SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Markus Kerber, BDI-Hauptgeschäftsführer, gab heute,
23.06.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema:
„Wirklich so schlimm? Folgen für die deutsche
Wirtschaft bei Brexit“.
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marie Gediehn.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
23.06.2016
Deutsche Industrie fordert EU-Reformen nach der Brexit-Entscheidung
Baden-Baden: Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert angesichts der BrexitEntscheidung in jedem Fall Veränderungen auf europäischer Ebene. BDI-Hauptgeschäftsführer
Markus Kerber sagte im Südwestrundfunk (SWR): „Wir brauchen ein besseres Europa“. Man
brauche klarere Regelungen zwischen dem, was Brüssel im Auftrag der nationalen
Regierungen werde weiter machen müssen und dem, was man auf nationaler, regionaler und
lokaler Ebene entscheiden wolle. Kerber forderte weniger Bürokratie und einfachere
Möglichkeiten, innerhalb der EU ein Unternehmen zu gründen und zu betreiben. Man brauche
"nicht weniger, aber bessere Regeln".
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Gediehn: Ist es nicht in jedem Fall die gute Nachricht, dass morgen Früh endlich jeder
Unternehmer weiß, in welche Richtung es geht?
Kerber: Absolut. Die vergangenen Wochen oder Monate waren geprägt von einem großen
Gefühl der Unsicherheit auf beiden Seiten des Kanals bei den jeweiligen Unternehmerlagern
und morgen früh ungefähr um dieselbe Uhrzeit werden wir wenigstens wissen, in welchem
Szenario wir weiterplanen können.
Gediehn: Lassen Sie es uns ein bisschen präzisieren mit Blick auf die deutschen
Unternehmen – auf den Südwesten. Welche Branche ist denn hier tatsächlich zu Recht
besonders nervös?
Kerber: Es ist natürlich die klassische baden-württembergische Branchenmischung, nämlich der
Automobil-, der Maschinen-, der Anlagenbau zusammen mit der Metallverarbeitung und den
Elektronikunternehmen, die sehr stark betroffen sind von der Situation in Großbritannien. Wir
haben Unternehmen in Großbritannien, die sehr stark investiert sind. Wir haben mal geschätzt
beim Bundesverband der Deutschen Industrie, dass rund 150- bis 200-tausend Arbeitsplätze
auf beiden Seiten des Kanals davon betroffen sind und ich würde davon ausgehen, dass ein
großer Teil davon auch in Baden-Württemberg angesiedelt ist.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Gediehn: Eine Studie des BDI hat gesagt: Ein Drittel der Unternehmen rechnet mit
negativen Auswirkungen eines Brexit für das eigene Unternehmen. Was ist denn konkret
die größte Befürchtung?
Kerber: Ganz einfach. Wir habenmittlerweile in Europa eine über viele Regionen und Länder
sich erstreckende Produktionsweise. Einzelteile, die in Baden-Württemberg gefertigt werden,
gehen nach Großbritannien, werden dort weiterverarbeitet und umgekehrt. Hier herrscht eine
große Unsicherheit bei den Unternehmen, ob sie beispielsweise weiterhin ihre Belegschaften,
die dahinterstehen – also die Ingenieure, die Verarbeiter, die Werkmeister, ob die weiterhin
ungehindert zwischen beispielsweise Wales und Nordwürttemberg werden reisen können.
Bislang ist das ja einfach. Wir leben im Binnenmarkt und wir wissen nicht, ob dann
Großbritannien außerhalb des europäischen Unionsverbundes und außerhalb von Schengen
noch mit weiteren Zugangsproblemen wird rechnen müssen und das würde unsere
Belegschaften treffen.
Gediehn: Jetzt steuern wir seit Monaten auf dieses Referendum zu, wie können sich
denn da in irgendeiner Form Unternehmen wappnen?
Kerber: Sie können sich eigentlich nur dadurch wappnen, dass sie für den Fall der Fälle, was
ich aber nicht vermute, dass sich die Briten für einen Austritt entscheiden, überlegen, wie wäre
denn die Situation meines Unternehmens, wenn es nun in der Schweiz oder in Norwegen
angesiedelt wäre. Weil das könnten mögliche Handelsregime sein, unter denen dann ein
Wirtschaften mit Großbritannien möglich wäre.
Gediehn: Jetzt haben Sie schon gerade gesagt, Sie rechnen gar nicht damit. Zuletzt lagen
in Umfragen tatsächlich knapp die vorn in Großbritannien, die in der EU bleiben wollen.
Wenn es tatsächlich so kommt, dann mehren sich ja die Stimmen, dass es politisch
trotzdem einen Neuanfang braucht in der EU. Wirtschaftlich auch?
Kerber: Ja, ich bin völlig einer Meinung mit Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der
Europäischen Kommission. Wir brauchen ein besseres Europa und dieses bessere Europa wird
nur dadurch entstehen, dass wir uns auseinandersetzen mit den Befürchtungen, mit den
Skeptizismen, die viele Bevölkerungen in Europa haben. Die auch daher rühren, dass die
Europäische Union ein Stück weit komplexer, unverständlicher geworden ist. Wir brauchen hier
klarere Regelungen zwischen dem, was Brüssel im Auftrag der nationalen Regierungen wird
machen müssen und dem, was wir auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene entscheiden
wollen.
Gediehn: Was heißt denn ein besseres Europa, wie Sie es sagen, für ein Unternehmen?
Mehr Marktliberalität, weniger Regeln?
Kerber: Weniger Bürokratie, einfachere Möglichkeiten innerhalb der Europäischen Union, ein
Unternehmen zu gründen und zu betreiben. Ich würde nicht sagen unbedingt weniger Regeln,
aber bessere Regeln. Wir haben im Bereich der Internetwirtschaft, im Bereich der
Datenverarbeitung immer noch 28 unterschiedliche nationale Regelungen, wenn Sie zum
Beispiel ein Software-Unternehmen im Internet gründen wollen. Das kann es nicht sein, hier
brauche ich eine einheitliche, eine europäische Regelung. Hier wäre ein einheitlicher, digitaler
Binnenmarkt besser als das Nebeneinander und das Durcheinander von 28 nationalen
Regelungen. Europa hat schon auch Vorteile.
Gediehn: Glauben Sie denn tatsächlich, dass im Falle eines abgewendeten Brexit ein
politischer Neuanfang auch wirklich mit einem wirtschaftlichen verknüpft wird?
Kleber: Ja, ich kenne quasi kein europäisches Land, in dem nicht das Bedürfnis in den letzten
Wochen geäußert wurde, in der Auseinandersetzung dieses bessere Europa nochmal zurück
ans Architekturboard zu gehen und bestimmte Regelungen institutioneller Art in Europa neu zu
konzipieren. Ich glaube, wir brauchen noch einmal den Mut, bestimmte institutionelle
Vertiefungen in der Euro-Zone - das ist ja eine Unterausprägung in der Europäischen Union –
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
anzustreben, hier noch dichter, noch stärker zusammenzuarbeiten und gleichzeitig in der
weiteren Europäischen Union der 28, die Dinge vielleicht weniger dicht zu regeln. Das ist ja im
Kern das Missverständnis, das bei den Briten vorherrscht, dass sie in eine immer dichter
werdende Euro-Zone reingezogen werden, was nachweislich nicht der Fall ist. Wenn diese
Missverständnisse bestehen, muss man sie klarer und deutlicher ausräumen und das geht nur
mit eindeutigen Regelungen.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)