Wasserbalance Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau 2 Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau Erfindergeist Der Lausitzer Braunkohlenbergbau hat in seiner fast 200-jährigen Geschichte viele technische Innovationen hervorgebracht: die ersten Filterbrunnen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Grube Ilse bei Senftenberg in Betrieb gingen oder die gewaltigen Abraumförderbrücken, die heute die Tagebaue der Lausitz prägen. In den 1970er Jahren nun entwickelten Lausitzer Ingenieure gemeinsam mit Wissenschaftlern der Bergakademie Freiberg Technik und Technologie zur Herstellung von Dichtwänden. Mit ihrer Hilfe gelingt es, die mit dem Bergbau einhergehende Absenkung des Grundwassers auf den Tagebauraum zu begrenzen, ohne benachbarte Gebiete zu entwässern. Gleich drei dieser Anlagen entstanden zwischen 1979 und 1982, um die Neißeaue und die Republik Polen vor Grundwasserabsenkung zu schützen. Mit der Neustrukturierung der Braunkohlewirtschaft nach 1990 setzten Lausitzer Ingenieure gemeinsam mit deutschen Maschinenbaufirmen diese Entwicklungen fort. Seither wurden entlang von vier Lausitzer Tagebauen insgesamt 25 Kilometer Dichtwand mit Tiefen zwischen 50 und 110 Metern gebaut. Die Dichtwandtechnik gilt längst auch international als wegweisende Umwelttechnologie, die bei effizienter Rohstoffgewinnung sensible Landschaftsräume wirkungsvoll schützt. Bei der langfristig geplanten Fortführung der Braunkohlenverstromung in der Lausitz nimmt das Errichten von Dichtwänden deshalb einen wichtigen Stellenwert ein. Uwe Grosser, Vorstandsmitglied Ressort Bergbau Dichtwandtrasse am Tagebau Welzow-Süd zum Schutz des Lausitzer Seenlandes Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau 3 4 Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau Wasserreich Lausitz Der Wasserreichtum der Lausitz ist bereits im Namen verankert: Łužica – Sumpfland nannten die ersten Siedler das Gebiet. Ein Mosaik aus sumpfigen Gebieten, trockenen Sandböden und Heidelandschaften prägte den Landstrich. Jahrhunderte wechselten in der Lausitz extreme Dürreperioden wieder und wieder mit verheerenden Hochwassern. Insbesondere im Einzugsgebiet der Flüsse kam es häufig zu Überschwemmungen. So belegen alte Dokumente, dass es zwischen 1894 und 1938 im Spreewald lediglich 15 normale Ernten gab. In den übrigen Jahren wurden die Ernten teilweise oder gar vollständig durch Hochwasser vernichtet. Um das Gebiet nutzbar zu machen, begannen die Menschen, großflächig Grabensysteme anzulegen. Mit der Regulierung der Wasserläufe wurde das Land wirtschaftlich kultiviert. Was dies für das Leben in der Lausitz bedeutete, beschreibt Oberlehrer Gottlieb Paulitz aus Calau im Jahr 1899: „Wo heute saftige Wiesen, gepflegte Äcker, Gärten und schmucke Siedlungen stehen, wurde bei Hochwasser die ganze Gegend auf mehrere Wochen überschwemmt und glich dann einem weit wogenden See. Das Wasser erzeugte an heißen Sommertagen Fäulnis in der darunter begrabenen Vegetation. Durch die modrigen Ausdünstungen dieser Sümpfe waren die Bewohner häufig von Krankheiten heimgesucht.“ | Biosphärenreservat Spreewald Für den Abbau der Lausitzer Bodenschätze genügt das Entwässern durch Grabensysteme jedoch nicht. Damit der Bergmann trockenen Fußes an die Kohle gelangt, muss der Tagebauraum von Grundwasser frei gehalten werden. Um die Rohstoffvorkommen vollständig zu nutzen, dringt der Bergbau seit den 1960er Jahren in immer größere Tiefen vor. Filterbrunnen pumpen kontinuierlich das Wasser rund um die Tagebaufelder ab. Insbesondere der extensiv betriebene Braunkohlenabbau in der DDR hat den Wasserhaushalt der Lausitz auf diese Weise beeinflusst. Bis 1989 wurden hier jährlich bis zu 200 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert und bis zu 1 200 Millionen Kubikmeter Wasser gehoben. In der Folge entstand auf einem Gebiet von 2 500 Quadratkilometern – einer Fläche so groß wie das Saarland – ein Grundwasserdefizit von 13,6 Milliarden Kubikmetern. Der Wasserspiegel im Umland sank teilweise bis 70 Meter unter die Rasensohle. Seit 1990 ist die Braunkohlenförderung in der Lausitz um mehr als 70 Prozent zurückgegangen. Das spiegelt sich auch im Wasserhaushalt wieder. Das Grundwasser steigt und die Landschaft findet ihre Balance zurück. Ein weiterer Grund dafür ist eine weltweit einzigartige Technologie: Mit dem Bau von unterirdischen Dichtwänden wird in der Lausitz das Absenken des Grundwassers auf den für den Abbau der Kohle unmittelbar notwendigen Raum begrenzt. Gleichzeitig sichert die Dichtwand, dass der Grundwasserspiegel auf der „Wasserseite“ erhalten bleibt. Besonders sensible Bereiche wie Feuchtgebiete, Flussniederungen und Gewässer werden auf diese Weise geschützt und bleiben in ihrer Ursprünglichkeit erhalten. So können Neißeaue, die Peitzer Teichgruppe und auch die Lausitzer Seenlandschaft in unmittelbarer Nachbarschaft zum Tagebau existieren. Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau 5 Landschaftsschutz und Wasserbalance Eine Dichtwand wirkt wie eine künstliche Wasserscheide. Während der Grundwasserspiegel auf der Tagebauseite abgesenkt wird, bleibt er auf der Wasserseite vollständig erhalten. So minimiert sich der Einfluss des Bergbaus auf Oberflächengewässer und das Grundwasser. Das Baumaterial überrascht zunächst. Es besteht aus jenen Zutaten, die auch der Töpfer zur Herstellung von Keramik verwendet: Ton und Wasser. Vermischt mit natürlichen Bodenmassen ergeben sie eine stabile Wand. Diese unterirdische Staumauer ist etwa so wasserdurchlässig wie eine Tischplatte aus gutem Eichenholz. Weniger als 0,000 000 000 01 Kubikmeter Wasser pro Sekunde fließen durch einen Quadratmeter Dichtwand. Ein Wassertropfen würde also 60 Jahre benötigen, um von einer Seite zur anderen zu gelangen. Bereits während der Bauphase werden regelmäßig Proben entnommen, um die Dichtheit der Wand zu prüfen. Die Möglichkeit, dass dabei dauerhafte Lecks entstehen, ist ausgeschlossen. Der Grund dafür liegt in den selbstheilenden Eigenschaften der Tonfilterkruste. Ihre plastische Konsistenz sorgt dafür, dass „Wunden“ in kurzer Zeit geschlossen werden. Doch damit sind die Arbeiten nicht beendet. Solange der Bergbau die Landschaft beeinflusst, prüfen Messungen des Grundwasserstandes auf beiden Seiten der Dichtwand regelmäßig deren Wirksamkeit. Selbst nach Beendigung des Bergbaus können Dichtwände vollständig erhalten bleiben, vor allem, wenn sie als Grundwasser steuerndes Element von Nutzen sind. Behindert ihre stauende Wirkung später den natürlichen Wasserfluss, werden sie durch Großlochbohrer perforiert. Dabei wird die Dichtwand längs der Trasse im Abstand von zirka 80 Metern bis zu 30 Meter tief ausgebohrt und anschließend mit Kies verfüllt. Durch diese Schlitze kann das Wasser wieder ungehindert strömen. Oberirdisch bleibt das gigantische Bauvorhaben letztendlich unsichtbar. Zwar dehnt sich das Baufeld zunächst auf einer bis zu 40 Meter breiten Trasse aus. Doch ein Jahr nach dem Errichten folgt abschnittsweise die Renaturierung der Bautrasse. Die Landschaft erhält ihr natürliches Aussehen zurück. 6 Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau Wasserreinigung Rund um den Tagebau sichern Filterbrunnen, dass kein Grundwasser in den offenen Tagebauraum strömt. Kontinuierlich pumpen sie z.B. im Tagebau Welzow-Süd 8 400 m³ Wasser pro Stunde ab. Das Wasser wird gereinigt und anschließend in die umliegenden Gewässer geleitet. unbeeinflusster Grundwasserspiegel Wasserhebung Tagebau Dichtwand abgesenkter Grundwasserspiegel Eine natürliche Schicht aus Lehm oder Ton bildet - wie der Boden eines Topfes - den Abschluss zu den darunter liegenden Erdschichten. Dichtwände erreichen in der Lausitz heute Tiefen bis zu 110 Metern. Für das Gelingen braucht es jedoch besondere geologische Voraussetzungen: eine gewachsene, möglichst horizontal abgelagerte wasserundurchlässige Bodenschicht, in die die Dichtwand eingebunden werden kann. Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau 7 Aus einem Guss Wie eine gelbe Karawane wandert der Gerätekomplex durch die Landschaft. Zwischen dem Lausitzer Seenland und dem Tagebau Welzow-Süd entsteht ein unterirdisches, fast unsichtbares Bauwerk von beachtlichen Dimensionen. Generation wurde die Dichtwand-Technologie weiter verfeinert. Im Wesentlichen folgen sie aber alle einer Grundidee: Im Gegensatz zu den im Bauwesen verwendeten Schlitzgreifern nutzt der Bergbau so genannte Schlitzfräsgeräte. Ihr Vorteil: Statt einzelne Segmente zu setzen, die viel Zeit benötigen, um auszuhärten, entsteht mit Hilfe des Schlitzfräsgerätes eine durchgehende Stauwand, die zwar langsam, dafür kontinuierlich und ohne Unterbrechung wächst. Die Wand aus einem Guss hat den Vorteil, dass sie fugenlos und nahezu lotrecht ist. Im Bauwesen gehört das Errichten von Schlitzwänden mittlerweile zum Alltag. Tiefgaragen mit mehreren Etagen unter der Erde sind ohne Sicherung durch Schlitzwände kaum noch vorstellbar. Die Größe ist dem Bauwerk angepasst und erreicht gelegentlich bis zu 1 000 Meter Länge. Dichtwände im Bergbau hingegen gelten noch immer als Besonderheit. Oft erreichen sie gewaltige Dimensionen: So misst die Dichtwand im Tagebau Jänschwalde fast 11 000 Meter Länge. Mit bis zu 110 Metern hält die Dichtwand des Tagebaus WelzowSüd derzeit den Tiefenrekord. Mittlerweile gelingt es mit der im Lausitzer Bergbau verwendeten Technologie, Dichtwände bis in 110 Meter Tiefe herzustellen. Mit dieser modernen Technologie mehren sich die Einsatzmöglichkeiten. Seit Ende der 70er Jahre waren im Lausitzer Bergbau vier Gerätegenerationen im Einsatz. Mit jeder Geräte Baujahr Technik generation Max. Tiefe in Metern Jahresleistung in 1 000 m2 Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau Partner Rüdersdorf/Berzdorf Berzdorf Jänschwalde Bergakademie Freiberg 1 1970er SF 50 50 SG 60 60 1979 SG 73 84 2 1980 SG 100/01 1983 SG 100/02 100 18 - 25 1993 SG HW 852 HD 73 20 - 35 3 1998 SFG LW 120 120 50 - 60 4 2010 SFG VB 130/1 130 50 - 60 2012 SFG VB 130/2 8 Einsatzorte Jänschwalde Berzdorf Cottbus-Nord Jänschwalde Cottbus-Nord Reichwalde Welzow-Süd Wirth Maschinen- und Bohrgeräte-Fabrik GmbH Bauer Maschinen GmbH Rund 200 Meter misst der gesamte Gerätekomplex zur Herstellung einer Dichtwand. Täglich wandert er zwei bis sechs Meter. Nach dem Bau der Dichtwand wird das Gelände rekultiviert. Die spätere Nutzung bestimmt der Eigentümer. Dass nicht immer die Wiederherstellung der ursprünglichen Landschaft gewünscht wird, zeigt die Dichtwandtrasse am Tagebau Cottbus-Nord: Hier verläuft heute der Fürst-Pückler-Rad- und Kutschweg. Friedländer Blauton wird als Trockenmehl geliefert und in einer stationären Mischanlage direkt vor Ort verarbeitet. Der tägliche Bedarf richtet sich nach den geologischen Verhältnissen; durchschnittlich beträgt er rund 30 Kubikmeter. Separieranlage Die Separieranlage hat die Aufgabe, überschüssige Sande aus der Tonsuspension zu filtern. Die gereinigte Suspension wird anschließend wieder verspült; die separierten Sande werden zur Verfüllung der Oberfläche genutzt. Tondepot Mit den ausgefrästen Erdmassen (Air-Lift-Verfahren) werden die Schlitze wieder verfüllt. Die zuvor ausgebildete Tonkruste bleibt dabei vollständig erhalten. Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau 9 Arbeitsrichtung Strom liefert das Stromnetz des Tagebaus oder des ortsansässigen Energieversorgers. Mittels Trafostation wird elektrische Energie mit einer Spannung von 20 bis 30 kV in die Spannungsebene von 400 V transformiert. Absperrwände gliedern die Dichtwand in einzelne Verspülräume. Dazu werden im Abstand von 40 bis 50 Metern Betonelemente eingebracht. Wandabsetzgerät SFG VB 130 Kompressoren Trafo Kabel Führungspfahl Beständig fließt ein Gemisch aus Naturton und Wasser in den frisch gefrästen Erdschlitz. Die tonhaltige Flüssigkeit „stützt“ den Erdschlitz; gleichzeitig lagern sich die Tonbestandteile an beiden Seiten des Schlitzes ab. Der Fachmann spricht dabei von Kolmation. Die Tonsuspension durchdringt die Porenräume der Erdschicht. Bereits nach wenigen Minuten bilden sich die ersten Millimeter einer Kruste. Etwa drei Stunden später ist eine zwei bis fünf Zentimeter dicke Filterkruste entstanden, durch die kaum noch Wasser dringt. Nach zirka 20 Stunden ist die Krustenbildung abgeschlossen. Kiese Sande Schluff Feinsande Fräse Das Schlitzfräsgerät fräst kontinuierlich einen ein Meter breiten Schlitz. Per Air-Lift-Verfahren werden die gelösten Erdmassen innerhalb des Förderpfahls nach oben transportiert. Grundwasserstauende Erdschicht Zur Prüfung der Dichtheit werden regelmäßig Proben aus der Filterkruste entnommen. Unmittelbar nach dem Eingriff beginnt eine Art Selbstheilungsprozess. Das nachdrückende, feuchte Ton-Wasser-Gemisch bildet binnen kurzer Zeit eine neue Kruste, die die offene Stelle in wenigen Minuten verschließt. Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau 10 11 Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau Unterirdische Wände Sie sichern Baugruben, schützen vor Hochwasser und umschließen belastetes Erdreich. Seit Jahrzehnten bieten Schlitzwände im Bauwesen und Dichtwände im Bergbau Schutz für Bauwerke und Landschaften. Schlitzwände im Bauwesen Erste unterirdische Pfahlwände wurden bereits 1903 in den USA und 1905 in Deutschland gebaut. Als Erfinder der Schlitzwandtechnik gilt der österreichische Bauingenieur für Geotechnik Christian Veder. Er erforschte in den 1930er Jahren die Eigenschaften von Tonschlämmen und ihre Möglichkeit, Stützfunktionen auszuüben. Daraus entwickelte sich später die Schlitzwandtechnologie. Es werden Betonpfähle in den Boden gegossen, die die Kräfte in tiefer liegende, tragfähigere Schichten leiten. Als Stützflüssigkeit kam Bentonit, ein Gemisch aus Wasser und Ton, zur Anwendung. In den 1950er Jahren wurde Veders Verfahren durch eine italienische Baufirma zur Einsatzreife gebracht. Unter seiner Leitung entstanden in den folgenden Jahrzehnten die ersten Schlitzwände in Italien und in Kanada. Die Schlitzwandtechnologie kam bei der Ponte Flaminio in Rom ebenso zur Anwendung wie beim Bau von Staumauern. Eine mit rund 130 Metern besonders tiefe Schlitzwand entstand am Manicouagan Staudamm in Kanada. Auch die Baugrube des World Trade Centers wurde mittels Schlitzwand gesichert. Diese schützte das World Trade Center vor dem Wasser des Hudson River – und hielt auch am Tag des Terroranschlags. Ein Glücksfall für die Rettungsarbeiten. Wäre sie zu Bruch gegangen, wäre wohl das südliche Manhattan überflutet worden. Die Schlitzwand des World Trade Centers hielt und schützte das südliche Manhattan vor der Überflutung. Weltweit im Einsatz Umschließen von belastetem Erdreich Im nordrhein-westfälischen Detmold wurde 2013 das kontaminierte Gelände eines ehemaligen Gaswerkes, das bereits in den 50er Jahren geschlossen wurde, nachträglich mit Hilfe einer Schlitzwand abgeriegelt. Sicherung von Baugruben Am Rande des historischen Stadtzentrums, direkt neben der Donau, entsteht auf insgesamt 230 000 Quadratmetern das Eurovea International Trade Center Bratislava. Die Baugrubenumschließung erfolgt durch eine 34 Meter tiefe Schlitzwand. Hochwasserschutz Der Sylventeichspeicher in Bayern erhielt 2012 eine 60 Meter tiefe Schlitzwand. |D ichtwandgerät SFG VB 130 an der Dichtwandtrasse Welzow-Süd 12 Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau Dichtwände im Bergbau Seit den 70er Jahren werden im Lausitzer Bergbau unterirdische Dichtwände errichtet. Das Initial für diese bis heute weltweit einzigartige Technologie setzte ein Gerät, das ursprünglich zur „mannlosen“ Förderung von Braunkohle entwickelt wurde. Doch Erfindungen verlaufen selten geradlinig; so auch hier: Das Schlitzfräsgerät sollte zwei parallel verlaufende Schlitze bis zum Kohleflöz herstellen, um dann mit Hilfe eines unterirdischen Hobels die Kohle untertägig abzubauen. Dazu kam es jedoch nie. Was blieb, war ein auf Schienen fahrbares Gerät, mit dem man kontinuierlich Schlitze bis in eine Tiefe von 50 Metern auffahren konnte. der Grundwasserspiegel jenseits der Neiße schon bald großflächig absinken würde. Die Forderungen nach Schadenersatz wuchsen – und damit der Druck auf die Ingenieure. Es galt eine Lösung zu finden, die Grundwassersenkung im Gebiet der Neiße abzuwenden. Die Ingenieure besannen sich des ungenutzten Schlitzfräsgerätes zur „mannlosen“ Kohleförderung. Mit wissenschaftlicher Unterstützung der Bergakademie Freiberg entstand daraus der Prototyp für die erste Gerätegeneration zum Errichten unterirdischer Dichtwände im Bergbau. 1970 begannen die Entwässerungsarbeiten für den Tagebau Jänschwalde nördlich von Cottbus. Nachdem die ersten Filterbrunnen in Betrieb gegangen waren, vermuteten die polnischen Behörden, dass 1979 begann der Bau der ersten Dichtwand am Rande des Tagebaus Jänschwalde. Mit fast elf Kilometern Länge gehört sie bis heute zu den längsten Dichtwänden der Welt. Jährliche Messungen auf beiden Seiten des Grenzflusses bestätigen: Die Dichtwand hält, was der Name verspricht. Schlitzgerät SG 73 Ende der 70er Jahre Schlitzgerät SG 100 Anfang der 80er Jahre Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau 13 Dichtwände im Lausitzer Revier 1 | Dichtwand Tagebau Jänschwalde Lage: von Bohrau bis Taubendorf, entlang der Neiße Bauzeit: 1979 bis 2000; 2007 bis 2009 Maße: Tiefe 52 bis 85 Meter | Länge 10 740 Meter Ziel: Schutz der Feuchtgebiete östlich des Tagebaus Jänschwalde, insbesondere in der Neißeniederung sowie des angrenzenden Gebietes zur Republik Polen Geräte: SG 73; SG 100/1; SG 100/2; SFG LW 120 Besonderheiten: Weltweit erste Dichtwand für den Braunkohlenbergbau 2 | Dichtwand Cottbus-Nord Lage: von Merzdorf über Lakoma bis Neuendorf Bauzeit: 1993/94 bis 2007 Maße: Tiefe 51 bis 72 Meter | Länge 7 071 Meter Ziel: Schutz der FFH-Gebiete Peitzer Teiche, der Spreeaue und der Nordstadt Cottbus Geräte: Bagger HS 852 HD mit Seilgreifer SWG 3,2 SFG LW 120 Besonderheiten: 1993 bis 1998 im Schlitzgreifverfahren, 2001 bis 2007 im Schlitzfräsverfahren 3 | Dichtwand Welzow-Süd Lage: von Lieske nach Bluno Bauzeit: Dezember 2010 bis 2022 (geplant) Maße: Tiefe 95 bis 120 Meter | Länge 10 630 Meter Ziel: Schutz des Lausitzer Seenlandes und des Umlandes südlich des Tagebaus Welzow-Süd Geräte: SFG VB 130/1, SFG VB 130/2 Besonderheiten: Mit bis zu 120 Meter Tiefe und mehr als 10 Kilometer Länge das bislang größte Dichtwandbauwerk der Welt. Die Trasse führt durch eine eiszeitliche Rinne mit stark wechselnden geologischen Schichten 4 | Dichtwand Reichwalde Lage: Bauabschnitt 1: Ostmarkscheide bei Hammerstadt, Bauabschnitt 2: Weißer Schöps bis Truppenübungsplatz Weißkeißel Bauzeit: BA1 2009 bis 2014, BA2 2015 bis 2024 (geplant) Maße: Tiefe BA1: 37 bis 50 Meter, BA2: 50 bis 90 Meter Länge BA1: 4 200 Meter, BA2: 7 700 Meter Ziel: Schutz des FFH-Gebietes Hammerstädter Teiche, der Oberlausitzer Teiche und der Neißeaue Geräte: SFG LW 120 Besonderheiten: Querung eines Teichgebietes und eines aktiven Truppenübungsplatzes 14 Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau 5 3 5 | Dichtwand Welzow-Süd (TA 2) 7 Lage: von Lieske nach Bahnsdorf Maße: Tiefe 90 bis 110 Meter | Länge 6 000 Meter Ziel: Schutz des Lausitzer Seenlandes Geräte: SFG VB 130 Besonderheiten: Annäherung an ein FFH-Gebiet 6 | Dichtwand Nochten (Abbaufeld 2) Lage: nordwestlich des Tagebaus Nochten Maße: Tiefe 115 bis 150 Meter | Länge 7 500 Meter Ziel: Schutz des FFH-Gebietes Reuthener Moor und des Trinkwasserschutzgebietes für das Wasserwerk „Kuthen“, Spremberg 1 Geräte: SFG VB 130 und SFG 150 (in Planung); bis zu drei Geräte gleichzeitig 2 Besonderheiten:Querung einer sehr tiefen eiszeitlichen Rinne, erstmals werden Tiefen von 150 Metern erreicht 7 | Dichtwand Jänschwalde-Nord Lage: umlaufend um das Abbaufeld Jänschwalde-Nord Maße: Tiefe 65 bis 120 Meter | Länge 20 000 Meter Ziel: Schutz der FFH-Gebiete „Gubener Fließtäler“ und „Neißeaue“ sowie des angrenzenden Gebietes der Republik Polen; Schutz des Trinkwasserschutzgebietes für das Wasserwerk „Schenkendöbern“ Geräte: Typ SFG LW 120; bis zu drei Geräte gleichzeitig Besonderheiten: Das Abbaufeld wird zu 80 Prozent von einer Dichtwand umschlossen (südöstlich des abgebildeten Kartenausschnittes, nicht auf der Karte abgebildet) Dichtwand Tagebau Berzdorf 6 Lage: südlich von Görlitz bis Hagenwerder, entlang der Neiße Bauzeit: 1983 bis 1993 Maße: Tiefe 25 bis 65 Meter | Länge 5 500 Meter Ziel: Schutz der Neiße und des angrenzenden Gebietes zur Republik Polen Geräte: 4 SF 50; SG 60, Seilgreifer K60 Besonderheiten: Stark wechselnde Tiefen der wasserstauenden Bodenschicht. Der Arbeitsdamm aus der Bauphase blieb als Hochwasserschutzdamm für die Neiße erhalten. Dichtwand gebaut | im Bau | in Planung Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau 15 Glossar Air-Lift-Verfahren Das Verfahren nutzt das physikalische Verhalten von Luft in Wasser. In ein Wasser-Sand-Gemisch eingeblasene Druckluft strömt schnell nach oben und reißt dabei Sande und andere Erdstoffe an die Oberfläche. Auen Uferlandschaften von Bächen bzw. Flüssen, deren Geländeformen und Lebensgemeinschaften vom Wechsel zwischen Hoch- und Niedrigwasser geprägt werden. Als Teil der Flusslandschaft stehen sie in permanentem Austausch mit dem Fluss. In Auen entstehen ständig neue Lebensräume für Pioniere unter den Pflanzen und Tieren. Feuchtgebiet Übergangsbereich von trockenen zu dauerhaft feuchten Ökosystemen. Der Begriff umfasst verschiedene Lebensraumtypen wie Aue, Bruchwald, Feuchtwiese, Moor, Ried oder Sumpf, die an den ganzjährigen Überschuss von Wasser angepasst sind. Feuchtgebiete sind von großer ökologischer Bedeutung, da sie für Wasser- und Watvögel als Rast- und Überwinterungsplatz dienen. FFH-Gebiete Spezielle europäische Schutzgebiete in Natur- und Landschaftsschutz, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ausgewiesen wurden und dem Schutz von Pflanzen (Flora), Tieren (Fauna) und Habitaten (Lebensraumtypen) dienen, die in mehreren Anhängen zur FFH-Richtlinie aufgelistet sind. Filterbrunnen Bohrloch zum Heben von Grundwasser; ausgebaut mit Filterrohr und Filterkies, bestückt mit einer Unterwassermotorpumpe. Grundwasserabsenkungstrichter Gebiet, in dem sich der natürliche Grundwasserspiegel infolge des jahrzehntelangen Bergbaus gesenkt hat. In der Lausitz wird der bergbaubedingte Grundwasserabsenkungstrichter durch Schutzmaßnahmen wie den Bau von Dichtwänden sowie durch ein eigens entwickeltes Flutungskonzept sukzessive verringert. 16 Dichtwandtechnik im Lausitzer Braunkohlenbergbau Kolmation Prozess der Verringerung der Wasserdurchlässigkeit von Erdschichten. Dieser entsteht durch den Eintrag von feinerem Material, z. B. Schwebstoffen. Pegel Ausgebaute Bohrungen, in denen die Höhe des Grundwasserspiegels gemessen wird. Rekultivierung Gestaltung der Landschaft nach dem Bergbau. Ziel der Rekultivierung ist es, eine mehrfach nutzbare und ökologisch wertvolle Landschaft zu schaffen. Schlitzfräsgerät Eine mobile, flexibel einsetzbare, speziell zur Herstellung eines Erdschlitzes entwickelte Gerätetechnik, bestehend aus einem Grundgerät, bohrtechnischen Aufbauten, Förderpfahl und Abbauwerkzeug. Suspension (lat. suspendere: in der Schwebe lassen) Ein heterogenes Stoffgemisch aus einer Flüssigkeit und darin fein verteilten Festkörpern, die in der Flüssigkeit aufgeschlämmt und in der Schwebe gehalten werden. Für den Bau von Dichtwänden wird eine Suspension aus Naturton und Wasser verwendet. Tagebau Bei diesem Verfahren werden die über dem Flöz lagernden Bodenschichten abgeräumt. Das zufließende Grundwasser wird abgepumpt. Danach wird die Braunkohle gewonnen und der Tagebau wieder verfüllt und rekultiviert. Der Abbau von Braunkohle erfolgt in der Lausitz überwiegend in Tagebauen. Wasserscheide Grenzverlauf zwischen zwei benachbarten Wassereinzugsgebieten, durch den das Wasser in zwei unterschiedliche Richtungen abfließt, z. B. Höhenzüge. Es gibt jedoch auch Wasserscheiden, die im Boden verborgen liegen. Fotos: Archiv Vattenfall (S. 10, 13), Andreas Franke (S. 2, 3, 10, 11, 17), Rico Hofmann (S. 7, 17), Andreas Neuthe (S. 7, 17), Peter Radke (Titel), Rainer Weisflog (S. 4, 7, 17), Fotolia (S. 12), Layout und Grafiken: wallat & knauth Vattenfall Europe Mining AG Vom-Stein-Straße 39 03050 Cottbus Geotechnik Dr. Stephan Fisch T 0355 2887 2112 F 0355 2887 2188 April 2014 www.vattenfall.de
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