilim
geriet in Vergessenheit. Bis heute …
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Was bisher geschah
achdem die Krankenschwester Beth
Preston während einer Nachtschicht
dem Azrae Kyle McLean begegnet ist,
hat sich ihr Leben komplett geändert. Nicht nur, dass sie
und der Todesengel sich unsterblich ineinander verliebt
haben. Durch ihr Aufeinandertreffen ist auch etwas in ihr
erweckt worden, das die Aufmerksamkeit der Grigori –
der Wächterengel in Los Angeles – auf sich zieht. Sogar
über die Stadtgrenzen hinaus macht dieses Ereignis von
sich reden.
Beth ist eine Nephilim. Eine jener sagenumwobenen
Halbwesen, mit deren Blut man die Tore des Paradieses
wieder öffnen kann. So steht es jedenfalls in der Vergessenen Schrift.
Kyle und sein Cousin Proud nehmen Beth bei sich auf
und versuchen, sie zu beschützen. Dabei macht die Tatsache, dass nicht nur der sanfte Kyle, sondern auch sein
draufgängerischer Cousin ein sinnliches Interesse an Beth
entwickelt, die Sache für die junge Nephilim nicht leichter.
Bei ihrer Arbeit im St. Johns Health Center stößt Beth
auf seltsame Vorgänge. Verschwundene Frauen und angeblich verstorbene Neugeborene, von denen es keine
weiteren Spuren zu geben scheint. Haben auch hier die
Grigori die Finger im Spiel? Wurden die Nephilim gezielt
gezüchtet? Und wenn ja, gibt es dann noch mehr, die so
sind wie sie?
Als sich urplötzlich Beth’ Mutter bei ihr meldet, scheint
endlich Licht ins Dunkel zu kommen, doch die geistig verwirrte Frau in einer Nervenheilanstalt wirft stattdessen
nur neue Fragen auf. Ebenso wie der rätselhafte neue
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Patient, der in einem Isolierzimmer untergebracht wird
und zu dem allein Professor Swan Zugang hat.
Beth gerät immer tiefer hinein in einen Strudel aus
Geheimnissen und Halbwahrheiten. Mit jeder neuen Entdeckung öffnen sich weitere Abgründe in ihrer im Dunkeln liegenden Vergangenheit und ungewissen Zukunft.
Ständig in Gefahr kämpft sie verzweifelt dafür, sich ihr
vertrautes Leben zu bewahren, doch selbst der zusätzliche
Schutz der Cherubim, der Schutzengel, die sich bei Gefahr
in reißende Bestien verwandeln können, kann nicht verhindern, dass sie schließlich in eine Falle gerät und von
einem Bündnis mehrerer Grigori entführt wird.
Um Beth vor dem Tod auf dem Opferaltar zu retten,
müssen Kyle und Proud einen der Sonnensteindolche in
ihren Besitz bringen und sich in Gefahr begeben, wofür
Kyle schließlich einen hohen Preis bezahlt. Weil er das Blut
eines Grigori trinkt, wird er zum Schnitter und damit zu
einer permanenten Gefahr für Beth und Proud. Er muss sie
verlassen – für immer. Doch die Jagd auf sie ist noch längst
nicht vorbei …
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Kapitel 1
m sie herum herrschte ein Murmeln von tiefen,
sonoren Stimmen. Sie erkannte die Nähe mehrerer Männer, die ihr allesamt fremd waren.
Aber sie wusste, sie war von ihnen hierher gebracht worden, um zu sterben. Beth konnte sich nicht bewegen. Ihre
Glieder waren wie festgebunden. Sie hatte keine Gewalt
mehr über ihren Körper, der ihr seltsam fremd vorkam.
Die Kälte aus dem Stein, auf dem sie lag, kroch Beth
langsam unter die Haut. Es war ein seltsames Gefühl, wie
kleine krabbelnde Tiere, die sich immer tiefer in sie hineinarbeiteten. Dabei hätte sie es nicht fühlen dürfen, weil sie
gar nicht mehr in ihrem Körper war, stellte sie mit Verwunderung fest. Denn wenn sie es noch gewesen wäre,
hätte sie doch nicht gleichzeitig von oben auf sich herabblicken können.
Das plötzliche Bewusstsein der Schwerelosigkeit raubte ihr den Atem. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass
diese feinstoffliche Form ihrer selbst keinen Sauerstoff benötigte. Sie musste nicht atmen. Sie brauchte auch keinen
Herzschlag mehr. Und in dieser ätherischen Essenz besaß
sie auch kein Blut, das diese Männer unter ihr so dringend
von ihr haben wollten.
Wäre es dasselbe, wo sie gar nicht in ihrem Körper war?
Nutzte diesen Männern, die dort um sie herumstanden und
fremdartige Worte murmelten, das Blut dann überhaupt
etwas? Obwohl sie nicht mehr damit verbunden war?
»Das Blut wird ihnen so oder so nichts nützen. Egal, ob
du hier oder dort bist. Und egal, ob sie es hier aus deinem
Körper holen oder irgendwo anders. Es ist der falsche Weg.
Eine Vergeudung. Aber so weit wird es nicht kommen.«
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Sie wandte den Blick zur Seite und sah in ein konturenloses weißes Gesicht. Der Mann, der zu ihr gesprochen
hatte, sah nicht wie ein Geist aus. Eher wie ein höher entwickeltes Wesen, das außerhalb der irdischen Welt existierte. Auf einer anderen Ebene. Astralkörper.
Bisher hatte das Wesen nach unten auf ihren Körper
gestarrt. Jetzt drehte es den Kopf und erwiderte ihren
Blick. Es lächelte. Sofern man es Lächeln nennen konnte.
Das Gesicht hatte keine richtigen Augen, keine Nase oder
einen Mund. Das alles war da, aber auch irgendwie nicht.
Dennoch wusste sie, dass es ein Lächeln war.
»Du bist sehr klug, kleine Beth. Ja, wir befinden uns
hier auf einer höheren Ebene. Manche nennen es die erste
Astralebene. Von hier aus kannst du die Welt noch sehen
und bist mit ihr verbunden. Darum kannst du hier auch
fühlen, was mit deinem sterblichen Körper geschieht.
Manchmal kannst du das Geschehen in deiner unmittelbaren Nähe sogar beeinflussen. Aber du wirst von der Welt
und allen, die darin wandeln, nicht mehr wahrgenommen.
Nur die Djin können bis hierhin blicken. Doch von ihnen
ist keiner hier.«
»Wer bist du?«, fragte sie. Sie empfand keine Angst vor
diesem Geschöpf, obwohl es durchaus schaurig wirkte
und schwer einzuordnen war.
»Nur jemand, der es gut mit dir meint. Du kannst nicht
hierbleiben. Noch ist nicht die Zeit gekommen. Du musst
dorthin zurück. In diesen Körper. Ich verspreche dir, heute
Nacht wird er nicht sterben. Du darfst nicht fliehen, auch
wenn du Angst hast. Von deinem Mut hängt alles ab. Und
von deiner richtigen Wahl.«
Sie wollte diesen Geist, oder was auch immer er war,
noch fragen, was er damit meinte, aber in diesem Moment
streckte er seine Hand aus und berührte ihre Stirn. Es war
ein Gefühl, als explodierte sie in tausend Funken, ehe ein
mächtiger Sog von ihr Besitz ergriff und sie mit aller Kraft
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zurück in ihren Körper zog. Genau in dem Moment, als
der erste Schnitt ihre Handgelenke öffnete und Schmerz
und Blut ihre Welt beherrschten.
Beth erwachte mit klopfendem Herzen. Um sie herum waren nur Stille und Dunkelheit. Das dünne Nachthemd klebte auf ihrer schweißnassen Haut. Sie bebte vor Angst und
ihre Handgelenke pochten heftig, als wäre das Messer gerade noch einmal darübergezogen worden. Beth betastete sie
hektisch, aber da war kein Blut. Sie atmete auf, auch wenn
sie allmählich begriff, dass sie nicht in dieser Höhle auf dem
Steinquader lag und niemand da war, der sie aus einem
egoistischen Zweck opfern wollte. Als sich ihre Augen an
die Schwärze gewöhnt hatten, erkannte sie die vertrauten
Konturen ihres Schlafzimmers. Nein, nicht ihres. Aber das,
was Proud ihr in seinem Haus zur Verfügung stellte. Sie war
in Sicherheit. Unter dem Schutz eines Azrae. Und am Leben.
Mit zitternden Fingern tastete sie nach der Nachttischlampe. Der warme Schein vertrieb die Schatten des
Traumes. Was blieb, war die Frage, ob es wirklich nur ein
Traum gewesen war oder vielmehr eine Erinnerung. Sie
wäre sich so gern sicher gewesen. Als die Grigori sie auf
diesem alten Opferaltar hatten ausbluten lassen wollen,
war sie ohne Bewusstsein gewesen. Auch später, nachdem
sie wieder erwacht war und Proud ihr erzählt hatte, was
passiert war, gab es keine Erinnerung an die Momente
dort unten in der steinernen Höhle. Erst einige Tage später
hatten die Träume angefangen, sie waren jedes Mal gleich.
Stets erschien dieses Wesen und sprach zu ihr. Immer erwachte sie, wenn sie in ihren Körper zurückkehrte und
den Schmerz des ersten Schnittes fühlte. Dabei sollte man
im Traum angeblich keine Schmerzen fühlen.
Es kommt auf deinen Mut an. Und auf deine richtige Wahl.
Die Worte hingen unheilschwanger im Raum. Sie war
nicht mutig, das war sie nie gewesen. Jedenfalls empfand
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sie sich selbst nicht als mutig. Ihr Handeln war oft eher
von Verzweiflung geprägt; dem Willen, sich kein Leben
aufzwingen zu lassen, das sie nicht führen wollte. Aber
Mut? Nein. Wäre sie wirklich mutig, würde sie sich nicht
so oft infrage stellen. Hatte dieses Wesen das mit der richtigen Wahl gemeint? Oder was sonst?
Beth sank in die Kissen zurück. Die Träume erschöpften sie. Sie hatte Angst davor, einzuschlafen. Wenn doch
nur Kyle da wäre. Dann hätte sie ihm davon erzählen
können. Er hätte vielleicht eine Erklärung gehabt oder sie
zumindest getröstet.
Da ist immer noch Proud.
Sie schüttelte den Kopf, als sich dieser Gedanke in ihren Kopf schlich. Das war nicht dasselbe. Er war nicht Kyle
und konnte seinen Platz nicht einnehmen. Das durfte nicht
geschehen. Beth drehte sich zur Seite und weinte lautlos
in ihr Kissen. Brennende Tränen um den Mann, den sie
liebte und verloren hatte. Sie wollte Proud nicht von den
Träumen erzählen. Nicht, weil sie Hohn oder Häme fürchtete, sondern seinen Trost – und womöglich dieselbe Geborgenheit, die sie sich von Kyle so sehr wünschte.
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Kapitel 2
hm war heiß, sein Körper glühte förmlich.
Das Gefühl war kaum zu ertragen. Gerade so,
als ob flüssiges Feuer durch seine Venen jagte. Es verbrannte ihn innerlich, kannte keine Gnade, keine
Linderung, egal, was er auch tat. Sein Blut kochte. Unruhe
quälte ihn, und er wälzte sich auf seinem Bett hin und
her. Er sehnte sich nach Kühlung, stellte sich vor, wie er
in eiskaltes Wasser glitt, darin untertauchte, seinen Mund
öffnete, um es zu trinken, bis …
Der Gedanke war ein Fehler. Sofort schien sein Körper zu erstarren. Von einer Sekunde zur anderen fror er
so entsetzlich, dass seine Glieder schlotterten. Die Zuckungen erfolgten unkontrolliert, jagten einen Schauder
nach dem anderen durch seinen Leib. Das Eis war noch
schmerzhafter als das Feuer zuvor. Sein Blut dehnte sich
in seinen Adern aus, während es erkaltete, brachte sie fast
zum Platzen. Eine grauenvolle Vorstellung.
»Nein!« Kyle rief sich energisch zur Ordnung und
versuchte, sich aus diesen grausigen Traumtiefen ins Bewusstsein zurückzukämpfen. Er durfte diesen Wahnvorstellungen nicht nachgeben. Das war alles bloß eine Folge
dieses gnadenlosen Hungers, der sich nur durch eine einzige Sache wirklich stillen ließ. Wenn er ihm einmal erlag,
fand er nie wieder zurück.
Er brauchte Blut. Heißes, pulsierendes Grigoriblut, das
ihm Linderung verschaffte. Die einzige Medizin, die seine
Krankheit besänftigte – wenn auch nur für kurze Zeit, aber
zumindest lange genug, damit sie in Sicherheit war und
blieb.
Beth …
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Schwer atmend tauchte er aus dem Schlaf in einen halb
wachen Zustand, in dem er langsam wieder Gewalt über
seine Gedanken und Erinnerungen erlangte. Es fühlte sich
an, als ob er sich aus einem tiefen Sumpf herauswinden
müsste, der ihn erbarmungslos in die Tiefe ziehen wollte.
Gott, war es damals auch so schlimm gewesen? Oder
noch schlimmer? Er war beinah daran gestorben. Im Augenblick fehlte nicht viel und er würde diesmal wirklich
daran zugrunde gehen, doch damals hatte es nicht diese
süße Verlockung gegeben, die Heilung verhieß, und nach
der sich sein Herz und seine Seele verzehrten.
Er musste die Augen öffnen, auch wenn die Versuchung
des Vergessens ihn lockte. Im Schlaf könnte er dieser Qual
entkommen. Aber wenn er danach erwachte, war sie nur
umso schlimmer. Das brachte ihn nicht weiter. Dennoch
zögerte er, weil er wusste, sobald er die Augen öffnete,
würde er den Schmerz kaum noch ertragen können. Die
Hitze in seinem Inneren drohte seine Glaskörper platzen
zu lassen. Es half wenig, zu wissen, dass es sich nur so anfühlte. Er bekam den Gedanken nicht aus dem Kopf, fühlte
bereits, wie ihm die Flüssigkeit über die Wangen lief.
»Es sind nur Tränen.«
Seine Stimme klang so heiser, als hätte er tagelang
Rauch geatmet. Seine Kehle war wund, ausgedörrt vor
Durst. Er musste auf die Jagd. Sofort!
Die Stadt war voll von Grigori. Dennoch musste er vorsichtig sein. Es sprach sich allmählich herum, dass wieder
ein Schnitter unterwegs war. Die Wächterengel waren vorsichtig geworden und bevorzugten die Nähe der Azrae,
um sich zu schützen. Das Blut eines Todesengels war für
einen Schnitter noch verlockender als das eines Grigori,
und Kyle wollte auf keinen Fall riskieren, einen der Seinen
zu töten. Nur die Grigori sollten sterben. Das war seine
Rache für alles, was sie ihm angetan hatten. Ihm – und
denen, die er liebte.
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Er seufzte. Der Gedanke an seinen Cousin Proud war
schmerzhaft. Sie waren nicht immer einer Meinung gewesen, aber wenn es drauf ankam, hatten sie sich stets blind
aufeinander verlassen können. Er fehlte ihm und er machte sich Sorgen um ihn.
Und dann war da noch Beth. Sie war die Wunde in
seinem Herzen, die niemals heilen würde. Der Auslöser all
dessen, was ihnen widerfahren war, und dabei dennoch
schuldlos. Er verzehrte sich nach ihr in jeder Sekunde, auch
wenn er ihr nie wieder nahekommen durfte. Ihrem Duft,
ihrem Blut würde er unmöglich widerstehen können. Es
war ihm am Strand schon kaum gelungen, als die Wandlung noch frisch war. Inzwischen traute er seiner Selbstbeherrschung kaum noch. Er wollte Beth beschützen, das
war der einzige Grund, der ihn am Leben hielt. Solange
auch nur ein Grigori noch auf dieser Erde weilte, schwebte
sie in Gefahr. Wenn er also schon zum Schnitter geworden
war, dann wollte er diesen Fluch zumindest nutzen, indem
er möglichst viele Wächter auf die andere Seite beförderte.
Jeder tote Grigori war eine Gefahr weniger für Beth.
Stöhnend richtete er sich auf und streckte seine schmerzenden Glieder. Sie knackten wie eingerostete Scharniere.
Auch nach über zwei Monaten war nicht ansatzweise davon die Rede, dass er sich daran gewöhnt hätte, was er
nun war. Es machte ihm immer noch Angst. Es war immer
noch eine Qual. Eine zweite, ihm fremde Person in seinem
Körper. Aber er gab nicht auf.
Kyle atmete ein paar Mal tief durch und öffnete seine
Augen. Das Brennen war heute überraschenderweise weniger schlimm als üblich. Vielleicht wurde es ihm allmählich einfach vertraut. Er griff nach der Packung mit Zigaretten, die neben seinem Bett lag, und zündete sich eine
an, nahm einen tiefen Zug. Der Rauch brannte in seinen
Lungen, schmeckte bitter, aber er half ihm, zur Ruhe zu
kommen. Er rauchte zu viel. Früher hatte er sich nur hin
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und wieder eine angesteckt, meist aus Langeweile oder
um wieder runterzukommen, wenn er einen Sterbenden
auf die andere Seite gebracht hatte. Seit er ein Schnitter
war, brauchte er fast jede Nacht eine neue Schachtel. Das
musste er dringend wieder ändern, auch wenn es ihm
nicht schaden konnte. Er hasste es einfach, von irgendetwas abhängig zu sein. Wenn er dem Tabak schon nicht
widerstehen konnte, wie sollte er dann die Gier des Schnitters bezwingen?
Achtlos drückte er den Zigarettenstummel im überfüllten Aschenbecher aus. In seinem Herzen meldete
sich die Sehnsucht nach Beth, aber er konnte unmöglich
zu ihr. Selbst aus der Ferne würde er ihren Anblick nicht
ertragen, ohne über sie herzufallen. Das wäre eine ganz
schlechte Idee. Seit jener verhängnisvollen Nacht hatte er
weder mit ihr noch mit Proud auch nur ein einziges Wort
gesprochen. Sie wussten nicht einmal, dass er noch immer
in ihrer Nähe war. Proud vielleicht. Er spürte es womöglich. Beth jedoch …
Er durfte sie ohnehin nicht so häufig aufsuchen. Es war
eine unnötige Qual, sich aus der Ferne nach ihr zu verzehren. Doch sich von ihr loszusagen, gelang ihm bisher
nicht. Er wollte wissen, dass es ihr gut ging. Dass sie lebte.
Dass sie in Sicherheit war.
Ja, okay, er wollte auch sichergehen, dass sie sich noch
nicht Proud zugewandt hatte. Jetzt, wo er selbst für sie verloren war. Dabei wäre es im Grunde genommen das Beste
für sie, wenn sie und Proud …
Allein der Gedanke schmerzte so sehr, dass Kyle ihn
nicht zu Ende bringen konnte, obwohl ihm klar war, dass
es so kommen würde. Ihm war Prouds Interesse an Beth
nicht entgangen, und sein Cousin war im Augenblick ihr
einziger Halt. Er sollte sich wünschen, dass es so kam, weil
Proud sie zweifellos mit seinem Leben beschützen würde,
wenn sie sich ihm zuwandte. Jeder gegenteilige Gedanke
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war purer Egoismus und schlicht aus Eifersucht geboren,
zu der er kein Recht mehr besaß. Er würde ihr nie wieder
nahe sein können, und Beth war zu jung, um den Rest ihres Lebens allein bleiben zu müssen. Das hatte sie nicht
verdient.
Dennoch fragte sich Kyle, wie so oft in den letzten
Wochen, was falsch gelaufen war, dass er der Liebe seines
Lebens für immer fernbleiben musste und ihr Schicksal in
Prouds Hände gelegt hatte, damit sie in Sicherheit war.
War sie das überhaupt? Konnte Beth in Sicherheit sein, solange sie nicht herausgefunden hatten, was überhaupt hinter den Plänen der Grigori steckte? Der Djin hatte von der
Vergessenen Schrift erzählt. Wenn er wüsste, was wirklich
dort geschrieben stand …
Vermutlich wussten auch die Grigori nur wenig davon, aber immerhin genug, um Beth opfern zu wollen.
Drei Familienoberhäupter hatten sie bei Beth’ Rettung
ausgeschaltet. Ein weiterer Grigori, der hinzugekommen
war und ihnen sogar geholfen, dann aber Beth an sich genommen hatte, war von Kyle verletzt worden – er wusste
immer noch nicht, wer das gewesen war und zu welcher
Familie er gehörte. Aber so oder so blieb eine unbekannte
Anzahl an führenden Grigori-Köpfen, inklusive der drei
geschädigten Familien, da diese sicher längst die Nachfolge geregelt hatten. Außer ein wenig Zeit war nichts
gewonnen. Eher das Gegenteil, denn seit er den Grigori
angegriffen und ihm Beth entrissen hatte, war Kyle nun
ein Schnitter. Zum zweiten Mal in seinem Leben. Auch
wenn seine Familie damals an ein Gegenmittel gekommen
war, gestattete er sich nur wenig Hoffnung, dieses Glück
ein zweites Mal zu erhalten. Was für eine Art Medizin das
überhaupt gewesen war, wussten sie bis heute nicht.
»Ich muss herausfinden, was es mit all dem auf sich
hat«, überlegte Kyle, während er das schwarze Hemd
überstreifte und in seine lederne Hose stopfte. Schwarz
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war seine Farbe geworden. Man verschmolz leichter mit
der Finsternis, wenn man sich ihr anpasste. Eine Stimme
flüsterte ihm zu, dass alles miteinander zusammenhing.
Beth, die Grigori, sein Schicksal als Schnitter, die Legende der Vergessenen Schrift … Es waren Fragmente eines
großen Ganzen, er hatte nur noch keinen Schimmer, wie er
dieses Puzzle zusammensetzen sollte.
Wo sollte er mit seiner Suche beginnen? Er wusste es.
Ganz tief in seinem Inneren wusste er es längst, doch er
schob es seit Tagen von sich, weil es bedeutete, Beth in
L.A. allein zurückzulassen. Allein mit Proud! Aber es half
nichts. Die vielversprechendste Spur zu diesem Geheimnis um die Nephilim und die Gründe, warum die Grigori
hinter Beth – und möglicherweise weiteren ihrer Art – her
waren, wartete in Phoenix. In dem Waisenhaus, in dem
Beth seit ihrem fünften Lebensjahr aufgewachsen war.
Irgendetwas mussten die Leute wissen. Es gab ohne Frage
einen Grund, warum man sie gerade dorthin gebracht hatte. Vielleicht waren die Leiter dieser Einrichtung manipuliert oder standen auf andere Weise unter dem Einfluss der
Grigori. Oder sie arbeiteten mit ihnen wissentlich zusammen. Samuel van Vaughn, das Oberhaupt der Grigori in
Los Angeles, unterhielt schon immer Kontakte zu anderen
Grigori-Ältesten. Vielleicht waren die Nephilim einfach
verteilt worden, um sie besser vor unerwünschten Zugriffen zu schützen. Damit, sollte eine entdeckt werden, die
anderen weiterhin in Sicherheit waren. Dass Beth die Einzige war, bezweifelte Kyle. Zu viel sprach dagegen, und es
wäre auch absolut nicht logisch. Die Akten, die sie über die
Frauen gefunden hatten … Es waren so viele gewesen. Einige hatte man später nach St. Joshua gebracht. Das konnte
kein Zufall sein. Wie viele Kinder hatten überlebt? Wohin
hatte man sie gebracht? Lebten sie noch? Wussten sie um
ihre Natur? Waren auch sie erweckt worden? So wie Kyle
Beth erweckt hatte?
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Sein Kopf drehte sich bereits wieder von all den Grübeleien und er presste die Fäuste an seine Schläfen, um die
vielen lauten Stimmen darin zum Schweigen zu bringen.
Am lautesten schrie jene, die ihn zu Beth locken wollte,
weil er nicht von ihr lassen konnte, auch wenn er im Augenblick vielleicht die größte Gefahr von allen für sie war.
Ich muss hier weg! Es ist unvermeidbar! Es hilft nichts, es
aufzuschieben und mich weiter zu quälen.
Wenn er ihr helfen wollte, gelang ihm das nur, indem
er ihr Schicksal ergründete und es dann mit den richtigen
Mitteln von ihr abwendete. Je eher er sich auf diese Aufgabe konzentrierte, umso besser für sie alle. Der Abschied
war nicht zu umgehen. Allein der Weg fehlte ihm noch.
Die Orientierung, wohin er sich wenden sollte.
Seufzend traf er seine Entscheidung. Er würde noch in
dieser Nacht Los Angeles verlassen. Egal wohin, nur erst
einmal fort von ihr. Aber ein letztes Mal wollte er sie sehen.
Sich ihr Bild in jeder Einzelheit einprägen. Später – wenn er
seinen Hunger gestillt hatte. Jetzt rief erst einmal die Jagd.
Beim Hinausgehen griff er nach einer weiteren Schachtel
Zigaretten und schob sie sich in seine Hosentasche.
21
Kapitel 3
as Haus war still und leise. Eine bedrückende
Schwere lag darauf. Früher hatten um diese
Zeit hier wilde Partys stattgefunden. Mit
jeder Menge Alkohol, heißer Musik und noch heißerer
Leidenschaft. Er erinnerte sich sehr gut daran. Er hatte es
geliebt. Davon war nichts geblieben.
Proud seufzte und ließ seine kühlen Finger über die
polierte Bar im Wohnzimmer gleiten. Er kam von der Jagd
zurück – nur ein kleiner Trunk, schnell, flüchtig, im Verborgenen und Vergessen schenkend. Dem Mädchen ging
es gut. Früher wäre das anders gewesen – unter Umständen. Früher …
Sie war wirklich hübsch gewesen. Nicht diese charismatische Aura und auch nicht diese Verletzlichkeit, die er
an Beth so liebte. Dennoch wäre sie eine Sünde wert gewesen. Aber er hatte sie nicht berührt. Nur genommen, was
sein Körper brauchte, und sie dann zurückgelassen.
Die Partys fehlten Proud nicht wirklich, aber er vermisste Kyle schmerzlich. Auch wenn sich sein Cousin
längst vom süßen, sorglosen Leben verabschiedet hatte,
ab und zu war es Proud doch immer noch gelungen, ihn
zu überreden, an einer seiner Partys teilzunehmen. Er war
rücksichtsvoller gewesen, wenn er sich mit den weiblichen
Gästen vergnügte, aber auch er hatte hin und wieder die
Zerstreuung gebraucht. Gerade wenn man so viele Sterbende auf die andere Seite begleitete, tat es der Seele gut,
wenn man sich einfach mal an einem gesunden, starken
Opfer trunken machte und mehr Bedürfnisse als nur den
Hunger stillte. Sie waren gut miteinander ausgekommen.
Und Gilles, ihr verschwiegener, treuer Hausgeist, hatte
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stets für Ordnung gesorgt, wenn die Gäste fort waren und
Kyle und Proud ihren Rausch ausschliefen. Alles war gut
gewesen, solange es keine Toten gab. Diese Übereinkunft
hatten sie getroffen, und er hatte sich daran gehalten, auch
wenn die Versuchung zuweilen groß gewesen war.
Jetzt waren beide fort. Gilles, der nicht ganz so treu
gewesen war, wie sie geglaubt hatten. Und Kyle, der, um
Beth zu retten, ein Schnitter geworden war. Verdammter
Idiot, jeder wusste, dass ein Azrae niemals Grigoriblut auf
seine Lippen bekommen durfte. Warum hatte Kyle das
getan? Warum hatte er nicht nachgedacht?
Ihm selbst hätte das ähnlicher gesehen. Er mit seiner
Impulsivität. Aber nicht Kyle. Nicht der besonnene, zurückhaltende Kyle. Doch während Kyle Beth’ Retter und
Entführer in einer Person nachgejagt war, hatte er noch
bewusstlos in dieser beschissenen Opferhöhle gelegen. Er
war zu spät gewesen, zu langsam. Er hätte es verhindern
müssen. Er hätte jetzt der Schnitter sein sollen, nicht Kyle!
Aber dann wäre sie jetzt nicht bei ihm. Wäre nicht auf
seinen Schutz angewiesen. Ihm nicht ausgeliefert. Nicht
seine Versuchung.
Wie von selbst hatten seine Füße den Weg zu ihrem
Schlafzimmer gefunden. Kurz blieb er davor stehen, zögerte – das wäre ihm früher ebenfalls nicht passiert. Er lehnte
seine Stirn gegen das Holz, schloss die Augen, lauschte.
Ihr Atem hinter der Tür ging ruhig und gleichmäßig. Sie
schlief. Leise drückte er die Klinke hinunter und betrat den
Raum. Beth lag im Bett wie ein kleiner Unschuldsengel. Das
Gesicht entspannt, ein wenig zu bleich. Das goldene Haar
auf den Kissen ausgebreitet. Die Lippen leicht geöffnet.
Er trat lautlos neben sie, blickte auf sie hinab und fühlte,
wie sich sein Herz vor Sehnsucht zusammenzog. Er wollte
sie nicht nur, er wollte vor allem, dass sie ihn ebenso wollte. Liebe – er liebte diese Frau, die, ohne es zu wollen – für
sie alle zur Nemesis geworden war. Ihre Rettung wie ihr
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Untergang sein konnte. Während er so auf sie hinuntersah, gestand er sich ein, dass er heimlich sogar froh war,
dass Kyle der Schnitter geworden war und nicht er.
Proud streckte die Hand aus und strich behutsam
über Beth’ Gesicht. Sie zuckte unter der Kälte seiner Berührung nur kurz zusammen, runzelte die Stirn auf absolut bezaubernde Weise, erwachte jedoch nicht. So zart,
so verletzlich. Gleichzeitig aber auch so stark. Es lag eine
solch große Verantwortung auf ihren Schultern, dass es
ihm davor graute. Er wollte sie beschützen, all das von ihr
fernhalten und wusste, dass dies nicht für immer möglich
sein würde. Gleichzeitig wollte er sie auch für sich vereinnahmen. Sie an sich binden, damit niemand sie ihm jemals
wieder würde wegnehmen können. Er brauchte sie. Doch
auch das war auf Dauer mehr als fraglich.
Erneut seufzte er leise, trat von dem Bett zurück und
nahm in dem Sessel am Fenster Platz, von wo aus er sie in
ihrem Schlaf betrachten konnte. Das Verlangen nach ihr
schmerzte körperlich, aber wenn er sie bedrängte, würde
er nur das Gegenteil erreichen, das war ihm klar. Sie empfand etwas für ihn, auch wenn es ihr Angst machte. Vielleicht
war es Schicksal, auf jeden Fall war es seine Chance, dass er
derjenige war, auf den sie angewiesen war, der sich um sie
kümmerte und all die Bedrohung dort draußen noch eine
Weile von ihr fernhalten konnte. Es war nur eine Frage der
Zeit, bis sie diesem Funken in sich nachgeben würde, weil er
zur Flamme wurde. Davon war er fest überzeugt. Nur eines
würde das verhindern können – wenn Kyle zurückkehrte.
Genau darin lag die Krux. Er wollte, dass Kyle wieder bei
ihnen war. Dass er sich ein zweites Mal von der Natur des
Schnitters befreien konnte. Kyle war seine Familie, das Wichtigste in seinem Leben. Doch Beth konkurrierte mit ihm um
diese Bedeutung. Vielleicht war sie bereits ein kleines bisschen wichtiger als Kyle, sodass der Wunsch nach Kyles Rückkehr zu schwanken begann. Was für ein verflixtes Dilemma.
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»Es wird alles gut werden, Liebes. Ich werde um dich
kämpfen, wenn es sein muss, aber ich werde Kyle niemals
im Stich lassen. Das verspreche ich dir. Beides.«
Langsam blies er den kalten Rauch in den Nachthimmel
hinauf und blickte ihm hinterher. Einsamkeit hatte ihm
noch nie gelegen; jetzt weniger denn je. Kyle war immer
ein Familienmensch gewesen. Schon der Verlust seiner
Eltern, Onkel und Tanten hatte einen tiefen Riss auf seiner
Seele hinterlassen und quälte ihn mit Schuldgefühlen, weil
er sich oft genug fragte, ob er es hätte verhindern können.
Kathlyns Schicksal hatte nicht in seiner Hand gelegen. Ihr
Tod hatte nichts mit den Differenzen zwischen ihm und
Proud zu tun, weil sie sich für ihn entschieden hatte. Die
Rache ihrer Eltern hatte seine Familie zu Unrecht getroffen
und war von irgendwem initiiert worden, der noch immer
im Dunkeln lag und es vielleicht für immer bleiben würde.
Kathlyn … Kyle seufzte bei der Erinnerung an sie.
Proud hatte recht, Beth war ihr ähnlich, sowohl im Wesen wie auch im Äußeren. Das gleiche goldblonde Haar,
dieselben blauen Puppenaugen und ein ebenso herzförmiges Gesicht mit wundervoll sinnlichen Lippen. Genau
wie Kathlyn fühlte auch Beth diese innere Zerrissenheit,
nur dass sie bei ihr eine andere Ursache besaß. Und noch
etwas vereinte die beiden Frauen: so wie damals Kathlyn,
so liebte jeder von ihnen auch Beth. Proud genauso wie er.
Sie waren wieder Konkurrenten.
Mit Proud verlor Kyle nun auch noch den letzten Blutsverwandten, das letzte Bindeglied zu seiner Familie, seinen
Wurzeln. Wenigstens blieb der am Leben, auch wenn die
Gefahr überall lauerte. Er kannte Proud gut genug, sein
Cousin würde wissen, was zu tun war. So schnell ließ er
sich nicht von den Grigori schnappen. Da schwebte Beth
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schon in größerer Gefahr, vor allem, wenn sie sich nicht
an Prouds Anweisungen hielt. Genau das bezweifelte Kyle
jedoch, denn Beth hatte bei aller Unsicherheit eindeutig ihren eigenen Kopf und einen starken Willen. Unwillkürlich
musste er schmunzeln. Die kleine Wildkatze. So verletzlich
sie zuweilen wirkte, so zäh, stolz und entschlossen war sie
andererseits. Proud würde es nicht leicht mit ihr haben.
Schon meldete sich wieder der Sog in ihm, und als Kyle
aufblickte, merkte er, dass er gefährlich nah an seinem alten Zuhause war. Er zischte einen leisen Fluch. Es wurde
wirklich immer riskanter, in Los Angeles zu bleiben.
Entschlossen warf er den Zigarettenstummel fort und
wandte sich in die Gegenrichtung. Er schlug den Kragen
seines Blazers hoch und scannte die Umgebung. In unmittelbarer Nähe konnte er keine Grigori ausmachen, aber
eine leise Witterung stieg ihm in die Nase. Er schloss die
Augen, ein kurzer Schwindel ergriff von ihm Besitz, ehe
sich ein bizarres Bild materialisierte. Wie eine Negativaufnahme, die langsam in Zeitlupe zu laufen begann, bis sie
schließlich in Echtzeit überging. In der ersten Nacht hatte
ihn das verwirrt und erschreckt, weil er das in seinem ersten Leben als Schnitter nicht erfahren hatte. Kunststück,
da war er ja auch von seiner Familie eingesperrt worden,
damit er niemandem Schaden zufügte. Ein Schauder rann
durch seinen Leib. Es war erst wenige Hundert Jahre her
und doch war er um so vieles schwächer gewesen als heute. Ohne die Ketten, die ihn hielten, hätte er damals alle
ausgelöscht. Dann wäre die Schuld auf seinen Schultern
heute noch viel größer. Jetzt kontrollierte er den Schnitter
in sich. Mühsam, aber es gelang. Er zwang ihn unter seinen
Willen, und solange diese dunkle Seite regelmäßig Futter
bekam, fügte sie sich knurrend seinem Befehl.
Der Film vor seinen Augen zeigte die Sinneswahrnehmungen eines Grigori, auf dessen Spur er geraten
war. Es war nicht so, dass die Grigori ebenfalls die Welt in
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Negativaufnahmen sahen, aber die Verbindung, die Kyles
Seele zu einem Wächterengel herstellte, lieferte nur diese
umgewandelte Sicht. Es genügte, um sich zu orientieren.
Um seine Beute zu verfolgen und zu stellen. Alles andere
war nebensächlich.
Kyle wählte den Weg über die Dächer. So war er schneller
und konnte sich unbemerkt nähern. Er kannte die Gegend,
in die es den Grigori verschlug. Nicht gerade die beste Seite
L.A.’s. Nachtklubs, Bars und allerhand zwielichtiges Gesindel, das sich unlauteren Geschäften hingab. Auch dieser
Grigori führte sicher nichts Gutes im Schilde. Es beruhigte
Kyles Gewissen, sich dessen stets bewusst zu sein.
Als er sein Opfer zehn Stockwerke unter sich durch
eine schmutzige Gasse eilen sah, löste er die Verbindung zu
seinem Geist. Stattdessen ließ er den Grigori spüren, dass
etwas Dunkles in der Nähe war, das sich an seine Fersen
geheftet hatte. Er schloss die Augen und öffnete seine Seele
weit. Gab dem Schnitter ein Stück Raum an der Oberfläche,
damit er seine Fühler ausstrecken und seine potenzielle
Beute damit streifen konnte. Er roch den bitteren Schweiß,
der in den Kleidern steckte und nicht dem Grigori gehörte.
Wem hatte er die Sachen wohl abgenommen? Und warum?
Aus den Gassen stieg ihm der Geruch von Hoffnungslosigkeit und Fäkalien entgegen. Hier eine weggeworfene
Spritze eines Junkies, dort Reste von Erbrochenem, an anderer Stelle der beißend-scharfe Geruch einer halb leeren
Flasche billigen Fusels, vermischt mit dem fauligen Verwesungsgeruch des Obdachlosen, den man vor wenigen
Stunden erst erschlagen hatte. Gott, diese Welt wurde immer schlechter. Im Grunde verdiente sie die Apokalypse.
Zumindest ein großer Teil von ihr. Aber das war nicht seine Aufgabe. Sie würde es vielleicht irgendwann sein, doch
noch war es nicht so weit.
Kyle konzentrierte sich wieder auf den Grigori. Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen, als der Mann abrupt
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stehen blieb und sich beunruhigt umsah. Er musste zugeben, dass es ihm inzwischen boshafte Freude bereitete,
wenn ein Wächterengel ihn das erste Mal spürte. Diese
Angst zu wittern, stachelte den Schnitter in ihm an. Es ließ
sich steuern, er konnte auch im Verborgenen bleiben. Eine
Jagd, an der er allmählich Geschmack fand.
Er beobachtete den Kerl genau, versuchte, seinen Charakter einzuschätzen. Überraschend besorgt für ein tödliches Monster. Und extrem ausgezehrt. War er auf der
Flucht? Aber vor wem flüchtete ein Wächterengel?
Kyle blieb noch eine Weile auf dem Dach des Hauses hocken und beobachtete den Grigori, der sich hektisch umblickte, sich in die Schatten eines Hauseingangs zurückzog und
von dort argwöhnisch die Passanten beobachtete, die an ihm
vorbeigingen. Dabei waren es allesamt harmlose Menschen
und vielleicht ein oder zwei andere Grigori, die ihm aber
keine nennenswerte Aufmerksamkeit schenkten. Der Typ
war hager, beinah schlaksig. Seine Haare waren lang und
ungepflegt, die Hände steckten tief in den Manteltaschen.
Ein abgewetztes Kleidungsstück, das an ihm herunterhing
wie ein schwarzer Leichensack. Offenbar hatte sein letztes
Opfer nicht seine Größe und Statur besessen. Jedenfalls war
er keiner, der eng einem Familienbund angehörte. Eher ein
Einzelgänger, vermutlich nur auf der Durchreise oder sogar
gejagt, weil er sich etwas zuschulden hatte kommen lassen.
Auf keinen Fall stammte er aus L.A., was also hatte er hier
zu suchen? Kyle versuchte, seine Gedanken zu erhaschen,
doch das war auf diese Entfernung schwierig.
Da sich schon einmal ein paar Grigori aus anderen
Städten zusammengetan hatten, um die Nephilim in ihre
Gewalt zu bringen und sie zu opfern, war für Kyle jeder
Eingereiste verdächtig. Umso mehr, wenn er sich allein in
irgendwelchen Gassen herumdrückte und dabei eindeutig auf der Suche nach etwas war. Er konzentrierte seine
Jagd meist auf solche Ortsfremden, um so jedem weiteren
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Komplott vorzubeugen. Davon gab es eine wachsende
Menge in L.A. Einige von van Vaughns Schützlingen waren ihm allerdings ebenfalls vor die Fänge geraten. Er trank
ihre Gedanken, hoffte so auf eine Spur, doch die Obersten
wahrten ihre Geheimnisse gut. Sie vertrauten auch den eigenen Leuten nicht mehr. Bisher hatte er keine nennenswerten Informationen erhalten, was ihn allmählich ärgerte.
Vielleicht brachte dieser hier ein paar brauchbarere Hinweise, gerade weil er sich von den seinen gelöst hatte.
»Also gut, Schluss mit den Spielchen. It’s Showtime.«
Mit einem gewaltigen Sprung setzte er auf das Dach
einer Bar auf der anderen Straßenseite über. Auch früher
schon war seine Sprungkraft groß gewesen, doch als
Schnitter überkam ihn zuweilen wirklich das Gefühl, zu
fliegen. Der Grigori befand sich nun unter ihm in einer
schmalen Gasse. Die Präsenz des Schnitters musste ihn
regelrecht überfluten. Kyle witterte Angst. Es wurde Zeit,
seine dunkle Seite freizulassen.
Die Veränderung, die mit ihm jedes Mal einherging,
wenn er sich dem Schnitter ergab, war noch beängstigender als die Schmerzen des Hungers oder die veränderte
Sicht. Es fühlte sich an, als ob er beiseitetrat und jemand
anderem die Bühne überließ. Sozusagen von außen zusah,
was dieser Jemand mithilfe seines Körpers tat.
Es war dieser andere Jemand, der sich lautlos hinter
dem Grigori in der Gasse niederließ. Erst das dunkle Grollen, das sich tief aus Kyles Kehle löste, machte den Wächterengel auf seinen unheimlichen Besucher aufmerksam.
Der Mann fuhr herum und bleckte sofort seine Fänge.
Kyle war nicht beeindruckt. Mit der Schnelligkeit einer
Kobra ließ er seinen rechten Arm vorschnellen und packte
den Grigori an der Kehle. Nagelte ihn an der Häuserwand
in seinem Rücken fest.
»Denk nicht einmal dran«, warnte er. Es war überflüssig. Die Angst sprang ihm förmlich aus den Augen
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des anderen entgegen. Kyle wusste, er sah den Schnitter.
Eine Sense in seiner Hand hätte es nicht deutlicher machen
können. Er war enttarnt, und einen Schnitter würde dieser
Kerl hier nicht angreifen. Dafür fehlte ihm der Schneid.
Die Furcht lähmte ihn so sehr, dass er nicht einmal Gegenwehr gab.
»Dein Ziel?«, knurrte Kyle fordernd. »Sterben wirst du
heute sowieso. Entscheide dich, ob es schnell geschehen
soll oder du leiden willst.«
»Was … Was willst du von mir? Ich habe nichts getan.«
Weder mutig noch tapfer im Angesicht des Todes,
aber in der Seele nicht minder schwarz und verdorben
wie jeder andere. Nichts getan! Kyle hätte lachen mögen, wenn es nicht so absurd gewesen wäre. Die Opfer
dieses Todgeweihten würden gegen seine Unschuldsbehauptung sicherlich ein Veto einlegen, falls sie es noch
könnten. Für so wenig Rückgrat empfand Kyle nichts als
Verachtung.
»Dein Ziel! Ich weiß, dass dort, wo du hinwolltest,
noch mehr von deiner Sorte sind. Was hast du mit ihnen
zu schaffen? Du bist fremd hier und allein. Weshalb suchst
du Kontakte außerhalb deiner eigenen Sippe? Ich bin sehr
hungrig heute Nacht, mein Freund. Also, da du weder
etwas zu gewinnen noch zu verlieren hast, außer die Aussicht auf einen schnellen, gnädigen Tod, rate ich dir, mich
nicht anzulügen, sonst zeige ich dir, dass die Hölle schon
in dieser Welt beginnt.«
Der beißende Geruch von Urin stieg Kyle in die Nase.
Von allen Grigori, die er seit seiner Wandlung getötet hatte, war dieser hier mit Abstand die Krönung an Feigheit.
Er verengte die Augen zu Schlitzen und presste den Kerl
noch fester gegen die Hauswand.
»S…Sadeshia. D…Der Klub ist ex…exklusiv … f…f…
für spezielle Ansprüche.«
Sadeshia! Davon hatte Kyle noch nie gehört.
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»Er ist neu. Erst s…s…seit zwei Monaten. Es spricht
sich rum. Die verteilen seit Kurzem überall Flyer, auch
übers Internet. Für Geld kann man dort alles haben, und
die stellen keine Fragen. Ich … ich komme aus San Diego
und … ich … ich bin auf der Flucht. Vor … dem Boss.«
Kyle schnaubte ungehalten. »Du bist also geflohen, ja?
Aus welchem Grund?«
Ein Zittern durchfuhr den schmalen Körper. »Ich …
war … wohl zu gierig. Und der Boss …«
Kyle verdrehte innerlich die Augen. Für wie blöd hielt
ihn dieser Kerl eigentlich? Er spürte genau, dass er log.
Der Grigori schluckte und senkte hastig den Blick. Ein
weiteres Indiz für seine Lügen. »Sie jagen dich also, ja?«
Der Typ nickte hastig. »G…Genau.«
Langsam schüttelte Kyle den Kopf. »Zu schade. Da
hast du glatt gerade deine Chance vertan, ohne Qualen
aus dieser Welt zu scheiden.« Er zuckte bedauernd die
Schultern und bleckte die Fänge.
In letzter Sekunde besann sich der Wächterengel eines
Besseren. »Nein, halt! Stop! Ich … ich werde dir alles sagen. E…Ehrlich. Aber bitte zeige Gnade.«
Kyle hielt sich zurück und gab dem Mann eine letzte
Gelegenheit. Als der Typ zögerte, verstärkte er den Druck
seiner Finger, sodass der Grigori aufstöhnte. Er zog ihn
kurz von der Wand weg, nur um ihn gleich darauf mit solcher Kraft erneut dagegenzustoßen, dass man die Rippen
in seinem Brustkorb brechen hörte. Mit einem schnellen
Blick vergewisserte sich Kyle, dass niemand auf sie aufmerksam wurde, doch sie waren tief genug in dieser
Gasse, dass draußen auf der Hauptstraße niemand etwas
mitbekam.
»Rede, verdammt!«, forderte er energischer. »Meine
Geduld hat Grenzen.« Den Blutstropfen, der sich aus dem
Mundwinkel seines Opfers löste, ignorierte er. Erst, wenn er
alle Antworten hatte. Bis dahin durfte er dem Hunger nicht
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nachgeben. Aber die Zeit wurde knapp. Lange ließ sich der
Schnitter nicht mehr hinhalten, und mit einer verletzten
Lunge konnte auch ein Grigori nicht endlos überleben.
»Na gut. Es spielt wohl keine Rolle mehr. Sterben werde ich ja sowieso. Bitte, foltere mich nicht … so wie sie es
tun würden.«
Er hätte Mitleid mit seinem Opfer haben können, aber
die Schuld auf dessen Seele war zu groß. Nicht nur der
Zorn seiner eigenen Leute war mehr als verdient. Die Wut
aller Seelen, die er auf dem Gewissen hatte, war es umso
mehr. Darunter waren nicht nur Verbrecher gewesen.
»Wie du stirbst, hängt ganz von deinen Antworten ab«,
raunte Kyle.
Als der Grigori ihm in die Augen sah, lag in seinem
Blick eine Mischung aus Trotz und Gleichgültigkeit. Er
schloss gerade mit seinem Leben ab und befand Kyle für
die beste Alternative, die er haben konnte. Der Schnitter
war enttäuscht von der plötzlichen Ruhe seines Opfers. Er
wollte die Angst. Er brauchte sie wie die Luft zum Atmen.
Kyle drängte ihn zurück. Was er brauchte, waren Antworten. Eine Spur. Das war wichtiger.
»Es stimmt, dass ich in Ungnade gefallen bin. Das war
nicht gelogen. Ich habe Gelder veruntreut. Aber ich bin
nicht auf der Flucht. Das Sadeshia war meine Chance, meinen Fehler wieder gutzumachen.«
Kyle nickte. »Und wie? Was hat es damit auf sich? Es
geht deinem Boss sicher nicht um das Seelenheil der Huren, die dort arbeiten.«
»Nein. Das Bordell, heißt es, sei nur Tarnung. Eine
Legitimation sozusagen, um sich hier aufzuhalten. Sodass
van Vaughn sie duldet, obwohl sie nicht seiner Familie
angehören.«
»Und was machen die nun wirklich dort in dem Klub?«
Sein Instinkt sagte Kyle, dass er hier vielleicht endlich auf
etwas Brauchbares gestoßen war.
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»Das soll ich herausfinden. Mein Boss vermutet, es …
es geht um die Nephilim.«
Bingo! Die Erkenntnis, dass hier eine unmittelbare Gefahr für Beth lauerte, lockte die Dunkelheit in Kyle erneut
hervor. Der Schnitter ließ ein bedrohliches Knurren vernehmen, das der Grigori augenblicklich auf sich bezog,
weshalb er hastig weitersprach.
»Die haben auf jeden Fall Spitzel, die ihnen Informationen zutragen. Ich weiß wirklich nicht, welche. Vielleicht
Leute von van Vaughn. Sie sammeln Informationen. Spuren zu den Nephilim. Wo man sie hingebracht hat und wo
sie heute leben. Die wollen sie alle finden und einfangen.
Darum sind sie hier. Weil hier alles angefangen hat.«
Ein kaltes Grauen ergriff von Kyle Besitz. Wenn dieser
Kerl die Wahrheit sagte – und es gab keinen Grund, warum er sich diese Geschichte ausgedacht haben sollte –
dann waren diese Leute Beth viel zu nah. Das durfte er
nicht zulassen.
»Wie viele gehören dazu? Ist dieser Klub der Einzige
oder haben sie noch mehr Schlupfwinkel hier?«
»Da…Das weiß ich nicht«, antwortete der Grigori nervös. »Auch das sollte ich herausfinden und mich … uns …
dort einkaufen.«
»Verbergen sie die gefundenen Nephilim dort?«
Darüber konnte der Mann nur die Schultern zucken.
»Ist mein … mein erstes Mal hier. Ich weiß über den Klub
auch nur das, was in den Flyern steht. Und eben, dass sie
ihn als Tarnung benutzen.«
Kyle wollte mehr über diese Flyer wissen. Zufälligerweise trug der Mann einen davon bei sich.
»Die versprechen, dass die Mädchen alles machen, was
man will. Sterbliche Mädchen. Und rein. Keine Verbrecher.
Das zieht … die Zielkundschaft natürlich an.«
Allein dafür hätte er diesem Mistkerl am liebsten den
Hals umgedreht. Genau das warfen sie den Azrae doch
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vor. Dass sich viele von ihnen an reinem Blut labten. Dabei
taten sie es selbst und das auch noch im großen Stil. Er
konnte sich vorstellen, wie das dort ablief. Nachdem sich
die Grigori aus van Vaughns Sippe satt getrunken hatten,
versuchte man, ihnen Interna zu entlocken. Keiner würde
über alles Kenntnis haben, aber jeder über ein paar Kleinigkeiten. Mit der Zeit ließ sich auch daraus ein Gesamtbild zusammensetzen. Alles eine Frage der Geduld. Kluger Schachzug.
Nun gut, mehr würde er aus dem Typ wohl nicht
herausbekommen. Den Rest musste er selbst auskundschaften. Er erfüllte sein Versprechen eines schnellen Todes! Der Schnitter war gierig, es dauerte nur Sekunden,
bis der Körper des Wächterengels nahezu blutleer war.
Mit der Gnade hingegen war es so eine Sache. Der Schrei
der Wächterseele, die in die ewige Verdammnis gesogen
wurde, hallte noch Minuten später in Kyles Ohren nach,
als er aus sicherer Entfernung den Eingang des Sadeshia
beobachtete und auf den richtigen Moment lauerte.
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Kapitel 4
as Motorengeräusch erstarb und die Scheinwerfer erloschen. Stille umgab Logan. Der
nächtliche Wald lag düster vor ihm, doch er
machte dem Cherub keine Angst. Der Wald war sein Revier. Sein Rückzugsort, wenn er den Dunst und den Lärm
der Stadt nicht mehr ertrug.
Statt sofort auszusteigen, verharrte der Gestaltwandler noch eine Weile hinter dem Lenkrad, ließ seine Blicke
ebenso schweifen wie seine Gedanken und versuchte, sich
zu sammeln. Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der er stolz
auf sein Leben und seine Familie gewesen war. Wo ihm
das Ziel klar vor Augen gestanden und sie sich bedingungslos an die Regeln ihrer Rasse gehalten hatten. Aber
jetzt? Mit einem Seufzer strich er sich das kurze, dunkle
Haar zurück und zog die Schulterblätter nach hinten, bis
sein Rückgrat knackte. Er war ein wenig eingerostet. Seine
letzte Wandlung lag eine halbe Ewigkeit zurück. Vielleicht
mit ein Grund, warum er sich nicht mehr in seiner Mitte
fühlte. Warum so vieles aus dem Ruder gelaufen war, er
die falschen Entscheidungen getroffen und über manches
die Kontrolle verloren hatte.
Als Logan die Tür seines Wagens öffnete, witterte er sie
bereits. Seine anderen Brüder und Schwestern. Manchmal
fühlte er sich ihnen näher als den Cherubim. Ganz besonders seit …
Ein Ruf durchschnitt die Nacht. Ein lang gezogenes,
wehklagendes Heulen. Der Ruf eines einsamen Herzens.
Logan trat einige Schritte in den Wald hinein, ehe er den
Kopf in den Nacken legte und mit einem ähnlichen Laut
antwortete.
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Eine schmale Mondsichel stand am Himmel. Vereinzelt
strichen dunkle Wolkenfetzen zwischen den Sternen umher. Die Nacht roch süß und würzig nach feuchter Erde,
Kräutern, Blättern und Baumharz. Je tiefer der Cherub in
das Unterholz eintauchte, umso stärker wurde die Welt
draußen von ihm abgeschirmt, bis sie kaum mehr zu existieren schien. Es war wie eine Art Magie, die diesen Wald
umgab. Er kannte ihren Ursprung, für den er dankbar war.
Es gab ihm die Möglichkeit, für kurze Zeit zu vergessen.
All die Pflichten, die er nie gewollt; die Fehler, in die man
ihn getrieben hatte.
Mit geschlossenen Augen suchte er sich seinen Weg.
Mit ausgestreckten Fingern berührte er die frischen Blätter des niederen Wuchses, die samtig über seine Haut
strichen. Ihn liebkosten wie eine seit Langem sehnsüchtig
wartende Geliebte. Er musste lächeln bei diesem Gedanken. Erneut erklang das Heulen, diesmal waren es sogar
mehrere, die nach ihm riefen. So gern hätte er seiner Natur
nachgegeben, doch es gelang ihm nicht. Etwas hielt ihn ab.
Plötzlich spürte er sie. Ihre Nähe. Ihre wachsamen Blicke. Ihre aufrichtige Loyalität. Logan sank auf die Knie,
doch es geschah nicht aus Verzweiflung, Angst oder Demut, sondern aus schlichter Liebe und Zuneigung. Als er
die Augen öffnete, stand sie direkt vor ihm – die Leitwölfin.
Regungslos kniete er da – Auge in Auge mit dem Wolf.
Ihr graues Fell besaß einen rötlichen Schimmer, der an
die Farbe ihres Haares erinnerte, als sie noch menschlich
gewesen war. Hier draußen jedoch spielte ihre Herkunft
keine Rolle mehr. Sie hatte sich mit ihrem Schicksal abgefunden und daraus einen Nutzen gezogen, indem sie
dieses Rudel um sich scharte und den Wald zu ihrem Zuhause machte. Sie alle waren Ausgestoßene der einen oder
anderen Art. Nicht rein, aber dennoch Wolf. Im Gegensatz
zu Logan haderte sie nicht mit dem, was ihr widerfahren
war. Ein Charakterzug, um den er sie beneidete.
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»Kadira!«, hauchte er. »Es tut so gut, dich zu sehen.«
Sie schmiegte ihre Schnauze an seine Wange und leckte
ihm sanft über sein Gesicht, ehe sie wieder einen Schritt zurücktrat. »Du siehst müde aus, Logan. Was ist geschehen?«
Der sanfte Klang ihrer Stimme glitt durch ihn hindurch
wie eine zärtliche Berührung. Er schüttelte den Kopf,
wusste nicht, wo er anfangen sollte. »Zu viel, Kadira. Ich
habe das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben. Die ganze
Sache ist aus dem Ruder gelaufen und mir scheint, dass
ich zu lange für die falsche Seite gekämpft habe.«
Die Wölfin betrachtete ihn nachdenklich und nickte
verständnisvoll. »Wie ich schon sagte, du bist müde. Du
musst dich ausruhen. Dann wirst du auch wieder klarer sehen. Du hast nichts falsch gemacht, mein Liebster.
Manchmal entwickeln sich die Dinge nur nicht so, wie
man es erwartet hätte. Einiges braucht Zeit, um zu reifen.
Noch ist nichts entschieden.«
Für einen Moment blieb Logan der Mund offenstehen.
»Du weißt …«
»Von der Nephilim? Sicher. Auch von den McLeans
und dem Unglück, das über sie hereingebrochen ist. Wie
könnte ich es nicht wissen?«
Er senkte beschämt den Kopf. Natürlich. Sie war all
dem näher, als er sich eingestehen wollte. Auch hier draußen, fernab des Geschehens, nahmen ihre Ohren mehr auf,
als man für möglich halten mochte. Von ihrem sechsten
Sinn ganz zu schweigen.
»Komm, mein Liebster. Die anderen warten schon. Du
warst so lange nicht da.«
Sie wandte sich zum Gehen, ohne abzuwarten, ob er
ihr folgte. Es war keine Respektlosigkeit, sondern gründete sich auf ihre langjährige Verbindung und Vertrautheit.
Wie gern hätte Logan seine Gestalt gewechselt. Es war
mehr als bloß ein lästiges Problem, dass ihm dies derzeit nicht gelang. Er hatte noch nicht ergründen können,
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woran es lag. Unvollständigkeit womöglich. Selbstzweifel.
Wer mit sich selbst im Unreinen war, blockierte sich. Er
war weit mehr als das.
Das Rudel hatte sich auf einer kleinen Lichtung innerhalb eines Steinkreises versammelt, den kaum jemand in
dieser Gegend vermuten würde. Das war gut so. Zu viele
abgedrehte Individuen könnten sich sonst davon angezogen
fühlen, was nur zu Unruhe in diesem Wald führen würde.
Kayden, der stärkste Wolf des Rudels, ein großer
schwarzer Rüde mit goldgelben Augen, hatte sich auf
dem größten der Felsen zusammengerollt und gab sich
schlafend, doch Logan entging nicht, wie er ihn unter
halbgeschlossenen Lidern beobachtete. Es fiel dem Halbwandler schwer, zu akzeptieren, dass Kadira nicht ihn als
ihren Gefährten auserkoren hatte, sondern Logan diese
Gunst zusprach, obwohl sie ihr Schicksal einem Abkömmling seiner Familie verdankte. Kayden war schwierig, er
versuchte, Logan stets herauszufordern und hasste sein
Leben im Exil und den Status, der ihm hier zugewiesen
war. Das war natürlich ein Risiko, doch er war einer von
ihnen und die Familie hielt zusammen. Darum wurde er
geduldet und über seine Spitzen und Rüpeleien hinweggesehen. Solange er keine ernste Bedrohung für die anderen
darstellte, war alles in Ordnung.
Skit, der Jüngste unter ihnen, zog sich scheu zurück,
als Logan den Innenkreis betrat. Der Halbwüchsige winselte leise und schwänzelte, verzog die Lefzen in einer
Demutsgeste.
Kadira ließ ein leises Lachen hören, ging zu ihm und
stieß ihn beruhigend mit ihrer Schnauze an. »Logan ist ein
Freund. Er wird dir nichts tun. Er gehört zu uns.«
Trotz dieser Versicherung zog Skit es vor, abseits der
anderen zu liegen, während die übrigen Rudelmitglieder
näher rückten und sich um die Leitwölfin und ihren Gefährten scharten. Ausgenommen Kayden natürlich.
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»Erzähl mir, Logan. Was genau ist geschehen? Wir
hören nur Gerüchte. Vom Wind herangetragene, flüchtige
Gedanken. Die Nephilim wurde gefunden. Um sie entbrannte ein Streit, es gab Tote und andere Opfer. Nun
herrscht Unruhe in der Stadt.«
»Die herrscht in allen Städten«, erklärte er mit rauer
Stimme. »Und das ist nur der Anfang.«
Mit dem Auftauchen der ersten Nephilim war eine Kettenreaktion ausgelöst worden. Die Suche nach weiteren,
die Gier, sie alle zu fassen zu bekommen. Jede Grigori-Familie wollte sie haben und für die eigenen Zwecke einsetzen. Allianzen wurden geschlossen und wieder gebrochen,
denn am Ende war sich jeder nur selbst der Nächste. Das
schloss die Djin mit ein und vielleicht auch so manchen
Azrae, obwohl die sich bisher erstaunlich ruhig verhielten. Die Cherubim hingen irgendwo dazwischen. Was für
sie auf dem Spiel stand, ahnte niemand. Er wusste selbst
nicht, ob seine Leute alle noch auf seiner Seite standen
oder sich mehr Verräter in den eigenen Reihen befanden,
als er glauben wollte.
»Das ist alles so ein Unsinn«, ließ sich Kayden von seinem Platz vernehmen.
Logan und Kadira hoben zeitgleich die Köpfe und blickten den schwarzen Wolf mit den leuchtend gelben Iriden an.
»Es war Unachtsamkeit, die diese Nephilim zur Zielscheibe machte. Aber zu denken, sie sei die Erste.« Er stieß
ein raues Lachen aus.
»Dann weißt du von mehr?«, hakte Logan überrascht
nach.
Kayden drehte demonstrativ den Kopf zur Seite und
bettete ihn auf eine Pfote, als ginge ihn all das nichts an.
»Was interessiert es dich schon, was ich weiß oder denke«,
gab er spöttisch von sich.
»Wenn es uns weiterhilft, interessiert es mich sehr
wohl. Also sag mir, hast du noch von anderen gehört?«
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Kayden ließ sich Zeit mit der Antwort. »Vielleicht«,
hörten sie ihn schließlich doch noch sagen. »Aber ich bin
nur ein Wolf – eigentlich nicht einmal das. Also was weiß
ich schon?«
Kadira knurrte. »Alter Griesgram. Wenn du nichts zu
sagen hast, dann verschon uns auch mit deinen kryptischen Worten. Wichtigtuer können wir nicht brauchen.«
Auch wenn der Schwarze versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, sah Logan doch, wie er bei den harschen
Worten zusammenzuckte. Ihm wurde unwohl zumute,
denn zum Feind wollte er Kayden nicht haben. Ihm genügten die, die er bereits hatte.
»Wir sind hier, wenn du uns brauchst«, erklärte Matosh. »Oder an deiner Seite. Ganz wie du willst.«
Er war der Älteste hier, sein Fell beinah schon weiß.
Logan wusste noch, wie er ihm zum ersten Mal begegnet
war. Damals war Matosh noch ein Einzelgänger gewesen,
doch ein weiser Lehrer im Geheimen. Ihr Bund bestand
seit Jahrhunderten. Darum war es auch keine Frage gewesen, wohin Logan diejenigen brachte, die der alten Fehde
oder den modernen Kämpfen zum Opfer fielen und wie
Matosh zu Halbwandlern wurden. Unter den Fittichen des
alten Wolfes ging es dem Rudel gut. Dass er die Führung
an Kadira abgegeben hatte, zeigte allerdings, dass Matosh
allmählich nicht nur optisch alt geworden war. Logan hatte keine Ahnung, wie lange er noch seinen Status behaupten konnte. Er bangte um den Freund, weil Kayden sicher
nicht zögern und auch vor einem Mord nicht zurückschrecken würde, um sich den Respekt zu holen, der ihm in
seinen Augen zustand. Logan hoffte, dass es nie so weit
kam. Oder, dass er bis dahin längst seinem alten Leben
den Rücken gekehrt und seinen Platz an Kadiras Seite eingenommen hatte. Dann konnte er Kayden in Schach halten. Solange er nur sporadisch hier sein konnte, standen
die Chancen für seinen Kontrahenten deutlich günstiger.
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»Unsere Augen und Ohren erfahren viel«, versicherte
Matosh. »Wenn es dir hilft, stehen diese Informationen
jederzeit zu deiner Verfügung.«
Logan nickte seinem alten Freund dankbar zu. »Ich werde darauf zurückkommen, wenn es nötig wird. Aber für den
Augenblick sind es andere Dinge, die mir Sorge bereiten.«
Kadira wandte sich ihm zu. »Du musst auf sie aufpassen, auf die Nephilim. Das ist dir doch klar?« So sanft sie
auch klang, so bestimmend waren ihre Worte.
»Das werde ich, keine Sorge. Mir ist bewusst, was auf
dem Spiel steht. Nach Kreons Verrat werde ich diesen Job
keinem anderen mehr überlassen. Ich traue niemandem
mehr.«
Kadira nickte, dann wurde ihr Blick weich. »Außer mir,
hoffe ich«, flüsterte sie kaum hörbar.
»Dir gehören auf ewig mein Vertrauen, mein Herz und
mein Leben. Das weißt du doch.«
Kadira rollte sich an Logans Seite zusammen und fiel
in leichten Schlummer. Er kraulte ihr gedankenverloren
das Fell und genoss die Stille um sich herum, während das
übrige Rudel nach und nach ebenfalls in Schlaf versank.
Die Ruhe der anderen gab Logan wieder ein wenig Kraft.
Genug für die Aufgabe, die vor ihm lag. Er wünschte, alles
wäre bereits ausgestanden. Die nächsten Monate würden
vielleicht die schwersten sein, die sie alle je durchzustehen
hatten.
Sie ruhten bis fast zum Morgengrauen. Kadira begleitete ihn schließlich zurück zu seinem Wagen. Die anderen
folgten ihnen nicht. Die Nacht mit den Halbwandlern hatte Logan neuen Mut gegeben.
»Pass auf dich auf«, sagte Kadira warnend, als er sich
hinters Steuer setzte. »Kayden verschwindet in letzter Zeit
oft allein. Ich traue ihm nicht.«
Logan warf einen Blick zurück in die Richtung, in der
das Lager lag. »Meinst du, er würde uns verraten?«
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Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich will ihm
nicht unrecht tun. Im Rudel erfüllt er seine Pflicht, aber
er verändert sich und lässt niemanden an sich heran. Ich
mache mir Sorgen, dass er womöglich unbedacht einen
Fehler begeht, der uns allen zum Verhängnis wird. Du
weißt, wie wichtig die Nephilim für uns ist.«
Ihre Worte gaben ihm einen Stich. Warum hatte sie das
nicht früher am Abend gesagt? Wenn er im Lager bereits
davon gewusst hätte …
Kadira legte eine Pfote auf sein Knie. »Es hätte keinen
Unterschied gemacht. Du kannst nicht handeln, denn
Kayden hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Wenn
du ihn angegriffen hättest, wäre das für ihn nur Wasser
auf die Mühlen gewesen. Er sucht nach einem Grund, sich
mit dir anzulegen. Doch das wäre nicht gut. Es würde dich
schwächen – deine Position unter uns. Er würde es so aussehen lassen, als wären wir dir weniger wert.«
»Das stimmt nicht, Kadira, und das weißt du. Ihr seid
mir wichtig. Ich bin für euch verantwortlich.«
»Ich bin es nicht, die daran zweifelt, aber die Jüngeren
sind mit sich selbst im Unreinen. Ein falsches Wort von
Kayden könnte auf fruchtbaren Boden bei ihnen fallen.
Darum musst du umso vorsichtiger sein und darfst ihm
keine Angriffsfläche bieten. Nur deswegen erzähle ich dir
erst jetzt von seinen Alleingängen. Sei wachsam. Vor allem,
wenn ihr euch abseits des Rudels einmal begegnen solltet.«
Ihre Worte bereiteten ihm Sorge, doch das musste er
jetzt zurückstellen. Er umarmte seine heimliche Gefährtin
ein letztes Mal, dann kehrte er in seine Welt zurück. In eine
Welt, die ihm mehr und mehr zur Schlinge um seine Kehle
wurde …
42
Kapitel 5
it mäßigen Bewegungen band sich Samuel den burgunderfarbenen Schal um den
Hals. Passend zum Anzug, nur eine Nuance dunkler. Er ließ sich Zeit – mehr als gewöhnlich. Das
Treffen am heutigen Abend missfiel ihm. Die Personen,
die anwesend sein würden, missfielen ihm. Dennoch
akzeptierte er, dass die Zusammenkunft unvermeidbar
war. Zu viel hatte sich ereignet. Drei angesehene Familienoberhäupter waren getötet worden. Dass man die beiden
McLeans dafür verantwortlich machte, erschien ihm weit
weniger dramatisch als die Tatsache, dass sich die drei
Grigori des Verrats schuldig gemacht und ein verbotenes
Ritual mit der Nephilim hatten durchführen wollen.
»Beth!«, murmelte Samuel. Ihr Name war inzwischen
in aller Munde. Jeder dürstete danach, ihr Geheimnis zu
ergründen. Herauszufinden, wie man sie einsetzen musste, damit der Fluch ihres Daseins von ihnen genommen
wurde. Gott, sie waren alle so ahnungslos. Es kümmerte
ihn nicht, solange sie die Finger von dem Mädchen ließen
und möglichst bald aus seiner Stadt verschwanden. Er
wollte sie nicht hier haben. Er hasste ihre Nähe und ihre
perfiden Gedanken. Seine eigene Art war ihm zuwider
geworden.
Gut, dass die Kleine vorläufig in Sicherheit war, auch
wenn er sie lieber in seiner Obhut gewusst hätte als bei
Proud McLean. Nichtsdestotrotz musste er zugeben, dass
es weitaus schlechtere Optionen gab, um die Nephilim zu
schützen. Die McLeans hatten sich wie die meisten Azrae
stets eher zurückgehalten, was den Zwist mit anderen
Engeln anging. Ganz im Gegensatz zu den Grigori. Dahin
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gehend musste er wohl oder übel zugeben, dass sich seine
eigene Art nicht gerade mit Ruhm bekleckerte. Weitsicht
war ein seltenes Attribut unter ihnen geworden. Toleranz
suchte man vergebens.
Einzig die Sorglosigkeit und den Hang zu Verschwendung und Genuss mochte man den McLeans – insbesondere Proud – zur Last legen. Aber das konnte auch seine Vorteile haben. Im Augenblick stufte er die Tatsache, dass er
und nicht Kyle sich um das Mädchen kümmerte, durchaus
positiv ein, weshalb er keinen akuten Handlungsbedarf
sah, sondern lediglich ein Auge darauf haben würde. Wie
auf alles, was in seiner Stadt geschah.
Gedankenverloren trat er ans Fenster. In der glatten
Oberfläche, die das Dunkel der Nacht vor seinem Zimmer
abschirmte, spiegelte sich seine Gestalt. Er war stattlich,
attraktiv, mit ergrauten Haaren, aber noch immer alterslosen, markanten Gesichtszügen. Wache Augen blickten
ihm entgegen, deren für gewöhnlich kobaltblaue Farbe
sich im dunklen Glas verlor. Hohe Wangenknochen, ein
energisches Kinn und eine römische Nase zierten sein
Gesicht. Die Statur unter dem feinen Stoff seines maßgeschneiderten Anzugs war stark und athletisch und verriet im Ansatz die Kräfte, über die sie verfügte. Er war der
Herr von Los Angeles. Er war es und er würde es bleiben.
Komme, was wolle. Weder ließ er sich dieses Privileg
streitig machen noch seine Pläne durchkreuzen. Wer es
versuchen sollte, würde schlimmer enden, als die drei Verräter, über die sie heute befinden wollten.
Ein freundloses Lachen entrang sich seiner Kehle.
Wozu das alles? Sie waren tot. Seiner Meinung nach zu
Recht. Er weinte keinem eine Träne nach. Genauso wenig
wie ihre Nachkommen, die wohlweislich heute Abend
nicht anwesend sein würden. Der Teufel allein wusste, was für Rachepläne sie sich in ihren kranken Köpfen
zurechtlegen mochten. Da würde auf die McLeans noch
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einiges zukommen. Jedenfalls auf den einen von ihnen,
der bei dem Mädchen geblieben war. Mit dem anderen
würde sich wohl so schnell keiner anlegen, wenn sich erst
herumsprach, welch Kindes Natur er nun geworden war.
Wie lange es wohl dauerte, bis sich der Schnitter einen
Namen machte? Einige unbedeutende Individuen hatte
er bereits ausgemerzt, um seinen wachsenden Hunger zu
besänftigen. Doch er hielt sich zurück, wählte mit Bedacht.
Er musste sich noch an sein neues Wesen gewöhnen und
lernen, es zu beherrschen. Den Blutrausch vermeiden,
damit er nicht die Kontrolle verlor. Er war klug, aber das
hatte Samuel von Anfang an gewusst.
Noch erlaubte er sich, Kyle McLean zu ignorieren.
Wenn ihn nicht alles täuschte, würde er Los Angeles ohnehin bald verlassen und wäre nicht länger sein Problem.
Es war zu gefährlich für einen Schnitter, in der Nähe der
Nephilim zu bleiben, die er erweckt hatte. Umso mehr, da
er ihr zugetan war. Kyle McLean war zu intelligent, um
sich dessen nicht bewusst zu sein.
Samuel stieß das Fenster weit auf und schloss für einen
Moment die Augen. Seine Nasenflügel blähten sich sacht,
während er den Atem seiner Stadt in sich einsog. Darauf
bedacht, ihre Gedanken, ihr Flüstern und ihre Abgründe
zu sich zu locken, damit ihm das Geschehen seines kleinen Reiches in jede Zelle überging. Als er Los Angeles vor
so vielen Jahrhunderten zu seinem Eigen gemacht hatte,
war der Duft dieser noch jungen Stadt lieblich gewesen.
Verheißungsvoll. Bereit, geläutert zu werden, aber noch
voller guter Anlagen. Er hatte Hoffnung geschmeckt, den
Willen etwas zu verändern. Heute war davon nichts geblieben. Die Stadt war gealtert und hässlich geworden.
Ein stinkender Moloch, vernarbt, verdorben, vergiftet. Es
herrschten die bittere Note der Gier und der Gestank von
Gräuel und Verbrechen. Egal, was er und seine Leute auch
taten, sie schafften es längst nicht mehr, die Stadt rein zu
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halten. Nicht mehr, seit sich all die vielen Abkömmlinge
anderer Familien hier breitmachten, sich einnisteten in
dem Glauben, es würde ihm nicht auffallen, solange sie
nur im Verborgenen agierten. Aber es fiel ihm auf, denn
ihr Gestank verpestete den Himmel über Los Angeles, wog
drückender als der allgegenwärtige Smog und verursachte ihm Übelkeit. Er konnte seine Stadt nicht mehr davon
befreien. Das war ihm längst bewusst. Allmählich gab er
den Versuch auch auf, obwohl er sich nichts sehnlicher
wünschte, als dass sie alle verschwinden würden. Egal, es
musste genügen, sie klein zu halten. Sie in ihre geheimen
Rattenlöcher zurückzudrängen. Wenigstens so lange, bis
er und die Erhabenen ihrem Ziel ein paar Schritte nähergekommen waren. Danach würde es sowieso keine Rolle
mehr spielen. Auf die eine oder andere Weise.
Samuel stöhnte und widerstand dem Drang, sich ein
parfümiertes Taschentuch vor den Mund zu halten. Davon wurde es nicht besser. Seit der Konferenz waren sie
vorsichtiger geworden, doch auf ihre einträglichen Geschäfte verzichten wollte keiner von ihnen. Er fragte sich,
ob die Familienoberhäupter wussten, was ihre Sprösslinge
trieben, und welcher von ihnen dies womöglich sogar in
Auftrag gab. Mit dem Leid der Menschen hatte sich schon
immer gutes Geld verdienen lassen. Mit ihren hoffnungslosen Sehnsüchten und ihrer Bereitschaft, sogar die eigene Seele zu verkaufen für ein unerreichbares Stückchen
Glück, das man ihnen vor die Nase hielt, wie einem Esel
die Möhre an der langen Rute. Warum konnten sie diese
Widerwärtigkeiten nicht in ihren eigenen Städten lassen?
Warum mussten sie sich ausbreiten wie eine Seuche? War
dies Teil der apokalyptischen Prophezeiung? Waren seine
Brüder die Seuche, die über die Welt ausgestreut wurde?
Wenn dem so war, rückte das Ende wohl unaufhaltsam
näher, was bedeutete, dass sie sich Geduld nicht länger
leisten konnten. Aber er durfte nicht zu früh handeln.
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Damit gefährdete er das Gelingen. Er musste der Saat Zeit
lassen, aufzugehen und zu gedeihen. Es geschah alles im
rechten Moment, wenn man es vermied, zu sehr zu intervenieren. Und er hatte einen viel zu hohen Preis bezahlt,
um kurz vor dem Ziel durch eine unbedachte Tat alles
zunichtezumachen – oder machen zu lassen. Wehe dem,
der es versuchte. Der würde ihn von seiner übelsten Seite
kennenlernen.
»Mr van Vaughn?«
»Jetzt nicht, Troy«, erklärte er harsch und hob abwehrend die Hand.
Sein Angestellter verharrte in der Tür und wartete gehorsam. Samuel fuhr sich über die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen. Diese menschlichen Unpässlichkeiten existierten für sie gottlob nicht, dennoch empfand er zuweilen
etwas recht Ähnliches und hatte sich diese menschliche
Geste angeeignet. Er hörte, wie der junge Mann hinter ihm
nervös wurde. Indem er ihm halb das Gesicht zuwandte,
erlaubte er ihm, weiterzusprechen.
»Es wird Zeit, Mr van Vaughn. Die Herrschaften sind
bereits versammelt. Alle warten nur noch auf Sie.«
Er schüttelte stumm den Kopf, was seinen Bediensteten
sichtlich irritierte.
»Soll ich … etwa … soll ich … sie wieder wegschicken?«
Verunsichert trat der junge Mann bereits wieder zurück.
»Nein, Dummkopf«, hielt Samuel ihn mit nachsichtigem Lächeln auf. »Ich verspüre zwar nicht die geringste
Lust, mich die halbe Nacht mit diesen hochnäsigen Schnöseln abzugeben, aber das müssen wir ihnen nicht gleich
auf die Nase binden. Sag ihnen, ich komme in wenigen
Minuten in den Salon.«
Mit eifrigem Nicken verabschiedete sich Troy. Samuel
blieben noch ein paar Minuten für sich allein. Er prüfte
ein letztes Mal im Spiegel den Sitz von Anzug, Schal und
Manschettenknöpfen, sammelte sich innerlich und begab
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sich auf den Weg hinunter in den Salon. Natürlich hätten
sie auch dieses Treffen wieder im Hyatt abhalten können,
aber er hatte es bewusst und entgegen seiner üblichen Gewohnheiten in seinem eigenen Haus anberaumt. Ein psychologischer Vorteil einerseits, eine momentan gegebene
Notwendigkeit andererseits. Im Vorbeigehen haftete sein
Blick eine Sekunde lang auf einer bestimmten Tür. Was
sich darin verbarg, mochte er derzeit ungern allein und
unbeaufsichtigt lassen. In diesem Punkt vertraute er gerade niemandem.
48
Kapitel 6
ach außen hin wirkte das Sadeshia edel,
doch nachdem Kyle das Kommen und
Gehen sowie die Stimmen und Energien
aus dem Inneren eine Weile auf sich hatte wirken lassen,
bestand kein Zweifel mehr, dass da drinnen das pure
Grauen auf die Mädchen lauerte, die man dort zur Arbeit
zwang. Keine von ihnen tat dies freiwillig. Sie hatten keine
Wahl. Verlorene Existenzen, die man aus dem Dreck der
Straße oder der Hoffnungslosigkeit ihres farblosen Alltags
herausgelockt hatte. Mit Versprechen, die niemals wahr
werden konnten.
Kyle stand noch gut zwanzig Meter vom Eingang entfernt, als ihn eine heftige Welle emotionaler Pein überrollte, die Bilder mit sich führte, die ihn im ersten Moment
zurücktaumeln ließen. Dieses Bordell war wirklich speziell. Seine Kundschaft war nicht nur ausschließlich nicht
menschlich, sie stellte darüber hinaus auch noch äußerst
ungewöhnliche Ansprüche, und zwar für Kyles Empfinden unmenschliche.
Nachdem er sich wieder gefangen hatte, erschien ein
grausames Lächeln auf seinen Zügen. Hier war der perfekte Ort, um den Schmerz in seinem Inneren, der durch das
Blut des Grigori in der Gasse nur unwesentlich gelindert
worden war, für eine Weile zum Schweigen zu bringen.
Hier war genug Grigoriblut zu finden, um die brennende
Gier reichlich zu füttern, damit sie ihn für ein paar Tage in
Ruhe ließ. Zeit, die er brauchte, um klar zu denken, seine
Pläne zu fassen und sich an deren Ausführung zu machen.
Später, raunte eine innere Stimme in ihm. Für die Pläne
ist immer noch Zeit. Jetzt hat etwas anderes Priorität. Er fühlte
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die Mordlust in sich aufsteigen, viel stärker als in der Gasse. Rachegelüste für all jene Seelen, die an diesem Ort
zugrunde gerichtet worden waren oder es noch wurden.
Hier konnte er sich an diesem Abend satt trinken. Genug,
um Beth ein letztes Mal zu besuchen, ehe er von ihr und
seinem Zuhause Abschied nahm.
Nein, er würde nicht zu ihr gehen. Auch nicht zu
Proud. Aus der Ferne würde er ihnen einen letzten Gruß
zuflüstern, und wenn der Wind ihm gnädig gestimmt war,
würde er diesen zu ihnen tragen.
Er durfte sich jedoch nicht erneut von diesen Gedanken ablenken und dazu verleiten lassen, nach Pasadena
zu gehen. Erst musste er seiner Bestimmung folgen. Danach … ja, danach … er würde sehen.
Kyle näherte sich lässig dem Eingang des Sadeshia. Der
Türsteher, ein bulliger Kerl von knapp zwei Metern Körpergröße, mit breiten Schultern, langen, fettigen Haaren und
Kinnbart, musterte ihn kühl von oben bis unten. Er trug trotz
der nächtlichen Stunde eine Sonnenbrille. Sein Ledermantel
reichte bis fast auf den Boden, das Baumwollshirt spannte so
fest über der Brust, dass es fast zu reißen drohte. Das Wichtigste jedoch war, dass er zweifellos ein Mensch war. Was
für ein Glücksfall. Ein Grigori wäre zumindest misstrauisch
geworden, auch wenn der Schnitter den Azrae in ihm zuverlässig verbarg und seine eigene Natur nur gezielt preisgab.
Den Schnitter erkannten sie alle erst zu spät. So war es vorgesehen, damit das Heer einst ungehindert über sie kommen
würde, wenn der Tag des Jüngsten Gerichtes nahte. Ein höhnisches Schmunzeln umspielte Kyles Lippen, wenn er an
diese alten Geschichten dachte. Wie würde es wohl sein,
wenn er irgendwann in ferner Zukunft mit Hunderten seiner Art in einen Krieg zog? Ob er diesen Tag noch erlebte?
Auf jeden Fall konnte es auch zum Problem werden,
wenn die eigene Natur so undurchsichtig war, dass man
nicht eingeordnet werden konnte. Das weckte Misstrauen
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bei den Wächterengeln und ebenso bei vielen Menschen.
Im Augenblick musste sich Kyle darüber allerdings keine
Gedanken machen. Er hatte so viel Grigoriblut in sich, dass
es genügte, um sogar die Wächterengel über seine Natur
hinwegzutäuschen. Ein weiterer Pluspunkt, der ihm im
Klub dienlich sein würde. Und dieser Kerl hier wusste ohnehin nichts von alledem. Ein Blick in seine Seele genügte,
um Kyle zu zeigen, dass der Typ so manipuliert war, dass
er nicht einmal hätte sagen können, was im Inneren des
Hauses vor sich ging. Er sorgte lediglich dafür, dass nur
eine bestimmte Sorte von Gästen das Etablissement betrat.
Zufälligerweise erfüllte Kyle diese Kriterien. Männlich,
hungrig, übermenschlich. Es war diese bestimmte Aura,
die Kunden dieses Bordells auszeichnete. Genau darauf
waren die Türsteher gedrillt.
Wortlos musterte dieser hier den neuen Gast. Beiläufig
registrierte Kyle seinen Herzschlag und die derbe Würze
seines Blutes, aber dafür war jetzt keine Zeit. Menschen
waren nicht länger seine Aufgabe. Solange sie nicht zwischen ihm und seiner Bestimmung standen, ließ er sie am
Leben. Seinen Hunger stillten sie nicht mehr, und auf die
andere Seite geleitete ein Schnitter niemanden. Schnitter
löschten Seelen aus, mähten sie nieder wie der Sensenmann das Korn.
In den Augen des Mannes flammte Unsicherheit auf. Er
konnte die Dunkelheit in Kyle spüren, aber sie unterschied
sich trotz des Grigoriblutes von den anderen, das war ihm
bewusst.
»Neu hier?«, brummte der Kerl.
Kyle nickte. »Ja, mein erster Besuch.« Er zeigte den Flyer
vor.
»Welche Familie?«
»San Diego.« Kyles Stimme klang kratzig. Er hatte nicht
weiter darüber nachgedacht, aber die Identität seines letzten
Opfers anzunehmen, war vielleicht keine so schlechte Idee.
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Der Türsteher nickte schließlich und trat beiseite. Ohne
Zögern betrat Kyle den Klub.
Auch im Inneren des Gebäudes gab es Sicherheitsleute.
Kyle verschwendete jedoch nur wenig Aufmerksamkeit
auf sie, da auch hier kein Grigori darunter war, nur ein
paar Djin, die meisten Angestellten waren jedoch Menschen. So leicht zu manipulieren.
Aus den oberen Stockwerken spürte er die Nähe der
Grigori umso intensiver. In zwei kleineren Räumen, die
durch eine Spiegelverglasung vom Hauptraum mit der
Bar abgeschirmt waren. In einem dieser Räume befand
sich auf jeden Fall ein sehr alter Grigori. Vermutlich hatte
er das Sagen hier. Seine Präsenz war deutlich zu spüren
und tränkte jeden Winkel des Klubs.
Kyle sah aus den Augenwinkeln zu den Spiegeln,
achtete aber penibel darauf, keinen offensichtlichen Blick
dorthin zu lenken. »Da habt ihr euch also verkrochen. Netter Versuch. Trotzdem krieg ich euch.«
Seine Gedanken waren nach außen abgeschirmt. Seit
er ein Schnitter geworden war, beherrschte er diese Kunst
perfekt. Er musste ihnen seinen Besuch nicht ankündigen,
das verdarb den Spaß. Sie würden früh genug merken,
dass ihr Richter unter ihnen weilte. Richter und Henker in
einer Person.
Anfangs sah er noch misstrauisch in die Runde, ob einer der Gäste ihn vielleicht enttarnen könnte. Wenn auch
nicht als Schnitter, so doch als Azrae. Proud und er waren
keine Unbekannten in L.A. Es konnte gut sein, dass ihn jemand erkannte. Aber die Gesichter der Grigori waren ihm
allesamt fremd. Die meisten stammten tatsächlich nicht von
hier. Keiner schenkte ihm größere Beachtung, weil sie andere Dinge im Kopf hatten, wie Kyle angewidert feststellte.
Im flackernd-bunten Neonlicht bewegten sich die spärlich bekleideten Menschenmädchen wie ferngesteuerte
Marionetten. Sie schlenderten zwischen den Gästen umher
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oder tanzten auf den Podesten und an glatten Metallstangen. Alle trugen eng anliegende Halsbänder. Wer eines
von ihnen haben wollte, brauchte sich nur eine Kette an
der Bar zu holen und sie an die Leine zu legen. Dann konnte er sie in den zweiten Stock mitnehmen. Was dort geschah, wollte sich Kyle lieber nicht zu deutlich ausmalen.
Sex war vermutlich noch das Beste, was ihnen passieren
konnte. Die meisten allerdings dürften wohl eher zur
Ader gelassen werden. Nicht selten bis zur Neige. Bezahlt
wurde später – vermutlich hing der Preis auch davon ab,
ob man die Ware weiterverwenden konnte oder entsorgen
musste. Ihn schauderte.
Er versuchte, zu ergründen, ob man die Frauen manipuliert oder unter Drogen gesetzt hatte. Vielleicht war
es auch eine Mischung aus beidem. Es ekelte ihn, schürte
gleichzeitig seinen Hunger auf diejenigen, die das hier zu
verantworten hatten. Wusste der Boss von Los Angeles
tatsächlich nicht, welche Geschäfte hier direkt vor seiner
Nase abgewickelt wurden? Und dass er scheinbar Verräter
in den eigenen Reihen hatte?
Kyle wurde nervös, wenn er darüber nachgrübelte,
welche Entdeckung er hier womöglich heute Nacht machen
würde. Endlich eine Spur zu Beth’ Wurzeln. Oder zu anderen Nephilim. Vielleicht sogar zur Vergessenen Schrift. Mit
diesen Dingen hatte van Vaughn sicher einiges zu tun. Wie
der Grigori gesagt hatte, hier nahmen die Nephilim ihren
Anfang. Wer wüsste das besser als er und Proud?
Eigentlich verdiente van Vaughn es nicht anders, als
dass ihm jemand dabei in die Quere kam. Nach der Sache
auf dem alten Fabrikgelände bestand sogar die Möglichkeit, dass hier einer der anderen Big Bosse eine kleine
lukrative Zweigstelle eröffnet hatte. Oder ein paar Neunmalkluge, die versuchen wollten, aus dem Schatten ihrer
Familien zu treten, um sich selbst ein großes Stück vom
Kuchen einzuverleiben.
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»Egal. Wer auch immer du bist, du bist so gut wie tot«,
sandte er stumm an das Spiegelglas. Das Versprechen galt
auch für van Vaughn. Irgendwann würde er nah genug an
ihn herankommen. Als einer der ältesten Grigori stand er
ganz oben auf Kyles Liste der zu eliminierenden Individuen. Insbesondere deshalb, weil er in seinen Augen zweifellos für Beth’ Schicksal verantwortlich zeichnete. Dass er
mit diesem Zuchtprogramm nichts zu tun hatte, bloß weil
sein Name nirgendwo auftauchte, konnte Kyle beim besten
Willen nicht glauben. So etwas fand nicht über Jahre unter
seiner Nase statt, ohne dass er Wind davon bekam. Aber es
war eben nicht so leicht, an diesen Mann heranzukommen.
Er kannte diese Stadt, kannte die Wesen, die hier lebten.
Auch ihn und Proud. Kyle hatte nie restlos ergründen können, wie sehr er in die Sache mit Kreon involviert gewesen
war, aus der Proud und er den jungen Cherub damals herausgehauen hatten. Auf jeden Fall waren ein paar der L.A.Grigori mit von der Partie gewesen. Van Vaughn hatte sie
immer in Ruhe gelassen, obwohl es über ihn hieß, dass er
hart gegen die Azrae vorging, wenn sie ihm zu nahe kamen.
Kyle nahm an der Bar Platz und bestellte sich einen
Drink. Als er nach dem Glas mit dem Whisky griff, zitterte
seine Hand.
Verdammt! Das kann ich jetzt überhaupt nicht brauchen.
Der Blutrausch ergriff bereits von ihm Besitz. Er durfte
das nicht zulassen. Wenn er sich einmal darin verlor, fand
er nie wieder hinaus.
Es war zu viel Grigoriblut innerhalb dieser Mauern. Es
machte ihn schwindlig. Er musste einen klaren Kopf behalten, sonst wurde ihm seine eigene Natur zum Verhängnis.
Den Whisky schüttete er in einem Zug hinunter und
bestellte gleich noch einen. Er drehte der Bar den Rücken
zu, versuchte, sich auf die Mädchen zu konzentrieren.
Menschliches Blut reizte ihn nicht und eignete sich damit
bestens, um seinen Verstand wieder zu klären.
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Irgendwie musste er unauffällig nach oben gelangen.
Dort war sein Ziel. Dafür gab es wohl nur eine Möglichkeit, auch wenn es ihm innerlich widerstrebte. In diesem
Moment wünschte er sich, ein bisschen mehr von Prouds
Skrupellosigkeit zu besitzen. Der hätte sicher keine Sekunde gezaudert.
Entschlossen griff Kyle schließlich zu einer der Ketten
und fasste das Mädchen, das als Nächstes an ihm vorbeiging, grob am Handgelenk. Es war eine schmale, brünette
Frau mit hohen Wangenknochen und sinnlichen Lippen.
Sie war zu grell geschminkt, ihr wohlgerundeter Busen mit
einem Spitzen-BH mehr zur Schau gestellt, denn verdeckt.
Der dazu passende schwarze Slip betonte ihre schlanken
Hüften und ihren hübschen Po. Sie balancierte ungelenk
auf viel zu hohen Absätzen und zuckte unter seiner Berührung zusammen, woraufhin er seinen Griff ein wenig
lockerte. Trotz des vernebelten Verstandes sah er Angst
tief in ihren Augen schimmern. Er fühlte Mitleid, aber das
konnte er sich nicht leisten. Immerhin würde sie heute
Nacht nicht sterben, damit war der Wiedergutmachung
für das, was er tun musste, wohl Genüge getan.
Er hakte den Karabiner in ihr Halsband. »Komm mit«,
befahl er mit rauer Stimme. Dem Barkeeper hätte er das
schmierig-gehässige Grinsen am liebsten aus dem Gesicht
geschlagen, ehe er mit dem Mädchen in Richtung Treppe
ging. Er war einer der wenigen Grigori unter den Angestellten und schien seinen Job wahrhaftig zu lieben. Vermutlich nahm er nach Feierabend regelmäßig noch einen
kleinen Abschlussdrink.
Du bekommst deine Quittung auch noch. Wenn nicht heute
Nacht, dann später. Dein Gesicht vergesse ich nicht.
Die Kleine senkte devot den Blick und ergab sich in ihr
Schicksal. Sie hatte jeden eigenen Willen verloren. War sie
gebrochen worden? Oder genügten die Drogen, die man
ihr gab? Was war es? Grigoriblut? Kyle entging dennoch
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nicht, wie sich eine Gänsehaut auf ihren Armen ausbreitete. Ihr eigenes Bewusstsein war noch da, wenn auch tief
vergraben. Es musste schrecklich sein, zu erleben, was mit
einem geschah und nicht reagieren zu können. Was für
Gräuel musste sie schon durchlebt haben? Er wollte es sich
nicht ausmalen. Wenn es in seiner Macht stünde, würde er
sie heute Nacht befreien, doch dafür genügte seine Kraft
noch nicht.
Vom oberen Treppenabsatz gingen zwei Flure ab. Einer zu den ‚Spielzimmern‘ und einer zum hinteren Teil des
Gebäudes, wo sich die verspiegelten Büros befanden. Um
kein unnötiges Aufsehen zu erregen, wandte sich Kyle zunächst nach rechts. Die Türen waren mit grünen und roten
Lichtern markiert. Er wählte das vorderste freie Zimmer
und schloss die Tür hinter sich. Das Mädchen ging wortlos
zum Bett hinüber und nahm darauf Platz. Sie machte das
eindeutig nicht zum ersten Mal.
Kyle presste ein Ohr an die Tür und lauschte. Er wollte kein Aufsehen, keine Zeugen. Gerade, als es auf dem
Flur ruhig genug war, um es zu wagen, und er schon die
Hand an der Klinke hatte, fiel sein Blick noch einmal auf
die junge Menschenfrau. Sie saß nach wie vor regungslos
auf dem Bett und zitterte wie Espenlaub, aber sie sagte
kein Wort, verzog keine Miene. Nur eine einzelne, winzige
Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel. Kyle konnte das
einfach nicht ignorieren. Er war kein Monster und wollte
auf keinen Fall zu einem werden. Für eine Sekunde presste
er die Lippen zusammen … und traf eine Entscheidung.
Er näherte sich ihr langsam, um ihre Furcht nicht noch
zu vergrößern. Andere, die hierherkamen, erfreuten sich
ohne Zweifel daran, wenn die Mädchen Todesangst verspürten. Bei vielen vergrößerte es ihre Lust. Vermutlich
überlebten es einige der Mädchen daher auch nicht.
Als er vor ihr stand, kniete er nieder und griff sanft
nach ihren Händen. Sie zuckte kaum merklich zusammen.
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»Du wirst nicht sterben heute Nacht«, flüsterte er. »Dir
wird kein Leid geschehen.«
Er war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn verstand.
Zögernd hob er die Hand und strich ihr behutsam über
die Wange. »Verstehst du, was ich sage?«
Sie nickte mechanisch.
»Wie ist dein Name?«
»Malory.« Ihre Stimme war leise und brüchig, ihre Augenlider flatterten.
»Ein schöner Name, Malory. Ich möchte, dass du mir
vertraust. Wenn du dich ruhig verhältst, bist du heute
Nacht in Sicherheit.«
Ihr Blick blieb starr, eine Antwort gab sie nicht. Nachdenklich sah er sie an. Sie musste etwa in Beth’ Alter sein.
Hübsch, arglos. Sie hatte es nicht verdient, so ein Leben
führen zu müssen – oder solch einen Tod zu sterben, wie
er ihr hier beständig drohte.
Sein Blick glitt an ihrem Hals hinunter und blieb auf
dem ledernen Halsband hängen. Erst jetzt sah Kyle, dass
das Leder nicht einfach um ihren Nacken geschlungen
war, sondern nahtlos in ihre Haut überging. Verbunden
durch Grigoriblut.
»Verdammt, wer tut so etwas?«, entfuhr es ihm. Wut
kochte in ihm hoch. Noch ein Grund mehr, diese verdammten Dreckskerle zu töten.
Malory würde es leider nicht viel helfen. Für die, die er
heute Nacht tötete, würden morgen andere nachrücken.
Es war unmöglich, den ganzen Klub zu zerstören. So stark
war er nicht. Er konnte ihr nicht helfen, sie nicht vor ihrem
Schicksal retten, auch wenn er sich wünschte, dass es anders
wäre. Sie berührte etwas tief in ihm, vielleicht weil sie ihn
ein wenig an Beth erinnerte. Aber im Gegensatz zu der Frau,
die er liebte und die das Herz einer Kämpferin besaß, hatte
sich Malory längst aufgegeben. Egal, was er ihr versprach, es
bedeutete nichts mehr, weil sie nicht daran glauben konnte.
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Und halten konnte er keines der Versprechen, die ihm auf
der Seele brannten. Sie war verloren. Sie würde sterben.
Nicht heute Nacht, aber vielleicht morgen, nächste Woche,
nächsten Monat. Irgendwann überschritt ein Gast die Grenze und stillte seinen Hunger bis zur Neige. Vielleicht war
das sogar eine Gnade, denn was sie bis dahin jede Nacht an
Torturen erwartete, war sicher hundertmal schlimmer.
Da jedes weitere Wort überflüssig gewesen wäre,
beugte sich Kyle vor und küsste ihre Stirn. Er wusste, sie
würde dieses Zimmer heute Nacht nicht verlassen.
Wie ein Schatten stahl er sich hinaus auf den Flur. Aus
den Räumen hinter dem Spiegelglas drangen gedämpfte
Stimmen zu ihm. Er gelangte ungesehen bis zur Tür, vergewisserte sich, dass im Raum dahinter niemand war, und
schlüpfte hindurch. Das Zimmer war dunkel. Aus dem
Nebenraum konnte er deutlich verstehen, wie sich zwei
Männer miteinander unterhielten.
»… kein Sterbenswort darüber, klar?«
»Ich bin doch nicht verrückt. Wenn mein Boss das rauskriegt, bin ich geliefert.«
Kyle kannte denjenigen, der das gesagt hatte, irgendwoher. Er konnte die Stimme nur nicht zuordnen. War
es einer der Männer von dem Fabrikgelände? Das konnte nicht sein, sie waren alle tot. Dennoch glaubte er, diese
Stimme dort gehört zu haben, aber durch die Wandlung
zum Schnitter waren Teile seiner Erinnerung nur noch
vage – wie im Nebel.
Der andere Mann lachte. »Hey, wenn van Vaughn von
unseren netten kleinen Deals erfährt, sind wir alle geliefert.«
»Das wusstet ihr aber schon vorher. So was hätte man
sich eher überlegen sollen, bevor man beschließt, unter
Samuels Nase so was aufzuziehen. Es ist kein Geheimnis,
dass er manche Dinge recht speziell sieht.«
Der Angesprochene, dem offenbar dieser Klub hier
gehörte, stieß ein Schnauben aus. »Ja, der alte Kauz wird
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immer sonderbarer. Seit der Konferenz um diese kleine
Nephilim ist er regelrecht wie ein Schießhund geworden.«
Kyle durchzuckte es wie ein Blitz, als sie von Beth
sprachen.
»Van Vaughn hat Angst, dass ihm einer in die Suppe
spuckt. Ich will gar nicht wissen, wie tief er selbst in dieser
Scheiße drinsteckt. Aber dann so tun, als ob und die Hände
in Unschuld waschen, damit wir alle die Füße stillhalten.
Na, mir soll es egal sein. Ich mach nur meinen Job, und das
solltest du auch. Also bleib cool. Mach keine Fehler.«
Etwas raschelte, es klang wie Papier. Vielleicht Geld.
»Die machen die nächste Fuhre fertig. Du kümmerst
dich darum, wie immer, klar? Keine Spuren.«
Kyle vernahm ein gehässiges Lachen. »Je weniger Bescheid wissen, umso besser.«
»Ganz genau. Wir verstehen uns. Nimm den Hinterausgang, dann sieht dich niemand. Sobald es etwas Neues
gibt, sagst du Bescheid.«
Kyle hoffte auf eine weitere Antwort. Vielleicht machte
es dann bei ihm Klick, was diese Stimme anging. Doch wer
auch immer mit dem Klubbesitzer im Zimmer war, tat ihm
den Gefallen nicht. Gleich darauf hörte er, wie eine Tür geschlossen wurde. Verdammt. Bis er hier fertig war, dürfte
diese Spur kalt sein.
Er war schon drauf und dran, einfach hineinzustürmen
und sich jeden Grigori in diesem Raum vorzuknöpfen, um
aus ihnen herauszupressen, was er wissen wollte. Ihm kamen jedoch einige Gäste dazwischen, die mit ihren devoten Gespielinnen an der Leine zu den Schlafzimmern wollten und sich dabei leider in der Tür vertan hatten. Hastig
sprang er in eine Ecke hinter einem Wandschrank, als die
Zwischentür aufgerissen wurde und der Inhaber des Sadeshia wutentbrannt seine Gäste zusammenstauchte. Zwei
Grigori und einen Djin. Kyle konnte sich einer gewissen
Schadenfreude nicht erwehren, während er dabei zusah,
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wie dieses Pack wieder hinausgeworfen wurde. Nur die
Mädchen taten ihm leid, doch sie waren ebenso verloren
wie Malory.
Mit den Gästen verließen auch zwei der Angestellten
das verspiegelte Büro und verschwanden nach unten. Er
fluchte leise. Die beiden würden ihm für heute Nacht wohl
ebenfalls entkommen. Er konnte es nicht mit allen im Klub
aufnehmen.
Hier oben befanden sich neben dem Boss immerhin
noch zwei weitere Wächterengel. Genug Futter und mit
Glück ein paar brauchbare Informationen. Die nächste
Gelegenheit nutzte er ohne Zögern.
Die Tür öffnete und schloss sich innerhalb einer einzigen Sekunde. Beinah so flüchtig wie Rauch huschte Kyle
durch den Spalt hinein. Als die verbliebenen Grigori verwundert aufsahen, hing er bereits unter der Decke und betrachtete sie mit glühenden Augen. Einer der Männer ging
zögernd auf den Eingang zu, um zu prüfen, warum sich
die Tür geöffnet hatte. Damit wandte er Kyle zunächst den
Rücken zu und er konnte sich die beiden anderen zuerst
vorknöpfen.
Mit einer halben Drehung ließ er sich auf den fallen,
der am Fenster stand. Während er die ganze Präsenz des
Schnitters in den Raum fluten ließ, riss er seinem Opfer die
halbe Kehle weg, um sich an dem hervorsprudelnden Blut
zu laben. Wie durch einen roten Nebel hindurch nahm
er wahr, dass der Mann am Schreibtisch eine Schublade
aufzog und mit einem klickenden Geräusch eine Pistole
entsicherte. Kyle spürte die Kugel nicht einmal, die seine
Schulter durchschlug. Das Projektil blieb in der Wand stecken, nachdem es seinen Körper wieder verlassen hatte.
Er ließ von seiner Beute ab, in der ohnehin kaum noch
Lebenssaft zu finden war, und wandte sich dem Schützen
zu. Es knackte laut, als dessen Rückgrat unter der Wucht
seines Faustschlages brach und der Kerl gelähmt und
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zunächst besinnungslos am Boden liegen blieb. Der Dritte
versuchte gerade, durch die Tür zu entkommen, doch Kyle
schlug sie zu, kaum dass sie sich einen Spaltbreit geöffnet
hatte. Seine linke Hand lag noch flach auf dem Türblatt,
die rechte hatte bereits die Kehle seines letzten Opfers umfasst. Mit dem Daumen durchstieß er die Haut nahe des
Kehlkopfes und durchtrennte die Aorta. Der Entsetzensschrei ging in einem Blut schäumenden Gurgeln unter.
Hastig vergewisserte sich Kyle, dass niemand durch
den Schuss aufmerksam geworden war, doch weder aus
einem der Zimmer noch von der Bar unten kam jemand,
um nachzusehen. Entweder war das Geräusch nicht gänzlich unbekannt in dem Laden, oder die Türen des Büros
hatten den Schall ausreichend gedämpft.
Nachdem er keinen unerwünschten Besuch zu befürchten hatte, trank sich Kyle an dem Grigori zu seinen
Füßen satt. Nahm möglichst viel von seinen Erinnerungen
in sich auf, doch leider waren diese flüchtig, weshalb er
hier nur noch wenig fand. Im Stillen ärgerte er sich, dass er
der Gier ein wenig zu schnell nachgegeben hatte, aber das
Risiko, dass einer der drei dann Alarm geschlagen hätte,
wäre zu groß gewesen. Nun gut, einer blieb noch und in
dem war auch noch Leben.
Kyle ging neben dem Boss in die Knie, der gerade das
Bewusstsein wiedererlangte. In Panik versuchte er, rückwärts zu robben, doch da seine Beine immer noch gelähmt
waren, blieb es erfolglos. Kyle packte ihn grob an der
Schulter. Stöhnend drehte sich der Grigori zur Seite, seinem Gesicht war anzusehen, dass er die Hoffnungslosigkeit seiner Situation bereits erkannt hatte.
»Kluger Junge. So ersparen wir uns unnötige Hilferufe
und können ungestört miteinander plaudern«, unterbreitete Kyle mit boshaftem Grinsen.
Der Wächterengel schluckte hart.
»Weißt du, was ich bin?«
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Ein Nicken war die Antwort.
»Wunderbar. Dann ist dir auch sicher bewusst, welch
unsägliche Qualen ich dir bereiten kann, wenn du auf
dumme Gedanken kommst.«
Wieder tat der Mann mit einem Nicken kund, dass er
verstand.
»Ich hoffe, du hast nicht vor Schreck deine Zunge verschluckt, denn dann müsste ich mir die Informationen, die
ich haben will, aus deinem Kopf herausschneiden. Das
willst du doch sicher nicht.«
»Nein!«, kam hastig die heisere Antwort.
»Schön, dass wir uns so einig sind. Also, wer betreibt
diesen Klub hier?«
»Ich.«
Kyle lächelte gönnerhaft. Der Kerl war in der Tat einer
der älteren Wächter, aber kein Familienoberhaupt. »Netter
Versuch. Das meine ich nicht, und du weißt es. Wer steht
hinter dir? Welche Familie?«
Als der Grigori stur schwieg, gab Kyle ihm einen
kleinen Vorgeschmack davon, was ihn erwartete, wenn
er nicht kooperierte. Dabei hielt er ihm den Mund zu,
damit seine Schreie nicht die versammelten Gäste und
Angestellten des Klubs hier herauflockten, während den
Wächterengel das Gefühl peinigte, bei lebendigem Leib in
siedendem Öl zu baden.
Dem Mann brach der Schweiß aus vor Qualen. Er wand
sich am Boden, soweit seine paralysierten Gliedmaßen es
zuließen. In seinen aufgerissenen Augen war nur noch das
Weiße zu sehen. Nach ein paar Minuten gab Kyle ihm eine
zweite Chance, sich für den leichteren Weg zu entscheiden.
»Ich bekomme meine Informationen. Also mach es uns
beiden leichter und spuck sie freiwillig aus.«
Sein Opfer zitterte unter den Nachwirkungen, keuchte
aber mühsam Denver hervor. Allem Anschein nach konnte es nicht schaden, sich bei Gelegenheit dort ein wenig
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genauer umzusehen und herauszufinden, was für Pläne
deren Oberhaupt in naher Zukunft hegte.
»Was wollt ihr hier in Los Angeles? Und wer ist euer
Kontaktmann? Ich meine den, der durch die Hintertür den
Abgang gemacht hat.«
Der Grigori schüttelte den Kopf. »Ich weiß seinen Namen nicht. Er ist ein Cherub.«
Noch ein Verräter. Ob Logan davon wusste?
»Wir sollen hier vor Ort sein. Unauffällig. Damit van
Vaughn nachlässig wird und uns duldet. Es heißt seit Längerem, dass er sein eigenes Ding macht. Das wollen sich
einige andere nicht gefallen lassen.«
»Du meinst, die Sache mit den Nephilim?«
Im ersten Moment wollte der Wächterengel die Antwort verweigern, aber schließlich nickte er mit verkniffenem Gesicht. »Seit diese kleine Blonde vor ein paar Wochen aufgetaucht ist, die unter dem Schutz der Azrae steht,
sind alle hinter den Halbengeln her. Wir haben lange genug gewartet, und van Vaughn hat sich offenbar zu einem
Alleingang entschlossen. Das wird er noch bereuen.«
Kyle schnaubte. Wenn sich van Vaughn Feinde machte, interessierte ihn das nur bedingt. Aber es lag auf der
Hand, dass mit der Blonden Beth gemeint war. Kyle sah
davon ab, diesem Kerl zu sagen, dass er einer der Azrae
war, die sie beschützten. Genau genommen war er es ja
nicht länger.
Mehr war aus dem Kerl nicht herauszubekommen. Offenbar hielt sein Boss ihn mit Informationen an der kurzen
Leine. Er war auch nur ein Handlanger. Kyle bereitete
seinem Leben ein schnelles Ende und stillte das Verlangen
des Schnitters nach Engelsblut für diese Nacht.
Endlich breitete sich eine tiefe Ruhe in ihm aus. Seine
Sinne waren wacher denn je, doch gleichzeitig genoss er
völlige Entspannung. Sie würde nicht lange anhalten, aber
es war eine Wohltat, sich für eine Weile diesem Gefühl
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hingeben zu können. Da war nichts mehr, was ihn trieb.
Solange sich keiner von den Wächterengeln mit ihm anlegen wollte, durften sich die restlichen hier Anwesenden
in Sicherheit wiegen.
Konzentriert durchsuchte Kyle die Kleidung der toten
Grigori. Alle Funde, die er für brauchbar hielt, warf er
auf den Schreibtisch, den er im Anschluss ebenfalls unter
die Lupe nahm. Der Laptop auf dem Tisch war passwortgeschützt, aber das spielte keine Rolle. Es gab eine Menge
Leute, die für ein bisschen Geld die Sicherungen knacken
und ihm die Daten zur Verfügung stellen würden. Da
konnten interessante Background-Informationen dabei
sein. Womöglich genau die Orientierung, die er gesucht
hatte, um sich endlich dazu durchzuringen, L.A. hinter
sich zu lassen. Also packte er das Gerät ebenso wie einen
Stapel Papiere, Geldbörsen und Handys in eine Tasche
und verschwand durch eben die Tür, durch die zuvor der
unsichtbare Mann mit der vertrauten Stimme gegangen
war. Ein Cherub! Dann kannte er die Stimme von einem
Besuch bei Logan. Aber auch dieser Hinweis ließ kein Gesicht vor seinem inneren Auge auftauchen.
Für einen Herzschlag blieb Kyle draußen stehen, hob
die Nase und witterte. Er versuchte, die Spur über die
Feuerleiter bis hinunter in den Hof zu verfolgen, doch komischerweise wurde sie kälter, je weiter er sich von dem
Klubgebäude entfernte. Was sollte das? War das eine neue
Tarnung? Wo war der Kerl hin? Er konnte schlecht geflogen sein, denn die Flügel waren sozusagen im Paradies
geblieben.
Verdammt!
Er suchte die Dächer ab, aber auch dort konnte er nichts
sehen. Keinen Schatten, keine Bewegung. Nicht einmal eine
energetische Spur. Als hätte der Wind sie davongetrieben.
Über ihm tat sich plötzlich was. Er hörte Männerstimmen; erst leise, dann immer lauter. Jemand hatte die
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Leichen gefunden. Es wurde Zeit, von hier zu verschwinden. Er wollte sich schon zum Gehen wenden, als eine Tür
zum Hinterhof aufgestoßen wurde und mehrere Männer
herauskamen, die zielstrebig auf einen wartenden Transporter zugingen. Sie alle trugen in Decken gewickelte
Frauen; die Körper leblos, die Blicke leer. Offenbar die
Opfer der heutigen Nacht. Wohin man sie wohl brachte?
Und was mochte dort mit ihnen geschehen?
Kyle wurde übel, während einige Möglichkeiten vor
seinem inneren Auge vorbeizogen. Kurz flammte der Impuls in ihm auf, doch noch einmal in den Klub zu gehen
und dort gründlich aufzuräumen, aber das wäre Wahnsinn gewesen. Allein hatte er keine Chance, und egal, wie
viele er mit in die Hölle nahm, morgen wären die Nächsten hier. Er konnte nichts tun. Den Seelen der toten Frauen wünschte er lediglich, dass sie Frieden finden mögen,
auch wenn ihm bewusst war, wie sinnlos dieser Wunsch
war, wenn ihre Mörder Wächterengel waren.
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Kapitel 7
er Abend entwickelte sich noch schlimmer,
als Samuel erwartet hatte. Es grenzte an ein
Wunder, dass sich die beiden Lager, die sich
in den letzten Wochen gebildet hatten, nicht gegenseitig
zerfleischten. Die einen wollten Rache für die Verräter
und ein erbarmungsloses Vorgehen gegen die McLeans
im Speziellen aber auch die Azrae im Allgemeinen. Die
anderen verlangten sogar, dass man die verbliebene Brut
der drei Verräter endgültig und nachhaltig auslöschte,
um ein Exempel zu statuieren und einen ähnlichen Verrat
künftig zu verhindern. Dabei hätte sich die Hälfte dieser
Idioten einem solchen Bündnis vermutlich ebenfalls angeschlossen und in der Hoffnung, die eigenen Schwächen
auszumerzen, einen Ritualmord begangen. Als ob ein
alter unterirdischer Steinaltar und ein paar Sternenbilder
genügen könnten. Was dachten die sich nur? Wenn dem
so wäre, hätte er die alte Fabrik wohl kaum verkaufen lassen. Dachten sie wirklich, ihm würde so ein Umstand entgehen? Dass sie ihn so leicht übertölpeln konnten? Welch
Narren!
Nur in einem waren sie sich geschlossen einig gewesen: Die Nephilim!
Samuel zischte einen Fluch. Diese unwissenden Idioten glaubten tatsächlich, einen Anspruch auf das Mädchen
zu besitzen und sie für sich einfordern zu können. Jetzt
mehr denn je. Was sie mit ihr machen sollten, wusste zwar
keiner so genau, aber Hauptsache, die Kleine war schon
mal sichergestellt. Als ob es so einfach wäre. Ohne die McLeans nutzte das Mädchen überhaupt nichts, aber auch
mit Azrae-Begleitung konnte sie allein nichts bewirken.
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Jahrelange Recherchen und Forschungen, gefährliche
Bündnisse, umsichtige Täuschungen und unzählige Opfer
hatte es ihn gekostet, um so weit zu kommen. Und dann
kamen ein paar dahergelaufene Grigori und glaubten, sie
könnten die Früchte anderer Leute Arbeit ernten, ohne zu
begreifen, was dahintersteckte und wie viel bereits von
mehreren Seiten investiert worden war, um überhaupt
diesen Punkt zu erreichen. Er wünschte sie in die tiefste
Hölle. Wenn es einer von ihnen wagen sollte, seine Pläne
nachhaltig zu durchkreuzen, würde er sie dafür bezahlen
lassen. Weit teurer als es diese drei Idioten getan hatten.
Was ihn wunderte, war, dass Cooper Tresh dem Treffen ferngeblieben war. Bei allen bisherigen Zusammenkünften war er dabei gewesen und hatte – wenngleich
zurückhaltend – stets mit seiner Meinung nicht hinter
dem Berg gehalten. Heute Abend war er nicht erschienen,
obwohl Samuel ihn persönlich eingeladen hatte. Es fühlte
sich merkwürdig an, machte ihn misstrauisch. Auch wenn
er Cooper seine Freundlichkeit stets nur bedingt abgekauft
hatte, so wäre er nie auf die Idee gekommen, dass dieser
offen gegen ihn intervenieren könnte. Seit heute Abend
war er sich nicht mehr so sicher. Gleich morgen würde er
einige seiner Leute nach San Francisco schicken, um dort
nach dem Rechten zu sehen. Er hatte ihn schon länger unter Verdacht, dass er sein eigenes Ding durchzog und auch
mehr wusste, als gut war. Wenn von dort größerer Ärger
ins Haus stand, musste er dem unbedingt rechtzeitig einen
Riegel vorschieben.
Was den Rest anging … Sam seufzte. Es würde zu
Unruhen kommen, das stand außer Zweifel. Noch dazu
hatten einige von unerklärlichen Todesfällen berichtet. Es
fing also schon an. Der Schnitter machte seine Arbeit. Von
Samuels Leuten waren ebenfalls einige abgängig, aber der
weit größere Teil von toten Grigori entstammte denjenigen, die in L.A. nicht ansässig waren. Offenbar verfolgte
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Kyle McLean also konkrete Ziele. Er wählte seine Opfer
aus. Die Frage war, was er damit bezweckte und ob er ihm
dabei in die Quere kam oder sogar – wenngleich unwissend – den Unrat für ihn fortschaffte.
Müde rieb sich Sam über die Stirn. Es waren zu viele Fronten, an denen er Schadensbegrenzung betreiben
musste. Allmählich glitt ihm die Kontrolle vollends aus
den Händen. Er überlegte kurz, mit seinem Vertrauten
Kontakt aufzunehmen, doch das Wagnis war zu groß. Derzeit hatten die Wände Ohren. Es war noch zu früh, alle
Trümpfe auszuspielen. Je weniger seine Feinde wussten,
umso besser.
Zögernd blieb er vor dem Zimmer stehen, in dem er
seinen Gast untergebracht hatte. Ein weiteres Problem,
aber immerhin eines, das er händeln konnte und das ihm
ein Lächeln auf das Gesicht zauberte. Er hätte sie nicht dort
lassen können – in St. Joshua. Jetzt nicht mehr. Sie schwebte in unmittelbarer Gefahr, größer noch, als er geahnt hatte. Leider hatte er bisher nicht von ihr erfahren können,
wer sie in den letzten Monaten regelmäßig im Sanatorium
aufgesucht hatte. Entweder besaß sie wirklich keine Erinnerung daran oder man hatte sie manipuliert. Auch den
Inhaber des Sanatoriums – Dr. Whigfield – konnte er nicht
fragen, denn er vertraute ihm nicht länger. Um zuverlässig die Wahrheit von ihm zu erfahren, hätte er ihn töten
müssen, und das war ihm zuwider. Außerdem würde es
seine Feinde warnen und zu weiteren Aktionen verleiten.
Da beließ er es derweil lieber dabei, Valerie in Sicherheit
zu wissen und St. Joshua lediglich im Auge zu behalten.
Sam seufzte. Wieder ein Mensch, der zum Verräter geworden war. Ein weiterer Beweis, dass gekaufte Loyalität
nur so lange taugte, bis jemand anderer einen höheren
Preis dafür zahlte. Aber darum ging es nicht.
Valerie indes konnte nichts dafür, dass sie seinen Gegnern in die Hände gespielt hatte. Sie war bloß ein Opfer
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und der einzige Ansatzpunkt gewesen, den diese Leute
noch hatten nutzen können. Er hätte sie viel früher dort
rausholen und in seine sichere Obhut nehmen müssen.
Diesen Fehler musste er auf seine Kappe nehmen. Ebenso
dessen Folgen, um die er sich zu gegebener Zeit kümmern
würde. All das durfte für Valerie aber nicht mehr zum
Problem werden. Er hatte ein Versprechen gegeben, das er
durchaus ernst nahm, auch wenn niemand mehr da war,
der dies von ihm einfordern konnte.
Er öffnete die Tür und trat in den dunklen Raum. Seine
Augen passten sich sofort an die spärlichen Lichtverhältnisse an. Er konnte die Gestalt unter der Bettdecke ausmachen, die sich gleichmäßig bei jedem Atemzug bewegte.
Samuel nahm lautlos auf der Bettkante Platz. Er streichelte Valerie zärtlich über das Gesicht und betrachtete
ihre im Schlaf entspannten Züge. Wärme und Mitleid
erfüllten sein Herz. Das mit ihrem Bruder tat ihm leid, so
weit hätte es nicht kommen dürfen. Benning war kein von
Grund auf schlechter Mensch gewesen, auch wenn er sich
tief in dunkle Geschäfte verstrickt hatte, die immer eine
Nummer zu groß für ihn waren. Aber Samuel bewunderte
seinen Mut und dass er für Valerie alles getan hätte. Es war
ihm nicht leicht gefallen, seiner Schwester fernzubleiben,
doch er hatte verstanden, dass es zu ihrer aller Sicherheit
besser so war. Sie hatten ein faires Geschäft abgeschlossen,
das ihnen allen zuträglich gewesen war. Am Ende hatte es
für Benning nicht gereicht.
Samuel seufzte. Er fühlte sich schuldig, auch wenn er
getan hatte, was in seiner Macht stand. Dass Benning am
Ende dennoch den Tod gefunden hatte, war ein unglückliches Missgeschick. Mit diesem Verrat hatte niemand
rechnen können. Dafür kümmerte er sich um Valerie.
Nicht, weil er das Gefühl hatte, Benning noch irgendetwas schuldig zu sein. Dieser Mann hatte sein Wissen zur
Genüge ausgeschlachtet. Auch für seine eigenen Zwecke.
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Sam respektierte, dass sich Benning trotz seiner Karriere
in der Unterwelt stets um seine Schwester gesorgt und für
ihre Sicherheit einiges auf sich genommen hatte. Dennoch:
Dieser Mann war kein Unschuldslamm, das man zur
Schlachtbank geführt hatte. Nichtsdestotrotz verdiente er
so ein Ende sicher nicht.
Samuel war seit jeher ein Gegner von Folter und sinnloser Gewalt. Es gab immer andere Wege. Die Welt von
seelischem Unrat zu befreien, bedeutete für ihn, nicht
selbst zu solchem zu werden. Koste es, was es wolle. Er
hatte sich das bewahrt. Darauf war er stolz. Die Schuld,
die auf seinen Schultern lag, war eine andere. Der Preis,
den er für dieses letzte bisschen Reinheit zahlte, war unleugbar hoch.
Sein Gast seufzte leise im Schlaf und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder ins Jetzt zurück. Sein Herz füllte sich
mit Zuneigung. Valerie blühte auf, seit sie hier war, obwohl er ihr die Medikamente nicht ersparen konnte. Ohne
diese wäre sie zum einen nicht unter Kontrolle und zum
anderen wusste er nicht, wie sie reagieren würde, wenn sie
sich allem wieder bewusst wurde. Der Klinik, dem Kind,
dem Sterben – und auch dem Tod ihres Bruders.
Er pflegte sie gut. Gab ihr alles, was sie brauchte und
noch mehr. Sie bekam das beste Essen, wurde täglich gebadet, frisiert und zurechtgemacht, trug wunderschöne
Kleider und verbrachte mindestens drei Stunden im Garten oder auf dem Balkon. Natürlich mit einer Begleitperson – zu ihrer eigenen Sicherheit. Er hatte zwei Bedienstete dafür abgestellt, sich ausschließlich um Valerie zu
kümmern.
Fast immer lief ihre Lieblingsmusik im Hintergrund.
Sie konnte es zwar nicht sagen, aber man merkte, wie bestimmte Musik sie beruhigte.
Es wäre schön gewesen, wenn sie noch eine Freundin
bei sich gehabt hätte, mit der sie reden konnte. Dass er
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dabei an eine bestimmte Frau dachte, schob er beiseite. Es
war besser, nicht länger darüber nachzugrübeln, was hätte
sein können, wenn … Es war eben nicht. Auch dies war ein
Preis, den er gezahlt hatte, und nicht nur er. Er hätte sich
besser kümmern müssen. Schon viel früher. Dann wäre
manches nicht so gekommen.
»Alles geschieht aus einem bestimmten Grund«, beruhigte er sich. »Einmal werden wir es verstehen. Auch du,
Valerie. Und ich. Vielleicht sogar sie.«
Er beugte sich vor und küsste ihre Stirn. Sie war kühl.
Besorgt fühlte er ihren Puls, der jedoch kräftig und gleichmäßig schlug. Es war wohl einfach zu kalt im Zimmer. Zu
dumm, dass er kein Gespür mehr dafür besaß. Er würde
seine menschlichen Bediensteten anweisen, besser darauf
zu achten, dass Valerie es in ihren Räumen angenehm
warm hatte. Sie liebte Wärme – sie liebte die Sonne.
»Ach ja, die Sonne«, seufzte er wehmütig. »Irgendwann, mein Herz, gehen wir vielleicht in der Sonne spazieren. Wenn sich alles zum Guten wendet.«
Ein letztes Mal drückte er die leblosen Finger, dann
zog er sich zurück und überließ Valerie ihren unbekannten
Träumen – und später einem sonnigen Tag, den er leider
nicht mit ihr teilen konnte.
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Kapitel 8
eth stand am Fenster ihres Zimmers im Haus
der McLeans und sah dem Mann nach, der
unten auf dem Kiesweg in seinen Wagen
stieg und davonfuhr. Das war also Lloyd, in dessen Haus
sie die letzten Wochen gelebt hatte. Sie hatte sich ihn irgendwie anders vorgestellt. Er wirkte wie ein Mann Ende
vierzig, mit kurzen, dunklen Haaren, die vereinzelt helle
Strähnen aufwiesen. Dafür, dass er die letzten Monate in
Afrika gegen Ebola gekämpft hatte, sah er für ihren Geschmack erstaunlich fit und ausgeruht aus. Sie hatte allerdings auch nur durch den schmalen Türspalt einen kurzen
Blick auf sein Profil erhaschen können, ehe Proud sie mit
warnendem Blick wieder nach oben geschickt hatte. Lloyd
durfte sie nicht entdecken. Darum blieb ihr auch jetzt, wo
er wieder da war, nichts anderes übrig, als bei Proud zu
wohnen. Sie vermisste das Haus am Meer. Dort hatte sie
Ruhe gefunden nach dem überstandenen Anschlag auf ihr
Leben – und nach Kyles Abschied … Hier hingegen war
Kyle so präsent, dass es sie quälte. Von Proud ganz zu
schweigen.
Sie seufzte. Seine Gegenwart war längst nicht mehr
unerträglich. Ganz im Gegenteil, seit Kyles Fortgang
kümmerte er sich rührend um sie. Doch in diesem Haus
erinnerte sie alles an Kyle – und daran, dass sie ihn verloren hatte. Dazu kam, dass Prouds Nähe sie schon vorher
verunsichert hatte, jetzt verwirrte sie Beth umso mehr.
Vielleicht hätte sie besser damit umgehen können, wenn
er weiterhin diese düstere, überhebliche Aura ausstrahlen
würde. Stattdessen verhielt er sich überraschend höflich
und zuvorkommend, bedrängte sie nicht ein einziges Mal
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und blieb bei allen Entscheidungen sachlich. Es machte sie
zuweilen wahnsinnig, diese Zerrissenheit zwischen den
beiden Cousins. Sie kam sich wie eine Verräterin vor, weil
Kyle so viel für sie geopfert hatte und sie sich bei Proud
wohlfühlte. Irgendwie fühlte sich das nicht richtig an.
Ihr Leben war zusehends verworrener geworden, seit
sie nach Los Angeles gekommen war. Hergekommen war
sie voller Hoffnung. Auf ein Leben, auf einen Sinn, ein
Ziel. Gefunden hatte sie …
Keuchend stieß Beth die Luft aus, als all die Erinnerungen der letzten Wochen über sie hereinbrachen. Kyles
verzerrte Miene, als er sich über den sterbenden Mr Llewelyn gebeugt hatte. Das Empfinden, als er sie gestellt
und ihr das Versprechen des Schweigens abverlangt hatte.
Der Grigori in ihrer Wohnung. Die erste Begegnung mit
Proud. Ihre erste Nacht mit Kyle und die Offenbarung
am nächsten Morgen, dass sie eine Nephilim war … ein
Halbengel … ein Halbvampir. Die Akten in der Klinik, das
Geheimnis ihrer Herkunft, das Schicksal, das sie offenbar
bewusst hierher zurückgeführt hatte, wo sie einst geboren
worden war. Die Grigori, die sie jagten. Die verwirrenden
Gefühle für Kyle – und für Proud. Diese Frau im Sanatorium, die vorgab, ihre Mutter zu sein. Ihr altes Elternhaus.
Der Opferaltar, von dem sie immer noch träumte.
Es war zu viel, einfach zu viel.
Sie zitterte so stark, dass sie sich am Fenstersims festhalten musste, um nicht in die Knie zu gehen. Die Krone des Ganzen war Kyles Wandlung in einen Schnitter
gewesen, die ihn zwang, sie zu verlassen. Und Prouds
Offenbarung über all die perfiden, perversen Dinge, die
Professor Swan im Auftrag eines unbekannten Dritten mit
unzähligen Frauen und ihren ungeborenen Kindern getan
hatte. Ein Zuchtprogramm für die Nephilim. Als wären
sie lediglich Vieh. Opferlämmer. Manchmal wünschte sie
sich, Proud hätte es ihr nie gesagt. Andererseits war es ihre
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Vergangenheit. Sie musste es wissen. Sie musste handeln.
Dafür brauchte sie ihn.
Beth musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass
Proud gerade direkt hinter ihr stand. Ob er ihre Gedanken
gelesen hatte, konnte sie nur erahnen. Sie wusste, er besaß
die Fähigkeit dazu und sie war zu schwach, sie ständig zu
verbergen. Aber allmählich vertraute sie darauf, dass er
ihre Geheimnisse respektierte.
Er war lautlos ins Zimmer getreten, nachdem er Lloyd
verabschiedet hatte. Jetzt konnte sie seinen Körper beinah
spüren, seine Aura, die jede ihrer Zellen durchdrang. Auch
wenn sie nicht länger bedrohlich wirkte, war sie stark und
intensiv und berührte Beth auf eine Art und Weise, die ihr
Angst machte. Sie schauderte. Seine Präsenz erschien ihr
hier in seinem Heim viel stärker als in dem Haus am Meer.
Sie strich über ihre Seele wie ein Nachthauch, jedes Mal,
wenn sie im selben Zimmer waren. Es kostete sie all ihre
Kraft, es sich nicht anmerken zu lassen. Was würde er tun,
wenn er dessen gewahr wurde? Sie wollte es nicht wissen.
Dabei flüsterte eine leise Stimme ihr höhnisch zu: Jetzt noch
nicht!
»Was hast du ihm gesagt?«, fragte sie, ohne sich
umzudrehen.
Proud holte tief Luft. »Dass Kyle und ich uns gestritten
haben. Das ist nichts Ungewöhnliches. Somit hatte ich eine
Erklärung, wofür er sein Haus brauchte. Du bist also auch
vor ihm erst einmal sicher.«
Sie hätte ein höhnisches Schnauben beinah nicht unterdrücken können. Sicher war relativ. Wer wusste schon, ob
Lloyd ihre Gegenwart nicht gespürt oder ihr Blut gerochen
hatte.
»Hat er nicht nach ihm gefragt?«
»Doch. Aber ich konnte ihm glaubhaft machen, dass
unser Streit inzwischen so eskaliert ist, dass mein Cousin
es vorgezogen hat, für eine Weile die Stadt zu verlassen.«
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»Das wirst du nicht ewig als Ausrede bringen können.«
Proud gab einen unwilligen Laut von sich. »Fürs Erste
schon. Wenn Kyle längerfristig indisponiert bleiben sollte,
wird mir schon was anderes einfallen.«
Sie drehte sich um und zuckte zurück, weil sie nicht
damit gerechnet hatte, dass er ihr so nahe war. Es trennte sie kaum mehr als ein Zentimeter. Sein Blick war eindringlich, für eine Sekunde glaubte sie, seine Hände auf
ihrem Körper zu spüren, obwohl er sie nicht ansatzweise
berührte. Nur seine Kiefermuskeln zuckten und in seiner
schiefergrauen Iris flackerte es irritierend. Beth musste
schlucken. »Wir wissen beide, dass längerfristig noch geschmeichelt ist, oder? Er wird nicht mehr zurückkommen.
Das hat er selbst gesagt.«
Für einen Moment sah sie Proud an, dass er energisch
widersprechen wollte, doch dann neigte er fragend den
Kopf. Sie konnte die Herausforderung körperlich fühlen.
»Wäre es dir lieber, er käme nicht zurück?«
Seine Stimme klang rau. Die Frage war gefährlich, lauernd. Sie enthielt eine Hoffnung, die er nicht aussprach.
Aber sie würde nicht in diese Falle tappen und ihn ermutigen, seine Zurückhaltung aufzugeben. Dafür wusste sie zu
gut, dass sich im Grunde nichts geändert hatte und er jede
noch so versteckte Einladung ihrerseits ohne jedes Zögern
annehmen würde.
»Es hat keinen Sinn, sich etwas vorzumachen«, erklärte
sie daher sachlich. »Mach dir keine Hoffnung, ich würde
mein Leben geben, wenn es ihm helfen könnte und er
dann kein Schnitter mehr wäre.«
»Was wohl das Letzte sein dürfte, was er will«,
schnarrte Proud süffisant und verdrehte die Augen. Aber
immerhin löste sich das plötzliche Knistern zwischen
ihnen in nichts auf. »Keine Angst, mein Täubchen. Wir
finden schon einen anderen Weg. Ich gebe ihn nicht auf.
Basta!«
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Sie blickte ihm prüfend ins Gesicht, konnte aber keine
Anzeichen dafür erkennen, dass er nicht absolut meinte,
was er sagte.
»Ich fürchte nur, wir haben erst mal ganz andere Probleme«, gestand Proud sichtlich widerwillig.
Beth runzelte die Stirn, woraufhin er die Achseln zuckte und zu dem Sessel neben dem Bett hinüberging, in den
er sich kraftlos fallen ließ. Er strich sich fahrig über das
Gesicht. Eine ungewöhnliche Geste für Proud. Sein Blick
war müde und ging ins Leere. Von der vorangegangenen
Provokation war nichts mehr zu sehen.
»Es spielt eigentlich keine Rolle, was ich Lloyd gesagt
habe und was er glaubt.«
»Du meinst, er wird mich sowieso wittern?« Es war eine
Mutmaßung, aber nach allem, was sie über die Azrae und
Grigori inzwischen gelernt hatte, fand sie es naheliegend.
»Das nicht. Ich habe das Haus gründlich gesäubert. Bei
so was mache ich keine Fehler.« Dem Tonfall nach hatte sie
Proud wohl ein wenig in seiner Ehre gekränkt. »Es ist nur
so, dass inzwischen die halbe Stadt Wind von dir bekommen haben dürfte. Lloyd ist nicht dumm. Er zählt rasch
eins und eins zusammen. Vermutlich wird er da nicht der
Einzige sein.«
»Was … wird er tun?«
Proud zuckte gleichmütig die Schultern. »Keine Ahnung. Mir erst mal eine auf die Schnauze hauen, weil ich
ihn angelogen habe, schätze ich. Ob er an die alten Legenden glaubt oder welches Interesse er an einer Nephilim
hätte, kann ich dir nicht sagen.«
Beth holte tief Luft. Sie versuchte, die Sorge niederzukämpfen, die bei all den Unsicherheiten in ihrem Leben
Stück für Stück zu einer ebenso stickigen Wolke zusammenschmolz wie der Smog in Los Angeles. Es brachte sie
nicht weiter, wenn sie in Panik geriet. Sie musste sich auf
die Fakten konzentrieren, und dazu musste sie diese erst
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einmal sammeln. Dass das nicht leicht werden und Proud
von ihren Plänen nicht begeistert sein würde, stand außer
Frage. Daher schob sie es noch ein bisschen vor sich her,
ihn über ihre Entscheidung in Kenntnis zu setzen.
»Warum habt ihr eigentlich kein derartiges Interesse an
mir gehabt?«, stellte sie stattdessen die Frage, die ihr schon
seit einer Weile durch den Kopf geisterte. Dabei warf sie
einen Blick über ihre Schulter, um Prouds Mimik lesen zu
können. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber auf
jeden Fall nicht diese Resignation in seinem Gesicht.
»Du kannst Fragen stellen.«
»Ich hatte gehofft, du kannst mir Antworten geben.«
Er stockte kurz und ließ ein freudloses Schnauben hören, das vielleicht ein Lachen, vielleicht aber auch milder
Spott sein mochte. »Denkst du wirklich, dass mich diese
Legende kümmert? So gut solltest du mich inzwischen
kennen. Ich liebe dieses süße Leben, das ich hier habe. Warum also sollte ich scharf drauf sein, in irgendein beschissenes, trostloses Paradies zurückzukehren, aus dem man
meinesgleichen rausgeworfen hat? Von mir aus kann, wer
immer darin lebt, dort glücklich werden. Ich brauch diesen
Scheiß nicht. Darum war es nie eine Option für mich, eine
Nephilim oder deren Blut für irgendein abstruses Ritual
zu missbrauchen, von dem die wenigsten wissen dürften,
ob es überhaupt funktioniert. Du darfst nicht vergessen,
das alles steht nur in der Vergessenen Schrift und die trägt
ihren Namen nicht von ungefähr.« Er grinste spöttisch und
schüttelte den Kopf. »Was Kyle angeht … Nun, das dürfte
wohl eine Herzensangelegenheit gewesen sein.« Proud
schenkte ihr ein anzügliches Zwinkern, auf das sie nicht
reagierte. Es ärgerte ihn sichtlich, denn das Grinsen verschwand und machte einem angedeuteten Schmollmund
Platz. »Außerdem nimmt Kyle seine Aufgabe verdammt
ernst. Er gehört nicht zu der Sorte, die sich in ein Paradies
zurückziehen und die Füße hochlegen, solange es noch so
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viele Seelen zu geleiten gibt. Damit steht er wohl nicht allein da. Die meisten von uns dürften wohl entweder seine
oder meine Philosophie teilen. Entweder sie sind pflichtbewusst oder sie genießen einfach das Dolce Vita in dieser
Welt. Warum also woanders hinwollen?«
»Und warum haben die Grigori dieses Interesse? Ich
meine … ihnen scheint es damit sehr ernst zu sein. Sonst
hätten sie nicht versucht, die Nephilim praktisch zu züchten.« Ihr lief erneut ein Schauder über den Rücken, wenn
sie darüber nachdachte. An die vielen Akten in Professor
Swans Büro, an die Frauen, die verschwunden oder nach
St. Joshua gebracht worden waren. Und an die Kinder,
die … tja, die was? Gestorben waren? Bereits getötet? Oder
genau wie sie nichts ahnend durch die Welt gingen, bis sie
zur falschen Zeit den falschen Leuten begegneten?
»Hm«, meinte Proud gedehnt und unterbrach ihre Gedanken, »die Grigori sind was anderes. Vergiss nicht, was
ihre Aufgabe in dieser Welt ist. Den Abschaum fortzuschaffen. Sie bringen keine Seelen auf die andere Seite, sondern
saugen sie buchstäblich auf. Das Böse, das Übel. Ich schätze,
das kann einem schon ganz schön die Laune verderben. Da
würde ich vielleicht auch nach Erlösung streben und ins
Paradies zurückkehren wollen, um dort … Reinigung zu
erfahren. Stell ich mir nicht schön vor, wenn man ständig
von den eigenen Dämonen heimgesucht wird. Aber hey«,
er zuckte abermals die Achseln, »was weiß ich schon? Es hat
noch kein Grigori erzählt, wie das so ist, wenn man ständig
von Verbrechern nascht. Nur eines ist klar: Sie wollen, dass
es aufhört. Sie wollen erlöst werden und dieser Welt und
ihrer Strafe entfliehen, weil es sie ihrer Meinung nach am
schlimmsten von uns allen getroffen hat. Darum müssen
wir damit rechnen, dass sie so schnell nicht aufgeben. Wir
haben nur eine Atempause, mehr nicht.«
Beth nickte. Das war wohl ihr Stichwort. »Ja, das ist mir
klar. Deshalb haben wir auch wenig Zeit.«
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Nun war es an Proud, die Stirn zu runzeln. »Zeit wofür?«, fragte er gedehnt.
Beth wappnete sich innerlich gegen seine Reaktion, die
sie bereits erahnte, aber sie hatte in den letzten Tagen viel
nachgedacht und ihr Entschluss stand unumstößlich fest.
»Ich werde nicht tatenlos hier herumsitzen und auf mein
Schicksal warten, Proud. Wenn ich das tue, kann ich mir
gleich selbst die Kehle aufschneiden, denn darauf läuft es
bei den meisten wohl hinaus, die mich in die Finger bekommen wollen. Soviel habe ich verstanden.«
Seine Miene wurde zusehends skeptischer, aber noch
fiel er ihr nicht ins Wort.
»Ich werde ab morgen wieder ins St. Johns gehen.«
Jetzt war es raus.
Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Erstaunen, Zorn und der eindeutigen Überzeugung, dass sie den
Verstand verloren haben musste. »Bist du wahnsinnig?«,
herrschte er sie an und war so schnell aus dem Sessel
und wieder direkt vor ihr, dass Beth rückwärts gegen das
Fenstersims strauchelte. Dort, wo seine Finger ihre Arme
umklammerten, schien ihre Haut in Flammen zu stehen.
»Hast du mir gerade nicht zugehört? Da draußen rennt ein
Haufen Typen rum, die dich kaltmachen wollen, Kyle ist
ein Schnitter, unser gottverdammter Butler hat den Grigori
seine Seele verkauft, die Cherubim haben sich als Verräter
geoutet und wir haben keine Ahnung, wem wir noch trauen können, aber du denkst, du kannst wieder anfangen zu
arbeiten, als wäre nichts geschehen? Sag mal geht’s noch?
Ist bei dem Ritual unter dem Fabrikgelände vielleicht versehentlich dein Verstand ausgeblutet?«
Sie presste die Lippen aufeinander und machte sich
steif, um seine verletzenden Worte nicht an sich heranzulassen. Natürlich war es ein eher sinnloser Versuch des
Abblockens, aber sie wollte nicht nachgeben und hoffte,
sich mit einer unbeugsamen Haltung genug Respekt zu
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verschaffen, um sich gegen Proud durchzusetzen. »Mir ist
das alles bewusst, Proud«, erklärte sie mit fester Stimme.
»Wie du gerade festgestellt hast, war ich diejenige, die auf
dem Opferaltar lag. Ich bin von den Grigori und diesem
Cherub entführt worden. Wenn ich weglaufe, ist das nicht
nur feige, sondern auch ziemlich sinnlos, meinst du nicht?
Mich hier zu verkriechen, wäre albern, weil fast jeder, der
von meiner Existenz erfahren wird, hier zuerst suchen
dürfte.«
»Okay, Babe, soweit bin ich bei dir. Aber wenn du das
alles weißt, wie kommst du auf die Idee, in deinen Job
zurückzukehren?«
Sie schluckte. Genau diese Frage hatte sie befürchtet,
weil sie ihm darauf keine ehrliche Antwort geben konnte.
Es waren diese Träume, die sie trieben. Sie wollte, dass
sie aufhörten, aber das würden sie erst, wenn sie deren Ursprung ergründet hatte. Und der lag für Beth ganz klar in
ihrer Vergangenheit. Professor Swans Unterlagen waren
ein Strohhalm, an den sie sich klammerte. Da er gewusst
hatte, mit welchen Wesen er sich einließ, war der Gedanke
naheliegend, dass er auch weitere Hintergründe kannte
und diese irgendwo vermerkt haben musste. Sie wollte
diese Informationen finden, sonst würde sie die Träume
nicht mehr loswerden, und allmählich machten die sie
mürbe. Sie machten ihr Angst, waren wie kleine, nagende
Käfer, die sie langsam aufzehrten, ihr die Kräfte raubten.
Das musste ein Ende haben.
Sie wusste, dass Proud ihren Wunsch, wieder dort zu
arbeiten, wo alles seinen Ursprung genommen hatte, nicht
verstand. Dass er sich Sorgen um sie machte, um ihre Sicherheit. Vielleicht wäre es fairer gewesen, ihm alles zu erzählen, seine Hilfe anzunehmen, aber sie brachte es nicht
über sich. Jedes Mal, wenn sie überlegte, ihm von den
Träumen zu erzählen, sperrte sich alles in ihr dagegen.
Außerdem … es war ihr Leben – sie musste das allein in
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den Griff bekommen. Sie wollte nicht ständig auf die Hilfe
anderer angewiesen sein, weil es sich anfühlte, als würde
sie sich Stück für Stück selbst verlieren. Die Kontrolle über
sich selbst abgeben.
Beth straffte die Schultern und hoffte, dass Proud ihre
Erklärung nachvollziehen konnte und sie nicht mehr
preisgeben musste, als sie derzeit bereit war. »Ich rede
nicht davon, zum Alltag zurückzukehren, Proud. Aber
meiner Meinung nach haben wir keine Zeit zu verlieren,
weil bald mehr Engel denn je hinter mir her sein werden.
Ich möchte sozusagen die Flucht nach vorn antreten. Meinem Schicksal die Stirn bieten. Herausfinden, warum das
alles passiert, warum ich bin, was ich bin. Das kann ich
nur, wenn ich für eine Weile wieder ins St. Johns zurückkehre. Es ist die einzige Spur, die wir haben. Verstehst du?
Ich muss dorthin und sehen, was ich herausfinden kann.
Über Professor Swan, dieses … Zuchtprogramm und …«
Er hob die Hand und gebot ihrem Redefluss Einhalt.
Seine Miene spiegelte in keiner Weise wider, was er davon
hielt. »Das ist Wahnsinn«, stellte er fest. »Absoluter Wahnsinn, und das weißt du.«
»Es ist meine einzige Hoffnung.«
Er antwortete nicht, doch nun sprach sein Blick Bände.
Er hielt sie wirklich für total übergeschnappt.
»Verdammt Proud, ich spreche nicht davon, wieder
dauerhaft dort zu arbeiten. Nur so lange, bis ich etwas gefunden habe, womit ich mich auf die Suche machen kann.«
»Auf die Suche wonach?«
»Nach Antworten! Nach meinen Wurzeln! Nach einer
Möglichkeit, heil aus der Sache herauszukommen und
auch Kyle wieder zurückzuverwandeln.«
»Du glaubst nicht wirklich, dass du noch irgendwas in
den Unterlagen dieses korrupten Mediziners findest, was
ich nicht bereits von seinem Laptop auf den Stick gezogen
habe, oder? Abgesehen davon, dass uns dieser Mist nicht
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einen Schritt weitergebracht hat. Was sollte also sonst noch
dort sein?«
Hilflos zuckte sie die Achseln. »Ich weiß es nicht. Irgendeine Spur muss es geben.« Es war das Einzige, woran
sie sich im Moment festhielt. Dass sie dort einen Ansatzpunkt fand, von dem aus sie weitersuchen konnte. Es war
ihre einzige Chance, einen Ausweg aus all dem zu finden.
Wenn sie daran nicht mehr glauben konnte, wäre es genauso gut, sich gleich den Grigori auszuliefern, denn welche Perspektive gab es sonst noch?
»Na schön«, stimmte Proud genervt zu. »Wenn du
meinst, dass da noch mehr ist, werde ich mich eben noch
mal dort umsehen. Dazu reicht ein heimlicher Einbruch.
Dafür braucht sich keiner in Lebensgefahr zu begeben. Am
wenigsten du.«
»Als ob dabei kein Risiko bestünde, wenn man in den
vermutlich immer noch von der Polizei gesperrten Tatort
einbricht. Hast du schon vergessen, dass man Professor
Swans Leiche dort gefunden hat?«
»Schau mich nicht so an, ich hab den Kerl nicht kaltgemacht. Und den Grigori habe ich ordnungsgemäß entsorgt, nachdem ich mit ihm fertig war.«
»Es bleibt dennoch gefährlich, dort einzubrechen. Dagegen hätte ich als Mitglied des Klinikpersonals in Kürze wieder freien Zugang. Das Risiko ist in beiden Fällen
dasselbe.«
»Bei einem schnellen Einbruch würde ich das aber tragen, nicht du. Ich bin geschickter und geübter darin, mich
nicht erwischen zu lassen.«
»Ich will die Suche nach der Wahrheit nicht mit einem
Verbrechen beginnen.«
Er lachte zynisch. »Als ob Datenklau kein Verbrechen
wäre, ob du nun einbrichst oder nicht. Wie gesagt, die
Drecksarbeit würde ich übernehmen. Darin war ich schon
immer gut.«
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Sie wusste, sie sollte ihm dankbar sein, dass er ohne
Wenn und Aber bereit war, ihr zu helfen, doch sie brachte
es nicht über sich. Sie wollte kein zusätzliches Aufsehen.
Vor allem wollte sie nicht noch tiefer in seiner Schuld
stehen, als sie es ohnehin schon tat. Auf unbestimmte Zeit
war er ihr einziger Halt im Leben. Sie brauchte ihn, aber
sie wollte diesen Zustand nicht überhandnehmen lassen.
»Es ist mein Leben. Ich werde nicht weglaufen und auch
nicht alle Verantwortung in die Hände eines anderen legen. Vergiss es.«
»Du … unvernünftiges Halbblut.«
Zweifellos war der Begriff, der ihm eigentlich auf der
Zunge gelegen hatte, weitaus derber gewesen.
»Hilf mir!«, verlangte sie, ohne auf seinen Zorn und
seine Einwände zu achten. Sie wusste, er würde sie nicht
im Stich lassen. »Wenn du auf mich aufpasst und mir den
Rücken freihältst, wird mir nichts passieren. Ich brauche
höchstens ein paar Wochen.«
»Wochen?«
Sie biss sich auf die Lippen. »Vielleicht auch nur Tage.
Ich weiß nicht, wann ich wieder in das Büro reinkomme …«
»Darum sage ich, es ist klüger, wenn ich das
übernehme.«
»Aber du weißt nicht, wonach du suchen musst!«
»Weißt du es denn?« In Prouds Augen blitzte es.
Nicht genau, da war nur eine Ahnung. Ihr Instinkt
sagte ihr, dass sie es wissen würde, wenn sie es in Händen
hielt. »Ich habe damals auch die Akten gefunden, oder
nicht? Ich kenne das Ablagesystem im St. Johns. Wenn
ich eine Spur finde, kann ich sie direkt verfolgen. Zu den
Archiven im Keller habe ich ebenfalls freien Zugang und
müsste in den Segmenten nicht erst lange suchen, weil ich
mich nach den Aktenkürzeln orientieren könnte.« Sie hoffte, ihn mit all diesen Argumenten überzeugen zu können.
Mehr fielen ihr leider nicht ein.
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Das Schweigen, das sich zwischen ihnen ausbreitete, schien sich eine Ewigkeit hinzuziehen. Sie konnte in
Prouds schiefergrauen Augen nicht lesen. Es verlangte ihr
genug ab, seinem eindringlichen Blick überhaupt standzuhalten und sich nicht darin zu verlieren.
»Dass wir uns verstehen: keine Nachtschichten!«
Seine harsche Order glich einer Erlösung. Beth atmete
auf.
»Es ist am Tag schon riskant genug, aber bei Nacht
brauchen die Grigori keine Handlanger, sondern werden
selbst hinter dir her sein.«
Sie nickte, wenn auch nur widerwillig. In dem Punkt
musste sie Proud recht geben. Es war zu gefährlich für
sie, sich nachts außerhalb von Azrae-Gebiet aufzuhalten.
»Danke Proud.«
Seine Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen
Lächeln, doch wenigstens war der Zorn aus seinen Zügen
gewichen. »Ich weiß, ich werde es bereuen.« Er breitete die
Arme aus. »Na komm her, du Draufgängerin.«
Beth schmiegte sich lächelnd und dankbar an ihn. Es
tat gut, zu wissen, dass er für sie da war. Dass sie all das
nicht allein durchstehen musste. Proud schob sie ein Stück
von sich weg und strich ihr eine vorwitzige Strähne zurück, ehe er sie sanft auf die Stirn küsste.
»Geh schlafen. Ich sehe mich morgen mal im St. Johns
um. Wenn ich die Gefahr für überschaubar halte, sehen
wir weiter.«
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